Alles nur Spielerei

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Alles nur Spielerei
Alles nur Spielerei?
Ein Konzept für Lernspiele in der Sekundarstufe I und II zum Thema Geld
Thomas Kempe
1
Einleitung.................................................................................................. 1
2
Spiel und Spielen ....................................................................................... 2
3
4
2.1
Das Spiel – Ein weites Feld............................................................................................. 3
2.2
Ein historischer Überblick über Spieltheorien.................................................................... 4
2.3
Spielen in der Schule...................................................................................................... 6
2.4
Spiele in Politik und Sozialwissenschaften ........................................................................ 8
Entwicklung und Umsetzung eines Lernspiels ...............................................10
3.1
Entwicklung eines Spiels – Etwas für Jedermann?.......................................................... 10
3.2
Von der Idee zum Spiel ................................................................................................ 12
3.3
Die Regeln als Gestaltungsbereich ................................................................................ 13
3.4
Altersangemessenheit .................................................................................................. 15
Das historisch-simulative Lernspiel ..............................................................16
4.1
Das Setting.................................................................................................................. 17
4.2
Mittelaltermarkt – Ein Lernspiel für die Sekundarstufe I.................................................. 19
4.3
Evaluation vom Mittelaltermarkt.................................................................................... 22
4.4
Weltwirtschaftskrise – Ein Lernspiel für die Sekundarstufe II .......................................... 24
4.5
Vorüberlegungen zu Weltwirtschaftskrise ...................................................................... 27
5
Spiele im Unterricht – Die Allheilmethode? ...................................................28
6
Literaturverzeichnis ...................................................................................31
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1 Einleitung
"Und die Erwachsenen haben kein Recht, Kinder unglücklich zu machen mit dem Hinweis darauf, daß ihrem
eigentlichen, ihrem späteren Glück damit gedient werde.“
- A. Flitner, Spielen-Lernen, S. 15. Als Quintessenz des Rousseauschen Denkens über die Kindheit. -
Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung mit der Entwicklung von Spielen fiel mir die Erstellung
und Umsetzung eines Lernspiels zum Thema Geld für die Klasse 6 in meiner ersten Unterrichtsreihe nicht schwer. Als Anfänger im Lehrerberuf war ich von der positiven Reaktion der Schüler
und Schülerinnen und der Ausbildungslehrerin auf dieses Spiel sehr überrascht und erfreut. Deshalb habe ich die Spielidee, die lediglich für eine Stunde geplant war, auf die gesamte Reihe ausgedehnt. Diese positive Erfahrung mit der Methode Lernspiel einerseits und der sehr geringe
Einsatz selbiger in der gängigen Unterrichtspraxis andererseits führte zu der Ausarbeitung dieses
Konzepts. In diesem soll das von mir damals intuitiv entwickelte Lernspiel in seiner Konzeption
zunächst grundlegend und didaktisch hinterfragt und strukturiert werden. Darauf aufbauend soll
die Relevanz von Lernspielen allgemein an einem weiteren, altersgerechten Lernspiel für die Sekundarstufe II aufgezeigt werden. Das, was diese Grundidee auch über mein persönliches Interesse hinaus eine allgemeine pädagogische Relevanz liefert, ist die sehr hohe Schülera ktivität und
–motivation während des Lernspiels, die sich aber auch auf die Teile der Unterrichtsreihe übertrug, in denen es nicht zum Einsatz kam. Zusammen mit der zu Anfang zurückhaltenden oder
skeptischen Einstellung von Fachkollegen gegenüber der Methode Lernspiel, die sich bestimmt
so in vielen Kollegien wiederfinden lässt, bestärkte dies die Umsetzung eines Konzepts für Lernspiele.
Das im Folgenden dargelegte Konzept positioniert sich in seinem Ausgangspunkt bewusst allgemein undidaktisch - sprich zuerst einmal außerhalb aller (Fach-)Didaktiken und deren Strömungen.
Ganz im Sinne des obigen Zitats wird von einem Menschenbild ausgegangen, das den Menschen
und auch das Kind als freiheitliches und selbstbestimmtes Wesen begreift. Diese grundlegende
Sichtweise gerät im hektischen Schulalltag schnell aus dem Blickfeld, da sie oftmals die aufwändigeren Problemlösungen einfordert. Als Folge werden gerade in der Schule Kinder und junge Erwachsene vielleicht unglücklicher (gemacht) als in allen anderen Lebensbereichen. Unter dieser
Prämisse ist es doppelt bedeutend über Spiele im Unterricht nachzudenken, denn sie machen
Kinder - in der Regel - glücklich und sie sind zuerst ein Mal eine freiheitliche kind- und menschenspezifische Handlung.1
Bei der Beschäftigung mit Spielen für den schulischen Einsatz kann dieser Aspekt aber eben nur
eine Seite der Medaille sein,2 denn Schülerinnen und Schüler sollen in der Schule eben auch be1
2
Vgl. A. Flitner, Spielen-Lernen, S. 131. Spielen wird als freiheitliche Handlung definiert.
So ist ja auch der Egozentrismus der Kinder kindspezifisch, wird aber nicht verstärkt oder genutzt, um Lerninhalte
zu vermitteln. Vielmehr wird er dem Kind teils aberzogen, damit aus ihm eine sozial verantwortliche Person wird.
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stimmte, vom Lehrer vorgegebene Inhalte lernen. Zumindest diese Lehrer-Lehrplan-CurriculumVorgabe beschränkt natürlich die Freiheit der Schüler (und des Lehrers) im spielerischen Lernprozess. Eine sich aus dieser Gegenüberstellung von Spiel und Lernen ergebende Frage ist, ob es
sich dabei immer um zwei gegenteilige Seiten der Medaille handelt oder ob sie sich nicht vielmehr
auch vereinen lassen. Anhand von Lern- und Erkenntnistheorien muss überprüft werden, inwieweit Spielen das Lernen ermöglicht, fördert oder sogar verbessert.
Die bisher gemachten, sehr grundlegenden Gedanken dürfen in einem überschaubaren Konzept
wie diesem nicht dazu führen, die Ziele zu hoch zu stecken. Daher sollen auch die grundlegenden
Leitlinien und Bemessungsgrundlagen des Konzeptes bewusst allgemein und einfach gehalten
werden:
1. Die Nutzbarkeit von Spielen für Lernprozesse soll theoretisch fundiert werden.
2. Die Lernerfolgsverbesserung beim Lernspieleinsatz soll aufgezeigt werden.
3. Die besondere Relevanz von Lernspielen für den Politikunterricht soll erkennbar werden.
4. Spielunerfahrene Lehrer sollen Grundlagen zur Erstellung von Spielen erhalten.
5. Zwei Beispiele sollen einen Eindruck für komplexe Lernspiele vermitteln.
Auch wenn sich hinter diesen simpel formulierten Zielen ohne Zweifel ganze Theoriegebäude
befinden (können), sollte das Konzept – ganz einfach formuliert - Unterricht ermöglichen, bei
dem sowohl Schüler als auch Lehrer am berühmten Mittagstisch zuhause erzählen, dass viel gelernt wurde und es zudem noch Spaß gemacht hat.
Im Folgenden wird über eine allgemeine Betrachtung von Spielen in ihrer gesellschaftlichen und
kulturellen Bedeutung hin zu einer lernpsychologisch, didaktisch und fachdidaktisch begründeten
Bejahung ihres Einsatzes im Politik- und Sozialwissenschaften-Unterricht zu kommen, ein Konzept für die Entwicklung für spannende, motivierende und ertragreiche Lernspiele vorgestellt, die
in einem letzten Schritt in zwei altersgerechten Beispielen als Methode konkretisiert werden.
2 Spiel und Spielen
"Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts
Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."
- F. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief -
Gedanken zum Thema Spiel und Spielen lassen sich in fast allen Wissenschaften finden, von der
Mathematik über die Wirtschaftswissenschaften bis hin zur Geschichtswissenschaft und zur Philosophie. Bei den Betrachtungen geht es um Spielprinzipien, Gewinnchancen, Regeln, der kulturellen Bedeutung und vieles mehr– die Bandbreite der Beschäftigung mit dem Thema ist weit.
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Diese Arbeit wird sich auf für das Konzept entscheidende Inhalte beschränken müssen: Was ist
das Besondere am Spiel, dass es Menschen von Natur aus, im doppelten Sinne des Wortes, beschäftigt? Läuft der Aspekt des Spaßhabens nicht dem des Lernens zuwider oder sollte sich Schule dem Spaß öffnen und dessen motivationalen Charakter nutzen? Allein mit Spaß, und an dieser
Stelle ist der Begriff auch im kritischen Sinne einer Spaßgesellschaft eingesetzt, werden aber die
Ziele von Schule nicht ereicht – im Zweifelsfalle laufen diese konträr zueinander. Daher müssen
auch die Grundlagen von Lernspielen als didaktische Methode kritisch beleuchtet werden. Denn
es kann nicht ausreichen, die bloße Existenz hunderter, von der Didaktikindustrie auf den Markt
geworfener, Lernspiele als Indikator für deren Erfolg zu werten. Die zentrale Frage muss also
lauten: Bieten Lernspiele nur sinnlose Spielerei oder ermöglichen sie sinnvolles Lernen?
2.1 Das Spiel – Ein weites Feld
Mit Spielen verbringen Kinder (und auch Erwachsene) aus allen Kulturen einen Großteil ihres
Lebens, es scheint einen natürlichen Spieltrieb des Menschen zu geben.3 Die Veranstaltungen der
Menschheit, die die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind - von Kriegen, Naturkatastrophen oder Papstbeerdigungen sei einmal abgesehen - Spiele. Die olympischen Spiele oder Fußballweltmeisterschaften ziehen weltweit Hunderte Millionen von Zuschauern in ihren Bann. Spiele und Spielen beschäftigt uns während unseres Lebens also aktiv und passiv, denn Spiele sind
unterhaltend, spannend, unvorhersehbar, verlangen oft Kreativität und zeigen nicht selten außergewöhnliche menschliche Leistungen. Wie diese ersten Gedanken schon andeuten, ist der Begriff
Spielen nicht leicht zu fassen, denn die durch ihn geweckten Assoziationen sind äußerst vielfä ltig.4
Neben diesem öffentlichen Charakter des Spiels auf gesamtgesellschaftlicher Ebene besitzt Spiel
auf ähnlich breiter Basis eine andere, nicht minder bedeutende Facette: das kindliche Spiel. Auch
wenn das Kinderspiel sich zu allen Zeiten und in den verschiedenen Kulturen und Gesellschaften
unterschieden hat5 und noch immer unterscheidet, so lässt es sich doch als Handlung identifizieren, die den Erwachsenen, auch wenn sie es ja selbst erlebt haben, völlig zu faszinieren scheint.
Wie aus dem Nichts scheint es Kindern zu gelingen, eigene Realitätskonstrukte zu erschaffen, die
aber häufig einen beachtlich klaren und treffenden Realitätsbezug haben. Die Ausdauer, Energie
und Ernsthaftigkeit, die Kinder dabei in ihr Spiel stecken, müssen nicht von Außen motiviert
werden, sondern sind anscheinend kindspezifisch.
Nur weil etwas häufig in der Welt vorkommt, ist dies noch kein Grund, es auch in die Schule als
Lernmethode zu übernehmen, auch wenn von solch einer Methode zuerst einmal ein motivierender Grundimpuls ausgehen sollte. Die sich unweigerlich anschließende Frage muss also lauten,
ob Spiele in der Lage sind, Lerninhalte zu transportieren und in einem weiteren Schritt, ob sie in
Johan Huizinga hat in Homo Ludens eine umfangreiche Abhandlung über das Spiel abgeliefert, die Spielen als zentrales kulturelles Phänomen identifiziert. In diesem Sinne ließe sich die Menschheitsgeschichte sogar in weiten Teilen
als Spielgeschichte schreiben.
4 Eine gute Übersicht liefert L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 37.
5 A. Flitner, Spielen-Lernen, S.33 ff.
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der Lage sind, Lerninhalte besser zu transportieren als andere Methoden. Ein erstes Indiz für die
Relevanz von Spiel bei der Aneignung von Wissen liefert eine bekannte Alltagserfahrung: Über
Spiele aller Art lernen Kinder häufig etwas über die Welt in der sie leben oder sie nutzen sie, um
Geschehnisse aus ihrer Welt zu verarbeiten. 6 Gerade in unserem Kulturkreis eignen sich Kinder
kulturelle Grundtechniken und schulische Inhalte über Spiele an: das Zählen beim Mensch-ÄrgereDich-Nicht, taktisch-abstraktes Denken beim Schachspiel, geografische Kenntnisse bei Stadt-LandFluss und motorische Fähigkeiten beim Bolzen im Hinterhof. Das Lernen passiert dabei in vielen
Fällen nicht bewusst, sondern indirekt und wird während des Spiels nur selten zum Thema gemacht.
2.2 Ein historischer Überblick über Spieltheorien
Lassen sich aber diese erste intuitiv für jeden nachvollziehbaren Beziehung zwischen Lernen und
Spielen auch wissenschaftlich bestätigen und auf die Schule mit ihrer der Freizeit gegenüber anderen Struktur übertragen?
Die Spieltheorien sind äußerst vielfältig und haben im laufe der Zeit unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Schon im Altertum haben Aristoteles und Platon grundlegende Gedanken über
das Wesen des Spiels geäußert. Platon hat einen Zusammenhang zwischen den Spielen der Kinder und gesellschaftlichen Veränderungen konstatiert, während Aristoteles einen Unterschied
zwischen Spiel und Arbeit festgestellt hat.7 Die Grundambivalenz zwischen Spiel als nutzfreiem
Treiben und Spiel als natürlichem Vergnügen zieht sich durch das Mittelalter hindurch bis in die
heutige Zeit. Mit dem in der Aufklärung gipfelnden neuen Menschenbild der Moderne entstand
auch eine neue Sicht auf das Kind. „Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) hat in »Emile« der Kindheit einen eigenständigen Wert zuerkannt und der Erwachsenheit das Recht abgesprochen,
Kindheit nur als eine funktionale Durchgangsphase zum Erwachsensein zu sehen.“8 Dieser
Rousseausche Grundgedanke hatte einen fulminanten Einfluss auf die Sichtweise von Kindheit
und zwangsweise auch auf die Bewertung des kindlichen Spiels. Denn wenn die Kindheit als eigenständige und schützenswerte Entwicklungsphase des Menschen angesehen wird, dann erlangt
unweigerlich auch das kindliche Spiel eine prominente und auch schützenswerte Stellung.
In diese Sichtweise der Aufklärung gelangte ab dem Ende des 19. Jahrhunderts mit den psychologischen Funktionstheorien eine neue Dimension, die das Spielen der Kinder unter relativ nüchternen Funktionsaspekten betrachtete.9 Der für dieses Konzept nach Rousseau entscheidenden
Schritt in der Theorieentwicklung wurde gemacht, als das Spiel auch von lern- und entwicklungstheoretischer Seite untersucht wurde. So hat sich Piaget mit dem kindlichen Spiel beschäftigt und
Gerade in der Psychoanalyse werden Kinderspiele psychologisch gedeutet oder als Therapie eingesetzt. Vgl. A.
Flitner, Spielen-Lernen, S. 71ff.
7 L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 41f.
8 L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 43f.
9 Vgl. L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S.45f. So wurde das Spiel u.a. als Naturtrieb, als Selbstausbildungshandlung oder als Aggressionsentspannung angesehen.
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es in seine Entwicklungspsychologie eingebaut.10 Die Hauptfunktion des Spiels wird von ihm
darin gesehen, dass während „... der erwachsene Mensch sich der Realität voll aussetzen kann
und von ihr eben einiges aufnimmt, anderes beiseite läßt, besteht die spezifische Bewältigung des
Kindes darin, daß es sich zunächst diese Gegenstände angewöhnen, d.h. sie von ihrer Realität
loslösen muß und mit ihnen, als Realitätssymbol, so lange umgeht, bis es sich sie angeeignet hat.
Entsprechend dieser Funktion des Spiels als des kindlichen Mediums zur Bewältigung des Vorgangs der Assimilation hat Piaget drei Hauptformen unterschieden: das Übungsspiel, das Symbolspiel
und das Regelspiel. Es sind zugleich drei Stadien der Intelligenzentwicklung, die aufeinander folgen, sich aber auch überlappen.“11 Für dieses Konzept lassen sich zwei entscheidende Folgerungen aus diesen Aussagen über das kindliche Spiel ableiten.
Zum einen ist Spielen eine fundamental wichtige Handlungsmöglichkeit des lernenden Kindes,
sich die Welt anzueignen. Für die Begründung des Einsatzes von Spielen in Lernprozessen ist diese
Erkenntnis natürlich entscheidend und da sie nicht nur Teil der Piagetschen Theorie ist, sondern
sich auch in anderen Theorien wiederfinden lässt, kann und darf die Relevanz des kindlichen
Spiels für das Lernen nicht geleugnet werden. 12 Auch wenn in den meisten Theorien vom spontanen kindlichen Spiel die Rede ist, so sollte sich ohne genauere Konkretisierung nachvollziehen
lassen, das dieses Potenzial auch in guten, vorgefertigten (Lern-)Spielen steckt.
Des Weiteren unterscheidet Piaget drei Kategorien von Spielen, die den kognitiven Fähigkeiten
der jeweiligen Altersstufen entgegen kommen bzw. entsprechen. Das Übungsspiel als erstes Stadium hat die Funktion, Verhaltensschemata einzuüben, die in der kindlichen Umwelt beobachtet
werden. Das Symbolspiel arbeitet dagegen schon mit fiktiven Darstellungen und Handlungen am
Objekt und rückt die Gegenstände und Aktionen somit in eine fassbare Nähe. Als letzte Stufe
sieht er das Regelspiel, in dem das Kind geltende soziale Regeln in das eigene Spiel einbezieht,
ohne dass dieses aber seinen Spielcharakter verliert. Die von Heranwachsenden bevorzugte Art
des Spielens verändert sich also mit zunehmenden Alter und wird nach Piaget, genau wie seine
geistigen Fähigkeiten, abstrakter. Auf diese Erkenntnis wird bei der Behandlung der Altersangemessenheit der Lernspiele im späteren Teil des Konzepts erneut eingegangen.
Ohne Zweifel ist es für dieses Konzept mehr als hilfreich, wenn ein Großtheoretiker der modernen Entwicklungspsychologie wie Piaget das kindliche Spiel in seine Theorie einbaut und ihm
einen, zwar nicht überragenden, aber zumindest gebührenden, positiven Platz einräumt. Gerade
an dieser Stelle muss aber auch gesagt werden, dass Piaget das Spiel nicht in seiner ganzen, eben
auch für den Schulalltag relevanten Tragweite beleuchtet hat, denn da das Spiel in dieser entwicklungspsychologischen Sichtweise ein „auf den psychischen Mechanismus der Bewältigung kognitiver Aufgaben weithin eingegrenztes Stadium der Intelligenzentwicklung“13 ist, bleiben die
schöpferisch-kreativen Elemente des Spiels unbeachtet. In einer sehr nüchternen Deutung Pia-
Vgl. A. Flitner, Spielen-Lernen, S. 59ff., Psychologie des Spiels, S. 177ff.
A. Flitner, Spielen-Lernen. S.61.
12 Einen umfassenden auf gesamter Theoriebreite angelegten , handlungstheoretischen Ansatz liefert R. Oerter in
Psychologie des Spiels, Weinheim 1997.
13 A. Flitner, Spielen-Lernen, S. 63.
10
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gets wäre das Spiel auf die Schule bezogen also nichts weiteres als stupide Textarbeit und würde
auf stumpfes Aneignen von Informationen als geistige Tätigkeit hinaus laufen. Das Spiel so zu
verkürzen wäre aber ein grundlegender Fehler, denn gerade Spielen bedeutet aktives Handeln,
emotionale Beteiligung und eben auch – aber eben nur auch - kognitive Anstrengung.
2.3 Spielen in der Schule
Bevor noch einmal auf die von Piaget gemachten Erkenntnisse zum kindlichen Spiel eingegangen
wird, sollen an dieser Stelle grundlegende Überlegungen zu Schule und Spiel folgen. In der weitläufigen Meinung wird dem Spiel zwar prinzipiell zugestanden, dass man etwas durch es lernen
kann, aber dieses trifft anscheinend nur außerhalb der Schule zu. Vor allem an Gymnasien werden Spiele als play14 gesehen. Diese Haltung gegenüber Spielen erscheint auf den ersten Blick
plausibel, denn Spiele schaffen anscheinend nichts Bleibendes und Greifbares. Die Spielfreude
und die Handlungen im Spiel sind vielleicht beim Schachspiel kognitiv unterfüttert,15 aber doch
wohl niemals in offenen, nicht streng regelgebundenen Lernspielen. Beobachten lässt sich im
Spiel lediglich der Spaß der Agierenden, aber soll Schule denn Spaß machen?
Schon „... im Lateinischen steht das Wort »ludus« sowohl für Spiel als auch für Schule (besonders
die der kleineren Kinder).“16 Auch wenn jahrtausend alte Wortbedeutungen kein Beleg für die
eine oder andere Sichtweise des Zusammenhangs von Spiel und Lernen sind, so erweist sich diese etymologische Besonderheit doch als willkommener Anlass, eine andere Perspektive auf das
Spiel in der Schule einzunehmen. „Das Interesse richtet sich dabei zunächst auf den kindlichen
Eifer, die Freude am Spielen und die Unermüdlichkeit der Kinder dort, wo sie sich im Spiel vervollkommnen wollen. [...] – warum kann man diesen Eifer, diese Unermüdlichkeit nicht auch für
etwas Besseres nutzen, für das Lesen und Schreiben zum Beispiel, das Rechnen und sonstige
Lernziele der Schule.“17 Diese Sichtwiese ist stark humanistisch geprägt und verlangt eine Schule,
in der Lernen weitestgehend freiwillig und mit Spaß vollzogen wird, und eben keine Schule, in
der bloßer Zwang herrscht und Lernen als lästige Pflicht empfunden wird.18 Nun kann berechtigt
die Frage gestellt werden, ob denn Spielen in der Pflicht-Schule überhaupt noch Spiel ist, wenn
ihm der letztendliche Freiheitscharakter entzogen wird, da zum einen ja alle betroffenen Schüler
mitspielen sollen und zum anderen die Spielinhalte vorgegeben sind. Dieser plausible Einwand ist
für allgemein philosophische Überlegungen sicherlich sinnvoll, ist an dieser Stelle aber sprichwörtlich akademischer Natur. Denn solange Schüler die ihnen vorgesetzte Methode als Spiel empfinden und aufgrund dessen sich bei ihnen die motivierenden Merkmale von Spielen einstellen,
sollte das Spiel nicht aufgrund dieses Gedankenspiels verbannt werden, da Unterricht ja immer
auch einen Zwangscharakter enthält.
Im englischen werden play als spontanes Kinderspiel und game als ausgeformtes Regelspiel unterschieden.
Neben Sport-AGs sind Schach -AGs wohl die einzigen Spiel-AGs in Schulen.
16 A. Flitner, Spielen-Lernen, S. 14.
17 A. Flitner, Spielen-Lernen, S.14.
18 Vgl. L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 43f.
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Nun sind die Erläuterungen an einem Punkt angelangt, an dem aus den Erkenntnissen von Piaget
über die Bedeutung des kindlichen Spiels für dessen Intelligententwicklung noch eine entscheidende Schlussfolgerung gezogen werden kann: Spielen schafft eine lernfördernde Umgebung.
Durch Lernspiele, nicht per se, aber durch gute, kann eine Lernumgebung geschaffen werden, die
gleichermaßen Herz, Hand und Kopf anspricht und somit auch bessere Lernergebnisse erzielen
kann. Über Handlungsorientierung und ihre Vorteile sollen an dieser Stelle keine langen Ausführungen gemacht werden, immerhin handelt es sich dabei um ein fachdidaktisches Prinzip.19 Genauso wenig soll in diesem Konzept die Relevanz eines kognitiven Anspruchs von Schule bestritten werden, dieser hat dort seinen berechtigten Platz. Problematischer wird es auf der Ebene des
Herzens, der emotionalen Ebene, denn diese bietet die Hauptangriffsfläche gegen den Einsatz
von Spielen im Unterricht. „Besonders eng sind Spiele mit Emotionen verknüpft. Spiele sprechen
Emotionen nicht nur an, sondern sie konstituieren sich auch durch sie und können sie auch besonders zum Ausdruck bringen.“20 Das in der Schule oft kolportierte Vorurteil gegen Emotionen,
dass wer Spaß hat, nicht lernen kann, bezieht sich aus einem Grundgedanken der Aufklärung,
sich von der Natur, und damit eben auch von der emotionalen Seite des eigenen Seins, zu emanzipieren. Schule erfordert Fleiß, Anstrengung und Disziplin - für Gefühle oder gar Spaß ist da
kein Platz. Somit geraten Emotion und Kognition in ein Spannungsfeld, das einseitig zu Ende
gedacht zu einer Unvereinbarkeit zwischen den beiden führt. Wie auch immer die Diskussion
geführt wird, und die Argumente der diametral entgegen stehenden, überspitzt benannten Kuschelpädagogik, müssen dabei erst gar nicht gehört werden, lässt sich aus dem Prinzip von Kopf,
Herz und Hand ein klares Ergebnis dieser Kontroverse ableiten: „Die Verbindung von Emotionalität und Rationalität ist für die politische Bildung unerlässlich.“21
Diese Ansicht wird durch empirische Untersuchungen auch für andere Fächer belegt, die die
Beziehung zwischen Lernfreude, Spaß und emotionalem Wohlbefinden für die schulische Leistungen untersucht haben.22 Und selbst wenn dies nicht so wäre, sollte überlegt werden, ob nicht
ein Anteil von messbarem kognitivem Lernerfolg geopfert werden muss, damit Schule eben nicht
nur ein Ort des Paukens, sondern ein Ort des Lernens wird. Entgegen alle Forderungen, die nicht
selten aus den Reihen der Wirtschaft kommen, sollte sich Schule ihr Privileg als Schutzraum bewahren. Spiele und Lernspiele sind sicherlich nur eine Komponente für die Schaffung einer positiven Schulatmosphäre, nichts desto trotz aber eine wichtige, denn sie betreffen als ein zentrales
Element das Lernen selbst.
Die grundlegenden theoretischen Ausführungen mussten sich auf die für das Konzept entscheidenden Punkte beschränken, sodass viele spannende Facetten von Spiel, kindlichem Spiel, Spiel
im Erwachsenenalter, dem Spiel in der Kultur, nicht weiter beleuchtet werden konnten, obwohl
der ein oder andere wichtige Gedanke auch für dieses Konzept abgefallen wäre. Als erstes Zwischenfazit muss nach den bisherigen Ausführungen aber gefolgert werden, dass dem Spiel und
S. Reinhardt, Handlungsorientierung in: W. Sander (Hrsg.), Handbuch politische Bildung, S. 105ff.
L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 67.
21 L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 71.
22 Vgl. L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 67ff.
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dem Spielen in der Schule ein Potenzial zuerkannt werden muss, das weit über den Sportunterricht hinaus geht. Spielen ist eine kindspezifische Handlung, die auf der Metaebene der Schule ein
freiheitliches, natürliches Element hinzufügt, das im Sinne eines modernen schülerorientierten
Lernens dazu beitragen kann, bestehende Strukturen aufzubrechen. Auf der Mikroebene des täglichen Unterrichtens wurde das Spiel als Methode identifiziert, die den Lernprozess durch die
Einbeziehung von Kopf, Herz und Hand zudem qualitativ fördern und verbessern kann.
2.4 Spiele in Politik und Sozialwissenschaften
Wenn Spiele als Methode identifiziert wurden, die Lerninhalte gut transportieren können, so stellt
sich im schulischen Bereich unweigerlich die Frage, ob dieses für alle Fächer in gleichem Maße
gilt. Ohne genauere Kenntnis von einzelnen Fachdidaktiken lässt sich vermuten, dass Spiele in
allen Fächern zur Anwendung kommen können, aber auch, dass bestimmte Fächer prädestinierter dafür sind als andere. Ohne Zweifel ist das Fach Sport in seiner heutigen Ausprägung ohne
Spiele nicht vorstellbar, Spiele sind ja geradezu ein zentrales Element des Sports.
Nachdem im vorigen Kapitel schon kurz auf die Relevanz von Spielen im Politikunterricht eingegangen wurde, soll dieses nun noch genauer geschehen. Gerade in den Sozialwissenschaften
nehmen Lernspiele traditionellerweise eine prominente Stellung ein und dies findet auch die ausdrückliche Unterstützung in den Rahmenvorgaben. Das Spiel an sich stellt jedoch keine
(fach)wissenschaftliche Methode an sich dar, die Schüler und Schülerinnen erlernen sollen, sie ist
vielmehr eine Methode, um Lerninhalte zu vermitteln. Ausdrücklich wird in der Rahmenvorgabe
innerhalb der geforderten Methodenvielfalt auch „Simulatives Handeln und Erfahren“23 mit einem Schwerpunkt auf Spielen als eigenständige Kategorie definiert.
Lothar Scholz hat eine Kategorisierung der spielerischen Lernformen im Sozialkunde- und Politikunterricht vorgenommen, die folgende Formen unterscheidet:24
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Assoziations- und Einstiegsspiele
Diskussions- und E ntscheidungsspiele
Simulationsspiele
Interaktions- und Kooperationsspiele
Wissensspiele
Szenische Spiele
Spielerische Produktions- und Präsentationsformen
Entscheidend für diese Unterteilung ist zum einen die Unterscheidung der Spiele anhand ihrer
Ausformung auf der Spielebene und zum anderen anhand ihrer Funktion innerhalb des Unterrichts. Trotz der positiven Einstellung gegenüber Spielen in diesem Konzept wird auch hier deutlich, dass Lernspiele wie andere Methoden auch, dem Ziel der Stunde bzw. Einheit zu dienen
haben, nicht umgekehrt. „Diese Spieltypen können auf zentrale Grobphasen des Unterrichts be-
23
24
RVG Politische Bildung, S. 30.
L. Scholz, Spielerisch Politik lernen.
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zogen werden. Für Einstiegsphasen eignen sich eher Assoziations- und Einstiegsspiele. Diskussions- und Entscheidungsspiele, Simulationsspiele, Wissensspiele und Szenische Spiele haben in
Erarbeitungsphasen ihren Schwerpunkt. Für Phasen der Ergebnispräsentation bieten sich Simulationsspiele, Szenische Spiele und spielerische Produktions- und Präsentationsformen an. Interaktions- und Kooperationsspiele nehmen als Formen kommunikativen und sozialen Lernens eine
Sonderstellung ein.“25 An diesem Zitat lässt sich ablesen, das Spiele sehr vielfältig einsetzbar sind
und die später vorgestellten historisch-simulativen Lernspiele erheben genau diesen Anspruch.
Aber Spiele haben eben auch eine bestimmte Funktion im Lernprozess der Stunde oder Einheit
zu erfüllen und darüber muss man sich im Klaren sein.
Ein weitere wichtiger Faktor für den Einsatz von Spielen im Politikunterricht stellt die Möglichkeit des simulativen Handelns dar, denn die Forderung, dass Schule ein Schonraum sein soll, gilt
insbesondere für den Politikunterricht. In diesem Fach können Schüler und Schülerinnen mit
ihren Ansichten, Meinungen, Vorurteilen und Ideen herum experimentieren, für die sie im Leben
außerhalb der Schule im schlimmsten Fall in ernsthafte Konflikte mit dem Staat oder anderen
Menschen kommen können. Gerade aber im „Spiel wird ein Schonraum definiert [...], relativ
angstfrei können neue Erfahrungen gemacht werden, jedenfalls sind die Sanktionen nur spielintern wirksam.“26 „Im Spiel vollzieht sich ein Probehandeln, das die Realität vorwegnimmt, aber
doch nicht Realität ist. Man erfährt Realität, aber man erleidet sie nicht und wird nicht zur Rechenschaft gezogen.“27 Dieser Aspekt von Spielen im Politikunterricht nimmt die Handlungsorientierung auf, denn politisches, ökonomisches und soziales Ha ndeln lässt sich eben nur sehr
schwer – wenn überhaupt - rein kognitiv vermitteln. Gerade im Spiel lässt sich das eigene Handeln ohne Druck ausprobieren und die Entscheidung für eine So-oder-auch-anders-Handlung verliert
den Druckcharakter, den sie im realen Leben hätte. Zu dieser handlungskompensatorischen
Funktion von Lernspielen lässt sich hinzufügen, dass Schüler durch das Spiel bestimmte Handlungen überhaupt erst durchführen können, die sie in der Realität, aufgrund von z.B. zeitlichen
oder sozialen Barrieren nicht durchführen können. So werden Schüler in ihrem Leben, zumindest
aber in ihrer aktuellen Situation, nicht an einem Vermittlungsausschuss teilnehmen und sie werden nicht die Weltwirtschaftskrise von 1928 live erleben. Das Spiel kann den Einblick in personale, soziale und situative Aspekte solcher, nicht selbst real erlebbaren Phänomenen ermöglichen.
Alles in allem sind Lernspiele im fachmethodischen Bereich des Faches sehr verbreitet, die Umsetzung grundlegender Prinzipien des Faches wie dem der Handlungsorientierung wären ohne
Spiele kaum möglich. Allerdings kann der spielerische Anteil dieser Lernspiele noch erhöht werden und, wie später gezeigt wird, können auch neue, freiere Spielformen entwickelt und eingesetzt werden.
L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 99.
U. Baer, Spiel und politisches Lernen, S. 8.
27 A. Becker, zitiert nach: U. heimlich, Einführung in die Spielpädagogik, S. 14.
25
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3 Entwicklung und Umsetzung eines Lernspiels
„Das Spiel ist der Weg der Kinder zur Erkenntnis der Welt, in der sie leben!“
- Maxim Gorki, Über die Jugend, S. 86 -
Nach den grundlegenden theoretischen Erläuterungen zu Spielen, die konkret den Einsatz von
Spielen allgemein und im fachspezifisch politischen Unterricht bejahen, folgt nun der nächste
Schritt der Konzeptionierung. Die Aufgabe des folgenden Kapitels ist es, die grundlegenden
praktischen Probleme bei der Spielentwicklung und –durchführung zu fassen. Dabei sollen die
Hinweise zum Vorgehen auch unerfahrene Kollegen zum kreativen Umgang mit Lehrinhalten in
Lernspielen ermutigen.
Die Probleme bei der Spielentwicklung liegen zuerst einmal auf der persönlichen Ebene eines
Spielentwicklers, dann auf der Regelerstellung und zum Schluss auf der eigentlichen unterrichtlichen Umsetzung des Spiels. Allerdings kann dieser Leitfaden eben nur ein Leitfaden sein und
kein Schritt-für-Schritt-Rezept bei dessen genauer Befolgung ein gutes Lernspiel als Ergebnis
heraus kommt. Vor allem ist zu bedenken, dass die einzelnen Punkte nur selten nacheinander
abgearbeitet werden können, sondern dass sie bei der Entwicklung in einander greifen, so ist z.B.
die Komplexität der Regeln abhängig vom Alter der Schüler. Ähnlich wie das Unterrichten selber
und in dessen Zentrum die für Schüler nachvollziehbare Strukturierung28 desselbigen eine Fähigkeit ist, die Erfahrung benötigt, so ist auch die Entwicklung keine Fertigkeit, die man über Nacht
erlernt.
3.1 Entwicklung eines Spiels – Etwas für Jedermann?
Dieses Konzept baut grob gesehen auf zwei Säulen auf: Zum einen wird das Potenzial von Lernspielen abgeklärt, zum anderen werden zwei Lernspiele und Teile dazu passender Unterrichtsreihen vorgestellt, in denen das Konzept altersgerecht umgesetzt wird. Während die bisherige theoretische Auseinandersetzung allgemein nachvollziehbar sein sollte und muss, stellt sich unweigerlich die Frage nach den Fähigkeiten, die die Entwicklung eines solchen Spieles erfordert.
Identifiziert man als Kernfähigkeiten Kreativität und Modellbildungskompetenz, so stellt sich die
Anschlussfrage, ob diese in einem bestimmten Bereich, hier eben die Spielentwicklung, erlernt
werden können. Sie als allgemeine Fähigkeit von Menschen, Lehrern oder gar Politiklehrern zu
postulieren wäre sicherlich zu weit gegriffen, hält man sich aber an einige Grundlagen, die man
dann in Verbindung zu den Lerninhalten setzt, so können auch von weniger begnadeten Erfindern
einfache Lernspiele selbst entwickelt werden. Unabdingbar ist dabei aber neben einer positiven
Einstellung zu Spielen, eine genaue Beobachtung der Lerngruppe, eine am Anfang bescheidene
Zielsetzung, sowie eine Evaluation durch die Schüler und die Lehrer. Trotzdem soll hier nicht
28
Laut H. Meyer neben dem Zeitmanagement das wichtigste Kriterium für Guten Unterricht. Vgl. Merkmale guten
Unterrichts, 2003.
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geleugnet werden, dass das Können der Spielentwicklung eine ähnlich zusätzlich persönliche Eigenschaft von Lehrern ist, wie Karikaturzeichnen, Schauspielerei oder Filmerstellung.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass Lernspiele Kreativität und Strukturierung von Lehrerseite
her verlangen. In die klassischen Lehrerfunktionen übersetzt, stehen daher im Mittelpunkt der
Betrachtung von Lehrerfunktionen die Innovation und die Organisation29. Innovation kommt auf
zwei Ebenen zum Tragen: Die Lehrperson innoviert die heutige Schulpraxis schon, indem ein
Lernspiel an sich eingesetzt werden. Da Innovation auch immer Neues und Unbekanntes für die
Schüler bedeutet, reicht es nicht aus, ein Spiel einfach mal so in den eigenen Unterricht zu übernehmen. Vielmehr muss man sich auch an dieser Stelle des Neuen kritisch bewusst sein und das
Vorhaben selbst und durch die Schüler evaluieren. Da vor allem der Spaßfaktor bei Spielen hoch
ist, könnte man sich von hoher Schüleraktivität täuschen lassen und verlöre dabei den vielleicht
nicht vorhandenen Lernertrag aus den Augen. Auf Ebene Zwei der Innovation kommt die Lehrperson als Entwickler, also quasi aktiver Innovator, ins Spiel. Hier ist vielleicht der Kern der Sache, die didaktischen Reduktionen einer Unterrichtsreihe in ein Regel- und Ablaufsystem, eben
ein Spiel, zu integrieren. Diese Innovation ist natürlich weitaus schwieriger als das bloße Anwenden eines Lernspiels und inwieweit es überhaupt für jedermann möglich ist, wurde schon erläutert.
Der Organisationsaufwand bei Lernspielen kann ebenso auf zwei Ebenen angesiedelt werden, die
beide in der Funktion als Spielleiter vereinigt werden müssen. Da ist zum Einen der technischorganisatorische Teil. Lernspiele sind in ihrer Vorbereitung aufwändig, was die Erstellung von
Material und Überlegungen zu Zeit- und Raumaufteilung angeht. Die zweite Ebene ist zwar von
der ersten abhängig, eine ordentliche Vorarbeit alleine führt aber nicht unweigerlich zu einem
reibungslosen Ablauf des Spiels. Hier kommt die zweite Spielleiterfunktion zum Tragen: die sozial-organisatorische Ebene. Gerade als induktive Methode soll den Schülern viel Freiraum gelassen werden, um das eigene Handeln frei entfalten zu können. Frei aber nur in einem bestimmten
Rahmen, der allen anderen die Teilnahme am Spiel noch ermöglicht und das Lernziel nicht aus
dem Fokus verliert. Die Lehrperson muss also eine Atmosphäre, und dies auch während des
Spiels, schaffen, in der die Schüler ungestört spielen können.
Während die didaktische Reduktion letzten Endes über die Lerninhalte entscheidet und somit die
Richtung für ein Lernspiel vorgibt, müssen methodeninterne Probleme und Möglichkeiten auch
bei der Ausgestaltung berücksichtigt werden. Wie weiter oben schon belegt wurde, besteht eine
positive Beziehung zwischen Lernerfolg und positiver emotionaler Beteiligung. Als Lehrperson
mag diese Vorstellung ungewöhnlich sein, ist das Lehrer-Schüler-Verhältnis doch zuweilen durch
formale und persönliche Distanz geprägt. Spaß bricht dieses Verhältnis auf und kann, so wird
sicher von einigen Lehrertypen befürchtet, zu einem neuen Rollenverhältnis zwischen Lehrer und
Schüler führen. An dieser Stelle soll keine Diskussion darüber geführt werden, welche Arten von
Lehrer-Schüler-Beziehungen fruchtbar oder weniger fruchtbar sind, aber ohne Zweifel bringt
29
Rahmenvorgabe für den Vorbereitungsdienst in Studienseminar und Schule, RdErll. 423. 6.05.07.03 Nr. 2984/04,
S. 6f.
Alles nur Spielerei?
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spielerisch angelegter Unterricht eine Veränderung in diese Situation. Der Lehrer steht alleine
schon aufgrund der offeneren Sozialform bei Spielen nicht mehr im Mittelpunkt, sitzt nur noch
daneben und gibt wichtige Erkenntnisleistungen an die Schüler ab. Gerade handlungs- und schülerorientierter Unterricht verlangt nach Änderungen der klassischen Lehrerpersönlichkeit. Aber
das Spiel „soll nicht dem besseren Durchkommen der Lehrerinnen und Lehrer dienen – denn
auch die Spielleitung stellt erhebliche Anforderungen an sie“. 30 Die Lehrerarbeit wird also in noch
stärkerem Maße auf vor den Unterricht verlegt.
Alles in allem wird sowohl der Einsatz als natürlich auch die Entwicklung von Spielen für Anfänger nicht einfach sein, ähnliches gilt wohl auch für jeden anderen, aufwändigeren Methodeneinsatz. Spiele beziehen durch ihren Freiheits- und Beteiligungsgrad Schüler ohne Zweifel stärker in
den Unterricht ein und vom Lehrer verlangt dieses eine Umorientierung in der Positionierung der
eigenen Person im Unterricht vom Rudelführer zum Rudelbegleiter. Mit den vielfältigen politikdidaktischen Lernspielen31 kann jeder Spiele-Neuling einen sicheren und erfolgreichen Einstieg in diese
für ihn neue Methodenart finden, bevor er sich selber ans Werk der Spielentwicklung macht.
3.2 Von der Idee zum Spiel
Wie in jeder Unterrichtsreihe, -einheit und –stunde stehen die Lernziele zusammen mit den
Themen an exponierter Stelle. Auch bei der Entwicklung von Lernspielen, die ja trotz der ausführlichen Darlegungen in dieser Arbeit nur eine Methode sind, muss der Lernaspekt über der
Methode stehen. Es macht daher z.B. keinen Sinn Mensch-Ärgere-Dich-Nicht als Simulation des
Arbeitslosenmarktes einzusetzen, wenn man zwar zu Recht davon ausgehen kann, dass alle Schüler das Spiel kennen, aber es nicht in der Lage ist, das Thema vernünftig darzustellen.
Daher stellt sich bei den Vorüberlegungen bei der Entwicklung eines Lernspiels die Frage, ob
sich ein Grundprinzip oder Grundproblem ausmachen lässt, das sich wie ein roter Faden durch
die Reihe zieht oder ziehen lässt. Dies kann ein bestimmtes, offenkundiges Problem – z.B. Reich
gegen Arm oder Überalterung: Jung gegen Alt? - sein, das spielerisch verarbeitet wird. Es kann aber
auch etwas an sich erst mal Unproblematisches sein, wie die Tauschfunktion des Geldes oder die Bastelbiografie sein.
Bevor man selber Lernspiele entwickelt, sollte man sich schon existierende kommerzielle Spiele
anschauen. Gerade der deutsche Spielemarkt ist so groß, dass sich von dort manche gute Idee
übernehmen lässt. Durch das allseits bekannte Siedler von Catan32 kann die Veränderung von Warenwerten durch Angebot und Nachfrage gezeigt werden, das unbekanntere Spiel Shark33 bietet
ein einfaches System zur Darstellung von Aktienkursen an einer Börse. Computerspiele wie Civilization 334 oder Die Sims 1 und 235 benutzen explizit sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und set-
L. Scholz, Spielen-Lernen, S. 179.
Vgl. u.a. P. Massing: Planspiele und Entscheidungsspiele in Methodentraining für den Politikunterricht, S. 163ff.
32 Klaus Teuber, Kosmos Spiel, Die Siedler von Catan, ASIN: 3440693015, 2003.
33 NN, Ravensburger Spiele, Shark, ASIN:B0002HWQYO.
34 Sid Meier, Civilization 3, ASIN: B0001AUP8Q, 2004.
30
31
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zen sie in teils sehr anspruchsvolle Regeln um. Diesen Ideenfundus kann und sollte man sich zu
Nutze machen und davon ausgehen, dass die Spielsysteme gestestet wurden und funktionieren.
Aber auch hier darf man sich nicht von den Möglichkeiten locken lassen, sondern muss jeweils
auch die inhaltliche Relevanz überprüfen. Über soziwalwissenschaftliche Spielmethoden gibt es
zahlreiche Publikationen,36 in denen die bekannten Methoden wie Debatten oder Planspiele vorgestellt werden. Mit etwas Erfahrung und Situationsbeurteilung lassen sich auch diese erweitern,
modifizieren oder in ihrem spielerischen Anteil erhöhen.
Auch neue, überraschende wissenschaftliche Erkenntnisse, die der Lehrperson selbst neue Denkperspektiven aufzeigen, können Ideen liefern. Beispielsweise sei die Wichtigkeit des Handels für
die Menschheitsentwicklung angeführt, wie sie Wissenschaftler an der ältesten Stadt der Welt
Caral37 oder an der Verdrängung des Neandertalers durch den Homo Sapiens38 aufgezeigt haben.
Die durch den Handel ermöglichte Arbeitsteilung und die damit einhergehende Expertenspezialisierung verbesserten die Produktionsleistung frühzeitlicher Gesellschaften. In einem Spiel ließe
sich dieses leicht durch die Steigerung von Produktionsmengen bei steigender spezialisierter Arbeitsteilung simulieren.
Schon bei der Ideenfindung sollte bedacht werden, dass das Spiel auf die Interessen der Schüler
ausgerichtet sein sollte. Denn gerade im Spiel können, mehr noch als im normalen Unterricht, unvorhergesehene Probleme auftreten, die nicht spielregelimmanent sind, sondern interessante und
lohnenswerte, aber eben nicht geplante Unterrichtsinhalte ermöglichen. Ist das Thema für Schüler spannend, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Probleme für die Unterrichtsziele
nutzbar sind. Ebenso kontraproduktiv wie ein uninteressantes Thema wäre eine strikte Festlegung des Spielablaufs und widerspräche den sich bietenden Chancen des Lernspiels grundlegend.
Das Spiel sollte weiterhin nicht zu groß angelegt sein, sodass eventuelle spielimmanente Probleme schnell behoben werden können. Es macht also Sinn, das Lernspiel zuerst einmal als Mikromethode zu konzipieren. So kann der Lehrende Schritt für Schritt Sicherheit gewinnen und es
dann eventuell nach ersten Erfahrungen und Evaluationen als Makromethode anwenden.
3.3 Die Regeln als Gestaltungsbereich
Im schulischen Unterricht werden Schülern unentwegt mit Modellen konfrontiert, kategoriales
Lernen besteht geradezu aus Modelllernen. Lehrer müssen diese Modelle konstruieren und den
Schülern altersgerecht nahe bringen. Im Grunde handelt es sich bei der Entwicklung von Spielen
um nicht mehr und nicht weniger. Bei der Gestaltung eines Lernspiels mit seinen Spielfiguren,
Regeln und Spielmaterialien handelt es sich im Kern um Modellelemente, die sinnvoll aus der
Realität abgeleitet werden müssen. Der besondere Vorzug des Spiels ist es, dass es genau wie
NN, EA Games, Die Sims 1, ASIN: B0001LD0NC, 2004 und Die Sims 2, ASIN: B00009P50L, 2004
Eine gute Übersicht liefert L. Scholz, Spielerisch Politik lernen, S. 81ff.
37 Vgl. http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,3147,OID1381626_REF878,00.html, 26.05.2005 oder
http://de.wikipedia.org/wiki/Caral, 26.05.05
38 Rafaela von Bredow, Primaten der Ökonomie, in: Der Spiegel, 19/2005, S. 172f.
35
36
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viele sozialwissenschaftlichen Inhalte einen Prozesscharakter besitzt, und dadurch diese eben gut
abbilden kann .
Die Regeln werden in diesem Konzept somit als ein elementarer Bestandteil des Spiels identifiziert, die von Außen einen Rahmen setzen in dem sich ein Spiel abspielen soll. Somit wird es nicht
beliebig und die Realität wird didaktisch reduziert zum Lerninhalt. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Regeln klar verständlich und nicht zu kompliziert sind. Dieses gilt vor allen bei der
Einführung des Lernspiels, im späteren Verlauf oder bei einem wiederholten Einsatz des Spiels
können sicherlich Erweiterungen hinzugefügt werden. Ein Vorteil des hier entwickelten Konzeptes ist die Ermöglichung der intuitiven Herangehensweise durch die Schüler auf der Handlungsebene. Zu viele Regeln schnüren das Korsett zu eng und verhindern Spontaneität und verringern
die Handlungsmöglichkeiten. Allerdings bieten erweiterte oder neue Regeln im Verlauf des Spiels
auch neue Erkenntnisse, da sie die Komplexität der Probleme erhöhen. Regeln, auch in noch so
geringem Maße, sind also unerlässlich und die Erarbeitung selbiger erfordert eine hohe Vorbereitungszeit.
Eine interessante und anspruchsvolle Alternative in Bezug auf die Regeln stellt die Überprüfung
des gesamten Spielsystems, neben den Regeln gehören hierzu auch die Spielfiguren u.ä., auf Lücken oder Fehler dar. Somit sind die Schüler nicht mehr nur Spieler sondern werden auch selbst
zu Spielentwicklern. Grundsätzlich lassen sich Schüler auf zwei Arten in die Regelerstellung einbeziehen: Einerseits durch eingebaute Sollbruchstellen und andererseits durch direkte Einforderung von Regelkritik. Sollbruchstellen sind vom Lehrer willentlich eingebaute Spielsystemfehler.
Solche Fehler dürfen aber kein regelinternes Logikprobleme sein, sondern sie müssen problemorientiert sein und die Schülerinnen und Schülern zum Nachdenken anregen. Denkbar wäre z.B.
in einem politischen Entscheidungsspiel einigen Gruppe mehr Stimmen einzuräumen. Dies
könnte das reale Problem des Lobbyismus darstellen, welches die Schüler beim Spielen selbst
entdecken können. Auch hier sollte bedacht werden, dass nicht immer eingeplant werden kann,
wann genau Schüler auf die Sollbruchstelle aufmerksam werden. Beim Einsatz von Sollbruchstellen sollte aufgrund der Einarbeitungsverzögerung in das Spiel bedacht werden, dass diese Bruchstellen nicht so zahlreich sind, dass sie den Rest des Lernspiels überdecken. Des weiteren sollte
Kritik an dem Spiel immer offen gefordert und gehandhabt werden, denn in einem gewissen Sinne sind die Schüler ja auch immer Spieletester und können als aktiv Handelnde Regeln und Ablauf kompetent einschätzen. Zudem fördert dieses die Anerkennung der Methode von Schülerseite.
Die Gefahr eines relativ offenen Lernspiels liegt in der Möglichkeit, dass sich durch die Dynamik
des Spiels und in gewissen Maße unbeobachtet vom Lehrer Probleme ergeben, mit denen man im
Voraus nicht gerechnet hat. Dieses kann natürlich in jeder Unterrichtsstunde passieren, aber gerade wenn alle oder zumindest viele Schüler gleichzeitig handeln, ist es nicht immer leicht, den
Überblick zu bewahren. Daher ist nach Beendigung der Spielphase eine Spontanphase sehr wichtig, in denen Schüler ihre Beobachtungen frei äußern können. Hat man die Probleme identifiziert,
sollte auf keinen Fall versucht werden, die inhaltlich akuten Probleme der Schüler der Methode
zu opfern. Will man diese Problem aber spielintern aufgreifen, so benötigt die fällige Ein- oder
Alles nur Spielerei?
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Anpassung in das Spiel allerdings Zeit, die im Unterricht nur selten zur Verfügung steht. Der
Lehrperson bleiben somit realistisch gesehen nur zwei Auswege: Sie muss das Spiel unterbrechen
und spontan auf andere Art und Weise das Problem didaktisch fassen oder sie muss das Problem
benennen und auf die spätere Bearbeitung hinweisen. Hilfreich ist der Hinweis an die Schüler,
dass es sich um ein Spiel handelt und notwendigerweise Dinge vereinfacht werden müssen, denn
trotz begeisterter Teilnahme wissen die Schüler natürlich, dass sie nur spielen.
Zuletzt soll darauf hingewiesen werden, dass Regeln getestet werden müssen. An dieser Stelle
kommt erfahrenen Spielleitern und –entwicklern ihre häufige Beschäftigung mit den Thema zugute und sie können viele Dinge schon vordenken. Unerfahrene Lehrpersonen sollten sich
Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder suchen und mit diesen einige Runden spielen. Die
Spieler sollten aufgefordert werden, auch ungewöhnlich zu spielen, damit auch Extremszenarios
und die Tauglichkeit des Spiels hinsichtlich solcher ausprobiert werden können. Professionelle
Spieleentwickler investieren fast genauso viel Zeit in die Tests wie in die eigentliche Konzeptionierung, denn nur so kann die Durchführbarkeit und Balance des Spiels gesichert werden, denn
die Spieler handeln im Spiel eigenständig nach ihren eigenen Vorstellungen. Auf möglichst viele,
zumindest aber einige, dieser Handlungsalternativen vorbereitet zu sein, erleichtert die Umsetzung erheblich.
3.4 Altersangemessenheit
Aus der Piagetschen Sichtweise lässt sich das Laienwissen bestätigen, dass Spielen in verschiedenen Altersstufen verschiedene Funktionen erfüllt. Spielen übt aber ebenso auf Kinder in verschieden Altersstufen verschiedene Reize aus. Bei der Betrachtung des Spielreizes kommt unweigerlich die Motivationslage der Schüler ins sprichwörtliche Spiel.
Bislang wurde so argumentiert, dass ein gutes Lernspiel auf Schülerseite eine hohe Motivation
sowohl vor und während als auch nach dem Spiel erzeugen kann. Die emotionale Beteiligung und
die Handlungsorientierung bindet die Schüler ganzheitlich in den Lernprozess ein und erzeugt
auf der kognitiven Ebene einen fruchtbaren Boden für die Aufnahme der Lerninhalte. Die Betonung liegt an dieser Stelle sicherlich auf dem Begriff gutes Lernspiel. Eine packende Idee, konsistente Regeln und die später behandelten Spielelemente Spaß, Spannung und Wetteifern gehören
sicherlich dazu, aber auch die Altersangemessenheit des Spiels. Die Altersangemessenheit macht
sich auf den gerade genannten verschiedenen Ebenen bemerkbar: Eine packende Idee für eine
Klasse 6 ist nicht unbedingt eine packende Idee für die Stufe 12, denn während z.B. bei den jüngeren Schülern atmosphärische Fantasiereisen einen passenden Rahmen bzw. Setting für das
Spiel geben, können solche für Oberstufenschüler schnell lächerlich wirken. Ähnliches lässt sich
für die Regeln sagen, denn diese können oder sollten sogar mit fortschreitendem Alter selbst für
gleiche Themen abstrakter und anspruchsvoller werden, damit sie der höheren Ebene des Spira lcurriculums gerecht werden. Die didaktische Reduktion, die sich ja quasi in den Regeln wiederfinden lässt, folgt ja in den verschiedenen Alterstufen auch anderen Maßstäben.
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Auch die generelle Lust am Spielen ändert sich mit dem Älterwerden. „Die Lust am Spiel, die
Spontaneität und Ansprechbarkeit durch Spielsituationen kann man bei den meisten Kindern bis
zur Klasse 6 oder 7 voraussetzen.“39 Diese Lust ist auch immer eine Lust am Selbst-Handeln und
Selbst-Erleben, die aber mit dem Eintritt in die Pubertät zunehmend (ver)schwindet. Dies hat zur
Konsequenz, dass Spiele in den jüngeren Jahrgangsstufen relativ leicht eingesetzt werden können,
da die Hemmschwelle des Sich-Einlassens nicht hoch ist. In den mittleren und oberen Jahrgängen muss vielleicht erst langsam das Eis gebrochen werden, damit nicht eine Antihaltung entsteht,
die den Erfolg des Lernspiels, der ja zu einem großen Teil von den Schülern abhängt, gefährdet.
Als großer Vorteil von Lernspielen wurde die emotionale Beteiligung der Schüler identifiziert, die
den Lernerfolg festigen und gegenüber normalen Methoden sogar verbessern. Der Spaß, den Spiele mit sich bringen, kann aber die emotionale Beteiligung so stark werden lassen, dass sie ausufern
kann. Kinder sind Spezialisten im Spielen und sehen diese Handlung nicht nur als Methode sondern eben auch als Spiel. Im Kinderspiel ist ein wichtiger Faktor die Spannung und das Wetteifern. Spannung baut sich über die Ungewissheit des Ausgangs auf und erzeugt eine starke emotionale Beteiligung. Hier kann es passieren, dass der Spannungsdruck zu groß wird und die Emotionen so stark werden, dass das Spiel außer Kontrolle gerät. Dasselbe gilt natürlich auch für das
Wetteifern, das selbst bei eigentlich kooperativen Spielen schnell in den Vordergrund rücken
kann. Vor allem besteht die Gefahr bei jüngeren Schülergruppen, die gerne gewinnen und das
Spiel auch noch persönlich ernster nehmen als die älteren Schüler.
4 Das historisch-simulative Lernspiel
„Ja, ja, der Kinder unschuldige Spiele!“
- Kalle Blomquist, S. 147, 1969. -
Die bisher erörterten Grundlagen bieten für die Umsetzung von Spielen einen immer noch sehr
weiten Rahmen, in dem konkrete Lernspiele entwickelt werden können. Spielumsetzungen sind
daher sowohl thematisch als auch binnen-methodisch sehr differenziert denkbar und das vorige
Kapitel bietet zwar einen Leitfaden für die Spielentwicklung, wurde aber bisher noch nicht mit
Inhalt gefüllt. Dieses geschieht im Folgenden ausführlich anhand zweier Beispiele für die Sekundarstufe I und II.
Den in diesem Kapitel vorgestellten Lernspielen liegt ein gemeinsames Grundgerüst zugrunde,
das als historisch-simulatives Rollenspiel bezeichnet werden soll. Hintergrund dieser Umsetzung
ist meine langjährige Erfahrung mit der Entwicklung und Durchführung von nicht-didaktischen
Rollen- und Simulationsspielen im Freundeskreis. Rollenspiele40 haben die Eigena rt, dass sie in
39
40
L. Scholz, Spielen-Lernen, S. 179.
Die nicht-didaktischen Rollenspiele gehen im Freiheitsgrad viel weiter als didaktisch e Rollenspiele, denn der Rollenspieler hat (fast) völlige Kontrolle über die Handlungen seiner Spielfigur.
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ihrem Ausgang sehr offen sind. Während sich der Spielleiter eine Situation überlegt, in der die
Spieler ihre Spielfiguren wiederfinden, können die Spieler selbst ihre Spielfiguren in der Spielwelt
nach den dort geltenden Regeln frei handeln lassen. Dies erfordert vom einem guten Spielleiter
ohne Zweifel ein gewisses Maß an Spontaneität, Auffassungsgabe, Flexibilität und Kreativität.
Die Vorstellung der beiden Lernspiele geschieht in einem ersten Schritt über die Beschreibung
des Settings, des Kernelements des historisch-simulativen Lernspiels. Danach folgt die Vorstellung des eigentlichen Spiels in klassischer Brettspiel-Manier über eine Spielanleitung mit Spielregeln und nicht als exakte Planung einer Unterrichtsreihe. Dies deshalb, da die Spiele einen relativ
offenen und nicht strikt festgelegten Unterricht ermöglichen und da das Augenmerk des Konzepts ja auf der Methode und nicht auf einer Einheit liegt.
4.1 Das Setting
Ein entscheidender Grundstein des historisch-simulativen Lernspiels ist die Wahl und die Ausgestaltung eines Spiel-Settings. Ein Spiel-Setting gibt die örtliche und zeitliche Umgebung des
Spiels vor und kontextualisiert somit die Spielhandlungen der Schüler. An dieser Stelle lässt sich
kaum die Bandbreite von Settings von Spielen aufzeigen, grundsätzlich können sich Spiele aber
vor konkreten Hintergründen abspielen, wie z.B. Axis & Allies,41 das den militärischen Verlauf
des 2. Weltkriegs sehr genau abbildet oder aber vor sehr abstrakten, wie bei Blokus,42 bei dem
lediglich geometrische Formen aneinander gelegt werden müssen. Für die Entwicklung von Lernspielen sind beide Arten denkbar, das Spielen vor konkreten Hintergründen wird hier aber vor
allem für den Politikunterricht favorisiert. Denn die Verortung des Handelns ist für das kindliche
Spiel unentbehrlich und auch für den Lernerfolg ist die Nachvollziehbarkeit an tatsächlichen Gegenständen oder Begebenheiten entscheidend. Auch Entwicklungen in der jüngeren Brettspielgeschichte zeigen, dass Erfinder ihr Spielprinzip in historische Settings einpassen bzw. um diese
ihre Spielidee herum anlegen. 43 Auch wenn das Spielprinzip an sich den eigentlichen Anreiz des
Spiels ausmacht, so fördert die Verortung in ein Setting die Atmosphäre und die Anschaulichkeit.
Für das Spiel in der Schule und für dessen Lernerfolg bedeutet dies, dass der Lernstoff lebendig
wird, denn der eigentliche kategoriale Lerninhalt ist in seinem Kern abstrakt und daher für die
meisten Schüler ohne eine Veranschaulichung nur schwer fassbar und häufig uninteressant.
Auch fachdidaktisch lässt sich diese Entscheidung für ein Setting begründen, denn zum einen
spielen sich soziale Entwicklungen und Prozesse immer vor spezifischen historisch-sozialen Hintergründen ab und sind von diesen in der Regel in ihrer Einmaligkeit nicht zu trennen. Zum anderen stellt sich für Schüler so der Bezug zu einer, wenn auch vereinfachten, Realität dar, in der
sie die Motive und Handlungen der ursprünglich handelnden Subjekte in ihrem eigenen Handeln
wieder finden können. Dieses Nacherleben erhöht die Einsicht in Entwicklungen, Entscheidungen und Notwendigkeiten des menschlichen Handelns.
NN, Axis & Allies, Avalon Hill, ASIN: B00028X3HW 2004.
NN, Blokus, Sekkoia , ASIN: B0006443GC, 2003.
43 Spiele wie Allhambra, Avalon, Bali, Tical u.v.m. beziehen sich konkret auf historische Lokalitäten.
41
42
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Für die Lernspiele werden hier also konkrete historische Settings gewählt, in die die Schüler eintauchen können und die ihre Spielhandlungen in Beziehung zur Realität setzen. Für das Lernspiel
der Sekundarstufe I, Mittelaltermarkt, wird als Setting die Zeitreise der Schüler in ein frühmittelalterliches Dorf gewählt, in dem Waren zu Beginn der Unterrichtsreihe durch einfachen Tausch
gehandelt werden. Für das Lernspiel in der Sekundarstufe II, Weltwirtschaftskrise, wird ein Setting
einer gereiften kapitalistischen Gesellschaft gewählt, die kurz vor einer deflationären (Weltwirtschafts-)Krise steht.
An diesen Settings kann sicherlich kritisiert werden, dass sie die Realität stark vereinfachen und
Schülern einen vielleicht zu simplen geschichtlichen Eindruck vermitteln. Dieser Einwand ist
einerseits korrekt, aber im Bereich exemplarischen Lernens gilt es vor allem die grundlegenden
didaktisch reduzierten Merkmale heraus zu arbeiten. Zudem ist den Schülern bewusst, ansonsten
muss es ihnen bewusst gemacht werden, dass es sich um ein Lernspiel handelt, und Dinge notwendigerweise vereinfacht werden müssen. Durch das Einbeziehen normaler Schulbuchtexte über
die tatsächliche historische Entwicklung kann die Progression innerhalb des Spiel-Settings überdies realistisch ausgerichtet werden.
Es lässt sich konstatieren, dass Lernspiele in den Sozialwissenschaften ohne ein Setting quasi
nicht auskommen können. Das Setting muss allerdings so gewählt werden, dass es einen in sich
schlüssigen Handlungsrahmen vorgibt, der aber auch kategoriale Erkenntnisse ermöglicht. Unter
diesen Prämissen eröffnet es Schülern eine fiktive Lernumgebung, die den Lernerfolg maßgeblich
steigern kann.
Mit der Settingwahl ist auch die Themenwahl eng verknüpft und für den Erfolg eines Spiels entscheidend. Die Bandbreite von Spielen reicht von quasi regellosem, aber nur schwer planbarem
Rollenspiel bis hin zu regelstriktem, aber sehr gut planbarem Abarbeitungsspiel. Gerade mit dem
Thema Geld lassen sich diese beiden Extreme so verbinden, dass Schüler auf der einen Seite sehr
frei handeln können, auf der anderen Seite mit dem leicht rechenbaren und überschaubaren Medium Geld eine gute Ergebnissicherung möglich ist.
Das Thema Geld kann in der Jahrgangsstufe 6 unter dem Problemfeld „Wirtschaft und Arbeit“44
verankert werden und erhält durch die Rahmenvorgaben zur Ökonomischen Bildung einen noch
prominenteren Stellenwert.45 Denkbar ist in diesem Setting auch die fächerübergreifende Umsetzung eines mittelalterlichem Markttages, wie es in den Vorgaben vorgeschlagen wird.46 Für die
Sekundarstufe II ist Geld Lerninhalt sowohl der 11 im Bereich Wirtschaft, aber vor allem in der
12 in unterschiedlichen Inhaltsfelder aus dem Bereich Wirtschaft. Die Verortung des später vorgestellten Lernspiels kann vor allem in das Feld Wirtschaftspolitik fallen.47 Das Lernspiel Weltwirtschaftskrise soll sich jedoch nicht nur auf die Deflation beschränken, sondern bietet über die
RVG Politische Bildung, S. 21.
Vgl. v.a. RVG Ökonomische Bildung, S.56.
46 Vgl. RVG Ökonomische Bildung, S. 51. In den Rahmenvorgaben ist dieses Projekt zwar für die Realschule in den
Klassen 7 und 8 vorgesehen, aber eine Realisierung ist natürlich im Gymnasium denkbar. Für die Zeit nach dem
Examen ist die Umsetzung eines fächerübergreifenden Markttages am Hüffertgymnasium angedacht.
47 Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Sozialwissenschaften, S. 23f.
44
45
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rein monetären Aspekte des Geldes die Möglichkeit auch Nachbarbereiche des Themas Geld
sinnvoll einzubinden.
4.2 Mittelaltermarkt – Ein Lernspiel für die Sekundarstufe I
In der Jahrgangsstufe 6 ist das Thema Geld sowohl in der Rahmenvorgabe als auch im schuleigenen Curriculum des Hüffertgymnasiums vorgesehen. In gängigen Schulbüchern48 werden besondere Schwerpunkte auf die Entstehung und historische Entwicklung des Geldes, die Funktionen
des Geldes und das heutige Geld gelegt. Im Mittelpunkt dieser Themenbereiche lassen sich drei
entscheidende kategoriale Erkenntnisse ansiedeln:
1. Geld ist von Menschen gemacht.
2. Geld ist Tauschmittel, Rechnmittel und Wertaufbewahrungsmittel.
3. Geld kann andere Form als Münze oder Schein besitzen.
Für Schüler ist eine Welt ohne Geld nur schwer oder überhaupt nicht mehr vorstellbar: Von klein
auf lernen sie zu wirtschaften, besitzen eigenes Geld und treffen eigene Kauf- und Sparentscheidungen. Nimmt man die didaktische Prämisse ernst, die Schüler dort abzuholen, wo sie stehen,
dann ist es kaum möglich, auf rein kognitiver Ebene zu vermitteln, wie eine Welt ohne Geld aussehen könnte, denn bei den Schülern liegen keine Erfahrungen diesbezüglich vor. Daher lässt
sich für sie auch nur schwer nachvollziehen, wie Geld entstehen konnte oder musste, damit sich
Gesellschaften wirtschaftlich weiter entwickeln konnten. Auch wenn diese Entwicklung historisch gesehen nicht unbedingt linear stringent ablief, es also auch Rückschritte in der Geldentwicklung gab, so lässt sich doch eine Entwicklung, wie sie der westlich-modernen Entwicklung ja
allgemein innewohnt, hin zur Abstraktion feststellen – quasi vom Pottwalzahngeld zum elektronischen Geld.
Durch ein Lernspiel lassen sich diese für die Schüler nicht mehr erlebbaren Entwicklungen jedoch einfangen. Die Grundfrage, die sich daher stellt ist: Wie sieht eine Welt ohne Geld aus und
wie werden dort die wichtigen Geldfunktionen (Tauschmittel, Recheneinheit, Wertaufbewahrungsmittel) kompensiert. Die Grundidee, die sich hinter dem Lernspiel verbirgt, begründet sich
auf der lebensweltlichen wichtigsten Funktion des Geldes für Kinder, etwas zu kaufen bzw. zu
erwerben. Das Setting ist so angelegt, dass die Schüler auf dem frühmittelalterlichen Markt diese
Möglichkeit eben gerade nicht haben. Dort können zwar Waren erworben werden, allerdings
noch ohne Geld, über direkten Tauschhandel. Durch die Darstellung und Simulation des Marktes
und die durch die Spielvorgaben geschaffenen Probleme sollen die Schüler erkennen, dass direkter Tausch, um es einmal volkswirtschaftlich zu formulieren, hohe Transaktionskosten mit sich
bringt. Aus ihrer eigenen (Spiel)Erfahrung in einer Welt ohne Geld wird ihnen ersichtlich, dass
die Einführung von Geld sinnvoll ist und sie erkennen, dass Geldtausch besser funktioniert als
direkter Warentausch. Durch diese erste Einsicht werden die Schüler als Geldexperten gegenüber
48
Franz-Josef Floren u.a., Politik - Ein Arbeitsbuch für den Politikunterricht, Paderborn 2002.
Wolfgang Mattes, Team 1 – Arbeitsbuch für den Politikunterricht, Paderborn 2002.
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20
den Dorfbewohnern installiert. Die Lehrperson kann durch die Übernahme der Rolle eines
Dorfbewohners so immer wieder für die Schüler motivierend Probleme auftauchen lassen, die die
Schüler als Berater lösen können. Die Einführung von Geld ist der erste Rat, den die Schüler den
Dorfbewohnern geben können. Die weiteren Lernziele der Unterrichtsreihe können so immer
wieder passend eingebaut werden.
Spielanleitung für Mittelaltermarkt
Die Beschreibung des Spiels erfolgt anhand eines relativ kurzen, an Brettspielen orientierten Erklärungstexts.
Grundidee
Die Schüler werden durch eine Fantasiereise in ein mittelalterliches Setting versetzt und werden
dort, weil sie zuerst einmal keinen Weg zurück finden, auf verschiedene Familien aufgeteilt. Als
Aufgabe erhalten sie, den wöchentlichen Marktstand für die jeweilige Familie zu übernehmen.
Dazu gehört der Verkauf der von der Familie hergestellten Waren und die Besorgung der Waren,
die auf einem Einkaufszettel notiert sind.
Setting
Das Setting des mittelalterlichen Dorfes kann unterschiedlich stark mit Leben gefüllt werden. Es
kann lediglich dazu genutzt werden, um den Schülern die Vorstellung eine Welt ohne Geld nahe
zu bringen. Es kann aber auch mit mehr Leben gefüllt werden, indem die Schüler einen Namen
für das Dorf finden oder über die Organisation eines Marktes zur damaligen Zeit recherchieren.
Die Entscheidung für die eine oder Alternative sollte je nach der zur Verfügung stehenden Zeit
getroffen werden.
Spielleiter
Für das Spiel wird ein Spielleiter benötigt. Der Spielleiter stellt das Spielmaterial bereit, organisiert
die Gruppeneinteilung, erklärt die Regeln, bringt neue Probleme in das Setting und übernimmt
Rollen aus der Dorfbevölkerung. Dem Spielleiter fällt eine entscheidende Rolle als Organisator
und Moderator zu, er sollte den Spielern möglichst viel Handlungs-Spielraum lassen. Für den
Lernprozess muss der Spielleiter geeignete Sicherungen ermöglichen.
Spieler
Für das Spiel werden Gruppen von drei oder vier Spielern benötigt, die den jeweiligen Familien
zugeordnet werden. Die einzelnen Gruppen sollen räumlich an ihrem Markstand zusammen sitzen.
Spielmaterial
Das Material besteht aus einem Basis-Set und Erweiterungen, die sich aber durch das eigentliche
Spiel ergeben. Das Anfangsmaterial besteht aus den Marktstandkarten, den jeweiligen hergestellten Waren und mehreren Versionen von Einkaufszetteln. Mit den Einkaufszetteln kann die Problem-Situation auf dem Markt entscheidend gesteuert werden.
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Zusatzmaterial kann im weiteren Verlauf durch die Schüler oder den Lehrer eingeführt werden.
Das kann z.B. das von den Schülern in das Dorf eingeführte Naturalgeld oder das von ihnen
eingeführte Münzgeld sein, aber auch Anschauungsmaterial der im Dorf produzierten Waren.49
Ablauf
Der Ablauf des Spiels ist einfach. Die Schüler werden von ihren Familien auf den Markt geschickt und sollen dort die eigenen Waren verkaufen und die auf dem Einkaufszettel notierten
Waren ertauschen. Sie finden sich dazu in ihren Familiengruppen zusammen und bauen ihren
Marktstand auf. Für das Tauschen und Handeln steht in der Regel nur eine bestimmte, vom
Spielleiter zu kontrollierende Zeit zur Verfügung, denn jeder Markttag ist ja irgendwann zu Ende.
Dies ist die konkrete Ebene des Spiels.
Auf der methodisch-didaktischen Ebene soll durch das Spielen ein Problem erkennbar oder gelöst werden, welches durch die spezifische Gestaltung des jeweiligen Markttages (Einkaufszettel,
Art und Anzahl Tauschmittel usw.) im Spiel angelegt wird.
Progression
Während der Unterrichtsreihe ist in dem Spiel ist eine Progression angelegt. Während der eigentliche Spielablauf gleich bleibt, ändert sich das Setting im Dorf, denn die Welt wird durch die
Neuerungen der Schüler komplexer. Eine solche Progression mit Angabe des im Spiel angelegten
Problems wird hier beispielhaft vorgestellt:
1. Die Tauschhandel ohne Geld
Problem: Waren können nicht direkt ertauscht werden, sondern können nur über Umwege erworben werden. Dies dauert lange und schafft sogar Unzufriedenheit bei den Familien, wenn die geforderten Waren nicht erstanden werden können.
2. Tauschhandel mit Naturalgeld ohne Festlegung von Warenwerten
Die Warenwerte sind schon beim Tauschhandel nicht festgelegt. Diese Sollbruchstelle
sorgt schnell für ein Problembewusstsein der Schüler und sie erkennen, dass die Einführung von Geld alleine der Dorfbevölkerung nicht hilft.
3. Die Einführung von Münzgeld
Münzgeld erfüllt spezifische Anforderungen von Geld besser als Naturalgeld. Je nach
Wahl des Naturalgeldes kann dessen Nachteil zum Problem werden (z.B. die Entdeckung
einer geheimen Vorratsquelle von Naturalgeld). Der Schritt zur Münzprägung ist getan und
die Schüler entdecken selbstständig die Notwendigkeit einer dörflichen Zentralbank.
4. Ist eine Welt voller Geld der Himmel auf Erden? - Inflation
Die Dorfbevölkerung beschließt ohne die Schüler das Prägen von viel Münzgeld, denn sie
argumentieren, dass so ja schließlich alle reich werden. Die Schüler werden mit einem
Einkaufszettel losgeschickt, der fordert, alles zu kaufen, was man bekommen kann, da
49
Dies ist vor allem bei einer Umsetzung als klassenübergreifendes Projekt des mittelalterlichem Marktes sehr stimmungsvoll.
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man nun reich ist. Die Warenwerte steigen durch die erhöhte Nachfrage und das Geld
verliert seinen Wert.
Ziel des Spiels
Es gibt in diesem Spiel keine Gewinner und Verlierer, denn die Gruppen sollen kooperativ der
Dorfbevölkerung bei der Verbesserung ihres Marktes helfen. Als Abschluss könnte ein gelungener Markttag stehen, bei dem rückblickend die Neuerungen und deren Effekte reflektiert werden.
4.3 Evaluation vom Mittelaltermarkt
Dieses Spiel wurde insgesamt in zwei sechsten Klassen als zentrale Lernmethode in der Unterrichtsreihe Geld benutzt. Dabei konnten wichtige Ergebnisse durch die Schüler und die Lehrperson evaluiert werden.
Die Schüler empfanden die Methode als spannend und motivierend und führen ihre hohe Beteiligung während der gesamten Unterrichtsreihe auf das Marktspiel zurück. Dabei sehen sie die
Funktion des Spiels als Simulation von Tauschgeschäften anhand derer wichtige Probleme und
Entwicklung von Geld klar gemacht werden können. Besonderen Anreiz bot ihnen neben der
freieren Sozialform aber auch das Setting des mittelalterlichen Dorfes. Zum einen durch dessen
Anschaulichkeit als auch durch die Rollenkonstellation, die die Schüler als Geldexperten gegenüber der Dorfbevölkerung auswies. Dies forderte einen verantwortungsvollen Umgang der Schüler hinsichtlich ihrer Rolle, sodass sie bei anstehenden Entscheidungen über die Einführung von
Naturalgeld oder Münzgeld ernsthaft diskutierten, um für ihr Dorf die beste Entscheidung zu treffen. Sie übernahmen insofern auch weitergehende Verantwortung, als dass sie sich Gedanken
über die gerechte Verteilung des neuen Geldes oder die Kontrolle bei der Herstellung des Geldes
eigenständig als Problem erkannten. So konnte je nach Interessenslage auf wichtige, aber auch
nicht unbedingt geplante Inhalte eingegangen werden. Dabei stand letzten Endes nicht mehr nur
das Marktspiel im Mittelpunkt, sondern die Schüler spielten ihre Rolle in der Welt sehr authentisch.
Kritisiert wurde von Schülern, dass Einzelheiten des Spiels unrealistisch oder unlogisch seien, so
wurde z.B. angemerkt, dass auf den Einkaufszetteln nur ein Ei stand und für eine Familie nicht
mehrere eingekauft werden sollten. An diesem Punkt wird gewissermaßen die Gratwanderung
erkennbar, auf der man sich mit diesem Spiel begibt. Auf der einen Seite sollen sich die Schüler in
das Setting einfinden, aber es muss auch so reduziert sein, dass die interne Logik der Regeln und
des gewünschten Spielablaufs nicht aus der Balance geraten. Zu viele solcher Unstimmigkeiten
sollen daher vermieden werden oder gleich verbessert werden, damit die Methode den Schülern
nicht verleidet wird.
An diesem Punkt setzt auch die eigene kritische Betrachtung an und es stellt sich die Frage, inwieweit eine Trennung von Damals und Heute plausibel durch gehalten werden kann. Zuerst
einmal konnte durch die Evaluation der Schüler wichtige Bedeutung des Settings bestätigt werden. Im Einzelnen war es aber teilweise nicht leicht, den Bezug dazu gerade in wichtigen Lernsituationen aufrecht zu erhalten. So verwischten z.B. bei der Bestimmung von Warenwerten die
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Ebenen zwischen Damals und Heute, denn den Schülern sind die Werte moderner Waren geläufiger. So benutzten die Schüler bei ihren Erläuterungen Beispiele aus ihrer Lebenswelt und bewegten sich damit aber wiederum außerhalb des Settings. Diese Diskrepanz könnte behoben
werden, indem man das Setting verstärkt und genauer auf mittelalterliche Lebens- und Produktionsweisen eingeht und sich somit die Schüler noch stärker in das Setting hinein finden können.
Dieser Ansatz würde vor allem im fächerübergreifenden Unterricht mit Geschichte sinnvoll sein,
ansonsten nimmt diese Settingvertiefung viel Zeit in Anspruch. Wenn das Setting allerdings verlassen wird und dabei gute und griffige Beispiele aufgezeigt werden, dann mag dieses zwar spielintern ärgerlich sein, aber dem Lernerfolg ist es ja eher zu- als abträglich.
Das historisch-simulative Lernspiel erzeugt zwar eine hohe Schülerbeteiligung, aber in manchen
Fällen kam es vor, dass in den Spielphasen die gewöhnlich aktiveren Schüler auch hier aktiver
handelten. Durch die spontane Unübersichtlichkeit im Spiel und das hektische Markttreiben übernahmen sie das Kommando in ihrer Gruppe und bestimmten so deren Vorgehen. Schüleraktivierung und Handlungsorientierung soll jedoch bedeuten, dass sich möglichst viele Schüler am Geschehen beteiligen und nicht nur ein bestimmter Teil. Beim zweiten Einsatz des Spiels wurde
dieses insoweit beachtet, als dass die Gruppen verkleinert und gezielter eingeteilt wurden. Für
weitere Einsätze sind aber auch Spezialaufträge für bestimmte Gruppen denkbar, wie z.B. besonders viel Gewinn zu machen oder gefälschtes Geld zu benutzen.
Die Methode kam weiterhin in verschiedenen Unterrichtsphasen zum Einsatz. Sie diente als Einstieg, auch wenn dieser sicherlich länger dauert als die üblichen fünf Minuten. In der Erarbeitungsphase wurden konkrete, von den Schülern selbst entwickelte Beobachtungsaufgaben gelöst. Auch
als Präsentation eignet sich diese Form, denn die Schüler haben theoretisch erarbeitetes Wissen in
ein Rollenspiel auf dem Mittelaltermarkt inszeniert. Diese universelle Einsetzbarkeit ist besonders
vorteilhaft, da Probleme und Erkenntnisse auf einen bestimmten Rahmen bezogen werden, der
den Schülern bekannt ist und Spaß macht.
Die genannten Punkte können lediglich einen Ausschnitt der vielen Beobachtungen geben. Sie
geben aber gute Beispiele für die zentralen Potenziale – positive als auch negative - des Spiels.
Den Schülern macht das Spiel Spaß und zusammen mit der Einbettung in das Setting erzeugt
dies eine emotionale Nähe zur jeweiligen Spielsituation, die sich unweigerlich positiv auf die
Lernatmosphäre und Lernbeteiligung überträgt. Bei der Ausgestaltung des Settings muss man
hinreichend anschaulich werden, darf es aber auch nicht übertreiben und muss im Zweifelsfall
darauf hinweisen, dass es sich um ein Spiel handelt, welches die Realität vereinfachen muss. Es
ergeben sich aufgrund der offenen Sozialform Gefahren, die stillere und weniger aktive Schüler
benachteiligen. Mit ein wenig Erfahrung lassen sich dafür aber fruchtbare Lösungen finden. Solange der Lernertrag jeder einzelnen Stunde und der gesamten Reihe im Vordergrund steht und
der Mittelaltermarkt sinnvoll einbezogen wird, handelt es sich um eine Methode, die schüleraktivierend, handlungsorientiert und im besten Sinne des Wortes freiheitlich ist. Dies führt dazu, dass
die Schüler eine Welt ohne Geld und deren Nachteile selbst handelnd erleben - eine Erfahrung,
die sie anhand von Texten oder den meisten anderen Methoden so nicht gemacht hätten. Sie
sehen daraus erwachsend die Vorteile einer Geldwirtschaft und erkennen, dass eine solche aktiv
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gestaltet ist und werden muss. Wenn sie selbst erleben, wie ihr Geld durch eigentlich nachvollziehbares Handeln inflationär bedingt seinen Wert verliert, dann kann vielleicht zu Recht gesagt
werden, dass sie diese Erfahrung und das dazugehörige Wissen nicht vergessen werden. Dass
solche niveauvollen Lernziele in einer sechsten Klasse erreicht werden können, liegt zu einem
Großteil an der lernspielerischen Methode, die Kopf, Herz und Hand einbezieht und den Lerninhalt somit intensiviert und tiefer vera nkert.
4.4 Weltwirtschaftskrise – Ein Lernspiel für die Sekundarstufe II
In der Oberstufe erweitert sich das Spektrum des Politikunterrichts konkret auf die drei Bezugswissenschaften Politik, Soziologie und Volkswirtschaft. Innerhalb des Bereichs Wirtschaft gilt
Geld das Medium des gesellschaftlichen Subsystems Wirtschaft und ist leicht in andere gesellschaftliche Subsysteme übertragbar ist. Dadurch fällt ihm zwangsläufig eine zentrale Position in
den Lehrplänen der Sekundarstufe II zu. Während in der Unter- und Mittelstufe vor allem die
Beziehung der Schüler zu Geld den entscheidenden Fokus steht, so rückt dorthin verstärkt seine
Aufgabe als wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungs- und Messgröße. Im Mittelpunkt dieses Themenbereichs sollen sich folgende kategoriale Erkenntnisse ergeben:
1. Geld besitzt gesellschaftliche Ordnungs- und Messfunktion.
2. Die am Wirtschaftsprozess Beteiligten können eine grundlegende Krise auslösen.
3. Ein Wirtschaftssystem kann in eine grundsätzliche Krise geraten.
Bei den Lernzielen handelt es sich nicht nur um geldrelevante Bereiche, sondern um allgemein
wirtschaftsrelevante Bereiche. Gerade darin steckt aber die Stärke von Spielen, dass sie in der
Lage sind, die Interdependenz und den Prozesscharakter von sozialwissenschaftlichen Phänomenen darstellen zu können. Im Vergleich zu Mittelaltermarkt muss bei Weltwirtschaftskrise schon
aufgrund dieser thematisch breiteren Fächerung ein weitaus komplexeres Lernspiel entstehen.50
Die deutsche Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit wurde wie kaum eine andere der Welt von der
Angst einer Inflation oder Deflation beeinflusst. Die Krisen-Erfahrungen von 1923 und 1930
und die sich u.a. daraus ergebenden politischen Nachwirkungen hin zum Nationalsozialismus
gaben der Geldwertstabilität in Deutschland einen fast heiligen Status, der sich bis in die Ausgestaltung des Europäischen Währungssystems fortsetzte. Ohne das Wissen um die einschneidenden
Folgen dieser Krisen lassen sich viele Entscheidungen in der deutschen und europäischen Geldpolitik nicht nachvollziehen. Auf der anderen Seite können diese auch nicht kritisch hinterfragt
werden, wenn nicht ihre Ursprünge und deren Wiederholungschancen abgewägt werden können.
Durch das Lernspiel sollen die Schüler in die Lage versetzt werden, durch ihr eigenes Handeln
die Entwicklung hin zur und den schweren und langen Weg in der Deflation zu erleben. Dabei
sollen sie erkennen, dass bei ökonomisch-rationalem Handeln aller Beteiligten und wirtschaftlicher Prosperität eine Aufblähung der Volkswirtschaft entstehen kann, die in ihr extremes Gegen-
50
Wenn Mittelaltermarkt den Schwierigkeitsgrad von Mühle besitzt, so besitzt Weltwirtschaftskrise im Vergleich dazu
den von Schach.
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teil umschlagen und in einer sich selbst verstärkenden Deflationsspirale münden kann. Die historischen Ideen zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise können dann in dem Setting getestet
werden. Dies erfordert aber eine grundlegende Änderung zu Mittelaltermarkt, denn der
Spielstand muss dafür abgespeichert werden können. Dazu werden die Werte der Rollen ganz
einfach notiert, sodass ein Rückgriff auf vorherige Spielstände möglich ist. Diese Funktion muss
das Spiel besitzen, ansonsten besteht die Gefahr, dass man in der Progression in einer Sackgasse
landet und die eigentliche gewünschte Überwindung der Wirtschaftskrise durch das Handeln der
Schüler nicht gelingt.
Spielanleitung
Die Beschreibung des Spiels erfolgt anhand eines relativ kurzen, an Brettspielen orientierten Erklärungstexts.
Grundidee
Die Schüler übernehmen zu Beginn die Rollen des Staates, der Haushalte, der Banken und der
Unternehmen im Setting einer reifen kapitalistischen Wirtschaft. Die Börse ist zu Beginn das
Barometer für die Gesundheit der Wirtschaft und die Arbeitslosenzahl zeigt eine hohe Beschäftigung an . Durch Überproduktion und sinkende Nachfrage entsteht eine Deflation, die in eine
globale Wirtschaftskrise mündet.
Setting
Das Setting stellt eine gereifte kapitalistische Wirtschaft eines einzelnen Landes dar. Dieses wird
Schritt für Schritt um interne und externe Komponenten erweitert. Solche Komponenten sind
eine Zentralbank und weitere Staaten.
Spielleiter
Für das Spiel wird ein Spielleiter benötigt. Der Spielleiter stellt das Spielmaterial bereit, organisiert
die Gruppeneinteilung, erklärt die Regeln, bringt neue Ereignisse in das Setting. Dem Spielleiter
fällt eine entscheidende Rolle als Organisator und Moderator zu, er sollte den Spielern möglichst
viel Handlungs-Spielraum lassen. Er ist dafür verantwortlich, dass die Speicherstände ordentlich
notiert werden.
Spieler
Je nach Kursstärke muss die Gruppengröße flexibel gehalten werden. Gruppen mit mehr als vier
Mitgliedern machen wenig Sinn, Gruppenstärken von zwei sind aufgrund der Spielprogression
nicht möglich. Je nach Kursstärke können auch zwei oder drei Spiele gleichzeitig eröffnet werden. In einem ersten Schritt werden die Schüler auf die Gruppen Haushalte, Unternehmen, Staat
und Banken aufgeteilt. Danach werden zwei weitere Gruppen, Ausland und Zentralbank, eingeführt. Dafür müssen Spieler Gruppen verlassen und sich in diesen Gruppen neu zusammen finden.
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Die Wirtschaftssubjekte sind jeweils durch eine Beziehung von einander abhängig. Banken und
Haushalte z.B. durch Einlagen und Kredite, Haushalte und Staat durch Steuern. Diese bedingen
sich also wechselseitig und eine Entscheidung des einen Akteurs wirkt sich direkt auf andere aus.
Spielmaterial
Das Spielmaterial besteht aus Namenskarten für die einzelnen Gruppen. Jede Gruppe erhält zudem eine Vermögensauflistung in Geldeinheiten, die sich je nach Gruppe unterscheidet. Auf dieser Vermögensliste sind z.B. bei den Haushalten Aktien, Bankeinlagen und Immobilien aufgelistet. Die Entwicklung selbiger ist verflochten mit den anderen Akteuren über Abhängigkeiten wie
Kredite oder Arbeitsplätze. Als Gradmesser der Gesundheit der Wirtschaft dienen für alle sichtbar der Börsenindex. und die Arbeitslosenzahlen.
Ablauf
Das Spiel beginnt in einem für alle Akteure positivem wirtschaftlichen Klima in welches ein Börsencrash als externes Ereignis eintritt. Aus ihrer Rollenperspektiven sollen dann die Beteiligten
darauf reagieren, was zur Folge hat, dass sich die Lage verschlimmert.
Das Spiel findet in Runden statt, in denen die einzelnen Gruppen aufgrund ihrer internen Informationen, der externen Informationen und ihren Interessen Entscheidungen hinsichtlich ihrer
monetären Einflussgrößen treffen. In der Auswertungsphase bekommen die anderen Gruppen
die vom Spielleiter ausgewerteten Ergebnisse mitgeteilt und so wie der Börsenindex und die Arbeitslosenzahl werden auch die internen Gruppenwerte angepasst.
Progression
Während der Unterrichtsreihe ist in dem Spiel ist eine Progression angelegt. Während der eigentliche Spielablauf gleich bleibt, ändert sich das Setting. Eine solche Progression mit Angabe des im
Spiel angelegten Problems wird hier beispielhaft vorgestellt. Einige Punkte können durch Ausprobieren mehrerer Theorien mehrfach gespielt werden, auch ist die Reihenfolge der direkten
Folgen des Crashs variabel bzw. es läuft aufgrund der Rundenzüge parallel ab.
1. Außen hui, Innen pfui - Börsencrash
Problem: Die Aktienkurse fallen schlagartig. Die nach Außen guten wirtschaftlichen Werte sind nach Innen übertrieben, sodass Unternehmen und Haushalte viel Kapital verlieren.
2. So schnell kann´s gehen - Massenentlassungen
Problem: Der Unternehmenswertverlust, die Überproduktion und die vollen Lager führen
zu Entlassungen., was wiederum die Haushalte in Finanzprobleme bringt. Die Deflationsspirale ist in Gang gesetzt.
3. Der Staat in Bedrängnis
Problem: Der Staat bekommt durch sinkende Steuern massive Einnahmeprobleme. Seine
Ausgaben können nicht mehr finanziert werden. Werden nun die Steuern erhöht?
4. Sind sinkende Preise nicht was Tolles? - Deflation
Problem: Sowohl die Einkaufspreise der Unternehmen als auch die Verbraucherpreise
sinke. Trotzdem steigt die Nachfrage nicht.
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5. Wirtschaft am Ende - Und was nun?
Problem: Es scheint keinen Ausweg aus der Deflationsspirale zu geben. Die einzelnen
Gruppen oder alle zusammen können sich Lösungsmöglichkeiten überlegen.
Ziel des Spiels
Die Wirtschaftskrise soll durch das Handeln der Rollenspieler überwunden werden. Gleichzeitig
sollen die Aktionen mit den tatsächlich historischen Begebenheiten verglichen und auf ihre Aussagefähigkeit hin überprüft werden.
4.5 Vorüberlegungen zu Weltwirtschaftskrise
Aufgrund organisatorischer, inhaltlicher und zeitlicher Probleme konnte dieses Spiel nicht im
Unterricht eingesetzt werden. Dies stellt insofern ein Problem dar, als dass Weltwirtschaftskrise
weitaus komplexer und komplizierter ist als Mittelaltermarkt und daher wäre für diese Methode
eine Evaluation sehr fruchtbar gewesen. Aus diesem offensichtlichen Mängel kann aber insofern
ein Vorzug gemacht werden, indem Vorüberlegungen vollzogen werden, denn die Spielentwicklung nimmt ja einen sehr wichtigen Stellenwert beim Einsatz von selbst entwickelten Lernspielen
ein. Auch wenn man bei der Beobachtung des Spiels offen sein soll, um die Sicht auf unterschiedliche Probleme nicht von vorne herein zu blocken, so macht es doch Sinn, sich vorher
mögliche Schwächen oder Stärken des Spiels zu überlegen. Grundlegend wäre dabei, die Methode nicht sofort über eine Doppelstunde einzusetzen, sondern den ersten Schritt des Kennenlernens der eigenen Rolle und des Einlebens in das Setting als relativ kurze Einführung zu gestalten.
Einfache Probleme könnten so schnell beseitigt werden.
Alles in allem ist bei einem Lernspiel für die Oberstufe davon auszugehen, dass die Schüler ihr
Handeln eher durchdenken als die jüngeren Kinder. Man kann also weniger darauf bauen, dass
sie intuitiv unüberlegt handeln und die Herdentrieb-Handlungen begehen, die vielleicht noch von
den jüngeren begangen werden und die dann wiederum den Masseneffekt zeitigen, der das eigentliche lernrelevante Problem ist. In der Spielsituation der zu Beginn boomenden Wirtschaft
hat im historisch-realen Setting ein Großteil der Haushalte als homo oeconomicus versucht ihre
Gewinne zu maximieren, indem sie den vorhandenen Aktienboom nutzen und Immobilien, auch
auf Kredit, erwerben . Eine Gefahr der spielerisch-simulativen Umsetzung besteht darin, dass
Schüler diese Handlung in der Haushalt-Rolle nicht machen, weil sie Aktien als risikovolle Anlagemöglichkeit ansehen. Eine vorstellbare Lösung wäre, ihnen ein Bündel Aktien und ein kreditfinanziertes Haus von Spielbeginn an mitzugeben, was allerdings die Freiheit und Nachvollziehbarkeit des Situation beschränkt. Sollten die Schüler Aktien – und nach dem Börsencrash Ende
der 90er Jahre wäre das nicht verwunderlich – skeptisch gegenüber stehen, dann könnte dies zudem zu einer Nicht-Identifikation mit der zugedachten Rolle führen und die Akzeptanz der Methode belasten. Eine Vorgabe im Stil von Rollenkarten oder die Definition eines WohlstandMaximierungs-Ziels kann die Handlungen der Schüler in die gewünschte Richtung lenken und so
die Stimmung vor der Weltwirtschaftskrise einfangen. Eine Erarbeitung der Rollen-Interessen
und Rollen-Ziele durch die Schüler selbst verstärkt die Rollenidentifikation. Beim realen Einsatz
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im Unterricht ist der Einstieg in das Spiel entscheidend, durch eine darauf folgende gemeinsame
Reflexion mit den Schülern sollte eine gangbare Lösung gefunden werden können.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, den Prozess der Deflation in seiner Wucht realistisch zu
simulieren und an passenden Stellen Wirtschaftstheorien so in den Unterricht einzubinden, dass
eine Überwindung der Deflation geschafft werden kann. Der Börsencrash tritt als externes Ereignis im Setting ein und wird Aktionen der Schüler nach sich ziehen, die die gesamte Wirtschaft
noch stärker in die Deflationsspirale zieht.
Im Ganzen betrachtet kristallisiert sich in dem Lernspiel Weltwirtschaftskrise, wie weit man mit
Lernspielen allgemein im Unterricht gehen kann. Die komplexe Spielstruktur mit den verschiedenen, in ihren Funktionen unterschiedlichen Spielfiguren ist weitaus diffiziler als das recht einfache Spiel für die sechste Klasse. Auch geht demzufolge die Gruppendifferenzierung weiter, denn
während bei Mittelaltermarkt noch alle die gleichen Erlebnisse machen, unterscheiden sich hier
die Handlungsmöglichkeiten und dadurch auch die Erfahrungen im Spiel. Dieses stellt aber eine
altersgemäße Anforderung an die Schüler der Sekundarstufe II, die aus den Einzelerfahrungen
gemeinsam eine Setting-Realität erstellen können und Probleme und deren Lösungen erarbeiten
können bzw. testen können. Entscheidend wird die spielerisch stringente Umsetzung sein, in der
realistische Probleme auftauchen müssen. Auch wenn das Spiel so im Unterricht nicht getestet
werden konnte, so bestehen gute Chancen, dass es diese Probleme erzeugen und abbilden kann.
Gelingt dieses, dass tauchen die Schüler in eine Welt ein und es treten die positiven Folgen auf,
wie auch beim Mittelaltermarkt.
5 Spiele im Unterricht – Die Allheilmethode?
„Durch spielerisches Experimentieren kamen vermutlich ebenso viele Durchblicke zustande wie durch planmäßiges
Abarbeiten vorgegebener Programme.“
- Werner Winkler, Probleme schnell und einfach lösen, S. 170 -
Schaut man sich den Unterricht in den Gymnasien heutzutage an, so kann sich hinsichtlich einer
Diskussion über eine Modernisierung von Schule schnell Ernüchterung breit machen. Ein Beispiel ist das Lernen mit Kopf, Herz und Hand, das in der Primarstufe als Idee des ganzheitlichen
Lernens das Leitprinzip der Didaktik geworden ist. Diese Idee wird am Gymnasium bestenfalls
als Grundschulpädagogik akzeptiert. In weiten Teilen herrscht an der weiterführenden Schule noch
ein Unterrichtsmodell vor bei dem der Lehrer den Schülern Wege und Verfahren der Erkenntnis
- und nicht selten auch diese selbst - im Vorlesungsstil vorstellt.51 Einen Beobachter kann das
Gefühl beschleichen, dass Schüler in ihrer Fähigkeit eigenständig und selbst verantwortlich zu
arbeiten am Ende ihrer Grundschulzeit weiter sind, als nach den ersten Monaten am Gymnasi-
51
Vgl. Baumert, J./ Lehmann, R u.a.: TIMMS – Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht im internationalen
Vergleich: deskriptive Befunde. Opladen 1997.
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um. Hoffentlich handelt es sich bei diesen ersten Worten der Schlussbetrachtung um eine skeptische Übertreibung, denn Vieles hat sich in der Schule getan hin zu einem modernen Haus des
Lernens.
Das hier entwickelte Konzept hat sich als erstes und allgemeinstes Ziel gesetzt, Lernspiele als
Methode für einen modernen Unterrichts zu positionieren. Das Ausgangsargument war, dass das,
was für Kinder und Menschen gut und richtig ist, auch in der Schule gut und richtig sein muss.
Als eine solch grundsätzlich positiv zu bewertende menschliche Handlung wurde das Spiel identifiziert, sowohl in seinen individuellen als auch in seinen sozialen Funktionen. Das kindliche Spiel
besitzt ein ungeheures, auch empirisch nachgewiesenes Motivations- und Kreativitätspotenzial,
weil es interessant und aktivierend ist. Schüler- und Handlungsorientierung sind so stark mit der
Methode Lernspiel verwoben, dass es nahezu sträflich wäre, es nicht im Unterricht einzusetzen.
Zudem bestätigen Lerntheorien, dass das kindliche Spiel, und in den Ausführungen wurde dargelegt, dass selbiges auch für Lernspiele gesagt werden kann, Lerninhalte transportiert und gut
transportiert. Vorsicht ist allerdings geboten, denn nicht alle Themen lassen sich spielerisch vermitteln und beim Einsatz von Methoden gilt: "Die Mischung macht´s."52
Gerade in den Fächern Politik und Sozialwissenschaften mag die Forderung nach mehr Lernspielen verwunderlich klingen, besitzt diese Fach doch eine Tradition in der Lernspiele vor allem
hinsichtlich der fachdidaktischen Prinzipien Schüler- und Handlungsorientierung eine prominente Stellung einnehmen. Wie nur wenig andere Fächer bezieht sich die politische Bildung in der
Schule auf die lebensweltlichen Ansichten und Handlungen der Schüler. Nimmt Schule ihren
Auftrag als Schutzraum ernst, so muss den Schülern Gelegenheit gegeben werden, diese sowie
auch fremde in der Schule zu artikulieren. Genau hier bieten Lernspiele die Möglichkeit in einem
Schonraum ohne Angst vor Sanktionen zu handeln. In der Regel bieten die gängigen Lernspiele
allerdings keine so offene Lernumgebung, wie sie in diesem Konzept als historisch-simulatives
Rollenspiel entwickelt wurde. Zudem sind die Spielsysteme53 häufig stark reglementiert, sodass
Schüler zwar, aber nur stark reglementiert, handeln. Dies mag sinnvoll sein, wenn eine spezielle
Konstellation, wie z.B. ein Vermittlungsausschuss, simuliert wird. Wie das Mittelaltermarktspiel,
und erst recht das Wirtschaftskrisenspiel zeigt, kann der Handlungsrahmen im Spiel noch stark
erhöht werden. Alles in allem gibt es, wie in diesem Konzept dargelegt wurde, ein Reservoir für
offenere Lernspiele, die die Lern- und Lehrformen des sozialwissenschaftlichen Unterrichts
verbessern können.
Die Entwicklung von Lernspielen sollte sicherlich nicht zu einer Voraussetzung für Politiklehrer
gemacht werden, denn persönliche Neigungen und Fähigkeiten machen einen großen Teil bei der
Entwicklung aus. Trotzdem bietet der aufgestellte Leitfaden ein Grundgerüst für die Erstellung
eigener Lernspiele, wobei beachtet werden muss, dass Schritt für Schritt Erfahrungen gesammelt
werden müssen.
Vgl. H. Meyer, Kriterien guten Unterrichtens, S. 85. Er benennt als 6. Kriterium für guten Unterricht Methodenvielfalt.
53 Vgl. Hans-Werner Kuhn / Markus Gloe, Die Pro-Contra-Debatte in: Methodentraining für den Politikunterricht,
S. 145f.
52
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Die selbst entwickelten Lernspiele sollten in ihrem Handlungsrahmen möglichst offen, aber
trotzdem in ein historisches Setting eingepasst sein, welches die gesamte Reihe als Konkretionsebene für die Schüler durchzieht. Vor allem für die Sekundarstufe I kann das Lernspiel als Erfolg
gewertet werden, die bisher in der Evaluation benannten Probleme konnten alle durch Änderungen an den Regeln, am Setting oder der Organisation zumindest bis auf ein akzeptables Maß reduziert werden. Die positive Rückmeldung der Schüler sowie die guten Lernerfolge bestätigen die
Auswirkungen von Lernspielen auf den Lernertrag. Auch das Lernspiel für die Sekundarstufe II
bietet ein sehr interessantes und vor allem relevantes Setting, das den Schülern ein schwerwiegendes und motivierendes Problem bietet. Aufgrund der fehlenden Durchführungsmöglichkeit
musste die Evaluation ausbleiben, die großen Potenziale des Spiels für die Erschließung des
Themenbereiches sind aber erkennbar.
Aufgrund dieses positiven Fazits könnten man in Versuchung geraten, Spiele als Allheilmethode
in die schulische Praxis zu übernehmen. Wie aber schon gesagt wurde, kommt es im Unterricht
auf eine Methodenmischung an, denn auch die dauernde Aneinanderreihung von prinzipiell
Spannendem erzeugt Langeweile. Auch Spiele allein schaffen noch keine Verbesserung von Unterricht, denn ein zentrales Element wie bei allem Unterrichten ist, ob es gelingt, den Lerninhalt
schülergerecht, d.h. für diese interessant und relevant, zu strukturieren. Diese Überlegung muss
auch weiterhin im Vordergrund der didaktischen Vorbereitung stehen. Es lohnt sich aber, und
das zeigt dieses Konzept, das eigene Methodenrepertoire in den Bereich Lernspiel zu erweitern.
Damit erhält man ein didaktisches Heilmittel an die Hand, dass dosiert eingesetzt, wirksam Langeweile, Schülerpassivität und kognitive Einseitigkeit des Unterrichts bekämpft.
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6 Literaturverzeichnis
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Reinhardt, Sibylle : Handlungsorientierung, in: Sander. Wolfgang (Hrsg.): Handbuch politische
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Scholz, Lothar: Spielerisch Politik lernen. Schwalbach/Ts. 2003.

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