Forschend lernen

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Forschend lernen
Forschend lernen
in Mathematik
und Naturwissenschaften
Über PRIMAS
PRIMAS steht für „Promoting inquiry-based learning
(IBL) in mathematics and science across Europe“,
d.h. für die europaweite Förderung des forschenden
Lernens im mathematisch-naturwissenschaftlichen
Unterricht. Forschendes Lernen kann das natürliche
Interesse von Schülerinnen und Schülern an der
Mathematik und den Naturwissenschaften steigern.
Gleichzeitig fördert es die Entwicklung wichtiger Kompetenzen wie Problemlösefähigkeit, selbstgesteuertes
Lernen und die Fähigkeit, selbständig neue Wissensbereiche zu erkunden.
Lehrerinnen und Lehrer sind die Schlüsselfiguren,
wenn es darum geht, das Konzept des forschenden
Lernens in der Praxis des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts zu verankern und das Potential, das in diesem Ansatz steckt, sichtbar zu machen.
Vorrangiges Ziel von PRIMAS ist es daher, Unterrichtsmaterialien und Lehrerfortbildungen anzubieten
und auf diese Weise Lehrkräfte in professionellen
Lerngemeinschaften beim forschenden Unterrichten
zu unterstützen.
Das PRIMAS-Projekt wird im Rahmen des 7. EUForschungsrahmenprogramms im Programmbereich
„Wissenschaft in der Gesellschaft“ finanziell gefördert. Das Projekt hat eine Laufzeit von vier Jahren
(2010-2013) und wird in 12 europäischen Ländern
umgesetzt: Dänemark, Deutschland, Malta, die Niederlande, Norwegen, Rumänien, die Slowakei, Spanien, die Schweiz, Ungarn, das Vereinigte Königreich
und Zypern. Koordinierende Einrichtung ist die Pädagogische Hochschule Freiburg. Weitere Informationen
über das Projekt finden Sie auf der PRIMAS-Website
http://www.PRIMAS-project.eu oder auf der deutschsprachigen Seite http://www.offeneaufgaben.de.
Forschend lernen in Mathematik
und Naturwissenschaften
Theorie und Praxis – Beispiele – Erfahrungsberichte
Inhalt
Autoren
Ana M. Abril, Daniel Aguirre, Anna-Maria Aldorf,
Szilárd András, Erzsébet Antal, Marta R. Ariza, Morten
Blomhøj, Corine den Boer, Patrick Bronner, Soňa
Čeretková, Michiel Doorman, Jean-Luc Dorier, José
Manuel Escobero, Josette Farrugia, Maria I. M. Febri,
Fco. Javier García, Tünde Kontai, Henk van der Kooij,
Ragnhild Lyngved, Katja Maaß, Janka Melušová, Ad
Mooldijk, Nicholas G. Mousoulides, Eli Munkebye,
Antonio Quesada, Zoltánné Sápi, Mikael Skånstrøm,
Dana Strejčková, Malcolm Swan, Csaba Tamási
Redaktion
Katja Maaß, Karen Reitz-Koncebovski
Deutsche Übersetzung
www.peschel-communications.de
Illustration
Robert Len
Layout
Lubo Balko
Einleitung .............................................................................................3
Zwei Unterrichtsstunden im Vergleich ..............................................4
Was ist forschendes Lernen? ..............................................................7
Warum forschendes und entdeckendes Lernen? .............................9
Was bedeutet forschendes Lernen für die LehrerInnen? ..............10
Wie lernen Lehrkräfte, im forschenden Stil zu unterrichten? ........11
Beispielaufgaben für das forschende und entdeckende Lernen ...14
Forschendes und entdeckendes Lernen im Unterrichtsalltag .......74
Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen ...................76
CC by-sa PRIMAS Project,
www.PRIMAS-project.eu
Koordination: Katja Maaß, Pädagogische Hochschule
Freiburg 2013
ISBN 978-3-00-044285-8
Das PRIMAS-Projekt (Promoting inquiry in
mathematics and science across Europe) wird
innerhalb des 7. Forschungsrahmenprogramms
der Europäischen Union (RP7/2007-2013) unter
Zuschussvereinbarung Nr. 244380 finanziell gefördert.
Die vorliegende Publikation gibt die Ansichten der
Autoren wieder. Die Europäische Union übernimmt
keinerlei Haftung für die darin enthaltenen Beiträge.
Die vorliegende Publikation beinhaltet Links zu
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wurde bei Drucklegung überprüft. Da wir den Inhalt
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wir weder für verwendete Inhalte haften noch die
Gültigkeit der Links garantieren.
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Einleitung
Einleitung
Die vorliegende Broschüre bietet eine allgemeine
Einführung in das forschende und entdeckende
Lernen. Wir hoffen, dass die Lektüre Sie dazu anregt,
Ihren eigenen Unterricht zu reflektieren und Neues
auszuprobieren.
Zielgruppen sind LehrerInnen und LehrerausbilderInnen. Die Botschaft ist für beide Zielgruppen gleich:
Wir alle lernen am besten, wenn wir unseren aktuellen Wissensschatz und unsere bisherige Herangehensweise aktiv hinterfragen und analysieren.
Mit dieser Broschüre möchten wir aufzeigen, was
forschendes und entdeckendes Lernen für die Unterrichts- und die Fortbildungspraxis bedeuten. Ihr
Kernstück bilden inspirierende Beispiele gelungener
Unterrichtsstunden in Mathematik und Naturwissenschaften für die Grundschule und die Sekundarstufe.
Ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen Aufgabenstellungen finden Sie auf der PRIMAS-Website.
Im letzten Teil der Broschüre wird über Erfolge und
Schwierigkeiten reflektiert, die Lehrkräfte bei der
Einbindung des forschenden Lernens in die tägliche
Unterrichtspraxis erleben. LehrerInnen aus verschiedenen europäischen Ländern berichten von ihren
persönlichen Erfahrungen.
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Zwei Unterrichtsstunden im Vergleich
Zwei Unterrichtsstunden im Vergleich
Zwei Unterrichtsstunden im Vergleich
Die beiden unten beschriebenen Unterrichtsstunden erscheinen auf den ersten
Blick sehr ähnlich. Bei beiden handelt es sich um einen praktischen Versuch
mit einem Pendel, dennoch zeigen sich auf anschauliche Weise die zahlreichen
Unterschiede zwischen reiner Wissensvermittlung und forschendem Lernen.
Herr Shaw betritt die Klasse mit den Worten: „Heute
lernen wir das Pendel kennen“.
Zunächst zeigt er den Schülern, wie ein Pendel
aussieht, und führt sogleich vor, dass die Schwingungsdauer des Pendels von seiner Länge abhängt. Er
erklärt: „Seht ihr, je länger das Pendel desto langsamer schwingt es.“ Dann gibt er jeder Zweiergruppe
von Schülern ein Stück Schnur, ein Gewicht, eine
Stoppuhr und etwas Millimeterpapier. „Eine(r) von
euch schwingt das Pendel, der oder die andere stoppt
die Zeit bis zur 20. Schwingung. Eine Schwingung
bedeutet: Das Pendel muss einmal nach vorne und
wieder zurück pendeln. Und jetzt öffnet euer Buch
auf Seite 43. Zeichnet die Tabelle ab, füllt sie aus und
folgt dabei genau den Arbeitsanweisungen.“
Die SchülerInnen sehen im Buch ein Schaubild des
Pendels und darunter eine Tabelle, in die sie ihre
Daten eintragen sollen. In der obersten Reihe steht
„Länge des Pendels in Zentimetern“, in der zweiten
Reihe steht „Zeit bis zur 20. Schwingung in Sekunden“. Darunter sind auf Millimeterpapier zwei Achsen
aufgezeichnet: Die horizontale Achse zeigt die Länge
des Pendels von 0 bis 125 Zentimetern an und die
vertikale Achse zeigt die Zeit bis zur 20. Schwingung
von 0 bis 50 Sekunden an. Unter der Grafik stehen
4|
verschiedene Arbeitsanweisungen
und Fragen: „Zeichne eine Kurve
anhand der gemessenen Daten für
die Längen 50 cm, 75 cm, 100 cm
und 125 cm. Lies von deiner Kurve
ab, wie lange das Pendel sein muss,
damit die Schwingungsdauer genau
eine Sekunde beträgt.“
Die SchülerInnen arbeiten sich
fleißig durch die Aufgabe. Hin und
wieder hebt ein(e) SchülerIn die
Hand und fragt Dinge wie „Stimmt
das so? Soll die Kurve gerade sein?“
Der Lehrer beauftragt die SchülerInnen, das Experiment für jede
Länge drei Mal zu wiederholen und
die Kurve anhand der gemessenen
Durchschnittswerte zu zeichnen,
um sicherzugehen, dass die Ergebnisse auch wirklich stimmen. Gegen
Ende der Stunde erklärt der Lehrer,
wie die Kurve aussehen sollte, und
überprüft, ob die SchülerInnen die
Frage zur Länge des Pendels bei
einsekündiger Schwingungsdauer
richtig beantwortet haben. Einige
von ihnen haben die richtige Lösung
gefunden und werden gelobt.
Herr Hammond betritt die Klasse und zeigt den SchülerInnen eine Reihe von Bildern alter Pendeluhren.
„Habt ihr schon einmal so eine Uhr gesehen?“, fragt
er. „Was wisst ihr darüber?“ Dann führt er zwei Pendel vor, die aus einer Schnur gebastelt wurden. „Seht
euch die Pendel einmal genau an. Schreibt alle Fragen
und Beobachtungen auf, die euch dazu einfallen.“
Zunächst schreiben die SchülerInnen Beobachtungen auf: „Das eine ist länger“, „Das längere Pendel
schwingt langsamer“, „Sie schwingen mit der Zeit
immer langsamer“. Dann sprudeln viele Fragen
hervor: „Können wir einen Zeitmesser basteln?“, „Wie
lange dauert eine Schwingung?“, „Können wir eine
Uhr bauen?“
Eine Zeit lang werden diese und andere Fragen diskutiert. Sie versuchen nun, genauere Fragen zu stellen:
„Was genau bedeutet eigentlich ‘eine Schwingung‘?“
Anschließend fordert Herr Hammond die SchülerInnen auf, ein Pendel zu basteln, das genau eine
Sekunde braucht, um nach vorne und wieder zurück
zu schwingen. Die SchülerInnen dürfen sich aus einer
Sammlung von Hilfsmitteln im Klassenraum alles nehmen, was sie brauchen: eine Schnur, Reißnägel, eine
Stoppuhr, ein Lineal, Bleistifte und Millimeterpapier.
(Foto: Quadell at en.wikipedia)
Unterricht bei Herrn Shaw
Unterricht bei Herrn
Hammond
Erst probieren die SchülerInnen einfach aus, passen
die Länge der Schnur oder die Zeit an usw. Herr Hammond lässt einige Minuten verstreichen. Als Kevin
meint, er sei fertig, begutachten zwei andere Schüler
seine Arbeit und stellen fest, dass die Präzision des
Pendels noch zu wünschen übrig lässt: In zehn Sekunden schwingt es fast elf Mal. Sie finden das Pendel zu
kurz.
„Kannst du das Pendel besser, also noch genauer machen?“ Colin erklärt: „Wenn du ein langes Pendel bastelst und stoppst, wie lange es für eine Schwingung
braucht, und wenn es dann – sagen wir mal – zwei
Sekunden braucht, könntest du die Länge des Pendels
abmessen und sie halbieren. Dann hättest du genau
die richtige Länge.“ Herr Hammond meint ebenfalls,
dass das eine gute Idee sei, und schlägt Colin vor, es
einmal auszuprobieren.
Colin bastelt ein Pendel mit einer Länge von einem
Meter und misst zunächst die Dauer von zehn Schwingungen, um dann die Dauer einer Schwingung zu
berechnen. Er stellt fest, dass es knapp 20 Sekunden
dauert und schließt daraus, dass eine Schwingung
zwei Sekunden dauert. Er halbiert die Länge seines
Pendels und startet einen neuen Versuch. Zu seiner
Überraschung stellt er fest, dass es jetzt 15 Sekunden
dauert, d. h. eine Schwingung benötigt 1,5 Sekunden.
Er ist verwirrt: „Das kommt mir unlogisch vor.“
„Und jetzt?“, fragt Herr Hammond. „Wie können wir
herausfinden, wie sich Länge und Schwingungszeit
des Pendels zueinander verhalten?“
Eine Weile sagt niemand etwas. Ein Schüler schlägt
schließlich vor, die Schwingungszeit und die Länge des
Pendels in einem Schaubild ins Verhältnis zueinander
zu setzen. Möglicherweise kam ihm die Idee beim
Anblick des Millimeterpapiers. Einige stimmen zu.
Dann machen sich die SchülerInnen an die Arbeit. Die
Messpunkte legen sie selbst fest.
„Wir brauchen mehr Ergebnisse, denn das wird keine
gerade Linie“, meint Susan. „Warum nicht?“, fragt ein
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Zwei Unterrichtsstunden im Vergleich
Was ist forschendes Lernen?
Was ist forschendes Lernen?
anderer Schüler. „Weil das 50-cm-Pendel einmal pro
Sekunde hätte schwingen sollen. Eine Schwingung
dauerte aber 1,5 Sekunden“, erklärt Susan.
Die SchülerInnen basteln weitere Pendel unterschiedlicher Länge und zeichnen Kurven. Davon leiten sie
ab, dass ein Pendel, das für eine Schwingung exakt
eine Sekunde braucht, ungefähr 25 cm lang sein sollte. Sie basteln ein entsprechendes Pendel und freuen
sich, dass das Ergebnis stimmt.
Abschließend bittet der Lehrer die SchülerInnen, ihren Gedankengang der restlichen Klasse vorzustellen.
Die unten stehende Tabelle zeigt einige Unterschiede zwischen den beiden
Unterrichtsstunden auf. Welche Unterrichtsstunde halten Sie für wirksamer?
„Für mich war das forschende Lernen eine
überaus positive Lernerfahrung. Wenn
die SchülerInnen etwas auf eigene Faust
entdecken dürfen, fallen ihnen Dinge ein,
an die ich vielleicht nie gedacht hätte.“
(Luca Gallea, Lehrer aus Malta)
Unterricht bei Herrn Hammond
Der Lehrer stellt die Fragen, die es zu lösen gilt.
Der Lehrer sorgt für einen Impuls und bittet die
SchülerInnen zu beobachten, zu beschreiben
und Fragen zu stellen. Er weckt ihre Neugier.
Der Lehrer gibt jeder Zweiergruppe von
SchülerInnen die nötigen Hilfsmittel.
Die SchülerInnen suchen sich die Hilfsmittel
selbst aus.
Es gibt keine Zeit für Vorhersagen und zum
Ausprobieren. Fehler und falsche Annahmen
werden vermieden.
Vermutungen werden offen diskutiert
und ausprobiert. Zum Beispiel gehen
die SchülerInnen davon aus, dass das
Verhältnis zwischen der Pendellänge und der
Schwingungsdauer linear ist und testen diese
Annahme.
Die Aufgabe wird genauso durchgeführt wie
es im Lehrbuch steht. Die SchülerInnen haben
einen sehr kleinen Entscheidungsspielraum und
folgen hauptsächlich Anweisungen.
Die SchülerInnen dürfen die Aufgabe mit einem
beliebigen Lösungsweg angehen. Auch das
Prinzip „Versuch und Irrtum“ ist erlaubt. Sie
treffen eigenständige Entscheidungen.
Der Lehrer fordert die SchülerInnen auf, die
Richtigkeit ihrer Ergebnisse zu überprüfen.
Die SchülerInnen überprüfen die Ergebnisse
ihrer MitschülerInnen.
Der Lehrer gibt hauptsächlich Anweisungen,
informiert und bewertet die Arbeit der
SchülerInnen.
Der Lehrer hinterfragt und regt die SchülerInnen
dazu an, selbständig Überlegungen anzustellen.
Die SchülerInnen präsentieren ihre eigene
Arbeit und bewerten die Arbeit der anderen.
* Teilweise wurden die Namen der Lehrkräfte
aus Gründen des Datenschutzes verändert. Die
echten Namen sind der Redaktion bekannt.
Foto: Daniel Aguirre
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Unterricht bei Herrn Shaw
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Was ist forschendes Lernen?
Der Unterricht von Herrn Shaw weist zahlreiche Eigenschaften herkömmlichen Schulunterrichts auf. Der
fungiert als Wissensvermittler und gibt Anweisungen.
Die SchülerInnen nehmen eine passive Rolle ein: Sie
sollen Arbeitsanweisungen befolgen, faktisches Wissen aufnehmen und eine bestimmte Vorgehensweise
durch deren wiederholte Ausführung üben.
In Herrn Hammonds Unterrichtsstunde hingegen wird
die Wichtigkeit der aktiven Teilnahme der SchülerInnen deutlich: Sie stellen Fragen, treffen Entscheidungen, denken sich Versuche aus, stellen Prognosen auf,
probieren alternative Lösungsstrategien, diskutieren, arbeiten zusammen, überprüfen die Arbeit der
MitschülerInnen, ziehen Schlüsse und teilen ihre Ergebnisse mit. Der Lehrer bleibt nicht im Hintergrund
und spielt nicht nur eine Moderatorenrolle, sondern
nimmt aktiv am Geschehen teil, stellt Fragen und regt
Was ist forschendes Lernen?
die SchülerInnen dazu an, selbständig Überlegungen
anzustellen und ihre Gedankengänge zu erläutern.
Beim forschenden und entdeckenden Lernen geht
es nicht allein um die Verwendung neuer Aufgabenstellungen. Es geht auch nicht um das praktische
Experimentieren. Natürlich müssen die Aufgaben
und Materialien es den SchülerInnen ermöglichen,
selbständig zu entscheiden und zu arbeiten, aber das
allein ist noch keine Garantie dafür, dass die SchülerInnen forschend lernen. Vielmehr geht es um eine
spezifische Sichtweise auf das Lernen, die zu einer
neuen Lernkultur im Unterricht führt.
Das hier gezeigte Schaubild ist ein Versuch, das Konzept des forschenden Lernens über seine Lernziele,
die Lernkultur im Unterricht, die Lernumgebung
und die Rollen von Lehrkräften und SchülerInnen zu
charakterieren:
Wichtige Zielsetzungen
SchülerInnen
• Forscherdrang
• lebenslanges Lernen
• Verständnis des Wesens von Mathematik und
Naturwissenschaften
• stellen Fragen
• forschen: entwickeln Interesse, untersuchen,
präsentieren, evaluieren
• arbeiten zusammen
Lernkultur
LehrerInnen
• gemeinsames Ziel und geteilte Verantwortung
• Wertschätzung aller Beiträge, auch der Fehler
• dialogisch
• knüpfen an Erfahrungen der SchülerInnen an
• wertschätzen Schüleräußerungen
• fördern und unterstützen Schüleraktivitäten
Dieses Verständnis eröffnet eine ganze Reihe von
Möglichkeiten, forschendes Lernen in den täglichen
Unterricht einzubinden: von kurzen und einfachen
Aufgaben, bei denen vielleicht nur ein einziges
Element des forschenden Lernens zum Tragen
kommt, bis hin zu größeren und komplexeren
Aufgaben, bei denen die SchülerInnen den gesamten
Kreislauf des forschenden Lernens durchlaufen
(Erkundung der Situation, Planung der Untersuchung,
systematisches Experimentieren, Interpretation
und Bewertung der Ergebnisse, Kommunikation und
Präsentation).
Im forschenden Stil zu unterrichten bedeutet, den
SchülerInnen aktives Lernen zuzutrauen; darauf
zu vertrauen, dass sie lernen können, interessante
Antworten auf gegebene Fragestellungen zu finden,
dass sie lernen können, eine Situation auf eigene
Faust zu erkunden, ihre Ergebnisse vorzustellen und
ihre Vorgehensweise zu begründen.
„Ich erinnere mich noch an die allererste
Unterrichtsstunde. Viele SchülerInnen
haben gefragt: ‚Und jetzt? Was soll ich
jetzt machen?‘ Das kommt inzwischen
praktisch gar nicht mehr vor. Vor kurzem
habe ich ihnen die Aufgabe zum Goldenen
Rechteck gegeben. Ich habe gar nichts
weiter dazu erklärt, einfach das Blatt
ausgeteilt und gesagt: ‚Das ist wieder
eine dieser Problemlöseaufgaben, seht
sie euch mal an‘. Sie meinten nur: ‚Ok,
machen wir. Los geht’s!‘“
(Euan Saunders, Lehrer aus England)
Forschendes und entdeckendes Lernen heißt nicht,
dass mathematische und naturwissenschaftliche
Inhalte vernachlässigt werden – ganz im Gegenteil.
Wir gehen nämlich davon aus, dass die SchülerInnen
durch forschendes Lernen Fähigkeiten entwickeln,
die ihr Verständnis auf inhaltlicher Ebene fördern und
vertiefen.
Lernumgebung
• offene Fragestellungen mit mehreren Lösungswegen
• authentisch und/oder wissenschaftlich relevant
• bedeutsam für die Lernenden
Abbildung 1: Vielschichtiges Verständnis des forschenden und entdeckenden Lernens
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Warum forschendes und entdeckendes Lernen?
Warum forschendes
und entdeckendes Lernen?
Um den SchülerInnen diese Denkprozesse näher zu
bringen, müssen die Lehrkräfte von den herkömmlichen Schulbuchaufgaben, bei denen das Abfragen
von Grundwissen und das Einüben von Routinen
überwiegen, absehen. Die Lehrkraft muss Situationen schaffen, die genügend Denkanstöße geben und
authentische Fragen aufwerfen, die für die SchülerInnen greifbar und gleichzeitig anspruchsvoll genug
sein sollten. In dieser Broschüre finden Sie zahlreiche
Beispiele, die sich für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht in der Grundschule oder in
der Sekundarstufe eignen.
Neuer didaktischer Ansatz
„Für mich geht es beim forschenden
Lernen im Kern darum, dass bestimmte
Aufgabenstellungen ohne oder mit
so wenig fremder Hilfe wie möglich
bearbeitet werden können. Sind die Kinder
frei, selbständig zu denken, können sie
lernen kooperativ zusammenzuarbeiten
und die Ideen anderer Kinder
einzubeziehen.“
(Zsófia Borbás, Lehrerin aus Ungarn)
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Was bedeutet forschendes Lernen
für die LehrerInnen?
Wahl geeigneter Aufgaben
Die Umstellung von der reinen Wissensvermittlung
zum forschenden Lernen bedeutet, dass sowohl die
SchülerInnen als auch die Lehrkräfte sich an eine
neue Art des Lernens bzw. Lehrens gewöhnen müssen – was anfangs durchaus eine Herausforderung
sein kann. Wozu also das Ganze?
In unserer modernen, sich rasant entwickelnden Gesellschaft reicht es zur Vorbereitung der SchülerInnen
auf ihre Zukunft nicht mehr aus, sie mit Faktenwissen
zu versorgen. Welches Wissen in den nächsten Jahren
gefragt sein wird, ist nur schwer absehbar. Was wir allerdings jetzt schon wissen ist, dass Arbeitgeber auch
in Zukunft von ihren Mitarbeitern erwarten werden,
dass sie in der Lage sind, Probleme außerhalb des Regelfalls zu lösen, Daten zu analysieren, Dinge mit ihren
Kollegen zu besprechen, ihre Ergebnisse zu kommunizieren und selbständig zu arbeiten. Wo sollen sich
die SchülerInnen diese Fähigkeiten aneignen, wenn
nicht in der Schule? Das forschende und entdeckende Lernen unterstützt die SchülerInnen
bei der Entwicklung genau dieser Fähigkeiten.
Was bedeutet forschendes Lernen für die LehrerInnen?
Aus didaktischer Sicht ist die Umstellung vom Ansatz
der Wissensvermittlung, bei dem die Erklärungen,
Beispiele und Übungen der Lehrkraft dominieren, hin
zu einem kooperativen Ansatz erforderlich, bei dem
die SchülerInnen gemeinsam an Aufgaben arbeiten,
die sie als sinnvoll und herausfordernd erleben. Die
Lehrkraft nimmt eine veränderte Rolle ein, charakterisiert durch: konstruktive Nutzung des Vorwissens der
SchülerInnen, Herausforderung und Inspiration der
SchülerInnen durch entsprechende Fragen, Moderation von Diskussionen in kleinen Gruppen und mit der
ganzen Klasse, Förderung der Diskussion alternativer
Standpunkte und Unterstützung der SchülerInnen bei
der Zusammenführung unterschiedlicher Ideen.
Schaffung einer günstigen
Lernatmosphäre
Die Atmosphäre im Unterricht ist ein entscheidender
Faktor für erfolgreiches forschendes Lernen. Es sollte
eine Kultur herrschen, in der nicht eine wissende
Autoritätsperson im Vordergrund steht, sondern die
Ideen aller respektiert und akzeptiert werden, wenn
sie durch Nachweise und logische Überlegungen
begründet werden können. In einer solchen Atmosphäre werden Fehler zu Lernchancen, jeder fühlt sich
für den Unterricht verantwortlich und alle haben ein
gemeinsames Ziel.
„Seit ich vom Konzept des forschenden Lernens
gehört habe, hat sich meine Art des Unterrichtens
geändert. Nicht der Lehrer, sondern die SchülerInnen
stehen im Mittelpunkt. Ich habe festgestellt, dass die
SchülerInnen mit mehr Spaß an die Sache herangehen,
wenn sie eine aktive Rolle übernehmen dürfen. Es ist
von entscheidender Bedeutung, dass die SchülerInnen
im Mittelpunkt des Lehr- und Lernprozesses stehen.
Vorher sah ich mich selbst als den Fachmann und die
SchülerInnen als Empfänger. Meine Aufgabe war es,
die Empfänger mit Wissen zu füllen. Ich sah Wissen als
etwas Absolutes an, etwas, das sich nicht hinterfragen
lässt. Jetzt sehe ich das anders. Die SchülerInnen
dürfen alles hinterfragen und in kleinen Gruppen
besprechen, wie sie eine bestimmte Aufgabe angehen
möchten.“
(Gabriel Abela, Lehrer aus Malta)
Wie lernen Lehrkräfte, im forschenden Stil zu unterrichten?
Wie lernen Lehrkräfte, im forschenden Stil zu unterrichten?
Wie lernen Lehrkräfte,
im forschenden Stil zu unterrichten?
Die Umstellung auf einen forschenden Unterrichtsstil
wirft zahlreiche didaktisch-methodische Fragen auf:
•
•
•
•
•
Wie kann ich meine SchülerInnen dazu anregen,
selbständig Fragen zu stellen und ihnen nachzugehen?
Wie kann ich den SchülerInnen dabei helfen, sich
auf sinnvolle Weise mit diesen Fragen auseinanderzusetzen?
Was mache ich, wenn die SchülerInnen nicht
weiterkommen – wie greife ich ein, ohne die
Oberhand zu übernehmen?
Wie kann ich den SchülerInnen beibringen, zusammenzuarbeiten und voneinander zu lernen?
Wie steht es mit dem Lernen von Begriffen
und Inhalten? Man kann von den SchülerInnen
schließlich nicht erwarten, dass sie mathematische oder naturwissenschaftliche Konzepte von
sich aus neu erfinden!
12 |
In den Fortbildungsmaterialien werden diese und
ähnliche Fragen Schritt für Schritt angegangen. Es gibt
sieben Module, wobei jedes Modul sich in drei Phasen gliedert: Erleben, Implementieren und Reflektieren. In der ersten Phase analysieren die LehrerInnen
ihre eigene Unterrichtspraxis, sehen sich Video-Clips
zu unterschiedlichen Unterrichtsansätzen an, erörtern die entsprechenden didaktisch-methodischen
Ideen und bereiten eine Unterrichtsstunde vor. In
der zweiten Phase geht es darum, die verschiedenen Ideen im Unterricht auszuprobieren. Die dritte
Phase (in der Regel am folgenden Fortbildungstag)
bietet Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und
zur Reflexion, wobei die eigenen Erfahrungen zu den
Fortbildungsinhalten in Beziehung gesetzt werden.
Die untenstehende Tabelle gibt einen Überblick über
die einzelnen Module.
1. Forschungsfragen
entwickeln
In diesem Modul werden
verschiedene Phänomene vorgestellt, zu denen
Sie Fragen stellen und
Fragen selbst nachgehen
sollen. Sie erfahren also
selbst, wie es ist, wie
ein Mathematiker oder Naturwissenschaftler zu denken, und
können später eine ähnliche Übung mit Ihren SchülerInnen
durchführen und über die Ergebnisse reflektieren. Welche Fragen fallen Ihnen beispielsweise zu diesem Foto ein?
Foto: cc-by-sa Thesupermat, Wikimedia Commons
Innerhalb des Projekts PRIMAS wurden Materialien
für Lehrerfortbildungen entwickelt. Die Materialien
sind sowohl für Fortbildungskurse konzipiert als auch
für das Selbststudium von LehrerInnen in einer Gruppe. Alle Fortbildungsunterlagen finden Sie auf der
PRIMAS-Website: www.primas-project.eu
bzw. http://primas.ph-freiburg.de.
2. Unstrukturierte Aufgaben meistern. Dieses Modul
regt Sie dazu an zu reflektieren, welche Entscheidungen
Sie für Ihre SchülerInnen treffen, wenn Sie ihnen eine
strukturierte Aufgabe stellen. Strukturierte und unstrukturierte Versionen derselben Aufgabe werden miteinander verglichen und es wird erörtert, welche Anforderungen und Herausforderungen unstrukturierte Aufgaben im
Unterricht mit sich bringen. Sie können die unstrukturierte Version einer Lehrbuchaufgabe im Unterricht testen
und anschließend von dieser Erfahrung berichten.
3. Inhalte forschend lernen. Dieses Modul beleuchtet,
wie Elemente forschenden Lernens beim Vermitteln
mathematisch-naturwissenschaftlicher Inhalte eingesetzt werden können. Zwei Aspekte des Lernens werden
häufig voneinander getrennt: einerseits die Vermittlung
von Inhalten im Sinne von Fakten und Fertigkeiten, die
nachgemacht und beherrscht werden sollen, andererseits die Förderung prozessbezogener Kompetenzen
durch Forschen und Entdecken, ohne dass dabei wichtige
Inhalte vermittelt werden. Die Integration von Inhalten
und Prozessen stellt uns vor hohe didaktisch-methodische Herausforderungen. Hier geht es um Prozesse wie:
beobachten und visualisieren, klassifizieren und definieren, darstellen und von einer Darstellung in eine andere
übersetzen, Zusammenhänge herstellen, schätzen,
messen, quantifizieren, bewerten, experimentieren und
Variablen kontrollieren.
4. Fragen stellen und Impulse geben. Dieses Modul
beinhaltet eine Reihe von Denkanstößen zu folgenden
Themen: Wie sieht eine Frage aus, die die SchülerInnen
anregt zu reflektieren, zu überlegen und vernünftig zu
urteilen? Wie kann man SchülerInnen dazu animieren,
ausführliche und gut durchdachte Antworten zu geben
– ohne dass sie Angst davor haben, etwas Falsches zu
sagen? Wie können LehrerInnen in einem kooperativen
Unterrichtsambiente Schülerinnen durch „lautes Denken“
an das logische Argumentieren heranführen? Wie in den
vorhergehenden Modulen versuchen Sie an dieser Stelle,
ihr eigenes Fragerepertoire zu entwickeln, und berichten
Ihren KollegInnen anschließend von der Erfahrung im
Unterricht.
5. In Gruppen arbeiten. Dieses Modul bietet die Gelegenheit, über die Merkmale einer lernfördernden Diskussion
von SchülerInnen untereinander nachzudenken: Welche Vorbehalte haben Sie selbst gegen die Einführung
von Gruppendiskussionen und wie können sie diese
ausräumen? Welche bewährten Methoden gibt es für
fruchtbare Schülerdiskussionen? Und welche Rolle spielt
die Lehrkraft, wenn sie Schülerdiskussionen initiiert und
begleitet? Sie planen und führen eine Unterrichtsstunde
mit großem Diskussionsanteil durch und berichten Ihren
Kollegen anschließend von dieser Erfahrung.
6. An Vorwissen anknüpfen. In diesem Modul geht es
um verschiedene Möglichkeiten der lernbegleitenden
Diagnose, um möglichst effektiv an das Vorwissen der
SchülerInnen anknüpfen zu können. Folgende Fragen
stehen im Vordergrund: Wie können offene Aufgaben zur
Leistungsbewertung genutzt werden? Wie kann diese Art
der Bewertung das Lernen begünstigen? Welche Arten
von Rückmeldung sind für SchülerInnen hilfreich, welche
weniger hilfreich? Wie können die SchülerInnen am Bewertungsprozess beteiligt werden?
7. Selbstbewertung und gegenseitige Bewertung. In
diesem Modul wird eine Diskussion zu folgenden Themen
angeregt: Wie können wir den SchülerInnen dabei helfen,
Prozesse des forschenden und entdeckenden Lernens
bewusster wahrzunehmen und deren Bedeutung für die
Problemlösung zu erkennen? Wie können wir die SchülerInnen dazu bringen, mehr Verantwortung für ihren
persönlichen Lernprozess innerhalb des forschenden
Lernens zu übernehmen? Wie können wir die SchülerInnen dazu ermutigen, ihre Arbeit gegenseitig zu evaluieren
und zu verbessern?
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Beispielaufgaben für das forschende und entdeckende Lernen
Beispielaufgaben für das forschende
und entdeckende Lernen
Im Folgenden wird eine Reihe von Beispielaufgaben
vorgestellt. Es gibt Aufgaben für die Grundschule und
die Sekundarstufe, jeweils aus der Mathematik und
den Naturwissenschaften. Die Aufgaben wurden von
LehrerInnen in verschiedenen Ländern Europas erprobt, weiterentwickelt und für die Veröffentlichung
in der Primas-Aufgabensammlung aufbereitet. Die
Autoren schreiben „von Kollegen für Kollegen“ – das
ist gemeint, wenn in den folgenden Texten von „wir“
die Rede ist. Zugehörige Arbeitsblätter und eine ausführliche Beschreibung der jeweiligen Aufgabe sind
auf der PRIMAS-Website verfügbar.
„Die Aufgaben funktionieren wirklich! Ein
ganz anderer Unterricht wird möglich...
Macht echt Spaß!“
Bei den abgedruckten forschenden Aufgaben geht es
nicht nur um die fachlichen Inhalte sondern gleichberechtigt auch um den Erwerb von Kompetenzen wie
Abschätzen, Argumentieren, Präsentieren.
Beispielaufgaben
Schwimmer oder Nichtschwimmer? (N 4-9) ...............................16
Tierspuren (N 4-9, 10-14) ..............................................................20
Geometrie mit Papierstreifen (M 4-9 oder 10-14 ) .....................23
Der Riesenstuhl (M 6-9 oder 10-14) .............................................27
Tiere auf dem Bauernhof (M/N 6-9) ............................................30
Wasserversorgung (M/N 6-9 oder 10-14) ...................................33
Ein Morgen im Zeichen der Mathematik (M 10-14) ...................37
Mehr Kaffee oder mehr Milch? (M 10-14 oder 15-18) ...............40
Keimbedingungen (N 10-14) .........................................................44
Schaukeln aus Eisen (N 10-14) ......................................................47
Kerzenversuch (N 10-14 oder 15-18) ...........................................50
Definiere! (M/N 10-14 oder 15-18) ..............................................53
Algebraische Zahlenpyramiden (M 12-14) ...................................55
Perlen und Formeln (M 15-18) .....................................................58
Kniffeleien mit Papierstreifen (M 15-18) .....................................61
Spielen mit Feldern und Farben (M 15-18) ..................................64
Bitte kühl lagern! (N 15-18) ...........................................................67
Schütteltaschenlampe (N 15-18) ..................................................71
(Marcel Winter, Lehrer aus Deutschland)
M = Mathematik
Foto: Patrick Bronner
Die Aufgabensammlung soll Ideen und Impulse geben
und dazu motivieren, eigene forschende Fragestellungen für den mathematisch-naturwissenschaftlichen
Unterricht zu entwickeln. Lassen Sie sich inspirieren
und von der Kreativität Ihrer SchülerInnen überraschen.
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Beispielaufgaben
N = Naturwissenschaften
Die Ziffer in Klammern gibt die empfohlene Altersgruppe für die
Aufgabe an.
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Schwimmer oder Nichtschwimmer? (N 4-9)
„Der Stein sinkt, weil er noch nicht gelernt hat zu
schwimmen.“ „Kann eine Kartoffel schwimmen?“
Wenn sich Ihre SchülerInnen fragen, ob ein Gegenstand im Wasser schwimmen kann oder zu Boden
sinken wird, warum manche Gegenstände schwimmen bzw. sinken oder wie man einen Gegenstand
baut, damit er schwimmt oder sinkt, dann dürfte Sie
diese Aufgabe interessieren. Ziel der Aufgabe ist es,
jungen SchülerInnen einen Rahmen zu bieten, in dem
sie auf eigene Faust entdecken können, wie sich ein
bestimmter Gegenstand im Wasser verhält. Die SchülerInnen sollen erfahren, wie man forschende Fragen
nutzen und wie man daraus lernen kann. Gleichzeitig
wird die Grundlage für das Verständnis von Kräften,
Auftrieb, dem archimedischen Prinzip und Dichte
geschaffen. Häufig sind diese Begriffe selbst für ältere
Kinder schwer fassbar.
Zeitbedarf: ein bis zwei Unterrichtsstunden
Didaktisch-methodische Ideen
Die SchülerInnen stellen Hypothesen darüber auf, ob
bestimmte Gegenstände schwimmen oder sinken,
und erklären warum. Dann testen sie, was passiert,
wenn sie die Gegenstände aufs Wasser setzen. Der
Test besteht aus mehreren Teilen: Beobachtung der
Phänomene, Klassifizierung in sinkende und schwimmende Gegenstände, Aufstellung von Hypothesen,
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warum ein Gegenstand schwimmt bzw. sinkt, Interpretation der Ergebnisse, Erkennen von Mustern und
Zusammenhängen, Dokumentation der Ergebnisse
(mündlich oder schriftlich) und Formulierung von Versuchsanordnungen für eine weiterführende systematische Untersuchung.
Unsere Aufgabe ist es, die SchülerInnen bei ihren
Untersuchungen zu begleiten, aber nicht diejenigen
zu sein, die alle Schritte planen. Außerdem müssen
wir uns vor Augen halten, dass die SchülerInnen Zeit
brauchen, um ihre Ergebnisse zu besprechen, sie mit
ihren Hypothesen abzugleichen und über die Fragen
nachzudenken: Habe ich richtig vermutet? Warum/
warum nicht? Je nach Alter und Reife der SchülerInnen werden sie verschiedene Hypothesen aufstellen,
die meist in Zusammenhang mit dem Gewicht, der
Größe, der Form und dem Material des Gegenstands
stehen. Dabei ist es sehr wichtig, den SchülerInnen
das Gefühl zu vermitteln, dass ihr Beitrag geschätzt
wird – egal ob ihre Antwort richtig oder falsch ist.
Die Aufgabe erfordert ein
gewisses Maß an Flexibilität, denn die Reichweite der
Untersuchungen hängt vom
Alter, der Reife und dem
Wissensstand der Kinder ab.
Dieses Thema wird im Fortbildungsmodul 2: Unstrukturierte Aufgaben meistern ausführlich diskutiert. Der nächste
Abschnitt zeigt Erfahrungen
aus dem Unterricht mit Fünfjährigen. Die Aufgabe kann mit
weiterführenden Fragen auch
für höhere Jahrgangsstufen
angepasst werden.
Erfahrungen
aus dem Unterricht
Die Aufgabe wurde von
Referendaren mit einer
Gruppe von Fünfjährigen
durchgeführt (Sortland,
2012). Bevor die Kinder
die Gegenstände zu
Wasser ließen, stellten sie ihre Hypothesen auf.
Ein Kind meinte: „Der Klotz ist ja nur aus Holz,
also wird er schwimmen.“ Ein anderes Kind aber
behauptete: „Nein, er wird sinken, er ist zu schwer!“
Interessanterweise begründete das erste Kind seine
Hypothese mit der Art des Werkstoffs (Holz), das
zweite mit dem Gewicht („Er ist schwer“). Auffallend
war, dass die richtige Vermutung eines Kindes
die falsch liegenden Kinder nicht in Verlegenheit
brachte, sondern sie zum Nachdenken und erneutem
Überlegen animierte. Die Stimmung war so, dass
die Kinder „trotz“ ihrer Vermutungen geschätzt und
anerkannt wurden. Für eine Unterrichtsatmosphäre,
die forschendes Lernen begünstigt, ist dies eine
entscheidende Voraussetzung. Sogar höchst
unplausible Aussagen wurden nicht abgelehnt:
„Menschen können schwimmen und Prinzessinnen
können nicht untergehen, oder?“ (sie waren gerade
dabei, eine Prinzessinnenpuppe ins Wasser zu legen)
oder: „Schau! Sie geht unter! Vielleicht hätte sie eine
Schwimmweste gebraucht.“
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Naturwissenschaften Alter: 4-9 Jahre
Naturwissenschaften Alter: 4-9 Jahre
Schwimmer
oder Nichtschwimmer?
Schwimmer oder Nichtschwimmer? (N 4-9)
Schwimmer oder Nichtschwimmer? (N 4-9)
Die Kinder erklärten sich das Phänomen je nach Vorwissen auf dem Gebiet zum Beispiel so: „Diejenigen,
die schwimmen, sind oben drauf“ und „diejenigen,
die sinken, gehen unter“. Diese Kinder wussten,
dass die Bedeutung der Wörter schwimmen und
sinken etwas mit der Position des Gegenstandes im
Wasser zu tun hat. Ein anderes Kind erklärte: „Der
Styroporball schwimmt, weil er stark genug ist“. Die
Erklärung bezog sich auf seinen eigenen Schwimmunterricht.
Begriffe wie Gewicht und Materialeigenschaften
kamen im Laufe der Stunde ebenfalls zur Sprache.
Anhand des folgenden Beispiels möchten wir zeigen,
auf welche Weise Begriffe wie Volumen, Kräfte und
Auftrieb in den Erklärungen der Kinder auftauchten,
ohne dass sie explizit benannt wurden. „Das Wasser
hilft dem Holzklotz, oben zu bleiben. Es nutzt seine
unsichtbaren Kräfte.“ Einer der Referendare schrieb:
„Ich habe die Kinder gefragt, ob sie wissen, warum
der Wasserspiegel steigt, sobald wir den Ballon nach
unten drücken. Jon sagte einfach nur: ‚Das Wasser
stieg immer weiter‘. ‚Vielleicht weiß ich, warum!‘,
warf Kristin ein, ‚das passiert, weil der Ballon das
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Folgende Reflektion eines Referendars über die
Gedanken der Kinder gibt vielleicht einen guten
Einblick in das Lernergebnis: „Die Kinder haben die
Erfahrung gemacht, wie toll es ist, wenn man sich
selbst von etwas überzeugt hat. Außerdem erfuhren
sie viel über den Zusammenhang zwischen schweren
und leichten Gegenständen und deren Verhalten
im Wasser. Sie lernten auch, dass das Gewicht allein
nicht ausschlaggebend dafür ist, ob ein Gegenstand
schwimmt oder nicht, und machten sich die Form
der Gegenstände bewusst. Einige große Gegenstände waren zwar schwer, konnten aber dennoch
schwimmen. Auch wenn die Kinder falsche Hypothesen aufstellten, so hatten sie Freude daran, ihre
Annahme mit eigenen Worten und neu gelernten
Ausdrücken über die Schwimmfähigkeit von Gegenständen zu formulieren.“ (Sortland, 2012)
Wasser verdrängt!‘“ „Als der Ballon in das Wasser
gedrückt wurde“, schrieb die Lehrkraft, „erkannten
die Kinder die Kraft des Wassers, den Ball oben zu
halten (Auftrieb).“ Der Begriff der Dichte kam im
Laufe des Versuchs ebenfalls zur Sprache. In dem Zusammenhang verwendeten die Kinder die folgenden
Ausdrücke:
•
•
Viel/wenig Luft im Gegenstand: „Ein Stück
Holz kann schwimmen, weil es ganz viel Luft
enthält.“
Der Gegenstand ist leichter/schwerer als Wasser: „Die Prinzessinnenpuppe ist schwerer als
Wasser.“
Autor:
Maria I.M. Febri, Sør-Trøndelag University College (HiST), Trondheim, Norwegen
Quelle: Leif Wedøe in L. Wedøe (2005). Fysikkaktiviteter i barnehage og småskole. Cappelen Forlag, Oslo, 45-54.
Die Zitate im Abschnitt „Erfahrungen aus dem Unterricht“ stammen aus einem Vortrag von Merete Ø. Sortland:
‘Naturfagomgrep i barnehagen – NatGrep’, gehalten im Rahmen des National Seminar for Science Teacher Educators
in Hell, Norwegen, am 16.11.2012.
Fotos:
Maria I.M. Febri (Verschiedene Gegenstände), Wibeche Anita Døvik (Wird die Kartoffel schwimmen?), Nina Haug
Saltnes (Ins Wasser gedrückter Ballon)
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/physik/211-schwimmer-odernichtschwimmer
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Naturwissenschaften Alter: 4-9 Jahre
Naturwissenschaften Alter: 4-9 Jahre
Bei der Bewältigung der Aufgabe durften die Kinder
selbst entscheiden, wie sie die Tipps der Lehrkraft
(in Form vorsichtig lenkender Fragen) aufgreifen
wollten. Einige Kinder fingen an, Nägel an einem
Styroporball zu befestigen. Sortland berichtete, dass
die Kinder auf folgende Frage neugierig reagierten:
„Was glaubt ihr wird mit dem Ball passieren? Wird
er mit vielen Nägeln immer noch schwimmen?“
(Sortland, 2012). Die Frage motivierte die SchülerInnen, selbständig weiter zu experimentieren und
herauszufinden, ab wie vielen Nägeln der Ball sinken
würde.
Schwimmer oder Nichtschwimmer? (N 4-9)
Tierspuren (N 4-9 oder 10-14)
Tierspuren
Diese Aufgabe fördert sowohl die Kreativität als auch
die Fähigkeit, Beobachtetes zu interpretieren. Ziel ist
es, an das Umweltwissen der SchülerInnen anzuknüpfen und zur Nahrungskette überzuleiten. Die Aufgabe
hat nicht nur eine richtige Lösung, sondern ganz
unterschiedliche. Die Ideen und Vermutungen der
SchülerInnen stellen einen guten Ausgangspunkt für
das Argumentieren und Diskutieren dar.
Zeitbedarf: eine Unterrichtsstunde
Ziel dieser Aufgabe ist es, die Beobachtungs-,
Interpretations- und Argumentationsfähigkeit der
SchülerInnen zu stärken. Die SchülerInnen werden
aufgefordert, Vermutungen zu formulieren, was es
mit den Spuren auf sich hat. Die Aufgabe unterstützt
das forschende Lernen, weil sie Aspekte wie das
Erklären, Bewerten und Kommunizieren von Ergebnissen aufgreift. Gleichzeitig wird die Grundlage für
das Verständnis von Zusammenhängen in der Umwelt
und Wissen über verschiedene Tierarten, Spuren,
Nahrungsketten und den natürlichen Wettkampf
geschaffen. Häufig finden auch ältere Kinder diese
Themen interessant.
Je nach Alter und Reife der SchülerInnen werden sie
vermutlich unterschiedliche Erklärungen vorschlagen. Die SchülerInnen sollten ausreichend Zeit zur
Verfügung haben, sich mit der Aufgabe auseinanderzusetzen und Argumente für ihre Vermutungen
vorzubringen.
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Was ist hier passiert? Wie
viele Tiere waren hier? Was
haben sie gemacht? Welche
Tiere waren es? Waren sie
alle gleichzeitig hier?
Als Lehrkräfte spielen wir bei dieser Aufgabe eine
besonders wichtige unterstützende Rolle, denn wir
müssen die SchülerInnen dazu animieren, selbständig
Überlegungen anzustellen, selbständig Fragen zu formulieren und eigene Antworten auf diese Fragen zu
finden. Wir sollten die SchülerInnen ermutigen, laut
zu denken und zu argumentieren. Außerdem sollten
wir genau nachfragen und Beispiele bereithalten,
falls sie nicht mehr weiter wissen. Wir unterstützen
die SchülerInnen dabei, auf einer höheren Ebene zu
denken als bisher.
Erfahrungen aus dem Unterricht
Diese Aufgabe wurde von Referendaren mit einer
Gruppe von Zwölfjährigen bearbeitet. Die SchülerInnen stellten viele gute Vermutungen auf, was möglicherweise passiert war. Die Tatsache, dass es nicht
nur eine richtige Antwort gab, war allerdings gar nicht
so einfach zu vermitteln. Nach der Unterrichtsstunde
sollten die Referendare von ihren Erfahrungen mit
dieser Art von Aufgabe und dem forschenden Ansatz
berichten. Hier einige Antworten:
„Ich denke, diese Aufgaben kommen bei den SchülerInnen gut an. Außerdem müssen sie ihr Wissen hier
auf eine neue, ungewohnte Weise einsetzen. Ich habe
den Eindruck, dass die SchülerInnen diese Vorgehensweise als sehr motivierend empfunden haben.“
„Es ist wichtig, gut auf die zahlreichen neugierigen
Fragen vorbereitet zu sein. Ich habe gemerkt, dass
man die SchülerInnen mit dieser Art von Unterricht
wirklich faszinieren kann. Die Kinder finden die Aufgabe unterhaltsam, eignen sich neues Wissen an und
ganz nebenbei wird auch noch ihr Interesse an den
Naturwissenschaften gefördert.“
„Ich habe gesehen, dass forschendes Lernen bei den
SchülerInnen sehr gut ankommt und es in der Umsetzung gar nicht so schwierig ist. Es entsteht ein konstruktiver Dialog mit den SchülerInnen und es macht
Spaß, ihre Ideen und Erklärungen zu hören.“
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Naturwissenschaften ∙ Alter: 4–9 oder 10–14
Naturwissenschaften ∙ Alter: 4–9 oder 10–14
Didaktisch-methodische Ideen
Tierspuren (N 4-9 oder 10-14)
Tierspuren (N 4-9 oder 10-14)
„Ich habe gelernt, dass man die Kinder aktiv am Unterricht teilnehmen lassen und ihnen die Möglichkeit
geben sollte, die Dinge in eigenen Worten zu erklären.
Wenn wir es schaffen, bei den SchülerInnen Neugier
und Staunen hervorzurufen, können wir aus dem
Unterricht viel mehr machen.“
Geometrie mit Papierstreifen (M 4-9 oder 10-14 )
Geometrie mit Papierstreifen
Bei dieser Aufgabe geht es darum, verschiedene geometrische Formen zu erforschen. Die SchülerInnen
legen zwei Papierstreifen übereinander und betrachten die Formen, die sich durch die Überschneidung
ergeben.
Experimentell erzeugen die SchülerInnen verschiedene geometrische Formen und untersuchen ihre Eigenschaften wie z. B. die mögliche Parallelität zweier
Seiten, Eigenschaften der Diagonalen und Zusammenhänge zwischen Seitenlängen oder Winkelgrößen.
Didaktisch-methodische Ideen
Diese Unterrichtseinheit eignet sich für die Grundschule und je nach Komplexität der angesprochenen
Lehrplaninhalte auch für die Sekundarstufe I. Die
SchülerInnen lernen die Eigenschaften verschiedener
Arten von Vierecken kennen und stellen Zusammenhänge zwischen ihnen her. (Vgl. Fortbildungsmodul
3: Inhalte forschend lernen.)
Autoren: Eli Munkebye und Ragnhild Lyngved, Sør-Trøndelag University College (HiST), Trondheim, Norwegen Angeregt durch http://www.pbs.org/wgbh/nova/education/activities/2117_ash_01.html
Fotos:
Anja Strasek (Desierto de Tabernas bei Almería, Andalusien, Spanien)
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/biologie/212-tierspuren
22 |
Wenn die ersten Ergebnisse vorliegen oder wenn Sie
von Anfang an strukturierter vorgehen möchten, können Sie den SchülerInnen vorbereitete Papierstreifen
geben und ihnen bestimmte Fragen stellen.
Es ist
wichtig, dass die SchülerInnen während der gesamten Dauer der Stunde zwei zentrale Dinge im Auge
behalten: (1) die Eigenschaften der Streifen (parallele
Seiten oder nicht) und (2) den Winkel, in dem sie
übereinandergelegt werden. Je nach Winkel und je
nachdem, ob die längeren Seiten der Papierstreifen
parallel sind oder nicht, entstehen unterschiedliche
Arten von Vierecken. Fortgeschrittene können auch
Drei- und Fünfecke bilden, wenn sie die Streifen entsprechend übereinanderlegen.
Wenn Sie die Unterrichtseinheit sehr offen gestalten
möchten, können die SchülerInnen ihre eigenen Papierstreifen ausschneiden, experimentieren, Fragen
stellen, Hypothesen formulieren und Schlussfolgerungen ziehen. Dabei werden Fragen aufkommen wie:
Was passiert, wenn ich zwei rechteckige Streifen mit
der gleichen (oder unterschiedlicher) Breite übereinanderlege? Wie bastelt man daraus einen Drachen?
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Mathematik ∙ Alter: 4-9 oder 10-14
Naturwissenschaften ∙ Alter: 4–9 oder 10–14
Zeitbedarf: ungefähr zwei Unterrichtsstunden
Entstehen eigentlich immer nur Vierecke oder sind
auch Dreiecke (oder Fünfecke) möglich? (siehe Fortbildungsmodul 1: Forschungsfragen entwickeln.)
Geometrie mit Papierstreifen (M 4-9 oder 10-14 )
Am Ende der Stunde können die SchülerInnen die
Eigenschaften der Papierstreifen und den Winkel,
in dem sie übereinandergelegt werden, zur Form
der entstehenden Schnittfigur in Beziehung setzen
und so mögliche Definitionen von Parallelogramm,
Trapez und symmetrischem Trapez erschließen.
Die
Unterrichtseinheit kann auf unterschiedliche Weise
erweitert werden. Hier einige Beispiele:
Schnell merkten die SchülerInnen, dass sie damit
Quadrate bilden konnten und einige entdeckten, dass
sich so auch Rauten bilden lassen. Der Lehrer bat
die Kinder, in Gruppen zusammenzuarbeiten und zu
überlegen, welche Eigenschaften die Streifen haben
mussten, damit ein Quadrat entsteht. Nach einigen
Überlegungen nannten sie drei Eigenschaften, die auf
der Tafel festgehalten wurden: (1) parallele Seiten,
(2) gleiche Breite und (3) senkrechter Winkel beim
Übereinanderlegen.
Erfahrungen aus dem Unterricht
Diese Aufgabe wurde mit Viertklässlern einer Grundschule in Atarfe (Granada, Spanien) durchgeführt.
Der Lehrer gab an, dass die SchülerInnen schon mit
Vielecken, Vierecken und Parallelogrammen zu tun
hatten. Deshalb schien die Aufgabe keine große Herausforderung zu sein.
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Jetzt wussten die SchülerInnen, wie das Spiel funktionierte und wonach zu suchen war, so dass sie zu
weiterer Erforschung übergehen konnten:
Könnt ihr andere Formen finden? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit
eine bestimmte Form entsteht? Notiert die
Formen, die ihr findet, zusammen mit den
Bedingungen in euren Heften.
Dennoch dachte er, es sei einen Versuch wert. Der
Lehrer stellte das nötige Material bereit: Transparentpapier mit unterschiedlicher Linierung sowie Scheren.
Die SchülerInnen sollten Papierstreifen mit parallelen Längsseiten und unterschiedlicher Breite sowie
Streifen mit nicht parallelen Längsseiten zurechtschneiden. Anschließend hatten die SchülerInnen
Gelegenheit damit zu spielen und ihnen fielen sofort
einige Dinge auf.
Um sicherzugehen, dass die SchülerInnen die Aufgabe
richtig verstanden hatten, bat der Lehrer sie, zwei
Streifen mit parallelen Seiten und derselben Breite
übereinanderzulegen.
Die SchülerInnen arbeiteten in Dreier- oder Vierergruppen und der Lehrer ging von Gruppe zu Gruppe,
um den SchülerInnen bei Bedarf durch geschickte Fragen auf die Sprünge zu helfen. Nach kurzer Zeit traten
erste Schwierigkeiten auf. Die SchülerInnen fanden
es einfach, Rechtecke zu bilden und die Bedingungen
für Rechtecke zu nennen; die Bildung von Rauten,
Parallelogrammen, Trapezen oder symmetrischen
Trapezen sorgte jedoch für Verwirrung. Manche
SchülerInnen versuchten sich an einem Schaubild
verschiedener Vierecke an der Wand zu orientieren,
aber die schematische Darstellung der Viereckarten
bot wenig Hilfestellung.
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Mathematik ∙ Alter: 4-9 oder 10-14
Mathematik ∙ Alter: 4-9 oder 10-14
1. Verlorene Papierstreifen: Die SchülerInnen
erzeugen eine Form durch Übereinanderlegen
zweier Papierstreifen und scheiden diese mit
einer Schere aus. Dann tauschen sie die ausgeschnittenen Formen untereinander aus und
bearbeiten den Auftrag: Dein(e) Mitschüler(in)
hat mit zwei Papierstreifen diese Form erzeugt,
aber die Papierstreifen verloren. Kannst du die
verwendeten Streifen nochmals ausschneiden?
2. Flächeninhalt: Lege zwei Papierstreifen so
übereinander, dass die entstehende Form den
größtmöglichen (kleinstmöglichen) Flächeninhalt hat.
3. Verdeckte Formen: Durch das Übereinanderlegen von Papierstreifen sind verschiedene
Formen entstanden, aber ein Teil der Form ist
jeweils verdeckt. Kannst du uns dabei helfen
herauszufinden, wie die Form jeweils aussieht?
Geometrie mit Papierstreifen (M 4-9 oder 10-14 )
Geometrie mit Papierstreifen (M 4-9 oder 10-14 )
Nach der Erforschungsphase bat der Lehrer die
SchülerInnen, den anderen von ihren Ergebnissen zu
berichten. Die SchülerInnen sollten erklären, welche
Formen sie erkannt hatten und welche Bedingungen
dafür gegeben sein müssten, was zu einer höchst interessanten Diskussion über verschiedene Arten von
Vierecken und deren Eigenschaften führte.
In der nächsten Stunde arbeiteten die SchülerInnen
in Gruppen an einem großen Plakat. Ziel war es, die
Ergebnisse strukturiert darzustellen.
Der Riesenstuhl
Große Stühle werden gerne als Werbeträger vor
Möbelhäusern verwendet. Mit einem solchen Objekt
lässt sich im Unterricht jede Menge Mathematik machen. Die Unterrichtsstunde fängt mit den Fragen der
SchülerInnen an: “Wie groß ist der Mensch, der auf
diesem Stuhl Platz nimmt?”, “Wie viele normale Stühle passen auf die große Sitzfläche?”, ... Die verschiedenen Fragen werden in Gruppen bearbeitet und von
den SchülerInnen gegenseitig korrigiert.
Zeitbedarf: ungefähr vier Unterrichtsstunden
Didaktischmethodische
Ideen
Bei der Aufgabe handelt
es sich um eine klassische
Modellierungsaufgabe. Als
Unterrichtseinstieg eignet
sich ein Bild mit einem
Menschen neben dem Riesenstuhl zum Größenvergleich. In einer ersten Phase werden mathematische
Fragen mit der Methode Ich-Du-Wir gesammelt. In
Gruppen von drei bis vier Personen erarbeiten die
Schülerinnen und Schüler Lösungen zu ihren Fragen.
Anhand des Bildes können sie einen Maßstab bestimmen und damit Größenverhältnisse berechnen.
Weitere Informationen sind aus dem Alltagswissen
zu entnehmen oder können im Internet recherchiert
werden. Die Ergebnisse und Rechenwege werden
schließlich auf Postern festgehalten. Die Präsentation
erfolgt im Rahmen eines Galeriespaziergangs mit
Fremd- und Selbstbewertung durch die Schüler.
Autoren:
José Manuel Escobero und Fco. Javier García, Universität von Jaén, Spanien
Fotos:
Fco. Javier García
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/213-geometriemit-papierstreifen
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Mathematik ∙ Alter: 6-9 oder 10-14
Mathematik ∙ Alter: 4-9 oder 10-14
Während der Bearbeitung der Aufgabe erkannten
wir, dass der Kenntnisstand der SchülerInnen über die
geometrischen Formen zu Beginn doch niedriger als
erwartet war. Durch den Forschungsprozess gelang es
ihnen, ein deutlich besseres Verständnis aufzubauen,
Zusammenhänge herzustellen und neue Definitionen
zu erarbeiten.
Der Riesenstuhl (M 6-9 oder 10-14)
Der Riesenstuhl (M 6-9 oder 10-14)
Der Riesenstuhl (M 6-9 oder 10-14)
Erfahrungen aus dem Unterricht
Bericht der Klasse in der Schulzeitschrift:
“Unser Mathelehrer hat uns in der ersten Stunde nach
den Ferien vom neuen Möbelhaus in Freiburg erzählt.
Begeistert war er vor allem vom riesigen roten Stuhl
auf dem Parkplatz (typisch Mathelehrer!). Deshalb hat
er sich gleich davor fotografieren lassen und uns das
Bild in die Schule mitgebracht. Wie winzig der große
Lehrer vor diesem Mammutstuhl wirkte! Mit Hilfe des
Bildes haben wir uns verschiedene mathematische
Fragen zum Stuhl ausgedacht und diese an der Tafel
gesammelt.
Zum Bestimmen der Lösung haben wir ausführlich
gerechnet, logisch begründet und viel über unseren
Rechenweg mit anderen Gruppen diskutiert. Die Rechenschritte und die Antwort zu unserer Frage haben
wir schließlich auf einem Lösungsblatt aufgeschrieben.
Das war ganz schön viel Arbeit! Unseren fertigen
Sammelband: „Mathematik rund um den Riesenstuhl“
haben wir schließlich an das Möbelhaus geschickt und
wurden vom Geschäftsleiter prompt zum Mittagessen eingeladen.” (Klasse 8a, Friedrich-Gymnasium
Freiburg)
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Autor und Fotos:
Patrick Bronner, Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland
Quellen:
Katja Maaß, PRIMAS Workbook: You need maths in life. Heurekas word problems for children ages 8-10, Freiburg
2011, p. 13; Friedrich-Gymnasium Freiburg, Jahresbericht 2012/2013
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/191-mathe-rundum-den-xxl-stuhl
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Mathematik ∙ Alter: 6-9 oder 10-14
Mathematik ∙ Alter: 6-9 oder 10-14
Wir wurden schließlich in Gruppen aufgeteilt und jede
Gruppe hat sich eine Frage zum Riesenstuhl herausgesucht. Danach wurde es richtig schwierig: Die Frage
musste beantwortet werden! Als Maßstab hatten wir
nur das Bild mit dem Mathelehrer vor dem roten Stuhl.
Weitere Informationen besorgten wir uns im Internet.
Tiere auf dem Bauernhof (M/N 6-9)
Tiere auf dem Bauernhof (M/N 6-9)
Tiere auf dem Bauernhof
bestimmte Farbe festlegen (z. B. Huhn – grün, Kuh/
Rind – blau, Schwein – orange). Dann werden die
SchülerInnen gebeten, die entsprechende Anzahl
von Zellen (eine Zelle pro konsumiertem Produkt)
auf einem Vordruck in der entsprechenden Farbe
auszumalen. Danach schneiden sie die Zellen aus und
stecken oder kleben sie auf das Balkendiagramm, das
am Ende den Gesamtkonsum der Klasse darstellt. Für
diese Methode der Datenaufbereitung ist es nicht
erforderlich, dass die SchülerInnen den Zehnerübergang beherrschen, denn in der Regel konsumieren sie
das gleiche Produkt innerhalb einer Woche nicht öfter
als sieben Mal.
Vieles, was wir essen und trinken, ist tierischen
Ursprungs: Würstchen, Schinken, Eier, Butter, Milch
usw. Welche Lebensmittel stammen von welchen Tieren? Welche Rolle spielen diese Produkte in unserer
Ernährung?
Zeitbedarf: zwei Unterrichtsstunden (mit einer
Woche Pause zwischen den Stunden)
Die Möglichkeiten, Tiere vom Bauernhof aus nächster
Nähe zu erleben, sind für die meisten SchülerInnen,
die in großen Städten leben, begrenzt. Manchmal
kennen „Stadtkinder“ die Tiere nur aus Büchern,
von Fotos oder aus dem Fernsehen. Hin und wieder
haben sie vielleicht Gelegenheit, lebende Tiere in
einem Zoo oder auf einem Bauernhof zu sehen. Dabei
sind die Erzeugnisse dieser Tiere fester Bestandteil
unseres Alltags.
Stundenverlaufsplan
Bei dieser Aufgabe bekommen die SchülerInnen die
Möglichkeit, erste Erfahrungen mit dem Sammeln
von Daten, systematischer Beobachtung und der
Vorstellung ihrer Beobachtungsergebnisse zu gewinnen. Sie lernen in Gruppen zusammenarbeiten, die
Meinung anderer zu respektieren und gemeinsam
zu einer Schlussfolgerung zu gelangen. Sie erfahren,
wo die Bestandteile unseres Essens herkommen, wie
man Daten darstellen kann und wie man Tabellen und
Balkendiagramme liest (üblicherweise die allererste
Form der Datendarstellung, mit der SchülerInnen
dieser Altersgruppe in Kontakt kommen).
In der ersten Stunde geht es um die Klassifizierung
verschiedener Lebensmittel nach dem Tier, von dem
sie stammen. Die Lehrkräfte bringen Lebensmittel
(die Unterrichtsstunde kann mit einem gemeinsamen
Frühstück in der Klasse verbunden werden) und/
oder Fotos von Eiern, Milch, anderen Milchprodukten
(Käse, Joghurt und Butter) und Fleisch (Schinken, Salami usw.) mit und bitten die SchülerInnen, zu jedem
Tier und den entsprechenden Produkten ein Plakat
zu gestalten. Als Informationsquellen sind sowohl
Gespräche untereinander als auch Bücher und das
Internet möglich. Am Ende der Stunde stellen
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die SchülerInnen ihr Plakat vor. Die Gestaltung der
Plakate führt normalerweise zu einer systematischeren Betrachtung des Inhalts. Als Hausaufgabe
sollen die SchülerInnen genau darauf achten und
festhalten, welche Lebensmittel tierischen Ursprungs
sie in der nächsten Woche essen oder trinken. Dabei
entscheiden die SchülerInnen selbst, wie sie diese
Informationen festhalten. Einige erstellen vielleicht
eine Liste mit Produkten in chronologischer Reihenfolge und präsentieren eine „Tabelle mit Rohdaten“.
Andere zeichnen vielleicht eine Tabelle mit einer
Zeile pro Tier und machen jedes Mal ein Kreuzchen,
wenn sie ein Produkt des entsprechenden Tieres zu
sich nehmen. Wieder andere verwenden Farben oder
Symbole.
Zu Beginn der zweiten Stunde (eine Woche später)
stellen die SchülerInnen ihre Daten vor und die verschiedenen Erfassungsmethoden werden betrachtet. Im nächsten Schritt sollen die Daten sämtlicher
SchülerInnen zusammengeführt und gemeinsam
dargestellt werden. An dieser Stelle kann man das
Balkendiagramm einführen und für jedes Tier eine
Nach Vervollständigung des Balkendiagramms können die SchülerInnen es genau betrachten und ablesen, welches Produkt am seltensten (oder häufigsten)
konsumiert wurde, welches Tier die größte Rolle bei
der Ernährung spielte usw. Außerdem können weitere
Balkendiagramme (z. B. nur für Fleisch oder für alle
Produkte zusammen) erstellt werden.
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Mathematik / Naturwissenschaften ∙ Alter: 6-9
Mathematik / Naturwissenschaften ∙ Alter: 6-9
Didaktisch-methodische Ideen
Tiere auf dem Bauernhof (M/N 6-9)
Erfahrungen aus dem Unterricht
Die Lehrkraft fand es interessant, die SchülerInnen bei
ihrer ersten Projektarbeit in Gruppen zu beobachten.
Jedem Kind wurde innerhalb seiner Gruppe eine bestimmte Funktion zugewiesen. Allerdings waren nicht
alle Kinder in der Lage, ihre Funktion durchgehend zu
erfüllen, was mit ihrem Alter und ihrer mangelnden
Erfahrung mit Gruppenarbeit zu erklären ist. Manche
SchülerInnen hatten am Anfang Schwierigkeiten mit
dem Verständnis und der systematischen Herangehensweise an die Aufgabe. Am Ende aber gelangten
alle Gruppen zu einem gemeinsamen Ergebnis. Für
die SchülerInnen war die Aufgabe ein gelungener
Einstieg und eine erste Erfahrung mit der Erfassung
und Darstellung von Daten mithilfe von Tabellen und
Balkendiagrammen.
Autoren:
Dana Strejčková, Janka Melušová, Philosoph-Konstantin-Universität, Nitra, Slowakei
Fotos:
Dana Strejčková (Klasse), Ernst Vikne (Foto der Kuh)
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/biologie/214-tiereauf-dem-bauernhof
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Wasserversorgung
Zeitbedarf: vier Unterrichtsstunden
Didaktisch-methodische Ideen
Bei dieser Aufgabe geht es um die Wasserknappheit,
ein ernst zu nehmendes Problem für viele Länder
Europas und der ganzen Welt. Im Jahr 2025 wird
voraussichtlich die Hälfte der Weltbevölkerung mit
Wassermangel konfrontiert sein.
Diese Aufgabe ist angelegt auf vier Unterrichtsstunden zu je 40 Minuten. In der ersten Stunde lesen
die SchülerInnen Zeitungsartikel zum Thema Wasserknappheit, arbeiten Hintergrundinformationen
heraus und beantworten Fragen zum Leseverständnis. Bei Bedarf können Hintergrundinformationen
und Fragen an die Lesekompetenz der SchülerInnen
angepasst werden. An dieser Stelle kann auch Google
Earth eingeführt werden, so dass es in den weiteren
Unterrichtsstunden als zusätzliches Hilfsmittel zur
Verfügung steht. In den folgenden drei Unterrichtsstunden geht es um das mathematische Modellieren,
um die Lösung des Problems und das Festhalten von
Ergebnissen. Die Aufgabe ist für die Arbeit in Dreieroder Vierergruppen konzipiert. Zur Dokumentation
der Ergebnisse eignet sich zum Beispiel die Form
eines Briefes, den jeder Schüler und jede Schülerin
schreibt. An den Briefen können wir erkennen, wie
die einzelnen SchülerInnen das Problem im Sachzusammenhang verstanden haben und wie ihr Weg zu
einer Lösung aussieht.
Die SchülerInnen haben im Rahmen dieser Aufgabe
die Gelegenheit, sich mit Messen, Größen und einfacher Statistik zu beschäftigen. Außerdem können sie
ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse zum Thema
Wasser und Überlegungen zum Umweltschutz in den
Lösungsweg mit einfließen lassen.
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Mathematik ∙ Alter: 6-9 oder 10-14
Mathematik / Naturwissenschaften ∙ Alter: 6-9
Diese Aufgabe wurde mit Erstklässlern einer Grundschule durchgeführt. Es war das erste Mal, dass die
SchülerInnen ein Plakat gestalten, gemeinsam an
einem Projekt arbeiten und in der Gruppe arbeiten
sollten. Die SchülerInnen zeigten großes Interesse an
der Aufgabenstellung. Das erste Balkendiagramm zu
lesen fiel ihnen ziemlich leicht und die SchülerInnen
verstanden das Prinzip sehr schnell.
Wasserversorgung (M/N 6-9 oder 10-14)
Wasserversorgung (M/N 6-9 oder 10-14)
Wasserimport
Letzte Woche wurde allen Bewohnern Zyperns
ein offizielles Schreiben zur Wassereinsparung
zugestellt. Darin sprach der Leiter des zypriotischen Wasserausschusses die Abhängigkeit der
Insel von Meerwasserentsalzungsanlagen an
und erklärte Folgendes: „Wir entsalzen nicht
einfach, ohne die Konsequenzen in Betracht zu
ziehen. Es handelt sich um einen energieintensiven Prozess, der Treibhausgase produziert,
für die Zypern finanziell abgestraft wird“.
Zypriotische Regierungsvertreter beschlossen
kürzlich, einen Vertrag mit einem Nachbarland
zu unterzeichnen, nach dem ab Ende Juni zwölf
Millionen Kubikmeter Trinkwasser nach Zypern
importiert werden sollen.
Erfahrungen aus dem Unterricht
Bei der Durchführung der Aufgabe mit Neunjährigen
haben die SchülerInnen eine Reihe interessanter
Modelle entworfen. Sie setzten sich intensiv mit
dem Problem der Wasserknappheit auseinander und
haben seine Bedeutung richtig erkannt.
Die Arbeit mit Computern und vor allem mit Google
Earth machte ihnen Spaß. Viele Gruppen verwendeten zur Erkundung der Nachbarländer und deren
Landschaftsprofil Computerprogramme. Sie fügten
Ortsmarkierungen ein und verwendeten zur Be-
rechnung von Entfernungen das „Lineal“. In vielen
Gruppen sprachen die Lehrkraft und die SchülerInnen darüber, was ein Kilometer ist und in welchem
Verhältnis er zu anderen Maßeinheiten steht. In
einigen Gruppen sprachen die SchülerInnen über Ölund Wasserpreise. Die verfügbaren Daten wurden in
vielen Gruppen allerdings nicht optimal genutzt. Als
Grundlage für die endgültige Auswahl (Libanon) verwendeten sie zwar teilweise die verfügbaren Daten
und ihre Berechnungen, lieferten aber selten eine
komplette Lösung.
Im folgenden Abschnitt wird der Einsatz der Aufgabe
in einer Grundschule beschrieben. Normalerweise
denken die SchülerInnen in diesem Alter (6-9) eher
„eindimensional“, halten z. B. das Land mit dem niedrigsten Wasserpreis oder das Land, das am nächsten
liegt, für das beste. Als Lehrkräfte müssen wir die
SchülerInnen zur Berücksichtigung aller verfügbaren
Daten anregen. Wichtig ist die Formulierung der
Ergebnisse, wenn möglich schriftlich, auf jeden Fall
aber mündlich.
Die SchülerInnen können diese Aufgabe zu dritt oder
viert bearbeiten. Zuvor können wir mit der ganzen
Klasse qualitative und quantitative Informationen
aus dem Text herausarbeiten und diskutieren, wie
qualitative Angaben (z. B. die Beschaffenheit der
Hafenanlagen) in die Überlegungen einbezogen werden können. Wir können ebenfalls diskutieren, wie
verschiedene Variablen (z. B. die Entfernung zwischen
Ländern, der Wasserpreis) zusammen betrachtet
und gewichtet werden können. Auch Konzepte wie
Spannweite oder Mittelwerte (z. B. Mittelwerte der
einzelnen Variablen) können inhaltlich in die Diskussion einfließen.
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Mathematik ∙ Alter: 6-9 oder 10-14
Mathematik ∙ Alter: 6-9 oder 10-14
Was denkt ihr? Aus welchem Land importiert
Zypern wohl sein Wasser? Was vermutet ihr
und warum?
Danach können die SchülerInnen in Gruppenarbeit
anfangen zu planen, wie sich der optimale Wasserlieferant Zyperns am besten ermitteln lässt. Nach der
Lösung der Aufgabe verfassen die SchülerInnen einen
Brief, in dem sie ihren Lösungsweg erklären. Oder
sie gestalten ein Plakat, auf dem sie ihre Ergebnisse
erläutern und dokumentieren. Während die SchülerInnen tüfteln, können die LehrerInnen in die Gruppen gehen und die SchülerInnen dazu anregen, die
Aufgabe vielschichtiger zu betrachten. Die Aufgabe
eignet sich sowohl für die Grundschule als auch für
die Sekundarstufe. Die Komplexität der Fragen und
Lösungswege hängt von dem Alter und den Fähigkeiten der SchülerInnen ab.
Wasserversorgung (M/N 6-9 oder 10-14)
Ein Morgen im Zeichen der Mathematik (M 10-14)
Natürlich waren auch nicht alle Lösungsansätze erfolgreich. Zwei Gruppen rechneten einfach darauf los
und griffen dabei nur teilweise auf die verfügbaren
Daten zurück. Eine Gruppe kam zu dem Schluss, dass
der Import aus Griechenland aufgrund des niedrigen
Wasserpreises die beste Lösung wäre.
Ein Morgen im Zeichen
der Mathematik
Im Gegensatz dazu erstellten die SchülerInnen zweier
Gruppen für jede Variable (Entfernung, Ölpreis) eine
Rangliste der Länder und bestimmten ihre endgültige
Lösung anhand einer mehr oder weniger intuitiven
Kombination dieser beiden Variablen. So schlugen sie
den Wasserimport aus dem Libanon vor und begründeten ihre Wahl damit, dass die Entfernung zwischen
dem Libanon und Zypern die kürzeste ist (das Land
stand auf der Rangliste der Variable „Entfernung“ auf
Platz eins) und dass der Ölpreis nicht sehr hoch ist
(wenn auch laut Rangliste nicht der günstigste) – eine
ziemlich raffinierte Lösung.
“Was für ein wunderschöner Morgen – und wie viel
Mathematik da schon wieder drinsteckt!” Diese Begrüßung einer Klasse kann der Beginn einer mathematischen Aufgabe zum forschenden Lernen sein. Die
Schüler sollen zunächst eigene Fragen sammeln, die
ihnen zu ihrem typischen Morgen einfallen:
“Wie viel Liter und was trinke ich / die Klasse / die
Schule jeden Morgen zum Frühstück?”, “Wie viel
Zahnpasta verbrauche ich in meinem Leben?” Die
verschiedenen Fragen sollen in der Klasse notiert,
überprüft und verbessert und dann in kleinen Gruppen bearbeitet werden. Die Ergebnisse werden auf
A3-Plakaten vorgestellt.
Zeitbedarf: Die Aufgabe wurde sowohl für eine
45-minütige Unterrichtsstunde als auch für eine
Unterrichtsreihe von vier bis sechs Unterrichtsstunden verwendet.
Didaktisch-methodische Ideen
Autor:
Nicholas G. Mousoulides, Technische Universität Zypern
Fotos:
Nicholas G. Mousoulides
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/215wasserversorgung
36 |
Die wahrscheinlich schwierigste und interessanteste Phase im Forschungskreislauf ist die Suche nach
Problemstellungen des Alltags, die im Rahmen des
Unterrichts beleuchtet und gelöst werden können.
Dabei sollen die SchülerInnen angeregt werden, Frage- und Problemstellungen zu finden, die sie bislang
noch nicht als eine mathematische Aufgabe gesehen
hatten. Wertvolle Anregungen zu dieser Arbeitsphase
finden Sie im Fortbildungsmodul 1: Forschungsfragen entwickeln.
Da es bei dieser Aufgabe hauptsächlich darum geht,
Fragen zu stellen, hängt der Erfolg nicht vom mathematischen Vorwissen der SchülerInnen ab. Die SchülerInnen können einzeln, in Zweier- oder größeren
Gruppen (zusammen) arbeiten. Sie bekommen durch
die Aufgabe Gelegenheit, kreativ zu werden bzw.
zu zeigen, wie sie ihre Kenntnisse in verschiedenen
mathematischen Bereichen auf alltägliche Situationen
anwenden können.
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Mathematik ∙ Alter: 10-14
Mathematik ∙ Alter: 6-9 oder 10-14
Wasserversorgung (M/N 6-9 oder 10-14)
Ein Morgen im Zeichen der Mathematik (M 10-14)
Der Stundenverlaufsplan könnte fünf Stufen vorsehen:
1. Fragen sammeln
2. Informationen beschaffen und rechnen
3. Poster gestalten
4. Galerie-Spaziergang mit Posterpräsentation
5. Selbst- und Fremdbewertung durch Klassenkameraden und Lehrkraft
Erfahrungen aus dem Unterricht
Um die SchülerInnen zu motivieren, leiten wir die
Unterrichtsstunde etwa so ein:
„Heute machen wir Mathematik mit dem, was ihr aus
eurem täglichen Leben gut kennt. Zunächst schreibt
bitte alles auf, was ihr macht, bevor ihr morgens in die
Schule geht.“
Euch den Schulweg konkret vor?“ oder „Was würde
denn bei einem morgendlichen Stromausfall passieren?“ Wir vermeiden es, die Auswahl und Denkprozesse der SchülerInnen zu beurteilen und versuchen,
verschiedenartige Ansätze und kreatives Denken zu
fördern.
Ein Morgen im Zeichen der Mathematik (M 10-14)
Am Ende der Stunde bzw. am Ende der Unterrichtsreihe (falls die Aufgabe „Ein Morgen im Zeichen der
Mathematik“ der Auftakt zu einer Unterrichtsreihe
ist) stellen die SchülerInnen ihren Klassenkameraden
ihre Fragen und Ergebnisse vor. Außerdem bitten wir
sie, den Lösungsprozess zu reflektieren und fragen
sie nach dem in ihren Augen schwierigsten Schritt.
Hier können Sie einige Kommentare der SchülerInnen
lesen:
•
•
•
•
Die Aufgabe mit der Zahnpasta war total cool!
Jetzt verstehe ich, wie man mithilfe einer Flasche
messen kann, wie viel Wasser innerhalb einer
bestimmten Zeit aus dem Hahn läuft.
Diese Aufgaben waren so interessant!
Können wir ab jetzt alles so lernen?
Die Ideen aus der Partnerarbeit werden an die Tafel
geschrieben. Die Schüler entscheiden gemeinsam, ob
eine Frage als mathematische Frage gilt oder nicht.
Dann teilen sich die SchülerInnen in Gruppen auf und
wählen zwei Fragen von der Tafel, mit denen sie sich
beschäftigen möchten. Wichtig ist, die nötigen Hilfsmittel zur Hand zu haben, die die SchülerInnen beim
Messen und Rechnen eventuell benötigen. Falls die
SchülerInnen nicht gut vorankommen, versuchen wir,
ihnen mit Fragen weiterzuhelfen wie: „Wie stellt ihr
38 |
Autoren:
Morten Blomhøj, Universität Roskilde, Dänemark;
Mikael Skånstrøm, Zoltánné Sápi, Universität Szeged, Ungarn
Unterrichtserfahrungen und Fotos:
Zoltánné Sápi, Ungarn; Patrick Bronner, Deutschland
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/168-mein-mathematischer-morgen
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Mathematik ∙ Alter: 10-14
Mathematik ∙ Alter: 10-14
Dann setzen sich die SchülerInnen in Zweiergruppen
zusammen und überlegen gemeinsam, welche mathematischen Fragen sich aus dieser morgendlichen
Routine ergeben: „Setzt die ‚mathematische Brilleʻ
auf und stellt alle mathematischen Fragen, die euch
einfallen.“
Mehr Kaffee oder mehr Milch? (M 10-14 oder 15-18)
Mehr Kaffee oder mehr Milch?
Wie würde es LehrerInnen und SchülerInnen gefallen,
den morgendlichen Mathematikunterricht mit einer
Tasse Milchkaffee zu beginnen? Da fehlten dann nur
noch die Croissants...
Beim Kaffee-und-Milch-Problem machen sich die
SchülerInnen Gedanken über die Modellierung einer
sehr einfachen, jedoch ebenso kniffligen Situation:
Von zwei identischen Gläsern ist eines mit
Kaffee und eines mit der gleichen Menge an
Milch gefüllt.
Dann nimmt jemand mit demselben Löffel
genau die gleiche Menge aus dem Glas mit der
Kaffee-Milch-Mischung, füllt sie in das Glas mit
Kaffee und vermischt es ebenso.
Welches Glas enthält mehr von der jeweils
anderen Flüssigkeit? Das Kaffeeglas mehr Milch
oder das Milchglas mehr Kaffee?
Zeitbedarf: zwei Unterrichtsstunden
40 |
Didaktisch-methodische Ideen
Anstatt mit Kaffee und Milch kann das Problem auch
mit Wasser und Wein gestellt werden (siehe PRIMASWebsite) oder mit Öl und Essig, denn es handelt sich
um eine sehr offene Aufgabe.
Der mathematische Hintergrund des Problems ist auf
den ersten Blick nicht erkennbar. Die Aufgabe der
SchülerInnen besteht in Hauptsache darin zu entscheiden, welche mathematischen Werkzeuge und
Verfahren zielführend sein könnten (siehe Fortbildungsmodul 2: Unstrukturierte Aufgaben meistern).
Viele SchülerInnen werden zunächst annehmen, dass
mehr Kaffee im Milchglas als Milch im Kaffeeglas ist,
aber diese Meinung wird sich bei näherer Betrachtung und einigen Denkexperimenten sehr schnell
als falsch herausstellen. Das Problem ist geeignet,
um die SchülerInnen in einige grundlegende Fragen
der mathematischen Modellierung einzuführen. Wir
können mit dieser Aufgabe den Perspektivwechsel
von arithmetischem Rechnen zur Algebra anregen
und Schlüsselfragen des mathematischen Beweisens
ansprechen, beispielsweise die Verwendung grafischer Argumente oder den Wert einzelner Beispiele
(z. B. Extremfälle) im Vergleich zu einem allgemeinen
Beweis. Eine Lösung mit Buchstaben und Algebra ist
der allgemeinste Weg, ein Resultat vollständig und
eindeutig zu beweisen. Weit eleganter aber ist ein
knapper Beweis in Gestalt eines Denkexperiments,
ganz ohne Rechnen. Im Rahmen der Diskussion mit
den SchülerInnen können verschiedene mathematische Modelle (graphische, algebraische u.a.) und
Beweise formuliert, erörtert und verglichen werden.
nen einen Brief an einen Freund oder eine Freundin
schreiben, in dem sie versuchen, ihn bzw. sie von
ihrer Lösung zu überzeugen. Einen Brief zu schreiben
ist ein Weg, sich seiner Gedanken klarer bewusst zu
werden und sie zu schärfen. Nach 15-20 Minuten
können die SchülerInnen erneut abstimmen (normalerweise sieht das Ergebnis jetzt anders aus), worauf
eine Diskussionsrunde folgt. Die SchülerInnen werden
gebeten, ihre Argumente und verschiedene Lösungswege vorzutragen, worauf einige MitschülerInnen mit
Gegenargumenten antworten werden. Am Ende der
Stunde sollte die Lehrkraft die Diskussion dahingehend leiten, dass die verschiedenen Lösungsvorschläge der SchülerInnen bewertet und die wichtigsten
Ergebnisse gemeinsam zusammengefasst werden.
Es ist wichtig, dass den SchülerInnen genügend Zeit
gegeben wird, eigene Herangehensweisen zu entwickeln und verschiedene Lösungswege auszuloten; die
algebraische Lösung sollte nicht zu früh angesprochen
werden. So können die SchülerInnen die Beweiskraft
einzelner Lösungswege und den Wert sowie die Vorund Nachteile der zur Auswahl stehenden Herangehensweisen zunächst untereinander besprechen. Die
Aufgabe ist also eine Gelegenheit, wichtige Modellierungs- und Beweisfragen im Mathematikunterricht zu
behandeln.
Erfahrungen aus dem Unterricht
Geben Sie den SchülerInnen anfangs zehn Minuten
Zeit, sich ihre eigene Meinung zu dem erwarteten Ergebnis zu bilden. Dann sollten alle SchülerInnen offen
abstimmen und wir schreiben die Ergebnisse an die
Tafel. Zur Auswahl stehen folgende Antwortmöglichkeiten: „mehr Kaffee“, „mehr Milch“, „andere Lösung“
oder „?“. In der zweiten Phase sollen die SchülerIn-
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Mathematik ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Mathematik ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Jemand nimmt einen Löffel Kaffee aus dem
ersten Glas, füllt ihn in das Glas mit Milch und
vermischt beides.
Mehr Kaffee oder mehr Milch? (M 10-14 oder 15-18)
Mehr Kaffee oder mehr Milch? (M 10-14 oder 15-18)
den, indem der Inhalt des Glases jeweils proportional
reduziert wird. Dieses Verfahren führt zu einem grafischen Beweis auf mehr oder weniger fortgeschrittenem Niveau. Eine formelle Variante eines grafischen
Modells trat in mehreren unserer Experimente zu
Tage. Die SchülerInnen stellten die Flüssigkeit mit
Bällen unterschiedlicher Farbe dar, was das Rechnen
erleichterte.
• Numerische Modelle Die Menge der Flüssigkeit im
Glas und auf dem Löffel kann numerisch ausgedrückt
werden. Die Menge der Flüssigkeit auf dem Löffel
kann ebenfalls durch eine Maßangabe oder aber als
Anteil (bzw. Prozentsatz) angegeben werden. Bei
korrekter Berechnung führen beide Beispiele zur
richtigen Lösung, nämlich, dass die Menge – sowohl
die Menge an Kaffee in der Milch als auch die Menge
an Milch im Kaffee – in beiden Fällen gleich groß ist.
Die Komplexität der Berechnungen in diesem Kontext
könnte zu einer falschen Antwort führen und die
SchülerInnen, die davon überzeugt sind, dass die
Menge an Kaffee in der Milch größer ist als die Menge
an Milch im Kaffee, könnten ihre Berechnungen unbewusst verzerren, um ihr Ergebnis zu beweisen.
• Grafische Modelle Eine andere Möglichkeit ist
es, zwei Gläser zu zeichnen und für jede Phase des
Experiments die darin enthaltene Flüssigkeit abzubil-
42 |
• Modelle mit Buchstaben Algebraische Modelle
können mit numerischen oder grafischen Modellen
kombiniert werden. Einen Gegenstand mit einem
Buchstaben auszudrücken wird häufig als mathematische Kompetenz betrachtet. Die Verwendung
von Buchstaben macht Sinn, wenn diese sich auf die
zunächst unbekannte Menge an Flüssigkeit in dem
Glas oder auf dem Löffel beziehen (die Parameter
der Situation), wobei letztere entweder als absoluter
Wert oder als Anteil angegeben werden kann. Im
Folgenden stellen wir einen kurzen Beweis vor, bei
dem Q die Menge an Kaffee und Milch im Glas vor der
Vermengung und q die Menge der Flüssigkeit auf dem
Löffel darstellt. Die Tabelle enthält die Menge der
jeweiligen Flüssigkeit in den einzelnen Gläsern in den
verschiedenen Phasen des Experiments:
• Extremfälle Ein Extremfall tritt zum Beispiel dann
ein, wenn der Löffel so groß ist wie das Glas und
damit der erste Löffel das Glas mit Kaffee vollständig
entleert. In diesem Fall ist es einfach zu sehen, dass
jedes Glas am Ende zur Hälfte mit Milch und zur Hälfte mit Kaffee gefüllt ist. Umgekehrt könnte man sich
auch vorstellen was passiert, wenn der Löffel leer ist
und damit der Inhalt in den beiden Gläsern unverändert bleibt. Beide Fälle sind unrealistisch, führen
aber ohne langen Rechenweg zur richtigen Lösung.
Die SchülerInnen, die so argumentieren, haben mit
großer Wahrscheinlichkeit ein sehr gutes Verständnis
für mathematische Modellierung.
Milch in Glas A
Kaffee in Glas A
Milch in Glas B
Kaffee in Glas B
Phase 0
0
Q
Q
0
Phase 1
0
Q-q
Q
q
Phase 2
Qq/(Q+q)
Q2/(Q+q)
Q2/(Q+q)
Qq/(Q+q)
Autor:
Jean-Luc Dorier, Universität Genf, Schweiz
Fotos:
Isabelle Descombes
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/188wasser-oder-wein
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Mathematik ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Mathematik ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Beim Experimentieren mit dieser Aufgabe haben die
SchülerInnen eine Reihe von Lösungsstrategien verfolgt, die verschiedenen mathematischen Modellen
entsprechen:
Mehr Kaffee oder mehr Milch? (M 10-14 oder 15-18)
Keimbedingungen (N 10-14)
Keimbedingungen (N 10-14)
Conditions of germination
Bei dieser Aufgabe experimentieren die SchülerInnen nicht selbst. Stattdessen forschen sie auf der
Grundlage einer Datensammlung in Gestalt von
Versuchstagebüchern, in denen andere SchülerInnen
Keimungsversuche unter verschiedenen Bedingungen
protokolliert haben. Die Aufgabe besteht darin, durch
die Analyse dieser Protokolle innere und äußere
Bedingungen für die Keimung herauszufinden. Die
SchülerInnen arbeiten in Gruppen und werden durch
Forschungsfragen geleitet.
Zeitbedarf: ein bis zwei Unterrichtsstunden
Didaktisch-methodische Ideen
Die Aufgabe passt in eine Unterrichtsreihe zur
Pflanzenentwicklung. Die SchülerInnen sollten Vorkenntnisse im Bereich Pflanzenwachstum sowie über
Früchte und Samen bzw. Samenbestandteile besitzen.
Das logische Denkvermögen und die Kreativität der
44 |
Wir Lehrer spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Forschungsfragen zu formulieren, geeignete
Bedingungen für die Schüleraktivitäten zu schaffen,
die Gruppenarbeit zu moderieren und die Aufstellung
allgemeiner Schlussfolgerungen und Regeln anzuleiten. Insbesondere für die Phase, in der mögliche Forschungsfragen gesucht und bewertet werden, ist das
Fortbildungsmodul 1: Forschungsfragen entwickeln
hilfreich.
Versuchstagebuch von Peti:
1. Woher stammen die
Samen?
Ich habe Kürbissamen im Laden gekauft. Ich habe eine große Gurke aus
unserem Garten genommen. Ich habe getrocknete Erbsen von meiner
Mutter bekommen, die sie letztes Jahr geerntet hatte. Auf dem Speicher
hatten wir noch Weizenkörner.
2. Wie wurden die Samen
aus der Frucht entfernt?
Ich musste nur die Samen aus der Gurke herausnehmen. Ich habe sie mit
einem ziemlich großen Löffel herausgekratzt.
3. Wie und worin wurden
die Samen für die Keimung
vorbereitet?
Ich habe ein Stück Stoff mit Wasser angefeuchtet und vier kleine Stücke
herausgeschnitten und darauf die Samen gelegt. Die Stoffstücke mit den
Samen habe ich in leere Joghurtbecher getan und auf die Fensterbank
gestellt. Der Versuch mit den Erbsen ist ausgetrocknet, weil ich vergessen
hatte, Wasser darauf zu gießen.
4. Was hast Du nach 6
Tagen beobachtet?
Der Kürbis und der Weizen haben angefangen zu wachsen, aber die Erbsen
und der Gurkensamen haben nicht gekeimt.
Hier sind einige Beispiele für eine übergeordnete Fragestellung, um den Forschungsprozess anzustoßen:
Was könnte der Grund dafür sein, dass nicht
alle Samenkörner gekeimt haben?
Sammelt und verallgemeinert die Bedingungen, die für den Keimungsprozess vorliegen
müssen. Vergleicht Eure Beobachtungen mit
denen in Biologiebüchern. Findet heraus,
warum manche Samenkörner Keimhemmer
enthalten. Formuliert weitere Fragen für weitere Untersuchungen.
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Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14
Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14
SchülerInnen sind gefragt, wenn sie Methoden zur
Analyse von Daten erarbeiten, Daten miteinander
in Beziehung setzen, aus Einzelergebnissen Schlüsse
ziehen, Zusammenhänge entdecken und allgemeine
Beobachtungen formulieren. Dies ist eine Art induktiven Lernens. Die SchülerInnen eignen sich anhand
der Versuchsprotokolle wissenschaftliche Forschungsmethoden an. Sie lernen, wie wichtig es ist, in der
wissenschaftlichen Forschung Beobachtungen präzise
festzuhalten.
Zu Beginn der Unterrichtsstunde werden den SchülerInnen eine Beschreibung der Situation und fünf
Protokolle von Keimungsversuchen gezeigt, wie zum
Beispiel dieses:
Keimbedingungen (N 10-14)
Die Aufgabe kann auf zwei verschiedene Arten durchgeführt werden. Zum einen können die SchülerInnen
zu viert oder fünft in heterogenen Gruppen zusammenarbeiten, wobei jede Gruppe nur eines der fünf
Versuchstagebücher analysiert. Die Schlussfolgerungen werden dann mit der ganzen Klasse diskutiert.
Bei der anderen Herangehensweise werden zwei
Unterrichtsstunden benötigt. Hier arbeiten die SchülerInnen in homogenen Gruppen zusammen, wobei
jede Gruppe alle fünf Berichte analysiert und die
Diskussion mit Schlussfolgerungen in der Gruppenarbeitsphase geschieht. Danach berichten die Gruppen
ihre Ergebnisse in der Klasse. Zum Schluss vergleicht
die ganze Klasse die (verschiedenen) Schlussfolgerungen und verallgemeinert sie.
Die Aufgabe wurde nach der zweiten Herangehensweise in einer Doppelstunde (90 Minuten) erprobt.
Ein Schüler aus jeder Gruppe stellte den Lösungsweg
vor, den die Gruppe gewählt hatte. Die Diskussion
der Lösungswege und -strategien fand in der zweiten
Unterrichtsstunde statt. Die Gruppen verfolgten
jeweils recht unterschiedliche Lösungsstrategien. Eine
Gruppe erstellte eine Tabelle, in der die Variablen
zusammengefasst waren; eine andere hob die relevanten Informationen mit Textmarker hervor. Eine
dritte Gruppe teilte die Aufgabe in Unteraufgaben
ein und jeder der Schüler übernahm eine bestimmte
Rolle. Die Werte der Variablen zu analysieren und die
Schlussfolgerungen zu formulieren war nicht einfach. Leichter fiel es den SchülerInnen, die Wirkung
des Wassers und die Keimfähigkeit der Samen zu
beschreiben. Die Frage nach dem Einfluss von Licht,
Temperatur und Keimhemmern wurde erst nach Untersuchung der Ergebnisse mehrerer Versuchstagebücher beantwortet. Im Fall des Keimhemmers war ein
Impuls durch die Lehrkraft notwendig. Um weiterführende Fragen zu beantworten, lasen die SchülerInnen
Biologielexika und populärwissenschaftliche Bücher,
die die Lehrkraft ihnen zur Verfügung stellte, oder
sie recherchierten im Internet. Man konnte sehen,
dass das forschende Lernen den SchülerInnen Spaß
machte.
Während der Arbeit an den Aufgaben dachten die
SchülerInnen auch über Probleme in ihrer Umwelt
nach, mit denen sie selbst konfrontiert waren oder
über die sie von ihren Eltern oder Großeltern gehört
hatten. Warum diese Probleme entstanden waren,
versuchten sie zunächst in kleinen Gruppen zu beantworten und kamen später noch einmal darauf zurück,
nachdem die Aufgabe mit der ganzen Klasse besprochen worden war. So konnten sie die Antworten, die
sie sich zuvor gegenseitig gegeben hatten, korrigieren
und vervollständigen.
Autoren:
Erzsébet Antal, Tünde Kontai, Szegedi Tudomanyegyetem, Ungarn
Unterrichtserfahrungen und Fotos:
Tünde Kontai
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/biologie/216keimbedingungen
46 |
Schaukeln aus Eisen
Didaktisch-methodische Ideen
Innerhalb dieser Aufgabe können die SchülerInnen
diskutieren, planen, beobachten, erklären, bewerten, vorhersagen, kommunizieren und ihr eigenes
Lernen aktiv gestalten. Unsere Aufgabe als Lehrkräfte
besteht darin, die Interaktion in der Gruppe zu moderieren und die SchülerInnen dazu zu motivieren, ihre
Ideen auszutauschen und auf Stichhaltigkeit
zu prüfen.
Diese unstrukturierte Aufgabe kann dazu herangezogen werden, mit den SchülerInnen das Rosten von
Eisen und damit verbundene Vorgänge zu erarbeiten.
Zunächst tragen die SchülerInnen in einer Gruppenarbeit mögliche Bedingungen zusammen, die vermutlich Rost hervorrufen. Danach planen sie einen entsprechenden Versuch und führen diesen durch. Wenn
die Aufgabe bearbeitet wird, bevor die Bedingungen
für die Rostbildung in der Klasse besprochen werden,
können die SchülerInnen ihre eigenen Erfahrungen
nutzen und ihre Vorstellung des Phänomens auf die
Probe stellen. Diese Aufgabe gibt den SchülerInnen
Gelegenheit, die Situation zu ergründen, systematisch
zu planen, zu forschen und Ergebnisse zu interpretieren und zu bewerten.
Dass die SchülerInnen die Bedingungen für die Rostbildung bereits kennen, ist nicht Voraussetzung für
die Bearbeitung der Aufgabe. Idealerweise sollten sie
aber die Zusammensetzung der Luft kennen und mit
den Eigenschaften von Wasser als Lösemittel
(z. B. von Sauerstoff in der Luft) vertraut sein. Wenn
die SchülerInnen über dieses Wissen noch nicht
verfügen, können sie es sich im Rahmen der Ergebnisbesprechung aneignen.
Zeitbedarf: drei Unterrichtsstunden
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Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14
Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14
Erfahrungen aus dem Unterricht
Schaukeln aus Eisen (N 10-14 )
Schaukeln aus Eisen (N 10-14 )
Schaukeln aus Eisen (N 10-14 )
Ein möglicher Stundenverlaufsplan sollte drei Unterrichtsstunden vorsehen: eine für die Planung, eine
praktische zur Vorbereitung des Versuchs und eine
Nachbereitungsstunde (etwa eine Woche später) zum
Zusammenfassen, Interpretieren und Auswerten der
Ergebnisse.
Erfahrungen aus dem Unterricht
In der ersten Unterrichtsstunde wird der Klasse die
Aufgabe geschildert:
Werden beide Schaukeln rosten? Wodurch rostet Eisen? Überlegt euch einen Versuch, den ihr
im Labor durchführen könnt, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen Eisen rostet.
Die SchülerInnen arbeiten in Gruppen und besprechen die Aufgabe. Sie sollen ihre Erfahrungen
und bereits erworbenes Wissen in die Diskussion
einbeziehen, um Hypothesen aufzustellen. Danach
erfolgt eine Diskussion mit der ganzen Klasse. Unsere
Aufgabe besteht darin, verschiedene Meinungen zu
sammeln und die Schüler dazu aufzufordern, ihre
Argumente zu erklären. In dieser Phase ist es besser,
die Antworten weder zu kommentieren noch zu
bewerten, sondern ausschließlich Meinungen zu sammeln, Erklärungen einzufordern und die Diskussion
anzuregen. Die wichtigsten Punkte, z. B. die Ursachen
für Rostbildung, können an der Tafel für alle sichtbar
aufgelistet werden.
Mögliche Antworten:
•
•
•
•
•
Die Schaukel auf dem Spielplatz am Meer rostet,
aber die auf dem anderen Spielplatz nicht.
Die Schaukeln auf beiden Spielplätzen rosten,
aber die eine rostet schneller.
Die Schaukeln auf beiden Spielplätzen rosten im
selben Ausmaß.
Damit sich Rost bildet, ist nur Wasser nötig.
Salz oder Sprühnebel vom Meer verursacht Rost.
In der zweiten Unterrichtsstunde werden den SchülerInnen die Instrumente und das Material zur Verfügung gestellt, das sie laut ihrem Versuchsplan benötigen, und sie bereiten den Versuch vor. Wenn die
SchülerInnen einzelne Variablen außer Acht lassen,
kann die Lehrkraft einen eigenen Versuch aufbauen
und bei der Abschlussdiskussion vorführen.
In der dritten Unterrichtsstunde werten die SchülerInnen die Versuchsergebnisse aus und diskutieren die
Ausgangsfrage: Wodurch rostet Eisen? Werden die
Schaukeln auf beiden Spielplätzen rosten?
Animieren Sie die SchülerInnen dazu, ihre Argumente
zuerst in Kleingruppen zu erläutern. Danach folgt
eine Diskussionsrunde mit der ganzen Klasse, in der
jede Gruppe ihre Ergebnisse und Schlussfolgerungen vorstellt. In dieser Phase können wir die Ideen
und Schlüsse der SchülerInnen auch in Frage stellen.
Die Bedingungen, von denen sie ausgegangen sind,
können wir mit denen in der Praxis vergleichen (Wasser, das an der Luft stand, ist wie Wasser plus Luft).
Alternativ können wir die Ergebnisse eines Versuchs
präsentieren, bei dem Bedingungen vorlagen, an die
die SchülerInnen nicht gedacht hatten (ein Stück Eisen
wird in abgekochtes Wasser gelegt, das durch eine
Ölschicht von der Luft abgeschlossen ist; Eisen in trockener Luft). Die SchülerInnen bewerten nun die von
ihnen angewandten Verfahren und machen Verbesserungsvorschläge. Zum Abschluss der Unterrichtsstunde kann auf der Basis der daraus gezogenen Schlüsse
besprochen werden, wie man Rost vorbeugen kann.
Autor:
Josette Farrugia, Universität Malta
Fotos:
James Calleja
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/chemie/217schaukeln-aus-eisen
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Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14
Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14
An verschiedenen Orten im Land wurden auf
Spielplätzen neue Schaukeln angebracht. Eine
Schaukel wurde auf einem Spielplatz am Meer
aufgestellt, eine andere auf einem sonnigen
Platz in einer Stadt, die nicht am Meer liegt.
Die Schaukeln sind aus Eisen. Eisen rostet.
Wir stellen fest, dass es unterschiedliche Meinungen
gibt, und fordern die SchülerInnen auf zu überlegen,
wie wir herausfinden können, wer Recht hat.
Die SchülerInnen arbeiten nun weiter in ihren Gruppen und überlegen sich Wege, wie sie die Voraussetzungen für die Rostbildung untersuchen können.
Idealerweise sollten sie darauf kommen, welche
Variablen eine Rolle spielen (nur Luft vorhanden,
nur Wasser vorhanden, Luft und Wasser vorhanden,
Salzwasser) und wie man diese Variablen kontrollieren kann (wie man Luft bzw. Feuchtigkeit ausschließt),
welche Eisenquelle und Instrumente sie verwenden
können; wie lange sie warten müssen, bis sie Beobachtungen machen können. Wenn die SchülerInnen
nicht alle Variablen verwenden oder nicht eine nach
der anderen, sollten wir am besten nicht einschreiten.
SchülerInnen gehen oft davon aus, dass nur Wasser
benötigt wird, damit Rost entsteht, und dass ein
Objekt unter Wasser nur mit Wasser allein in Kontakt
kommt. Wir können dann Fragen stellen, um die
SchülerInnen zum Nachdenken anzuregen, z. B. über
Wasser als Lösungsmittel.
Kerzenversuch (N 10-14 oder 15-18)
Kerzenversuch (N 10-14 oder 15-18)
Kerzenversuch
Der Kerzenlift ist ein naturwissenschaftliches Standardexperiment. Bei Schülern ist auch ohne den eigentlichen Versuch sofort eine Erklärung bereit: „Die Kerze
braucht den Sauerstoff auf – der Luftdruck im Glas
nimmt ab – der Eistee steigt“. Dass diese Erklärung
falsch ist zeigt sich durch das genaue Beobachten des
Experiments. Die Schülerinnen und Schüler sollen
im Unterricht plausible Erklärungen zum Phänomen
erforschen.
Zeitbedarf: zwei Unterrichtsstunden
Damit die Schülergruppen nicht blind loslegen und in
einem zufällig gewählten Experiment fünf Variablen
gleichzeitig kontrollieren, wird mit dem Forschungskreislauf auf einem Arbeitsblatt eine Arbeitsstruktur
vorgegeben. Die Schülerinnen und Schüler werden
dadurch gezwungen, ihre oft unklaren Hypothesen
zum Steigen des Eistees in der Gruppe eindeutig zu
formulieren, zu diskutieren und entsprechende Experimente vor der Durchführung exakt zu planen. Der
Kreislauf kann als Orientierungshilfe bei allen offenen
experimentellen Fragestellungen eingesetzt werden,
wobei deutlich gemacht werden sollte, dass dieser
kein rigides Schema darstellt und Abweichungen im
Vorgehen möglich sind.
50 |
6) diskutieren /
präsentieren /
reflektieren
5) Daten
interpretieren /
Wissen erweitern
4) Experiment
durchführen
und Ergebnisse
auswerten
1) Fragen stellen
2) Hypothesen
formulieren
3) Untersuchung
oder Experiment
planen
Erfahrungen aus dem Unterricht
Zur Motivation der Klasse eignet sich die Erzählung
eines kleinen Unfalls des Lehrers: „Eistee beim Date
verschüttet! Wie bekomme ich die Situation gerettet
und den Eistee von der Untertasse wieder ins Glas?
Mit Zauberei und einer Kerze!“
Bei Schülern der neunten Klasse des Gymnasiums ist
zum angeblichen Zaubertrick sofort eine Erklärung
verfügbar: „Die Kerze braucht den Sauerstoff auf –
der Luftdruck im Glas nimmt ab – der Eistee steigt.“
Auf die weiterführende Frage: „Wann steigt der
Eistee im Glas am meisten?“ ist die Schülerantwort
eindeutig: „Während die Kerze brennt.“ Bei genauem
Beobachten zeigt sich jedoch, dass das Steigen der
Flüssigkeit erst mit der abnehmenden Kerzenflamme
beginnt. Der Sauerstoffverbrauch kann somit als
Ursache ausgeschlossen werden. Für die Schüler wird
es nun erst recht interessant: „Zauberei oder doch
Physik? Warum steigt der Eistee?“
Die von den Schülern selbst erforschten thermischen
Ursachen lassen sich auf zahlreiche Anwendungen
aus dem Bereich der Wärmelehre übertragen, die
alle nach dem Prinzip von Wärmekraftmaschinen:
„Nur mit heiß und kalt geht´s halt“ arbeiten: die
Ausdehnung von Luft in einem Erlenmeyerkolben, der
abwechselnd in heißes und kaltes Wasser getaucht
wird und dabei an einen Kolbenprober angeschlossen
ist; die Bewegung eines Stirlingmotors, der nur durch
eine heiße (Handfläche) und eine kalte Seite (Eiswürfel) angetrieben wird; die klassische Dampfmaschine
mit der heißen (Feuer) und der kalten (Kondensator)
Seite; das Kohlekraftwerk am kühlen Fluss und der
Automotor mit Wasserkühlung.
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Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Didaktisch-methodische Ideen
Fachlich betrachtet gibt es beim Kerzenversuch
verschiedene Ursachen, die zum Anstieg des Eistees
beitragen. Der entscheidendste Faktor ist jedoch der
thermische Effekt: Durch die brennende Kerze wird
die Luft im Teeglas erwärmt und dehnt sich während
des Aufsetzens aus. Aufgrund des Sauerstoffmangels
geht das Kerzenlicht aus. Die Luft kühlt sich dadurch
schnell ab und zieht sich zusammen. Ein Unterdruck
entsteht, der den Eistee in das Glas strömen lässt. Je
größer die Temperaturdifferenz desto größer ist der
Druckunterschied und der damit verbundene Wasseranstieg. Der Versuch funktioniert auch ohne die
Kerze, indem ein mit einem Heißluftfön zuvor erhitztes Glas auf dem Untersetzer von außen mit Eiswürfeln abgekühlt wird. Während des Experimentierens
entdecken die Schüler durch genaues Beobachten
auch weitere Ursachen wie z. B. das Kondensieren
von Wasserdampf am kühlen Teeglas. Je nach vorhandener Unterrichtszeit kann der Forschungskreislauf
mit solchen Entdeckungen einmal oder mehrmals
durchlaufen werden. Zwischenergebnisse können
dabei präsentiert und diskutiert werden.
Zum Erforschen des Phänomens wird die Klasse
in Gruppen aufgeteilt. Für
die Planung und Ausführung der Experimente
zum Kerzenversuch steht
im Klassenzimmer ein
großer Tisch mit diversen
Materialien bereit: Stativstangen, Magnete, Salz,
Heißluftföhn, Zucker, Gewichte, Indikatorpapier…
Alternativ kann der Lehrer die von den Schülergruppen benötigten Experimentiermaterialien auch in der
nächsten Unterrichtsstunde bereitstellen. Überraschend ist, wie kreativ manche Schülergruppen bei
der Planung der Untersuchung vorgehen, dabei im
Team ihre Präkonzepte diskutieren und das Wissen
aus allen naturwissenschaftlichen Bereichen einsetzen.
Ein 8 minütiges Video aus der beschrieben Unterrichtsstunde ist unter dem Link http://www.youtube.
com/watch?v=BSD K7KjcT6k verfügbar.
Definiere! (M/N 10-14 oder 15-18 )
Definiere!
Das Definieren von Begriffen erfordert die Benennung aller Aspekte, die
notwendig sind, um den ganzen Begriff
abzudecken, ohne überflüssige Informationen mit aufzunehmen. Den SchülerInnen hilft es, wenn wir ihnen Beispiele
und Gegenbeispiele für einen Begriff
aufzeigen. Sie verstehen jedoch eher, wie
man einen Begriff definiert, wenn sie es
selbst versuchen, als wenn sie es nur von
uns erklärt bekommen.
Give a definition for the concept ʻweightʼ
that isElement
complete and as short as possible.
a definition
thedefinition
concept ʻweightʼ
• IsGive
all the
content offor
your
sufGewicht
•
that isand
complete
and as short as possible.
ficient
necessary?
Give examples
and
non-examples
that
Überlegt
euch
eine
Definition
für den
Begriff
• Isthe
all definition.
the content
of your
definition
sufclarify
„Gewicht“, die vollständig und so kurz wie
ficient and necessary?
möglich ist.
• Give
and non-examples that
• examples
Ist eure Definition umfassend genug? Ist
clarify the definition.
In dieser Unterrichtseinheit arbeiten die
SchülerInnen in Gruppen zu ungefähr
vier SchülerInnen. Zunächst denken sie
einige Minuten über den genannten Begriff nach und versuchen, ihn zu definieren. Darauf sollten sie ihre Vorschläge in
ihrer Gruppe diskutieren. Wenn sie mehrere Begriffe
definieren sollen, dauert das etwa eine Viertelstunde.
Schließlich werden alle Vorschläge in einer Diskussionsrunde mit der ganzen Klasse durchgesprochen
und allgemein anerkannte Definitionen ausgearbeitet. (Methode Ich-Du-Wir)
Zeitbedarf: Teil einer Unterrichtsstunde
Autor und Fotos:
Patrick Bronner, Pädagogische Hochschule Freiburg, Germany
Link auf die PRIMAS-Website:
Pflanze
•
etwas daran überflüssig?
Gebt Beispiele und Gegenbeispiele an, die
eure Definition untermauern.
Didaktisch-methodische Ideen
Beim herkömmlichen Unterrichten definieren wir
einen Begriff und die SchülerInnen wenden ihn an,
besprechen ihn aber nicht. Oft machen sich die SchülerInnen dann ihre eigene (nicht unbedingt richtige)
Vorstellung von einem Begriff, ohne sich dessen
überhaupt bewusst zu sein. Bei der vorgestellten Herangehensweise können die SchülerInnen ihre eigenen
Gedanken zu einem bestimmten Begriff einbringen
und sich darüber mit ihren MitschülerInnen austauschen.
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/physik/165-derkerzenversuch
52 |
| 53
Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Kerzenversuch (N 10-14 oder 15-18)
Definiere! (M/N 10-14 oder 15-18 )
Parallelogram
Ist die folgende Definition eines
Parallelogramms richtig?
Ist die Definition umfassend genug? Ist etwas
daran überflüssig?
Die SchülerInnen müssen kritisch darüber nachdenken, was andere denken und was sie selbst für richtig
halten. Während der Diskussion mit den MitschülerInnen ergänzen und verfeinern sie ihre Vorstellung
von dem Begriff. Wird diese Aufgabe als Einführung
in eine Unterrichtsstunde verwendet, in der die
SchülerInnen einen neuen Begriff kennenlernen
sollen, können sie ihr bereits vorhandenes Wissen
aktivieren und es mit dem Wissen der Mitschüler
abgleichen. Wir können herumgehen und hören,
was die SchülerInnen sich untereinander erzählen.
So bekommen wir eine gute Vorstellung von ihrem
Wissensstand über den neuen Begriff. Diese Aktivität
wird im Fortbildungsmodul 3: Inhalte forschend
lernen aufgegriffen. Sie kann leicht in den normalen
Unterrichtsalltag integriert werden, denn es werden
keine besonderen Hilfsmittel und nur ein Teil einer
Unterrichtsstunde benötigt.
Erfahrungen aus dem Unterricht
Ein Physiklehrer stellte seinen in Gruppen aufgeteilten SchülerInnen zu Beginn einer Unterrichtsstunde
die Aufgabe, die Begriffe „Widerstand“, „Leitfähigkeit“ und „Isolierung“ zu definieren. Danach führten
die SchülerInnen Versuche durch, um herauszufinden,
welche Materialien leitend und welche isolierend
wirken.
Zunächst diskutierten die SchülerInnen die Begriffe. Die klare Zielvorgabe bei den Versuchen war es
herauszufinden, welche Unterschiede zwischen den
Materialien bestehen (wirken sie leitend, isolierend
oder als Widerstand?). Am Ende der Stunde war
offensichtlich, dass sie sich ein klares Bild von den
Begriffen „Leitfähigkeit“ und „Isolierung“ gemacht
hatten. Entgegen der Hoffnung der Lehrkraft hatten
sie den Begriff „Widerstand“ jedoch nicht verwendet,
um leitendes von isolierendem (nicht leitendem)
Material zu unterscheiden.
Trotzdem war der Lehrer begeistert von dieser Herangehensweise, denn die SchülerInnen brachten sich in
der ganzen Unterrichtsstunde aktiv ein. Im Ergebnis
hatten die SchülerInnen ihr Verständnis elementarer
physikalischer Begriffe vertieft.
Autoren:
Michiel Doorman, Ad Mooldijk, Universität Utrecht, Niederlande
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/218-definiere
54 |
Algebraische Zahlenpyramiden
Die algebraischen Ausdrücke in den Pyramidenzellen
werden durch Multiplikation der Ausdrücke in den
beiden unmittelbar darunter liegenden Zellen gebildet, wie in der linken Pyramide gezeigt.
Zwei Multiplikationspyramiden
Aufg. 1: Finde die fehlenden Terme.
.
Die linke Pyramide enthält eine klare Aufgabe, die in
einer Richtung von unten nach oben gelöst wird.
Die Lösung der rechten Pyramide erfordert Strategien, die sich den SchülerInnen nicht unbedingt auf
Anhieb erschließen.
Zeitbedarf: (Teil) eine(r) Unterrichtsstunde
Aufg. 2: Entwirf eine einfache und eine schwierige Multiplikationspyramide für deinen Nachbarn oder deine Nachbarin zum Lösen.
Didaktisch-methodische Ideen
Bei Algebra-Übungen geht es meist darum, eine Reihe
von Reproduktionsaufgaben durchzuarbeiten, die im
Schulbuch stehen oder von uns an die SchülerInnen
herangetragen werden. Dabei reichen die Aufgaben
von einfach bis komplex. Eine recht einfache Variante
dieser Standardübungen kann darin bestehen, das
übliche Geschehen im Klassenraum so zu verändern,
dass ein dynamisches Umfeld entsteht, in dem eine
erforschende Vorgehensweise mit Diskussionen bzw.
Ausprobieren verschiedener Lösungsansätze und
damit die Kreativität der SchülerInnen gefördert wird.
Bei den Aufgaben handelt es sich daher um produktive, nicht reproduktive Übungen. Eine Sammlung
entsprechender produktiver Algebra-Aufgaben, die
zum Üben verschiedener Aspekte des Rechnens mit
Unbekannten verwendet werden können, finden Sie
in diesem, von Martin Kindt (Freudenthal Institute,
2004) entworfenem Modul: Positive Algebra: a collection of productive exercises.
Die oben beschriebene Aktivität wurde nach dem
Fortbildungsmodul 2: Unstrukturierte Aufgaben
meistern durchgeführt. Die zweite oben beschriebene Übung ist ein Beispiel dafür, wie man von dem,
was die SchülerInnen produzieren, auf ihren inhaltlichen und prozessbezogenen Leistungsstand schließen
und auf diesen aufbauen kann. Die Fortbildungsmodule 3: Inhalte forschend lernen und 6: An Vorwissen
anknüpfen geben Lehrkräften Anregungen, wie sie
für ihre Klassen ähnliche Aufgabenstellungen vorbereiten und durchführen können.
| 55
Mathematik ∙ Alter: 12-14
Naturwissenschaften ∙ Alter: 10-14 oder 15-18
Ein Parallelogramm ist ein Viereck, dessen
Diagonalen sich in der Mitte schneiden.
Algebraische Zahlenpyramiden (M 12-14 )
Algebraische Zahlenpyramiden (M 12-14 )
Außer der Fähigkeit, mit Unbekannten zu rechnen,
müssen die SchülerInnen bei dieser Art von Aufgaben auch in der Lage sein, Probleme zu lösen, eigene
Strategien zu wählen und ihre Ideen und Ergebnisse
zu kommunizieren – alles Elemente forschenden
Lernens.
Erfahrungen aus dem Unterricht
Sie sollten
erkennen,
dass von
unten nach
oben immer
zwei nebeneinander liegende Zellen
miteinander
multipliziert
werden und
das Ergebnis in dem
Kästchen darüber steht. Sie hatten zuvor schon die
Multiplikation von Variablen geübt, so dass die Aufgabe lösbar sein sollte.
56 |
Die Lehrerin war vor allem erstaunt, wie intensiv sich
die SchülerInnen über eine halbe Stunde lang in die
Arbeit mit algebraischen Ausdrücken vertieften. In
einer Diskussionsrunde zwischendurch stellte eine
Zweiergruppe die Frage, wie viele Informationen
mindestens vorliegen müssten, damit eine solche
Pyramide gelöst werden könnte. Diese Frage wurde
von anderen Gruppen aufgegriffen, und die Lehrerin
war begeistert darüber, dass die SchülerInnen sich
ein viel tieferes Verständnis von Algebra aneignen
konnten als es üblicherweise der Fall ist. Sie meinte, die SchülerInnen würden sich bei dieser Art von
Unterricht ganz anders mit den von ihnen gelösten
Aufgaben identifizieren.
Autoren:
Michiel Doorman, Corine den Boer, Henk van der Kooij, Universität Utrecht, Niederlande
Fotos:
Corine den Boer
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/219-zahlenpyramiden
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Mathematik ∙ Alter: 12-14
Mathematik ∙ Alter: 12-14
Eine Mathematiklehrerin wählte zwei Übungen aus
dem Lehrbuch, die einfache Versionen von algebraischen Zahlenpyramiden enthielten, und formulierte
dazu jeweils eine offene bzw. unstrukturierte Aufgabenstellung. Zunächst forderte sie die SchülerInnen
auf, die nachstehende Pyramide zu analysieren und
möglichst herauszufinden, wie sie aufgebaut ist:
Nach fünf Minuten und einer kurzen Diskussion gab
die Lehrerin den SchülerInnen die Aufgabe, selbst
eine solche Pyramide zu entwerfen, die dann von den
Mitschülern gelöst werden sollte. Unten sehen Sie
sowohl eine leichte („makkelijk“) als auch eine eher
komplexe Pyramide, die auf diese Weise entstanden:
Algebraische Zahlenpyramiden (M 12-14 )
Perlen und Formeln (M 15-18)
Perlen und Formeln (M 15-18)
Perlen und Formeln
Bei dieser Aufgabe geht es darum, den binomischen
Satz von Newton und damit verbundene Konzepte
(Kombinationen, Pascalsches Dreieck) nach dem
Ansatz des forschenden Lernens zu vermitteln, indem
man die Verbreitung eines Gerüchts modelliert. Eine
Stärke der Aufgabe ist ihre handlungsorientierte
Herangehensweise: Aus Plastikperlen und Schnüren
werden Modelle gebastelt, die nicht nur die Anzahl
der Kombinationen von k Elementen, die aus einer nelementigen Menge ausgewählt werden, veranschaulichen, sondern auch die Kombinationen selbst. Der
Ansatz des forschenden und entdeckenden Lernens
eignet sich hervorragend für die Entwicklung des
Modells, die Formulierung der grundlegenden Eigenschaften der Kombinationen und für die Ausarbeitung
allgemeinerer Modelle.
Zeitbedarf: 2 bis 4 Unterrichtsstunden, je
nachdem wie tief in die Materie eingestiegen
werden soll
Modellierung bedeutet bei dieser Aufgabe nicht,
dass eine außermathematische Realität naturgetreu
dargestellt wird, sondern es handelt sich vielmehr um
ein intelligentes Spiel mit Elementen der Realität, das
strengen Regeln folgt. Dies sollte auch den SchülerInnen klar gemacht werden.
Die Ausgangssituation: Eine Schule ist berühmt für die
vielen Gerüchte, die dort umhergehen. Ein Schüler
hört ein Gerücht über einen der Lehrer und kann sich
nicht zurückhalten, es am nächsten Tag weiter zu
erzählen. Zunächst übertreibt er den Sachverhalt
58 |
Danach können abschließende Diskussionen geführt
werden, in denen wir die mathematischen Konzepte definieren, die darauf anwendbar sind, und die
Eigenschaften, die die SchülerInnen herausgefunden
haben, mit mathematischen Fachbegriffen benennen.
Weiteres forschendes Lernen kann von folgender
Frage ausgehen: Was passiert, wenn jeder Schüler
drei (oder mehr) verschiedene Versionen weitererzählt? Wenn wir für diese Erweiterung ein handgefertigtes Modell erstellen wollen (eine Art Pascalsches
Tetraeder), so steigt der Zeitbedarf gegenüber der
ursprünglichen Aufgabenstellung exponentiell. Unserer Erfahrung nach genügt eine Zeitstunde, wenn die
Modelle nur gezeichnet werden, während das handwerkliche Erstellen eines 2D-Modells (Pascalsches
Dreieck) etwa 1,5 bis 2 Stunden beansprucht und das
Erstellen eines 3D-Modells (Pascalsches Tetraeder)
am ehesten als mehrstündige Projektarbeit realisiert
werden kann.
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Mathematik ∙ Alter: 15-18
Mathematik ∙ Alter: 15-18
Didaktisch-methodische Ideen
(d. h. er steigert ihn um das a-fache) und erzählt ihn
dann entsprechend weiter. Dann denkt er sich eine
noch übertriebenere Version (b-fach) aus und erzählt
diese Version jemand anderem. Und da an dieser
Schule alle gerne tratschen, erzählt jeder, der von
dem Gerücht hört, es wiederum weiter. Man macht
sich einen Spaß daraus, in der Schule Clubs zu organisieren, wobei jeder Club aus Mitgliedern besteht,
die das Gerücht mit demselben Verstärkungsfaktor
gehört haben. In den ersten Club werden also alle
diejenigen eingeladen, die das Gerücht nach der
Verstärkung um a und b oder b und a gehört haben,
jedoch keine anderen Schüler (siehe Modell für die
ersten drei Runden, die das Gerücht macht; die Kugeln in der unteren Reihe stellen die Clubs auf dieser
Ebene dar).
Zunächst können die SchülerInnen mit Stift und
Papier zeichnen oder anderweitig darstellen, wie die
einzelnen Clubs entstehen. Damit sie die zugrundeliegende Struktur der Verbreitung der Gerüchte besser
verstehen, ist es allerdings noch wirkungsvoller, wenn
sie aus Schnüren und Perlen eigene Modelle erstellen, um bestimmte Aspekte von Kombinationen, von
Variationen mit Wiederholung und wie diese generiert werden können (mit einem Computer-Programm
oder mit dem selbst gebastelten Modell) deutlicher
zu machen.
Perlen und Formeln (M 15-18)
Kniffeleien mit Papierstreifen (M 15-18)
Kniffeleien mit Papierstreifen
Die Aufgabe ist ein gutes Beispiel für die Umwandlung
eines klassischen Lehrplaninhalts – das ist der binomische Lehrsatz in vielen europäischen Ländern – in
eine komplexe Aktivität im Rahmen des forschenden
Lernens.
Das Falten von Papierstreifen wird in dieser Aufgabe
zum Anlass, in die Welt mathematischen Arbeitens
einzutauchen. Ein Papierstreifen wird mehrere Male
gefaltet. Der Ausgangspunkt wird farblich markiert.
Es gibt zwei Arten des Faltens:
Erfahrungen aus dem Unterricht
Viele SchülerInnen wählten als ersten Ansatz die
Modellierung der Gerüchteverbreitung anhand eines
Binärbaums. Manche entdeckten dann, dass der
Binärbaum in ein Pascalsches Dreieck umgewandelt
werden kann, indem man die Knoten, die demselben Verstärkungsfaktor entsprechen, miteinander
verbindet. Dies setzt eine leicht veränderte Perspektive voraus, denn bei dem Binärbaum entsprechen
die Knoten einzelnen SchülerInnen, während sie im
Pascalschen Dreieck den Clubs entsprechen.
Wenn man Schnüre und Perlen verwendet, kann
man diese Umwandlung gut sehen. Das endgültige
Modell (s. Foto) zeigt ebenfalls die Kombinationen
(Variationen mit Wiederholung), die jedem Knoten
entsprechen.
auf Kombinationen konnten wir von Anfang an ausschließen (die üblichen Formeln haben wir zu diesem
Zeitpunkt nicht eingeführt) und die SchülerInnen
konnten sich die einzelnen Schritte des formalen
Beweises bestimmter Eigenschaften intuitiv erschließen (z. B. die Regel zur Erstellung des Pascalschen
Dreiecks und den binomischen Satz). Durch den Bau
verschiedener Modelle im Rahmen eines realitätsbezogenen Spiels (d. h. das Szenario der Verbreitung
eines Gerüchts) waren die SchülerInnen in der Lage,
sich eine konkrete Vorstellung von einem komplexen
algebraischen bzw. stochastischen Inhalt zu machen.
Autoren:
Szilárd András, Babeş-Bolyai-Universität, Cluj Napoca, Rumänien;
Csaba Tamási, SimpleX Association, Miercurea Ciuc
Fotos:
Szilárd András
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/220-perlen-undformeln
60 |
Die Faltanweisung ist eine Folge der Buchstaben
l und r. Nach dem Auseinanderfalten sieht man ein
Knickmuster. Ein Knickmuster kann mit R (Rechtsknick) oder L (Linksknick) bezeichnet werden, wenn
man vom Ausgangspunkt zum Endpunkt geht. Das
zu der Faltanweisung lrr gehörende Knickmuster ist
RRLLRLL (s. Fotos). Dreimaliges Falten führt zu einem
Knickmuster aus acht geraden Strecken und sieben
Knicken.
Fragen an die SchülerInnen: Könnt ihr das Knickmuster einer beliebigen Faltanweisung vorhersagen?
Warum sind der Ausgangs- und der Endpunkt immer
senkrecht zueinander? Nach n Knicken gibt es 2n verschiedene Knickmuster. Alle Muster weisen dieselbe
Entfernung zwischen Ausgangs- und Endpunkt auf.
Warum?
Zeitbedarf: ein Tag (7-8 Stunden) oder eine
entsprechend lange Unterrichtsreihe
r-Faltung
Faltanweisung lrr
Knickmuster für lrr
Didaktisch-methodische Ideen
und Erfahrungen aus einem
Mathematikwettbewerb
Diese anspruchsvolle Aufgabe eignet sich vor allem
für die Arbeit mit mathematisch begabten oder
besonders interessierten SchülerInnen in einer
Mathematik-AG, für einen Projekttag oder – wie hier
beschrieben – im Rahmen eines Mathematikwettbewerbs (wie dem Mathematics B-day in den Niederlanden und der Slowakei): „Die SchülerInnen werden
motiviert, Strategien zu entwickeln, Vermutungen
aufzustellen und diese zu beweisen oder zu verwerfen, logisch zu argumentieren, Annahmen kritisch zu
überprüfen und ihre Modelle gemeinsam mit anderen
zu korrigieren.“ (http://www.fisme.science.uu.nl/
fisme/en/projects/indexorg.php)
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Mathematik ∙ Alter: 15-18
Mathematik ∙ Alter: 15-18
Zwei wichtige Ergebnisse dieser Unterrichtseinheit
sind folgende: Häufige falsche Annahmen in Bezug
l – Das Ende des Streifens wird hinter den Ausgangspunkt geknickt.
r – Das Ende des Streifens wird vor den Ausgangspunkt geknickt.
l-Faltung
Kniffeleien mit Papierstreifen (M 15-18)
Kniffeleien mit Papierstreifen (M 15-18)
Am Tag des Wettbewerbs (Mathematics B-day in
der Slowakei 2012) wurden über hundert SchülerInnen dabei beobachtet, wie sie verschiedene Arten
und Weisen entdeckten, mathematisch zu arbeiten.
Zunächst einmal mussten sie die Aufgabe (einen komplexen mathematischen Text) lesen und verstehen.
Während der Gruppenarbeit wurden die SchülerInnen durch alle Prozesse des forschenden Lernens
geführt: die Situation erforschen, systematisch
experimentieren, kommunizieren und Ergebnisse
überprüfen und bewerten.
Es wird eifrig gefaltet.
Foto zur Beantwortung folgender Frage: Dieses
Zickzack-Muster kann nicht durch dreifaches Falten
erzeugt werden. Hättet ihr das voraussagen können?
Wenn ja – wie?
Das Knickmuster und seine grafische Aufzeichnung.
Die Faltanweisung und ihr Verhältnis zum entsprechenden Knickmuster.
In den ersten Stunden des Wettbewerbs entstanden in den Klassenräumen Berge von gefalteten
Papierstreifen. Einige der Dreier- und Vierergruppen
fanden originelle Lösungen für die Problemstellung
und argumentierten mit großer Genauigkeit. Manche
Gruppen stellten ihre Ergebnisse mithilfe von originellen Bildern, Fotos oder Zeichnungen dar. Eine Gruppe
verfasste zum Thema Papierfalten sogar ein Märchen
mit witzigen Kommentaren und Rätseln, die der Leser
lösen muss. Am Ende der Veranstaltung stellte ein
Teilnehmer fest:
„Das war bisher der interessanteste Mathe-Tag in
meinem ganzen Leben. Vielen Dank für diese tolle
Erfahrung!“
Autoren:
Sona Ceretkova, Philosoph-Konstantin-Universität, Nitra, Slowakei;
Henk van der Kooij, Universität Utrecht, Niederlande
Fotos:
Henk van der Kooij, Sona Ceretkova, Janka Melusova, Katka Marcekova
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/221kniffelei
Genauere Informationen und Berichte zum Mathematics B-day:
http://www.PRIMAS-project.eu/artikel/en/1137/Mathematics+B-day/view.do?lang=en
62 |
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Mathematik ∙ Alter: 15-18
Mathematik ∙ Alter: 15-18
Das Ergebnis eines ganzen Tages intensiver mathematischer Arbeit war schließlich ein Bericht über den
Forschungsprozess, die Ergebnisse der Problemlösung
und verschiedene Interpretationen.
Spielen mit Feldern und Farben (M 15-18 )
Spielen mit Feldern und Farben
Stellt euch ein normales Schachbrett mit 8x8
Feldern vor, an dem zwei diagonal gegenüber
liegenden Eckfelder herausgesägt wurden;
d. h. wir haben 62 Felder. Ist es möglich,
31 Dominosteine mit einer Größe von jeweils
genau zwei Schachfeldern so darauf zu legen,
dass alle 62 Felder vollständig bedeckt sind?
Die Aufgabe basiert auf dem berühmten Rätsel vom
zerstörten Schachbrett des Philosophen Max Black
und gibt SchülerInnen die Möglichkeit, mehrere
Varianten des Rätsels sowie andere mathematische
Probleme, die mit Parität zu tun haben, zu untersuchen. Bei dieser Aufgabe werden Lösungen durch
inhaltliche Überlegungen ausgehend von den Feldern
und Farben erarbeitet, ohne dass es formaler Beweise
bedürfte.
Zeitbedarf: Zwei Unterrichtsstunden à 45 Minuten
Die Aufgabe vom zerstörten Schachbrett ist eine
Denkaufgabe mit Dominosteinen, die der Philosoph
Max Black 1946 in seinem Buch Critical Thinking
veröffentlichte. Die Schüleraktivität basiert auf
der folgenden Aufgabe: „Stellt euch ein normales Schachbrett mit 8x8 Feldern vor, an dem zwei
diagonal gegenüber liegende Eckfelder herausgesägt
wurden; d. h. wir haben 62 Felder. Ist es möglich, 31
Dominosteine mit einer Größe von jeweils genau zwei
Schachfeldern so darauf zu legen, dass alle 62 Felder
64 |
Diese Aufgabe umfasst zwei Unterrichtsstunden zu
je 45 Minuten. In der ersten wird die Denkaufgabe
von Max Black und Varianten davon bearbeitet. In
der zweiten Stunde geht es um eine Erweiterung der
Aufgabe. Zu Beginn der ersten Stunde können die
SchülerInnen eine einfachere Variante des Rätsels
erkunden:
Ist es möglich, ein Schachbrett
mit 8x8 Feldern mit Dominosteinen, die jeweils die Größe
von zwei Feldern haben, vollständig abzudecken?
Die LehrerInnen sollten zweifarbige Dominosteine
bereitstellen, denn sonst wird es für die SchülerInnen
schwierig, eine Lösung zu finden (zumindest eine, die
keinen formalen Beweis benötigt). Mit zweifarbigen
Dominosteinen können die SchülerInnen eine Verbindung zwischen dem Schachbrett und den Dominosteinen herstellen: jeder Dominostein bedeckt ein weißes
und ein graues Feld, d. h. 31 Dominosteine bedecken 31 weiße und 31 graue Felder. Diese einfache
Variante des Rätsels ist also lösbar. Dann können sich
die SchülerInnen die komplizierteren Rätselvarianten
vornehmen, wenn beim Schachbrett (a) ein Eckfeld
oder (b) zwei diagonal gegenüber liegende Eckfelder
herausgesägt wurden. Mit der gleichen Überlegung
wie oben können die SchülerInnen nachweisen, dass
es jetzt unmöglich ist, das Schachbrett vollständig mit
(zweifarbigen) Dominosteinen abzudecken, denn im
ersten Fall bleibt ein Feld unbedeckt (ein graues oder
ein weißes) und im zweiten Fall führt das Entfernen
von zwei diagonal gegenüber liegenden Feldern dazu,
dass zwei Felder mit derselben Farbe fehlen.
In der zweiten Unterrichtsstunde können die SchülerInnen einen Schritt weiter gehen, indem sie weitere
Varianten der Aufgabe (s. u.) bearbeiten und untersuchen, ob es möglich ist, das Schachbrett mit Dominosteinen zu bedecken, wenn mehrere Felder entfernt
wurden (graue Felder in den Abbildungen unten). Die
SchülerInnen können hier mithilfe eines „allgemeineren Farbbeweises“ zur Lösung kommen.
Während des ganzen Bearbeitungsprozesses sollten
wir als LehrerInnen vor allem darauf achten, dass
ein Dialog stattfindet, so dass auf der Grundlage der
experimentellen Ergebnisse ein gemeinsames mathematisches Verständnis aufgebaut wird.
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Mathematik ∙ Alter: 15-18
Mathematik ∙ Alter: 15-18
Didaktisch-methodische Ideen
vollständig bedeckt sind?“ Die SchülerInnen haben
die Gelegenheit, im Rahmen der Arbeit mit Feldern
und verschiedenfarbigen Dominosteinen „inhaltliche
Beweise“ zu erarbeiten.
Spielen mit Feldern und Farben (M 15-18 )
Spielen mit Feldern und Farben (M 15-18 )
Erfahrungen aus dem Unterricht
Bei der Durchführung der Aufgabe in einer elften
Klasse (16-Jährige) waren die SchülerInnen begeistert
bei der Sache. Sie berichteten, dass die Aufgabe ihnen
Spaß gemacht hat, vor allem, weil sie so anderes als
übliche Mathematikaufgaben mit formalen Beweisen
war.
Die SchülerInnen arbeiteten in Vierergruppen und
konnten die meisten der gestellten Aufgaben lösen.
Einige SchülerInnen gingen noch einen Schritt weiter
und entwarfen eigene Schachbretter mit fehlenden
Feldern (auf der Grundlage der Beispiele). Sie fanden
dann selbst heraus, ob diese Bretter mit Dominosteinen bedeckt werden konnten oder nicht. Der
Lehrer unterstützte die SchülerInnen beim Entwurf
anspruchsvoller Aufgaben mit Tipps und Hinweisen.
Zum Schluss erweiterte eine Gruppe von SchülerInnen die Aufgabe auf Vorschlag des Lehrers, indem sie
quadratische und L-förmige Steine verwendete.
Bitte kühl lagern! (N 15-18)
Bitte kühl lagern!
Diese Aufgabe ermöglicht einen motivierenden und
praxisnahen naturwissenschaftlichen Unterricht. Sie
baut auf dem Vorwissen der SchülerInnen über die
thermischen Eigenschaften alltäglicher Materialien
auf und gibt ihnen Gelegenheit, praktische und theoretische Überlegungen anzustellen, wenn sie Beweise
für ihre Vermutungen suchen.
Die qualitative Analyse der Schülerargumente vorher und nachher hat gezeigt, dass die Aufgabe das
motivierte und praxisnahe Erlernen der thermischen
Eigenschaften einiger bekannter Materialien fördert.
Die Gruppenaktivität ist für die Unterstufe der
weiterführenden Schulen gedacht und kann leicht
in die normale Unterrichtspraxis integriert werden.
Das benötigte Material ist ohne größeren Aufwand
zu beschaffen (Eiswürfel, Behälter aus Metall bzw.
Plastik, Wolle u. a.).
Didaktisch-methodische Ideen
Die Aufgabe lässt sich in eine spannende Geschichte
verpacken, die das Interesse der SchülerInnen weckt:
Mathematik ∙ Alter: 15-18
Autor und Fotos:
Nicholas G. Mousoulides, Technische Universität Zypern
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/mathematik/222felder-und-farben
66 |
„Ihr seid an einer Rettungsaktion beteiligt
und müsst auf zusätzliche Hilfe warten. Es
ist ein heißer Tag und ihr müsst dringend
dafür sorgen, dass einige Medikamente kühl
gehalten werden. Die einzigen Hilfsmittel, die
euch zur Verfügung stehen, sind Wolldecken
und Metallbehälter. Was würdet ihr eher tun,
um die Medikamente kühl zu halten: sie in
Wolldecken wickeln oder in einen Metallbehälter legen?
| 67
Naturwissenschaften ∙ Alter: 15-18
Zeitbedarf: 2-3 Unterrichtsstunden
Bitte kühl lagern! (N 15-18)
Nach Erläuterung der Ausgangssituation arbeiten
die SchülerInnen zu dritt oder zu viert zusammen,
um die Aufgabe zu besprechen und zu entscheiden,
was sie tun würden. Anschließend müssen sie ihre
Entscheidung rechtfertigen und eine erste Hypothese
aufstellen, welche Möglichkeit besser geeignet ist,
um die Medikamente kühl zu halten. Die SchülerInnen entwerfen dann einen Versuch, mit dem sie
ihre Hypothese überprüfen können. Zum Schluss
bewerten sie die Richtigkeit ihrer zuvor getroffenen
Entscheidung anhand des Versuchsergebnisses.
Durch diese Aufgabe lernen die SchülerInnen, ein
Problem anzugehen, eine Hypothese aufzustellen, ein
Experiment zu planen und durchzuführen, die Ergebnisse zu interpretieren und ihre ursprünglichen Ideen
anhand der Versuchsergebnisse zu bewerten.
Die Aufgabe ist auch darauf ausgelegt, sich mit
Konzepten und Modellen auseinanderzusetzen, mit
denen die thermischen Eigenschaften einiger bekannter Materialien erklärt werden können. Sie baut auf
Vorstellungen der SchülerInnen auf und gibt uns die
Möglichkeit, eventuelle Irrtümer zu hinterfragen und
Gegenhypothesen aufzustellen, wodurch die SchülerInnen ihre vorherigen Ideen überdenken und sich
praxisnahes Wissen aneignen. Außerdem geht es darum, dass die SchülerInnen wissenschaftliche Modelle
entwerfen, mit denen sich ihre Versuchsergebnisse
erklären lassen, und dass diese Modelle gemeinsam
diskutiert werden.
„Ich würde die Medikamente in einen Metallbehälter legen, denn Wolle produziert Wärme und Metall
bleibt kühl – naja, außer man stellt den Behälter in die
Sonne.“
Erfahrungen aus dem Unterricht
Die Beschäftigung mit der Aufgabe war für die SchülerInnen hoch motivierend und spannend. Hier einige
Ausschnitte aus Erfahrungsberichten von LehrerInnen:
Die folgende Aussage eines Schülers mit seiner
anfänglichen Hypothese zeigt ein typisches Beispiel
für eine falsche Annahme, die durch das forschende
Lernen in Frage gestellt werden kann.
Der Einsatz der Aufgabe in der ersten Klasse einer
weiterführenden Schule in Spanien zeigte, dass zu
Beginn nur 27 % der SchülerInnen eine korrekte
Hypothese bezüglich der thermischen Eigenschaften
von Wolle und Metall aufstellten. Im Gegensatz dazu
gaben nach Bearbeitung der Forschungsaufgabe 92 %
der SchülerInnen richtige Antworten zu den thermischen Eigenschaften.
„Als ich die Aufgabe erklärte, waren die SchülerInnen
sehr interessiert und erwartungsvoll, denn sie sind es
nicht gewohnt, dass man ihnen Aufgaben stellt, die so
eng mit dem täglichen Leben verknüpft sind.“
Die Lehrkräfte sollten eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, in der sich die SchülerInnen ermutigt
fühlen, verschiedene Ansichten und Strategien vorzutragen und auszutauschen, in der es keine richtigen
und falschen Antworten, sondern nur intellektuell
bereichernde Aussagen gibt. Dabei ist es wichtig,
dass wir die Gruppendiskussionen in eine fruchtbare
Richtung lenken. Wir sollten die SchülerInnen eher
zum Nachdenken ermutigen als dazu, rasch die richtige Antwort zu finden, und sie dabei unterstützen,
Zusammenhänge herzustellen und die wichtigsten
Ideen herauszufiltern.
68 |
| 69
Naturwissenschaften ∙ Alter: 15-18
Naturwissenschaften ∙ Alter: 15-18
Die SchülerInnen sollen dabei zusammenarbeiten
und ihr Endergebnis präsentieren. Das Diskutieren
und Vorstellen ihrer Ideen steht im Vordergrund und
erleichtert die gemeinsame Wissensaneignung in der
Gruppe.
Bitte kühl lagern! (N 15-18)
Bitte kühl lagern! (N 15-18)
Schütteltaschenlampe (N 15-18)
Schütteltaschenlampe
„Die Gegenüberstellung der Hypothesen und der Versuchsergebnisse und die Erläuterung führte zu einer
interessanten und lebhaften Diskussion der ganzen
Klasse über Energietransfer und Wärmeleitfähigkeit,
wobei sich wissenschaftliche Tatsachen mit den Erfahrungen der SchülerInnen verknüpfen ließen.“
Die Schütteltaschenlampe ist vielen Schülern z. B. aus
dem Zeltlager bekannt und eignet sich – neben ihrem
praktischen Nutzen – zur Erforschung des Phänomens
der Induktion. Im Unterricht wird jeder Schülergruppe ein Taschenlampenexemplar mit der Frage: „Wie
kann so etwas funktionieren?“ zur Verfügung gestellt.
Zunächst müssen die Schülerinnen und Schüler
untersuchen, aus welchen Komponenten die Lampe
besteht und die jeweilige Funktion experimentell erforschen. Das Ziel sollte sein, die Funktion der Lampe
soweit zu durchdringen, dass eine eigene Schüttellampe gebaut werden kann.
Zusammengefasst hat sich diese Gruppenaufgabe als
ein wirksames Instrument zur Förderung von aktivem
und motivierendem Lernen erwiesen. Sie fördert die
Entwicklung verschiedener Herangehensweisen, die
Anpassung eigener Vorstellungen und praxisnahes
naturwissenschaftliches Lernen.
„Ich habe gesehen, wie engagiert Schüler sind, wenn
sie mit einem echten Problem konfrontiert werden,
weshalb ich den Ansatz des forschenden Lernens
weiter verfolgen will. Die SchülerInnen waren äußerst
motiviert, nach der richtigen Lösung zu suchen, fast
so, als ob es sich um einen Wettbewerb handelte.“
Zeitbedarf: 5-10 Unterrichtsstunden
Didaktisch-methodische Ideen
„Wir fragten die SchülerInnen, ob ihnen diese Art des
Lernens gefällt und sie riefen einstimmig: ‚Ja!ʻ“
Autoren:
Marta R. Ariza, Daniel Aguirre, Antonio Quesada, Ana M. Abril, F. Javier, García, Universität Jaén, Spanien;
Ragnhild Lyngved, Sør-Trøndelag University College (HiST), Trondheim, Norwegen
Fotos:
Daniel Aguirre
Link auf die PRIMAS-Website(s):
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/physik/185-huehl-lagern-inwolle-oder-in-metall
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Die Schütteltaschenlampe ist technisch übersichtlich
aufgebaut (Spule, Magnet, 4 Dioden, Kondensator,
LED) und kann von Schülerinnen und Schülern der
Sekundarstufe II zum Themengebiet der Induktion
eigenständig erforscht werden. Grundlagen wie der
Lade- und Entladevorgang bei Kondensatoren oder
die Eigenschaften von Dioden sollten im Vorfeld
bereits behandelt worden sein.
Für die Schülerexperimente stehen speziell präparierte Taschenlampen, vielfältige Materialien aus der
Physiksammlung und moderne Messwerterfassungssysteme zur Verfügung.
6) diskutieren /
präsentieren /
reflektieren
5) Daten
interpretieren /
Wissen erweitern
4) Experiment
durchführen
und Ergebnisse
auswerten
1) Fragen stellen
2) Hypothesen
formulieren
3) Untersuchung
oder Experiment
planen
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Naturwissenschaften ∙ Alter: 15-18
Naturwissenschaften ∙ Alter: 15-18
Referendare aus Norwegen berichteten über ähnlich
motivierende Erfahrungen mit 12-jährigen SchülerInnen, denen diese Aufgabe gestellt wurde.
Schütteltaschenlampe (N 15-18)
Schütteltaschenlampe (N 15-18)
Das Projekt erzeugte bei Schülerinnen und Schülern
eine hohe Motivation, da im Unterricht ein Bogen
vom physikalischen Phänomen, über die Grundlagen der Induktion bis hin zum selbst hergestellten
technischen Produkt gespannt wurde. Interessant
war es vor allem für die Schüler, die Messkurven der
originalen Lampe mit den Messkurven der eigenen
Lampe zu vergleichen und zu diskutieren.
Zunächst wird die Funktion der Originallampe anhand
des Forschungskreislaufs erforscht: Hypothesen werden generiert, Experimente zur Überprüfung geplant,
Messkurven aufgenommen und qualitative physikalische Gesetze zur Induktion formuliert. Die Ergebnisse
der Forschungsarbeit werden schließlich in Form
eines Galeriespaziergangs präsentiert.
Erfahrungen aus dem Unterricht
Magnet fällt in der Taschenlampe durch die Spule auf
die mechanische Feder:
Messung nach dem Gleichrichter.
Von einem Schüler gebaute Schütteltaschenlampe
Der Kondensator wird durch Schütteln geladen
und durch die weiße LED-Lampe entladen.
Autor und Fotos:
Patrick Bronner, Pädagogische Hochschule Freiburg, Germany
Quelle:
E. Claus et al.: ‚Shake Your Light! ... ‘, Unterricht Physik, 23 (2012), 127
Link auf die PRIMAS-Website:
http://primas.ph-freiburg.de/index.php/materialien/nationale-materialsammlung/physik/206-schuettellampe
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Naturwissenschaften ∙ Alter: 15-18
Naturwissenschaften ∙ Alter: 15-18
Die Aufgabe wurde in einer Oberstufenklasse als
Projekt am Schuljahresende eingesetzt. Mit dem
eigenständig erforschten Wissen konnten die Schülerinnen und Schüler ihre eigene Schütteltaschenlampe
herstellen (Materialliste auf der Primas-Website).
Die Spule musste nun selbst gewickelt, die Gleichrichterdioden verlötet und ein geeignetes Gehäuse
entworfen werden. Die Vorgaben zur Optimierung
des Endprodukts waren ein gutes Design und eine
möglichst lange Leuchtdauer der weißen LED bei
wenigen Schüttelbewegungen. Die Schülerprodukte
konnten sich sehen lassen!
Forschendes und entdeckendes Lernen im Unterrichtsalltag
Forschendes und entdeckendes
Lernen im Unterrichtsalltag
nicht mehr nur mathematikbezogen. Trotzdem eignet
sich der Ansatz für sie sehr gut, denn sie können sich
gegenseitig unterstützen. Bei der Gruppenarbeit achte ich darauf, dass nicht immer dieselben vier Schüler
in derselben Gruppe zusammenarbeiten. So lernen
sich die SchülerInnen untereinander auch besser
kennen.“
Was LehrerInnen über das forschende
und entdeckende Lernen sagen
Claudia Matt, Lehrerin aus Deutschland:
Gabriel Abela, Lehrer aus Malta;
„Zuerst habe ich nicht daran geglaubt, dass das
forschende und entdeckende Lernen effektiv ist, vor
allem nicht bei begabten Schülern. Ich hatte Angst,
dass gerade diese Schüler diese Art von Lernen für
Zeitverschwendung halten und es ablehnen, weil
sie daran gewöhnt sind, einen Sachverhalt erklärt zu
bekommen und dann viele Übungen dazu zu machen.
Aber als ich den Ansatz ausprobierte, gefiel er den
SchülerInnen.
Bei den weniger begabten und durchschnittlich begabten SchülerInnen ging ich davon aus, dass sie den
Ansatz relativ schnell akzeptieren würden. Die betreffenden Schüler reden gerne, und beim forschenden
Lernen haben sie mehr Gelegenheit, miteinander zu
sprechen. Manchmal waren ihre Gespräche allerdings
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Was die Sache schwierig macht, ist, wenn man eine
Klasse erst in der 8 oder gar erst 9 übernimmt und
die Schüler das andere Arbeiten nicht gewohnt
waren. Wenn man eine Klasse schon ab der 5 hat
und langsam einsteigt, dann ist es natürlich leichter.
Aber wenn man eine 9. Klasse neu übernimmt, dann
muss man halt ganz sanft einsteigen und kommt nicht
immer so weit, wie man möchte, aber das ist egal.
Wie gesagt, es hängt auch ein bisschen von der Klasse
ab. Im Moment mit meiner eigenen Klasse habʼ ich
eher Mühe, sie da heranzuführen. Aber sie waren
es vorher einfach komplett anders gewohnt. Wahrscheinlich liegt es daran.“
Foto: Patrick Bronner
Seinen Unterrichtsstil zu ändern und den Ansatz des
forschenden Lernens zu verfolgen, ist ein inspirierender Prozess, in dessen Verlauf Lehrerinnen und Lehrer
viele interessante Einsichten gewinnen. Es müssen
jedoch auch einige Hürden überwunden werden.
Hören wir von den Erfahrungen verschiedener Lehrer
aus ganz Europa.
Forschendes und entdeckendes Lernen im Unterrichtsalltag
„Wenn das forschende Arbeiten Schülern liegt, macht
natürlich der Unterricht erstens viel mehr Spaß, zweitens geht er viel schneller herum. Mathe ist selten das
Lieblingsfach der Schüler, aber wenn sie so arbeiten
dürfen, dann macht es eben Spaß. Und noch mehr
Spaß macht es, wenn die Aufgabe anwendungsbezogen ist und verschiedene Fachbereiche mit hineinspielen. Also Geographie oder Biologie oder etwas
anderes, so dass man auch Interessen von Schülern,
die sie außerhalb der Mathematik haben, miteinbeziehen kann. Die Fähigkeiten, die sie erwerben, sind
vielfältiger, nicht wie sonst nur auf Mathe bezogen.
Sie sehen Mathe nicht mehr so isoliert… Oft kommt
der Satz: ‚Mathe kann ich halt nicht.ʻ Es hat sehr
lange gedauert, ihnen beizubringen: ‚Auch ihr könnt
Mathe!ʻ … In Mathe bleibt natürlich das Üben nicht
aus, aber man kann ja auch so spannende Seiten an
Mathe entdecken!
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Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen
Inspirierende Erfahrungen – und
Herausforderungen
Viele Lehrkräfte haben uns berichtet, dass der Ansatz
des forschenden Lernens den SchülerInnen mehr
Spaß macht und sie engagierter mitarbeiten.
„Die Schüler sind für diese Herangehensweise sehr offen. Es gefällt ihnen, dass die
meisten Aufgaben auf alltäglichen Situationen basieren. In der Schule ist ja sonst oft
das Gegenteil der Fall.“
„Ich sehe auch die großen Chancen,
die sich aus der Anwendung dieses
Unterrichtskonzepts ergeben. Das
forschende Lernen ermöglicht den
SchülerInnen, in größerem Umfang auf ihre
eigenen Erfahrungen und ihre Fähigkeit zum
logischen Denken zurückzugreifen.“
(Linnea Hakonsen, Referendarin aus
Norwegen)
(Vadim Mazilescu, Lehrer aus Rumänien)
„Inzwischen macht es mir richtig Spaß,
Mathematikstunden vorzubereiten. Ich
gehe bei der Planung ganz anders vor.
Ich denke mehr darüber nach, was die
SchülerInnen verstehen sollten und wie sie
gegenseitig von ihrem Wissen profitieren.
Ich suche mir Projekte, bei denen die
SchülerInnen sich gegenseitig unterstützen
und in Gruppen zusammenarbeiten.“
(Susan Gjertsen, Lehrerin aus Norwegen)
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Diese Herangehensweise birgt jedoch auch einige
Herausforderungen. Im Folgenden werden mögliche
Schwierigkeiten dargestellt und wir schlagen verschiedene Lösungsmöglichkeiten vor. Unsere Vorschläge
basieren auf Berichten von LehrerInnen, die bereits
nach dem Konzept des forschendes Lernens arbeiten.
Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen
„Das forschende Lernen nimmt zu viel
Zeit in Anspruch.“
Viele LehrerInnen geben an, dass sie es schwierig finden, das forschende Lernen in ihre gewohnte Art des
Unterrichtens einzubinden. Sie halten das forschende
Lernen für weniger effizient als den herkömmlichen
Unterricht, wenn es darum geht, den Lehrplan einzuhalten.
„Eine Schwierigkeit sind die begrenzte Zeit
und der Lehrplan. Wir schimpfen ja ständig
über den Lehrplan. Er ist definitiv nicht auf das
Konzept des forschenden und entdeckenden
Lernens abgestimmt. Ich wünsche mir, dass
dieses Konzept in den Lehrplan integriert wird.
Wenn man forschendes und entdeckendes
Lernen ermöglichen will, wird es schwer, alle
Themen des Lehrplans abzudecken.“
(Anna Miguel, Lehrerin aus Malta)
„Ich glaube, das größte Problem ist die
Zeit – auch was die Vorbereitung der
Unterrichtsstunden betrifft. Besonders in
der 9. und 10. Klasse (14 bis 16 Jahre) steht
viel Unterrichtsstoff auf dem Plan. Deshalb
ist es schwierig, dann auch noch Zeit für
forschendes und entdeckendes Lernen
zu finden, denn in einem sehr kurzen
Zeitraum muss extrem viel Stoff bewältigt
werden.“
(Brad Holmes,
Lehrer aus dem Vereinigten Königreich)
Manche LehrerInnen beklagen, dass sie keine Zeit
für forschendes Lernen haben, weil ihr Lehrplan
ohnehin zu viel Stoff vorsieht. Hier liegt ein häufiges
Missverständnis vor, denn das forschende Lernen ist
kein zusätzlicher Inhalt, sondern eine andere Art zu
lernen, bei der die SchülerInnen ein grundlegenderes
Verständnis des Inhalts erreichen. Kurzfristig lernen
die SchülerInnen vielleicht langsamer. Da das Lernen
jedoch mit einem tieferen Verständnis einhergeht,
bleibt das Wissen viel länger abrufbar und ein Wiederholen des Stoffes ist überflüssig. Darüber hinaus
lernen die SchülerInnen selbständiger und beginnen,
neuen Stoff auch alleine zu lernen und sich gegenseitig zu helfen. Langfristig hat das forschende und
entdeckende Lernen große Vorteile, erfordert jedoch
Beharrlichkeit.
„Natürlich nimmt es viel Zeit in Anspruch,
aber die fällt nicht unbedingt zusätzlich
an. Ich habe zum Beispiel gelernt,
forschendes Lernen bei der Vermittlung
mathematischer Inhalte einzusetzen. So
erfassen die SchülerInnen die Dinge viel
grundlegender und verstehen mehr.“
(Carmen Garcia, Lehrerin aus Spanien)
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Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen
„In das forschende und entdeckende
Lernen muss man als Lehrkraft viel
Zeit investieren.“
„Mit forschendem Lernen kommen
meine SchülerInnen nicht durch die
Prüfung.“
Wenn man das forschende Lernen erstmalig ausprobiert, ist die Vorbereitung relativ zeitintensiv. Das
ändert sich jedoch mit steigender Erfahrung und das
Ergebnis ist es allemal wert:
Für LehrerInnen hat es hohe Priorität, ihre SchülerInnen so vorzubereiten, dass diese bei Abschlussprüfungen gut abschneiden.
„Am Anfang ist es schwierig, aber man
gewöhnt sich an den neuen Unterrichtsstil.
Und dann merkt man, dass es leichter
wird.“
(Hajnalka Csapó, Lehrerin aus Rumänien)
„Unsere Befürchtung war, dass das
Unterrichtskonzept unser Arbeitspensum
nochmals erhöht. Und dann wäre es
schwierig geworden, alle Inhalte zu
behandeln. Doch dann haben wir gemerkt,
dass es um normale Unterrichtsstunden
geht, und wir waren weniger besorgt. Ich
würde allerdings trotzdem sagen, dass
das forschende und entdeckende Lernen
mehr Zeit in Anspruch nimmt. Doch unter
dem Strich ist es das wert, denn auf diese
Weise eignen sich die SchülerInnen den
Stoff viel besser an als im herkömmlichen
Unterricht.“
(Anna Miguel, Lehrerin aus Malta)
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„Meine Hauptaufgabe ist es, die
SchülerInnen auf die nächste Prüfung
vorzubereiten, damit sie ein Zeugnis
bekommen, das sie in Zukunft
weiterbringt. Mehr wollen sie nicht, und
wenn ich mehr machen würde, würden
sie sich sicherlich querstellen. Als nächstes
würden mir dann die Eltern erklären, dass
diese Art von Unterricht nicht zu meinen
Aufgaben gehört. Und an diesem Punkt
wird mir klar, dass ich keine Lust habe,
gegen eine Mauer zu rennen.“
(Marianne Berger, Lehrerin aus
Deutschland)
„Ich habe keine Zeit für Modellierung
oder forschendes Lernen. Ich muss die
SchülerInnen auf die Abschlussprüfung
vorbereiten.“
(Mariah Bonello, Lehrerin aus Malta)
Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen
Es stimmt, dass die SchülerInnen in vielen Ländern bei
Prüfungen nicht für ihre Fähigkeit belohnt werden,
Aufgaben auf forschende und entdeckende Weise zu
lösen. Dies ist auch den Politikern in einigen Ländern
bewusst. Die aktuellen Reformvorschläge in England
sehen beispielsweise einen stärkeren Fokus auf die
Bearbeitung unstrukturierter Aufgaben vor .
Wenn Lehrkräfte das forschende Lernen langfristig
in ihre Unterrichtspraxis integrieren, stellen sie fest,
dass sich die Prüfungsergebnisse verbessern:
„Einige von meinen SchülerInnen haben
bei den Halbjahresprüfungen nicht gut
abgeschnitten und den Mut verloren. Als
ich dann das forschende Lernen anwandte,
verbesserte sich ihr Selbstvertrauen.
Und das spiegelte sich bei den nächsten
Prüfungen auch in besseren Noten wider.“
(Gabriel Abela, Lehrer aus Malta)
Genau wie bei Abschlussprüfungen werden die durch
das forschende Lernen entwickelten Fähigkeiten in
den üblichen Klassenarbeiten meist nicht honoriert.
In diesem Bereich ist das forschende Lernen eine
besondere Herausforderung für die Lehrkräfte.
„In einer Klassenarbeit habe ich bisher
noch keine extrem offene Aufgabenstellung
bearbeiten lassen, soweit bin ich noch
nicht. Normalerweise verwende ich solche
Aufgaben in mündlichen Tests. Ich will aber
bald eine offene Aufgabe in eine schriftliche
Prüfung integrieren und bin auf der Suche
nach geeigneten Aufgaben dieser Art.
Es gibt nicht genügend Materialien zur
Leistungsüberprüfung nach dem Konzept
des forschenden Lernens, aber auf der
PRIMAS-Website findet man interessante
Anregungen.“
(Irina Weinrich, Lehrerin aus Deutschland)
„Eltern und andere Außenstehende
können das forschende und
entdeckende Lernen nicht gut
nachvollziehen.“
Die Einführung des forschenden Lernens geht mit der
Angst einher, dass Eltern und andere Außenstehende
unser Ziel missverstehen und meinen, wir würden
uns aus der Verantwortung stehlen, den SchülerInnen
fachliche Inhalte und Arbeitstechniken beizubringen. Unserer Meinung nach ist diese Angst jedoch
unbegründet, wenn das forschende und entdeckende
Lernen bei Elternabenden oder ähnlichen Veranstaltungen umfassend vorgestellt wird. Die Eltern sind
beruhigt, wenn sie erfahren, dass Fachwissen und
Methoden nicht zu kurz kommen.
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Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen
„Mit den Schülereltern gab es bisher
keine Probleme. Ich erkläre Ihnen,
dass ich forschendes Lernen nicht die
ganze Zeit über mache. Man muss
beim Elternabend einfach erklären,
dass im Mathematikunterricht ein
offenerer, forschender Unterrichtsansatz
angewendet wird, aber dass die
SchülerInnen am Ende des Schuljahres
trotzdem rechnen können.“
(Nina Meyer, Lehrerin aus Deutschland)
Was die Eltern natürlich auch beruhigt, sind die
begeisterten Erzählungen ihrer Kinder über den Unterricht oder sogar das gemeinsame Lernen:
„Wir bekommen nur positive
Rückmeldungen von den Eltern, denn
den SchülerInnen macht der neue
Unterrichtsstil Spaß und sie erzählen
ihren Eltern von ihren Lernerfahrungen.
Ich finde, wir sollten die Eltern umfassend
informieren und sie in unsere Aktivitäten
mit einbeziehen.“
(Vadim Mazilescu, Lehrer aus Rumänien)
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„Meinen Schülern wird das
forschende und entdeckende Lernen
nicht gefallen.“
Das forschende und entdeckende Lernen stellt auch
die SchülerInnen vor größere Herausforderungen und
sie brauchen einige Zeit, um sich daran zu gewöhnen:
„Die SchülerInnen sind eher an einen
traditionellen Unterrichtsstil und direkte
Wissensvermittlung gewöhnt und müssen
erst lernen, sich Wissen nach dem Ansatz
des forschenden Lernens anzueignen.“
(Martin Egi, Lehrer aus der Schweiz)
Manche SchülerInnen, vor allem diejenigen, die mit
dem traditionellen Ansatz der Wissensvermittlung gut
gefahren sind, müssen sich erst an die neue, aktivere
Rolle gewöhnen, die jetzt von ihnen erwartet wird:
„Warum sagen Sie uns nicht einfach, wie wir an die
Aufgabe herangehen sollen?“ oder „Warum sollen wir
dieses Experiment selbst planen?“ Solche Reaktionen
sind ganz normal.
Wir sollten den SchülerInnen die veränderten
Erwartungen an sie genau erklären: dass sie lernen
sollen, aktiv Fragen zu stellen, selbst nach Antworten
zu suchen, verschiedene Ansätze zu vergleichen und
ihre eigenen Lösungsideen weiterzuverfolgen – ohne
ständig um Hilfe zu bitten. Die Schüler sollen wissen,
wie wichtig es ist, zusammenzuarbeiten, genauso so,
wie professionelle Wissenschaftler und Mathematiker
es in der Realität tun.
Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen
Das Verständnis dafür wird nach und nach wachsen.
Zu Beginn können wir eher kurze Aufgaben stellen,
die nur ein bisschen offener und unstrukturierter sind
als sonst.
„Ich versuche, kleinere
Forschungsaufgaben zu stellen, die in einer
oder zwei Unterrichtsstunden bewältigt
werden können. Das hat den Vorteil, dass
die SchülerInnen nicht den Faden verlieren
und bald Ergebnisse sehen.“
(Pavol Jaroslav, Lehrer aus der Slowakei)
Geschickte Fragen bringen das forschende Lernen
meist gut voran. Unserer Erfahrung nach sollten
mögliche Fragen zuvor sorgfältig überlegt werden.
Die Bearbeitung einer offenen Aufgabe kann mit
Fragen wie dieser eingeleitet werden: „Wie kann man
diese Aufgabenstellung vereinfachen? Welche Vermutungen können wir aufstellen?“ Wenn ein Schüler das
Ausgangsproblem erkannt hat, können wir fortfahren:
„Fällt dir eine systematische Lösungsstrategie ein?
Wie könntest du deine Daten sinnvoll festhalten?“
Während die SchülerInnen Daten sammeln, fragen
wir: „Könnt ihr ein Muster erkennen? Habt ihr eine
Erklärung für das Muster?“ Zum Schluss geht es vor
allem um das Kommunizieren der Ergebnisse: „Wie
könnt ihr euer Ergebnis kurz und bündig erklären?“
Es ist immer gut, die SchülerInnen nach sinnvollen Begründungen für ihren Lösungsweg und ihre Ergebnisse zu fragen. Wenn sie nicht weiterkommen, sollte die
Lehrkraft nicht zu schnell helfen, sondern ihnen Zeit
zum Nachdenken geben, ehe sie selbst einschreitet.
„Ich bitte die SchülerInnen, ihre
Argumente mit Beispielen zu belegen
oder detaillierter auszuführen. In den
meisten Fällen kommen sie damit dann
besser voran. Kommt ein Schüler nicht
weiter, schildere ich dasselbe Problem
in einem anderen Zusammenhang, um
es anschaulicher zu machen. Der von
mir gewählte Zusammenhang ist dann
meistens etwas aus dem täglichen Leben
der SchülerInnen.“
(Cosmin Mihai, Lehrer aus Rumänien)
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Inspirierende Erfahrungen – und Herausforderungen
Am Ende werden es die SchülerInnen zu schätzen
wissen, dass wir ihnen den Unterrichtsstoff auf diese
Weise nahebringen:
„Meiner Meinung nach ist das
forschende Lernen ein Fortschritt
für den mathematischen und
naturwissenschaftlichen Unterricht.
So lernen die SchülerInnen, kritisch
und kreativ zu denken und ihre
Kenntnisse in Mathematik und
Naturwissenschaften zu nutzen, um
eine Aufgabe zu lösen. Außerdem
hilft es den SchülerInnen, mit anderen
selbstbewusst über mathematische
oder naturwissenschaftliche
Zusammenhänge zu diskutieren.“
(Gabriel Abela, Lehrer aus Malta)
Die erfolgreiche Umsetzung des forschenden und
entdeckenden Lernens in unserem naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterricht birgt
verständlicherweise Herausforderungen. Aber die
Fähigkeiten, die die SchülerInnen sich durch das
forschende und entdeckende Lernen aneignen, sowie
der damit einhergehende Nutzen – für die Schüler,
aber auch für uns als Lehrer – sind wesentlich größer
als die Hindernisse und der anfängliche Widerstand.
Ein guter Ansatzpunkt ist, das forschende Lernen
Schritt für Schritt einzuführen und auszuprobieren.
Die Erfahrungen der TeilnehmerInnen am PRIMASProjekt zeigen, dass das Ergebnis die damit verbundene Mühe allemal wert ist.
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Zum Abschluss möchten wir allen danken, die an
PRIMAS teilgenommen haben: LehrerausbilderInnen, ReferendarInnen und LehrerInnen sowie ihren
SchülerInnen. Ihr Einsatz ermöglicht uns wertvolle
Einblicke in ihre Arbeitsweisen – und ist die Grundlage für den Erfolg des Projektes. Gemeinsam werden
wir weiterhin das forschende und entdeckende Lernen in ganz Europa fördern. Dabei sind Ihr Feedback
und Ihr Beitrag jederzeit willkommen, damit wir das
Ziel, unsere SchülerInnen bestmöglich auf ein Leben
nach der Schule vorzubereiten, weiter voranbringen
können.
ISBN 978-3-00-044285-8