Das geheimnisvolle Leben der "Großen Achatschnecke"

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Das geheimnisvolle Leben der "Großen Achatschnecke"
Ausbildungsseminar Verden - April 2000
Unterrichtsentwurf
Fach: Sachunterricht
Datum: April 2000
Zeit: 9.55 Uhr bis 10.40 Uhr
Klasse: 4b (11 Mädchen, 13 Jungen)
Thema der Unterrichtseinheit:
Wir halten und beobachten Schnecken im Klassenzimmer.
Thema der Unterrichtsstunde:
Das geheimnisvolle Leben der „Großen Achatschnecke“ Schülerversuche und Beobachtungen zum Fortbewegungsverhalten
Stellung der Stunde innerhalb der Unterrichtseinheit:
1. Sequenz: Einheimische Schnecken als Lebewesen unserer näheren Umgebung
1.1 Vorerfahrungen und -kenntnisse der Kinder sammeln, Einrichtung eines Terrariums (1
Std.)
1.2 Unterrichtsgang: Einheimische Schnecken in ihrer natürlichen Lebenswelt aufsuchen,
beobachten und zur Haltung und Pflege in den Klassenraum mitbringen (2 Std.)
1.3 Der Körperbau der Schnecke (1 Std.)
2. Sequenz: Das geheimnisvolle Leben der „Großen Achatschnecke“
2.1 Klärung spezieller Lebensbedürfnisse der „Großen Achatschnecke“ (1 Std.)
2.2 Schülerversuche und Beobachtungen
• zur Sinneswahrnehmung: (2 Std.)
- Lichtsinn
- Geruchssinn
- Hörsinn
- Tastsinn
• zum Fortbewegungsverhalten (2 Std.)
3. Sequenz: Abschluss der Unterrichtseinheit
3.1 Einladung einer Parallelklasse in das 4b-Schnecken-Forschungsinstitut: Präsentation der
Versuche zum Fortbewegungsverhalten (1 Std.)
3.2 Schneckenfrühstück (1 Std.)
1 Analyse der Planungs- und Entscheidungsgrundlagen
1.1 Zur Situation der Lerngruppe und der Lernausgangslage
Seit dem 1. Februar 1999 erteile ich in der damaligen Klasse 3b und heutigen Klasse 4b
eigenverantwortlich Sachunterricht. Im vierten Schuljahr hat sich die Anzahl der
Wochenstunden von drei auf vier erhöht.
Die Klasse setzt sich aus 11 Mädchen und 13 Jungen im Alter von 9 - 11 Jahren zusammen.
Innerhalb der Klassengemeinschaft besteht eine hohe Sensibilität hinsichtlich des sozialen
Miteinanders, die sich ausgesprochen positiv auf die Unterrichtsatmosphäre auswirkt. Das
Verhalten der Schülerinnen und Schüler gegenüber Lehrkräften ist freundlich und
aufgeschlossen.
Mit den verschiedenen Sozialformen sowie einer Vielzahl von Unterrichtsformen (z.B.
Lehrer-/Schülerversuche, gelenktes Unterrichtsgespräch, Plan- und Karteiarbeit,
Stationenlernen, Lernbuffet) sind die Kinder vertraut und haben entsprechende Kompetenzen
entwickelt.
Die Jungen und Mädchen begegnen neuen Themen des Sachunterrichts aufgeschlossen und
bringen ihre Vorkenntnisse ein. Es gelingt ihnen zunehmend, den Bezug ihrer persönlichen
Erfahrungen zum Unterrichtsgegenstand herzustellen und Wichtiges von weniger Wichtigem
zu trennen.
Hinsichtlich des Verständnisses für die im Unterricht thematisierten Sachverhalte, der
inhaltlichen Erfassung von Arbeitsaufträgen und der Genauigkeit ihrer Ausführung sowie des
Arbeitstempos bestehen weiterhin erhebliche individuelle Unterschiede zwischen den
Kindern. Positiv hervorzuheben sind insbesondere I., M., M., N., Q. und T., die mit ihrem
großen Interesse, ihren umfangreichen Kenntnissen und kreativen Ideen den Unterricht tragen
und den Erkenntnisprozess der anderen voran bringen.
Freude und Interesse an Aufgabenstellungen mit starken praktischen Anteilen, wie etwa
Schülerversuchen, haben auch jene Schüler, die ansonsten eher als leistungsschwach
eingeschätzt werden müssen und starker Unterstützung bedürfen (Q., B., U. und K.).
Schriftlich und bildhaft vermittelte Arbeitsaufträge stellen diese Jungen häufig noch vor
Probleme. Sobald ihnen jedoch der Inhalt der jeweiligen Aufgabenstellung klar ist, sind sie mit
großem Engagement dabei und kommen zu zufriedenstellenden Ergebnissen.
Q., B., U. und in letzter Zeit auch N. fallen im Unterricht durch mangelnde Konzentration auf
und lassen sich leicht ablenken. Unter Umständen überträgt sich die Ruhe und Bedächtigkeit
der sprichwörtlich langsamen Schnecken auf diese Jungen.
Die Vorerfahrungen der Kinder im Umgang mit Tieren sind unterschiedlich. Viele von ihnen
haben Haustiere, wie etwa Kaninchen, Meerschweinchen oder Wellensittiche, für die sie
sorgen. Einige Mädchen haben Reitunterricht und übernehmen Pflegedienste an Pferden und
Ponies. Da die meisten Schülerinnen und Schüler der Lerngruppe in ihrer Freizeit gerne im
Freien spielen, haben sie in ihrem ländlich geprägten, direkten Erfahrungsbereich recht häufig
Gelegenheit zu Begegnungen mit frei lebenden Kleintieren, z.B. Fröschen, Igeln,
verschiedenen Vogelarten und auch Schnecken. Im Sachunterricht wurden bisher die Tiere
des Waldes und des Wattenmeeres (u.a. im Rahmen von Unterrichtsgängen), sowie das
Haushuhn behandelt. Mit zwei Exemplaren der letztgenannten Gattung fand auch eine
Realbegegnung im Klassenzimmer statt, bei der die affektive Bedeutung von Tieren für die
Kinder zum Ausdruck kam. Die Haltung und Pflege vergleichsweise weniger positiv
emotional besetzter Tierarten (wie etwa Insekten oder Weichtiere) ist ihnen jedoch fremd. Die
Einstellung gegenüber Vertretern dieser Tierstämme dürfte je nach Persönlichkeitsstruktur des
Kindes zwischen den durchaus üblichen Extremen Ekel, bzw. Geringschätzung (einschließlich
der damit verbundenen Äußerungen von Gewalt) auf der einen, sowie allzu starker
emotionaler Bindung auf der anderen Seite anzusiedeln sein. Entsprechend gängiger Klischees
sind bei einigen Mädchen der Klasse eher Abscheu oder - im Gegenteil - übertriebenes,
anthropomorphisierendes Mitgefühl zu erwarten. Ein destruktives Verhalten gegenüber den
Kreaturen, welches gemeinhin vor allem Jungen zugeschrieben wird, ist bei den männlichen
Vertretern der Lerngruppe weitgehend auszuschließen. Die ganz individuellen Haltungen gilt
es im Vorfeld zu ergründen, um einen angemessenen Umgang mit den Schnecken im
Unterricht anzubahnen (s. 2.3).
Im bisherigen Verlauf der Unterrichtseinheit sind die Lebensbedürfnisse von einheimischen
Schnecken erarbeitet worden, die sich auf jene der „Großen Achatschnecke“ übertragen
lassen. Insgesamt vier Terrarien wurden artgerecht eingerichtet und Pläne aufgestellt, um die
Tiere entsprechend zu pflegen und zu versorgen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit
an den Aufgaben der heutigen Stunde sind Kenntnisse des Körperbaus der Art sowie die
Geläufigkeit korrekter Begriffe für die äußeren Körperteile und das Wissen um deren
Funktionen. Sollten entsprechende Beobachtungen möglich sein, sind die Kinder bereits über
die Entwicklung und das Fortpflanzungsverhalten der „Großen Achatschnecke“ informiert.
1.2 Handlungsspielräume des Lehrers
Die Haltung und Pflege von Tieren ist innerhalb der Rahmenrichtlinien für den Sachunterricht
dem Lernfeld 4 „Mensch und Natur“ zugeordnet.1 Unter der Überschrift des Rahmenthemas
„Umgang mit Pflanzen und Tieren“ heißt es u.a.:
„Tiere, die in die Schule mitgebracht und evtl. über eine gewisse Zeit gehalten werden,
regen den Schüler an, vielseitige Erfahrungen mit Lebewesen von großem
Aufforderungscharakter zu machen. Sie ermöglichen den Einstieg in
naturwissenschaftlich orientierte Fragestellungen und Untersuchungen. Der Zugang
zur Natur erfolgt über das Erlebnis und wird durch Einsicht gefestigt.“2
Weitere Verweise auf die für den Sachunterricht maßgeblichen Rahmenrichtlinien erfolgen
unter 2.3. Deren Inhalte und Ziele sind zum Teil im Wortlaut in den von der Fachkonferenz
der GS erstellten „Arbeitsplan für Sachkunde“ aufgenommen worden.
Die Haltung von Tieren im Klassenzimmer unterliegt den Bestimmungen des
Tierschutzgesetzes. Paragraph 1 schreibt die Gewährung einer angemessenen, artgerechten
Pflege und Ernährung sowie eine verhaltensgerechte Unterbringung vor. Ferner sind die
Vorgaben des Bundesseuchengesetzes einzuhalten. Demzufolge ist sicherzustellen, dass im
Unterricht eingesetzte Tiere nicht Träger von Krankheiten sind, die auf Menschen übertragen
werden können. Die Tiere sollten daher aus hygienisch einwandfreien Beständen, wie sie etwa
Schulbiologiezentren anbieten, bezogen werden. Die „Großen Achatschnecken“ sowie ein
Teil der benötigten Materialien leihe ich im Schulbiologiezentrum Hannover aus. Die
Stadtbibliothek Achim stellt für den Unterricht eine Bücherkiste zusammen. Weitere
Materialien und Literatur zum Thema müssen privat beschafft oder von den Kindern
mitgebracht werden.
Die Möglichkeit der Einbeziehung zusätzlicher Raumangebote, insbesondere eines neben dem
Klassenraum gelegenen Gruppenraumes, ist den Kindern vertraut und wird von ihnen
zuverlässig genutzt. Hinsichtlich der zeitlichen Strukturen ist der Unterricht weitgehend an
den üblichen 45-Minuten-Takt gebunden. Nach Absprache ist gelegentlich allerdings auch die
Durchführung von Doppelstunden möglich.
1.3 Fachliche Vorgaben und didaktische Reduktion
Die aus den Regenwäldern Madagaskars bzw. von der Küste Ostafrikas stammende, heute in
allen tropischen Gebieten der Erde verbreitete „Große Achatschnecke“ hat sich für einen
Unterricht zum Thema „Schnecken“ als ausgesprochen geeignet erwiesen. Einheimische
Landschneckenarten, wie die häufig vorkommende Gartenbänderschnecke, die
Hainbänderschnecke
und
die
Baumschnecke
lassen
sich
für
intensive
Verhaltensbeobachtungen hingegen nur bedingt einsetzen, da sie auf kleine
Mikroklimaschwankungen mit Inaktivität reagieren. Die meisten werden erst abends oder
nach Regen aktiv.3 Die „Große Achatschnecke“ (Achatina fulica BOWDICH; s. Abb.) ist
ganzjährig aktiv und wegen ihrer Größe (in Freiheit bis 20cm) gut zu beobachten. Da sie in
den entscheidenden Merkmalen hinsichtlich des Körperbaus und des Verhaltens den
einheimischen Arten gleicht, kann sie im Unterricht exemplarisch für das Thema „Schnecken“
eingesetzt werden. Die für die geplanten Versuche zur Fortbewegung relevanten Merkmale
und Verhaltensweisen der Schnecken werden im Folgenden kurz dargestellt: Der
langgestreckte Fußteil der Gehäuseschnecken besteht aus der Kriechsohle, einem nicht
1
vgl. RRL, 1982; S. 12/13
vgl. RRL, 1982; S. 31
3
vgl. Grothe I, 1998; S. 5
2
abgesetzten Kopfteil mit Fühlern und Mundöffnung und einem sogenannten Schwanzteil. Am
Vorderende der Kriechsohle wird Schleim ausgeschieden. Auf diesem Schleim wird das Tier
durch von hinten nach vorn verlaufende, wellenförmige Muskelkontraktionen der Fußsohle
vorwärts geschoben.4 Auf diese Weise erreicht die „Große Achatschnecke“ eine
Geschwindigkeit von bis zu 8cm/min. Eine Rückwärtsbewegung ist nicht möglich. Die
Schnecke bevorzugt einen feuchten Untergrund. Ein trockener, rauer Untergrund wird durch
erhöhte Schleimabsonderung „gepolstert“ und schnellstmöglich, und zwar auf einer
Schleimspur mit möglichst kleiner Berührungsfläche verlassen. Zur Überwindung von
Unebenheiten bildet die Kriechsohle der Schnecke einen Hohlraum um Steine, Zweige o.ä.,
über die sie sich anschließend hinweg schiebt. Einer Verletzung beim Kriechen über
scharfkantige Hindernisse beugt die Schnecke durch starke Schleimabsonderung und
entsprechende Hohlraumbildungen vor. Das Kriechen auf extrem schmalem Untergrund wie
Zweigen und Gräsern ist der Schnecke durch die kräftige Muskulatur der Sohle möglich. Die
Kriechsohle umschließt den Untergrund, sodass das Tier nicht herunterfällt. Zur Überwindung
von Zwischenräumen im Untergrund streckt die Schnecke mittels starker
Längsmuskelkontraktionen den vorderen Teil ihres Körpers über die Spalte hinweg und heftet
sich mit ihrem Schleim jenseits des Zwischenraumes fest. Weitere Muskelkontraktionen
schieben den restlichen Körper nach. Die Fortbewegung auf glatten, auch senkrecht stehenden
Flächen, gelingt der Schnecke ebenfalls durch starke Schleimabsonderung. Im Sinne einer
didaktischen Reduktion wird auf eine Behandlung von Bau und Funktion der inneren Organe
verzichtet. Ökologische Aspekte werden lediglich im Hinblick auf das den Kindern bereits
bekannte Prinzip der Nahrungskette aufgegriffen, und zwar im Verlauf der ersten
Unterrichtssequenz (Vorerfahrungen und -kenntnisse der Kinder).
2 Didaktische Strukturierung
2.1 Unterrichtsziele
Grobziel der Stunde: Die Schülerinnen und Schüler sollen fachgerecht Versuche zum
Fortbewegungsverhalten der „Großen Achatschnecke“ durchführen. Von ihren
Beobachtungen und Ergebnissen sollen sie sowohl schriftlich als auch mündlich berichten.
Prozessuale Ziele im affektiven und im fachlichen Bereich:
Der Unterricht zum Thema „Schnecken“ soll einen Beitrag zum Aufbau bzw. zum Erhalt
einer emotionalen Beziehung zu Tieren leisten. Wichtige Ziele sind der Respekt vor dem oft
unbeachtet in unserer Umwelt Lebenden und die Einsicht in die Notwendigkeit, mit einem
empfindlichen Tier schonend umzugehen. Diese Intentionen stehen keineswegs im
Widerspruch zu dem langfristigen Ziel, „die Schülerinnen und Schüler von der
anthropomorphisierenden zu einer objektivierenden Betrachtungsweise zu führen.“5 Auch
sollen sie erfahren, dass bei der Beobachtung von Tieren Geduld erforderlich ist, da diese
nicht ‘auf Knopfdruck’ reagieren (im Gegensatz zum Fernsehapparat).
Das Interesse der Schülerinnen und Schüler an der Vielfalt tierischer Lebensformen soll
geweckt werden und zur weiteren, auch außerschulischen Beschäftigung mit zoologischen
Themen motivieren (s. auch 1.2).
Soziale Ziele:
Die Partnerarbeit erfordert Absprachen und kooperatives Verhalten. Von Bedeutung ist
außerdem, dass sich die Kinder auch gegenseitig zu einem sorgsamen und schonenden
Umgang mit den ihnen anvertrauten Tieren anhalten.
Fachliche Ziele:
Die Schülerinnen und Schüler sollen
4
5
vgl. Probst, W. (o.J.); S.81
vgl. Grothe II, 1998; S. 10
• die äußeren Körpermerkmale der Schnecke an einem Modell zeigen und deren Funktionen
benennen, wobei sie insbesondere auf die Ausmaße des Fußes hinweisen (2 Kinder).
• selbstständig fachgerechte Versuchsvorbereitungen treffen und entsprechende Aufbauten
bewerkstelligen.
• Versuche mit „Großen Achatschnecken“ sachgerecht und unter Schonung der Tiere
durchführen.
• durch genaues Beobachten der „Großen Achatschnecke“ Erkenntnisse bezüglich folgender
Sachverhalte gewinnen:
- Fortbewegungsgeschwindigkeit (1. Versuch; s. Anhang)
- Fortbewegung auf senkrecht stehenden Flächen (2. Versuch; s. Anhang)
- Bewegungsrichtungen (3. Versuch; s. Anhang)
- Fortbewegung bei unterschiedlichen Bodenverhältnissen (4. Versuch; s. Anhang)
- Fortbewegung auf einem extrem schmalen Untergrund (5. Versuch; s. Anhang)
- Überwindung von Hohlräumen (6. Versuch; s. Anhang)
- Überwindung von (scharfkantigen) Hindernissen (7. Versuch; s. Anhang)
• ihre Beobachtungen und Ergebnisse schriftlich festhalten.
2.2 Hypothesen zur Erwartungshaltung der Schülerinnen und Schüler
Die Schülerinnen und Schüler haben aufgrund der bisherigen Beschäftigung mit dem Thema
die Erwartung an die heutige Stunde, durch Versuche und Beobachtungen Neues über die
ihnen mittlerweile nicht mehr fremden Schnecken herauszufinden. Dabei können sie davon
ausgehen, dass sie bei ihrer Arbeit weitgehend selbstständig agieren können. Die Aussicht auf
eine Partnerarbeit wird zur Motivation beitragen. Die Möglichkeit Kenntnisse zu erwerben,
über die die Mitschülerinnen und Mitschüler aufgrund inhaltlich differenzierter
Aufgabenstellungen noch nicht verfügen, wirkt vermutlich ebenfalls motivierend.
2.3 Didaktische Entscheidungen
Astrid Kaiser bezeichnet die Schnecke als „ideales Sachunterrichtstier“. Am Beispiel der
Schnecke können Kinder das „Wunder des Lebens“ erfahren und zu einem „verantwortlichen
Umgang damit“ angeleitet werden. In Anbetracht der alltäglich erfahrbaren Geringschätzung
dieses Wunders „wird es immer wichtiger, den Kindern schon möglichst früh
Verantwortlichkeit und Achtung vor tierischem und menschlichem Leben zu vermitteln.“6
Auf den Stellenwert der Haltung und Pflege von Tieren innerhalb der Rahmenrichtlinien
wurde bereits unter 1.2 hingewiesen. Dergleichen Unterrichtsvorhaben sind in erster Linie für
die Schuljahre eins bis drei vorgesehen.7 Die damit verbundenen Ziele, nämlich die Achtung
des Eigenlebens von Tieren, der Abbau evtl. vorhandener negativer Einstellungen ihnen
gegenüber sowie die Freude an der Haltung unter Berücksichtigung des natürlichen
Lebensraumes und der natürlichen Gewohnheiten8 haben ihre Gültigkeit allerdings auch noch
im vierten Schuljahr und darüber hinaus. Für eine Unterrichtseinheit zum Thema „Schnecken“
spricht, dass insbesondere die Beobachtung lebender Schnecken auf Schülerinnen und Schüler
aller Altersstufen eine große Faszination ausübt und ihnen „auf anschauliche Weise viele
Erkenntnisse über den Tierstamm der Weichtiere erschließt.“9 Den Interessen und
Bedürfnissen meiner Lerngruppe entspricht die Thematik aufgrund der unter 1.1 dargestellten
Sachlage in besonderem Maße.
Die Versuchsplanung und -durchführung sowie das Formulieren, Überprüfen und
Protokollieren von Beobachtungen und Ergebnissen10 werden wichtige Elemente des
Unterrichts sein. Den Kindern ist ein selbsttätig-forschendes Lernen ermöglicht, da Schnecken
6
vgl. Kaiser, 1998; S. 161
vgl. RRL, 1982; S. 20/21
8
vgl. RRL, 1982; S. 64
9
vgl. Grothe II, 1998; S. 1
10
vgl. RRL, 1982; S. 82
7
vergleichsweise robust sind und kleine Experimente bei angemessenem Umgang schadlos
überstehen. Dabei muss den Schülerinnen und Schülern klar sein, dass ihre Versuche „dem
Kennenlernen des Tieres, und damit einem besseren Verständnis dieses speziellen
Mitlebewesens dienen.“11 Schnecken sind Lebewesen aus dem direkten Erfahrungsbereich der
Kinder meiner Lerngruppe. Besonders durch ihre auffällige Form sind sie den Schülerinnen
und Schülern seit ihrer frühen Kindheit bekannt. Bei aller Vertrautheit unterscheiden sich
Schnecken in ihrer Gestalt und ihren Lebensgewohnheiten in hohem Maße von allen weiteren
Tierarten aus der Umwelt der Kinder (s. 1.3). Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die
Dimension des Fortbewegungsorganes verwiesen, welches beinahe den gesamten Körper des
Tieres einnimmt. Selbst Insekten entsprechen mit deutlich unterscheidbaren Körperteilen und
Gliedmaßen wie Kopf, Leib und Beinen dem den Kindern vertrauten Bild von Tieren stärker
als Schnecken. Am Beispiel der Schnecken können Kinder folglich einen Einblick in die
fantastische Formenvielfalt der Tierwelt gewinnen. Sie erfahren in der heutigen Stunde, dass
das tierisches Leben kennzeichnende Merkmal der Fortbewegung in der Natur auf höchst
unterschiedliche, bisweilen bizarr anmutende Weise verwirklicht ist. Dabei werden sie
feststellen, dass es bezüglich der Fortbewegung von Schnecken sehr viel mehr zu entdecken
gibt als die sprichwörtliche Langsamkeit (s. 1.3).
Der Unterrichtsgegenstand bietet vielfältige Möglichkeiten einer fächerübergreifenden
Behandlung. Besonders im Bereich der ästhetischen Erziehung (Kunst, Musik, Sport) wird
nach Absprache mit den Fachlehrkräften das Thema aufgegriffen und in Form von
Schneckenbildern, -liedern und Bewegungsspielen umgesetzt. Der Frühling als Jahreszeit des
‘Wiedererwachens der Natur’ eignet sich in besonderer Weise für die Behandlung des
Themas, da sich Schnecken nun wieder allerorts zeigen. Eine ihrem Gehäuse entweichende
Schnecke steht geradezu sinnbildlich für dieses Erwachen.
2.4 Methodische Entscheidungen
Als Einstieg in meine Sachunterrichtsstunden hat sich der Schülervortrag bewährt. Auf diese
Weise wird den Mitschülerinnen und Mitschülern in „ihren“ Worten vermittelt, worum es in
der jeweiligen Stunde geht. Möglichst häufig biete ich den Kindern derlei Gelegenheiten zur
Erweiterung ihrer Kompetenzen hinsichtlich der mündlichen Darstellung von Sachverhalten.
Dabei sind sie es gewohnt, Medien wie die Tafel, den Overhead-Projektor oder Modelle
einzusetzen. In der heutigen Stunde steht die Fortbewegung der „Großen Achatschnecke“ im
Vordergrund. Eine kurze Wiederholung der in der ersten Unterrichtssequenz behandelten
Körperteile und deren Funktionen im Stuhlkreis erscheint mir auch insofern sinnvoll, als den
Schülerinnen und Schülern noch einmal deutlich werden soll, dass das Fortbewegungsorgan
fast den gesamten Schneckenkörper einnimmt. Eben diesen Sachverhalt werden zwei Kinder
mithilfe des Modells einer Weinbergschnecke, deren Körperbau sich nicht wesentlich von
dem der behandelten Spezies unterscheidet, verdeutlichen.
In der Überleitung zur Arbeitsphase werde ich darauf hinweisen, dass es in der heutigen
Stunde darum geht, herauszufinden, zu welch erstaunlichen Leistungen der überdimensioniert
wirkende Fuß die Schnecken befähigt. Diese Leistungen verknüpfe ich mit Fragestellungen,
die ich vor der Stunde auf die Tafel geschrieben habe. Nach dem Öffnen der Tafel werden die
Fragen sichtbar. Sie sind an die Fragestellungen auf den Karteikarten angelehnt.
Hinsichtlich der Darbietungsform der Arbeitsaufträge, welche die Kinder bei der Ergründung
des Fortbewegungsverhaltens anleiten sollen, habe ich mich für Karteikarten entschieden. Die
Kartei umfasst acht unterschiedliche Karten, die ich zum Teil in doppelter oder dreifacher
Ausführung selbst hergestellt habe. Abhängig ist die Anzahl der Exemplare vom jeweiligen
Materialaufwand des Versuches. Die Arbeit mit einer Kartei ist eine sinnvolle Möglichkeit,
11
vgl. Grothe II, 1998; S. 11
einen handelnden Sachunterricht umzusetzen. Eine Kartei kann - einmal erstellt - immer
wieder im Unterricht eingesetzt werden. Durch Ergänzen bzw. Entfernen von Karten können
die Arbeitsaufträge auf die jeweilige Lerngruppe abgestimmt werden. Entsprechende
Ergänzungen können auch auf Ideen der Schülerinnen und Schüler beruhen. Zu diesem Zweck
halte ich Blankokarten bereit. So sehr im Sachunterricht auch das „freie Experimentieren“
gefördert werden soll, bestehe ich bei Schülerversuchen mit Tieren und Pflanzen aus Gründen
der Verantwortung für die Lebewesen auf einer Rücksprache zwischen den Kindern und mir,
bevor sie ein eigenes Experiment beginnen. Die Vorgabe, nach erfolgter Rücksprache selbst
eine entsprechende Karteikarte zu gestalten, kommt diesem Anliegen entgegen. Eine Kartei
halte ich bei der Beschäftigung mit lebenden Tieren für angemessener als eine Organisation
der Arbeit an Stationen oder am Lernbuffet, da die Tiere auf diese Weise weniger zu
„Unterrichtsmaterialien“ degradiert werden.
Die Partnerarbeit halte ich in der Arbeitsphase für die angemessene Sozialform. Einerseits
wird sie von den Kindern selbst bevorzugt, zum anderen ist sie m.E. prädestiniert für einen
intensiven, dabei sorgsamen Umgang mit den Tieren. Die Wahl der Partnerin oder des
Partners überlasse ich den Kindern. Sie erfolgt bereits vor Beginn der Unterrichtssequenz.
Mithilfe der Aufgabenstellungen auf den Karteikarten sollen die vielfältigen Teilleistungen
des Schneckenfußes erarbeitet werden (s. auch 2.1). Dabei gilt die Erforschung dem Verhalten
der Schnecken in lebensnahen Situationen, wie sie etwa das Erklimmen senkrechter Flächen
oder die Überwindung von Hindernissen darstellen. Entsprechend ist auch das Material
beschaffen, welches nach Möglichkeit den Gegebenheiten der natürlichen Umwelt der Tiere
ähnelt (z.B. Holzklötze, Steine). Auf den Einsatz von Glasplatten kann jedoch nicht verzichtet
werden, da sie einen Blick unter die Kriechsohle im Zustand der Fortbewegung ermöglichen.
Die Überwindung spitzer, scharfkantiger Hindernisse wird an Steinen und Dornenzweigen
demonstriert, nicht, wie häufig in der Literatur vorgeschlagen, an Messern oder Rasierklingen.
Grund dafür sind durchaus zu befürchtende Emotionen der Sensationslust, der Lust zur
Tierquälerei bzw. die emotionale Nähe zu Tierversuchen.12
Jede Zweiergruppe entscheidet sich zunächst für einen Arbeitsauftrag und holt sich die
entsprechende Karteikarte sowie ein Protokollformular an den gewählten Platz. Sie füllt das
Protokoll aus, so weit es zu diesem Zeitpunkt möglich ist (Namen, Fragestellung).
Anschließend beschafft sie sich das Material von der Ablagefläche und baut den Versuch auf.
Gemeinsam werden Vermutungen angestellt. Erst dann holen sich die Partner eine Schnecke
aus dem Terrarium, mit der sie den Versuch durchführen. Beobachtungen und Ergebnisse
werden notiert und die Schnecke zurückgebracht. Das Material kommt wieder auf die
Ablagefläche.
Bei der Benennung der Aufgaben habe ich mich für Titel entschieden, die eher kind- als
artgerecht sind („Seilkriechen“, „Hinderniskriechen“). Wenngleich ich den Anspruch einer
ernsthaften Erforschung der Tiere verfolge, geht in diesem Fall Prägnanz und Weckung von
Neugier (bei den Kindern) vor wissenschaftlich präziser Formulierungskunst.
Großen Wert lege ich auf die schriftliche Dokumentation der Versuche auf den vorbereiteten
Arbeitsblättern. Die Verschriftlichung von Fragestellung und Beobachtung unterstützt m.E.
den Erkenntnisprozess. Das Notieren des Ergebnisses hält die gewonnenen Erkenntnisse fest
und ermöglicht einen späteren Rückgriff darauf.
Am Ende der Stunde möchte ich den Kindern die Gelegenheit geben, von ihren Versuchen zu
berichten. Im abschließenden Unterrichtsgespräch spanne ich den Bogen zu den an der Tafel
notierten Ausgangsfragen. Grundlage sind dabei die angefertigten Protokolle. Die Präsentation
der Versuchsergebnisse dient der Klärung von Sachverhalten, der Formulierung offen
12
vgl. Grothe II, 1998; S. 15
gebliebener Fragen und gibt Anregungen zur Weiterarbeit. Im Hinblick auf die Verlässlichkeit
der Versuchsergebnisse ist eine Wiederholung der Experimente sinnvoll und nützlich. Auch
dazu soll das Abschlussgespräch anregen.
Mit einem Ausblick auf den weiteren Unterricht die Stunde beende ich die Stunde.
2.5 Geplante Aktivitäten der Lehrkraft
Zur Vorbereitung der Einstiegsphase werde ich das Weinbergschneckenmodell bereitstellen.
Bei der Vermittlung des Körperbaus der Schnecke durch zwei Kinder werde ich lediglich
eingreifen, wenn Sachverhalte falsch oder missverständlich dargestellt werden sollten.
Während der Arbeitsphase besteht meine Aufgabe zunächst in der gezielten Unterstützung
jener Jungen, die Schwierigkeiten bei der Erfassung schriftlich formulierter Arbeitsaufträge
haben (s. 1.1). Anschließend werde ich ihnen auch bei Formulierung ihrer Vermutungen,
Beobachtungen und Ergebnisse behilflich sein. Von diesen „lästigen“ Verrichtungen möchte
ich sie aus o.g. Gründen nicht entbinden, ihnen dadurch andererseits aber auch nicht die
Freude an der Arbeit nehmen. Darüber hinaus möchte ich auch anderen Kindern bei Bedarf in
einer beratenden Funktion zur Verfügung stehen, insbesondere wenn es um die Erweiterung
und Neuformulierung von Versuchen geht (s. 2.4).
In der Abschlussphase werde ich Schüleräußerungen zusammenfassen und gezielte Impulse
geben, die das Gespräch voranbringen.
3 Geplanter Unterrichtsverlauf
Zeit
9.55 Uhr
Unterrichtsphase
Unterrichtsgeschehen
Begrüßung
Einstieg
Hinführung
Sch. zeigen die Teile des
Schneckenkörpers und heben
besonders die Ausmaße des
Fortbewegungsorganes hervor.
L. klappt Tafel mit
Fragestellungen auf, die in der
Arbeitsphase geklärt werden
sollen.
10.00 Uhr Arbeitsphase
Schülerversuche:
Sch. arbeiten selbstständig an
den auf Karteikarten
dargebotenen Arbeitsaufträgen.
L. hilft gezielt bei der Erfassung
von Versuchsanleitungen sowie
bei der Verschriftlichung von
Beobachtungen und Ergebnissen.
10.30 Uhr Abschlussphase
Sch. stellen ihre
Versuchsergebnisse vor.
L. leitet das Gespräch.
10.40 Uhr Stundenende
4 Literaturverzeichnis
Arbeits- und Sozialform
Medien und Materialien
.
.
Schülervortrag
Stehkreis
Modell der
Weinbergschnecke
Tafel
Schneckenkartei,
Partnerarbeit an
dazugehörige Materialien ,
unterschiedlichen
Protokollblätter
Arbeitsplätzen im
Klassenraum und in einem
Nebenraum
Stuhlkreis
Protokollblätter, Tafel
.
.
Brohmer, Paul: Fauna von Deutschland: ein Bestimmungsbuch unserer heimischen Tierwelt / Paul
Brohmer. - 18., neu bearb. und neu gestaltete Aufl. / von Matthias Schaefer - Heidelberg;
Wiesbaden: Quelle & Meyer, 1992
Brunz, Michael; Nottbohm, Gerd: Lebenszeichen: Beobachtungen bei Schnirkelschnecken. In:
Lebenswelt Tiere. Materialien für den Sachkundeunterricht. - Seelze: Kallmeyer’sche
Verlagsbuchhandlung, o.J.
Galliker, Susanne; Ingold, Ursula; Wassmer, Ingeborg: Schnecken. Unterrichtseinheit für den
individualisierenden Unterricht. Zürich: Verlag der Elementarlehrerinnen- und
Elementarlehrerkonferenz des Kantons Zürich, 1993
Grothe, Renate [I]: Einheimische Schnecken - Beobachtungen im Freiland und in der Schule.
Herausgegeben von der Landeshauptstadt Hannover; Schulamt / Schulbiologie-zentrum. - 3.
erweiterte Auflage - Hannover, 1998
Grothe, Renate [II]: Die „Große Achatschnecke“ - Schneckenhaltung in der Schule. Herausgegeben
von der Landeshauptstadt Hannover; Schulamt / Schulbiologiezentrum. 4. Auflage Hannover, 1998
Kaiser, Astrid: Praxisbuch handelnder Sachunterricht (Bd. 2) / von Astrid Kaiser.
Baltmannsweiler: Schneider Verl. Hohengehren, 1998
Kasper, Heide-Marie: Schnecken, Schnecken, Schnecken. Eine Mappe für projektorientierten
Sachunterricht. Martfeld: Verlag im Hollen, o.J.
Probst, Wilfried: Zirkus der Schnecken. In: Lebenswelt Tiere. Materialien für den
Sachkundeunterricht. - Seelze: Kallmeyer’sche Verlagsbuchhandlung, o.J.
Rahmenrichtlinien für die Grundschule - Sachunterricht. Herausgegeben vom Niedersächsischen
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