Ständig auf Sendung
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Management&Erfolg Ständig auf Sendung DIGITALE MARKENFÜHRUNG | E-Mails, Internet-Seiten und soziale Netzwerke sind heute die wichtigsten Kommunikationskanäle zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Eine Exklusivstudie zeigt, wie Manager Marken im digitalen Zeitalter positionieren sollten und vom Austausch mit ihren Kunden profitieren können. D ie beiden Kupferkuppeln der Münchner Frauenkirche ragen in den bayrischen Himmel. Der ist so tiefblau wie die Markenfarbe von O2. Eiferndes Anpreisen aktueller Telefontarife oder neuester mobiler Alleskönner sucht man allerdings vergebens auf dem zehn Meter langen, leuchtenden Werbebanner, das der Telefonanbieter in der Gepäckausgabehalle des Münchner Flughafens platziert hat. „Willkommen in München“ ist in weißen Lettern zu lesen. Daneben prangt ein pixeliges Quadrat in Schwarz-Weiß. Wer diesen sogenannten QR-Code mit seinem Mobiltelefon abfotografiert, dem öffnet sich das Tor in die digitale Welt des seit Kurzem börsennotierten Unternehmens. Statt sich am Gepäckband die Beine in den Bauch zu stehen, können sich Reisende die öde Wartezeit auf einer eigens von O2 programmierten Seite mit Musik und Videospielen vertreiben, bis der eigene Koffer auftaucht. „Mit solchen interaktiven Ideen“, sagt Tim Alexander, bei O2 für die Markenführung verantwortlich, „bleibt unsere Marke beim Kunden in angenehmer Erinnerung.“ FERNBEDIENUNG DES LEBENS In der Chefetage des Mobilfunkanbieters werden Smartphones schon als „Fernbedienung unseres Lebens“ gehandelt. Deshalb hat der Börsenneuling, der die Hälfte seines Marketingbudgets ins Internet steckt, seine Homepage für die gängigen Smartphone-Betriebssysteme Apple iOS, Blackberry und Android optimiert. Eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist: Laut IT-Branchenverband Bitkom nut- 78 Digitaler Durchmarsch In welche Medien die meisten Werbegelder fließen (in Prozent) Internet TV Radio Zeitung Zeitschriften Plakat 3,1 3,2 4,4 4,4 21,5 17,8 14,2 13,5 18,6 17,1 25,0 22,0 5,2 5,0 5,8 37,0 38,1 5,0 38,2 40,2 4,4 2005 14,8 2008 19,7 21,8 2011 2012* * Prognose; Quelle: Bundesverband Digitale Wirtschaft zen inzwischen mehr als 75 Prozent aller Deutschen das Internet. Sie verbringen durchschnittlich 83 Minuten pro Tag vor dem Rechner – Tendenz steigend, so die Marktforscher von GfK. Und auch mobile Endgeräte zählen mittlerweile in vielen deutschen Haushalten zum festen Bestandteil des alltäglichen Lebens: 60 Prozent aller Bundesbürger besitzen laut Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) internetfähige Mobiltelefone, 44 Prozent geben an, im Besitz eines Smartphones zu sein, um sich über soziale Netzwerke wie Twitter, YouTube oder Facebook auszutauschen. Knapp 14 Millionen Deutsche gehen jede Woche über ihr internetfähiges Mobiltelefon online, 8,2 Millionen Deutsche greifen über Tablets auf Online-Inhalte zu. Und laut einer Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Nielsen lassen in den USA schon 40 Prozent der TV-Gucker ihre Tablets oder Smartphones selbst beim Fernsehen nicht aus dem Blick. VERÄNDERTE KOMMUNIKATION Die veränderte Mediennutzung hat auch Einfluss auf die Verteilung der Werbebudgets: Der Online-Anteil am Werbekuchen hat sich laut BVWD seit 2005 verfünffacht und wird nach Schätzungen des Verbands im Jahr 2012 mehr als ein Fünftel der Werbeausgaben ausmachen. Nur für Fernsehspots fließt noch mehr Geld (siehe Grafik). Hinzu kommt: Die Investitionen in mobile Displaywerbung schossen zwischen April und Juni 2012 in die Höhe. Die Ausgaben stiegen um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Laut einer Studie der Deutschen Post haben etwa drei Viertel aller deutschen Unternehmen eine Homepage, 27 Prozent nutzten soziale Netzwerke 2011 als Marketinginstrument. Doch das Verschieben von Marketingetats von einem Medium zum anderen ist nur Symptom und Folge eines Paradigmenwechsels im Kommunikationsverhalten zwischen Unternehmen und ihren Kunden. Ob vom Rechner im Büro oder unterwegs vom Smartphone: E-Mails, Internet-Seiten und soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder YouTube sind heute die wichtigsten Kommunikationskanäle zwischen Unternehmen und VerbrauNr. 48 26.11.2012 WirtschaftsWoche ILLUSTRATION: CHRISTOPH NIEMANN chern. Kommunikation mit dem Kunden ist keine Einbahnstraße mehr, sondern ständige Interaktion auf allen Kanälen. Die Rollen von Sender und Empfänger sind nicht mehr zu trennen, beide Seiten sind gewissermaßen ständig auf Sendung. Das heißt: Statt den Verbrauchern zu diktieren, was eine Marke ausmacht, müssen Unternehmen diese Werte zusammen mit den Usern definieren und entwickeln. „Wenn ein Unternehmen heute keinen Facebook-Account hat, ist das so, als hätte es kein Telefon“, sagt Klemens Skibicki, WirtschaftsWoche 26.11.2012 Nr. 48 »Durch aktive Beteiligung identifizieren sich die Kunden mit der Marke« Tim Alexander, O2 Marketingprofessor an der Cologne Business School. „Eine Marke ist das, was die Menschen darüber sagen. Zeichnen die Unternehmen ein Bild von ihrer Marke, das der Wahrnehmung der Kunden zuwiderläuft, können die Verbraucher das sofort via Internet aufdecken und miteinander darüber diskutieren.“ Diskussionen, die Unternehmen nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Denn digitale Markenführung muss genauso schlüssig angelegt sein wie der Umgang mit Marken auf analogen Kanälen. » 79 Management&Erfolg METHODE Weniger ist mehr So wurden die Digital Brand Champions gekürt. 60 MARKEN IM TEST Die Berliner Strategieagentur diffferent hat im Auftrag der WirtschaftsWoche 60 Marken aus den Branchen Automobil, Finanzen, Lebensmittel, Körperpflege, Elektronik sowie Telekommunikation getestet. 1000 Verbraucher haben die zehn aus ihrer Sicht bedeutendsten Marken jeder Branche ausgewählt. Deren digitale Markenführung hat diffferent anhand von 16 Kriterien überprüft und jeweils zwischen null und zehn Punkte vergeben. Die einzelnen Faktoren sind vier Oberkategorien zuzuordnen: n Digital Relationship Value umfasst den Dialog mit den Kunden und deren Einbindung. Eine Messgröße war dabei, wie schnell die Unternehmen auf Kundenanfragen reagieren. bezieht sich auf die digitalen Inhalte und deren Aufbereitung im Netz. Zum Beispiel wurde untersucht, wie benutzerfreundlich die Homepage der Marke ist. n Digital Brand Integrity bewertet die Vernetzung der Marketingkanäle sowie die Konsistenz der Markenbotschaft. Eine Frage dabei: Auf welchen Kanälen ist die Marke vertreten? n Digital Innovation Leadership beschreibt, wie gut die Unternehmen neue Online-Trends erkennen und diese auch nutzen. Die Oberkategorie beleuchtet beispielsweise, ob der Markenauftritt auf mobile Endgeräte abgestimmt ist. QUALITÄT WIRD BELOHNT Zentraler Grundsatz der Studie: Qualität schlägt Quantität. Marken, die zwar auf vielen Kanälen präsent sind, die Inhalte aber schlecht aufbereiten, erhalten weniger Punkte als Marken, die nur ein paar Kanäle mit hochwertigem Content anreichern. [email protected] 80 » „Blogs, Web-Seiten und Social-Media- das, was der Nutzer vom Online-Auftritt seiAuftritte sind keine Experimentierfelder ner Lieblingsmarke erwartet. Unternehmen mehr“, sagt Thomas Koch, Marketingexper- können direkter denn je mit ihren Kunden te aus Düsseldorf. „Sie sind zentraler Be- kommunizieren, sie in die Produktentwickstandteil des Markenauftritts.“ lung einbeziehen oder ihre Fragen beantVorbei die Zeiten, in denen Homepages worten. Vor allem die sozialen Netzwerke zum Herausposaunen platter Werbebot- haben den direkten Kontakt von der Filiale schaften missbraucht wurden, Handys nur und der Telefonhotline ins Internet gehievt zum Telefonieren da waren und Beschwer- und damit die Massen mobilisiert. Alleine den seitens der Kunden im stillen Kämmer- Facebook hat in Deutschland mehr als 24 lein besprochen wurden. Dass Millionen Nutzer. Auf Twitter selbst scheinbar einfache Werbegibt es laut einer neuen Studie aktionen auf Facebook akribisch des namhaften Blogs Webevanvorbereitet sein wollen, musste gegelisten in Deutschland 825 000 rade Alitalia feststellen: Die italieaktive Accounts – dazu zählen nische Fluglinie hatte mit großem alle, die mindestens einen Tweet Tamtam eine Rabattaktion angepro Woche absondern. kündigt. Wegen eines SoftwarefehNur Unternehmen, die dieses lers gab es plötzlich nicht nur Potenzial erkennen und nutzen, günstigere Tickets, sondern auch persönliche KundenbeziehunGratis-Flugscheine. Alitalia annulgen im Netz pflegen und Inhalte lierte die Gratis-Tickets und haninformativ und unterhaltsam WIWO-SHOP delte sich im Handumdrehen eiaufbereiten, können ihre Marken Die Studie „Digital nen Proteststurm der Netzgemeinerfolgreich durch das digitale Brand Champions“ de ein. Zeitalter steuern – so wie O2. Der ist im WiWo-Shop Dabei sind gerade Dialog und Mobilfunkanbieter ist Deutscherhältlich unter Interaktion mit den Kunden die lands digitaler Markenchampiwiwo-shop.de/dbc Stärken des Internets und auch on. Das bestätigt eine Studie » Nr. 48 26.11.2012 WirtschaftsWoche ILLUSTRATION: CHRISTOPH NIEMANN n Digital Brand Assets Management&Erfolg der Strategieagentur diffferent, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt. Sie untersucht im Wesentlichen vier Aspekte: erstens die Kommunikation mit den Kunden, zweitens die Relevanz und die benutzerfreundliche Aufbereitung der Inhalte. Drittens: Ist die Marken-Botschaft schlüssig und kanalübergreifend vernetzt? Viertens: Erkennt und nutzt die Marke neue InternetTrends (siehe Kasten Seite 80)? Auf Platz zwei landete Automobilhersteller Volkswagen, der vor allem dank dem Aufgreifen neuer Online-Trends punktete, gefolgt von Audi, der mit einer guten Mischung aus Information und Unterhaltung beeindruckte (siehe Tabelle). Auch insgesamt konnten die Branchen Telekommunikation und Automobil am besten abschneiden. Marken aus der Kosmetikbranche tun sich im Internet dagegen weiterhin schwer (siehe Tabelle Seite 86). Zwar konnte zum Beispiel die Haarpflegemarke Schauma beim Kriterium Benutzerfreundlichkeit der Homepage überzeugen, im Gesamtranking reichte es trotzdem nur für Platz 47. „Professionell geführte Marken vernachlässigen keine digitale Kategorie“, sagt Jan Pechmann, Geschäftsführer der MarkenAgentur diffferent. „Wichtig ist darüber hinaus eine gute Vernetzung aller Situationen, in denen der Konsument mit der Marke in Berührung kommt – also von der Web-Site über das Regal im Supermarkt oder das Werbeplakat an der Bushaltestelle bis hin zu den sozialen Netzwerken“ (siehe Interview Seite 88). Sieger O2 schafft genau das: Die Marke ist auf allen relevanten Online-Kanälen vertreten, für Verbraucher attraktiv, die Übersichtliches Navigieren und logische Strukturen sind für WebSeiten elementar Web-Site gut zu bedienen. Besonders beeindruckte O2 die Juroren, weil es die Kunden intensiv in seinen Innovationsprozess einbindet. Auf der konzerneigenen Plattform Ideenforum haben seit ihrem Start im November 2010 Verbraucher mehr als 1300 Vorschläge für neue Produkte oder Dienstleistungen gemacht und Verbesserungen angeregt. Nutzer Cop-Tom schrieb zum Beispiel: „Es wäre sehr schön, wenn man auf dem Handy eine bestimmte Nummer wählt und der Verbrauch der Inklusivmi- Telefonanbieter und Autohersteller dominieren Die 20 besten Marken im Internet Rang Marke Punkte von maximal 160 Rang Marke Punkte von maximal 160 1 O2 124,8 11 Sony 102,9 2 Volkswagen 117,3 12 Maggi 102,6 3 Audi 115,9 13 Opel 98,9 4 Vodafone 114,0 14 Panasonic 96,4 5 BMW 112,1 15 Sparkasse 96,3 6 1&1 111,8 16 Samsung 95,1 7 Base 110,6 17 Allianz 94,4 8 Telekom 108,3 18 Garnier 92,8 9 Deutsche Bank 105,2 19 Ergo 92,4 10 Mercedes Benz 103,2 20 Fonic 92,2 Quelle: diffferent 82 nuten und der verschickten SMS wird angesagt.“ Diese Idee fand in der Internet-Gemeinde viele Fürsprecher. Etwa 330 Kommentare und Anregungen später verkündete der O2-Forenmoderator: „Heute ist es so weit. Die Umsetzung steht vor der Tür.“ Damit ist sie eine von 74 verwirklichten Kundenideen, die das Ideenforum bislang hervorgebracht hat. Der Initiator bekam zur Belohnung ein elektronisches Gerät im Wert von etwa 100 Euro, und auch die Verbraucher sind zufrieden. „Diese Beteiligung bringt die Kunden dazu, sich mit der Marke zu identifizieren, weil sie die Angebote aktiv mitentwickeln“, sagt O2-MarkenManager Alexander. „Das schafft Nähe und bindet den Verbraucher an die Marke.“ Kein einfacher Job, denn „Kunden haben vielleicht ein inniges Verhältnis zu ihrem Handy, aber nicht zu ihrer SIM-Karte“, sagt Marketingprofessor Skibicki von der Cologne Business School. Deshalb positioniert sich O2 als Experte für alle Fragen rund um den Mobilfunk. „Dadurch“, sagt Skibicki, „schafft die Marke beim Verbraucher Vertrauen.“ Etwa über die Internet-Videos der sogenannten O2-Gurus – junge Mitarbeiter des Konzerns, die neueste Handymodelle oder Apps vorstellen. Die erklären, wie man das Datenroaming im Ausland abschaltet oder wie Handynutzer drahtloses Internet auf verschiedenen Endgeräten installieren. Die Angebote von O2 spielen dabei oftmals nur eine untergeordnete Rolle. IN EINER LIGA MIT APPLE „Platte Werbebotschaften bringen eine Marke nicht ins Gespräch. Menschen reden mit Freunden und Verwandten über wahrhafte und unterhaltsame Informationen und suchen diese im Internet“, sagt Alexander. Zum Beispiel über Google: Durchschnittlich eine Million Anfragen pro Monat bei der Suchmaschine im Beobachtungszeitraum von Juli 2011 bis Juni 2012 sprechen für Mobilfunkanbieter O2. Damit spielen die Münchner laut der Studie von diffferent in einer Liga mit Apple. Umso erstaunlicher, dass der kalifornische High-Tech-Gigant beim Gesamtranking unterdurchschnittlich abschneidet. Geschlagen von Florena, einer Marke für Körperpflege aus dem Hause Beiersdorf, und ganze 30 Plätze hinter Dauerkonkurrent Samsung. Doch dass eine der wertvollsten Marken der Welt es im Internet nur auf Platz 46 schafft, ist nicht auf schieres Unvermögen zurückzuführen, sondern Ergebnis einer bewussten strategischen Entschei- » Nr. 48 26.11.2012 WirtschaftsWoche ILLUSTRATION: CHRISTOPH NIEMANN » Management&Erfolg oder Twitter mit all seinen Freunden teilen. Da sich Menschen bekanntlich selten zu Wort melden, solange es ihnen schmeckt, sondern eher, wenn die Suppe zu salzig ist oder der Dosierverschluss der Soßenflasche tropft, scheint diese Transparenz gefährlich. „Mir ist es aber lieber, die Leute meckern auf unserer Homepage über Maggi, und wir bekommen es mit, als wenn sie am Stammtisch schimpfen, unser Produkt nicht mehr kaufen und ich die Gründe dafür nicht kenne“, sagt Maggi-Markenmann Schäfer. 84 können zum Beispiel eine eigene Rezeptsammlung erstellen oder Zutaten, die sie nicht mögen, auf eine schwarze Liste setzen, um manche Gerichte von vorneherein auszuschließen. Das Social-Media-Team des Unternehmens kann seinen Kunden außerdem Rezeptvorschläge schicken, die genau zu deren personalisierten Profilen passen – und so eine Art persönliche Beziehung zu den Interessenten aufbauen. Auf Kundenanfragen via Internet reagiert Maggi überdurchschnittlich schnell. Jeder kann Rezepte und Produkte bewerten oder kommentieren und sofort via Facebook Digitale Vorreiter Welche Marken in den Einzelkategorien die Nase vorn hatten (maximal 40 Punkte) Wer besitzt die schlüssigste Markenbotschaft im Netz? Wer kommuniziert am besten mit den Kunden? Wer bietet die besten Services und Nutzwerte? Wer liegt bei OnlineTrends vorne? Base 37,3 Maggi 35,5 Deutsche Bank 35,9 O2 22,7 Vodafone 37,1 1&1 34,5 O2 34,4 Ergo 21,9 Opel 36,6 Vodafone 33,5 Audi 33,9 Volkswagen 21,8 1&1 36,6 Audi 32,9 Mercedes Benz 33,6 BMW 19,2 Deutsche Bank 36,0 O2 32,8 Vodafone 33,5 Sparkasse 16,0 Quelle: diffferent Nr. 48 26.11.2012 WirtschaftsWoche ILLUSTRATION: CHRISTOPH NIEMANN » dung. Apple verzichtet nicht nur auf eine eigene Facebook-Seite, der Elektronikkonzern erteilt Verbrauchern, die sich mit vermeintlichen Verbesserungsvorschlägen ans Unternehmen wenden, per se eine Abfuhr (siehe WirtschaftsWoche 43/2012). „Viele Menschen, die Apple-Produkte besitzen, haben eine Art religiöses Verhältnis zu der Marke“, sagt der Kölner Marketingprofessor Skibicki. „Apple gibt sich exklusiv, geradezu mysteriös. Die Verbraucher sollen den Produkten hinterherlaufen, nicht umgekehrt.“ Traditionsmarke Maggi ist da weitaus offener: Für sie ist das Internet ein Segen, denn übers Kochen reden die Menschen viel und gerne. Dank der Maggi-Kochstudios vor Ort kennt sich das Unternehmen mit direktem Kundenkontakt bestens aus. „Social Media ist für uns nur ein neuer Weg des Dialogs – mit dem Vorteil, dass die einzelnen Dialoge auf einmal für viele sichtbar werden“, sagt Ingo Schäfer, Leiter Marketing Kommunikation bei Maggi. Der Fertigsuppenspezialist bietet seinen Fans die Möglichkeit, sich auf der Homepage zu registrieren und darüber personalisierte Angebote abzurufen. Hobbyköche TRENDSCOUT SPARKASSE Dass sie auf die digital geäußerte Meinung ihrer Kunden Wert legt und unter guter Kundenbindung nicht nur den Plausch in der Filiale, das Verwalten von Sparbüchern oder das Aufstellen von Geldautomaten versteht, beweist auch die Sparkasse. Kein Unternehmen beantwortet die Fragen seiner Kunden so schnell wie das Finanzinstitut mit dem roten „S“. Zwei Stunden brauchte sie, um auf eine Anfrage zu reagieren, die sie über die Web-Site ereilte. Über den Twitterkanal dauerte es vier Stunden – beides Bestwerte. Volle Punktzahl gab es bei diesem Indikator für alle klassischen E-Mails, die innerhalb der ersten zwölf Stunden nach der Anfrage den Kunden erreichten. Auf Facebook oder Twitter musste die Marke innerhalb von sechs Stunden antworten, um die volle Punktzahl abzuräumen. Denn auf den sozialen Plattformen ticken die Uhren doppelt so schnell. Der Lohn: Mit Platz 15 im Gesamtranking muss die mit einem eher biederen Image behaftete Sparkasse von den Konkurrenten aus der Finanzbranche nur der Deutschen Bank den Vortritt lassen. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken landen dagegen abgeschlagen auf Rang 48. Flott war die Sparkasse auch beim Erkennen neuer Online-Trends. Schon im Jahre 2006 eröffnete sie einen eigenen YouTube-Kanal, 2008 kam Twitter hinzu. » Management&Erfolg Der Blick auf die Audi-Gemeinde belegt die Vermutung: Etwa zehn Prozent der auf Facebook registrierten Audi-Fans posten regelmäßig Fotos, kommentieren Pinnwandeinträge und stellen Fragen an das Audi-Team. Der Grund laut Markenexperten der Agentur diffferent: Audi bereitet die Inhalte im Netz hervorragend auf. Die dort vom Unternehmen verbreiteten Informationen sind top-aktuell, haben einen hohen Informationsgehalt, und das Lesen macht nebenbei auch noch Spaß. Interessierte finden sowohl technische Details, Preise oder mögliche Sonderausstattung für alle aktuellen Modelle vom A1 bis zum R8, aber auch spielerische Elemente. »Wichtig ist die Vernetzung aller Punkte, an denen die Marke auftaucht« Jan Pechmann, diffferent Zahlen, die Audi längst hinter sich gelassen hat: 720 000 Facebook-Fans hat der sportliche Autobauer – so viel wie keine andere der untersuchten Marken. Ein nicht zu unterschätzender Faktor, wie eine Studie der Agenturen Pilot und Zucker. Kommunikation ergab: Demnach bewerten Facebook-Fans ihre Lieblingsmarke sympathischer, vertrauenswürdiger und moderner als Menschen, die dort nicht aktiv sind. Deutsche Marken überzeugen Wer in den einzelnen Branchen vorne liegt (maximal 160 Punkte) Telekommunikation Automobil O2 124,8 Volkswagen 117,3 Sony Vodafone 114,0 Audi 115,9 Panasonic 96,4 1&1 111,8 BMW 112,1 Samsung 95,1 Base 110,6 Mercedes Benz 103,2 HP 87,9 Telekom 108,3 Opel Nokia 86,4 Finanzen Deutsche Bank Elektronik 98,9 Nahrungsmittel Körperpflege 105,2 Maggi 102,6 Sparkasse 96,3 Knorr Allianz 94,4 Milka Ergo 92,4 HUK Coburg 85,3 Quelle: diffferent 86 102,9 Garnier 92,8 88,5 Bebe Young Care 86,6 86,6 Nivea 85,9 Dr. Oetker 85,2 L’Oréal 82,9 Barilla 76,0 Florena 75,1 VIRTUELLES HÄNDCHEN Die Vorstellung des neuen Audi A3 auf der Homepage beispielsweise lässt sich per Web-Cam steuern. Die Hand des Users wird von der Kamera erfasst, und mit einer seitlichen Bewegung kann der silberne A3 auf dem Bildschirm gedreht werden. Legt der Nutzer seine Hand virtuell auf den Türgriff, geht es in den Innenraum des Fahrzeugs, wo es noch weitere Details zu entdecken gibt. Um zu wissen, was bei den Besuchern der digitalen Kanäle ankommt, untersucht Audi ihr Verhalten genau. Wie kommunizieren sie auf den verschiedenen Plattformen? Wo halten sich die Nutzer besonders lange auf? Welche Seiten klicken sie kaum an? Je nachdem wie die Antworten ausfallen, ändern Lothar Korn, Leiter Marketing Kommunikation bei Audi, und sein Team Inhalte oder bauen die Homepage um. Seit einigen Monaten etwa finden Internet-Nutzer alles rund ums Thema Motorsport direkt in der horizontalen Navigationsleiste auf der Startseite von Audi. Früher war diese beliebte Rubrik in Unterkategorien versteckt, die Kunden konnten die für sie so attraktiven Informationen nur nach langer Suche finden. „Die Web-Site ist enorm wichtig“, sagt Audi-Markenexperte Korn. „Denn sie ist zu 90 Prozent der erste Kontaktpunkt zwischen Audi und unseren potenziellen Kunden.“ Was nicht nur für Audi gilt. Auch Unternehmen, deren Zielgruppen heute noch wenig mit E-Mail-Marketing, Online-Gewinnspielen und webbasierten Kundenbefragungen zu tun haben, müssen sich umstellen. „Tun sie das nicht“, prognostiziert Marketingprofessor Skibicki, „sterben sie n gemeinsam mit ihrer Zielgruppe aus.“ [email protected] Lesen Sie weiter auf Seite 88 » Nr. 48 26.11.2012 WirtschaftsWoche ILLUSTRATION: CHRISTOPH NIEMANN » Bebe Young Care setzt im Kontakt mit seinen Kunden neben Facebook vor allem auf das Netzwerk SchülerVZ. Was für viele andere Unternehmen keinerlei Mehrwert hätte, passt bestens zur Kernzielgruppe des Kosmetikherstellers: stark internetaffine Frauen zwischen 13 und 25 Jahren. So gelingt es der Kosmetikmarke so gut wie keiner anderen, zur Markenbotschaft passende Inhalte zu präsentieren und auf den digitalen Kanälen einen hohen Wiedererkennungswert zu kreieren. Dafür sorgt zum Beispiel der einheitliche Auftritt auf Facebook, SchülerVZ und der eigenen Web-Präsenz. Dort werden regelmäßig Erlebnisse einer Mädchenwohngemeinschaft weitergesponnen, die seit Jahren über die Mattscheibe flimmern. Für die Bebe-WG können sich junge Kundinnen bewerben. Einmal eingezogen, testen sie Bebe-Produkte und tauschen sich mit anderen darüber aus. „Die WG spiegelt unsere Markenwerte optimal wider“, sagt Bebe-Marketing-Managerin Myriam Thiel. „Und das Format ist emotional sehr positiv besetzt.“ Auch die Verbindung zwischen realer Welt und Online-Marketing funktioniert bei der rosa Kosmetikmarke aus dem Hause Johnson & Johnson hervorragend. Neueste Marketingmasche, mit der Bebe potenzielle Kundinnen in die Läden lockte: eine App, mit der über 10 000 Produkte verlost wurden. Wer mit seinem Smartphone bestimmte BebeProdukte einscannte, erhielt anschließend auf seinem Display ein virtuelles Rubellos. Mit nur einem Klick konnten die Gewinnerinnen ihr Glück sogar via Facebook teilen. In diesem sozialen Netzwerk hat die Bebe Young Care immerhin etwa 56000 Fans. Management&Erfolg INTERVIEW Jan Pechmann »Informiere und unterhalte« Der Markenstratege erklärt die Spielregen digitaler Markenführung. Und was amerikanische Unternehmen deutschen Konkurrenten im Internet voraus haben. 88 DER MARKENSTRATEGE Pechmann, 38, ist Geschäftsführer der Berliner Unternehmensberatung diffferent, die Kunden wie Ikea oder Volkswagen bei der Umsetzung digitaler Marketingstrategien unterstützt. ken müssen sich klar werden, welche Ziele sie im Internet verfolgen wollen. Den größten Mehrwert erzielt man, wenn man sich klarmacht, was man nicht erreichen will. Und welche Regeln der klassischen Markenführung gelten speziell für den Umgang mit Marken im digitalen Raum? Pechmann: Langfristige Kundenbeziehungen können im Internet nur aufgebaut werden, wenn die Inhalte aktuell, informativ und unterhaltsam sind. Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Nutzers ist im Netz schließlich schier unendlich. Wichtig ist darüber hinaus eine gute Vernetzung aller Situationen, in denen der Konsument mit der Marke in Berührung kommt – also von der Web-Site über das Regal im Supermarkt oder das Werbeplakat an der Bushaltestelle bis hin zu den sozialen Netzwerken. Aber warum müssen alteingesessene Marken wie Erasco oder Florena überhaupt auf Twitter oder Facebook präsent sein? Pechmann: Über Marken und deren Produkte wird so oder so in den sozialen Netzwerken diskutiert. Dann ist es schon besser, eine Marke nimmt daran teil und weiß, wie über sie geredet und gedacht wird. So kann sie in den sozialen Medien schnell auf Entwicklungen und Diskussionen rea- gieren. In den USA ist das längst selbstverständlich. Was machen die Amerikaner anders? Pechmann: Amerikanische Marken gehen unverkrampfter mit neuen Technologien um. Wir deutschen Marken-Ingenieure sind zu verkopft und technokratisch. Amerikaner denken und handeln in übergreifenden Projekten statt in einzelnen Abteilungen – genau das sind die Spielregeln der digitalen Welt. Warum schneiden dann amerikanische Marken wie Dell oder Ford in Ihrer Studie unterdurchschnittlich ab? Pechmann: Da ist es nicht die schlechte Performance von Ford oder Dell, sondern der Heimvorteil der deutschen Marken, die im Vergleich von Haus aus über ein höheres Vertrauen, eine stärkere Präsenz sowie eine emotionale und kulturelle Nähe verfügen, die den Kommunikationserfolg im digitalen Raum beflügeln können. Aber es liegt sicher auch daran, dass man digitale Aktivitäten zunächst im eigenen Sprachraum ausprobiert, bevor man sich in andere Länder und Sprachen wagt. Das gilt umgekehrt auch für viele deutsche Marken im Ausland. n [email protected] Nr. 48 26.11.2012 WirtschaftsWoche FOTO: DI MATTI Herr Pechmann, nur wenige Marken haben in Ihrem Ranking, in dem Sie die digitale Markenführung von Unternehmen bewerten, richtig gut abgeschnitten. Ist das nicht erschreckend in einer Zeit, in der 24 Millionen Deutsche über Facebook kommunizieren? Pechmann: Bei einigen Marken haben wir uns in der Tat über die Naivität gewundert, mit der das Thema behandelt wird. Dabei sind viele Regeln, die bei der digitalen Markenführung beachtet werden müssen, bestimmt keine Raketenwissenschaft und könnten ohne große Investitionen umgesetzt werden. Aber? Pechmann: Es hapert an den scheinbar banalsten Selbstverständlichkeiten. Es gibt zum Beispiel immer noch zahlreiche Unternehmen, die den Nutzern keine Möglichkeit geben, sich auf ihrer Homepage zu registrieren oder direkten Kontakt aufzunehmen. Das ist ein Unding. Wie können solch offensichtliche Anfängerfehler passieren? Pechmann: Vor allem die sozialen Medien werden sehr aktionistisch und wenig durchdacht genutzt. Viele Unternehmen wurden von Agenturen und den Medien in diese Netzwerke regelrecht hineingedrängt. Nach dem Motto: Es ist höchste Zeit, hier viel Geld auszugeben, ich weiß bloß nicht, wofür. Wenn man merkt, dass das Wettrüsten mit den digitalen Marketinginnovationen nichts bringt, weil man seine Hausaufgaben vorher nicht gemacht hat, ist der Kater programmiert. Welche Hausaufgaben sind das? Pechmann: Zunächst einmal handelt es sich hierbei um ganz normale Markenführung. Alle Regeln, die offline gelten, bestimmen auch die Online-Welt. Erstens: Die Botschaften, für die eine Marke steht, dürfen auch im Internet keine Widersprüche erzeugen, sondern müssen zueinander passen. Zweitens: Um den digitalen Raum zu erobern, braucht man eine gute Strategie, solide Planung und eine stringente Systematik. Und drittens: Mar-