#VIII.1 John-Lennon

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#VIII.1 John-Lennon
#VIII.1 John-Lennon-Gymnasium, Berlin
Thorsten Kluge, Projektleiter
Denkmal-aktiv-Projekt 2011–2012
Die „Gute Stube” oder die „Kalte Pracht”::
Bürgerliche Identitätssuche in den eigenen vier Wänden im 19. Jahrhundert
Die typische stadtbürgerliche Wohnform entwickelt sich aus den Frühformen der Handwerkerund Händlerhäuser mit seiner Mischung von Arbeiten und Wohnen über das Mittelalter und die
Neuzeit und über die Patrizierhäuser zu ihren ersten deutlich bürgerlichen Formen im 19.
Jahrhundert. Das Jahrhundert beginnt mit dem Rückzug aus der Öffentlichkeit in der
Restaurationsphase, der Entdeckung des Häuslichen als privatem Schutzraum: „My home is my
castle”. Der Biedermeier zeugt begrifflich und bildlich den Aspekt, der den Bürgerlichen stets
begleiten wird: Der Spießer mit Hausrock und Pfeife, der sich aus öffentlichen Disputen
heraushält und dem der familiäre Kontext die Sicherheit seines Besitzes und die Entspannung
von seinem beruflichen Handeln gleichzeitig garantiert, das Weltgeschehen und die Politik
bleiben außen vor: Hier wird die „Gemütlichkeit” gefeiert, Carl Spitzweg zeigt amüsiert die
Bilder dazu.
Dabei beginnt Bürgerwohnen in der städtischen Villa, die im späteren „Eigenheim” als
Wunschobjekt der eigenen Wohnziele ihre Bewahrung findet. (Die vorläufig größte Entfernung
zum Vorbild stellt das „Fertighaus” dar, das industriell vorgefertigte Haus, das zum
erschwinglichen Preis innerhalb kürzester Zeit die eigenen vier Wände entstehen lässt: Vom
Lastwagen aufs parzellierte Vorortsgrundstück)
Erst im industriell-städtischen Ballungsraum mit seiner Notwendigkeit zum verdichteten
Wohnen entwickelt sich das bürgerliche Wohnen als spezifische Wohnform. Hier feiert sich die
„Besitzbürgerfamilie” in ihrem frühen Wohlstand. Das „Repräsentative”, eine Kategorie, die in
feudalistischen Kontexten immer vorhanden war, aber keine eigenständige Bedeutung hatte,
wird jetzt verselbständigt: Man zeigt, was man (erworben) hat und hat es nur, wenn es von
anderen wahrgenommen wird.
Das Vorbild bleibt die „herrschaftliche Wohnung”. Eine eigene Stilprägung entwickelt sich nur
langsam, häufig erst in der Imitation vergangener, feudalistisch geprägter Vorbilder. (Dabei liegt
die Betonung auf der „Imitation”, selten nur werden die wertvollen Materialien wirklich
übernommen: Es muss nur so aussehen: Blattgold wird zu Goldbronze...)
Die „gute Stube” wird zum Schaufenster der eigenen Wohnvorstellungen. Im Alltag nicht benutzt,
der eigenen Familie entzogen, die Möbel häufig zum Schutz abgedeckt, die Tür verschlossen: Das
prächtigste Zimmer nimmt viel Platz, liegt im Zentrum der Wohnung und ist doch der am
wenigsten genutzte Raum. Hier wird das Spitzendeckchen kultiviert, das „Kissen mit dem
Schlag”, hier werden die Sammeltassen im Buffet präsentiert, Nippes daneben, aufwändig
gerahmte Bilder mit gemütvollen Motiven, eine gewaltige Standuhr; Möbel, die sich häufig am
altdeutschen Stil orientieren (man wird sie später und bis heute der Einfachheit halber als
„Stilmöbel” kategorisieren) und die, das zeigen Fotografien aus dieser Zeit, eng gestellt, groß und
wuchtig zeigen sollen: Man kann es sich leisten und es sieht auch nach Wohlstand aus. „Gediegen”
und doch auch „herrschaftlich”: Noch sucht man in Ermanglung eines eigenen Stil das Vorbild
dessen, was man als adlige Wohnkultur vermutet.
Und doch ist die gute Stube kein Lebensraum: Hier hinein kommt nur das Publikum, der Besuch,
der mit seiner Wertschätzung der repräsentativen „Stücke” erst das eigene Wertgefühl herstellt:
Die Konvention ist endgültig keine Kategorie der guten Sitten und der Bildungselite mehr; sie ist
zu einer Kategorie des Besitzes geworden: Die „kalte Pracht”.
Bis die Kategorie „Gut bürgerlich” eine eigene Wertaussage wird, muss eine ganze Zeit vergehen:
Die frühen Anfänge des repräsentativen Wohnen werden in der Erinnerung verklärt mit dem
Touch des Bescheidenen und als eigene Stilgrundlage der dann etablierten gesellschaftlichen
Schicht gelten (und bis heute den Geschmack vieler bestimmen).
Denn hinter der Fassade der „guten Stube”, die auf die Dauer dann doch Stil prägend wird für die
große Zahl derer, die sich wiederum am Großbürgertum orientieren, die Beamten, die
Angestellten in allen ihren Facetten, die wegen ihrer pekuniären Beschränkungen schlicht „das
Kleinbürgertum” genannt werden, wird Wohnen diktiert von den rationalen, Gewinn
optimierten und in der persönlichen Bedürfnisstruktur bescheidenen Werten der bürgerlichen
Gesellschaft. Die Räume des Alltags sind meist klein, zweckmäßig und orientieren sich in der
Wohnungstiefe; deutlich am ehesten in den großen Wohnungen der Bel Etagen in den
Mietskasernen der großen Städte, vor allem in den Formen der Berliner Neubauten um das
historische Zentrum herum: Über das „Berliner Zimmer” in den Seitenflügel zum Hinterhof
hinaus.
Die „Fassade” selbst zeigt gerade hier noch einmal das Prinzip. Nach vorne heraus wird die
Fassade prächtig geschmückt, häufig überladen, mit nachträglich aufgebrachten
Schmuckelementen: Nach dem Fassadenkatalog ausgesuchte Fenster-, Balustraden-, Gesimsund Dachreiterschmuckformen, die ihre Vorbilder in alten Stilformen in Ermangelung einer
eigenen Zeitformel suchen und vor allem zeigen sollen: Dieses ist ein prächtiges Haus. Der
Baukörper selbst und die nach hinten anschließende Grundstücksbebauung spricht dagegen
eine ganz andere Sprache: Einfache Baustrukturen, optimale Platzverwertung und nur durch
administrative Vorgaben beschränkte Nutzungsdichte: Vom Souterrain bis ins Dachgeschoss.
Wir werden mit der Schülergruppe (sie war bereits im Vorjahr beteiligt) beginnen, die
Expansion der Großstadt Berlin im 19. Jahrhundert im traditionellen städtischen Wohnbezirk
Kreuzberg zu erkunden.
Die Wohnsituation der Gründerzeit ist im Westberlin der 80er Jahre vor allem in der Luisenstadt,
dem heutigen Kreuzberg, ergiebig aufgearbeitet worden; sie wird die Orientierung der
Schülerarbeiten zur Erkundung der städtischen Wohnsituation in der Gründerzeit bieten.
Die Berliner Mischung, auch als „Kreuzberger Mischung” bekannt, kennzeichnet die besondere
Sozial- und Funktionsstruktur der Berliner Wohnverhältnisse um die Jahrhundertwende. Hier
werden die Schüler die soziale Durchmischung in der ursprünglichen Gliederung der
Vorderhäuser erkunden; über das Studium der Fassadengliederung (inkl. dem typischen
vorgebauten Schmuckelementen) zu exemplarischen Untersuchung der traditionellen Blockund Tiefenbebauung mit Hinterhöfen, Seiten- und z.T. mehreren Querflügeln (die berühmte
Ackerstrasse 132/133 mit ihren 6 Hinterhöfen ist heute nicht mehr erhalten; die Ackerstrasse
jedoch endet in unmittelbarer Nähe der Schule) können sie an Kreuzberger Beispielen die
Verknüpfung von Wohn-, Handwerks- und Produktionsbereichen kennen lernen und die
Bedingungen der städtischen Enge erfahren. Die stilprägende Gestaltung geht dabei von den
Bewohnern der "Bel Etage” aus, häufig finden wir in den bevorzugten Lagen auch mehrere
dieser großen bürgerlichen Wohnungen übereinander, entsprechend geringer war in diesen
Häusern die soziale Mischung (Hinweise zur allgemeinen und zur Kreuzberger Situation etwa
bei GEIST/KÜRVERS, Das Berliner Mietshaus 1862 – 1945, München 1984,
HAUSMANN7SOLTENDIEK, Von der Wiese zum Baublock, Berlin 1986, Kunstamt
Kreuzberg/HdK Berlin, Skalitzer Straße 99 – Biographie eines Hauses, Berlin 1988).
In der zweiten Projektphase wollen wir dann das unmittelbare Umfeld der Schule ins Visier
nehmen; die ästhetische Projekterarbeitung soll sich auf den eigenen Kiez beziehen, die direkte
Erreichbarkeit ist dabei genauso wichtig wie der motivierende Zugang zum eigenen
Bewegungsraum.
Zum methodischen Vorgehen:
Die Schülerinnen und Schülern werden sich in der ersten Projektphase neben den
Kennenlernexkursionen, die im Wesentlichen mit fotografischen und videografischen
Begleitdokumentationen im Sinne einer ersten Annäherung mit der Kreuzberger Aufarbeitung
beschäftigen.
Im Anschluss, je nach den Witterungsbedingungen auch schon in der Anfangsphase werden die
Schülerinnen und Schüler ihren individuellen Zugang in der ästhetischen Annäherung im
konzeptionellen Rahmen der „Ästhetischen Spurensuche/Ästhetischen Forschung” mit
künstlerischen und medialen Methoden (Sammlung, Ordnung, Materialfundus, Herbarium,
Zeichnung, Aufmaß, malerische Annäherung, fotografische Dokumentation, künstlerische
Fotografie, Film/Video-Erarbeitung und in Kombinationen solcher bild-bezogener
Annäherungen) vornehmen. Dabei werden sie ihre Kenntnisse erweitern, diese Ebene der
subjektiven Auseinandersetzung in Kommunikation mit historischer und wissenschaftlicher
Aufarbeitungen zu bringen: Hinter und in den Erscheinungen der Dinge ihre objektive
Bedeutung zu erschließen und sie im Sinne des Denkmalgedankens als Zeugen der
Vergangenheit und des jeweiligen kulturellen Rahmens zu deuten und in ihrer erhaltenen
Struktur wie in ihre Veränderungen als Gegenwartslebensräume einzuordnen. Die
Erkundungsobjekte bürgerlicher Bau- und Wohnformen sollen sie als sprechende Verbindung
zur Vergangenheit entdecken und in einer individuellen ästhetischen Auseinandersetzung zu
einem Teil des eigenen Interesses an der Geschichte der Stadt und des Stadtbezirks machen.
Diese Verbindung der künstlerischen Annäherung mit der Erkundung der Stadtgeschichte soll in
einem Ausstellungsvorhaben münden und der Ergebnisse so der allgemeinen und der
schulischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus soll eine Form des
ständigen Austauschs gesucht werden, die das Vorgehen und die konkreten Projektergebnisse
der anderen Schulen als Informationen, als Handlungsvorschläge und Ideen erschließt. Der
"Königsweg hierfür wäre die Installation eines Blogs, der von den Partner selbstständig via
Upload gefüttert werden kann und eine Zweiwegekommunikation erlaubt, also
Vorschlag/Beispiel und Reaktion auf einer gemeinsamen Plattform.
Folgende Projektplanung haben wir vorgenommen:
− Entwicklung eines allgemeinen Verständnisses denkmalspflegerischer Aspekte und Fragen
− Entwicklung erster eigener Erkundungen und Dokumentationen vor Ort
− Kontaktaufnahme mit außerschulischen Experten zur Panung und Durchführung von
städtebaulischen Untersuchungsvorhaben (Kontakt
Prof. Hartmut Häußermann, Großvater eines Schülers unseres 10. Jahrgangs)
− Erschließung eines eigenen Konzeptes zur ästhetischen Annäherung an die Hausobjekte
− Entwicklung und Planung einer eigenen Fragestellung zur (ästhetischen) Forschung
− Recherche der bisherigen wissenschaftlichen Erkundungen zur Wohnsituation der
Gründerzeit
− Bearbeitung und Dokumentation der individuellen Forschungsvorhaben
− Vorbereitung der Präsentation der eigenen Ergebnisse im Rahmen einer Ausstellung
− Dokumentation und Erläuterung des Gesamtprojekts und der methodischen Vorgehensweise
für die (schulische, fachliche und allgemeine)
Öffentlichkeit
Für zwei weitere Frageaspekte, deren Bedeutung im Verbundaustausch noch eine stärkere
Bedeutung erlangen können und deshalb als Themenvorrat fungieren:"Von der Mietskaserne
zum Öko-Apartment”: Entwicklungen im 20. Jahrhundert
"Arbeiterwohnen als neue Form?”
"Alternative Wohnformen: Gibt es neue bürgerliche Lebensentwürfe oder sind sie deren
Überwindung”?
Arbeitsplan
Sept – Okt
Einführung der Wahlpflichtgruppe in das Thema, den Ort und in Möglichkeiten der
Auseinandersetzung, Materialsammlung vor Ort Kreuzberg/Mitte (vor dem Winter),
Entwicklung einer Internetplattform zur Verbunddiskussion, "Blog”
Okt- Dez
Einführung in Denkmalschutzproblematik allgemein
Instrumente zur Beschäftigung mit Denkmalen in Berlin (Landesdenkmalliste, Dehio etc.)
Ortsbegehungen zu den ausgewählten Untersuchungsobjekten (voraussichtl.in der Torstraße
und Kastanienallee, Kontaktaufnahme mit den Bewohnern/Nutzern)
Kontaktaufnahme mit Fachreferenten zur Stadtplanung und Stadterneuerung, zu Fachleuten der
praktischen Renovierungsgewerke
Jan-April
Erkundungen zu Einzelfragestellungen, Vertiefung der ästhet. Forschungen
April - Juni
Zusammenführung der Arbeitsgruppenergebnisse und Erstellung eines
Präsentations/Dokumentationskonzepts
Juli
(Schul)Öffentliche Präsentation der Untersuchungsergebnisse
Abschlussbericht
Die diesjährige Bearbeitung des Projektthemas stand unter zwei Vorzeichen, die Schülergruppe
betreffend: Zum einen konnten wir mit einer erfahrenen Gruppe arbeiten, die Schülerinnen und
Schüler waren bereits im letzten Durchgang beteiligt (neben einer allgemeinen
Projektmüdigkeit, die sich aus einigen weiteren Vorhaben ergeben hat, auch im Kunstunterricht,
sind die Schüler schnell wieder zu begeistern; der Kontext „Denkmal-Projekt“ wurde bei
unserem Thema in diesem Jahr jedoch erst auf den zweiten Blick zugeordnet), zum anderen
jedoch müssen wir mit einem nun 10. Jahrgang mit einer massiven allgemeinen
Schwerpunktsetzung leben: Die 10. Klässler bereiten sich im Verlauf des 10. Jahrgangs
zunehmend belastet auf den Mittleren Schulabschluss vor. Gerade im zweiten Halbjahr ist die
Belastbarkeit der Gruppe in einer eher ungewöhnlichen Unterrichtsstruktur nur noch in „milder
Form” möglich. So musste eine zweite ganztägig geplante Exkursion nach Kreuzberg mit der
Aufgabe einer zeichnerischen Erfassung eines spezifischen Gründerbaus (Skalitzer Str. 99)
kurzfristig abgesagt werden, weil die Lerngruppe Not signalisierte mit ihrer allgemeinen
Belastungssituation.
Umsetzen ließ sich jedoch eine Exkursion, die wie auch in den vorangegangenen Jahren in einer
Woche in die Prignitz erfolgte. Diese Fahrt gilt mittlerweile als Bonbon für jeweils 10
Schülerinnen und Schüler aus der Denkmal aktiv-Gruppe und wird durch zusätzliche Gelder der
Schule unterstützt. Vor Ort wurden auch diesmal neben den wichtigen sozialen Funktionen einer
solchen Fahrt auch diesmal wieder eine Referentin zur Vermittlung grundlegender Kenntnisse
im Bereich der Bildverarbeitung und Layoutgestaltung eingeladen und eine große Einheit zur
Arbeit mit der digitalen Fotografie unter künstlerischen Aufgabenstellungen durchgeführt.
Gelegenheiten zur praktischen Annäherung an denkmalgeschützte Bauwerken und
Dorfensembles finden sich in dieser Umgebung viele. Wie schon in den Jahren zuvor wurden
Tagestouren zur Plattenburg, zum Schloss Grube und in die Gemarkungen Retzin und Guhlsdorf
unternommen.
Im ersten Halbjahr erarbeitete der Kurs nach einer erneuten Fokussierung auf die
Denkmalproblematik, die bei unserem Thema nicht so offensichtlich herzustellen war wie in
Zusammenhängen, in denen die baulichen Merkmale eines spezifischen Ortes oder Gebäudes in
den Fokus genommen wurden. Schnell jedoch war aus den Wohnerfahrungen einzelner
Schülerinnen, die ihre heimischen Bezüge in klassischen Berliner Mietskasernen haben,
festgestellt, welchen Einfluss die architektonischen Grundstrukturen auf das Alltagsleben haben
und familiäre Umgangsformen mitbestimmen (Wohnzimmer, Zimmergrößen insgesamt,
Zimmerhöhen, Durchgangszimmerproblematik, Beleuchtungsverhältnisse). Die Aufgabe, das
eigene häusliche Wohnzimmer zu fotografieren – unter fotogestalterischen Aspekten eine
interessante Herausforderung: In geschlossenen Räumen mit zwei Fotografien einen
Gesamtüberblick herstellen – erbrachte nicht nur einen zumindest für unsere Schülerschaft
repräsentativen Einblick in Rolle und Gestaltung des aktuellen familiären Wohnzimmers in
Berlin-Mitte/Prenzlauer Berg, sondern auch einige tiefe Einblicke in „Modern Times” aus ganz
anderer Sicht. Viele Elternhäuser verlangten nach klaren Aussagen über die
Verwendungszwecke und weitergehend über die Rahmenbedingungen der öffentlichen
Verwendung des privaten Bildmaterials ihrer Wohnungsinnenräume. Eine Beruhigung zu der
Gewährleistung des Schutzes der Privatsphäre war gefragt und selbstverständlich zugesichert.
Dazu muss erklärend erinnert werden, dass viele der Elterngeneration, die hier um Klärung bat,
noch Umgangsformen aus alten „Ostzeiten” erlebt haben, in denen sich die Schule im staatlichen
Auftrag das Recht heraus nahm, regelmäßig durch Besuche des zuständigen Lehrers die
häuslichen Verhältnisse ihrer Schülerinnen und Schüler „kennen zu lernen”; Widerspruch zu
einer derartigen öffentlichen Kontrolle wurde nicht vorgesehen und lässt den heutigen
Rechtsrahmen auf diesem Hintergrund umso wichtiger erscheinen.
So wurden die Fotografien intern ausgewertet, Gemeinsamkeiten exploriert und „Generallinien”
der heutigen “bürgerlichen” Wohnkultur exemplarisch festgestellt. Dass hierbei in einer 10.
Jahrgangsstufe der Begriff des „Bürgerlichen” erst einmal erarbeitet werden muss, versteht sich
von selbst.
Anhand von Abbildungen konnten die Wurzeln vieler Wohnverhältnisse der Schülerinnen und
Schüler in den Berliner Bauvorgaben des 19. Jahrhunderts (Hobrechtplan) und im Dekorationsund Repräsentationsbedürfnis der bürgerlichen Wohnung erschlossen werden. Eine Erkundung
dieser Frühformen bürgerlich-städtschen Wohnens ließ sich mit den gut aufgearbeiteten
Materialien zur Berliner Baugeschichte aus den 1980er Jahren anhand von Bildmaterialien,
Grundrissen und einem Erfahrungsbericht leisten.
Bereits zu diesem Zeitpunkt ließ sich ein Projekt des Schulverbundes integrieren. In der
Startveranstaltung des Jahrgangs „Denkmal aktiv 2011/12” war die Idee entstanden, den relativ
großen Verbund mit sechs beteiligten Schulen, davon zwei Schulen, die weitab von Berlin lagen
(Lübeck und Zeven), nicht nur durch die Planung gegenseitiger Besuche sondern auch durch
eine Internetkommunikation zu vernetzen.
Auf der hierfür eingerichteten Blog-Seite der Wordpress-Plattform sollten die
Erkundungsergebnisse dokumentiert und den anderen Partnern zugänglich gemacht werden.
Für die John-Lennon-Gruppe war dies eine gute Gelegenheit, die Überlegungen und
Rechercheergebnisse zu festigen und einzelne Darstellungsaufträge an Schüler zu vergeben. So
entstand für die Anfangsphase eine gute Dokumentation der eigenen Aktivitäten, zu der jedoch
auch kritisch angemerkt werden muss, dass sich schnell herausstellte, dass eine wie geplant
lebendige Blogpflege mit einer eigenständigen „Bespielung” und einem regen Austausch in der
Kommentierung für diese Lerngruppen keinen hohen Stellenwert in der Skala eigenen
Engagements besitzt. Wahrscheinlich sollte ein zweiter Versuch in diese Richtung wenn, dann
stärker an die rege frequentierten Sozialen Netzwerke angebunden werden; vorausgesetzt
allerdings, dass Lernen im schulischen Kontext, auch im offenen Projektbereich eines „Denkmal
aktiv-Vorhabens” von den Schülern in diesem Kontext des Informationsaustauschs gesehen wird
(viele solcher Verbands-, Events- oder gar Firmenseiten etwa auf Facebook leiden massiv unter
mangelndem Nutzerinteresse).
So ist letztlich vieles der im Denkmalaktiv-Blog aufgeführten Informationen und Illustrationen
(vgl. Anhang) vom Projektleiter zumindest überarbeitet, bzw. zusammengestellt worden, die
Anpassung einer ursprünglichen Konzeption an die Wirklichkeit des schulischen Alltags.
Der zweite Meilenstein der Projektarbeit nach den ersten Bild- und Textrecherchen beschäftigte
sich mit der Erkundung vor Ort. In einer langen Exkursion durch den zur 750-Jahr-Feier Berlins
aufwändig restaurierten Kreuzberger Marheinike/Bergmannstraßen-Kiez („Kreuzberg 61”)
ergab vielfältige Möglichkeiten, aus der Außenbetrachtung, der Fassaden- und
Ensemblewahrnehmung die bereits bekannten Baustrukturen des 19. Jahrhunderts
wahrzunehmen und in einem Fotoauftrag zu dokumentieren. Dabei waren die Aspekte der
aktuellen Nutzung und sich daraus ergebener Umgestaltungen (bis hin zu Verfälschungen und
„Sünden” an alter Bausubstanz) ebenso Thema wie die z.Z. wieder aufbrandende und durch viele
Transparente und Anschläge präsente neue Häuserkampfbewegung, die sich gerade weniger
gegen Altbauverfall und Abrissgefahr wie in den 1980er Jahren artikuliert, sondern die in
unserem schulischen Bezirk Mitte bereits weit vollzogene „Gentrifizierung” (hier mehrfach
zumindest begleitendes Thema unserer Denkmal aktiv-Projekte) nun auch für das Widerstand
erprobte Kreuzberg zum Thema werden lässt: Aufwertung der Renovierungsstandards,
Umwandlung in Eigentum, verbunden mit dem Aufkauf ganzer Hauseinheiten durch
Großinvestoren und der Gefahr der Vertreibung der traditionellen Bewohner (die in diesem
Bereich oftmals gerade erst in den 1980er Jahren zugezogen sind und im
neo(bildungs)bürgerlichen Milieu den Charakter dieser Gegend prägen) im Austausch mit neuen
kapitalstarken Zuziehern, die „det Milieu” als Wohnumfeld begrüßen, es jedoch mit den
gleichfalls formulierten Ansprüchen auf Wohnqualitäten, Sauberkeit und situierten
Alltagserwartungen (edle Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Parkplatzbedürfnissen und
vielem mehr) tendenziell ausradieren.
Schließlich wurden diese Eindrücke in einem weiteren Meilenstein der Projektarbeit überführt
in eine künstlerische Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem Wahlpflichtunterricht in
Kunst.
Das ursprünglich vorgesehene offene Projektarbeiten unter dem Konzept der „Ästhetischen
Forschung”, mit dem die SchülerInnen der Denkmal aktiv-Gruppe bereits aus dem Vorjahr
vertraut waren, fiel nun jedoch am Jahresende, mit Blick auf das neue Jahr den bereits
angesprochenen Belastungen des schon „sorgenvoll” erwarteten Mittleren Schulabschlusses und
seine bereits für das Frühjahr angesetzten Teilprüfungen „zum Opfer”.
In Absprache mit der Lerngruppe wurde eine Form der bildnerischen Auseinandersetzung
gesucht, die stärker im Rahmen der 3 Stunden Wahlpflichtunterricht pro Woche bewältigt
werden konnte und nicht so umfangreich wie den Schülern vertraut den Nachmittags und
Freizeitbereich beanspruchte.
Der PopArt-Künstler Richard Hamilton hatte im Jahr 1956 eine Collage erstellt, die nicht nur
allgemein als früheste „Ikone” der PopArt gilt, sondern zugleich das häusliche Umfeld als
Ausdrucksforum des städtisch-modernen Lebensgefühls und der middle-class american
Lebenswirklichkeit darstellen will: „Just what is it, that makes today’s homes so different, so
appealing?”.
Diese Fragestellung nun noch einmal zu aktualisieren mit den Erkundungen der eigenen
Wohnbereiche und diese Assoziation zugleich gestalterisch in Auseinandersetzung zu bringen
mit den Traditionen der Collagegestaltung (Max Ernst vs. Kurt Schwitters, sowie neue Ansätze
des Alltagsgegenständlichen aus der Ära der PopArt) war nun Aufgabe und Herausforderung der
nächsten Wochen.
Ein Teil der Ergebnisse wurde ebenfalls auf den Seiten des DA-Blogs präsentiert.
Sichtbar nicht nur eine mühsamwie Annäherung an bildnerische Denkformen im Umgang mit
der Collage sondern tatsächlich auch das inhaltliche Problem der Gestaltung, nach denen sich die
ersten Zugänge im ähnlichen Erscheinungsbild der repräsentativen Wohnbereichsaustattung im
19. Jahrhundert bewegten: Rettungslos vollgestellte, verdichtete Kombinationen ganz vieler
vermeintlich repräsentativer Gegenstände ohne einen durchgängigen Gestaltungwillen.
Das Gespräch hierzu machte noch einmal für die SchülerInnen die Wirkung dieses historischen
Erscheinungsbilds deutlich und erklärte noch einmal die Motive zu ihrer Erstellung.
Die erstellten Arbeiten wurden als Appendix zu der Präsentation der Exkursionsfotos aus
Kreuzberg im Kunstbereich der Schule in einer Ausstellung gezeigt, die mit dieser Bandbreite
das diesjährige Denkmal aktiv-Projekt der Schulöffentlichkeit vorstellte. Ein besonderes
Augenmerk erhalten in dieser Zeit auch die vielen (noch) außerschulischen Interessenten der
über mehrere Monate durchgeführten „Tage der Offenen Tür”, mit denen sich die Schule in ihren
Aktivitäten den Interessenten für den im Mai erfolgenden Anmeldungstermin der neuen Schüler
für den Jahrgang 7 vorstellt.
Kurz vor den Sommerferien konnte noch einmal das Thema aufgenommen werden und die
verschobene Exkursion in den „wilderen” Teil Kreuzbergs („Kreuzberg 36”) rund um die
Oranienstraße als Jahresabschluss durchgeführt werden. Hier zeigte sich die Bedrängnis der
traditionellen Bausubstanz durch einen noch virulenteren und angesagten Szenebezirk mit
seiner multikulturellen Vielfalt und vielen Hausprojekten, die aus der alten Hausbesetzerbewegung entstanden sind in einem noch deutlicheren und für die Schülerinnen und Schüler
noch aufregenderem Maße. Genauso wie übrigens die Neubausünden, deren Forcierung der
ursprüngliche Auslöser des Widerstandes gegen Altbauvernichtung durch Spekulation war.
Beobachtungsschwerpunkt wurde dabei wie geplant das Wohnhaus Skalitzer Str. 99, das in
einer sehr genauen wissenschaftlichen Aufarbeitung der Substanz und ihrer Veränderungen
durch ein Hochschulprojekt vorliegt und in dem der verantwortliche Lehrer selbst durch Zufall
in der Zeit seines Referendariats gewohnt hatte und durch manche launige Erzählung das Leben
in der überkommenen Mietskaserne illustrieren konnte.
Im Anhang die Seiten des Denkmal aktiv-Blogs, die sich auf unser Projekt beziehen.