Wie wird sich der Wiederaufbau des Kosovo vollziehen?

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Wie wird sich der Wiederaufbau des Kosovo vollziehen?
Aktuelle Themen
Wie wird sich der Wiederaufbau
des Kosovo vollziehen?
Nach elf Wochen Luftkrieg hat man sich nun endlich auf einen Waffenstillstand im Kosovo geeinigt. Kurz vor dem Ende der Militäraktionen
Anfang Juni konzentrierten sich die Diskussionen bereits auf den bevorstehenden Sieg und ein anschließendes Programm zum Wiederaufbau des Kosovo sowie der gesamten Balkan-Region. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens und der Stationierung der KFORTruppen zur Sicherung des Friedens in den zerstörten Gebieten scheinen die aktuellen Gespräche im Westen jedoch vorrangig auf die Einrichtung von Regierungsstellen gerichtet zu sein anstatt auf einen tatkräftigen, bedarfsorientierten Wiederaufbau.
Vor kurzem wurden zwei bedeutende Personalentscheidungen getroffen. Bodo Hombach, der frühere Kanzleramtsminister, wurde zum neuen
EU-Koordinator für den Balkan ernannt, und Bernard Kouchner, der französische Gesundheitsminister und Mitbegründer der Hilfsorganisation
Médecins sans Frontières, wurde zum Vorsitzenden der UN-Zivilverwaltung im Kosovo bestimmt. Hombach ist für die Organisation des
wirtschaftlichen Wiederaufbaus zuständig und wird den Stabilitätspakt
für den Balkan überwachen. Der Pakt beruht auf einer Initiative Deutschlands während seiner Ratspräsidentschaft in der EU und wurde von 31
Staaten sowie einer Reihe internationaler Institutionen unterzeichnet.
Kouchner wird bemüht sein, eine effiziente Verwaltung im Kosovo einzurichten. Neben EU und UN sind noch andere Organisationen an der
Friedenssicherung und dem Wiederaufbau auf dem Balkan beteiligt.
Hier sind unter anderem die OSZE, welche die polizeiliche Ausbildung
und den Demokratisierungsprozeß im Kosovo überwachen soll, das
UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Central European Initiative,
ein Zusammenschluß aus 16 zumeist ehemals kommunistischen Ländern, zu nennen.
Erste Personalentscheidungen sind
nach Ende des Krieges getroffen worden.
Bodo Hombach ist EU-Koordinator für
den Balkan
Bernard Kouchner ist Vorsitzender der
UN-Zivilverwaltung im Kosovo
Erste Konferenz der Geberländer Ende Juli
Die genaue Aufgabenverteilung der verschiedenen Initiativen ist bisher noch nicht konkretisiert worden. Genauso wenig steht fest, wie
diese (wenn überhaupt) koordiniert werden. Für den 27. Juli hat Deutschland im Rahmen des Stabilitätspakts eine Konferenz der Geberländer
in Sarajevo angekündigt. Ziel dieser Konferenz ist die Wiederherstellung der Sicherheit in der Region durch Entmilitarisierung, regionale
Kooperation und wirtschaftlichen Fortschritt. Darüber hinaus sollen
Gelder für den Wiederaufbau des Kosovo aufgebracht werden. Jedoch
stehen bisher weder konkrete Projekte noch die Verteilung von Geldern, ohne die der Wiederaufbau nicht möglich ist, auf der Agenda.
Diese Themen dürften offiziellen Verlautbarungen nach auf einer weiteren Konferenz im Herbst behandelt werden, die vermutlich in der mazedonischen Hauptstadt Skopje stattfindet. Eine weitere Konferenz ist
für Februar 2000 geplant, und man hofft, daß bis dahin ein Mehrjahresprogramm für den Wiederaufbau implementiert sein wird.
Im Rahmen des Stabilitätspakts werden zwei Institutionen eingerichtet, wovon eine für den Kosovo und die andere für die gesamte Region
zuständig sein wird. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission
dürfte der Wiederaufbau des Kosovo in den nächsten drei Jahren ca.
EUR 1 Mrd. pro Jahr kosten. In diesem Jahr hat die EU bereits EUR
330 Mio. ausgegeben, und in den kommenden drei Jahren sind Ausgaben in Höhe von EUR 500 bis 700 Mio. pro Jahr geplant. Diese Beträge
werden zusätzlich zu den Geldern für humanitäre Hilfe und makroökonomische Unterstützung veranschlagt. Zwar liegen derzeit noch keine
Economics
Geld wird bei der ersten Konferenz der
Geberländer kein Thema sein
EU rechnet mit jährlichen Ausgaben in
Höhe von EUR 500-700 Mio. während
der nächsten drei Jahre
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Aktuelle Themen
genauen Schätzungen zu den Wiederaufbaukosten für die gesamte
Region vor, doch erscheinen uns die geplanten Beträge als zu gering
und müßten aller Voraussicht nach um ein Vielfaches höher liegen, um
die erhoffte Wirkung zu erzielen.
Was geschieht mit Serbien?
Das Programm für den Balkan hängt von der Zukunft des jugoslawischen Präsidenten Milosevic ab. Sowohl die USA als auch Großbritannien haben erklärt, daß Serbien zwar humanitäre Hilfe, jedoch keine
Mittel für den Wiederaufbau erhalten wird, solange er an der Macht
bleibt. Lediglich der Kosovo wird von der Hilfe für den Wiederaufbau
profitieren. Dabei dürfte die Unterscheidung zwischen rein humanitärer Hilfe und Wiederaufbauhilfe eher schwierig sein. So läßt sich beispielsweise der Wiederaufbau eines zerstörten Kraftwerks nicht unmittelbar einordnen, da es die Bevölkerung mit Strom versorgt. Darüber hinaus stellt der Ausschluß Serbiens von der Wiederaufbauhilfe in
naher Zukunft ein ernsthaftes Problem für die Sicherheit des gesamten
Balkans dar. Die daraus resultierenden Spannungen könnten möglicherweise private Direktinvestitionen verhindern und den wirtschaftlichen
Fortschritt auch in anderen Ländern der Region beeinträchtigen.
Serbien dürfte keine Wiederaufbauhilfe erhalten
Der Wiederaufbau des Balkans: Eine Aufgabe für
Europa
Wie wir bereits in einer früheren Ausgabe darstellten (Aktuelle Themen, 12. Mai), brachten die USA den Löwenanteil der Kosten für den
Militäreinsatz der NATO auf, die auf ca. DEM 11 Mrd. geschätzt werden. Die humanitäre Hilfe während des Krieges belief sich auf ca. DEM
2,3 Mrd. Nach dem Ende der Militäraktion machten Vertreter der USRegierung nun deutlich, daß Amerika zwar den Krieg bezahlt hat, von
seinen europäischen Partnern jedoch erwartet, daß sie den Wiederaufbau bezahlen. Schließlich sind der Kosovo und der gesamte Balkan ein
Teil Europas. Die finanzielle und administrative Last des Wiederaufbauprogramms muß daher voraussichtlich von der EU getragen werden,
die dabei vermutlich Unterstützung von der Weltbank, der Europäischen
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie der Europäischen Investitionsbank erhalten wird.
Die Bundesregierung hat Anfang Juli ein Konzept gebilligt, in dem der
deutsche Beitrag zum Wiederaufbau des Kosovo beschrieben wird. Bei
der gemeinsamen Ausarbeitung dieses Berichts durch das Außen-, Innen-, Finanz-, Verteidigungsministerium sowie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ging man von Wiederaufbaukosten in Höhe von USD 3-4 Mrd. aus. Alleine für dieses Jahr
haben die betreffenden Ministerien zusätzlichen Mittelbedarf in Höhe
von DEM 460 Mio. angemeldet.
Nach Einschätzung der Bundesregierung wird sich der Wiederaufbau
des Kosovo in drei Phasen vollziehen. In der ersten Phase, die bereits
begonnen hat, trägt die Bundeswehr die Hauptlast der Arbeit. Neben
der Wiederherstellung der Sicherheit für die Zivilbevölkerung innerhalb
des ihr zugewiesenen Sektors wird die Bundeswehr für humanitäre
Soforthilfe und medizinische Versorgung zuständig sein. Darüber hinaus ist geplant, daß sie die internationalen Organisationen beim provisorischen Wiederaufbau von Infrastruktur und Straßen unterstützt. In
der zweiten Phase wird unter der Federführung der UN eine internationale Zivilverwaltung die Verantwortung für den Kosovo übernehmen.
Während der Wiederaufbau des Landes von der EU koordiniert wird,
findet die Wiederherstellung der politischen Strukturen unter Leitung
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Economics
Die USA haben den Krieg bezahlt,...
...die EU wird den Wiederaufbau des
Balkan bezahlen müssen
Regierung legt Bericht über deutschen
Beitrag zum Wiederaufbau vor
Aktuelle Themen
der OSZE statt. In dieser Phase wird die einzige Aufgabe der Bundeswehr darin bestehen, für Sicherheit zu sorgen. In der letzten Phase
werden lokale Behörden (Verwaltung, Polizei und Justiz) die internationale Zivilverwaltung ersetzen. Zuvor müssen jedoch demokratische
Wahlen zur Legitimierung der örtlichen Behörden stattfinden.
Die direkt mit dem Krieg in Verbindung stehenden Kosten und die für
die Wiederaufbauhilfe vorgesehenen Beträge sind – im Verhältnis zum
gesamten BIP der NATO-Staaten – sehr niedrig. Sie betragen 1999
insgesamt ca. 0,1% und werden in den folgenden Jahren geringfügig
höher sein. Aus diesem Grund dürften diese Kosten keinen zusätzlichen Druck auf die Haushalte der EU-Länder ausüben. Außerdem scheinen die Regierungen die Geberkonferenzen als die bevorzugte Methode, Mittel für den Wiederaufbau aufzubringen, anderen Finanzierungsmaßnahmen wie beispielsweise Niedrigzinskrediten, revolvierenden
Geldern oder Zuschüssen vorzuziehen. Bondmärkte dürften daher vom
Finanzbedarf der Wiederaufbauprogramme kaum beeinflußt werden.
Außerdem waren die Modalitäten des Friedensabkommens nicht so
zufriedenstellend wie erwartet. Der instabile Frieden auf dem Balkan
wird also weiterhin auf dem Euro lasten anstatt ihm den antizipierten
Aufschwung zu verleihen.
Auswirkungen des Krieges auf die
Haushalte und Kosten für den Wiederaufbau sind sehr niedrig
Kann und wird der Westen seine Lehren aus BosnienHerzegowina ziehen?
Der Westen hatte auf dem von mehreren Kriegen in den letzten Jahren
heimgesuchten Balkan wiederholt Gelegenheit, im Bereich Wiederaufbau Erfahrungen zu sammeln. Dennoch waren die bisherigen Bemühungen vielfach nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 wurden ca. USD 5 Mrd. für den Wiederaufbau von Bosnien-Herzegowina aufgebracht. Das Ergebnis ist jedoch
recht enttäuschend. Die Finanzierung geschah zum überwiegenden Teil
mit öffentlichen Mitteln, erwies sich jedoch als unzureichend. Abgesehen vom deutschen Autohersteller VW wurden praktisch keine direkten Auslandsinvestitionen vorgenommen. Große internationale Unternehmen schreckten bisher davor zurück, sich in Bosnien zu engagieren. Welche Lehren können also aus der Erfahrung in Bosnien für das
Wiederaufbauprogramm des Kosovo gezogen werden?
Was man in jedem Fall daraus lernen sollte, ist, daß staatliche Finanzierung lediglich den Anstoß für die Wiederaufbaubemühungen geben
kann. Während die Bereitstellung von finanziellen Hilfen von großer
Bedeutung ist und entscheidende Auswirkungen auf den Wiederaufbauprozeß hat, kann sie lediglich einen Anfang, einen ersten Schritt
darstellen, um die derzeitige zähe Entwicklung der Region voranzutreiben. Die neu gegründeten Institutionen können jedoch nicht den vollständigen Wiederaufbau des Balkans finanzieren. Ihre Aufgabe sollte
vielmehr darin liegen, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu
schaffen, insbesondere durch den Wiederaufbau der Infrastruktur, die
private Investitionen attraktiv und rentabel machen. Nur die Aussicht
auf gewinnbringende Projekte wird Privatunternehmen dazu veranlassen, sich im Kosovo zu engagieren. Was ist mit der Schaffung von Rahmenbedingungen gemeint? Die Grundlage für eine langfristige wirtschaftliche Erholung auf dem Balkan ist ein stabiles Umfeld ohne politische, ethnische oder militärische Spannungen. Dazu gehört unter anderem eine effektive und handlungsfähige Verwaltung im Kosovo, deren Entstehung Aufgabe der UN ist, sowie das Ende jeglicher militärischer Intervention von seiten Serbiens in der Region.
Stabilität ist für die Balkan-Länder von
größter Bedeutung
Wiederaufbau Bosniens
(Mrd. USD)
WiederaufbauSURJUDPP
1996-99
Bereich
Ausbildung
Schaffung neuer Arbeitsplätze
Energiewirtschaft
Sozialwesen
Gesundheitswesen
Wohnungsbau
Industrie und Finanzen
Räumung von Landminen
Telekommunikation
Verkehr und Transport
Wasser- und Abfallwirtschaft
Sonstiges
Gesamt
( Schät z ung en)
275
225
789
712
340
710
593
170
134
542
350
260
5,100
Quelle: Welt bank
Economics
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Aktuelle Themen
Die Regierungen sollten Anschubfinanzierungen für notwendige und
nützliche Projekte liefern. Dazu gehört insbesondere der Wiederaufbau
der Infrastruktur. Außerdem wäre es ratsam, einige wenige Wirtschaftszentren zu schaffen, anstatt die Gelder nach dem Gießkannenprinzip zu
verteilen. Von diesen Zentren könnten dann positive Übertragungseffekte für die umliegenden Regionen ausgehen. Hat sich die Situation
erst einmal stabilisiert und erzielen die von den Regierungen finanzierten Projekte die gewünschten Ergebnisse, werden sich auch die privaten Investitionen einstellen. Wie die Erfahrung in Bosnien gezeigt hat,
sind Wiederaufbaubemühungen ohne private Auslandsinvestitionen
weitgehend zum Scheitern verurteilt.
Offizielle Gelder sollten in den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Schaffung von Wirtschaftszentren investiert
werden
Nach UN-Schätzungen beträgt die derzeitige Bevölkerungszahl Bosnien-Herzegowinas etwa 3,7 Mio. Im Vergleich dazu dürfte die Bevölkerung des Kosovo etwa halb so groß sein. Nimmt man diese Zahlen als
Maßstab für die Verteilung der Gelder, müßte der Kosovo in den nächsten drei Jahren ca. USD 2,5 Mrd. Wiederaufbauhilfe erhalten. Allerdings bedarf die konkrete wirtschaftliche Situation des Kosovo einer
genauen Einschätzung durch die Experten in den Stäben der EU- bzw.
UN-Vertreter Hombach und Kouchner. Doch ganz abgesehen von diesen Fragen scheint wohl kein Zweifel daran zu bestehen, daß die Mittel, die der Kosovo erhalten wird, für eine schnelle Erholung nicht ausreichen dürften. Mögliche Forderungen von Albanien und Mazedonien
nach Budget- und Zahlungsbilanzunterstützung sowie nach einem Schuldenerlaß stellen jedoch ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für die
oben angestellten Berechnungen dar.
Kosovo – eine Friedensdividende für Europa?
Der Marshall-Plan für Europa nach dem 2. Weltkrieg hat den USA und
Westeuropa eine beträchtliche Friedensdividende beschert. Allerdings
war die Situation damals grundlegend verschieden. Selbst vor dem Krieg
im Kosovo stellten die Balkan-Länder, mit Ausnahme von Kroatien und
Slowenien, eine wirtschaftlich schwache Region dar, die sich noch mitten im Transformationsprozeß befand. Unseres Erachtens dürfte der
Zeitraum von drei Jahren, der für das Wiederaufbauprogramm im Rahmen des Stabilitätspakts vorgesehen ist, für die erfolgreiche Durchführung der Reformen zu kurz sein. Lediglich zum Vergleich sei erwähnt,
daß seit der deutschen Wiedervereinigung bereits zehn Jahre vergangen sind und der Lebensstandard in Ostdeutschland trotz umfangreicher Transferzahlungen an die fünf neuen Bundesländer noch immer
weit unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt liegt.
Drei Jahre sind für einen erfolgreichen
Wiederaufbau zu kurz
Bei der Frage nach einer Friedensdividende im Fall des Kosovo muß
man die Lage differenziert betrachten. Kurz gesagt, wir rechnen mit
einer Friedensdividende für die Balkan-Region, nicht jedoch für Westeuropa. In naher Zukunft und vermutlich über einen Zeitraum von mehr
als zehn Jahren hinweg werden die Balkanländer von Nettokapitalzuflüssen profitieren. Der Wiederaufbau wird überwiegend durch Unternehmen der Region und der umliegenden Länder erfolgen. Einige Hochtechnologieprojekte, die das Fachwissen westlicher Unternehmen erfordern, dürften die Ausnahme bleiben. Griechenland und Italien sind
vermutlich die einzigen EU-Staaten, die deutlich von den Transferzahlungen an den Kosovo profitieren. Insbesondere Griechenland, das seine BIP-Wachstumsprognose für 1999 während der Zeit der Kampfhandlungen nach unten korrigiert hatte, dürfte nun höhere Wachstumsraten
verzeichnen können, was auf die geographische Nähe und auf gewachsene Handelsbeziehungen mit den Balkan-Ländern zurückzuführen ist.
Aufgrund der derzeit schlechten wirtschaftlichen Situation auf dem gesamten Balkan scheint eine spürbare Friedensdividende für den Westen eher unwahrscheinlich.
Jens-Uwe Wächter, +49 69 910-31726 ([email protected])
Mit einer Friedensdividende für die
Balkan-Region wird gerechnet...
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...nicht jedoch für Westeuropa