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FOL GE 34 2
Im Frieselfieber
L
angeweile im Alltag bekämpft man am besten mit intensiven
Renovierungsarbeiten am Eigenheim. Das weiß jeder, der schon einmal
seinen Bischofssitz in Schuss gebracht hat. Die prickelnden Details des
Hausbaus machen das Leben wieder spannend und eine gewisse
Verdrossenheit stellt sich allerhöchstens ein, weil man nicht dauernd
renovieren kann.
Dabei ist mir gerade aufgefallen, dass es einen substanziellen
Unterschied zwischen der Langeweile bei Kindern und bei Erwachsenen
gibt. Als Kind war mir früher öfter langweilig und ich lernte irgendwann, Phasen völliger
Uninspiriertheit zu ertragen, wenn nicht sogar zu genießen. Man lag dann einfach auf dem
Rücken und träumte. Wir hatten ja nichts, damals in den siebziger Jahren. Nur uns selber und
unsere Phantasie, aber keine Playstation, oder Wii oder ein Smartphone oder ein Laptop mit
Facebook. Nichts dergleichen besaßen wir. Mein Sohn ist der Ansicht, meine Kindheit müsse
die Hölle in Tüten gewesen sein, aber ich mag es bis heute, wenn um mich herum mal gar
nichts ist außer in der Sonne tanzender Staub. Ich kann mich wunderbar mit Stille abfinden,
ganz im Gegensatz zu meinem Sohn.
Für Nick ist Langeweile ein lebensgefährlicher Zustand, der um jeden Preis vermieden
werden muss. Ähnliches habe ich auch schon von anderen Eltern gehört. Das
Belohnungszentrum von zehnjährigen Jungsgehirnen muss offenbar ständig mit Reizen
befeuert werden, sonst mutieren ihre Besitzer zu streunenden Jungwölfen, die auf Krawall
gebürstet ins Büro kommen, sich auf die Couch fallen lassen und nach Unterhaltung lechzen.
Dafür stehe ich aber nicht dauernd zur Verfügung und außerdem brauche ich den Computer
zum Arbeiten. Also schleppt sich Nick wieder nach oben und wartet auf seine Mutter, damit
sie ihm drei Dutzend Vorschläge macht, die er allesamt als uncool ablehnt, um schließlich
sein Zimmer aufzuräumen, was einer Renovierung zumindest nahe kommt.
Für mich ist Langeweile etwas ganz anderes, sie kommt nicht aus mir heraus, sondern sie
wird mir sozusagen von außen aufgenötigt. Zum Beispiel in Form amerikanischer TV-Serien.
Wenn ich gerade nicht renovieren kann, weil mir das Geld ausgegangen ist, sehe ich wie die
allermeisten Deutschen Serien auf DVD an. Gerade läuft bei uns „Homeland.“ Und das ist so
grauenhaft öde, dass ich kaum weiß wohin mit mir. Ich wünsche mir sofort den guten alten
Jack Bauer aus „24“ herbei. Der würde innerhalb einer Folge sämtliche Probleme wegballern,
die weibliche Hauptfigur kollateralschädlich von einem Panzer überrollen lassen und den
maulfaulen Brody aber sowas von zum Reden bringen.
Um den Quatsch durchzustehen widme ich mich ausführlich dem so genannten Second
Screening. Ich sehe also gleichzeitig „Homeland“ und google nebenbei nach allem, was mir
einfällt. Dabei kann man eine Menge lernen. In der letzten „Homeland“-Folge lief irgendeine
Musik und ich dachte, es sei Mozart. Also googelte ich „Mozart“ und las den ellenlangen
Wikipedia-Eintrag, an dessen Ende stand, der Komponist sei dem hitzigem Frieselfieber
erlegen, was relativ lustig klingt, außer man leidet darunter. Was ein Frieselfieber ist, weiß
man nicht so genau. Einer Quelle zufolge handelte es sich dabei früher um eine Art
Verlegenheitsformulierung, wenn man nicht genau wusste, woran an ein Patient letztlich
gestorben war. Das kennt man sonst nur von der Bahn. Wäre Mozart Lokführer gewesen,
wäre er demnach an einer allgemeinen Betriebsstörung verstorben. Jedenfalls war das
stinklangweilige „Homeland“ am Ende zumindest dafür gut, dass ich jetzt weiß, woran
Wolfgang Amadeus Mozart in seinen letzten Stunden litt.
Vielleicht liegt es an meinem fortgeschrittenen Alter, aber ich finde die englische
Kostümdramaserie „Downtown Abbey“ viel spannender als „Homeland“. Mir völlig egal, ob
sie dort den blöden Oberterroristen irgendwann schnappen oder nicht. Aber die Frage, ob
Miss Pettmore die Pastete noch rechtzeitig zum Dinner fertig bekommt oder Mister Carson
schimpfen muss, die reißt mich geradezu in einen Taumel atemloser Spannung. Mir wird
ganz heiß davon. Das wird doch wohl kein Frieselfieber sein? •
21. OKTOBER 2013