Die Ausbildung von Berufsschullehrer/innen in Österreich

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Die Ausbildung von Berufsschullehrer/innen in Österreich
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Im Fokus: Ausbildungsprofessionalisierung
Autorinnen:
DR. REGINE MATHIES, BED
Leiterin des Instituts für Berufspädagogik an
der Pädagogischen Hochschule Tirol
ASS. PROF. DR. HEIKE WELTE
Asssistenzprofessorin am Institut für
Organisation und Lernen, Fakultät für
Betriebswirtschaft, Universität Innsbruck
Die Ausbildung von Berufsschullehrer/innen in Österreich
Auf dem Weg zur (akademischen) Professionalisierung – eine notwendige Herausforderung für die Zukunft
1. Problemstellung
Ergebnisse verschiedener Schulleistungsvergleiche, Evaluationen von universitären Ausbildungen im Bereich der Lehramtsstudien und nicht zuletzt der „Bologna-Prozess“ haben in den
letzten Jahren den Blick vermehrt auf die Lehrer/innenbildung
gelenkt. Während im Bereich der universitären Lehrer/innenbildung für den sekundären Schulbereich in Österreich die
Umstellung auf ein Bachelor- und Masterstudium erst durch
die kürzlich beschlossene Reform „PädagogIinnenbildung
NEU“ ermöglicht wird (www1), ist die Ausbildung der Pflichtschullehrer/innen, die in Österreich an den Pädagogischen
Hochschulen (PH) angesiedelt ist, bereits seit 2007 mit dieser
Umstrukturierung konfrontiert (OSTENDORF/MATHIES 2008;
MATHIES 2012). Die mit diesen Veränderungen einhergehende
Akademisierung der Institution hat zu strukturellen und inhaltlichen Neuausrichtungen geführt. Von diesen Reformen ist
auch die Ausbildung der Berufsschullehrer/innen, die in Österreich ebenfalls an den PH angesiedelt ist, betroffen und stellt
sie vor besondere Herausforderungen.
Mit der Zuordnung der PH zum tertiären Bildungsbereich
ergibt sich die Durchführung berufsfeldbezogener Forschung
als neuer Aufgabenbereich. Der Anspruch der Wissenschaftlichkeit der Ausbildung bei ihrer gleichzeitig engen Anbindung
an die Schulrealität wird in den entsprechenden gesetzlichen
Regelungen deshalb auch ausdrücklich betont (HG 2005, § 8).
Die Studienteile haben „in einem modular zu gestaltenden und
integrativ zu konzipierenden Studium zusammen zu wirken,
um durch aufeinander abgestimmte und studienfachbereichsübergreifende Angebote zu einer wissenschaftlich orientierten, forschungsgeleiteten und praxisbezogenen Ausbildung
der künftigen Lehrerinnen und Lehrer beizutragen“ (BGBl. II
258/2007, § 9).
Neben den pädagogischen, didaktischen und methodischen
Ansätzen, die die Berufspädagogik im Gesamten und die Berufsschulpädagogik aufgrund der Bildungsintention und Struktur des dualen Systems in Österreich im Besonderen erfordert,
muss die Studienkonzeption sowohl auf strukturell-organisatorischer als auch inhaltlicher Ebene mit Rücksicht auf die Berufstätigkeit der Studierenden erfolgen und unterscheidet sich
diesbezüglich wesentlich von den berufsbildenden Vollzeitstudien (MATHIES 2013; OSTENDORF/MATHIES 2008). Berufstätigkeit der Studierenden bedeutet in diesem Zusammenhang, dass
sie einerseits sich in Ausbildung befindende Lernende an einer
PH sind und andererseits ihrer Berufstätigkeit, für die sie ausgebildet werden, als Lehrende an einer Berufsschule nachgehen.
Ziel der Ausbildung ist eine Professionalisierung im Spannungsfeld von theoriegeleiteter Ausbildung an der PH und eigener Lehrtätigkeit (Unterrichtspraxis) an der jeweiligen Berufsschule. Das stellt eine hochschuldidaktische Fokussierung dar,
die sich die – nicht unbedingt neue, aber wieder aktuelle –
Frage stellt, wie Lehrer/innenbildung einen „Theorie-Praxis-Zusammenhang“ gestalten kann und damit einerseits forschungsgeleitetes Wissen in die Unterrichtspraxis gelangen kann und
andererseits Praxisprobleme in den theoretischen Ausbildungsteil und schlussendlich in die jeweilige wissenschaftliche Disziplin Eingang finden können (WILDT 1996; MATHIES 2012).
Eine mögliche Antwort darauf lautet, dass „Lehrer durch Erfahrung mit und durch wissenschaftliche Bearbeitung von
ausgewählten Schwierigkeiten ihres künftigen Lehrberufs auf
diesen vorbereitet werden“ (V. HENTIG 1996, 20) sollen.
Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht die Frage, inwieweit
durch eine stärkere Berücksichtigung forschungsorientierten
Lernens eine Theorie-Praxis-Verzahnung in der Berufsschulpädagogik erreicht werden kann, die nicht nur der strukturellen
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Besonderheit dieser Ausbildung in Österreich Rechnung trägt,
sondern wesentliches didaktisches Element zur Förderung von
professioneller beruflicher Handlungskompetenz ist. „Nebeneffekt“ dieser bewussten und verstärkten Fokussierung von
Forschung könnte dabei auch die Entwicklung einer stärker gelebten forschungsorientierten Organisationskultur an PH sein,
an der Lehre immer noch mehr im Mittelpunkt steht als es an
Universitäten der Fall ist.
Im ersten Teil dieses Beitrags wird kurz die Struktur und
Zielsetzung der Berufsschullehrer/innen-Ausbildung in Österreich erläutert. Ausgehend von einem Professionalisierungsverständnis, das berufliche Handlungskompetenz in der reflexiven Integration von Wissen und Können verortet, wollen wir
dann zeigen, wie durch forschendes Lernen als hochschuldidaktische Maßnahme Bedingungen geschaffen werden können, die ein Zusammenspiel von Theorie und Praxis ermöglichen, um so die intendierte Professionalisierung zu erreichen.
Anhand weniger didaktischer Konzeptionen von forschendem
Lernen, die Anhaltspunkte zur Gestaltung und Berücksichtigung der strukturellen Besonderheit dieser Ausbildung zeigen,
werden abschließend damit verbundene Herausforderungen
für die PH diskutiert.
2. Struktur der Ausbildung von Berufsschullehrer /
innen in Österreich
Das Bachelorstudium Berufsschulpädagogik wird in Österreich
an den berufspädagogischen Zentren in einem dreijährigen
Studium (180 ECTS) berufsbegleitend angeboten und schließt
mit dem Bachelor of Education (Lehramt für Berufsschulen)
ab. Berufsbegleitend deshalb, weil die gesetzlichen Bestimmungen zur Gestaltung der Studien festlegen, dass auf die
spezielle Situation der berufstätigen Studierenden und ihre
Berufserfahrungen Rücksicht zu nehmen ist (HCV 2006, §§ 15,
16, 40). Zugelassen zum Studium werden nur bereits an einer
Berufsschule unterrichtende Berufsschullehrer/innen, die die
allgemeine Universitätsreife oder Meisterprüfung sowie die für
die jeweilige Fachgruppe (allgemeiner und betriebswirtschaftlicher Unterricht, Fachtheorie, Fachpraxis), für die das Lehramt
erworben wird, besonderen berufsfachlichen Voraussetzungen
(abgeschlossene Berufsfachausbildung und mehrjährige Berufsfachpraxis) nachweisen können.
Im Studium der Berufsschulpädagogik sind die studienorganisatorischen Rahmenbedingungen aufgrund der engen
Verbindung der Ausbildung zur Berufsschule als Dienstgeberin
der Studierenden 'bildungspolitisch' vorgegeben und zeigen
sich in einer durchgängigen Parallelisierung von eigener Unterrichtstätigkeit und theoretischen Ausbildungsphasen mit
unterschiedlichen Gewichtungen innerhalb der drei Studienjahre. Nicht nur deshalb ist eine enge Kooperation zwischen
den Verantwortlichen der PH und der Berufsschulen für eine
erfolgreiche Studienorganisation elementar.
Im ersten und letzten Studienjahr erfolgt der Wechsel zwischen Berufsschule (pädagogische Praxis), an der die Lehrer/
innen von Beginn an vertraglich angestellt sind, und PH (theoretische Ausbildung) kontinuierlich in einem berufsbegleitenden Teilzeitstudium mit einer stärkeren zeitlichen Gewichtung
der Unterrichtstätigkeit. Im zweiten Studienjahr sind die Studierenden von ihrer eigenen Unterrichtstätigkeit freigestellt.
Dieses als Vollzeitstudium gestaltete Jahr ermöglicht dadurch
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eine theoretische, wissenschaftsgeleitete Vertiefung der einzelnen Ausbildungsbereiche, die auf die Unterrichtserfahrungen und theoretischen Grundlagen aus dem ersten Jahr rekurriert, gleichzeitig aber auch auf in diesem Jahr stattfindenden
„Schulpraktische Studien“' Bezug nimmt.
Abb. 1: Studienstruktur Bachelorstudium Berufsschulpädagogik (eigene
Darstellung)
Diese kontinuierliche Parallelität von Ausbildung und Unterrichtstätigkeit bietet eine gute Basis für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz, stellt gleichzeitig aber auch einen
ständigen Balanceakt zwischen Theorie (Ausbildungsorientierung) und Praxis (Berufsorientierung) dar (MATHIES 2012). Bemerkenswert ist die strukturelle „Ausbildungsverwandtschaft“
zwischen dualer beruflicher Ausbildung und der Ausbildung
zum/zur Berufsschullehrer/in: Lehrende für den schulischen
Unterricht in der dualen Ausbildung, gekennzeichnet durch
die Parallelität von Betrieb und Schule, erfahren selbst eine duale Ausbildung in der Berufsschule als ihrem Praxisfeld und an
der PH als ihrem Ausbildungsfeld (MATHIES 2009).
Die Studienfachbereiche umfassen im Kern Humanwissenschaften, Fachwissenschaften, Fachdidaktik, Schulpraktische
Studien, Begleiteter Schuldienst, die studienfachübergreifende Bachelorarbeit und Berufspraxis (HCV 2006, § 16). Letztere
wird im Rahmen der Zulassung zum Studium als Studienanteil anerkannt, wodurch der Stellenwert dieser Berufspraxis
nochmals deutlich wird. Im Mittelpunkt der Schulpraktischen
Studien, die während der gesamten Studienzeit stattfinden,
stehen einzelne von den Studierenden vorzubereitende Unterrichtsstunden, die an einer beliebigen Berufsschule abgehalten
und gemeinsam mit der Lehrveranstaltungsleitung sowie den
Studienkolleginnen/-kollegen reflektiert werden (Lehrübungen). Im Gegensatz dazu bezieht sich der „Begleitete Schuldienst“, der im ersten und dritten Studienjahr angesiedelt ist,
auf den eigenen regulären Unterricht, der mit einem in die
Ausbildung integrierten Mentoringsystem verbunden ist. Bei
diesem Ausbildungsteil werden die Studierenden von Beginn
an von Lehrerkolleginnen/-kollegen (Mentorinnen/Mentoren)
ihrer jeweiligen Berufsschule begleitet und betreut.
Zentrales Ausbildungsziel der Berufsschulpädagogik ist
berufliche Handlungskompetenz: Das Curriculum für die Berufsschullehrer/innen-Ausbildung ist „unter Beachtung der
gesellschaftlichen, pädagogischen, wirtschaftlichen, technologischen und bildungspolitischen Entwicklungen als wissenschaftlich fundierte und berufsfeldbezogene Hochschulbildung“ (HCV 2006, § 3) zu gestalten.
3.Ausbildungsziel: Professionelle berufliche
Kompetenz
3.1 Professionalisierung als Leitgedanke hochschuldidaktischer
Gestaltungsprozesse
Pädagogisches Handeln im Klassenzimmer ist durch Komplexität gekennzeichnet und kommt in der Vorbereitung, Insze-
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nierung, Durchführung und Nachbereitung von Unterricht
als Kern der Berufsaufgabe von Lehrerinnen/Lehrern zum
Ausdruck (TERHART 2006). Eine Diskussion um professionelle
berufliche Handlungskompetenz muss sich an diesem Berufsprofil ausrichten (z.B. BAUMERT/KUNTER 2006; FRITZ/STAUDECKER 2010; WEINERT 2001; TERHART 2002). Die Gleichzeitigkeit, in der Lehrer/innen im Unterricht unter stetiger Beobachtung der gesamten Klasse und in einem straffen Zeitkorsett
Schüler/innen aktivieren oder Störungen antizipieren sollen,
setzt sie unter permanenten Handlungsdruck, der kaum Zeit
lässt, in Ruhe über notwendige Handlungsschritte nachzudenken. Darin wird das professionsinhärente Spezifikum dieses
Berufs, nämlich die Unsicherheit, Ungewissheit und Offenheit,
in der dieses Handeln stattfindet und dadurch nicht steuerbzw. standardisierbar ist, besonders deutlich (z.B. WILDT 1996;
HELSPER 2001; BAUMERT/KUNTER 2006; TENORTH 2006) und
zeigt die Bedeutung von professioneller Handlungskompetenz,
um der Komplexität und sozialen Intensität, die im Unterrichtsgeschehen wirken, verantwortungsvoll und aktiv zu begegnen.
Handlungskompetenz umfasst „profunde Sach- und Fachkenntnis, Einstellungen und Haltungen sowie Fertigkeiten und
Fähigkeiten, so dass sie integriert und flexibel in unterschiedlichsten Situationen anwendbar ist“ (REIBER 2007, 7). Erweitert
und auf den Lehrberuf übertragen ergibt sich dann ein Modell
professioneller Handlungskompetenz, das das Zusammenspiel
zwischen
»» „spezifischem, erfahrungsgesättigten deklarativen und prozeduralen Wissen (Kompetenzen im engeren Sinne: Wissen
und Können);
»» professionellen Werten, Überzeugen, subjektiven Theorien,
normativen Präferenz und Zielen;
»» motivationalen Orientierungen sowie
»» metakognitiven Fähigkeiten und Fähigkeiten professioneller
Selbstregulation“ (BAUMERT/KUNTER 2006, 481) umfasst.
Abb. 2: Modell professioneller Handlungskompetenz
(BAUMERT/KUNTER 2006, 482)
Dieses Modell eignet sich deshalb besonders für die Konzeptualisierung der Entwicklung von Handlungskompetenz von
Lehrenden, da sich die Wissensbereiche sowohl auf Wissen
als theoretisch-formale Wissensdimension als auch auf Können als praktische Wissensdimension, als die Integration von
erfahrungsbasiertem Wissen und Fachwissen in neuer Form,
beziehen (BAUMERT/KUNTER 2006). Entwicklung von Professionswissen ist mit einer systematischen und reflektierten Praxis über einen längeren Zeitraum hinweg verbunden, die durch
Vorbilder, Coaching und diskursive Rückmeldung begleitet
wird (z.B. BROMME 2001; BERLINER 2001).
Im Mittelpunkt steht dann die Frage nach der Gestaltung der
Verbindung von Berufspraxis (Arbeitsplatz) mit der berufstheoretischen Ausbildung (Ausbildungsinstitution). Beide „Lernorte“ beziehen sich auf unterschiedliche Zielsetzungen, Wissensarten, didaktische und methodische Settings. Konnektivität
als "the purpose of that pedagogical approach which educators
would adopt in order to take explicit account of the relationship
between theoretical and everyday knowledge in their attempt
to mediate the different demands arising in the contexts of
education and work (Griffiths/Guile 2003)" (TYNJÄLÄ 2009, 22)
stellt ein hilfreiches theoretisches Konstrukt in der Berufsbildungsforschung dar (GUILE/GRIFFITHS 2001; TYNJÄLÄ 2009;
OSTENDORF 2014; GRAF 2014), um sich mit den verschiedenen
Gestaltungsmöglichkeiten auf der System-, Organisations- und
Individualebene auseinanderzusetzen. Dabei rückt nicht nur
das Verknüpfen von theoretischem und praktischem Lernen in
den Mittelpunkt, auch die Verbindung von formalem und informellem Lernen wird aufgegriffen (GUILE/GRIFFITHS 2001).
Die Berücksichtigung und zentrale Einbindung von Arbeitserfahrungen in unterschiedlichen Lernorten soll Lernenden
ermöglichen, ihr theoretisch erworbenes Wissen zu verstehen
und zu verwenden, bestehende Arbeitspraktiken zu kritisieren
und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen,
Sicherheit im Agieren in unterschiedlichen Kontexten zu entwickeln und eine Verbindung zwischen dem eigenen Wissen
mit dem Wissen anderer Expertinnen/Experten in unterschiedlichen Kontexten herzustellen (TYNJÄLÄ 2009). Das umfasst damit einen wechselseitigen und interaktiven Prozesse des "theorising practice" und "particularising theory" (TYNJÄLÄ 2009, 23).
3.2 Reflexiver Zugang zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz
Die Entwicklung und Entfaltung beruflicher Handlungskompetenz in pädagogischen Feldern passiert im Kontext von Theorie und Unterrichtspraxis und intendiert damit eine Verbindung von Wissen und Können (z.B. OEVERMANN 1996; BROMME 1997; HELSPER 2001). Ausbildungskonzeptionen, in denen
Praxisphasen implementiert sind, ermöglichen eine Vergegenständlichung von Handlungen auf kognitiver und realer Ebene,
indem der Weg von der Handlung zum Wissen und vom Wissen zur Handlung immer wieder bewusst durchlaufen wird. Es
wird eine gezielt angeleitete ausbildungsorientierte Bearbeitung der Praxis unterstützt, die zum Wissensaufbau beiträgt
(SCHÖN 1983; ALTRICHTER 2000).
Damit bekommt Reflexionskompetenz als verbindende Instanz von Wissen und Können eine besondere Bedeutung. "…
the principle of connectivity refers to both individual and institutional connection-making between what is learnt in different
contexts and the reflective processes which make further learning possible" (TYNJÄLÄ 2009, 24). Reflexion bedeutet, über
Handlungen und deren Wirkungen mit Bezug zu empirisch
gesichertem Wissen „nachzudenken“ und diese „Gedanken“
in weiteren Handlungen wirksam werden zu lassen. Aus einer
permanenten Auseinandersetzung mit Rahmenbedingungen
und einer stetigen „Ich-Thematisierung“, die den Abstand von
sich selbst ermöglicht, soll Freiraum für verändertes Handeln
erkannt und das Zusammenspiel von Wissen und Können
immer wieder neu organisiert werden (KOLBE 2004).
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Reflexionsfähigkeit ist an Diskursfähigkeit gebunden, weil nur
dadurch die Explikation von Wissen möglich wird und die Perspektiven beteiligter Dritter einbezogen werden können. Gerade
wenn Betroffene mit Handlungsproblemen konfrontiert sind,
ist die Fähigkeit, eigenes Handlungswissen zu verbalisieren,
ein Zeichen professioneller Kompetenz. Explikation fördert ein
„Bewusstwerden“ und damit verbunden eine bewusste Analyse und Reorganisation von Wissen. Das ermöglicht nicht nur
den Handelnden, Konsequenzen für zukünftige Handlungssituationen zu ziehen, sondern auch Begleiterinnen/Begleitern,
Schlüsse für die Weiterentwicklung von Ausbildungskonzepten
abzuleiten (u.a. NEUWEG 1999; BAUMGARTNER/WELTE 2002).
Herausfordernd wird die Gestaltung der beschriebenen
Leitideen in der Berufsschulpädagogik durch die „doppelte
Theorie-Praxis-Relationierung“ (WILDT 2005, 184): Neben die
subjektiven Theorien der Lernenden, die aus der eigenen pädagogischen Praxis in der Schule entstehen bzw. entstanden sind
und in die Ausbildung mitgebracht werden, treten die an der
PH im Rahmen der Ausbildung vermittelten Theorien, die diesen bestehenden Wissensbereich weiterentwickeln, kontrastieren. Zur schulischen Praxis(erfahrung) kommt dann noch die
hochschuldidaktische (angeleitete) Praxis als Handlungsfeld
dazu. Das bedeutet also: Lernende bringen subjektive Theorien
(Theorie I) aus der eigenen Unterrichtspraxis (Praxis I) mit, die
angeleitet von Lehrenden in der berufspädagogischen Ausbildung mit generellen Theorien (Theorie II) und hochschuldidaktischer Praxis (Praxis II) in Beziehung gebracht werden. Daraus
ergeben sich dann unterschiedlichste Verknüpfungen und
Wirkungen zwischen den vier Feldern (WILDT 2005).
Für die Entwicklung und Entfaltung beruflicher Handlungskompetenz sind diese verschiedenen Möglichkeiten von
Relationierungen entscheidend: Wenn alltagstheoretisches
Vorwissen nicht zu objektiven Theorien in Beziehung gesetzt
wird, besteht die Gefahr, dass an der PH vermitteltes Wissen
träge bleibt, weil keine Veränderung der subjektiven Theorien
möglich ist (NEUWEG 2007; BAUMERT/KUNTER 2006). Sie bilden den zentralen Ansatzpunkt für die Gestaltung reflexiver
Lernprozesse. Die Leitidee für die Berufsschullehrer/innenBildung lautet dann: Ausbildungskonzeptionen müssen Handlungssituationen und -möglichkeiten bereitstellen und eine
theoretische Fundierung situativ und fallspezifisch realisieren,
damit „reflexives Potenzial“ wirksam werden kann (HELSPER
2001; MESSNER 2001). Dabei müssen auch sozio-kulturelle und
institutionelle Bedingungen der Berufsrealität berücksichtigt
werden.
(HUBER 2003). „… das Wichtige am Prinzip des forschenden
Lernens ist die Erfahrung kognitiv, emotional und sozial, des
ganzen Bogens, der sich vom Ausgangsinteresse, den Fragen
und Strukturierungsaufgaben des Anfangs über die Höhen
und Tiefen des Prozesses, Glücksgefühle und Ungewissheiten,
bis zur selbst (mit-)gefundenen Erkenntnis oder Problemlösung
spannt“ (HUBER 2003, 16). Forschendes Lernen bietet die Chance, sich mit Theorie- und Wissensbestand der eigenen Disziplin,
dem eigenen zukünftigen Berufsfeld und mit der eigenen Rolle
darin kritisch-evaluativ auseinanderzusetzen (BASTIAN et al.
2003; kritisch z.B. DICK 2003; SCHNEIDER/WILDT 2003).
Die hochschuldidaktische Relevanz zeigt sich in der gleichzeitigen Berücksichtigung der beruflichen Tätigkeitsfelder der
Studierenden und der Wahrung akademischer Standards: Eine
Didaktik forschenden Lernens in der Berufsschullehrer/innenBildung hat das Potenzial einer konsequenten Praxisorientierung mit dem Anspruch, einer „Bildung durch Wissenschaft“
(z.B. BASTIAN et al. 2003; ALTRICHTER/MAYR 2004; SCHNEIDER/WILDT 2009). Die didaktische Gestaltung von Theorie und
Praxis erfolgt dann idealerweise in Form von problemorientierten Settings: "What theory is needed in any particular situation
is mainly learned through participation in practice and getting
feedback on one's action; problem-solving is the very essence of
developing expertise – formal knowledge is turned into skills
when it is used to solve practical problems and into informal
knowledge when it is used to solve problems of understanding"
(TYNJÄLÄ 2009, 20).
Gerade für die Berufsschullehrer/innen-Ausbildung eignet
sich dieses didaktische Konzept, um die auf institutioneller Ebene erfolgte Übernahme in den tertiären Bildungsbereich auch
inhaltlich und mit Rekurs auf die besondere Studienstruktur
zu legitimieren. Eine stärkere Fokussierung der Forschungsorientierung in der Lehre kann auch Effekte auf organisationskultureller Ebene haben und damit die Entwicklung einer „neuen
Forschungskultur“ in allen Aktivitäten der PH unterstützen.
Bei der didaktisch-methodischen Präzisierung sind Konzepte forschenden Lernens zu definieren, um dafür notwendige
studien- und lernorganisatorische Rahmenbedingungen abzustecken, in denen „Praxiserfahrung zur Sprache gebracht
und auf wissenschaftliches Wissen beziehbar“ (Wildt 1996,
101) wird. Die im Folgenden beschriebenen vier Möglichkeiten
stellen dabei nur erste, recht generelle Ansatzpunkte für eine
weitere, differenziertere Ausgestaltung dar, die aber eben auch
versuchen, das institutionelle Setting zu berücksichtigen.
4.1 Ansatzpunkte für forschendes Lernen
4.Forschendes Lernen in der Berufsschullehrer/innenAusbildung
Lernen durch Forschung bzw. Beteiligung an Forschung zeichnet sich dadurch aus, dass die Aktivierung von Lernenden in
den Mittelpunkt rückt: Am Anfang steht die Suche nach einer
die Lernenden interessierenden Fragestellung und deren Bearbeitung. Das kann entweder selbst, mit der Unterstützung der
kollegialen Lerngruppe oder mithilfe der Lehrenden erfolgen.
Idealerweise umfasst die Fragestellung aber nicht nur eine subjektive Bedeutung für die einzelnen, sondern fokussiert auch
auf Erkenntnisgewinn für andere. Das Lernarrangement selbst
umfasst sowohl Individual- als auch Sozialphasen und stellt
das Lernen und weniger das Endprodukt in den Mittelpunkt
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Die lernorganisatorischen Handlungsräume in der Berufsschullehrer/innen-Bildung sind vor allem in den Bereichen
Fachdidaktik, „Schulpraktische Studien“ sowie „Begleiteter
Schuldienst“ angesiedelt. Die Konzepte sind durch eine Zunahme des Umfangs der eigenen Forschung, der Verantwortung dafür sowie der Transferleistung der Lernenden gekennzeichnet
(vgl. ALTRICHTER/POSCH 2007; MATHIES 2012).
»»
Distanziertes Einüben in Fallverstehen
Die Studierenden bearbeiten Fälle aus der beobachteten Unterrichtspraxis von Kolleginnen/Kollegen unter Anleitung
von Expertinnen/Experten (d.s. erfahrene Lehrer/innen).
Dabei wird der Fall zunächst schrittweise operationalisiert
und das Finden/Formulieren von möglichen Forschungsfra-
[ WISSENSCHAFT
gen geübt. Dementsprechend können die Schulpraktischen
Studien im ersten Studienjahr vorwiegend für Hospitationen und erst langsam und schrittweise für eigene Unterrichtstätigkeit, die zunächst auch nur in Sequenzen – evt.
mit anderen Studienkolleginnen/-kollegen – erfolgt, genutzt
werden.
Dieses „Herantasten“ ermöglicht eine erste, handlungsentlastete Auseinandersetzung mit den Komplexitäten des Unterrichtsgeschehens, ohne dass die „Übenden“ unmittelbare
Verantwortung für „den Fall“ haben. Diese Verantwortung
obliegt den Expertinnen/Experten, die die Studierenden in
ihrer Berufstätigkeit begleiten. Trotzdem werden sie bereits
mit den Widersprüchlichkeiten des Lehrer/innenberufs
konfrontiert. Dadurch können Handlungshintergründe
und -konsequenzen in der reflexiven Konversation mit den
Expertinnen/Experten erschlossen und mit eigenen Voreinstellungen und Erfahrungen verknüpft werden (u.a. BASTIAN et al. 2003; ALTRICHTER/MAYR 2004).
Im Rahmen der reflexiven Konversation mit den Expertinnen/Experten können die über eine gewisse Zeitspanne entlang der Forschungsfragen vorgenommenen
Beobachtungen und Analysen vertieft und mit Blick
auf die eigene Unterrichtstätigkeit reflektiert werden.
»»
Teilverantwortliche Mitwirkung in angeleiteter Projektforschung
Die im Rahmen dieses Settings zu bearbeitenden Forschungsfragen werden vorgegeben, z.B. von der PH oder der Berufsschule. Studierende arbeiten dann in kleinen Teams an diesen
Forschungsprojekten, die kontinuierlich wissenschafts- und
lernorientiert von Lehrenden begleitet werden.
Auch hier stehen vom Handlungsdruck entlastete Forschung
und Reflexion im Vordergrund. Da es aber von Projektinhalt
und -ablauf abhängt, ob mitarbeitende Studierende – im
Rahmen des Forschungsprojekts – auch Unterrichtserfahrung (passiv oder aktiv) machen können, kann sich die Reflexion in diesem Setting primär auf die Forschungstätigkeit
und die Mitarbeit in der Projektgruppe richten. Es sollen
schließlich „reflexive Lernprozesse in Gang gesetzt werden,
die zu einer Entwicklung von didaktischer und methodischer Kompetenz sowie Beratungs-, Kommunikations- und
Teamkompetenz führen“ (BASTIAN et al. 2003, 154). Diese
Kompetenzen sollen später eine fundierte Reflexion der eigenen Unterrichtspraxis ermöglichen.
Eine entsprechende Rückkoppelung der Forschungsergebnisse an die jeweilige Institution, die das Projekt einbringt,
ermöglicht darüber hinaus auch Beiträge für weitere Entwicklungen auf institutioneller/organisatorischer Ebene.
»»
Teamforschung
Arbeiten in der vorigen Konzeption ausschließlich Studierende unter Anleitung an den Forschungsprojekten, so
konstituieren im Falle der Teamforschung langjährige Berufsschullehrer/innen, die ihre aus der Praxis erwachsenen
Problemstellungen an die PH mitbringen, und Studierende,
die sich für eine sie interessierende Fragestellung aus diesem
Pool entscheiden, die Forschungsgruppe gemeinsam und bearbeiten die Forschungsfrage auch in gemeinsamer Verantwortung. Idealerweise werden mehrere Forschungsfragen
von unterschiedlichen Teams bearbeitet.
Die PH ist zunächst für eine Einführung in wissenschaftstheoretische, methodische und forschungspraktische Grundlagen für die gesamte Gruppe verantwortlich, womit Ausund Fortbildung von Berufsschullehrerinnen/-lehrern synergetisch erfolgen können.
Die Forschungsergebnisse werden zwischen den Teams zur
Diskussion gestellt und auch an die betroffenen Schulen
weitergeleitet. Für die Studierenden steht die Reflexion über
das Unterrichtshandeln der Lehrer/innen und die eigene Forschungstätigkeit im Mittelpunkt. Durch die Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Expertinnen/Experten im
„reflexiven Austausch“ ist eine Verknüpfung eigener Voreinstellungen und Erfahrungen mit jenen der Lehrer/innen
möglich (ALTRICHTER/MAYR 2004; BASTIAN et al. 2003)
und eine Weiterentwicklung schulischer Praxis initiiert
(FICHTEN et al. 2003).
In der Ausbildung der Berufsschullehrer/innen ist die
Teambildung zwischen Lehrerinnen/Lehrern und Studierenden leicht(er) möglich, da externe Lehrer/innen nicht
„gesucht“ werden müssen, sondern Mentorinnen/Mentoren des Begleiteten Schuldienstes, als „'eigene“ Qualifizierungsmaßnahme, integriert werden können. Dadurch
kann ein sich aus der engen Praxisanbindung ergebender
Vorteil der PH genutzt werden. Auch die Studierenden
haben mitunter durch ihre eigene Unterrichtstätigkeit
an Berufsschulen leichter die Möglichkeit, Kolleginnen/
Kollegen für eine solche Teamforschung zu gewinnen.
»»
Praxisforschung
In der Praxisforschung stehen nicht „extern“ eingebrachte
Problemstellungen im Zentrum, sondern die eigene Berufstätigkeit der Studierenden, aus der Frage- und Problemstellungen abgeleitet werden, tritt in den Vordergrund. Diese
werden mithilfe von zuvor vermittelten oder auch aus anderen Settings gewonnenen Forschungsmethoden bearbeitet,
wobei der Prozess von einer kollegialen Gruppe wie auch einer professionellen Bezugsgruppe begleitet wird. Die professionelle Bezugsgruppe bilden Lehrende der PH idealerweise
gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern
der Universität.
Praxisforschung kann in der Berufsschulpädagogik leichter
als in anderen Ausbildungsgängen verankert werden. Problemstellungen und Fragen ergeben sich aus dem unmittelbaren Arbeitsalltag der Studierenden und können – unterstützt
durch die Mentorinnen/Mentoren im Begleiteten Schuldienst
wie auch durch die Hochschullehrenden in den Schulpraktischen Studien und der Fachdidaktik – präzisiert, begleitet
und eventuell sogar zum Inhalt in den Lehrveranstaltungen
werden (z.B. HOTAREK/MATHIES 2014). Idealerweise ist diese Form des forschenden Lernens im letzten Studienjahr angesiedelt, da die Studierenden dann über die erforderlichen
forschungsmethodischen und auch inhaltlich relevanten
Kompetenzen verfügen sollten, die eine wissenschaftsadäquate Bearbeitung der Problemstellungen, beispielsweise
in Form der Bachelorarbeit, ermöglichen.
4.2 Kritische Herausforderungen für die Umsetzung forschenden Lernens
Eine erfolgreiche Umsetzung der beschriebenen didaktischen
Settings verlangt eine kritische Auseinandersetzung mit
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organisatorischen wie personellen Bedingungen, die aufgrund
langjähriger Gewachsenheit nicht ad hoc veränderbar sind. In
der Folge werden die aus unserer Sicht wichtigsten Schlüsselstellen kurz diskutiert.
»»
Lehrende an der PH
Den PH mangelt es – historisch bedingt (MATHIES 2013) –
an ausreichend wissenschaftlich qualifiziertem Personal
und eine inhaltliche Zusammenarbeit mit Universitäten findet derzeit kaum statt. An der PH sind überwiegend „praxisorientierte und praxiserfahrene“ Lehrerbildner/innen tätig,
die fachdidaktisches Verständnis meist mit Unterrichtsnähe sowie unmittelbarer Umsetzbarkeit der Wissensbestände verbinden und nicht mit empirischen Untersuchungen
bzw. eigener Forschungstätigkeit (REINHOLD 2004). Sie haben selbst meist wenig Erfahrung mit Forschung und Forschungsorientierung in der Lehre sowie mit der Betreuung
und Begleitung von „forschenden Studierenden“. Entsprechende Professionalisierungsmaßnahmen für die Lehrenden finden bisher nur vereinzelt und unsystematisch statt.
Verschärft wird diese Situation durch das Fehlen von systematischen Kooperationen, wie beispielsweise Austausch von
Lehrenden, mit den Universitäten.
Hier wird evident, dass eine entsprechende Forschungsqualifizierung aller Lehrenden an der PH dringend notwendig
wäre, um qualitätsvolles forschendes Lernen in der Ausbildung zu etablieren und gleichzeitig eine wissenschaftsorientierte Organisationskultur personell zu verankern.
»»
Mentorinnen/Mentoren an der Berufsschule
Für Mentorinnen/Mentoren gibt es zwar eine von den PH
verantwortete Ausbildung, kritisch ist aber die starke Involviertheit ins Unterrichtsgeschehen. Selbst wenn die Option,
im Rahmen des „Begleiteten Schuldienstes“ bei erfahrenen
Kolleginnen/Kollegen aus der „eigenen“ Berufsschule zu hospitieren bzw. von ihnen betreut zu werden, organisatorisch
vorteilhaft ist und ein intensives Kennenlernen des zukünftigen Arbeitsfeldes ermöglicht, beeinträchtigt diese Konstellation die notwendige kritische Distanz – gegenüber Unterrichtssituationen, Schule und Kolleginnen/Kollegen. Diese
Distanz ist aber wesentlich, um eine vertiefte und „befreite“
reflexive Auseinandersetzung mit den Beobachtungen, eigenen Erfahrungen und Gesprächen mit Expertinnen/Experten zu ermöglichen (z.B. HELSPER 2001; BAUMGARTNER/
WELTE 2002; KOLBE 2004). Aber auch die Distanz der Mentorinnen/Mentoren zu den Studierenden ist angesichts ihrer
Beurteilungsfunktion unter dem Blickwinkel der Loyalität
gegenüber neuen Kolleginnen/Kollegen kritisch zu hinterfragen.
Einen äußerst sensiblen Punkt stellt die (bisher praktizierte)
Auswahl von Mentorinnen/Mentoren dar, die zwar in dieser
Funktion als Lehrende der PH tätig sind, aber von den Schuldirektionen vorgeschlagen werden können. Die studienorganisatorisch enge Verbindung von Berufsschule und PH
hat meist zur Folge, dass diesem Wunsch entsprochen wird,
womit Qualifikationsaspekte und Qualitätsüberlegungen
mikropolitischem Kalkül weichen können. Dazu kommt,
dass durch die Notwendigkeit, ausreichend Mentorinnen/
Mentoren in den Schulen zu rekrutieren, nicht immer Lehrer/innen gewonnen werden können, die dieser Aufgabe
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auch entsprechend verantwortungsvoll nachgehen und bereit sind, sich dafür zusätzlich zu qualifizieren.
»»
Studierende – Alltag und Stellenwert
Obwohl der Ausbildungsweg der Berufsschullehrer/innen
bereits vor dem offiziellen Schul- und Semesterstart aller
anderen Studiengänge mit einem Intensivblock beginnt,
sind die Studierenden mit der kurz nach Studienbeginn (z.B.
drei Wochen später) startenden, meist vollbeschäftigten Berufsarbeit an der Schule und dem parallel dazu zu absolvierenden Studium sehr gefordert. Sie bewegen sich in einem
Spannungsfeld von hoher Motivation und teilweiser Überforderung. Ein schrittweises Hineinwachsen in die eigenverantwortliche Unterrichtstätigkeit in Form von „distanziertem Einüben in Fallverstehen“ wird durch die Komplexität
in der Dualität von eigener Unterrichtstätigkeit und eigener
Ausbildung konterkariert.
Diese Konstellation führt bisweilen dazu, dass sowohl von
den Studierenden als auch von den Schuldirektionen der
Unterrichtspraxis mehr Bedeutung beigemessen wird als einer forschungsorientierten Gestaltung der Ausbildung. Anforderungen, die die PH an die Studierenden stellt, werden
häufig als lästig empfunden und die erwartete Erforschung
und Reflexion der Unterrichtsarbeit wird angesichts des
praktischen Handlungsdrucks als überflüssig attribuiert.
Als vollbeschäftigte (Neu)Lehrer/innen sind die Studierenden vor allem mit den pädagogischen und organisatorischadministrativen Herausforderungen an der Schule konfrontiert. Damit steht – trotz der grundsätzlichen Parallelität
beider Institutionen – die Schule im Vordergrund.
»»
Struktur und Rahmenbedingungen – Forschungsorientierung an der PH
Für die Entwicklung von Reflexionskompetenz und einer
forschenden Haltung in der eigenen Berufstätigkeit sind die
von Handlungsdruck entlasteten Bedingungen an der PH
besser geeignet als das Praxisfeld Berufsschule. Die durch
die Modularisierung intendierte fächerübergreifende Verzahnung von Inhalten im Sinne der kompetenzorientierten
Ausrichtung des Studiums soll zudem eine höhere Verbindlichkeit für Lehrende und Lernende zur Entwicklung professioneller Handlungskompetenz schaffen (TERHART 2005).
Die bisherigen (Schul-)Erfahrungen der Lernenden (TENORTH 2006), die bestehende „Unterrichtstradition“ der Lehrenden und die gewachsene lehrorientierte Organisationskultur der PH fördern jedoch nach wie vor eine weitgehend
disziplinäre Vermittlung von Inhalten, womit die interdisziplinäre Umsetzung von forschendem Lernen erschwert,
wenn nicht gar unmöglich wird.
„Praxisforschung“ setzt eigenverantwortliche Erfahrung im
Berufsfeld, die die Studierenden der Berufsschulpädagogik
haben, voraus. Im Rahmen der im letzten Studienjahr zu
verfassenden Bachelorarbeit, die studienfachübergreifend
angelegt und jedenfalls einen Bezug zur pädagogischen
Berufspraxis aufweisen muss (HCV 2006, § 12), kann (angeleitete) Praxisforschung stattfinden. Die bis dahin erfolgte
Vermittlung forschungsmethodischer und wissenschaftstheoretischer Kompetenzen ist aber curricular nur minimal
abgesichert. Es ist aufgrund der berufsbegleitenden Studienorganisation zudem infrage zu stellen, wie nachhaltig
[ WISSENSCHAFT
die gewonnenen Kompetenzen der Studierenden im letzten
Studienjahr noch „wirken“.
Eine Betrachtung der hier auf didaktischer Ebene gezeigten
Integrationsbestrebungen aus der Perspektive der „doppelten-Theorie-Praxis-Relationierung“ rückt den Forschungskontext aber auch mit Blick auf die Lehrenden in den Vordergrund: Die Erweiterung einer Didaktik der Berufsschulpädagogik kann nämlich nicht nur durch eine Thematisierung
hochschuldidaktischer Lehre erfolgen, sondern muss – gerade bei Lernanlässen des forschenden Lernens – um den
Forschungsaspekt erweitert werden. Lehrende an der PH, die
bisher aber wenig mit dieser Forderung nach Forschungsorientierung konfrontiert waren, sollten in der Verknüpfung
von Forschung und Lehre auch ihre Forschungstätigkeit explizit zum Gegenstand der Betrachtung in derartigen Lernarrangements machen (WILDT 1996; 2005).
5. Ausblick
Konzepte forschenden Lernens bieten die Möglichkeit, Theorie
(Wissen) und Unterrichtspraxis (Können) zu verbinden und sich
so auf den Weg zur akademischen Professionalisierung zu machen. Erste Etappen im Rahmen der Berufspädagogik wurden
von den PH in Österreich auch schon bewältigt. Wie die aufzeigten kritischen Herausforderungen und damit verbundenen
Erfahrungen aber zeigen, sind die noch folgenden Etappen in
beiden Bildungsinstitutionen (Berufsschule und PH) bewusst
zu gestalten und weiterzuentwickeln. Dann kann die kontinuierliche, integrative Verbindung von theoretischer Ausbildung
und Unterrichtspraxis, die das Studium der Berufsschulpädagogik mit der von Beginn an parallel verlaufenden Berufsarbeit wesentlich kennzeichnet, nicht nur zur Entwicklung von
Reflexions- und Diskursfähigkeit genutzt werden, sondern
alle Kompetenzfelder von Professionalität können in den Mittelpunkt der Gestaltung rücken. Und schlussendlich können
diese curricularen Arbeiten auch zu einer „inneren Reform“
(REIBER 2004, 1) der PH führen. Eine solche wird gerade mit
Blick auf den Ausbau der Lehramtsstudien an PH bis zum Masterniveau im Rahmen der „PädagogInnenbildung NEU“ immer
dringlicher.
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