Kleiner Einblick in die römische Literaturgeschichte

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Kleiner Einblick in die römische Literaturgeschichte
Kleiner Einblick in die römische Literaturgeschichte
Mediencode 7595-44
Griechischer Einfluss auf die römische Literatur
Eine lückenhafte Geschichte
Vielbeschäftigte Verfasser und nur wenige Leser
Marcus Tullius Cicero
Gaius Iulius Caesar
Lucius Annaeus Seneca
Gattungen: Vielfältige Inhalte in ungewohnten Formen
Drama
Epos
Epigramm
Römische Liebeselegie
Prosawerke
Reden
Dialoge
Geschichtsschreibung
Briefe
Griechischer Einfluss auf die römische Literatur
Entscheidenden Einfluss auf das Entstehen und die Entwicklung der römischen Literatur hatte die griechische Literatur. Dieser griechische Einfluss betraf auch andere Bereiche wie Architektur, Kunst, Ess- und Trinkgewohnheiten, Philosophie. Die römischen
Autoren orientierten sich an griechischen Werken, sie übersetzten und bearbeiteten sie
mit erheblichen Veränderungen für das römische Publikum. Es wurden griechische Gattungen, Versmaße, Stoffe und Motive übernommen – aber immer so, dass etwas Neues
daraus wurde.
Die Aufführung eines Dramas nach griechischem Vorbild gab den »Startschuss« für
die lateinische Literatur: Nach dem Sieg über Karthago im ersten Punischen Krieg sollten
die ludi Romani (»Römische Spiele« zu Ehren Jupiters) prächtiger sein als je zuvor, und
so wurde i. J. 240 v. Chr. erstmals ein Drama aufgeführt – auf Latein, für ein römisches
Publikum, aber der griechischen Tradition verpflichtet. Das Theater war also, wie auch in
Griechenland, eingebunden in einen offiziellen kultischen Anlass und damit gebunden an
bestimmte Termine im Festkalender.
Neue lateinische Werke entstanden also nicht aus dem Nichts, sondern in der Auseinandersetzung mit griechischen (und später auch mit lateinischen) Werken. Ein Charakteristikum der lateinischen Literatur sind die vielen Anspielungen auf frühere griechi-
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sche und lateinische Werke. Die Autoren weisen so auf ihre Vorgänger hin und treten in
Auseinandersetzung mit ihnen. Für das entsprechend gebildete (lesende bzw. zuhörende)
Publikum machte es einen zusätzlichen Reiz aus, diese Anspielungen zu erkennen und ein
Werk nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit der Tradition.
Z.B. bei Cicero lässt sich der griechische Einfluss sowohl hinsichtlich der Themen (Philosophie, Rhetorik, Staatsphilosophie) und der Formen (Dialog, s.u.) als auch hinsichtlich
der Sprache und des Stils beobachten (er hat nicht nur griechische Werke gelesen, sondern
auch bei griechischen Lehrern studiert, selbstverständlich auf Griechisch).
Eine lückenhafte Geschichte
Die Geschichte der römischen Literatur ist eine Geschichte, in der Bewahren und Aufgeben bzw. Verlieren von Texten eine große Rolle spielen. Aus den erhaltenen Texten lässt
sich erahnen, wie viele weitere Texte es damals gab, die aber verloren sind. Cicero und
andere sprechen von Dramen, die sie gesehen oder gelesen haben, von Büchern, die sie
studiert haben; Ovid erwähnt viele Dichterkollegen und deren Werke, von denen wir
außer diesen Erwähnungen oft keine Spur mehr haben. Wir sehen sozusagen nur eine
kleine Spitze des Eisbergs.
Um die Lückenhaftigkeit anzudeuten: Die ältesten vollständig erhaltenen Werke, Komödien von Plautus, stammen aus den Jahren um 200 v. Chr. Das älteste erhaltene Prosawerk stammt von Cato dem Älteren (234 v. Chr.–149 v. Chr.); dabei handelt es sich um ein
Fachbuch über Landwirtschaft. Die Komödien von Terenz stammen aus den 160er Jahren
v. Chr. Danach sind erst wieder aus Ciceros Zeit vollständige Texte erhalten, also aus der
Zeit der späten Republik. Glücklicherweise gibt es aber auch Phasen, aus denen wir eine
ganze Reihe von Werken haben: die späte Republik (Cicero, Caesar, Sallust, Nepos, Lukrez, Catull), die Zeit unter Augustus (Vergil, Horaz, Properz, Tibull, Livius, Ovid), unter
Nero (Seneca, Petron, Lukan), unter Nerva und Trajan (Plinius, Tacitus).
Anders als bei vielen neuzeitlichen Autoren haben wir in keinem einzigen Fall ein Exemplar von der Hand des Verfassers (Autograph): Alle erhaltenen antiken Texte verdanken
sich vielfachem Abschreiben durch die Jahrhunderte hindurch. Das Abschreiben bedingt,
dass jedes Exemplar eines Textes etwas anders aussieht, nicht nur im »Layout«, sondern
auch hinsichtlich des Textes, denn jeder Abschreiber macht andere Fehler. Auch äußerliche und technische Veränderungen kamen hinzu: In der Spätantike wurde die Form des
Buches verändert, von der Buchrolle zum Codex, der bis heute üblichen Buchform.
Die Überlieferung wurde aber nicht nur von Neuerungen in Technik und Material
beeinflusst, sondern auch vom Wandel im Bildungsstand, im Interesse, im Geschmack
und im Bedarf an den antiken Texten. Mühsames und teures Abschreiben – es entstanden
ja erhebliche Materialkosten – unternahm man nur für Texte, die aus irgendeinem Grund
für wichtig befunden wurden.
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Vielbeschäftigte Verfasser und nur wenige Leser
Die antiken Autoren haben für ein zahlenmäßig sehr kleines Publikum geschrieben, nämlich für Leser der Oberschicht, die sich den Luxus des Lesens leisten konnten. Von diesem
gebildeten Publikum konnten sie erwarten, dass es ihre Anspielungen auf historische und
zeitgenössische Ereignisse verstand. Dieses Publikum war gut informiert: In Caesars Bellum Gallicum wird z.B. nicht erläutert, warum und in welcher Funktion die Hauptfigur
Caesar in Gallien ist – d.h., anders als etwa in modernen Romanen kann man sich nicht
darauf verlassen, dass die Figuren eingeführt und vorgestellt werden.
Die Verfasser der erhaltenen Texte waren häufig nicht in erster Line »Schriftsteller«,
sondern die Werke entstanden neben oder nach ihrer Hauptbeschäftigung als Anwalt,
Feldherr und Staatsmann. Etliche Texte stammen von Römern, die zu den mächtigsten
ihrer Zeit gehörten, z.B. von Cicero, Caesar und Seneca (s. u.). Spätere Autoren wie Plinius
und Tacitus haben zwar auch die höchsten Ämter erreicht, konnten aber aufgrund der
veränderten Bedingungen in der Kaiserzeit politisch kaum noch Einfluss nehmen. Andere
haben ihre Karriere als Anwalt oder Politiker aus unterschiedlichen Gründen abgebrochen, wie z.B. Sallust und Ovid. Wieder andere widmeten sich ganz ihrem Werk, z.B.
Livius.
Über den Lebenslauf der Autoren sind wir unterschiedlich gut informiert. Von Cicero
weiß man verhältnismäßig viel, bei anderen ist nicht einmal die Namensform gesichert.
Von Cicero kennt man nicht nur Geburts- und Todesjahr, sondern auch die konkreten
Tage; andere kann man aufgrund von Erwähnungen bei Zeitgenossen nur grob datieren.
Oft wurden Details über das Leben der Autoren schon in der Antike nur aus den Werken
erschlossen, z.T. auf recht abenteuerliche Weise. Entsprechend selten ist explizit überliefert, wann genau ein Werk entstanden ist bzw. publiziert wurde.
Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr.–43 v. Chr.)
Über Ciceros Leben ist relativ viel bekannt, sowohl aufgrund seiner eigenen Werke als
auch durch Erwähnungen bei anderen Autoren. Von ihm ist ein umfangreiches Werk
überliefert, obwohl auch in diesem Fall manches verloren ist. Cicero selbst hat sich Zeit
seines Lebens in erster Linie als Politiker gesehen bzw. sein höchstes Ziel war es, politisch
führend zu sein. Er absolvierte zunächst eine glänzende Karriere, die ihn bis zum Konsulat führte (Quaestor 75; Aedil 69; Praetor 66; Konsul 63). Während seines Amtsjahres als
Konsul deckte er die Verschwörung des Catilina auf, der einen Staatsputsch geplant hatte.
Nachdem Cicero für diesen Erfolg zunächst als »Vater des Vaterlandes« (pater patriae)
gefeiert worden war, brachte ihn dieselbe Aktion später ins Exil (58); ihm wurde nun
vorgeworfen, dass einige Anhänger Catilinas auf Senatsbeschluss, aber ohne Gerichtsverfahren getötet worden waren. Aus dem Exil wurde er 57 zurückberufen; die Politik in
Rom wurde zu dieser Zeit aber vom sog. »Triumvirat« bestimmt, dem privaten Bündnis,
das Caesar, Pompeius und Crassus geschlossen hatten. Als Prokonsul verwaltete Cicero
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52/51 die Provinz Kilikien (in Kleinasien). Als er von dort zurückkehrte, zeichnete sich
der Bürgerkrieg schon ab, den Caesar dann Anfang 49 mit der Überschreitung des Rubikon auslöste. Cicero stand auf der Seite des Pompeius und damit auf der Seite der Verlierer (Schlacht bei Pharsalos in Thessalien i. J. 48). Caesar als Alleinherrscher ermöglichte
Cicero keine politische Aktivität; doch nach Caesars Ermordung (44) spielte er sofort wieder eine führende Rolle. Da er fürchtete, dass Antonius (neben Caesar der zweite Konsul
des Jahres 44) sich zu einem zweiten Caesar entwickeln würde, griff er diesen mit heftigen
Reden an (Philippische Reden). Antonius rächte sich, indem das sog. Zweite Triumvirat
(Antonius, Lepidus und Octavian, der spätere Augustus) beschloss, Cicero auf die Proskriptionslisten zu setzen und ermorden zu lassen (43).
Der Großteil von Ciceros publizierten Reden sind Teil seiner politischen Aktivität. Hingegen entstanden Ciceros Werke zur Staatstheorie, Rhetorik und Philosophie in Phasen, als
er sich in der res publica nicht entfalten konnte, Mitte der 50er Jahre (nach der Rückkehr
aus dem Exil) und insbesondere 45/44 (nach dem Tod seiner Tochter bzw. unter Caesars
Alleinherrschaft).
Als homo novus, d.h. ohne Konsuln unter seinen Vorfahren und damit ohne ererbten
Rückhalt in der herrschenden Schicht, durchlief Cicero die Ämterlaufbahn bis zum Konsulat dank seiner rhetorischen Begabung, umfassenden Bildung und seines unermüdlichen Einsatzes als Anwalt. Die erhaltenen Reden und auch theoretische Schriften zur Rhetorik zeugen von der Bedeutung der Rede innerhalb der res publica. Es wird deutlich, wie
Cicero sein Publikum zu lenken bzw. zu manipulieren verstand (vgl. auch unten zu Reden,
Dialog, Brief).
Gaius Iulius Caesar (100 v. Chr.–44 v. Chr.)
Anders als Cicero gehörte Caesar zu einer alteingesessenen römischen Familie (er führte
seine Ahnenreihe sogar auf Aeneas, den Flüchtling aus Troja, und damit auf die Göttin
Venus zurück). Er durchlief die übliche Ämterlaufbahn (Quaestor in Spanien 69; Aedil 65;
Praetor 62; 1. Konsulat 59), wobei er 63 auch zum Pontifex Maximus gewählt wurde. Im
Jahr 60 verabredete er mit dem herausragenden Strategen Pompeius und mit dem schwerreichen Crassus, dass in der res publica alles nach ihrem Willen geschehen solle: das sog.
»Erste Triumvirat« (es wurde untermauert durch die Heirat von Pompeius mit Caesars
Tochter Iulia). In seinem Konsulat 59 machte Caesar sich u.a. durch einige neue Gesetze
und die Art, wie er sie durchsetzte, viele Feinde. Als Prokonsul übernahm er 58 die Verwaltung des diesseitigen Gallien und Illyriens. Das Kommando wurde 55 um weitere fünf
Jahre verlängert (vgl. Ciceros Rede De provinciis consularibus) und war damit ungewöhnlich lang. Caesar reihte Feldzug an Feldzug und eroberte ein riesiges Territorium, so dass
sein Kriegsruhm mit dem des Pompeius in Konkurrenz trat. Die Rivalität zwischen Caesar
und Pompeius spitzte sich weiter zu, als Pompeius’ Gattin Iulia 54 starb und Crassus 53 bei
einem Feldzug gegen die Parther fiel. Als die Bemühungen, Caesar aus Gallien abzuberufen, immer massiver wurden und der Senat verschiedene Bedingungen Caesars ablehnte,
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löste dieser mit der Überführung des Heeres über den Rubikon (den Grenzfluss) den Bürgerkrieg gegen Pompeius aus. Caesar siegte 48 in der Schlacht bei Pharsalos in Thessalien;
Pompeius wurde nicht lange danach in Ägypten ermordet. Caesar hatte dann noch gegen
Pompeianer in Spanien und in Afrika zu kämpfen, bis er als Alleinherrscher nach Rom
zurückkehrte. Er übernahm eine Reihe von Ämtern, die es in der res publica nicht gegeben hatte, z.B. »Diktator auf Lebenszeit« (dictator perpetuus). Wegen der Machtanhäufung wurde er im März 44 von einer Verschwörergruppe ermordet.
Caesar hat nicht nur die Commentarii zum Gallischen Krieg und zum Bürgerkrieg
verfasst (s. u. »Geschichtsschreibung«). Cicero erwähnt die Reden Caesars und ein Werk
über die lateinische Sprache (das Cicero gewidmet war); Sueton berichtet in der CaesarBiographie, dass Caesar u.a. eine Tragödie gedichtet habe.
Lucius Annaeus Seneca (um 4 v. Chr.–65 n. Chr.)
Seneca stammte aus Spanien (Corduba); sein Vater, Lucius Annaeus Seneca der Ältere,
hatte in Rom bedeutende Redner gehört und verfasste in Erinnerung daran Werke über
Reden, wie sie in Schulen geübt wurden. Seneca der Jüngere kam in jungen Jahren nach
Rom, erhielt dort seine Ausbildung und war als Anwalt tätig. Eine Intrige führte dazu,
dass er 41 nach Korsika verbannt wurde. Im Jahr 49 wurde er zurückgerufen und von
Neros Mutter Agrippina zum Lehrer des Thronfolgers bestimmt. Als Nero mit nicht ganz
siebzehn Jahren 54 Kaiser wurde, gehörte Seneca zu den mächtigsten Männern im Staat.
Zusammen mit dem Gardepräfekten Burrus war Seneca ca. fünf Jahre lang für die Geschicke des Staates verantwortlich. Nachdem Nero immer unbeherrschbarer wurde und 59
auch Agrippina ermorden ließ, nahm Senecas Einfluss ab. Auf Befehl Neros musste er sich
schließlich das Leben nehmen, weil er beschuldigt wurde, an der von Piso angezettelten
Verschwörung (die wegen Verrats scheiterte) beteiligt zu sein.
Auch Seneca hat sich verschiedenen Gattungen und Themen zugewandt: Von seinen
Reden, die ihn unter seinen Zeitgenossen zunächst berühmt werden ließen, ist nichts
erhalten. Überliefert sind u.a. folgende Werke: Nach dem Tod des Kaisers Claudius (dem
Vorgänger Neros) verfasste er eine bissige Satire über den Weg des Claudius zunächst
in den Himmel und dann in die Unterwelt, wo er bestraft wird (Apocolocyntosis Verkürbissung bzw. Veräppelung anstatt der gewünschten Vergöttlichung/Apotheose). Nero widmete er ein Werk darüber, wie man als unbeschränkter Herrscher seine Macht zügeln und
Grausamkeit gegenüber den Untergebenen vermeiden kann (De clementia). Er verfasste
kürzere Traktate zu verschiedenen philosophischen Themen, z.B. über die Seelenruhe (De
tranquillitate animi), über den Zorn (De ira), über die Vorsehung (De providentia), über ein
glückseliges Leben (De vita beata). Erhalten sind auch drei Trostschriften; z.B. schrieb er
aus dem Exil eine Trostschrift an seine Mutter (Consolatio ad Helviam matrem). Er befasste
sich außerdem mit naturkundlichen Themen wie z.B. Vulkanausbrüchen und Erdbeben
(Naturales quaestiones). Die einzigen erhaltenen lateinischen Tragödien stammen von
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Seneca; sie greifen mythische Stoffe auf, z.B. Medea, Agamemnon, Phaedra, Thyestes, Herkules. Zu den Epistulae morales s. u. (»Brief«).
Gattungen: Vielfältige Inhalte in ungewohnten Formen
In der Poesie sind vielfältige komplexe Formen vertreten, die für heutige Leser zunächst
nicht nur aufgrund verschiedener Metren ungewohnt sind, z.B.:
Drama
In den Komödien (Plautus, um 200 v. Chr.; Terenz, um 160 v. Chr.) geht es überwiegend um Liebe und Intrigen. Es treten bestimmte Typen auf wie z.B. strenger Vater,
verliebter Sohn, schlauer Sklave. Die Komödien leben von geplanten und zufälligen
Verwechslungen, turbulenten Szenen und Wortwitz. Bei Terenz spielen auch Generationskonflikte zwischen Vätern und Söhnen eine große Rolle. – Zu Senecas Tragödien
s. o. »Lucius Annaeus Seneca«.
Epos
Die bekanntesten lateinischen Epen sind Vergils Aeneis und Ovids Metamorphosen. Die
Aeneis erzählt von der Flucht des Aeneas mit Vater und Sohn (und weiteren Trojanern)
aus dem brennenden Troja, den vielen Stationen ihrer Irrfahrt (z.B. Buch 4 in Karthago:
Aeneas’ Affäre mit der Königin Dido und ihr Selbstmord nach seiner Abreise), bis Italien
erreicht ist; dort kommt es zu Kämpfen, bis Aeneas in der letzten Szene des Werks seinen
Hauptgegner besiegt. – In Ovids Metamorphosen gibt es keinen Haupthelden, sondern
ein verbindendes Thema: Verwandlungssagen. Mythische Erzählungen, in denen zumeist
Menschen in Tiere, Pflanzen, Quellen o.a. verwandelt werden, sind zu einer fortlaufenden Erzählung verknüpft (»vom Anfang der Welt bis in die eigene Zeit«, wie im Proöm
angekündigt wird). Häufig geraten Menschen in Konflikte mit Göttern oder mit anderen
Menschen, was in eine Verwandlung mündet.
Epigramm
In Epigrammen (Catull, 1. Jh. v.Chr; Martial, 1. Jh. n. Chr.), kurzen Gedichten in verschiedenen Metren, finden sich die verschiedensten Themen und Tonlagen: teils heftiger, auch obszöner Spott auf Gegner, Verspottung von bestimmten Berufsgruppen (z.B.
Ärzte), von Konkurrenten in Liebe und Dichtung, aber auch wohlwollende Gedichte
über Freunde und Freundschaft oder über Lebensmaximen u.v.a.m.
Römische Liebeselegie
Eine besondere Kleinform ist die römische Liebeselegie der augusteischen Dichter Properz, Tibull und Ovid: Das »Ich« spricht als Liebender und Dichter über seine Geliebte
und mit seiner Geliebten, die ihn aber nur äußerst selten erhört; zumeist hat der Liebende Anlass zu Klagen, z.B. dass seine Geliebte einen (reichen) Rivalen vorzieht.
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Prosawerke
Bei einem großen Teil der erhaltenen lateinischen Prosawerke handelt es sich um
Fachliteratur zu speziellen Themen: Texte über Philosophie oder Rhetorik, Geschichtsschreibung, Gerichtsreden und politische Reden usw. Die Komplexität der Themen
bedeutet i.d.R., dass heutige Leser zusätzliche Informationen für das Verständnis dieser Texte benötigen. Auch die Form der Darstellung ist oft ungewohnt: Philosophische Fragen lassen sich z.B. auf ganz verschiedene Weise darstellen: als Traktat, als
Gespräch zwischen mehreren Dialogpartnern, in Versform (Lehrgedicht), in Briefen.
– Im Folgenden werden einige zentrale Prosagattungen kurz vorgestellt.
Reden
Ein Römer der herrschenden Schicht, der in der res publica Ämter übernehmen und
Karriere machen wollte, musste vor großen Menschenmengen sprechen können – sei
es als Anwalt vor Gericht bzw. Richtern oder als Amtsträger vor dem Volk und im
Senat. Die Jungen der Oberschicht genossen daher vor allem eine sprachliche Ausbildung mit dem Ziel, als Redner auftreten zu können. Von Cicero sind sowohl Reden
aus der Praxis (Gerichtsreden und politische Reden) als auch theoretische Werke über
Rhetorik und die Redner in Rom erhalten. In der Kaiserzeit spielte die Redekunst weiterhin eine große Rolle, wenn auch andere Arten von Reden wichtig wurden.
Die Reden Caesars und Senecas werden in der Antike von späteren Lesern erwähnt,
sind aber nicht erhalten. Von Ciceros publizierten Reden hingegen sind etliche erhalten
(sowohl Gerichtsreden als auch politische Reden), z.B. die Reden gegen Verres (In Verrem): Verres hatte als Praetor auf Sizilien seine Macht dazu missbraucht, sich nach Kräften
zu bereichern. Cicero vertrat als Anwalt die Sizilier, die Wiedergutmachung forderten. In
Anbetracht der Masse des belastenden Materials, das Cicero zusammengetragen hatte,
ging Verres ins Exil, noch bevor der Prozess in die entscheidende Phase kam; daher ist nur
ein Teil der überlieferten Reden wirklich gehalten worden. Zu Ciceros politischen Reden
(vor dem Volk bzw. im Senat) gehören z.B. die Reden gegen Catilina (In Catilinam): Als
Konsul (63 v. Chr.) deckte Cicero eine Verschwörung auf, die einen Putsch zum Ziel hatte:
In den Reden gegen Catilina spricht Cicero Catilina zunächst direkt an und bringt ihn
dazu, Rom zu verlassen; er berichtet im Folgenden dann über den Fortgang der Ereignisse.
Nach Caesars Ermordung spielte Cicero wieder eine führende Rolle in der res publica:
Um vor einer möglichen tyrannischen Herrschaft des Antonius zu warnen und eine starke
Opposition gegen ihn zu formieren, verfasste er die Philippischen Reden (gegen Antonius).
Cicero selbst nannte sie so, um an den Kampf des griechischen Redners Demosthenes
gegen den Makedonenkönig Philipp zu erinnern.
Von Cicero stammen auch theoretische Schriften zur Rhetorik: Sein frühestes Werk ist
ein Handbuch darüber, wie man den Stoff für die Rede findet (De inventione), das er später
als »Jugendwerk« abtat. Mitte der 50er Jahre verfasste er einen Dialog darüber, wie gebildet der ideale Redner sein soll (De oratore), Mitte der 40er Jahre schrieb er einen Dialog
über die Geschichte der Redner in Rom (Brutus) und verglich ihre unterschiedlichen Stile;
im Traktat Orator schließlich stellte er dar, welche Art, Reden zu halten, er für die beste
hält (s. auch u. »Dialog«).
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Dialoge
Eine für heutige Leser ungewohnte Möglichkeit, den Stoff zu präsentieren, ist der Dialog: Es wird dargestellt, wie mehrere Dialogpartner sich über ein Sachthema unterhalten, wobei häufig einer der Hauptsprecher ist. Cicero schreibt in dieser Form a) über
staatstheoretische Themen: über die beste Staatsform (De re publica), über die Gesetze
(De legibus); b) über Themen der Rhetorik: über den idealen Redner und Politiker (De
oratore), die Geschichte der Redner in Rom (Brutus); c) über philosophische Themen:
darüber, was die verschiedenen philosophischen Schulen für das höchste anzustrebende Gut und das schlimmste zu vermeidende Übel halten (De finibus bonorum et
malorum); über das Wesen der Götter (De natura deorum). Tacitus (Konsul i.J. 97,
d.h. unter Kaiser Nerva) verfasste den Dialogus de oratoribus, eine Diskussion über
die aktuelle Situation der Beredsamkeit (s. o. »Rhetorik«). Gegen Ende des zweiten
Jahrhunderts n. Chr. schrieb Minucius Felix in dieser Tradition einen Dialog, in dem
ein Angehöriger der traditionellen paganen Religion von einem Christen zum Christentum bekehrt wird.
Geschichtsschreibung
Die römischen Geschichtsschreiber widmen sich überwiegend der römischen
Geschichte, d.h. der Geschichte der wachsenden Stadt und des Imperiums, der Innenund Außenpolitik (bzw. den Kriegen). Zum einen gibt es umfassende Schriften über
umfangreiche Zeiträume, die Jahr für Jahr abgehandelt werden: die sog. Annalistik
(annus Jahr). Außerdem gibt es Monographien, d.h. Werke, die sich auf ein Ereignis
oder einen bestimmten Krieg beschränken. Die antike Geschichtsschreibung hat nicht
zum Ziel, möglichst nüchtern Fakten und Daten darzustellen, sondern will spannend
berichten und auch Nutzen bringen: Anhand von Beispielen (exempla) sollen die Leser
lernen, welche Handlungen bzw. Eigenschaften nachahmenswert sind und welche man
besser vermeiden soll. Die verschiedenen virtutes und vitia sind daher ein wichtiges
Thema bei Sallust, Livius und Tacitus.
Es gibt verschiedene verwandte Formen: Eine nahestehende Gattung sind z.B. Biographien (die sich von modernen Biographien erheblich unterscheiden) über berühmte
Feldherren bzw. Kaiser. Von Cornelius Nepos, einem Zeitgenossen Ciceros, sind einige
Biographien karthagischer und griechischer Feldherren erhalten, von Sueton (Ende des
2. Jahrhunderts n. Chr.) Biographien der Kaiser, und zwar von Caesar und Augustus bis
Domitian.
Von Sallust (ca. 86 v. Chr.–35 v. Chr.) sind zwei Monographien erhalten, die sich mit
zwei Ereignissen der Vergangenheit befassen: De coniuratione Catilinae (Die Catilinarische
Verschwörung) und Bellum Jugurthinum (Der Krieg gegen den Numiderkönig Jugurtha).
Sallust war selbst Zeitzeuge der Verschwörung Catilinas, der Krieg gegen Jugurtha hingegen war ca. zwanzig Jahre vor seiner Geburt beendet. – An diesen Ereignissen stellt Sallust
exemplarisch dar, welche Gründe für den Niedergang der res publica er sieht (Stichwort
»Sittenverfall«). An ausgewählten Beispielen stellt er den Verfall und seine Gründe vor
Augen, um auf Verbesserung hinzuwirken.
Zur Geschichtsschreibung kann man auch Caesars Werke über den Gallischen Krieg
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und über den Bürgerkrieg zählen. Caesar hat seine Bücher über den Gallischen Krieg
wohl Commentarii genannt; so wurden eigentlich die Aufzeichnungen eines Amtsinhabers bezeichnet, der seinen Nachfolger im Amt auf diese Weise über die Lage der Dinge
informierte. Caesar baut in diese Form etliche Elemente der Geschichtsschreibung ein:
z.B. Exkurse zur Geographie und Ethnographie und indirekte und direkte Rede.
Briefe
Die Gattung »Brief« ist sehr vielfältig: Man kann (in Prosa oder in Versen) über sich selbst
oder andere sprechen, über das Leben im Konkreten und Allgemeinen nachdenken, man
kann Gegenstände oder Situationen beschreiben, man kann den Adressaten fragen, belehren, ermahnen, loben, beschimpfen usw. Den Möglichkeiten des Inhalts sind keine Grenzen gesetzt, solange ein Verfasser einen Adressaten anspricht und behauptet, er schreibe
einen Brief.
Aus Ciceros ursprünglich noch weitaus umfangreicherer Korrespondenz sind Briefe
aus den Jahren 68, also fünf Jahre vor seinem Konsulat, bis in sein Todesjahr 43 überliefert, insgesamt fast 900 Briefe an viele verschiedene Adressaten (darunter auch einige
Briefe von diesen). Die Briefe bieten die denkbar verschiedensten Inhalte. Ciceros Briefe
zeigen, welchen aktuellen politischen oder persönlichen Problemen er sich gegenüber sah
und wie er auf diese reagierte, z.B. in der Zeit des Exils, als Prokonsul in Kilikien oder
während des Bürgerkriegs zwischen Caesar und Pompeius. Da Cicero die Briefe, anders
als die Reden und Traktate, nicht selbst veröffentlicht hat, lesen wir hier ausnahmsweise
einmal Texte, die der Verfasser nicht für ein breites Lesepublikum bestimmt hat.
Senecas Briefe sind davon sehr verschieden (Epistulae morales ad Lucilium). Die Briefe
richten sich alle an einen Adressaten, Lucilius, und sie beschäftigen sich nicht mit konkreten aktuellen Problemen und Ereignissen oder Konflikten mit Zeitgenossen, sondern
behandeln in lockerer Form Grundfragen der Philosophie. Wiederkehrende Themen
sind: Der Umgang mit der Zeit und der Sterblichkeit, das Ziel der Bedürfnislosigkeit (bzw.
Methoden, die Angst davor abzubauen, sein Vermögen zu verlieren) und das Ziel, Seelenruhe zu erlangen. Per Brief wird Lucilius dazu aufgefordert, sein Leben bzw. seine Lebensweise und seine Haltungen zu ändern, wobei Seneca auch immer wieder von seinen eigenen diesbezüglichen Versuchen spricht.
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