Erbrecht in der Praxis
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Erbrecht in der Praxis
Erbrecht in der Praxis 01. Juni 2011 Streit innerhalb der Erbengemeinschaft Dr. Andreas Frieser Redeker Sellner Dahs, Bonn Mozartstraße 4 - 10 53115 Bonn [email protected] 1. Interessen der Beteiligten • Miterben – – – – – Erhaltung guten persönlichen Verhältnisses Wirtschaftlich sinnvolle Verwaltung des Nachlasses Zeitnahe Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft Erfüllung des Erblasserwillens Weitergabe des Ererbten an die nächste Generation • Interessen der Nachlassgläubiger – Realisierung der Forderung – Verhandeln mit einem Ansprechpartner 2 • Nachlassschuldner – – – Vermeidung der Zahlung Verzögerung der Zahlung Verhandeln mit einem Ansprechpartner 2. "Erbengemeinschaften sind immer zerstritten" • • Aufbrechen alter Konflikte „Seid Ihr Euch noch einig oder habt ihr schon geteilt?“ 3 3. Gesetzliche Grundlagen • Die Erbengemeinschaft besteht aus mehreren Erben, die auf der Grundlage gesetzlicher Erbfolge oder einer letztwilligen Verfügung berufen wurden. • Der Nachlass ist gemeinschaftliches Vermögen der Erben, § 2032 Abs. 1 BGB. • Die Miterben bilden eine Gesamthandsgemeinschaft (vgl.: GbR; Gütergemeinschaft). Jeder Miterbe kann über seine Miterbenanteile, seine ideelle Berechtigung am Gesamthandsvermögen, verfügen, aber nicht über einzelne, zum Nachlass gehörende Gegenstände und Anteile hieran, §§ 2033 Abs. 1 Satz 1, 2040 Abs. 1 BGB. 4 • Die Verwaltung des Nachlasses ist gemeinschaftliche Aufgabe der Miterben, § 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB. • Die Miterben sind einander verpflichtet, an Maßnahmen mitzuwirken, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses erforderlich sind, § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB. • Zur Erhaltung notwendige Maßnahmen kann jeder Miterbe selbst treffen, § 2038 Abs. 1 Satz 2 a.E. BGB. • Der Nachlassschuldner muss an die Erbengemeinschaft leisten, jeder Miterbe kann die Leistung an alle Miterben fordern, § 2039 Satz 1 BGB. 5 • Jeder Miterbe kann jederzeit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen, § 2042 BGB, es sei denn, es greift eine der gesetzlichen Ausnahmen ein (wichtigste: Auseinandersetzungsverbot in der letztwilligen Verfügung, § 2044 BGB). • Hat der Erblasser nichts Abweichendes verfügt, sind Vorempfänge bei gesetzlicher Erbfolge nach den Vorschriften der §§ 2050 ff. BGB auszugleichen. 6 3. Der blockierende Miterbe • Taktische Überlegungen - • Die Erbengemeinschaft ist ein "Club", dessen Mitgliedschaft man sich nicht ausgesucht hat. Die Mitgliedschaft entsteht durch "Vonselbsterwerb". Einen Clubpräsidenten gibt es nicht, es sei denn, der Erblasser hat einen solchen bestellt (Testamentsvollstrecker?!). Der "Club" sollte Aktivitäten entfalten, muss es aber nicht. Die erste "Clubsitzung" kann entscheidende Bedeutung haben. Konstruktive Vorschläge - Verwalter bestellen Grundsätze der Verwaltung festlegen Grundsätze der Auseinandersetzung besprechen 7 • Drohpotential – – – – Hinweis auf Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung, § 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB (Grenze: § 745 Abs. 3 BGB); Einsetzung eines Verwalters ist in der Regel Maßnahme der Mehrheitsverwaltung, BGH NJW 1971, 1265. Drohung mit Auseinandersetzungsklage Drohung mit Teilungsversteigerung, vgl. §§ 2042, 749 f. BGB i.V.m. §§ 180 ff. ZVG Drohung mit Schadensersatzansprüchen 8 Fall A, B und C bilden eine Erbengemeinschaft. A und B möchten eines von 10 in den Nachlass gefallenen Mietshäusern verkaufen, weil der Eigentümer des Nachbargrundstückes ein Angebot unterbreitet hat, das weit über dem Verkehrswert liegt. C ist gegen den Verkauf. Verkauf durch Mehrheitsentscheidung? Schadenersatzpflicht? Der blockierende Miterbe ist zum Ersatz des durch die zu Unrecht verweigerte Mitwirkungshandlung entstandenen Schadens verpflichtet, BGH NJW 2006, 439. 9 Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (vgl. auch NJW 2007, 150) können Verfügungen (auch) Verwaltungsmaßnahmen darstellen. Danach können einzelne Miterben gem. § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet sein, der Veräußerung eines Nachlassgegenstandes zuzustimmen, sofern diese Veräußerung zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich ist. Dieser Auffassung liegt zugrunde, dass mit "Gegenstand" im Sinne der §§ 2038 Abs. 2 Satz 1, 745 Abs. 3 Satz 1 BGB der Nachlass insgesamt und nicht der einzelne von der Verfügung betroffene Nachlassbestandteil gemeint ist. Folge: Wenn durch die Verfügung eines einzelnen Nachlassbestandteiles der Gesamtnachlass keine wesentliche Veränderung erfährt, besteht Mitwirkungspflicht. Es bleibt aber dabei: Verfügungen sind nicht aufgrund Mehrheitsbeschlusses zuzulassen (anderer Ansicht sind beträchtliche Teile der Literatur, vgl. nur Eberl-Borges NJW 2006, 1313; ErbR 2008, 234). § 2040 BGB ist lex specialis zu § 2038 Abs. 1 BGB. 10 • Drohung mit Feststellungsklage – – Im Vorfeld der Erbauseinandersetzung bzw. der Auseinandersetzungsklage ist es zulässig, einzelne Streitpunkte unter den Miterben durch Feststellungsklage zu klären (Rechtsschutzbedürfnis besteht): BGH NJW-RR 1990, 1220. Beispiele: Klage auf Feststellung, dass ein bestimmter Gegenstand, den ein Erbe als Alleineigentum für sich reklamiert, der Erbengemeinschaft gehört; Feststellung, dass bestimmte Vorwegempfänge des Erblassers auszugleichen sind, BGH FamRZ 1992, 665. 11 • Auskunftsansprüche gegen den Miterben – Grundsätzlich: Keine Auskunftsverpflichtung des einen Miterben gegenüber dem anderen (RGZ 81, 30). – Der Miterbe, der verwaltet oder sich die Verwaltung anmaßt, ist zur Auskunftserteilung verpflichtet, §§ 666, 681 BGB. 12 • Anspruch auf Beteiligung an der Fruchtziehung - Das Recht jedes Miterben auf anteiligen Fruchtgenuss kann nicht durch Mehrheitsbeschluss entzogen werden, § 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 743, 745 Abs. 3 Satz 2 BGB. - Früchte fallen zunächst in das Gesamthands-vermögen (§§ 743, 2041 BGB), sie sind aber erst bei der Auseinandersetzung auf die Miterben zu verteilen, § 2038 Abs. 2 Satz 2 BGB- Gleichwohl besteht ein Anspruch auf Zahlung des Reinertrages am Schluss jedes Jahres, wenn die Auseinandersetzung für längere Zeit als ein Jahr ausgeschlossen ist, §§ 2038 Abs. 2, 2042, 2045, 749 Abs. 2 BGB. Dies gilt auch, wenn die Auseinandersetzung sich länger als ein Jahr hinzieht, OLG Hamburg MDR 1965, 66. 13 – – Wird ein Nachlassgegenstand (typisch: Wohnhaus) nur von einem der Miterben genutzt, können die übrigen Miterben Nutzungsersatz nur verlangen, wenn dies vereinbart wurde (§ 745 Abs. 2 BGB) oder ihnen der Mitgebrauch entgegen einem ausdrücklich gestellten Verlangen verweigert wurde (BGH BB 1966, 1001; BGH WM 1993, 849). Besteht eine Vereinbarung über die Nutzung, kann diese durch Stimmenmehrheit (Erbanteile!) abgeändert oder aufgehoben werden. Notfalls: Feststellungsklage, dass die bestehende Nutzungsvereinbarung zu ändern ist § 745 Abs. 2 BGB. 14 • Auseinandersetzungsverfahren gem. §§ 363 ff. FamFG Reines Vermittlungsverfahren, das gescheitert ist, falls einer der Miterben nicht kooperiert. Geringe praktische Bedeutung. 15 4. Beitreibung von Nachlassforderungen • § 2039 BGB ermächtigt jeden Miterben alleine zur Vornahme der Forderungseinziehung (Ausnahme: Testamentsvollstreckung! - § 2212 BGB). • Unter § 2039 BGB fallen nicht nur Geldforderungen, sondern beispielsweise auch - der Anspruch auf Rückgabe der Mietsache nach Ablauf des Mietvertrages - der Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker auf Vorlage des Nachlassverzeichnisses oder auf Rechnungslegung 16 • • • Früher: Gestaltungsrechte können nur unter Mitwirkung aller Miterben durchgesetzt werden (für die Kündigung: RGZ 65, 5). Jetzt: Kündigung kann mit Erbenmehrheit beschlossen und erklärt werden, BGHZ 183, 131. Leistung an alle Miterben Der einzelne Erbe kann Zahlung nur zugunsten der Erbengemeinschaft verlangen. Eine quotale Geltendmachung scheidet aus. Auflösung der Blockademöglichkeit, die in der Verweigerung der Einrichtung eines gemeinsamen Kontos besteht, durch § 2039 Satz 2 BGB: Hinterlegung des geschuldeten Betrages beim Amtsgericht. 17 • Klage auf Leistung an die Miterben Der klagende Miterbe ist Prozessstandschafter. Ein möglicher Klageantrag lautet: Der Beklagte wird verurteilt, an die Erbengemeinschaft nach dem am 01.02.2004 verstorbenen Hans Meier, bestehend aus 1. Frau Helga Meier, 2. Frau Herta Groß, 3. Frau Hannelore Bach, 4. Herrn Hans Hubert Backes 10.000,00 € nebst 5 % p.a. Zinsen über dem Basiszins seit dem 10.12.2006 auf das Konto der Erbengemeinschaft bei der Sparkasse Bochum, Konto-Nr. 23789 zu zahlen. 18 5. • Streit über Verwaltungsmaßnahmen Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Geschäftsführung im Innenverhältnis und der Vertretung nach außen gegenüber Dritten. Unter den Begriff der "Verwaltungsmaßnahme" fallen Handlungen wie – – – – – – Reparaturen Einziehung von Forderungen Vermietung Anlage von Geldern Gestaltungserklärungen (Kündigung, Anfechtung) Veräußerungsgeschäfte. 19 • Grundsatz: Alle Miterben müssen gemeinsam handeln. Dies gilt aber nur für die sogenannten nicht ordnungsgemäßen Verwaltungsmaßnahmen. Für solche ist im Außen- wie im Innenverhältnis Einstimmigkeit erforderlich. Beispiele: – – Wechsel der Rechtsform eines Unternehmens Wiederaufbau eines völlig zerstörten Hauses 20 • Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung können mit Mehrheit der Miterben vorgenommen werden. Auch hier gilt: Laufende Verwaltung bedeutet Tätigwerden ohne wesentliche Veränderung des Nachlasses. • Mit Mehrheitsbeschluss ist die handelnde Mehrheit der Miterben mit Vertretungsmacht nach außen versehen und in der Lage, die Erbengemeinschaft wirksam zu verpflichten, BGH NJW 1971, 1266. 21 • Einzelverwaltung Maßnahmen der Notverwaltung kann jeder Miterbe mit Wirkung gegenüber den übrigen Miterben vornehmen, § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB. Maßgeblich ist eine objektive Betrachtung aus Sicht eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beobachters zur Zeit der Handlung. Beispiele: – – Drohende öffentlich-rechtliche Inanspruchnahme Unaufschiebbare Reparaturarbeiten (Dachschäden nach Sturm) 22 6. Die Ausgleichung von Vorempfängen • • Nur bei gesetzlicher Erbfolge; Ausnahme: § 2052 BGB Grundsätzlich nur bei Vorliegen eines Ausgleichungstatbestandes im Sinne des § 2050 BGB • Zuwendung im Sinne des § 2050 Abs. 3 BGB – – • Die Ausgleichungspflicht kann auch konkludent verfügt worden sein, nicht aber bei Formbedürftigkeit des Rechtsgeschäftes. Nachträgliche Ausgleichsbestimmungen sind nur durch Verfügung von Todes wegen möglich (Vermächtnis!). Ausstattungen gem. § 2050 Abs. 1 i.V.m. § 1624 BGB – – Zuwendungen zur Begründung einer Lebensstellung ("Mitgift") Beispiele: Einrichtung eines Betriebes, Zahlung der Schulden des Schwiegersohnes, Zuschuss zum Hausbau 23 • • Einkommenszuschüsse und Ausbildungsaufwendungen, § 2050 Abs. 2 BGB – Voraussetzung: Unverhältnismäßige und regelmäßige Zuschüsse zu Einkunftszwecken – Ausbildungsaufwendungen sind auszugleichen, soweit keine gesetzliche Leistungspflicht im Rahmen der Unterhaltsgewährung bestand, RGZ 114, 53. Auskunftsanspruch, § 2057 BGB 24 7. Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft • Grundsätzlich jederzeit zulässig, § 2042 BGB – Ausnahmen: • • • • – Unbestimmter Erbteil, § 2043 BGB Ausschluss der Auseinandersetzung, § 2044 BGB Die Gläubiger sind nicht ermittelt, § 2045 BGB Die Miterben haben die Auseinandersetzung durch Vereinbarung ausgeschlossen, behindert oder erschwert Beispiele für ein Auseinandersetzungsverbot in letztwilliger Verfügung (jeweils Auslegung erforderlich) • • • "Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft kann nicht von einem einzelnen Miterben, sondern nur von der Erbenmehrheit betrieben werden." "Der Nachlass soll zum dauernden Nutzen der Familienmitglieder verwaltet werden." "Mein dringender Wunsch ist es, dass mein Nachlass, insbesondere mein Haus, von meinen Erben nicht verkauft wird." 25 • Durchsetzung des Auseinandersetzungsverbotes: – – • Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO, OLG Hamburg NJW 1961, 610 Gegenargument: Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Auseinandersetzung, § 749 Abs. 2 und 3 BGB, beispielsweise bei Verfeindung der Miterben (nicht bei provozierter Uneinigkeit). Gegenständliche oder persönliche Auseinandersetzung – Die Miterben begründen eine Bruchteilsgemeinschaft an einem Grundstück → Vertrag, bei dem § 311 b BGB zu beachten ist. Die Übertragung von der Erbengemeinschaft auf die Bruchsteilsgemeinschaft erfolgt durch Auflassung und Eintragung im Grundbuch, §§ 873, 925 BGB 26 – Ausscheiden eines Miterben durch „Abschichtung“, BGH ZEV 1998, 141 (kein notarieller Vertrag erforderlich!) – Übertragung des Erbanteils von einem Miterben auf einen anderen. – Auseinandersetzungsvertrag 27 • Zunächst sind die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen, §§ 2046, 755 f. BGB • Der Überschuss ist nach dem Verhältnis der Erbteile zu verteilen, und zwar unter Berücksichtigung der gesetzlichen Ausgleichungsvorschriften • In erster Linie: Teilung in Natur 28 • Ist eine solche ausgeschlossen, Veräußerung der Nachlassgegenstände und Erlösverteilung, § 753 BGB. Bei Grundstücken: §§ 180 ff. ZVG; der Veräußerungs- bzw. Verwertungserlös tritt an die Stelle des jeweiligen Nachlassgegenstandes. • Erbauseinandersetzungsklage – Gerichtet auf Abschluss eines schuldrechtlichen Auseinandersetzungsvertrages: Zustimmung zum mit der Klage vorzulegenden Teilungsplan 29 • § 27 ZPO • Voraussetzung: Teilungsreife; kein Anspruch auf Teilauseinandersetzung 30