Frankfurter Kommentar SGB VIII

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Frankfurter Kommentar SGB VIII
Nomos
Kommentar
Frankfurter
Kommentar
SGB VIII
Münder
Meysen
Trenczek
7. Auflage
ISBN 978-3-8329-7561-6
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NomosKommentar
Münder | Meysen | Trenczek [Hrsg.]
Frankfurter
Kommentar
SGB VIII
Kinder-und Jugendhilfe
7. Auflage
Nomos
11.10.12 09:36
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NomosKommentar
Münder | Meysen | Trenczek [Hrsg.]
Frankfurter Kommentar
zum SGB VIII
Kinder- und Jugendhilfe
7. Auflage
Diana Eschelbach, Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München | Prof. Dr.
Birgit Hoffmann, Hochschule Mannheim | Thomas Lakies, Richter am Arbeits­gericht
Berlin | Dr. Thomas Meysen, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V.,
Heidelberg | Prof. Dr. Johannes Münder, TU Berlin | Prof. Dr. Roland Proksch, Institut für
Soziale und Kulturelle Arbeit, Evangelische Hochschule Nürnberg | Prof. Klaus Schäfer,
Staatssekretär a.D., Düsseldorf | Gila Schindler, Rechtsanwältin, Heidelberg | Norbert
Struck, Der PARITÄTISCHE Gesamt­verband e.V., Berlin | Britta Tammen, Hochschule Neubrandenburg | Prof. Dr. Thomas Trenczek, M. A., Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena, SIMK
Hannover
Nomos
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Zitiervorschlag: Bearbeiter/in, in: Münder u.a., FK-SGB VIII, §... Rn. ...
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8329-7561-6
7., vollständig überarbeitete Auflage 2013
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte, auch
die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
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Vorwort zur 7. Auflage des Frankfurter Kommentars zum SGB VIII
Die Kinder- und Jugendhilfe steht weiterhin verstärkt im öffentlichen Fokus. Das könnte eigentlich
ein begrüßenswerter Zustand sein, wenn damit vor allem Wertschätzung und den Erwartungen entsprechende Ausstattung verbunden ist. Doch nach wie vor kontrastiert das Bild zwischen auf der einen Seite hohen gesellschaftlichen und politischen Forderungen an Kinder- und Jugendhilfe und auf
der anderen Seite vergleichsweise negativ konnotierter Kompetenzzuschreibung sowie geringer Anerkennung der enormen Leistungen, die Kinder- und Jugendhilfe für die Gesellschaft vollbringt. Aus
unserer Wahrnehmung ist daraus in den letzten Jahren ein zunehmend angstbesetztes Klima entstanden, in dem fachliche Handlungssicherheit immer schwieriger zu erreichen ist. Der laute Ruf nach
„glasklaren“ Regelungen und eindeutigen, gesetzlich gesicherten Standards ist immer wieder anzutreffende Reaktion auf die Verunsicherung.
Und hier kommen die Juristinnen und Juristen ins Spiel, wie nicht zuletzt die Debatten um das Bundeskinderschutzgesetz gezeigt haben. Gesetze sollen es richten. Unterschätzt wird dabei jedoch zuweilen, dass sowohl die Vielseitigkeit sozialer Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe mit ihren so unterschiedlichen Aufgaben und Problemlagen als auch die hohe Verantwortung und Belastung der
Fachkräfte einer „klärenden“ Steuerung durch Gesetze nur begrenzt zugänglich ist. Hinzu kommt,
dass die hoch anspruchsvolle Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe mancherorts mit außerordentlich ungünstigen Rahmenbedingungen einhergeht, die Gesetze allein auch nicht beseitigen können.
Herausgeber und Autorinnen sowie Autoren des Frankfurter Kommentars haben sich deshalb das
Ziel gesetzt, eine rechtsdogmatisch gründliche wie sozialwissenschaftlich/sozialpädagogisch begründete Orientierung für Recht und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe zu geben, bei welcher der Praxis
nicht nur die Grenzen, sondern auch die Spielräume für fachliches Handeln sowie deren gesetzliche
Sicherung aufgezeigt werden.
Knapp 35 Jahre nach Erscheinen der ersten Ausgabe des Frankfurter Kommentars (zunächst von
1978 bis 1988 vier Auflagen zum JWG) behält auch die 7. Auflage des Frankfurter Kommentars
zum SGB VIII die methodische und inhaltliche Grundorientierung des Kommentars bei: eine für die
Praxis ebenso wie die Ausbildung neuer Fachkräfte geeignete Kommentierung, die den in § 1
SGB VIII normierten Handlungsauftrag der Kinder- und Jugendhilfe „zugunsten junger Menschen
und ihrer Familien“ und die interdisziplinären Bezüge der Rechtsnormen in den Mittelpunkt stellt.
Praxis und Rechtsprechung soll ein Zugang zu den sozial- und humanwissenschaftlichen Grundlagen und Bezügen der Kinder- und Jugendhilfe ermöglicht werden. Mehr als in anderen Rechtsgebieten fließen außerjuristische Überlegungen in die Auslegung der Bestimmungen mit ein, es gibt wohl
kaum ein anderes Gesetzeswerk, welches sich so stark auf sozialpädagogische Erkenntnisse und Erfahrungen stützt. Der Frankfurter Kommentar will dazu beitragen, die interdisziplinäre Fachlichkeit
der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken und die im SGB VIII liegenden Potenziale zur Verwirklichung der Rechte und Interessen von jungen Menschen und ihren Familien zu nutzen.
Zur Sicherung fachlicher Handlungsmöglichkeiten und methodischer Standards sowie der aktiven
Gestaltung einer an den Lebenslagen und Bedürfnissen der Betroffenen orientierten Kinder- und Jugendhilfe kann ein Kommentar nur einen kleinen Beitrag leisten. Diesen wollen Herausgeber, Autorinnen und Autoren jedoch geben. An der bewährten inhaltlichen und didaktischen Konzeption hält
der Frankfurter Kommentar daher fest. Die Einleitung formuliert die Grundsätze der Kinder- und
Jugendhilfe als Interessenvertretung für junge Menschen und ihre Familien. Die Vorbemerkungen zu
den Kapiteln und Abschnitten geben jeweils einen Überblick über das Arbeitsfeld und die entsprechende Regelungsmaterie und sollen den Zugang zu differenzierten Einzelkommentierungen erleichtern. Im Anhang findet sich eine Einführung in das sozialverwaltungsrechtliche Verfahren und zum
Rechtsschutz, beides Regelungsbereiche, die für die rechtsstaatlich korrekte wie sozialpädagogisch
emanzipatorische Umsetzung des materiellen Kinder- und Jugendhilferechts enorme Bedeutung haben.
Der Frankfurter Kommentar erscheint nun seit der 6. Auflage im Nomos Verlag Baden-Baden, für
dessen Unterstützung wir uns bedanken. Wir („Zum Werk und zu den Autoren“, s. S. 957 ff) freuen
uns sehr, dass mit Diana Eschelbach und Prof. Dr. Birgit Hoffmann zwei ausgewiesene Expertinnen
das Autorenteam ergänzen. Ebenso bedanken wir uns über die fortdauernde Unterstützung der mittlerweile ausgeschiedenen Kommentatoren, die den interdisziplinären Diskurs im Entstehungsprozess
und die enge Zusammenarbeit der Autorinnen und Autoren beim Erstellen der Kommentierung wei-
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Vorwort
terhin unterstützen. Darüber und über die Hinweise und Beiträge vieler Kolleginnen und Kollegen,
vor allem aus der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, zur Vorauflage haben wir uns gefreut und
möchten hierfür ausdrücklich danken.
Die Kommentierung bezieht sich auf den Gesetzesstand vom 1.10.2012 und berücksichtigt die seit
der letzten Auflage eingeführten Neuerungen des SGB VIII, allen voran natürlich das Bundeskinderschutzgesetz, wobei insb. das neue „Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz
(KKG)“ ausführlich kommentiert wird. Neu kommentiert ist der Abschnitt zur Vormund-, Amtspfleg- und Beistandschaft mit seinen Änderungen im Vormundschaftsrecht. Berücksichtigt ist zudem
der Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung für Kinder im Alter unter 3, wie er ab 1.8.2013 gelten wird, ebenso wie das neue Mediationsgesetz. Die Kommentierung gibt bereits einen Ausblick auf
die anstehenden Änderungen im Familienrecht mit der Reform des Sorgerechts und der Einführung
des Umgangsrechts biologischer Väter, wie das Betreuungsgeld. Gleichzeitig bewahrt der Kommentar seine Stärken im Bereich der Kommentierung der Leistungsnormen, der Krisenintervention durch
Inobhutnahme, der Finanzierung sowie den Schnittstellen zum jugend- und familiengerichtlichen
Verfahren wie zu den anderen Sozialleistungssystemen.
Die Rechtsprechung wurde bis zum Stand 1.8.2012 berücksichtigt, insb. drei Jahre Erfahrungen zur
Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren seit dem FamFG sowie die neuere Rechtsprechung
des BVerwG zur örtlichen Zuständigkeit und Kostenerstattung. Gerichtsentscheidungen ab dem Jahr
2000 werden mit Datum und Aktenzeichen zitiert damit ein schnelles Auffinden im Internet möglich
ist. Die Fachliteratur wurde bis 30.6.2012 berücksichtigt. Beiträge aus Fachzeitschriften werden
nicht im Literaturverzeichnis, sondern nur im Text der Kommentierung mit Hinweis auf die Fundstelle angegeben.
Ob die Ansprüche, die wir an uns selbst gestellt haben, ob die Erwartungen der Fachöffentlichkeit
an diesen Kommentar eingelöst werden, mögen Sie als Nutzerinnen und Nutzer bei Ihrer Arbeit mit
dem Frankfurter Kommentar befinden. Über Anregungen, Hinweise, Kritik zu einer Verbesserung
des Kommentars freuen wir uns.
Berlin/Heidelberg/Hannover, im September 2012
Johannes Münder, Thomas Meysen, Thomas Trenczek
Hinweise, Anregungen, Kritik usw an:
Prof. Dr.jur. Johannes Münder
Dr. Thomas Meysen
[email protected]
Deutsches Institut für Jugendhilfe
und Familienrecht (DIJuF) e.V.
Steinbergstrasse 4
Postfach 10 20 20,
30559 Hannover
69010 Heidelberg
[email protected]
[email protected]
6
Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek,
M.A.
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Bearbeiterverzeichnis
Diana Eschelbach
VorKap. 7 (§§ 85-89 h), § 85, Vor§§ 86-88, Vor
§§ 86-86d, §§ 86-86d, §§ 87-88, Vor §§ 89-89h,
§§ 89-89h (gemeinsam mit Schindler)
Prof. Dr. Birgit Hoffmann
Vor§§ 52a-58a, §§ 52a-58a, §§ 59, 60, VorKap. 4
(§§ 61-68), §§ 61-68 (gemeinsam mit Proksch)
Thomas Lakies
Vor§§ 22-26, §§ 22-26, Vor§§ 43-49, §§ 43-49
Dr. Thomas Meysen
§§ 8-8b, Anhang § 8b–KKG, §§ 9, 10, §§ 35a-38
Prof. Dr. Johannes Münder
Einleitung, VorKap. 1 (§§ 1-10), §§ 1-7, VorKap. 2
(§§ 11-41), VorKap. 3 (§§ 42-60), VorKap. 5
(§§ 69-81), Vor§§ 73-78, §§ 73-78, Vor§§ 78a-78g,
§§ 78a-78g
Prof. Dr. Roland Proksch
Vor§§ 16-21, §§ 16-18
Vor§§ 52a-58a, §§ 52a-58a, §§ 59, 60, VorKap. 4
(§§ 61-68), §§ 61-68 (gemeinsam mit Hoffmann)
Klaus Schäfer
Vor§§ 11-15, §§ 11-15, Vor§§ 69-71, §§ 69-71, § 81,
VorKap. 6 (§§ 82-84), §§ 82-84, VorKap. 9
(§§ 98-103), §§ 98-105
Gila Schindler
§§ 72-72a, VorKap. 8 (§§ 90-97c), §§ 90-97c
VorKap. 7 (§§ 85-89 h), § 85, Vor§§ 86-88, Vor
§§ 86-86d, §§ 86-86d, §§ 87-88, Vor §§ 89-89h,
§§ 89-89h (gemeinsam mit Eschelbach)
Norbert Struck
§§ 19-21, §§ 28-35
§§ 29, 30, 34, 35 (gemeinsam mit Trenczek)
Britta Tammen
§§ 39-41, Vor§§ 79-81, §§ 79-80
Vor§§ 27-41, § 27 (gemeinsam mit Trenczek)
Prof. Dr. Thomas Trenczek
§ 42, Vor§§ 50-52, §§ 50-52, Anhang Verfahren und
Rechtsschutz
Vor§§ 27-41, § 27 (gemeinsam mit Tammen)
§§ 29, 30, 34, 35 (gemeinsam mit Struck)
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort ......................................................................................................
Bearbeiterverzeichnis .......................................................................................
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................
Literaturverzeichnis ........................................................................................
Einleitung ....................................................................................................
5
7
15
25
53
Erstes Kapitel
Allgemeine Vorschriften
Vorbemerkung zum 1. Kapitel ...........................................................................
§1
Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe .....................................
§2
Aufgaben der Jugendhilfe .........................................................................
§3
Freie und öffentliche Jugendhilfe ................................................................
§4
Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe .................
§5
Wunsch- und Wahlrecht ..........................................................................
§6
Geltungsbereich ....................................................................................
§7
Begriffsbestimmungen .............................................................................
§8
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ....................................................
§ 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung ......................................................
§ 8b Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen .........
§ 8b Anhang – KKG .....................................................................................
§9
Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen ..........
§ 10 Verhältnis zu anderen Leistungen und Verpflichtungen .....................................
71
72
84
85
88
92
98
108
110
113
135
139
163
166
Zweites Kapitel
Leistungen der Jugendhilfe
Vorbemerkung zum 2. Kapitel ...........................................................................
180
Erster Abschnitt
Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz
Vorbemerkung zu den §§ 11 bis 15 ......................................................................
§ 11 Jugendarbeit .........................................................................................
§ 12 Förderung der Jugendverbände ..................................................................
§ 13 Jugendsozialarbeit ..................................................................................
§ 14 Erzieherischer Kinder- und Jugendschutz ......................................................
§ 15 Landesrechtsvorbehalt .............................................................................
183
186
197
200
209
212
Zweiter Abschnitt
Förderung der Erziehung in der Familie
Vorbemerkung zu den §§ 16 bis 21 ......................................................................
§ 16 Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie ..........................................
§ 17 Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung ...........................
§ 18 Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts .................................................................................................
§ 19 Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder ...................................
§ 20 Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen ...................................
§ 21 Unterstützung bei notwendiger Unterbringung zur Erfüllung der Schulpflicht ...........
214
217
224
246
265
269
271
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Inhaltsverzeichnis
Dritter Abschnitt
Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
Vorbemerkung zu den §§ 22 bis 26 ......................................................................
§ 22 Grundsätze der Förderung ........................................................................
§ 22a Förderung in Tageseinrichtungen ................................................................
§ 23 Förderung in Kindertagespflege ..................................................................
§ 24 Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege ...............
§ 24a Übergangsregelung und stufenweiser Ausbau des Förderangebots für Kinder unter
drei Jahren (aufgehoben) ..........................................................................
§ 25 Unterstützung selbst organisierter Förderung von Kindern .................................
§ 26 Landesrechtsvorbehalt .............................................................................
273
282
286
289
303
318
320
321
Vierter Abschnitt
Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche,
Hilfe für junge Volljährige
Vorbemerkung zu den §§ 27 bis 41 ......................................................................
322
Erster Unterabschnitt
Hilfe zur Erziehung
§ 27
§ 28
§ 29
§ 30
§ 31
§ 32
§ 33
§ 34
§ 35
Hilfe zur Erziehung ................................................................................
Erziehungsberatung ................................................................................
Soziale Gruppenarbeit .............................................................................
Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer ..........................................................
Sozialpädagogische Familienhilfe ................................................................
Erziehung in einer Tagesgruppe ..................................................................
Vollzeitpflege .......................................................................................
Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform .................................................
Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung .................................................
331
347
351
353
356
359
362
366
370
Zweiter Unterabschnitt
Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
§ 35a Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche .......................
373
Dritter Unterabschnitt
Gemeinsame Vorschriften für die Hilfe zur Erziehung und die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
§ 36
§ 36a
§ 37
§ 38
§ 39
§ 40
Mitwirkung, Hilfeplan ............................................................................
Steuerungsverantwortung, Selbstbeschaffung ..................................................
Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie .................................
Vermittlung bei der Ausübung der Personensorge ............................................
Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen ...............................
Krankenhilfe ........................................................................................
396
410
421
431
434
442
Vierter Unterabschnitt
Hilfe für junge Volljährige
§ 41
Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung ...................................................
444
Drittes Kapitel
Andere Aufgaben der Jugendhilfe
Vorbemerkung zum 3. Kapitel ...........................................................................
10
452
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Inhaltsverzeichnis
Erster Abschnitt
Vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
§ 42
Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen ................................................
453
Zweiter Abschnitt
Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und in Einrichtungen
Vorbemerkung zu den §§ 43 bis 49 ......................................................................
§ 43 Erlaubnis zur Kindertagespflege .................................................................
§ 44 Erlaubnis zur Vollzeitpflege ......................................................................
§ 45 Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung ....................................................
§ 46 Örtliche Prüfung ....................................................................................
§ 47 Meldepflichten ......................................................................................
§ 48 Tätigkeitsuntersagung .............................................................................
§ 48a Sonstige betreute Wohnform .....................................................................
§ 49 Landesrechtsvorbehalt .............................................................................
469
470
477
483
495
497
497
499
499
Dritter Abschnitt
Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren
Vorbemerkung zu den §§ 50 bis 52 ......................................................................
§ 50 Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten .........................................
§ 50 Anhang ................................................................................................
§ 51 Beratung und Belehrung in Verfahren zur Annahme als Kind ..............................
§ 52 Mitwirkung in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz ...................................
500
512
521
540
548
Vierter Abschnitt
Beistandschaft, Pflegschaft und Vormundschaft für Kinder und Jugendliche, Auskunft über
Nichtabgabe von Sorgeerklärungen
Vorbemerkung zu den §§ 52a bis 58a ...................................................................
§ 52a Beratung und Unterstützung bei Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von
Unterhaltsansprüchen .............................................................................
§ 53 Beratung und Unterstützung von Pflegern und Vormündern ...............................
§ 54 Erlaubnis zur Übernahme von Vereinsvormundschaften ....................................
§ 55 Beistandschaft, Amtspflegschaft und Amtsvormundschaft ..................................
§ 56 Führung der Beistandschaft, der Amtspflegschaft und der Amtsvormundschaft .........
§ 57 Mitteilungspflicht des Jugendamts ..............................................................
§ 58 Gegenvormundschaft des Jugendamts ..........................................................
§ 58a Auskunft über Nichtabgabe und Nichtersetzung von Sorgeerklärungen ..................
568
568
571
574
575
585
587
588
588
Fünfter Abschnitt
Beurkundung, vollstreckbare Urkunden
§ 59
§ 60
Beurkundung ........................................................................................
Vollstreckbare Urkunden .........................................................................
589
593
Viertes Kapitel
Schutz von Sozialdaten
Vorbemerkung zum 4. Kapitel ...........................................................................
§ 61 Anwendungsbereich ...............................................................................
§ 62 Datenerhebung .....................................................................................
§ 63 Datenspeicherung ..................................................................................
§ 64 Datenübermittlung und ‑nutzung ................................................................
§ 65 Besonderer Vertrauensschutz in der persönlichen und erzieherischen Hilfe ..............
594
605
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Inhaltsverzeichnis
§ 66
§ 67
§ 68
Datenlöschung, Datensperrung ..................................................................
Auskunft an den Betroffenen .....................................................................
Sozialdaten im Bereich der Beistandschaft, Amtspflegschaft und der Amtsvormundschaft .................................................................................................
640
640
641
Fünftes Kapitel
Träger der Jugendhilfe, Zusammenarbeit, Gesamtverantwortung
Vorbemerkung zum 5. Kapitel ...........................................................................
650
Erster Abschnitt
Träger der öffentlichen Jugendhilfe
Vorbemerkung zu den §§ 69 bis 71 ......................................................................
§ 69 Träger der öffentlichen Jugendhilfe, Jugendämter, Landesjugendämter ...................
§ 70 Organisation des Jugendamts und des Landesjugendamts ...................................
§ 71 Jugendhilfeausschuss, Landesjugendhilfeausschuss ...........................................
§ 72 Mitarbeiter, Fortbildung ..........................................................................
§ 72a Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen .....................................
656
659
664
667
674
679
Zweiter Abschnitt
Zusammenarbeit mit der freien Jugendhilfe, ehrenamtliche Tätigkeit
Vorbemerkung zu den §§ 73 bis 78 ......................................................................
§ 73 Ehrenamtliche Tätigkeit ...........................................................................
§ 74 Förderung der freien Jugendhilfe ................................................................
§ 74a Finanzierung von Tageseinrichtungen für Kinder .............................................
§ 75 Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe ...............................................
§ 76 Beteiligung anerkannter Träger der freien Jugendhilfe an der Wahrnehmung anderer
Aufgaben ............................................................................................
§ 77 Vereinbarungen über die Höhe der Kosten ....................................................
§ 78 Arbeitsgemeinschaften .............................................................................
690
691
692
706
709
712
714
718
Dritter Abschnitt
Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklung
Vorbemerkung zu den §§ 78a bis 78g ...................................................................
§ 78a Anwendungsbereich ...............................................................................
§ 78b Voraussetzungen für die Übernahme des Leistungsentgelts .................................
§ 78c Inhalt der Leistungs- und Entgeltvereinbarungen .............................................
§ 78d Vereinbarungszeitraum ............................................................................
§ 78e Örtliche Zuständigkeit für den Abschluss von Vereinbarungen ............................
§ 78f Rahmenverträge ....................................................................................
§ 78g Schiedsstelle .........................................................................................
720
721
723
732
737
740
743
745
Vierter Abschnitt
Gesamtverantwortung, Jugendhilfeplanung
Vorbemerkung zu den §§ 79 bis 81 ......................................................................
§ 79 Gesamtverantwortung, Grundausstattung .....................................................
§ 79a Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe ........................................
§ 80 Jugendhilfeplanung ................................................................................
§ 81 Strukturelle Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen .....
12
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759
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Inhaltsverzeichnis
Sechstes Kapitel
Zentrale Aufgaben
Vorbemerkung zum 6. Kapitel ...........................................................................
§ 82 Aufgaben der Länder ..............................................................................
§ 83 Aufgaben des Bundes, Bundesjugendkuratorium .............................................
§ 84 Jugendbericht .......................................................................................
776
777
779
782
Siebtes Kapitel
Zuständigkeit, Kostenerstattung
Vorbemerkung zum 7. Kapitel ...........................................................................
784
Erster Abschnitt
Sachliche Zuständigkeit
§ 85
Sachliche Zuständigkeit ...........................................................................
785
Zweiter Abschnitt
Örtliche Zuständigkeit
Erster Unterabschnitt
Örtliche Zuständigkeit für Leistungen
Vorbemerkung zu den §§ 86–88 .........................................................................
§ 86 Örtliche Zuständigkeit für Leistungen an Kinder, Jugendliche und ihre Eltern ..........
§ 86a Örtliche Zuständigkeit für Leistungen an junge Volljährige ................................
§ 86b Örtliche Zuständigkeit für Leistungen in gemeinsamen Wohnformen für Mütter/
Väter und Kinder ...................................................................................
§ 86c Fortdauernde Leistungsverpflichtung und Fallübergabe bei Zuständigkeitswechsel ....
§ 86d Verpflichtung zum vorläufigen Tätigwerden ..................................................
787
787
795
795
796
798
Zweiter Unterabschnitt
Örtliche Zuständigkeit für andere Aufgaben
§ 87
§ 87a
§ 87b
§ 87c
§ 87d
§ 87e
Örtliche Zuständigkeit für vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und
Jugendlichen ........................................................................................
Örtliche Zuständigkeit für Erlaubnis, Meldepflichten und Untersagung ..................
Örtliche Zuständigkeit für die Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren ...................
Örtliche Zuständigkeit für die Beistandschaft, die Amtspflegschaft, die Amtsvormundschaft und die Auskunft nach § 58a ......................................................
Örtliche Zuständigkeit für weitere Aufgaben im Vormundschaftswesen .................
Örtliche Zuständigkeit für Beurkundung und Beglaubigung ................................
799
799
800
801
805
805
Dritter Unterabschnitt
Örtliche Zuständigkeit bei Aufenthalt im Ausland
§ 88
Örtliche Zuständigkeit bei Aufenthalt im Ausland ...........................................
806
Dritter Abschnitt
Kostenerstattung
Vorbemerkung zu den §§ 89 bis 89h ....................................................................
§ 89 Kostenerstattung bei fehlendem gewöhnlichen Aufenthalt ..................................
§ 89a Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege ............................................
§ 89b Kostenerstattung bei vorläufigen Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen ..................................................................................................
§ 89c Kostenerstattung bei fortdauernder oder vorläufiger Leistungsverpflichtung ............
§ 89d Kostenerstattung bei Gewährung von Jugendhilfe nach der Einreise ......................
§ 89e Schutz der Einrichtungsorte ......................................................................
807
808
808
809
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Inhaltsverzeichnis
§ 89f Umfang der Kostenerstattung ....................................................................
§ 89g Landesrechtsvorbehalt .............................................................................
§ 89h Übergangsvorschrift ...............................................................................
815
816
816
Achtes Kapitel
Kostenbeteiligung
Vorbemerkung zum 8. Kapitel ...........................................................................
817
Erster Abschnitt
Pauschalierte Kostenbeteiligung
§ 90
Pauschalierte Kostenbeteiligung .................................................................
820
Zweiter Abschnitt
Kostenbeiträge für stationäre und teilstationäre Leistungen sowie vorläufige Maßnahmen
§ 91 Anwendungsbereich ...............................................................................
§ 92 Ausgestaltung der Heranziehung ................................................................
§ 93 Berechnung des Einkommens ....................................................................
§ 94 Umfang der Heranziehung ........................................................................
Anhang zu § 94, Kostenbeitragsverordnung – KostenbeitragsV ....................................
826
830
839
847
852
Dritter Abschnitt
Überleitung von Ansprüchen
§ 95
§ 96
Überleitung von Ansprüchen .....................................................................
(weggefallen) ........................................................................................
858
860
Vierter Abschnitt
Ergänzende Vorschriften
§ 97
§ 97a
§ 97b
§ 97c
Feststellung der Sozialleistungen .................................................................
Pflicht zur Auskunft ...............................................................................
(weggefallen) ........................................................................................
Erhebung von Gebühren und Auslagen .........................................................
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866
Neuntes Kapitel
Kinder- und Jugendhilfestatistik
Vorbemerkung zum 9. Kapitel ...........................................................................
§ 98 Zweck und Umfang der Erhebung ..............................................................
§ 99 Erhebungsmerkmale ...............................................................................
§ 100 Hilfsmerkmale ......................................................................................
§ 101 Periodizität und Berichtszeitraum ...............................................................
§ 102 Auskunftspflicht ....................................................................................
§ 103 Übermittlung ........................................................................................
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877
878
879
Zehntes Kapitel
Straf- und Bußgeldvorschriften
§ 104 Bußgeldvorschriften ................................................................................
§ 105 Strafvorschriften ....................................................................................
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Anhang: Verfahren und Rechtsschutz ...................................................................
883
Stichwortverzeichnis .......................................................................................
Zum Werk und zu den Autorinnen und Autoren ......................................................
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§ 1 KKG
KKG – § 8b Anhang
II. Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung (§ 1 KKG)
§ 1 Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung
4
(1) Ziel des Gesetzes ist es, das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen und ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung zu fördern.
(2) 1Pflege und Erziehung der Kinder und Jugendlichen sind das natürliche Recht der Eltern und die
zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. 2Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft ist es, soweit erforderlich, Eltern bei der Wahrnehmung
ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen, damit
1. sie im Einzelfall dieser Verantwortung besser gerecht werden können,
2. im Einzelfall Risiken für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen frühzeitig erkannt werden und
3. im Einzelfall eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vermieden oder,
falls dies im Einzelfall nicht mehr möglich ist, eine weitere Gefährdung oder Schädigung abgewendet werden kann.
(4) 1Zu diesem Zweck umfasst die Unterstützung der Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung durch die staatliche Gemeinschaft insbesondere
auch Information, Beratung und Hilfe. 2Kern ist die Vorhaltung eines möglichst frühzeitigen, koordinierten und multiprofessionellen Angebots im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern vor allem in den ersten Lebensjahren für Mütter und Väter sowie schwangere Frauen und werdende Väter
(Frühe Hilfen).
1. Inhalt und Bedeutung der Norm
§ 1 KKG dient als Auftaktvorschrift des KKG mit programmatisch-einführender Funktion. Sie entfaltet die grundgesetzliche Programmatik zum Verhältnis von Staat zu Kindern und Eltern. Während
Abs. 1 und 2 eher bekannt-allgemeine Grundaussagen zum Kinderschutzziel des KKG (Abs. 1) bzw
eine Wiederholung des Art. 6 Abs. 2 GG enthält, rückt in Abs. 3 auf Seiten des Staates die wachende
„staatliche Gemeinschaft“ ins Zentrum der Aufgabe zur Unterstützung von Eltern im Einzelfall.
Abs. 1 bis 3 kommt dabei rein deklaratorischer Charakter und kein eigener Regelungsgehalt zu.
Abs. 4 enthält eine komprimierte Version der Begriffsbestimmung „Frühe Hilfen“ (Rn 10 ff).
5
2. Allgemeine Programmatik (Abs. 1 bis 3)
Wenn Abs. 1 zum Ziel des KKG erklärt, das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen, so
erhebt es Inhalte, die üblicherweise in Gesetzesbegründungen zu finden sind, zum Gesetzestext
(Wiesner/Wiesner § 1 KKG Rn N1). Gesetze schützen Kinder und Jugendliche nicht selbst, sondern
geben einen Rahmen für den Schutz durch staatliche oder nichtstaatliche Institutionen vor. Zu
schützen und zu fördern sind Kinder und Jugendliche, also alle jungen Menschen ab der Geburt bis
zur Vollendung des 18. Lebensjahrs. Der Begriff „Kinderschutz“ iSv Art. 18 f UN-KRK bezieht sich
somit auf die gesamte Altersgruppe der sog. „Minderjährigen“ iSd BGB. Die Hervorhebung der drei
Komponenten der kindlichen Entwicklung (körperlich, geistig und seelisch) lehnt sich an die Begriffsverwendung in § 1666 Abs. 1 BGB an (hierzu § 50 Anhang Rn 38 f; Staudinger/Coester § 1666
Rn 66 ff; Trenczek u.a. 2011, 296 ff). Durch die Bezugnahme auf die Förderung der kindlichen Entwicklung geht das KKG von einem weiten Begriffsverständnis aus. Kinderschutz ist alles, was dem
Wohl eines Kindes in irgendeiner Weise dient und damit nicht notwendig, aber zumindest nicht ausschließbar auch einen Beitrag zum Schutz vor Gewalt leistet. Dass die BReg in ihrer Gegenäußerung
den Vorschlag des BRats zur Ergänzung durch „Förderung der Kindergesundheit“ mit der Begründung abgelehnt hat, diese Erwartungshaltung sei zu hoch und könne nicht eingelöst werden (BTDrucks. 17/6256, 36 f, 47), erscheint daher in Anbetracht des nicht zu überbietenden weiten Begriffsverständnisses von Kinderschutz des KKG als Widerspruch in sich. Eine Erklärung ist allenfalls
in der Blockadehaltung des Gesundheitswesens auf Bundesebene zu suchen, das sich in überaus kritikwürdiger Weise beim BKiSchG jeder Verantwortungsübernahme entzogen hat.
6
Abs. 2 wiederholt – wie auch schon § 1 Abs. 2 SGB VIII (§ 1 Rn 12 ff) – wortgleich die grundrechtliche Kernaussage zu Elternrecht und ihrem Verhältnis zum sog. „staatlichen Wächteramt“ des Art. 6
Abs. 2 GG.
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§ 1 KKG
Anhang § 8b – KKG
8 Die Aufforderung des Abs. 3 an die staatliche Gemeinschaft zur Unterstützung von Eltern betont mit
seinem „soweit erforderlich“ zunächst den Grundsatz der Elternautonomie bei der Bestimmung über
die Erziehung (Coester JAmt 2008, 3). Sodann greift er in Nr. 1 den grundrechtlich durch Art. 6
Abs. 2 u. 3 GG determinierten Vorrang öffentlicher Hilfen vor Eingriffen ins Elternrecht auf
(Münder u.a./Jestaedt 2011, Kap. 1.5 Rn 21 ff; Münder u.a./Wiesner 2011, Kap. 2.3 Rn 21 f) und
fügt der zivilrechtlichen Regelung des § 1666a BGB eine weitere einfachgesetzliche Ausgestaltung
hinzu. Mit dem Hinweis auf die Früherkennung von Risiken in Nr. 2 wird die Gefahrenvorsorge
angesprochen. Nr. 3 leitet über die Vermeidung von Kindeswohlgefährdung bis zur Abwendung
weiterer Schädigung über zur Schwelle der rechtlichen Zulässigkeit für Eingriffe zur Gefährdungsabwehr in – die dann nicht mehr vom grundrechtlichen Elternrecht umfasste – Autonomie der Eltern.
Bei Abs. 3 handelt es sich um eine Umschreibung des sog. staatlichen Wächteramts „in seiner Ausprägung als Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr unter Bindung an die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ (BT-Drucks. 17/6256, 17).
9 Abs. 3 umschreibt Kinderschutz von den Eltern her. Auf die Betonung der Erziehungsautonomie und
‑verantwortung der Eltern folgt eine Umschreibung der Aufgaben der „staatlichen Gemeinschaft“.
Mit diesem vagen Begriff aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG werden nicht nur staatliche Behörden, sondern
eine nicht genauer definierbare Vielzahl gesellschaftlicher Akteure adressiert. Er bezieht alle Aufgaben der Nr. 1 bis 3 – in dreimaliger Wiederholung – ausschließlich auf den Einzelfall, was zumindest
sowohl in Bezug auf die Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung (Nr. 1) als auch
auf die Früherkennung von Risiken (Nr. 2) nur eingeschränkt seine Berechtigung hat (Wiesner/
Wiesner § 1 KKG Rn N7). Risiken für die Entwicklung von Kindern, denen die Akteure der „staatliche Gemeinschaft“ zu begegnen haben, sind auch abstrakt-generell zu bestimmen (zum Unterschied
zwischen Risiko und Gefährdung § 8a Rn 16, 20), Unterstützung umfasst auch die Schaffung von
Strukturen. Die Verwendung des Begriffs „Kindeswohlgefährdung“ (Nr. 3) stellt einen Gleichlauf
her zur Umschreibung der konkreten Eingriffsschwelle, wie sie in der zivilrechtlichen Leitnorm des
§ 1666 Abs. 1 BGB und dem insoweit korrelierenden § 8a SGB VIII ihre einfachgesetzliche Ausprägung gefunden hat (BT-Drucks. 17/6256, 17) und bietet, indem das KKG zahlreiche weitere Akteure
aus dem Kreis der staatlichen Gemeinschaft anspricht, Gelegenheit, den teilweise – insb. im Gesundheitswesen – anderweitig aufgeladenen Begriff Kindeswohlgefährdung einem einheitlichen Verständnis zuzuführen.
3. Legaldefintion des Systems „Frühe Hilfen“ (Abs. 4)
10 Abs. 4 Satz 1 wiederholt die Aufgabe des Abs. 3 Nr. 1 und bezieht die Unterstützung auf „Informati-
on, Beratung und Hilfe“. Information umschreibt hierbei eine Form der schriftlichen oder mündlichen Beratung, bei der Informationen auch einseitig vermittelt werden können. Beratung umfasst alle Formen der Hilfe, die insb. auf selbstverantwortliche Entscheidungsfindung gerichtet sind und
nicht mit Unterstützung durch Übernahme von Tätigkeiten oder Zurverfügungstellung von Sachoder Geldleistungen, inklusive Hilfsmitteln, verbunden ist. Hilfe ist der Oberbegriff, der sowohl Information und Beratung als auch Unterstützung erfasst.
11 Abs. 4 Satz 2 enthält eine Legaldefinition des Begriffs Frühe Hilfen, ist die erste bundesgesetzliche
Erwähnung des Begriffs und ergänzt bzw überlagert damit die landesgesetzliche Erwähnung
(Meysen/Eschelbach 2012, Kap. 2 Rn 3 f). Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks.
17/6256, 17) handelt es sich um eine komprimierte Fassung der Begriffsbestimmung des Wissenschaftlichen Beirats des NZFH (veröffentlicht in SFK 1 des DIJuF JAmt 2010, 117, 119; Meysen/
Eschelbach 2012, Kap. 2 Rn 8). Bei Frühen Hilfen handelt es sich danach um „regionale und lokale
Unterstützungssysteme“, zu denen lokale Netzwerke (§ 3 KKG) sowie die Zusammenarbeit im Einzelfall (vgl § 4 KKG) ebenso gehören, wie die in Abs. 4 hervorgehobene koordinierte, multiprofessionelle Angebotspalette der verschiedenen Akteure, die mit (werdenden) Eltern zu tun haben (zur Information hierüber § 2 KKG). Mit der bundesgesetzlichen Einführung des Begriffs Frühe Hilfen
wird keine neue Hilfesäule auf den Weg gebracht, sondern eine Koordination der Regelangebote aus
verschiedenen Leistungssystemen sowie deren abgestimmt-passgenauer Zuschnitt auf die Zielgruppe.
12 Der Begriff „früh“ in Frühe Hilfen umschreibt sowohl die Lebensphase, auf die sich die lokalen und
regionalen Unterstützungssysteme beziehen (sollen), als auch den Zeitpunkt des Hilfebeginns. Die
Lebensphase beginnt mit der Schwangerschaft und endet ungefähr, wenn die Kinder drei Jahre alt
werden (Wiss. Beirat des NZFH 2010 in SFK 1 des DIJuF JAmt 2010, 117, 119). Das System Frühe
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KKG – § 8b Anhang
Hilfen fokussiert in erster Linie auf primäre und sekundäre Prävention und bezieht sich damit auf
universelle Angebote an alle sowie selektive Angebote an (werdende) Eltern und Kinder in besonderen Lebenslagen, insb. wenn sie mit Belastungen verbunden sind oder Risikofaktoren in sich tragen.
Bei der multiprofessionellen Koordination kommen aber auch Fälle der tertiären Prävention, also
der Abwendung konkreter Gefährdung oder Beendigung von Schädigungen vor (aA Wiesner/
Wiesner § 1 KKG Rn N11), denn in der Zusammenarbeit sind die Akteure im System Frühe Hilfen
zwangsläufig auch mit konkreten Gefährdungssituationen befasst und auch für diese Kinder sowie
Familien sollen sie ihre Angebote in der betreffenden Lebensphase aufeinander abstimmen und so
frühzeitig wie möglich koordiniert zur Verfügung stellen (so auch BT-Drucks. 17/6256, 17; SFK 1
des DIJuF JAmt 2010, 117, 119 ff; Freese u.a./Schone 2011, 17).
Um erkennen zu können, auf welcher der in Abs. 3 beschriebenen Stufen des „staatlichen Wächteramts“ (Rn 6 ff) sich die eigene Tätigkeit im Unterstützungssystem Frühe Hilfen im Einzelfall gerade
bewegt, erscheint sowohl aus fachlicher als auch aus rechtlicher Perspektive eine begriffliche Differenzierung unbedingt erforderlich (hierzu eingehend Freese u.a./Schone 2011, 17; Brößkamp JAmt
2009, 343; Jestaedt 2012, 20 ff). Die schon mit der Überschrift eingeleitete denkbar weite Aufladung des Begriffs „Kinderschutz“ im KKG (Rn 6) scheint zwar auf eine Gleichsetzung von Frühe
Hilfen und Kinderschutz hinzudeuten. Jedoch fordert auch das KKG ausdrücklich Differenzierung
(§ 1 Abs. 3 KKG).
13
III. Information über Unterstützungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung (§ 2 KKG)
§ 2 Information der Eltern über Unterstützungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung
14
(1) Eltern sowie werdende Mütter und Väter sollen über Leistungsangebote im örtlichen Einzugsbereich zur Beratung und Hilfe in Fragen der Schwangerschaft, Geburt und der Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjahren informiert werden.
(2) 1Zu diesem Zweck sind die nach Landesrecht für die Information der Eltern nach Absatz 1 zuständigen Stellen befugt, den Eltern ein persönliches Gespräch anzubieten. 2Dieses kann auf Wunsch
der Eltern in ihrer Wohnung stattfinden. 3Sofern Landesrecht keine andere Regelung trifft, bezieht
sich die in Satz 1 geregelte Befugnis auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe.
1. Inhalt und Bedeutung der Norm
Die neue kommunale Pflichtaufgabe zur Information über die Unterstützungsangebote vor Ort konkretisiert und macht die allgemeine Pflicht der Sozialleistungsträger zur Aufklärung der Bürger über
ihre Rechte und Pflichten nach dem SGB (§ 13 SGB I) verbindlicher. Sie ergänzt die Aufgabe zur unaufgeforderten Beratung nicht mit dem Vater verheirateter Mütter unverzüglich nach der Geburt
(§ 52a SGB VIII). Die Aufgabe ist der allgemeinen Daseinsfürsorge, nicht aber den Leistungen des
SGB zuzuordnen.
15
Ausgangspunkt für die Regelung ist das mit viel medialer Aufmerksamkeit beworbene – und in
Abs. 2 Satz 2 aufgeführte – Modell der Willkommens- bzw Familienbesuche (JA Dormagen 2011,
99 ff; Pillhofer u.a. 2012a, 2012b; Pillhofer u.a. JAmt 2012, 1). Das punktuelle, universell-präventive Angebot kann nicht als Instrument des Kinderschutzes bezeichnet werden, denn bislang sind von
der Forschung bei entsprechenden Angeboten keine Effekte zur Reduzierung von Misshandlung und
Vernachlässigung messbar gewesen (Reynolds u.a. Child Maltreatment 2009, 182; Bilhuka u.a. AmJPrevMed 2005, 11). Die Funktionen der bei den (werdenden) Eltern sehr gut ankommenden Informationsangebote sind daher andere, kommunalpolitischer sowie daseinsvorsorgender Art und dienen der Verbesserung der Beziehungen zwischen Bürger und Verwaltung in der Kommune sowie zu
helfenden Personen/Stellen.
16
2. Allgemeine kommunale Informationsaufgabe (Abs. 1)
Die Informationsaufgabe des Abs. 1 ist ein Soll-Pflicht, von der nur ausnahmsweise aus besonderem
Grund abgesehen werden kann (Anhang Verfahren Rn 86; aA Wiesner/Wiesner § 2 KKG Rn N3,
der überraschenderweise Ausnahmen bei Soll-Regelungen nur bei Gewährung individueller Leistungen, nicht aber Erfüllung von Aufgaben zuerkennt). Die Regelung ist nur scheinbar wie eine objektiv-rechtliche Pflicht der Kommunen ausgestaltet, enthält aber eine individualisierbare, eindeutig
drittgerichtete Aufgabe, mit der folglich ein Anspruch, ein subjektiv-öffentliches Recht auf Informa-
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§ 2 KKG
Anhang § 8b – KKG
tion korreliert. Die Information bezieht sich auf Leistungsangebote im örtlichen Einzugsbereich.
Dies betrifft nicht nur die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII, sondern alle Beratungs- und Unterstützungsangebote, sowohl Dienstleistungen (zB Eltern- und Familienbildung, der
[nachgehenden] Schwangerschaftsberatung, Frühförderung für Kinder mit [drohender] Behinderung,
Eingliederungshilfe für Eltern mit Behinderungen, Arbeitsförderung und ‑vermittlung) als auch Behandlung und Vorsorge der Gesundheitshilfe (zB Hebamme, pädiatrische Behandlung und Früherkennung) sowie monetäre Leistungen (zB Eltern- und Wohngeld, Leistungen zum Lebensunterhalt
nach SGB II oder SGB XII).
18 Abs. 1 macht keine Vorgaben über die Form der Aufgabenerfüllung. Die Informationen können
schriftlich (zB durch Übersenden von Begrüßungspaketen; hierzu Freese u.a./Friedrich 2011, 147,
149 f), fernmündlich oder durch persönliches Gespräch gegeben werden. Abs. 2 Sätze 1 und 2 erlauben lediglich bestimmtes Vorgehen, lassen der zuständigen Kommune aber die Gestaltungsfreiheit,
mit welcher Methode sie die Informationsaufgabe letztlich erfüllen.
19 Zur Aufgabenerfüllung braucht die Kommune die Kenntnis über (anstehende) Geburten von Bür-
gern, die in ihrem Zuständigkeitsbereich leben. Das Erlangen der Meldedaten als Datenerhebung ist
nach den Landesdatenschutzgesetzen zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe der Kommune ohne
Weiteres zulässig. Sollen die Daten nicht aus den Kommunalanzeigern als öffentlich zugängliche Informationsquelle entnommen, sondern von den Meldebehörden zuverlässig und regelhaft übermittelt werden, bedarf es einer speziellen datenschutzrechtlichen Befugnisnorm (eingehend Götte JAmt
2012, 7, 9 f). Eine solche existiert bisher lediglich im Saarland (§ 15 MeldDÜV SL), Bayern (Art. 13a
MeldDV BY) und Thüringen (§ 21a MeldeDÜV TH). In den anderen Ländern ist eine regelhafte Geburtenmitteilung durch die Meldebehörden bis zum Erlass entsprechender Befugnisnormen unzulässig. Wenn der Bund von seiner seit 2006 bestehenden alleinigen Gesetzgebungskompetenz für das
Meldewesen Gebrauch gemacht hat, kann eine solche nur noch bundesrechtlich getroffen werden
(Art. 73 Abs. 1 Nr. 3, Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG), sinnvollerweise im KKG (Pillhofer u.a./Götte/
Meysen 2012b, 45 ff; Meysen/Eschelbach 2012, Kap. 2 Rn 20 ff).
3. Angebot eines persönlichen Gesprächs und Besuchs (Abs. 2 Sätze 1 u. 2)
20 Die Befugnisse zum Angebot eines persönlichen Gesprächs (Abs. 2 Satz 1), auf Wunsch in der Woh-
nung der Eltern (Abs. 2 Satz 2) haben rein deklaratorischen Charakter und keinen konstitutiven Regelungsgehalt. Kommunen sind auch ohne Abs. 2 jederzeit befugt, im Rahmen der allgemeinen öffentlichen Daseinsvorsorge proaktiv mit ihren Bürgern in Kontakt zu treten, etwa um sie über die
Beratungs- und Unterstützungsangebote vor Ort zu informieren (vgl § 13 SGB I; Meysen/Eschelbach
2012, Kap. 2 Rn 25 ff; Götte JAmt 2012, 7, 11). Das Angebot kann schriftlich mit der Möglichkeit
zur Rückantwort oder als telefonische Anfrage erfolgen; zulässig ist aber auch ein Aufsuchen und
Unterbreiten des Angebots an der Haustür – sinnvollerweise mit, aber rechtlich zulässig auch ohne
schriftliche Vorankündigung (Pillhofer u.a./Götte/Meysen 2012b, 54 ff; Götte JAmt 2012, 7, 11 f).
21 Die Annahme des Angebots zum persönlichen Gespräch sowie zum Besuch der Eltern in ihrer Woh-
nung ist hierbei jedoch strikt freiwillig; da keine Befugnis für einen Grundrechtseingriff besteht, ist
entscheidend die Selbstbestimmung bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme (SFK 1 des
DIJuF JAmt 2010, 117, 119 f). Um eine autonome, kompetente Entscheidung zu ermöglichen, ist erforderlich, dass der Familienbesucher über Intention des persönlichen Gesprächs und/oder des Besuchs und darüber, was mit den beim Gespräch und/oder Besuch erhobenen Daten geschieht, Transparenz herstellt. Heimliche Aufträge einer Überprüfung, ob bei den Eltern alles zum Rechten steht,
sind unzulässig; der Besuch ist kein Kontrollbesuch (Götte JAmt 2010, 7, 11 f; Schirrmacher ZKJ
2011, 370). Ändert sich während des Gesprächs und/oder Besuchs der Zweck und geht bspw über
in ein Beratungsgespräch nach § 16 SGB VIII oder die Prüfung eines Leistungsanspruchs nach § 27
SGB VIII, ist dies ebenfalls transparent zu machen und das entsprechende Einverständnis einzuholen
(Meysen/Eschelbach 2012, Kap. 2 Rn 17).
22 Die Dokumentation und damit Speicherung der erhobenen Daten ist an die Aufgabe rückgebunden
(Götte JAmt 2010, 7, 11 f). Da Aufgabe lediglich die Information ist, nicht aber bspw die Überprüfung der Situation in der Familie, darf zur Vermeidung von ausbleibenden oder doppelten Informationsangeboten auch nur dokumentiert werden, ob die Information gegeben wurde oder nicht. Die
Daten sind spätestens zu löschen, wenn das Kind so alt ist, dass keine Information nach § 2 KKG
mehr gegeben wird (Pillhofer u.a./Götte/Meysen 2012b, 65 ff; Meysen/Eschelbach 2012, Kap. 2
Rn 34 ff). Darüber hinausgehende Dokumentation, etwa zu Evaluationszwecken für mögliche Fol-
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KKG – § 8b Anhang
low-up-Besuche ist zulässig nur mit Einwilligung (zu einem Einwilligungs-Muster Pillhofer u.a./
Götte/Meysen 2012b, 70 f).
4. Zuständigkeit (Abs. 2 Satz 3)
§ 2 KKG geht davon aus, dass Landesrecht die zuständige Stelle für das Informationsangebot be- 23
stimmt (Abs. 2 Satz 1). Bislang ist dies noch in keinem Bundesland erfolgt. In diesem Fall bestimmt
Bundesrecht den – über die Landesausführungsgesetze zum KJHG/SGB VIII ebenfalls landesrechtlich
bestimmten – örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als zuständige Behörde (Abs. 2 Satz 3).
Dies sind die Landkreise, Städte und Gemeinden mit einem JA. Da Abs. 2 Satz 3 nicht bestimmt,
dass etwa das JA als Organisationseinheit die Aufgabenverantwortung trägt, ist gesetzlich nicht vorgegeben, welche Stelle in der Kommunalverwaltung die Aufgabe übernimmt (hierzu insb. Rn 60), so
dass der Dienst bspw auch im Bürgermeister- oder Gesundheitsamt angesiedelt werden kann
(Art. 28 Abs. 2 GG). Zulässig ist auch die Wahrnehmung der Aufgabe durch Träger der freien Jugendhilfe oder Privatpersonen. Dem steht auch nicht entgegen, dass Abs. 2 Satz 1 vermeintlich dem
öffentlichen Träger eine Befugnis einräumt. Diese ist zum einen rein deklaratorisch (Rn 20), zum anderen steht der Einsatz der Methode Gesprächsangebot und Hausbesuch bei Freiwilligkeit der Inanspruchnahme auch freien Trägern und Privatpersonen offen (Meysen/Eschelbach 2012, Kap. 2
Rn 17). Landkreise können – entsprechend den Vorgaben im Kommunalrecht des jeweiligen Bundeslandes – auch kreisangehörige Gemeinden ohne JA mit der Aufgabenerledigung beauftragen.
IV. Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz (§ 3 KKG)
§ 3 Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz
24
(1) In den Ländern werden insbesondere im Bereich Früher Hilfen flächendeckend verbindliche
Strukturen der Zusammenarbeit der zuständigen Leistungsträger und Institutionen im Kinderschutz
mit dem Ziel aufgebaut und weiterentwickelt, sich gegenseitig über das jeweilige Angebots- und
Aufgabenspektrum zu informieren, strukturelle Fragen der Angebotsgestaltung und ‑entwicklung zu
klären sowie Verfahren im Kinderschutz aufeinander abzustimmen.
(2) In das Netzwerk sollen insbesondere Einrichtungen und Dienste der öffentlichen und freien Jugendhilfe, Einrichtungen und Dienste, mit denen Verträge nach § 75 Absatz 3 des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch bestehen, Gesundheitsämter, Sozialämter, Gemeinsame Servicestellen, Schulen, Polizei- und Ordnungsbehörden, Agenturen für Arbeit, Krankenhäuser, Sozialpädiatrische Zentren,
Frühförderstellen, Beratungsstellen für soziale Problemlagen, Beratungsstellen nach den §§ 3 und 8
des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, Einrichtungen und Dienste zur Müttergenesung sowie zum
Schutz gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen, Familienbildungsstätten, Familiengerichte und
Angehörige der Heilberufe einbezogen werden.
(3) 1Sofern Landesrecht keine andere Regelung trifft, soll die verbindliche Zusammenarbeit im Kinderschutz als Netzwerk durch den örtlichen Träger der Jugendhilfe organisiert werden. 2Die Beteiligten sollen die Grundsätze für eine verbindliche Zusammenarbeit in Vereinbarungen festlegen.
3
Auf vorhandene Strukturen soll zurückgegriffen werden.
(4) 1Dieses Netzwerk soll zur Beförderung Früher Hilfen durch den Einsatz von Familienhebammen
gestärkt werden. 2Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt den
Aus- und Aufbau der Netzwerke Frühe Hilfen und des Einsatzes von Familienhebammen auch unter
Einbeziehung ehrenamtlicher Strukturen durch eine zeitlich auf vier Jahre befristete Bundesinitiative,
die im Jahr 2012 mit 30 Millionen Euro, im Jahr 2013 mit 45 Millionen Euro und in den Jahren
2014 und 2015 mit 51 Millionen Euro ausgestattet wird. 3Nach Ablauf dieser Befristung wird der
Bund einen Fonds zur Sicherstellung der Netzwerke Frühe Hilfen und der psychosozialen Unterstützung von Familien einrichten, für den er jährlich 51 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. 4Die
Ausgestaltung der Bundesinitiative und des Fonds wird in Verwaltungsvereinbarungen geregelt, die
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen mit den Ländern schließt.
1. Inhalt und Bedeutung der Norm
§ 3 KKG enthält zwei disparate Regelungsgegenstände: einerseits in der Überschrift angekündigte
Netzwerkstrukturen (Abs. 1-3; Rn 28 ff), andererseits eine gesetzliche Zusage und Rahmung für eine
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§ 50 Anhang
zung zu leisten (hierzu Ziegler JAmt 2009, 585). Über die „Eignung“ und ihre Unterstützungsleistung entscheidet nicht das FamFG, sondern das JA als Fachbehörde (Meysen/Meysen § 88 FamFG
Rn 5 ff; § 50 Rn 15).
2. Beteiligte des familienrechtlichen Verfahrens
Das familienrechtliche Verfahren findet grds. unter Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 170 GVG), mithin dürfen nur die (formell) am Verfahren Beteiligten anwesend sein. Diese haben bei einem berechtigten Interesse auch ein Akteneinsichtsrecht (§ 13 FamFG), womit ihnen die in der Gerichtakte befindlichen Stellungnahmen des JA (zB von Erziehungsberatungsstellen, des ASD) zugänglich sind
(zum Akteneinsichtsrecht des JA Rn 10).
6
§ 7 FamFG bestimmt die Beteiligten des Verfahrens (Zimmermann FPR 2009, 5), die über eine besonders geschützte Rechtstellung (zB Anwesenheits-, Anhörungs-, Akteneinsichtsrecht) verfügen und
zB durch eigene Willenserklärungen (Anträge) gestaltend am Prozess mitwirken können. Andererseits haben die Beteiligten auch eine Mitwirkungspflicht, denn sie sollen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der
Wahrheit gemäß abzugeben (§ 27 Abs. 1 u. 2 FamFG). Neben dem Antragsteller (§ 7 Abs. 1 FamFG)
sind als Beteiligte des familiengerichtlichen Verfahrens nach § 7 Abs. 2 FamFG alle Personen hinzuzuziehen (dh insb. zu benachrichtigen und anzuhören), deren (materielles) Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird (Nr. 1) und diejenigen, die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift
von Amts wegen oder auf Antrag zu beteiligen sind (Nr. 2; zur verfahrensrechtlichen Stellung des JA
s. Rn 10).
7
a) Verfahrensrechtliche Stellung von Eltern, Kinder und Jugendlichen
Die Eltern eines Kindes sind aufgrund ihrer elterlichen Sorgeverantwortung (Art. 6 Abs. 2 GG,
§§ 1626 ff BGB) grds. (förmlich) am familienrechtlichen Verfahren Beteiligte (§ 7 Abs. 1 bzw Abs. 2
Nr. 1 FamFG). Sie sollen (§ 160 Abs. 1 FamFG), in Verfahren nach den §§ 1666, 1666a BGB müssen sie stets persönlich angehört werden (§ 160 Abs. 1 Satz 2 FamFG; weitere Anhörungsrechte nach
§§ 34, 192 FamFG). Eltern können sich stets von einem Anwalt oder Beistand begleiten lassen, das
Gericht kann die persönliche Anwesenheit der Eltern anordnen (s. § 157 Abs. 2, § 165 Abs. 2
FamFG). Die Beteiligtenstellung von Vormündern und Pflegern als Sorgeberechtigte ergibt sich auch
aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (Hoffmann JAmt 2009, 416; aA Wiesner/Oberloskamp Anhang 3
Rn 18, da es sich nicht um ureigene, sondern nur um übertragene, professionelle Aufgaben handele).
Pflegeeltern können vom FamG im Interesse des Kindes hinzugezogen werden, wenn das Kind seit
längerer Zeit in Familienpflege lebt (§ 161 Abs. 1, § 167 Abs. 1 Satz 1, § 315 Abs. 4 Nr. 1 FamFG;
Hoffmann JAmt 2009, 417). Damit können sie zwar keinen Antrag nach § 7 Abs. 3 FamFG stellen,
sie sind aber in jedem Fall zu benachrichtigen (§ 7 Abs. 4 FamFG) und anzuhören (§ 161 Abs. 2
FamFG).
8
Grds. agieren die personensorgeberechtigten Eltern für ihre (minderjährigen) Kinder auch im (familien)gerichtlichen Verfahren als gesetzliche Vertreter (§ 1629 BGB), auch wenn diese selbst Verfahrensbeteiligte sind (BGH 7.9.2011 – XII ZB 12/11: das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Kind und Eltern führt nicht notwendigerweise zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis; insoweit ist aber die Bestellung eines Verfahrensbeistands erforderlich, s. Rn 77 ff).
Im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Stellung von Kinder und Jugendlichen erweitert § 9 Abs. 3
FamFG die Verfahrensfähigkeit von Minderjährigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Allerdings erlaubt das FamFG ihnen die eigenständige Verfahrensstellung nur soweit sie über eine eigene
materielle Rechtstellung verfügen. Kinder/Jugendliche über 14 Jahren sind als Verfahrensbeteiligte
anzuhören (§ 34 Abs. 1; § 159 Abs. 1 FamFG). Nach § 159 Abs. 2 FamFG sind darüber hinaus auch
noch nicht 14-jährige Kinder persönlich anzuhören, wenn ihre Neigungen, Bindungen oder ihr Wille
für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist (zur Praxis Karle ZKJ 2009, 400; Schweppe/Bussian ZKJ 2012, 13; Stötzel/Prenzlow ZKJ 2011, 200). Hiervon darf das Gericht nach § 159 Abs. 3 FamFG nur aus schwerwiegenden
Gründen absehen. Kinder/Jugendliche haben ein Informationsrecht über den Gegenstand, Ablauf
und möglichen Ausgang des Verfahrens und sollen in einer geeigneten und ihrem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für ihre Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind (§ 164 FamFG). Zur Wahrung ihrer Interessen ist Kindern/Jugendlichen
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Drittes Kapitel | Andere Aufgaben der Jugendhilfe
insb. in Konflikten mit ihren Eltern ein Verfahrensbeistand (Rn 77) zu bestellen (§§ 158, 174, 191
FamFG).
b) Verfahrensrechtliche Stellung des JA
10 Im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Stellung des JA ist zu beachten, dass allein die an verschie-
denen Stellen normierte Mitwirkungs- und Anhörungsverpflichtung (Rn 20) oder Auskunftserteilung
das JA noch nicht zum Beteiligten macht (§ 7 Abs. 6 FamFG). Das JA (in Adoptionssachen auch das
LJA, s. Rn 72) wird zum (förmlichen) Verfahrensbeteiligten nur, wenn es dies ausdrücklich wünscht
(§ 162 Abs. 2, § 172 Abs. 2, § 188 Abs. 2, § 204 Abs. 2, § 212 Abs. 2 FamFG; sog. Zugriffslösung).
Die JÄ haben damit die Wahl, ob sie als Beteiligte mit einer erweiterten Rechtsstellung (alle prozessualen Rechte, zB Akteneinsichtsrecht, Äußerungs- und Fragerecht, verfahrensbezogene Antragsrechte, insb. Beweisantragsrecht) am Verfahren mitwirken. Diese Wahl kann nicht nur zu Beginn,
sondern zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens ausgeübt werden. Auch ohne formale Beteiligungsstellung besteht in den gesetzlich bestimmten Fällen stets eine Anhörungspflicht (BVerfG 21.6.2002 – 1
BvR 605/02 – JAmt 2002, 307; s. Rn 20). Ist das JA nicht formell Verfahrensbeteiligter wird es im
Übrigen als „Dritter“ behandelt, zB im Hinblick auf das Akteneinsichtsrecht (§ 13 Abs. 2 FamFG)
oder die Kostenregelung (§ 81 Abs. 4 FamFG; s. Rn 12). Im Hinblick auf die Pflicht zur Anhörung
steht dem JA aber stets ein Recht auf Anwesenheit im gerichtlichen Verfahren zu (Vor§ 50 Rn 34).
Stellt das JA einen Antrag auf Beteiligung, hat das Gericht gemäß Absatz 2 Nr. 2 seine Hinzuziehung zu veranlassen; das FamG hat insoweit keinen Ermessensspielraum (BT-Drucks. 16/6308,
179).
11 Darüber hinaus ist dem JA unabhängig von der Bestellung als formeller Verfahrensbeteiligter und
unabhängig von § 59 FamFG eine weitreichende Beschwerdebefugnis zugewiesen (§ 162 Abs. 3
Satz 2, § 176 Abs. 2 Satz 2, § 194 Abs. 2 Satz 2, § 205 Abs. 2 Satz 2, § 213 Abs. 2 Satz 2 FamFG).
Den JÄ sind deshalb die Endentscheidungen in Angelegenheiten zu denen sie zu hören waren unabhängig von ihrer Beteiligtenstellung bekannt zu machen (§ 162 Abs. 3 Satz 1, § 176 Abs. 2 Satz 1,
§ 194 Abs. 2 Satz 1, § 205 Abs. 2 Satz 1, § 213 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Die Beschwerde ist innerhalb
einer Frist von einem Monat (§ 63 Abs. 1 FamFG, Beschwerden gegen einstweilige Anordnungen innerhalb von zwei Wochen, § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss
angefochten wird (§ 64 Abs. 1 FamFG).
12 Das FGG-Reformgesetz hat zu einer Aufwertung der verfahrensrechtlichen Position des JA geführt.
Das sog. Behördenprivileg befreit das JA in allen Verfahren in sämtlichen Instanzen vom Anwaltszwang (§ 114 Abs. 3 FamFG). Mit der Verantwortung wächst aber auch das Kostenrisiko (DIJuF
JAmt 2010, 300; Heilmann FamRZ 2010, 1391). Beteiligten werden die Kosten nach billigem Ermessen auferlegt (§ 81 Abs. 1 FamFG). Allerdings entspricht es nicht der Billigkeit, dem aufgrund
eines Antrags (§§ 7, 162 Abs. 2 FamFG) zum Beteiligten gewordenen JA die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen (OLG Celle 4.5.2012 – 10 UF 69/12; OLG Celle 18.8.2011 – 10 UF
179/11 – JAmt 2012, 40), denn dies stellte faktisch die gesetzlich normierte fachgerechte Aufgabenerfüllung des JA in Frage. Auch ein im Ergebnis dem Antrag oder der Positionierung des JA nicht
entsprechender Verfahrensausgang rechtfertigt nicht die Auferlegung von Verfahrenskosten, insb.
außergerichtlicher Aufwendungen anderer Verfahrensbeteiligter (DIJuF JAmt 2010, 302). Möglich
ist dies nur in Fällen des pflichtwidrigen Verhaltens (§ 81 Abs. 2 FamFG). Nach § 81 Abs. 4 FamFG
besteht zudem die Möglichkeit, dem JA als „Dritten“ die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wenn
die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn dabei ein grobes Verschulden trifft.
Das könnte zB bei einer vorschnellen, mangelhaften, weil nicht den fachlichen Standards entsprechenden Anrufung des FamG zur Initiierung eines (überflüssigen) Sorgerechtsverfahrens der Fall
sein, insb. wenn die Eltern durchaus (ggf mit fachgerechter Unterstützung) in der Lage und bereit
sind, eine für das Wohl ihres Kindes gefährdende Situation abzuwenden.
3. Förderung einvernehmlicher Regelungen
13 Der Gesetzgeber hat der einvernehmlichen Regelung in Kindschafts- und anderen Familiensachen ei-
ne besondere Bedeutung und Vorrang zu gemessen (zB §§ 36, 133 Abs. 1 Nr. 2, §§ 135, 156, 165,
176 FamFG; Trenczek FPR 2009, 335; Vor§ 50 Rn 9), zuletzt durch die Einfügung zB des § 36a
FamFG durch das MediationsG (Trenczek u.a./Carl 2012 Kap. 4.6; Proksch ZKM 2011, 173; s.
§ 17 Rn 56). Das familiengerichtliche Verfahren ist wie keine andere gerichtliche Auseinandersetzung von emotionalen Konflikten geprägt, die letztlich nicht justiziabel sind, aber einen maßgebli-
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chen Einfluss auf das Streitpotenzial und die Möglichkeiten zur gütlichen Beilegung einer Auseinandersetzung haben (Carl FPR 2004, 187). In § 36 FamFG wird den Beteiligten umfassend der Abschluss einer einvernehmlichen Regelung (rechtstechnisch durch einen sog. Vergleich) eingeräumt,
soweit sie über den Gegenstand des Verfahrens verfügen können. Nach § 36a FamFG kann das Gericht einzelnen oder allen Beteiligten eine Mediation oder ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorschlagen (Abs. 1) und setzt in diesem Fall das Verfahren aus (Abs. 2). Das
Gericht kann in Scheidungsverfahren nach § 135 Abs. 1 FamFG anordnen, dass die Ehegatten einzeln oder gemeinsam an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation (§ 17 Rn 56) teilnehmen und eine Bestätigung hierüber vorlegen.
In Kindschaftssachen (Rn 24 ff) soll auf ein Einvernehmen der Eltern hingewirkt werden, es sei denn,
dass dies dem Kindeswohl nicht entspricht (§ 156 Abs. 1 Satz 1 FamFG; zur Vermittlung in hochstrittigen Sorge- und Umgangskonflikten § 50 Rn 6). In § 156 Abs. 2 FamFG wird der Vorrang einvernehmlicher Regelungen auf Verfahren über das Umgangsrecht sowie die Herausgabe eines Kindes
und damit sogar auf Regelungsgegenstände ausgeweitet, über die Eltern an sich nicht disponieren
können (s. § 1684 BGB; Trenczek FPR 2009, 335). Die bzgl des Einigungsergebnisses stattfindende
gerichtliche Inhaltskontrolle (§ 156 Abs. 2, § 165 Abs. 4 FamFG) ist nicht mediationsfeindlich, stehen doch alle Regelungen stets unter dem Vorbehalt des nicht-dispositiven Rechts (Trenczek u.a.
2012 Kap. 4.1), hier des Kindeswohls (hierzu Vor§ 50 Rn 2). Eine Zustimmung des JA ist nur erforderlich, wenn dieses durch die einvernehmliche Regelung der Eltern selbst betroffen ist (zB beim begleiteten Umgang, s. § 18 Rn 41).
14
Gelingt es dem FamG (bzw dem Güterichter, § 36 Abs. 5 FamFG) nicht selbst, die Eltern zu einem
Einvernehmen zu motivieren, so weist es nach § 156 Abs. 1 Satz 2 FamFG auf Möglichkeiten der
Beratung zur Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen
Sorge und der elterlichen Verantwortung durch die Beratungsstellen und ‑dienste der Träger der
Kinder- und Jugendhilfe hin (Hinweispflicht). Darüber hinaus soll das Gericht in geeigneten Fällen
auf die Möglichkeit der Mediation oder der sonstigen außergerichtlichen Streitbeilegung hinweisen
(§ 156 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Der Gesetzgeber hat allerdings von einer Verpflichtung zur Mediation
abgesehen, obwohl es gegen eine solche trotz des Autonomieansatzes wegen des vorrangigen Kindeswohls keine durchschlagenden Gründe gibt (BVerfG 14.2.2007 – 1 BvR 1351/01; Trenczek u.a.
2012 Kap. 1.1 Rn 26; § 17 Rn 48). Das Gericht kann aber anordnen, dass die Eltern an einer Beratung über die Mediation, nicht aber an einer Mediation teilnehmen (§ 156 Abs. 1 Satz 4 FamFG;
Bergmann ZKJ 2010, 52). Der diskreditierende Begriff „Zwangsberatung“ verschleiert, dass in einer
fachgemäßen Beratung gerade keine Entscheidungen (gar von Dritten) für die Betroffenen getroffen,
sondern neue Handlungsalternativen und (mitunter bislang unbekannte) Entscheidungsoptionen geklärt werden (s. § 17 Rn 48 ff). Das Gericht soll vor Erlass dieser Anordnung dem JA Gelegenheit
zur Stellungnahme geben, um mit diesem abzustimmen (Einvernehmen), bei welcher Beratungsstelle
und binnen welcher Frist die Eltern sich beraten lassen sollen. Die Anordnung ist nicht selbstständig
anfechtbar und nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar. Allerdings können Kostenfolgen an die Weigerung geknüpft werden (§ 81 Abs. 2 Nr. 5 FamFG).
15
Nach § 165 Abs. 1 FamFG ist ein Vermittlungsverfahren in Umgangskonflikten nicht nur bzgl der
Umsetzung einer gerichtlichen Entscheidung, sondern auch nach einem gerichtlich gebilligten Vergleich vorgesehen.
16
Durch das FamFG ist nicht geregelt, wer die Kosten einer (mediativen) Beratung oder gar eines den
fachlichen Standards entsprechenden (außergerichtlichen) Mediationsverfahrens trägt. Unter Beachtung der kommunalen Selbstverwaltung und Steuerungsverantwortung kann auch die in § 135
Abs. 2, § 156 Abs. 1 Satz 2 FamFG erwähnte (kostenlose) Beratung nicht über die Leistungspflichten
des §§ 17, 28 hinausgehen (hierzu § 17 Rn 8). Zu einer mediativ angelegten Beratung oder gar einer
fachgerechten Mediation sind aber derzeit weder Familienrichter/innen noch die Fachkräfte in den
JÄ ohne erhebliche zusätzliche Qualifizierung in der Lage (Meysen JAmt 2008, 237; Trenczek u.a.
2012 Kap. 1.2 und 2.12 Rn 28).
17
II. Die Mitwirkung des JA in Familiensachen
In den in § 111 FamFG geregelten Familiensachen ist nach § 50 Abs. 1 Satz 2 eine Mitwirkung des
JA vorgesehen in
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Kindschaftssachen (§§ 151 ff,162 FamFG, s. Rn 23 ff),
Abstammungssachen (§§ 169 ff, 176 FamFG; hierzu Rn 57),
Adoptionssachen (§§ 186 ff, 188 Abs. 2, 189, 194, 195 FamFG; hierzu Rn 60),
Ehewohnungssachen (§§ 200 ff, 204 Abs. 2, 205 FamFG; hierzu Rn 73) und
Gewaltschutzsachen (§§ 210 ff, 212, 213 FamFG; hierzu Rn 74).
19 Vorgesehen ist die Beteiligung des JA auch zur Unterstützung bei der Vollstreckung von Entscheidungen über Herausgabe und Umgang (§ 88 Abs. 2 FamFG, Rn 5 ff). Unabhängig von einem bereits
anhängigen familiengerichtlichen Verfahren besteht eine „außergerichtliche“ Leistungspflicht des JA
zur Beratung und ggf Vermittlung nach §§ 17, 18 Abs. 1 und 4, § 28 sowie § 52a (s. zB § 17
Rn 13 ff; § 50 Rn 6).
20 Die Verpflichtung der Gerichte zur Anhörung des JA findet sich in §§ 162, 176, 194 f, 205, 213
FamFG. Zwar sind die Regelungen des FamFG und des § 50 Abs. 1 Satz weder deckungsgleich noch
abschließend (§ 50 Rn 15; Kunkel/Röchling § 50 Rn 47 f), die Unterschiede sind aber nur theoretischer Natur. Beide Regelungen nehmen Verfahren aus, in denen es nur um das Vermögen des Kindes oder um die Vergütung von Vormündern (§ 1836 BGB) und Verfahrensbeiständen (§ 158
Abs. 7, §§ 277, 318 FamFG) geht. Soweit eine Erweiterung der von der Anhörungspflicht umfassten
Verfahren beabsichtigt war (BT-Drucks. 16/6308, 241) ist noch offen, welche Verfahren letztlich
dazu zu rechnen sind (Wiesner/Oberloskamp Anhang 3 Rn 1). Im Folgenden wird deshalb ohne Anspruch auf Vollständigkeit nur auf eine Reihe der wichtigsten Regelungsbereiche eingegangen werden, in denen (inkl. Änderungsentscheidungen § 1696 BGB, § 166 FamFG) die Anhörung des JA geboten ist.
21 Eine Mitwirkung des JA in Scheidungsverfahren (§§ 133 ff FamFG) ist nicht immer, sondern nur
notwendig, soweit mit der Scheidung auch eine sog. Folgesache anhängig ist, die das Wohl der von
der Scheidung betroffenen Kinder betrifft (insb. § 137 Abs. 3 FamFG; hierzu LJA BY 2004; Bergmann u.a. 2002; zu den Folgen von Trennung und Scheidung für die Kinder Böhm/ScheurerEnglisch 2000; Wallerstein u.a. 2002). Das ist insb. der Fall bei einem im sog. „Scheidungsverbund“
(§ 137 FamFG) anhängigen Antrag bzw Streit über die elterliche Sorge (Rn 41 ff) bzw Umgangsregelungen (Rn 47) oder den in § 50 Abs. 1 Nr. 4 genannten Ehewohnungssachen (Rn 73), sofern ein
Kind im Haushalt lebt. Die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge nach Trennung und Scheidung
(§ 1671 BGB) hat zwar vielfach zur Konfliktentschärfung in Ehescheidungen geführt, nicht selten
setzen sich aber die zur Trennung und Scheidung führenden Konflikte auch danach noch fort und es
kommt anstelle der Konflikte um das Sorgerecht nun vermehrt zu Streitigkeiten bei Umgangsregelungen (Bucholz-Graf ZfJ 2001, 211; Jäger FPR 2005, 70). Zwar ist die gemeinsame Ausübung der
Elternverantwortung häufig besser als die Alleinsorge geeignet, die Kooperation und die Kommunikation der Eltern miteinander positiv zu beeinflussen sowie den Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen aufrechtzuerhalten (BGH 15.11.2007 – XII ZB 136/04 – FamRZ 2008, 251). Sie setzt
aber eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen voraus (BVerfG 18.12.2003 – 1 BvR 1140/03 – JAmt 2004, 92; OLG Schleswig 22.12.2011 – 10 UF 171/11; nach OLG Saarbrücken 5.12.2011 – 9 UF 135/11 ist diese zumindest bei wiederholten gewalttätigen Übergriffen seitens eines Elternteils und mehreren Gewaltschutzbzw Strafverfahren nicht vorhanden; im Einzelnen s. § 17 Rn 27).
22 Um den Verpflichtungen Deutschlands aus verschiedenen Haager Abkommen (§ 1 IntFamRVG;
Trenczek u.a. 2011, 64) nachzukommen und bestimmte Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts durchführen zu können, wurde 2005 das IntFamRVG erlassen (zuletzt
geändert am 23.5.2011; hierzu § 6). Nach § 9 IntFamRVG unterstützt das JA die Gerichte und das
Bundesamt für Justiz (Zentrale Behörde iSd § 2 IntFamRVG) bei allen Maßnahmen nach dem
IntFamRVG, insb.
n gibt es auf Anfrage Auskunft über die soziale Lage des Kindes und seines Umfelds,
n unterstützt es in jeder Lage eine gütliche Einigung,
n leistet es in geeigneten Fällen Unterstützung bei der Durchführung des Verfahrens, auch bei der
Sicherung des Aufenthalts des Kindes,
n leistet es in geeigneten Fällen Unterstützung bei der Ausübung des Rechts zum persönlichen Umgang, der Heraus- oder Rückgabe des Kindes sowie der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.
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1. Verfahren in Kindschaftssachen (§§ 151 ff FamFG)
Eine besondere Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfe haben die durch § 151 FamFG definierten Kindschaftssachen (§ 50 Abs. 2 Satz 2). Die Sammelbezeichnung umfasst alle dem FamG zugewiesenen Verfahren, die das Kindeswohl (Vor§ 50 Rn 2) und die elterliche Erziehungsverantwortung
betreffen und nicht einer anderen Verfahrensgruppe der Familiensachen (zB Abstammungs- und Adoptionssachen) zugeordnet sind. Im Einzelnen betreffen diese Verfahren nach § 151 FamFG
1. die elterliche Sorge (§§ 1626 ff BGB; s. Rn 33 ff),
2. das Umgangsrecht (§ 1632 Abs. 2, §§ 1684 und 1685 BGB; s. Rn 47),
3. die Kindesherausgabe (§ 1632, 1682 BGB; s. Rn 48),
4. die Vormundschaft (zB § 56; s. Rn 49 f),
5. die Pflegschaft oder die gerichtliche Bestellung eines sonstigen Vertreters für einen Minderjährigen oder für eine Leibesfrucht (§§ 1697, 1909, 1912 BGB, s. Rn 49 f),
6. die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen (§§ 1631b,
1800 und 1915 BGB; hierzu Rn 51 ff),
7. die Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker (PsychKG und UBG; Rn 51 ff) sowie
8. die Aufgaben nach dem JGG (hierzu Rn 56).
23
Unterhaltssachen (§§ 231 ff FamFG), auch soweit sie die Unterhaltspflicht gegenüber einem gemeinschaftlichen Kind betreffen, gehören nicht zu den Kindschaftssachen, sondern sind sog. Familienstreit- bzw Folgesachen (§ 112 Nr. 1, § 137 Abs. 2 FamFG), die nach den Regelungen der ZPO
durchgeführt werden. Insoweit leistet das JA Beratung und Unterstützung bei der Geltendmachung
von Unterhalts- oder Unterhaltsersatzansprüchen des Kindes oder Jugendlichen nach §§ 17 u. 18
(§ 18 Rn 14 ff). Von § 50 zu unterscheiden sind auch die Aufgaben des JA als Beistand bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen nach § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB, § 234 FamFG (s. § 52a
Rn 3).
24
a) Beschleunigungsgebot
§ 155 Abs. 1 FamFG normiert ein ausdrückliches Vorrang- und Beschleunigungsgebot für Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes
betreffen sowie für Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls (Meysen/Meysen FamFG § 155
Rn 4). Ziel ist die Verkürzung der Verfahrensdauer in (allen) sorge- und umgangsrechtlichen Verfahren, die früher in der Zeit vor dem FamFG durchschnittlich 6-7 Monaten dauerten und zu einer faktischen Präjudizierung der Streitsache führen konnten (BT-Drucks. 16/6308, 235; Heilmann 1998,
24 ff). Die „bevorzugte Erledigung“ (Vorranggebot) von Kindschaftssachen hat im Notfall auf Kosten anderer anhängiger Sachen zu erfolgen und gilt in jeder Lage des Verfahrens. Das Beschleunigungsgebot darf aber nicht schematisch gehandhabt werden, im Einzelfall – zB im Hinblick auf eine
einvernehmliche Regelung des Streits (s. Rn 13 ff) – kann zumindest in der Hauptsache auch einmal
ein Zuwarten angeraten sein: „Der Grundsatz des Kindeswohls prägt und begrenzt zugleich das Beschleunigungsgebot“ (BT-Drucks. 16/6308, 236). Gerade in hochstrittigen Sorgerechts- und Umgangskonflikten bedarf es zur Konfliktklärung nicht der Beschleunigung, sondern vielmehr einer
Entschleunigung (bke 2005; Fellenberg FPR 2008, 128; Meysen JAmt 2008, 236; Trenczek/Petzold
ZKJ 2011, 409). Die Aussetzung des Verfahrens (§ 21 FamFG) kann hier geboten sein (BT-Drucks.
16/6308, 184). In diesen Fällen muss das Kindeswohl ggf durch einstweilige Anordnungen (Rn 28)
vorläufig gesichert werden.
25
Der zügigen Verfahrenserledigung dient insb. ein früher erster Termin, der spätestens einen Monat
nach Eingang der Antragsschrift stattfinden soll (§ 155 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Dem familiengerichtlichen Erörterungstermin kommt Vorrang vor allen anderen Terminen und Verpflichtungen zu.
Zwingende Gründe für eine Verschiebung sind nur solche, die eine Teilnahme am Termin tatsächlich unmöglich machen, wie zB eine Erkrankung. Kein ausreichender Grund ist das Vorliegen einer
Terminskollision für einen Beteiligtenvertreter in einem anderen Verfahren, sofern es sich nicht
ebenfalls um eine Kindschaftssache handelt (BT-Drucks. 16/6308, 236).
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Durch die schnelle Terminierung soll eine Eskalierung des Elternkonflikts vermieden, eine einvernehmliche Konfliktlösung gefördert und die Eltern im persönlichen Gespräch zur Übernahme gemeinsamer Verantwortung motiviert werden (BT-Drucks. 6308, 236). Zwar sieht das Gesetz nicht
ausdrücklich einen Verzicht auf schriftliche Stellungnahmen vor, eine mündliche Erörterung liegt
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Drittes Kapitel | Andere Aufgaben der Jugendhilfe
aber in der Natur des frühen Erörterungstermins, zu dem das Gericht nach § 155 Abs. 3 FamFG das
persönliche Erscheinen der verfahrensfähigen Beteiligten anordnen soll (kritisch zur eingeschränkten
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen s. Trenczek ZKJ 2009, 101). Dadurch werde vermieden,
dass sich ein Elternteil durch einen schriftlichen Bericht in ein schlechtes Licht gesetzt und benachteiligt fühle und sich als Reaktion noch weiter von der Übernahme gemeinsamer Elternverantwortung
entferne (BT-Drucks. 16/6308, 236; kritisch hierzu Kunkel/Röchling § 50 Rn 86). Auch das JA sollte
zur Vermeidung einer Eskalation und auch im Hinblick auf ggf laufende bzw erforderliche Vermittlungsbemühungen in der Regel auf eine schriftliche Stellungnahme verzichten (s. § 50 Rn 12).
28 Im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot sind die neuen Regelungen über einstweilige Anordnun-
gen von besonderer Bedeutung (Vorwerk FPR 2009, 8). Sie sind in Familiensachen nicht mehr von
der Anhängigkeit einer Hauptsache abhängig (§§ 49, 51 Abs. 3 FamFG; Meysen/Meysen § 51
Rn 15 ff). Gerade im Hinblick auf die Regelung von Umgangskontakten vermeidet mitunter nur eine
sofortige Regelung die Gefahr einer für das Kindeswohl abträglichen Unterbrechung von Umgangskontakten zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil (BT-Drucks. 16/6308, 76).
Auch in Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a BGB hat das Gericht nach § 157 Abs. 3 FamFG im
Rahmen der Erörterung einer Kindeswohlgefährdung unverzüglich den Erlass einer einstweiligen
Anordnung zu prüfen.
29 Dem Beschleunigungsgebot dient auch, dass die Rechtsmittel (Beschwerde nach §§ 58 ff FamFG) der
Befristung unterliegen (idR ein Monat, s. § 63 FamFG). Dem Gericht ist – anders als noch nach dem
FGG – die rasche Selbstkorrektur für alle Beschwerden erlaubt, sofern das Gericht die Beschwerde
für begründet hält (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Zum Beschwerderecht des JA s.o. Rn 11.
b) Erörterung einer Kindeswohlgefährdung
30 Mit der Erörterung der Kindeswohlgefährdung (§ 157 FamFG) soll einer „möglichen“ Gefährdung
des Kindeswohls im Vorfeld und unabhängig von Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB begegnet
werden (BT-Drucks. 16/6815, 12; kritisch zur Vorverlagerung der staatlichen Kontrolle Coester
JAmt 2008, 8; Trenczek 2008, 147 f; Wapler RdJB 2009, 21). Hierzu hat das FamG das persönliche
Erscheinen der Eltern verbindlich anzuordnen (§ 157 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Nach § 157 Abs. 1
Satz 2 FamFG soll das JA (ein)geladen werden, um die Verbindlichkeit des Anhörungstermins zu
nutzen (BT-Drucks. 16/8516, 2).
31 Gegen die Intention des Gesetzgebers, Kindeswohlgefährdungen möglichst frühzeitig zu erkennen
und abzuwenden, wird vernünftigerweise niemand etwas einwenden können. Deshalb soll das JA
nach § 8a Abs. 1 bereits bei „gewichtigen Anhaltspunkten“ für die Gefährdung des Wohls des Kindes bzw Jugendlichen tätig werden; in dieser ersten Phase geht es allerdings zunächst um die gemeinsame Einschätzung des Gefährdungsrisikos mit den Eltern. Das JA soll erst dann das FamG anrufen,
wenn seine eigenen (sozialpädagogischen) Interventionen und Ressourcen nicht ausreichen, um eine
konkret festgestellte Kindeswohlgefährdung abzuwenden (Meysen JAmt 2008, 239; Trenczek 2008,
181 ff; zum insoweit bestehenden Beurteilungsspielraum § 8a Rn 37). Für eine Anrufung des FamG
unterhalb der Schwelle zur Kindeswohlgefährdung ist deshalb unter Berücksichtigung der Elternverantwortung (Art. 6 Abs. 2 GG) kein Raum, denn materiellrechtlich wurde die Eingriffsschwelle des
§ 1666 BGB nicht vorverlegt.
32 In Kindesschutzverfahren hat das Gericht unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu
prüfen (§ 157 Abs. 3 FamFG). Von besonderer Bedeutung ist bei diesen Verfahren auch die Überprüfungspflicht des Gerichts (§ 166 Abs. 3 FamFG). Dieses soll seine Entscheidung in einem angemessenen Zeitabstand, in der Regel nach drei Monaten, überprüfen, wenn es von einer Maßnahme
nach den §§ 1666 bis 1667 BGB absieht. Das soll verhindern, dass Eltern nach einem für sie folgenlosen Gerichtsverfahren sich als „Gewinner“ fühlen, nicht mehr mit dem JA kooperieren und ihrem
Kind damit notwendige Hilfen vorenthalten (BT-Drucks. 16/6308, 243; bke ZKJ 2007, 361; Fellenberg FPR 2008, 127). Zum Zweck der Überprüfung kann das Gericht zum Beispiel das JA um Mitteilung der Ergebnisse der Hilfeplangespräche und der durchgeführten Hilfen bitten (BT-Drucks.
16/6308, 243). Davon unberührt ist die Verantwortung des JA, das FamG nach § 8a Abs. 2 ggf erneut anzurufen.
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Fünftes Kapitel | Träger der Jugendhilfe, Zusammenarbeit
sollte eine flächendeckende Infrastruktur von Treffpunkten, Vermittlungsbörsen, Einrichtungen und
Diensten entwickelt werden (so bereits Olk 1990, 258).
II. Ehrenamtliche Tätigkeit: Begriff, Bedeutung, Wandel
6 Der Begriff ehrenamtliche Tätigkeit ist weit zu verstehen: „Ehrenamtliche Mitarbeit ist freiwillige,
nicht auf Entgelt ausgerichtete Tätigkeit im sozialen Bereich. Um ehrenamtliche, dh unentgeltliche
Mitarbeit handelt es sich auch dann, wenn nur Aufwandsentschädigungen oder Auslagenersatz gewährt werden“ (BAG Freie Wohlfahrtspflege 1982, 5). Trotz der immer wieder betonten Bedeutung
ist der Begriff „ehrenamtliche Tätigkeit“ unscharf. Inzwischen hat sich für die Vielfalt ehrenamtlicher Tätigkeiten fachpolitisch der Begriff bürgerschaftliches Engagement durchgesetzt, weil er auf
weniger formalisiertes, nicht so stark in Regeln eingebundenes Engagement verweist, das offen in
den Formen und Handlungsbereichen ist (Enquete-Kommision „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ BT-Drucks. 14/8900; Olk 2008, 186 ff). Zudem gibt es eine enge Nähe zur Selbsthilfe,
denn Ehrenamt bezieht sich heute nicht nur auf die professionellen Angebote und Versorgungsnetze,
sondern versteht sich bisweilen auch als Gegenentwurf professionell erbrachter Dienstleistungen (Beher u.a. 2000, 15). So zeigt sich in der Praxis vor Ort oft eine enge Verwebung von professionellen
Angeboten und Diensten, ehrenamtlicher Tätigkeit und Selbsthilfehandeln.
7 Dem entspricht, dass ehrenamtliche Tätigkeit nur unzureichend statistisch erfasst wird (Santen
2005, 175 ff). Relevante empirische Untersuchungen sind die 1999 vom BMFSFJ beauftragte repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Freiwilligenengagement und die Auswertungen des sozioökonomischen Panels (SOP). Beide Untersuchungen kommen zu relativ hohen Anteilen ehrenamtlich engagierter Personen: ca. ein Drittel der über 14-jährigen Personen engagieren sich in irgendeiner Form
im Rahmen des freiwilligen Engagements, allerdings weit über den Bereich der sozialen Arbeit oder
gar der Kinder- und Jugendhilfe hinaus.
8 Der Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ (BT-Drucks.
14/8900 vom 3.6.2002) bietet umfassende quantitative und qualitative Darstellungen und Analysen
der sog Bürgergesellschaft. Darunter wird ein Netzwerk von selbstorganisierten, freiwilligen Assoziationen verstanden, von Vereinen, NOGs, Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen, Stiftungen, Freiwilligendiensten bis hin zu politischen Parteien und Gewerkschaften (BT-Drucks. 14/8900, 3). Mit
ihren differenzierten Handlungsempfehlungen (BT-Drucks. 14/8900, 281 ff) benannte die EnqueteKommission Förderungsbedarfe und ‑möglichkeiten, die auch für die Anwendung des § 73 (vgl aaO,
325 ff) von Bedeutung sind.
9 Insgesamt ist von einem Wandel des Ehrenamts auszugehen (ausführlich Beher u.a. 2000). Hieraus
ergibt sich, dass ehrenamtliche Betätigung nicht nur wie bisher an traditionelle Mitgliederorganisationen gebunden ist, sich vielmehr pluralisiert, eine Ausdifferenzierung des Engagements stattfindet,
das bis hin zur Semiprofessionalität reicht. Oft ist ehrenamtliche Tätigkeit auch zeitlich befristet,
nicht (wie eine Mitgliedschaft) dauerhaft angelegt. Ehrenamtliche Tätigkeit muss in die jeweiligen
biografischen Phasen der Ehrenamtlichen passen, sie ist schon deswegen geschlechtsspezifisch unterschiedlich. Sie ist darüber hinaus auch dadurch gekennzeichnet, dass es nicht allein um selbstloses
Handeln geht, sondern auch darum, dass die Ehrenamtlichen ihr Engagement als befriedigend empfinden.
Weiterführende Literaturhinweise:
Beher u.a. 2000; Enquete-Kommission BT-Drucks. 14/8900; Heinze/Olk 2001; Olk 2008; Santen 2005.
§ 74 Förderung der freien Jugendhilfe
(1) 1Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die freiwillige Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe anregen; sie sollen sie fördern, wenn der jeweilige Träger
1. die fachlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme erfüllt und die Beachtung der
Grundsätze und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung nach § 79a gewährleistet,
2. die Gewähr für eine zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel bietet,
3. gemeinnützige Ziele verfolgt,
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§ 74
Förderung der freien Jugendhilfe
4. eine angemessene Eigenleistung erbringt und
5. die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet.
2
Eine auf Dauer angelegte Förderung setzt in der Regel die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 voraus.
(2) 1Soweit von der freien Jugendhilfe Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen geschaffen werden, um die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch zu ermöglichen, kann die Förderung von
der Bereitschaft abhängig gemacht werden, diese Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen nach
Maßgabe der Jugendhilfeplanung und unter Beachtung der in § 9 genannten Grundsätze anzubieten.
2
§ 4 Absatz 1 bleibt unberührt.
(3) 1Über die Art und Höhe der Förderung entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im
Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen. 2Entsprechendes gilt,
wenn mehrere Antragsteller die Förderungsvoraussetzungen erfüllen und die von ihnen vorgesehenen Maßnahmen gleich geeignet sind, zur Befriedigung des Bedarfs jedoch nur eine Maßnahme notwendig ist. 3Bei der Bemessung der Eigenleistung sind die unterschiedliche Finanzkraft und die sonstigen Verhältnisse zu berücksichtigen.
(4) Bei sonst gleich geeigneten Maßnahmen soll solchen der Vorzug gegeben werden, die stärker an
den Interessen der Betroffenen orientiert sind und ihre Einflussnahme auf die Ausgestaltung der
Maßnahme gewährleisten.
(5) 1Bei der Förderung gleichartiger Maßnahmen mehrerer Träger sind unter Berücksichtigung ihrer
Eigenleistungen gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzulegen. 2Werden gleichartige Maßnahmen
von der freien und der öffentlichen Jugendhilfe durchgeführt, so sind bei der Förderung die Grundsätze und Maßstäbe anzuwenden, die für die Finanzierung der Maßnahmen der öffentlichen Jugendhilfe gelten.
(6) Die Förderung von anerkannten Trägern der Jugendhilfe soll auch Mittel für die Fortbildung der
haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeiter sowie im Bereich der Jugendarbeit Mittel für die Errichtung und Unterhaltung von Jugendfreizeit- und Jugendbildungsstätten einschließen.
I. Allgemeines ................................
1. Bedeutung des § 74 ....................
2. Veränderungen ........................
3. Rechtliche Rahmenbedingungen .....
II. Rechtliche Vorgaben des SGB VIII
(Abs. 1) .....................................
1. Voraussetzungen ......................
a) Allgemeine Voraussetzungen .....
b) Besondere Förderungsgrundsätze
(Abs. 2) .............................
2. Folgen ..................................
a) Förderermessen – Regelförderverpflichtung? .........................
b) Kriterien für die fehlerfreie
Ermessensausübung (Abs. 3–5) ...
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III. Rechtliche Zulässigkeit nach dem allgemeinen Zuwendungs-/Subventionsrecht
IV. Rechtliche Zulässigkeit nach dem Wettbewerbsrecht (Beihilferecht) ..............
1. Allgemeines ............................
2. Gemeinnützigkeitsprivileg ............
3. Beihilfen ................................
4. Ausnahmen: Dienstleistungen von
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ....................................
V. Zu Abs. 6 ...................................
VI. Verfahrensrecht, Rechtsschutz ...........
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I. Allgemeines
1. Bedeutung des § 74
Die Förderung der freien Jugendhilfe nach § 74 ist ein Finanzierungsweg zur Finanzierung der Leistungen im SGB VIII (zu den Finanzierungsstrukturen ausführlich VorKap. 5 Rn 5 ff). Die Finanzierung von Leistungen über den Weg der „Förderung“ ist in der Kinder- und Jugendhilfe – im Unterschied zu den anderen Sozialleistungsbereichen – eine immer noch relevante Form der Finanzierung
von Leistungen. Von daher ist es naheliegend, dass im SGB VIII – eben durch § 74 – geregelt wird,
welche Voraussetzungen für eine Förderung vorliegen müssen. Die Förderung der freien Jugendhilfe
ist Ausfluss der in § 4 angesprochenen partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Wegen der Voraussetzungen – insbesondere der Gemeinnützigkeit (Rn 13) und der Anerkennung (Rn 16) – kommt diese
Form der Finanzierung der Arbeit freier Träger jedoch nur für gemeinnützige und in der Regel anerkannte freie Träger in Frage.
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§ 74
Fünftes Kapitel | Träger der Jugendhilfe, Zusammenarbeit
2 § 74 verwendet die Begriffe Anregung und Förderung. Begrifflich handelt es sich bei der Förderung
um (meist vermögenswerte) Leistungen, die vom öffentlichen Träger ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt werden, um die geförderten Träger in die Lage zu versetzen, einen öffentlichen Zweck
zu erfüllen (wegen der Abgrenzung zur Vereinbarung nach § 77 vgl VorKap. 5 Rn 6 ff). Unter Förderung ist grundsätzlich jede Form der Unterstützung freier Träger zu verstehen. Faktisch von Bedeutung sind die finanziellen Zuwendungen, aber auch zB die kostenlose Überlassung von Räumen,
die Bereitstellung von Büromaschinen, Telefonen etc. stellen Förderung dar. Inhaltlich handelt es
sich um Subventionen. Subventionen sind vermögenswerte Leistungen, die von einem Träger der öffentlichen Verwaltung einem Privaten gewährt werden, damit dieser einen öffentlichen Zweck erfüllt, ohne dass der Subvention eine konkrete, marktmäßige Gegenleistung gegenübersteht. Der Begriff Sozialsubvention macht deutlich, dass es sich um Subventionen mit sozialer Zweckrichtung
handelt. § 74 nennt die spezifischen jugendhilferechtlichen Voraussetzungen für die Förderung und
ist zugleich Rechtsgrundlage für die Förderungszuständigkeit, ohne damit eine Eingriffsermächtigung (auch indirekt gegenüber Dritten) zu verknüpfen (BVerwG 27.3.1992 – 7 C 21.90 – E 90,
112).
3 Die Förderung bezieht sich auf die freiwillige Tätigkeit von Trägern und damit auf die Träger der
freien/privaten Jugendhilfe. Allerdings ist dabei nicht allein auf die formale Hülle abzustellen. In Anlehnung an die Differenzierung zwischen freier und öffentlicher Jugendhilfe in § 3 kann deswegen
§ 74 dann nicht in Frage kommen, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft sich einer privatrechtlichen Form bedient und auf diese Weise in die Hülle eines gemeinnützigen Trägers schlüpft
(vgl Rn 10). Im Übrigen ist von dem Begriff der freien/privaten Träger wie in § 3 auszugehen (§ 3
Rn 6 ff), für die Förderung müssen die unter diesen Begriff fallenden Träger allerdings die zusätzlichen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen (Rn 10 ff).
2. Veränderungen
4 Mit der umfassenderen Etablierung von Rechtsansprüchen im SGB VIII wurde das ehedem korpora-
tistische Verhältnis zwischen öffentlichen und privat-gemeinnützigen Trägern (vgl § 4 Rn 8 ff, 13),
das sich in der Zuwendungsfinanzierung kristallisierte (Münder np 1998, 3 ff), offener. Von Seiten
der freien Träger wird erkannt, dass durch die Zuwendungsfinanzierung eine Einbeziehung in mittelbare Staatstätigkeit stattfindet, was sich nur zum Teil mit dem Selbstverständnis der freien Träger
vereinbaren lässt. Die öffentlichen Träger ihrerseits haben Interesse daran, dass die freien Träger beschreibbare und nachprüfbare Leistungen erbringen. Insofern ist ein Rückgang der Zuwendungsfinanzierung festzustellen.
5 Für die Leistungen nach § 78a Abs. 1 ist gesetzlich die Finanzierung von Rechtsansprüchen auf der
Basis des jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses und die Entgeltübernahme vorgeschrieben (im
Einzelnen §§ 78a ff). Für die dort nicht genannten Leistungen, auf die Rechtsansprüche bestehen, ergibt sich dies aus dem Stand der Rechtsdogmatik (vgl VorKap. 5 Rn 9). Das bedeutet, dass im gesamten rechtsanspruchsgesicherten Leistungsbereich die Abwicklung der Leistungserbringung durch
Dritte über das (dreiseitige) jugendhilferechtliche Dreiecksverhältnis erfolgen muss, (zweiseitige) Zuwendungen sind hier grundsätzlich nicht möglich. Allerdings gibt es das Problem der sog. Mischfinanzierung (vgl VorKap. 5 Rn 15), das besonders dort von Bedeutung ist, wo rechtsanspruchsgesicherte Leistungen und zugleich Leistungen, die nicht durch Rechtsansprüche gesichert sind, erbracht
werden, wie in besonderer Weise bei der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (vgl VorKap. 5 Rn 13). Durch die Einfügung des § 74a (§ 74a Rn 2) hat der Gesetzgeber hierauf reagiert und
damit den Weg der Förderung auch für privat-gewerbliche Träger im Bereich der Tageseinrichtungen eröffnet.
6 Ist deswegen schon der Anwendungsbereich des § 74 enger geworden, so ist außerdem dort, wo
noch Zuwendungen möglich wären (VorKap. 5 Rn 12), sowohl von Seiten der freien Träger wie von
Seiten der öffentlichen Träger eine Hinwendung zu den zweiseitigen, gegenseitigen Verträgen nach
§ 77 anstelle der Zuwendungen festzustellen (Goetz RsDE 44 [2000], 12 ff). Insgesamt geht damit
die Bedeutung von Zuwendungen/Sozialsubventionen zurück.
3. Rechtliche Rahmenbedingungen
7 Für die Zuwendungen/Sozialsubventionen sind verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen zu be-
achten. Im SGB VIII finden sich die jugendhilferechtlichen Voraussetzungen für die Förderung
(Rn 10 ff). Des Weiteren werden (insbesondere in Abs. 3 bis 5) Kriterien benannt, die die Träger der
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§ 74
Förderung der freien Jugendhilfe
öffentlichen Jugendhilfe bei ihrer Entscheidung hinsichtlich der Art und Höhe der Förderung zu beachten haben (Rn 25 ff).
Die finanzielle Förderung nach § 74 ist Zuwendung/Sozialsubvention. Damit sind zugleich wettbewerbsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen, sowohl europarechtliche wie nationalrechtliche (vgl
Rn 35 ff), wobei die zu beachtenden Aspekte in einem hohen Maße identisch sind (ausführlich dazu
v. Boetticher/Münder 2009). Außerdem gelten die im Subventionsrecht entwickelten Grundsätze
und die in den Haushaltsordnungen (BHO bzw in den gleichlautenden LHOen) festgelegten rechtlichen Vorgaben (vgl Rn 34; zu den Einzelheiten, zB bei den Zuwendungsarten, Finanzierungsarten
usw, vgl Münder 2002, 119 ff).
8
II. Rechtliche Vorgaben des SGB VIII (Abs. 1)
1. Voraussetzungen
a) Allgemeine Voraussetzungen
Die allgemeinen Voraussetzungen für die Förderungen sind in Abs. 1 genannt. Bei diesen in Abs. 1
genannten Voraussetzungen handelt es sich um einen abgeschlossenen Katalog (vgl auch Wabnitz
ZfJ 2003, 166 ff; Münder u.a./Wabnitz 2011, Kap. 5.3): Darüber hinausgehende Voraussetzungen
können nicht gefordert werden. Die Kriterien sind zT Wertungsgesichtspunkten zugänglich; deswegen ist zu beachten, dass der öffentliche Jugendhilfeträger seine Wertungsgesichtspunkte nicht dazu
verwendet, die Selbstständigkeit freier Träger zu unterminieren (vgl dazu § 3 Rn 5 ff). Gefördert
werden können nur freie Träger, dh Organisationen, die ihre Leistungen freiwillig anbieten; Einrichtungen der öffentlichen Hand (zB Eigenbetriebe), die ihre Leistungen aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen unmittelbar mit öffentlichen Mitteln erfüllen, fallen nicht unter den Begriff der freien
Träger (OVG TH 19.10.2004 – 2 KO 385/03 – FEVS 56, 469 ff; 6.4.2006 – 3 KO 237/05 –
ZFSH/SGB 2006, 66 ff).
9
Nr. 1 enthielt zunächst nur das Erfordernis, dass fachliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Das
bezieht sich wesentlich auf die fachliche Qualifikation des Personals (§ 72 Rn 3 f), die konzipierten
Angebote und Leistungen sowie auf die Einhaltung inhaltlicher Standards. Da es in vielen Bereichen
der Jugendhilfe – auch aufgrund der notwendigen Weiterentwicklung – keine endgültigen objektiven
Feststellungen gibt, sind auch subjektiv geprägte Werturteile zulässig (so OVG BE 8.9.1988 – 3 B
5.87 – RsDE 9, 100, 106). Durch das BKiSchG (Einl. Rn 47) wurde Nr. 1 mit Wirkung ab 1.1.2012
um den zweiten Teil mit der Bezugnahme auf § 79a ergänzt. Im RegE war in § 79a Abs. 2 vorgesehen, dass zwischen öffentlichen und freien Trägern Vereinbarungen über die Qualitätsentwicklung
zu schließen seien und dass die Finanzierung bei der Leistungserbringung oder Aufgabenwahrnehmung durch freie Träger von der Einhaltung der Vereinbarungen abhängig gemacht werden kann.
Diese Formulierung wurde im Vermittlungsausschuss gestrichen, § 74 Abs. 1 Nr. 1 jedoch nicht angepasst, so dass er bezugslos ist und zu Auslegungsspekulationen Anlass gibt.
10
Beabsichtigt war mit der geplanten Formulierung des § 79a Abs. 2 und der Bezugnahme in § 74
Abs. 1 Nr. 1, dass Vereinbarungen über die Sicherung von Qualität und Qualitätsentwicklung generell zu Voraussetzungen der Finanzierung werden sollten (wie zB in § 78b Abs. 1 Nr. 3 für den Anwendungsbereich des § 78a geregelt). Das bedeutet für die Auslegung der Formulierung, dass die Beachtung der Grundsätze und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung nach
§ 79a gewährleistet sein muss, dass es sich dabei nicht um einseitig hoheitlich gesetzte Vorgaben
handelt. Regelmäßig wird es auch bei der Förderung nach § 74 zu Vereinbarungen entsprechend des
Grundgedankens der partnerschaftlichen Zusammenwirkung nach § 4 Abs. 1 kommen müssen. Ausgangspunkt für solche Verhandlungen können sowohl (vorhandene – was fachlich ja zu erwarten
ist) Qualitätssicherungs- und Qualitätsentwicklungskonzepte der freien Träger sein, als auch (falls
solche nicht vorliegen sollten) entsprechende Vorstellungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.
Entscheidend ist aber, dass es zu konsensualen Lösungen kommt, denn weil auch hier subjektiv geprägte Wertvorstellungen einfließen können (Rn 10), sind Vereinbarungen der fachlich und praktikabel sinnvolle Weg. Sollte dies nicht möglich sein und die Förderung/Subventionierung von der
Übernahme einseitiger Vorgaben abhängig gemacht werden, ist der Weg (nach Widerspruchsverfahren) zu den Verwaltungsgerichten eröffnet (Rn 51 ff).
11
Um die in Nr. 2 geforderte zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel nachzuweisen, sind regelmäßig Abrechnungen notwendig (auf Bundesebene sehen die allgemeinen Richtlinien für den Kinder- und Jugendplan Verwendungsnachweise vor). Aus der Prüfung der zweckent-
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Fünftes Kapitel | Träger der Jugendhilfe, Zusammenarbeit
sprechenden und wirtschaftlichen Verwendung der Mittel ergeben sich keine inhaltlichen Kontrollbefugnisse oder Aufsichtsrechte; auf die Selbstständigkeit der freien Träger ist zu achten (vgl auch
§ 17 Abs. 3 SGB I). Im Rahmen der Zuwendungsbescheide ist regelmäßig das sich aus der
BHO/LHO ergebende Kontrollrecht der Rechnungshöfe für die Prüfung der Mittelverwendung bei
den privat-gemeinnützigen Trägern vorgesehen. Da die zweckentsprechende Mittelverwendung gesichert sein muss, ist die Gewähr bereits dann nicht mehr gegeben, wenn Zweifel an der ordnungsgemäßen Verwendung bestehen (OVG NW 16.9.1992 – 24 B 1859/92 – FEVS 43, 164 ff, OVG BE
19.2.1987 – OVG 6 B 23.85 – RsDE 7, 105).
13 Die in Nr. 3 geforderte Gemeinnützigkeit schließt gewerbliche, auf Gewinnerzielung gerichtete Trä-
ger aus (was rechtlich als zulässig betrachtet wurde; so für die Sozialhilfe BVerwG 27.1.1988 – 7 B
1.88 – RsDE 3, 75; VGH BW 7.3.1988 – 6 S 2088/86 – FEVS 38, 329). Gemeinnützigkeit liegt immer dann vor, wenn die steuerrechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als steuerbegünstigte Körperschaft gegeben sind (§§ 51 bis 68 AO) und die Anerkennung durch die Steuerbehörde
erfolgt ist (ausführlich zum Gemeinnützigkeitsrecht Desens/Winkler RdJB 2009, 474 ff). Eine eigenständige jugendhilferechtliche Gemeinnützigkeitsdefinition hat sich nicht entwickelt. Mit der Voraussetzung, dass Gemeinnützigkeit vorliegen muss, ist § 74 im SGB VIII eine der zentralen Normen
für die Privilegierung der privat-gemeinnützigen Träger (ausführlich Boetticher 2003, 18 ff), weswegen hier die generelle Frage der rechtlichen Haltbarkeit der Bevorzugung privat-gemeinnütziger Körperschaften von besonderer Bedeutung ist (vgl Rn 37). Dabei zeichnet sich ab, dass die Privilegierung privat-gemeinnütziger Träger in Teilbereichen zurückgeht, so sind zB umsatzsteuerrechtlich
auch die Umsätze privat-gewerblicher Träger umsatzsteuerfrei (BFH 18.2.2005 – V R 71/03 – JAmt
2006, 207 ff).
14 Nr. 4 erfordert die Erbringung einer angemessenen Eigenleistung (ausführlich Forkel ZKJ 2010,
308 ff). Eigenleistungen sind nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch Dienstleistungen ehrenamtlicher Mitarbeiter, personelles Engagement im Rahmen von Initiativen, Selbsthilfegruppen, Sachleistungen usw (Forkel aaO, 311). Aus Abs. 1 Nr. 4 ergibt sich, dass überhaupt Eigenleistungen zu erbringen sind (OVG NI 11.9.1992 – 4 M 3953/92 – ZfF 1994, 84). Die Höhe der Eigenleistungen
richtet sich vornehmlich nach der unterschiedlichen Finanzkraft der privat-gemeinnützigen Träger.
Die angemessene Eigenleistung ist Tatbestandsvoraussetzung für die Förderung, sie ist unabhängig
von der hinsichtlich der Höhe vorzunehmenden Ermessensentscheidung zu prüfen (vgl Rn 39). Die
Nichtprüfung ist rechtswidrig (BVerwG 17.7.2009 – 5 C 25/08 – E 134, 206 ff, Rn 24).
15 Die in Nr. 5 angesprochene Gewähr für eine den Zielen des GG förderliche Arbeit hat in Zeiten
kontroverser Konfliktaustragung ihre jugendpolitische Bedeutung (vgl Münder u.a. 1988 FK-JWG
§ 9 Anm. 2 mit der alten Entscheidung BVerwG 16.2.1978 – 5 C 33.76 – E 55, 232 ff). Die Gewähr
für eine den Zielen des GG förderliche Arbeit bedeutet nicht die Festlegung von Trägern auf den
Mehrheitskonsens über das GG. Der Verfassungsrechtsprechung ist es bisher nicht hinreichend gelungen, zentrale Aspekte präzise genug herauszuarbeiten. Betont wurden insbesondere die Achtung
der Menschenrechte, vor allem des Rechts auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität,
die Gewaltenteilung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das
Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien. Im Kernbereich bedeutet „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ eine rechtsstaatliche Herrschaft auf demokratischer
Grundlage unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft. Die vom BVerfG entwickelten
Ordnungsprinzipien haben eher exemplarischen Charakter. Soweit im Kontext der Realisierung der
materiellen Grundwerte (Würde des Menschen, freie Entfaltung der Persönlichkeit) alternative Verfassungskonzepte vorgeschlagen werden, ist eine solche Arbeit von privat-gemeinnützigen Trägern
den Zielen des GG förderlich, solange nicht die in Art. 79 Abs. 3 sowie Art. 1 und 20 GG festgehaltenen Unantastbarkeiten tangiert werden (so auch Wabnitz ZfJ 2003, 168; Münder u.a./Wabnitz
2011, Kap. 5.3.2; zum Ausschluss aus religiös-weltanschaulichen Gründen vgl Heinig/Munsonius
SGb 2009, 508 ff).
16 Bei einer nicht auf Dauer angelegten Förderung müssen die Voraussetzungen für die Anerkennung
als freier Träger (§ 75 Rn 6) nicht gegeben sein. Erforderlich ist auch hier allerdings, dass es sich um
eine Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe handelt (dazu § 75 Rn 12). Bei einer auf Dauer angelegten Förderung ist die Anerkennung als Träger gemäß § 75 erforderlich. „Auf Dauer angelegt“ erfordert eine Prognoseentscheidung; Indiz dafür kann die Dauer der bisherigen Tätigkeit des Trägers
sein. Von dem Regelfall des Anerkennungserfordernis bei dauerhafter Förderung kann nur ausnahmsweise abgewichen werden (zB kurzfristig notwendiger Handlungsbedarf; Zeitperspektive zu
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§ 74
Förderung der freien Jugendhilfe
Beginn noch nicht genau überschaubar): Die Anerkennung entbindet aber nicht von der Prüfung der
weiteren in Abs. 1 genannten Voraussetzungen (OVG NW 16.9.1992 – 24 B 1859/92 – FEVS 43,
164).
b) Besondere Förderungsgrundsätze (Abs. 2)
Die Regelung in Abs. 2 beruht auf folgender Problemstellung: Einerseits ist die Unabhängigkeit der 17
privat-gemeinnützigen Träger, die die Träger der meisten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen in der Jugendhilfe sind, zu achten, andererseits besteht die Verpflichtung für die öffentlichen
Träger, dem gesetzlichen Auftrag entsprechend Leistungen und Dienste bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen. Abs. 2 versucht hier einen Lösungsweg aufzuzeigen. Soweit es um die Förderung
von Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen geht, die zur Erbringung von Leistungen (§§ 11
bis 41) notwendig sind, kann die Förderung davon abhängig gemacht werden, dass die privat-gemeinnützigen Träger ihre Einrichtungen etc. nach Maßgabe der Jugendhilfeplanung (§ 80) und unter
Beachtung der in § 9 genannten Grundsätze anbieten. Die Bestimmung ist im Grundsatz sinnvoll. Sie
darf aber nicht dazu führen, dass bei einem zu intensiven Interessenarrangement zwischen öffentlichen und privat-gemeinnützigen Trägern (§ 4 Rn 8 ff) die Bürger als die eigentlichen Adressaten der
Jugendhilfe auf der Strecke bleiben. Die Gefahr besteht besonders dort, wo Rechtsansprüche existieren, da hier durch eine Zuwendungsfinanzierung unter Umständen das Wunsch- und Wahlrecht der
Leistungsberechtigten (§ 5 Rn 12, 22 f) umgangen werden könnte. Dieses Problem gilt in besonderem Maße auch bei der Mischfinanzierung bestehend aus Zuwendungsfinanzierung und Entgeltfinanzierung (vgl VorKap. 5 Rn 15 ff).
Entsprechend einem partnerschaftlichen Umgang zwischen öffentlichen und privat-gemeinnützigen
Trägern ist bereits im Verfahren der Erstellung von Jugendhilfeplänen gegenseitige Abstimmung und
Berücksichtigung gemäß § 80 Abs. 3 erforderlich. Für die privat-gemeinnützigen Träger bedeutet
dies, dass allein das Interesse an finanzieller Förderung die Abstimmung über konzeptionelle Fragen
kaum erleichtern wird. Erforderlich ist vielmehr, dass auch die privat-gemeinnützigen Träger ihre eigenen Angebote in die Jugendhilfeplanung einbeziehen und bereit sind, sie ggf zu verändern (BMJFFG 1990, 183). Der Verweis auf § 9 soll dessen besondere Bedeutung betonen. Die Sicherung inhaltlicher Standards von Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen freier Träger erfolgt über die
Begriffe der Fachlichkeit (Abs. 1 Nr. 1; Rn 11) und Eignung (Abs. 3; Rn 28).
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2. Folgen
Liegen die Voraussetzungen vor, so sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die jeweiligen Träger der freien Jugendhilfe fördern. Seit langem ist strittig, ob dies ein Rechtsanspruch von Trägern
der freien Jugendhilfe auf Förderung ist. Die hM vertrat die Auffassung, dass sich aus Abs. 1 kein
subjektiver Rechtsanspruch von Trägern der freien Jugendhilfe auf Förderung ergäbe (zu den Nachweisen vgl Münder in: FK-SGB VIII, 6. Aufl. § 74 Rn 27 mit Begründung). Die Gegenmeinung nahm
einen subjektiven Rechtsanspruch dem Grunde nach an (zu Nachweisen mit Begründung vgl
Münder u.a./Wabnitz 2011, Kap. 5.3.3). Diese Auseinandersetzung war und ist rechtsdogmatischer
Art, rechtspraktische Unterschiede ergeben sich aus den beiden unterschiedlichen Auffassungen
nicht. Denn dort, wo ein Rechtsanspruch dem Grunde nach bejaht wird, ist unstrittig, dass die Höhe
der Förderung (die auch 0 EUR betragen kann) vom Ermessen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe abhängig ist. Dort wo ein Rechtsanspruch verneint wird, ist ebenso unstrittig, dass Abs. 1 eine
Formulierung auch im Interesse der privat-gemeinnützigen Träger ist („sollen sie fördern“) und diese einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung haben (BVerwGE 27, 297 ff; E 45, 197; OVG
HH FEVS 31, 404; OVG RP FEVS 48, 208 ff; G DV NDV 1992, 334; Frings/Siemes ZfF 1995, 3;
Schellhorn/Schellhorn § 74 Rn 12), wobei eine Ermessensreduzierung auf Null bei entsprechenden
Konstellationen stattfinden kann (vgl zu einem entsprechenden Fall VGH BY 23.8.2006 – 12 CE
06.1468).
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a) Förderermessen – Regelförderverpflichtung?
Das Grundsatzurteil des BVerwG (17.7.2009 – 5 C 25/08 – E 134, 206 ff; dazu Parallelentscheidungen vom gleichen Tag 5 C 26/08, 5 C 27/08, 5 C 28/08) hat beide Positionen in seine Entscheidung
aufgenommen. So führt es aus (in Rn 13), dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die freiwillige
Tätigkeit fördern sollen und die Träger der freien Jugendhilfe demgemäß insoweit einen Anspruch
auf ermessensfehlerfreie Entscheidung haben (unter Verweis auf OVG NW 26.9.2003 – 12 B
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