KRIESE/STOCK/WALTHER: NEUE DRINGLICHKEIT

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KRIESE/STOCK/WALTHER: NEUE DRINGLICHKEIT
KRIESE/STOCK/WALTHER: NEUE DRINGLICHKEIT: NEUE MÄNNLICHKEIT.
EIN DATING SEMINAR
FR 27. / SA 28. März 2015, jeweils 20:00 Uhr
ROXY | Muttenzerstrasse 6 | Postfach 836 | CH-4127 Birsfelden | [email protected] | Tel +41 / (0)61 313 60 98
ZUM STÜCK
Die männliche Geschlechterrolle zu tanzen, ist heute ein kompliziertes
Unternehmen: Einerseits wird eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen
Geschlechterrolle und das sich daraus ergebende respektvolle, zurückhaltende und
reflektierte Handeln und Sprechen erwartet. Andererseits: Nicht beim Flirten,
nicht in der Disco. In bestimmten Situationen muss das Gorilla-Kostüm wieder
ausgepackt werden, sonst landet man traurig und verlassen in der Ecke. Oder wird
uns das nur eingeredet? In einem schillernden Dating Seminar stellen Stephan Stock
und Christopher Kriese ihre Körper und ihre Geschichten zur Verfügung. Sie bringen
uns bei, unzählige Frauen systematisch zu verführen.
TEAM
Von Christopher Kriese, Stephan Stock, Miriam Walther Kohn für NEUE
DRINGLICHKEIT / Koproduktion mit Gessnerallee Zürich
NEUE DRINGLICHKEIT
Das Zürcher Kollektiv NEUE DRINGLICHKEIT, hat sich dem Versuch verschrieben, die
Rahmen „Kunst“ und „Politik“ und „Leben”, aber auch die Disziplinen-Rahmen
innerhalb der „Kunst“ aufzuweichen, zu überlagern, zu brechen. Das Kollektiv entstand 2010 als Reaktion auf die vom Schweizer Stimmvolk angenommene
„Ausschaffungsinitiative“ und die ihr vorangegangene Plakatkampagne, die
MigrantInnen als „schwarze Schafe“ und „Vergewaltiger“ kriminalisierte. Derzeit
besteht sie aus AbsolventInnen und Studierenden aus den Bereichen Theater, mediale Künste, Theorie, Physiotherapie, Filmwissenschaften, Textilingenieurwesen und
prekär beschäftigten Kulturschaffenden und AktivistInnen. Inzwischen hat sich zwar
ein fester Kern herausgebildet, aber wenn Projekte entstehen, dann durch
Teilgruppen: Menschen, die sich mit NEUE DRINGLICHKEIT verbunden fühlen und
ein gemeinsames Interesse haben, entwickeln eine Idee und führen sie aus. Sie
arbeiten für NEUE DRINGLICHKEIT. Eine Kontinuität besteht darin, dass die Projekte
antihierarchisch realisiert werden und jeder sich gleichberechtigt mit seinen
Fähigkeiten und Interessen und Lüsten einbringt. Es werden Aufgaben verteilt, aber
es gibt keine Leitung. Formen der kollektiven Autorschaft werden untersucht.
BLOG: HTTP://ND-BLOG.ORG/
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
„Als Mann - egal wie des machst, machstes verkehrt.“ lautet eine der Weisheiten,
die „Voll Assi Toni“ in seinem viralen Youtube-Video von sich gibt, während er mit
nacktem durchtrainierten Oberkörper auf einem Sofa liegt. Ihn haben wir nicht im
Kopf, wenn wir an „Neue Männlichkeit“ denken. Dennoch ist an dem Spruch etwas
dran: Die männliche Geschlechterrolle zu tanzen, ist - zumindest für immer mehr
junge Männer - ein Unternehmen, bei dem man über seine eigenen Füsse stolpert:
Einerseits wird eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechterrolle und das sich daraus ergebende respektvolle, zurückhaltende und reflektierte
Handeln und Sprechen selbstverständlich erwartet, andererseits - nicht in der
Disco, nicht beim Flirten. In bestimmten Situationen muss das Gorilla-Kostüm wieder aus der Mottenkiste geholt werden, sonst landet man traurig und verlassen in
der Ecke.
Wir betrachten dieses Feld aus zwei sehr entgegengesetzten Perspektiven: Auf den
Schultern von Michel Foucault und Judith Butler, die Sexualität als Machtsystem
beziehungsweise Geschlechterrollen als performativ begreifen. Aber auch durch ein
Eintauchen in das fragwürdige Reich der Pickup-Community, deren Mitglieder ihre
Einsichten in den Paarungstanz benutzen, um systematisch unzählige Frauen zu
verführen. In einem schillernden Seminar stellen Stephan Stock und Christopher
Kriese, ihre Körper und ihre Geschichten zur Verfügung und lassen die Geschlechter
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rollen.
HINTERGRUND ZUM STÜCK VON NEUE MÄNNLICHKEIT
Wir wollen unsere Suche nach einer neuen Männlichkeit von einem extremen Standpunkt aus beginnen. Wir widmen uns einer skurrilen Subkultur, die ihre Arbeit an der männlichen Geschlechterrolle
in so manische Weiten treibt, dass ihnen - vielleicht zurecht - aus vielen Richtungen offener Hass
entgegenschlägt. Aus anderen aber auch fanatische Begeisterung. Sie nennen sich Pickup Artists.
Vielleicht hat alles mit dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP) angefangen, einer psychologischen Methode, die vor allem auf der Arbeit des Hypnotiseurs Milton Erikson und Noam Chomskys
generativer Transformationsgrammatik basiert. Glaubt man dem, was die Erfinder der Methode der Linguist John Grinder und der Psychologe Richard Bandler - in den Mitschriften ihrer Seminare
erzählen, so müsste ein Unbeteiligter, der sie bei der Anwendung ihrer Methode beobachtet, sie für
mächtige Schamanen halten. Da es jedoch nicht gelungen ist, die Wirksamkeit der Methode empirisch nachzuweisen, gilt sie inzwischen als wissenschaftlich diskreditiert. Heutzutage hat sie eher in
Managertrainings und in Self-Help Kreisen eine Bedeutung.
In ihrem Buch „Frogs into Princess“ schreiben Bandler und Grinder, dass die Anwendungsfelder dieser Technik nahezu unbegrenzt seien und dass es die Aufgabe der nächsten Jahre wäre, verschiedenste Felder der Nutzung zu entdecken. Der NLP-Schüler Ross Jeffries fand eines. Er
veröffentlichte das E-Book: „HOW TO GET THE WOMEN YOU DESIRE INTO BED / A Down And Dirty
Guide To Dating And Seduction For The Man Whoʻs Fed Up With Being Mr. Nice Guy.“ Schon auf der
ersten Seite steht die Warnung, dass die Anwendung der hier beschriebenen, von NLP und Hypnose
inspirierten Techniken rechtliche Konsequenzen haben könnte und dass dieses Buch auf eigenes
Risiko verwendet werden soll. Das taten dann doch einige. Das E-Book, dass sich in den frühen
Neunzigerjahren rasant über das noch junge Internet verbreitete startete ein ganzes Netzwerk von
Foren und Mailinglisten, auf denen sich Männer über Verführungstechniken austauschen - auf eine
Weise, die eher nahe zu legen scheint, dass es hier darum ginge, gemeinsam ein ComputerBetriebssystem zu entwickeln. Und in gewisser Weise wird hier auch mit der Zeit ein Betriebssystem
entwickelt. Jedoch ist das Interface hier nicht ein Computer, sondern das Kommunikationsverhalten
und die soziale Dynamik von Menschen. Das heutzutage weltweit führende Unternehmen in dem
Bereich - mit einem jährlichen Umsatz von mehreren Millionen Dollar und Veranstaltungen auf der
ganzen Welt - heisst “Real Social Dynamics”.
Mitglieder der Pickup Community, die inzwischen eine unüberschaubare Fülle von Methoden und
Theorien entwickelt hat und die zu einem weltweiten Subkultur-Phänomen geworden ist, versuchen
Frauen nicht nur durch Tricks und Taktiken zu beeinflussen, sondern auch durch eine radikale Arbeit
an der eigenen Person.
Diese Idee steht im Zentrum der Arbeit des Ross Jeffries Schülers David DeAngelo. Dieser vertritt die
Auffassung, dass man zugleich „höchst ethisch und höchst erfolgreich mit Frauen“ sein kann. Innerhalb der Community wurde er mit seinem Buch „Double your Dating“ und mit seinem Konzept
von „cocky funny“ bekannt - der Idee das eine Mischung von arrogantem und humorvollem Verhalten besonders attraktiv auf Frauen wirkt. Um diese Strategie in einem Seminar zu erklären, zitiert
er zunächst aus Büchern, die erklären, welche Funktion Vorformen des Lachens bei Primaten haben
und geht ausführlich auf seine soziale Bedeutung ein. Er sagt sein Weg sei nicht “seduction“, sondern „attraction“ - es ginge nicht darum, Frauen mit billigen oder komplexen Tricks ins Bett zu kriegen, sondern darum, eine “mature masculine power” zu entwickeln, „zu der sich Frauen automatisch hingezogen fühlen“. Wenn er, um seine Vorträge zu untermauern oder um die Verkäufe von
Lern-DVDs im Internet anzutreiben, seine eigene Geschichte erzählt, tut er das auf die gleiche
Weise wie andere Pickup Gurus - es ist ein festes Muster:
An einem bestimmten Punkt war das Leid darüber, dass er keine attraktiven Frauen ansprechen
konnte und das damit verbundene drückende Gefühl der Einsamkeit so gross, dass er die Entscheidung getroffen hat, die Sache entschieden und systematisch anzugehen. Er las zahllose Bücher zu
dem Thema, aber das brachte zunächst wenig. Dann aber beobachtete er Männer, die von sich aus
erfolgreich mit Frauen waren und begann aus diesen Beobachtungen zu lernen. Es gab viele Rückschläge, aber nach und nach wurde er erfolgreicher. Irgendwann verschwand das Gefühl der
Unsicherheit und der Einsamkeit. Seine Art, sich zu geben, veränderte sich. Er begann neue Dinge
für möglich zu halten und auch andere Bereiche seines Lebens verbesserten sich, Probleme
Verschwanden und er hatte eine Erleuchtung nach der anderen. Nun will er sein Wissen mit uns
teilen.
Und jetzt steht dort jemand auf der Bühne, der, sofern man ihm glaubt, extrem erfolgreich mit
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Frauen ist und von dessen Vortrag ein hypnotischer Sog ausgeht. Er wirkt dabei zugleich sympathisch
und beängstigend. Wenn er einen kleinen Witz macht, lacht der ganze Saal. Aber ist das echt?
Stimmt seine Geschichte? Ist er wirklich an Ethik interessiert? Ist er wirklich sympathisch? Ist er
wirklich so zufrieden und erfolgreich, wie er wirkt? Oder ist das alles nur Suggestion, Manipulation
und Täuschung. Der Zweifel bleibt. Hinter seinem Lächeln ist etwas seltsam.
!!! Wir wollen einen Pickup Artist auf die Bühne stellen und an ihm unseren Kampf um eine „Neue
Männlichkeit“ abarbeiten. Wir empfinden den Rahmen eines Seminars zur Verführung der Frau als
geeignete Grundlage für unsere Reflexion, da wir glauben, dass der Grund welcher solchen „Pickup
Artists“ die Männer in Scharen zu treiben, der Verlust eines Begriffs von Männlichkeit ist, der nicht
mehr tragbar war, der aber auch durch nichts Neues ersetzt wurde.
Um der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des Feldes zu begegnen, springt die Performance
zwischen verschiedenen Ebenen hin und her:
Ähnlich wie in vielen Pickup Reden, enthält der Abend eine Schilderung des „alten“ Lebens, geprägt
von Einsamkeit, Angst vor Zurückweisung und erfolglosen Annäherungsversuchen. Darin spiegeln sich
die Erfahrungen gebildeter höflicher Männer, die Tag für Tag an der Aufgabe zerschellen ihre von
der Schule und der Familie eingeschriebenen Umgangsformen mit Frauen und das „Spiel“ der
Verführung, das Reissen des inneren „Tiers“ zusammenzubringen.!
Auf einer zweiten Ebene spricht der fiktive „Pickup Artist“ ausführlich über die von ihm entdeckten
und erfolgreich angewendeten Methoden und Prinzipien. Er spricht darüber, wie Attraktivität
funktioniert. Er spricht über Konzepte von Männlichkeit. Über die Spielregeln von sozialer Interaktion und sexueller Kommunikation. Er bringt Techniken und Methoden bei, führt Übungen mit dem
Publikum durch, beantwortet Fragen, malt Diagramme.
!!! Auf einer dritten Ebene wird das biographische Material und das Reenactment des Flirt-Meisters
kontextualisiert mit Texten aus einschlägigen Werken wie Judith Butlers “Unbehagen der
Geschlechter” und Michel Foucaults “Sexualität und Wahrheit” oder Oliver Schotts “Lob der offenen
Beziehung”.
Christopher Kriese wird während der Aufführung technisch tätig sein und zunächst wie ein Assistent
des brüchigen Dating-Lehrers Stephan Stock wirken. Dann bittet Stephan Stock ihn auf die Bühne,
um eine Technik zu demonstrieren. Bald darauf verselbständigt er sich und schiebt in den diskursiven Abend eine andere Ebene: Er tanzt minimale Männlichkeits-Tänze, singt Lieder aus Schuberts
“Winterreise” und stellt dem Einzelkämpfer einen Partner gegenüber.
KONTAKT
Produktionsleitung
Miriam Walther, [email protected]
Für Pressekarten, Produktionsbilder und weitere Informationen wenden Sie sich
bitte an Oliver Roth, Kommunikation ROXY, 061 313 60 98, [email protected]
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