Der Mensch im Mittelpunkt - Dessau

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Der Mensch im Mittelpunkt - Dessau
Dessau-Roßlau · werkstadt 07
Der Mensch
im Mittelpunkt
Ein durch das Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF) und
den Europäischen Sozialfonds (ESF)
finanziertes Programm sorgt
in 35 deutschen Kommunen für
Transparenz im Bildungssektor.
In Dessau-Roßlau arbeitet ein Team von
Experten an der hochkomplexen Materie.
Im kommenden Jahr legt das Team von
»Lernen vor Ort« den 2. Bildungsbericht
für die Stadt vor.
N
Norbert Blauig-Schaaf ist ein glücklicher Mann: Er lernt jeden Tag dazu.
Das liegt an seinem Job. Er leitet das
Programm »Lernen vor Ort« in Dessau-Roßlau. Mit einem zehnköpfigen Team arbeitet
der Erziehungswissenschaftler an einem datenbasierten, kohärenten Bildungsmanagement. Das klingt abstrakt, aber das Ziel ist
sehr konkret: »Es geht darum, dass jeder die
richtigen Angebote für individuelles lebenslanges Lernen bekommt.«
Noch bis Ende August 2014 läuft das
fünfjährige, stiftungsunterstütze Programm
in Dessau-Roßlau. Im Mittelpunkt steht
die Transparenz. Eine Vielzahl von Trägern sorgt für eine noch größere Vielfalt
an Angeboten. Deswegen stand für Norbert Blauig-Schaaf am Anfang die Analyse. Sein Team hat Daten gesichtet, Prozesse
untersucht, mit Verantwortlichen gesprochen und legte 2011 den 1. Bildungsbericht
für die Stadt vor. »Das war für alle Seiten
Neuland, und der Bericht ist intensiv diskutiert worden«, bilanziert Norbert BlauigSchaaf.
Im Mittelpunkt steht die Bildung – von
der Geburt bis ins hohe Alter. Besonderes Augenmerk legen die Experten auf die
Übergänge zwischen den einzelnen Bildungsstationen. Für nachhaltige Strukturen
beim Übergang zur Grundschule und in die
weiterführenden Schulen zeigt sich Übergangsmanagerin Melanie Ranft verantwortlich. Sie hat sogenannte Übergangsteams
aufgebaut. Dort arbeiten eine Grundschullehrerin, eine Hortnerin und Vertreter mehreres Kitas aus dem jeweiligen Schulbezirk
zusammen. Insgesamt 14 Teams gibt es in
Dessau-Roßlau. »Deren Entwicklung wurde von einem Prozessbegleiter unterstützt.«
Durch dieses Verfahren können Schulen
und Kitas die genau für sie passende Zusammenarbeit entwickeln und dann dauerhaft praktizieren.
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werkstadt 07
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· Dessau-Roßlau
ür die Transparenz vom Übergang von
der Grundschule zur weiterführenden
Schule hat Kathrin Hinze vom Programm »Lernen vor Ort«, verantwortlich u.
a. für Elternarbeit, mit Schulen und Elterninitiativen gesprochen und eine Schulbroschüre publiziert.
Aus dem 1. Bildungsbericht geht hervor,
dass am Gymnasium vor allem mit Blick
auf die Aufnahme eines regulären Studiums
beraten wird. Dabei erlernt etwa ein Drittel
der Gymnasiasten einen Beruf in einer ganz
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normalen Ausbildung im dualen System.
Umgekehrt gibt es erstaunlich viele Studiengänge, die auch für Mittelschüler offen
sind.
In diesem Zusammenhang hat das Team
in Zusammenarbeit mit der Agentur für
Arbeit einen Berufsorientierungskatalog
entwickelt. Ziel des Kataloges ist es, Angebote zur beruflichen Orientierung an allgemeinbildenden Schulen in Dessau-Roßlau
zusammenzufassen und somit Berufsorientierungsverantwortlichen im schulischen
Kontext ein überblickgebendes Hilfs- und
Arbeitsinstrument in die Hand zu geben.
Norbert Blauig-Schaaf und sein Team
betrachten Bildung aber nicht nur aus der
Sicht der verschiedenen Träger. Bei der
Beratung mit dem ProfilPASS® steht der
Mensch ganz im Mittelpunkt. Für den Pass
wurden dabei die Qualifikationen erhoben,
aber auch die persönlichen Stärken und Interessen. »Denn erst damit lässt sich sinnvoll
sagen, was an Bildung nötig und sinnvoll
ist.« Ein roter Pass war genau auf Jugendliche zugeschnitten, für einen blauen ProfilPass wurden die Potenziale Erwachsener
ermittelt. Denn diese Gruppe wird mit dem
demografischen Wandel immer wichtiger.
Claudia Rahnfeld ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin für die Berufs- und Erwachsenenbildung und kümmert sich bei »Lernen
vor Ort« unter anderem um die Bildungshungrigen in der Nacherwerbsphase. Die
Potenziale dieser Menschen dürfen in einer
alternden Gesellschaft nicht vernachlässigt
werden. Im September hat die Stadt eine
Seniorenwoche veranstaltet. Mit großem
Erfolg hat »Lernen vor Ort« in diesem Zusammenhang das Thema Bildung im Alter vorgestellt. Darauf basierend verfassen
Claudia Rahnfeld und das Team nun eine
Imagebroschüre, die an die Haushalte in
Dessau-Roßlau verteilt werden soll.
Damit geht das »Lernen vor Ort«-Team
ein wichtiges Zukunftsfeld der Bildungsarbeit offensiv an. »Ich denke, dass Bildung
im Alter noch zu wenig gelebt wird«, sagt
Norbert Blauig-Schaaf. Mit dem demografischen Wandel wird das zum Problem,
schließlich hat Bildung nicht nur eine persönliche Dimension für jeden Einzelnen.
Claudia Berge arbeitet beim Programm
als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum
demografischen Wandel. Die Bevölkerung
in Dessau-Roßlau altert, damit auch Belegschaften in den Unternehmen. Sie erstellt
eine Analyse zur Auswirkung des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt.
So viel kann sie schon verraten: Ȁltere
bekommen ein größeres Gewicht. Unternehmen können sich nicht mehr nur auf die
Anwerbung von Nachwuchs konzentrieren.«
Dessau-Roßlau · werkstadt 07
Das Team von Lernen vor Ort
Antje Goller, Claudia Berge, Norbert Blauig-Schaaf,
Janet Stojan, Melanie Ranft, Kathrin Hinze,
Claudia Rahnfeld (v.l.n.r.)
Dieser Fakt wird aus den Statistiken deutlich, aber die Analyse geht noch weiter: »An
Best-Practice-Beispielen zeigen wir auch
exemplarisch, wie regionale Unternehmen
mit dem Problem umgehen.« Die Beispiele
zeigen u. a. Ansätze zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, aber auch zum Gesundheitsmanagement.
Die Beispiele zeigen: Die Vernetzung
zwischen Sozialarbeit, Jugendsozialarbeit,
Gesundheitsvorsorge, Arbeits- und Wirtschaftsförderung ist die Zukunft. »Dieser
Prozess läuft schon«, sagt Norbert BlauigSchaaf. Aber das Geld – und auch die Personen – werden zukünftig knapper. Daher
müssen alle Ressourcen punktgenau eingesetzt werden.
Es gibt noch viel zu tun. »Der Bereich
des Bildungsmarketings ist noch sehr jung
und weitgehend unterschätzt«, sagt Janet
Stojan, die im Dessauer Programm für dieses Feld verantwortlich ist. Bildungsträger
praktizieren zwar schon Bildungsmarketing, nur ist »Lernen vor Ort« ein Strukturprogramm. Unsere Produkte sind auch
zum großen Teil Prozesse, Gremienarbeiten und Abstimmungsstrukturen. Das lässt
sich nach außen schwerlich vermarkten,
ohne konkretes greifbares Produkt. Unsere
Kommunikation richtet sich daher zum einen nach innen, in die Verwaltung hinein.
Die greifbaren Produkte, die wir erarbeiten, müssen zielgruppengenau nach außen
in die Bevölkerung getragen werden. Eine
komplexe Materie. Denn gerade bildungsferne Milieus sind mit vielen klassischen
Printmedien schwer zu erreichen. Auf der
anderen Seite herrscht oft noch nicht das
Bewusstsein vor, dass Bildung vermarktet
werden muss.
»Das liegt auch daran, dass viele bei Bildung sofort und ausschließlich an Schule
denken. Und da herrscht die Pflicht zur
Teilnahme«, sagt Norbert Blauig-Schaaf.
Dabei ist die Verkürzung fatal – nicht nur
auf die Schule im engeren Sinne, sondern
auf das formale Lernen überhaupt. Ein
Beispiel: Englisch lernt man in der Schule
(formal), in der Volkshochschule (nonformal) oder aber – quasi nebenbei – bei einem
längeren Aufenthalt in einem englisch­
sprachigen Land (informell). Das Beispiel
zeigt: der informelle Bereich des Lernens
ist wenig strukturiert. Aber gerade da
wird ein großer Schatz an Wissen erworben. »Wie fundamental informelles Lernen
ist, erkennt man an einem simplen Fakt:
Kinder lernen Sprechen nach den Regeln
einer komplexen Grammatik. Bereits vor
der Schule.« Wissenschaftler schätzen,
dass ein Mensch 70 Prozent seines Wissens
informell erwirbt.
Im 2. Bildungsbericht gehen die Macher
vom Programm »Lernen vor Ort« – neben
den wichtigen umfangreichen Analysen
zu den formalen Bildungsangeboten in der
Stadt – auch auf das weite Feld der nonformalen und informellen Bildung ein. Damit
betreten sie Neuland. »Das Programm heißt
nicht nur ‚Lernen vor Ort‘, es ist Lernen vor
Ort«, sagt Norbert Blauig-Schaaf: »Wir alle
lernen jeden Tag dazu.« Die ganze Kommune profitiert davon.
»Lernen vor Ort« Dessau-Roßlau
Erdmannsdorffstraße 3 · 06844 Dessau-Roßlau
Tel.: 0340 204 2345
Fax: 0340 204 2940
WEGE nach der GRUNDSCHULE
Weiterführende Schulen in DESSAU-ROSSLAU
Eine Broschüre für Eltern und Schülerinnen und Schüler
Beratungsatlas
für Dessau-rosslau
BildungsBeratung
und mehr!
Bildungsbericht
Aus dem Programm »Lernen vor Ort«
sind bislang die Schulbroschüre, der Berufs­
orientierungskatalog (in der 2. Auflage),
der Berateratlas und der Erste Bildungsbericht
in Dessau-Roßlau erschienen.
Weitere Publikationen sind in Vorbereitung.
Alle Publikationen sind abrufbar
unter: lvo.dessau-rosslau.de
Dessau-Roßlau
2011
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