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20 K U L T U R B E U T E L VER.DI PUBLIK 03 MÄRZ 2009 ANSTEHEN Evolutionär | Mit dem Finger über die Weltkarte lässt sich die fünfjährige Reise des jungen Charles Darwin von 1831 bis 1836 nachverfolgen. Umgeben ist der Kartentisch mit allerlei Getier. Bunte Falter, Fische, Krabben, Mäuse, Spinnen, Vögel, allesamt Weggefährten des Forschers, hinter Glas versteht sich. Das Naturkundemuseum in Berlin zeigt anlässlich des 200. Geburtstages Darwins neben diesen Exponaten auch Instrumente und Aufzeichnungen. Vor 150 Jahren hat er das Ergebnis seiner Reise und anschließenden Forschungen in seinem Buch „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ veröffentlicht – die Evolutionsgeschichte der Lebewesen unseres Planeten. Der Gegensatz zur kirchlichen Schöpfungsgeschichte trug ihm vielerlei Anfeindungen ein, bis in die Gegenwart. Die beeindruckende Schau unter dem Titel „Darwin – Reise der Erkenntnis“ in Berlin, ergänzt durch Vorträge, Lesungen und Filme, ist nur ein Beitrag unter vielen zum Darwinjahr 2009. Das Naturkunde-Museum in Stuttgart zeigt ab dem 1. Oktober die Ausstellung „Der Fluss des Lebens – 150 Jahre Evolutionstheorie“, zu sehen ist auch ein Nachbau des Forschungsschiffes „Beagle“. Weitere Ausstellungen zum Darwinjahr 2009: Hamburg, Frankfurt/ Main, Münster, Bonn, München und Karlsruhe. www.darwinjahr2009.de, www.darwin-jahr.de GL MUSEUM FÜR NATURKUNDE, INVALIDENSTRASSE, BERLIN, BIS 31. AUGUST 2009, DI–FR 9 UHR 30–17, SA/SO 10–18 UHR Sonic Youth etc. Sensational Fix | Kim Gordon, die Bassistin von Sonic Youth, kann Gitarre nur so spielen, wie sie sie spielt: laut und schräg. Sie hat es auch nie gelernt. Bevor sie 1981 zum ersten Mal mit ihrer Band aufgetreten ist, hatte sie Kunst in Los Angeles studiert und dann in einigen New Yorker Galerien gejobbt. Die Vermarktung der Künstler dort hat sie schließlich zur Musik getrieben, ohne jedoch jemals die Kunst aufzugeben. Und auch wenn Sonic Youth heute noch für das Lebensgefühl einer ganzen Jugend steht, gab und gibt es kaum PREISRÄTSEL Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir 10 x den Bildband Die Kraft der Würde – The Power of Dignity Was wird bei der Deutschen Bahn offenbar besonders auf- merksam kontrolliert? B Die Schülermonatskarten T Die Achsen der ICE-Waggons R Die Angestellten LESEN eine andere Band, die durchgehend den Austausch und die Kooperation mit bildenden Künstler/innen gelebt hat. Davon sprechen nicht nur die von Künstler/innen gestalteten Cover ihrer Scheiben, sondern jetzt auch eine Ausstellung in Düsseldorf, die Sonic Youth mit kuratiert und mitbespielt hat. Kim Gordon hat dort zusammen mit Jutta Koether, einer Ikone der Musik- und Kunstkritik, ein Zelt aufgestellt, in dem ein Bass, eine Gitarre, ein Schlagzeug und ein Verstärker stehen. Hier darf jede und jeder einmal die Seite wechseln – vielleicht wird ja Musik daraus. Eine Performance ganz gewiss. PEWE KUNSTHALLE DÜSSELDORF, GRABBEPLATZ 4, BIS 10. MAI, DI–SA 12–19 UHR, SO 11–18 UHR Sitting Bull und seine Welt | Als der letzte Häuptling der Lakota-Sioux um 1830 geboren wurde, war die Welt für seinen Indianerstamm noch weitgehend in Ordnung. Die Indianer lebten von der Jagd, vom Handel, meist zu Pferde und in Tipis. Doch schon Mitte des 19. Jahrhunderts, Sitting Bull ist ein junger Mann, ziehen immer mehr amerikanische Siedler in die Prärie, rotten die Bisons und damit die Lebensgrundlage der Lakota-Sioux aus. Die Kriege, die dieses größte amerikanische Siedlungsprogramm zur Folge hatte, sind uns hinlänglich aus alten und gar nicht so alten Wild-West-Filmen bekannt. Auch über Sitting Bulls weiteres Leben, das Exil in Kanada und seine Shows mit dem nicht minder sagenumwobenen Buffalo Bill, die die Indianer letztendlich zu Exoten stilisierten, während sie real ein Leben in Reservaten fristeten, ist verfilmt worden. Die Ausstellung in Bremen schlägt mit 180 Originalobjekten, Fotos, Installationen und Filmen einen Bogen von Sitting Bulls Leben bis in die Gegenwart, in der sein Volk in Armut, Arbeitslosigkeit und Ausgegrenztheit lebt. PEWE ÜBERSEE-MUSEUM BREMEN, BAHNHOFSPLATZ 13, BIS 3. MAI, DI–FR 9–18 UHR, SA/SO 10–18 UHR Arbeitnehmer... EU ...beschnüffelverbot IO ...datenschutzgesetz CH ...transparenzvermeidungsabkom- Hans Reitz (Hrsg.): The Power of Dignity – Die Kraft der Würde | Vor fast 20 Jahren änderte sich das Leben von Bina Shaha grundlegend. Bis dahin war sie bitterarm. Trotz äußerst harter Arbeit hatte die Frau aus Bangladesch nie etwas zurücklegen können. Dann bekam sie ihren ersten Kredit: 20 Euro. Dafür kaufte sie alles, was für eine kleine Juteproduktion notwendig war. Neun Jahre dauerte es, bis sie und ihre Familie die extreme Armut hinter sich gelassen hatten. Inzwischen lebt sie von einem kleinen Laden, den ihr Sohn und die Schwiegertochter betreiben und der dank eines neuen 100-Euro-Darlehens deutlich wächst. VERLAG 2008, 220 SEITEN, 39,80 € HÖREN M die Schuldenbremse F den Pumpstopp X die Ausgabenvorgabe nie vom Band? In Berlin wird aktuell heftig debattiert, ob der Burkini zugelassen wird. Was ist das für ein gefährliches Ding? Ä Ein Gebäck, an dem sich immer wieder Konsumenten die Zähne ausgebissen haben I Ein den Körper bedeckender Badeanzug, der gläubigen Musliminnen den Besuch öffentlicher Schwimmbäder in der Hauptstadt ermöglicht Y Ein hochprozentiger Cocktail, der seit den Berlinale-Partys der letzte Schrei ist L Corsar Z Kapitän D Admiral Die Beschäftigten der Abfallwirtschaft, der Aus- und Weiterbildungsbranche und der Großwäschereien können sich freuen oder zumindest aufatmen. Warum? E Sie sind von der Wirtschaftskrise überhaupt nicht betroffen Ä Für sie soll es künftig Mindestlöhne U In ihren Branchen ist die Zufrieden- heit mit den Arbeitsbedingungen besonders hoch Das, was sich die Länder da zur Haushaltssanierung ausgedacht haben, schmeckt dem ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske so gar nicht. Er ist gegen Dieser Forscher wurde vor 200 Jahren geboren, von protestantischen Fundamentalisten werden seine Erkenntnisse als Irrlehre abgetan. Zu besichtigen sind sie, künstlerisch verarbeitet, derzeit auch in der Frankfurter Schirn. L Charles Darwin G Felix Mendelssohn-Bartholdy K Nikolaus Kopernikus Die Kennbuchstaben der richtigen Lösungen ergeben, neu sortiert, einen Begriff für Menschen im Wohlstand. Viel Spaß! rum kosten sie so wenig? A Weil die Läden ja kaum Miet- oder Personalkosten verursachen N Weil die Produzentinnen in Ländern wie Indien, Bangladesch oder China einer aktuellen Studie zufolge noch weit unter dem Existenzminimum bezahlt werden S Weil die Klamotten sonst keiner kaufen würde FOTOS: ROGER RICHTER, TEXT: PETER SPIEGEL, J. KAMPHAUSEN Der Gründer der Bank, Muhammed Yunus, kommt nicht aus dem Elend. Doch als Ökonomieprofessor beklemmte es ihn, an Verhungernden vorbei zur Vorlesung zu gehen, wo er der jungen Wirtschaftselite seines Landes beibringen sollte, wie sie sich künftig bereichern könnte. Das Geldhaus, das er danach aufbaute, ist in jeder Beziehung außergewöhnlich. Wer hier zum ersten Mal einen Kredit haben will, darf über keinerlei Sicherheiten verfügen. Denn die Bankmitarbeiter haben festgestellt, dass genau solche Menschen das Geld am zuverlässigsten zurückzahlen: Sie wollen diese einmalige Chance nutzen. Tatsächlich liegt die Tilgungsquote bei 98 Prozent – so hoch wie nirgendwo sonst. Während Banken normalerweise großen Wert auf Diskretion legen, werden bei der Grameen Bank alle Kreditverträge auf dem Dorfplatz abgeschlossen. Das verhindert Korruption und schafft Vertrauen. men Bei Discountern wie Lidl oder Aldi bekommt man billige Textilien. Wa- 95 Prozent der Vertragspartner sind Frauen – die meisten von ihnen Analphabetinnen. Doch ihre Kinder gehen zur Schule, nicht wenige studieren. Darüber hinaus haben sich die Kleinkredite als bestes Mittel zur Familienplanung und Frauenförderung erwiesen, ohne dass dies anfangs geplant war. Eine andere Welt ist tatsächlich möglich – das führt dieses Buch vor Augen. ANNETTE JENSEN Die 72-jährige Bina Shaha ist eine von acht Millionen vorwiegend weiblichen Kreditnehmern der Grameen Bank. Sie stehen im Zentrum dieses sehr beeindruckenden Bildbands. Die Fotos von Roger Richter und die Texte von Peter Spiegel zeigen einen ungewöhnlichen Blick auf Armut: Selbstbewusste Menschen sehen in die Kamera, geschildert werden ihre Pläne und erstaunlichen Erfolgsgeschichten. Auch die Grameen Bank, die die Mikrokredite vergibt, ist ein extremer Kontrast zu dem, was man sonst mit einer Bankzentrale assoziiert: Die Ausstattung ist überaus schlicht, und die Chefs sitzen in ähnlichen Räumen wie die Servicekräfte. Die fast 30 000 Beschäftigten des Autobauers Opel bangen derzeit um die Zukunft ihres Unternehmens. Welches Modell lief bei Opel geben Die Überwachung und Ausforschung von Beschäftigten auch bei Discountern oder bei der Deutschen Telekom ist ein Skandal. Da brauchen wir, findet ver.di, endlich ein Frauen zahlen zurück Bitte schicken Sie eine Postkarte mit dem Lösungswort bis zum 08. 04. 09 (Datum des Poststempels) an: ver.di PUBLIK, Preisrätsel, 10112 Berlin. Lösungswort des letzten Preisrätsels: Leiharbeit Gewonnen haben: A. Schmidt (München), B. Althmann (Gera), F. Mentzel (Bergheim). Herzlichen Glückwunsch! Olli Schulz: Es brennt so schön | Jetzt geht’s aber los. Sogar die BildZeitung hat Olli Schulz entdeckt: Mach den Bibo, die aktuelle Single des Hamburgers, und die dazugehörige Choreographie werden nach dem fünften Platz bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest vom Massenblatt als neuer Ententanz apostrophiert. Doch Schulz, dereinst bekannt geworden durch zum Quatsch neigendes Liedgut, hat sich längst in andere Sphären weiterentwickelt. Der Bibo ist der einzige weitgehend sinnfreie Song auf seinem vierten Album, das ansonsten ein erstaunliches Spektrum offenbart. Denn dramatische Liebeslieder kann Schulz mittlerweile ebenso gut wie sozialkritische Milieustudien und politische Pamphlete. Im Angebot sind außerdem die mächtige Hymne, die das Überleben feiert, und die deprimierte Selbstbespiegelung. Abwechslungsreich auch die musikalische Umsetzung: Aus dem eher liedermacherartigen Schulz ist längst ein kompletter Rockmusikant geworden, der seiner Band von süßlichem Folk über verträumten Gitarrenpop bis zu schluffigem Indie-Rock allerhand abverlangt – auch natürlich den unwiderstehlich ins Bein gehenden Boogie von Mach den Bibo. Sehen wir den Tatsachen einfach gelassen ins Auge: Olli Schulz ist zum Deutschrocker geworden. TO Renaud Garcia-Fons: La Línea del Sur | Garcia-Fons ist Franzose mit spanischen Wurzeln und ein Bassist mit einer unfassbar virtuosen Spieltechnik. Klassisch ausgebildet, verwendet er sein Instrument allerdings nicht nur auf herkömmliche Art. Er kann seinen Tieftöner stattdessen auch wie ein Cello und in den hohen Lagen sogar wie eine Violine „singen“ lassen. Die perfekte Illusion! Das hat ihm schon vor Jahren den Beinamen „Paganini des Kontrabass“ eingebracht. Aber der Franzose ist nicht nur der ausgebuffte Techniker, sondern ein Musiker, dem es vor allem um musikalischen Ausdruck und Emotion geht. So entlockt er seiner Bassgeige auch die exotischen Klänge eines indischen Instruments oder einer arabischen Laute. Sein akustisches, mit Akkordeon, Flamenco-Gitarre und Perkussion besetztes Quartett plus Gastsängerin Esperanza Fernández spielt ein prachtvolles Stück Weltmusik, das ganz ohne Klischees auskommt. Aber mit spürbar südlichem Feeling (Sur = Süden) aufwartet. Einem imaginären Süden, aus Klängen des Mittelmeerraums, lateinamerikanischen Rhythmen, Flamenco und Jazz. Einem Süden mit einer höchst verführerischen Aromenvielfalt. Wirkliche Klangabenteuer erlebt man nur selten. Garcia-Fons' Musik aber ist definitiv eines. RIX ROCK, CD, COLUMBIA/SONY/BMG WELTMUSIK, CD, ENJA/EDELKULTUR VER.DI PUBLIK 03 KLICKEN Louise Erdrich: Solange du lebst Im US-Bundesstaat North Dakota leben etwa 95 Prozent Weiße und vier Prozent Indianer. Louise Erdrich sucht seit Beginn ihrer Schriftstellerkarriere inmitten dieser weißen Übermacht nach der Geschichte ihrer roten Ahnen. Weiße hat sie auch, ihr Vater ist Deutschamerikaner. Rätselhaft gemischt ist auch die Geschichte dieses Romans, durchzogen von einem dichten Gewebe wechselseitiger Beziehungen. Am Anfang steht eine alte Schuld: der Lynchmord an drei unschuldigen Ojibwes Ende des 19. Jahrhunderts. Deren Nachfahren finden sich nun wieder in merkwürdigen Beziehungen zu den Enkeln der damaligen Täter. Das Buch geht von einer Rahmengeschichte der Ich-Erzählerin in der Gegenwart aus, weitere Familienepisoden zweigen hier ab und verknüpfen sich kunstvoll mit der Geschichte des Großvaters Mooshum. In diesem offenen Episodenroman über die geschlossenen Gesellschaften North Dakotas findet sich auch das Thema religiöser Fundamentalismus. Hier ist es eine eindrucksvolle Geschichte über den Armageddonprediger Billy Peace und seine Frau, die mit Giftschlangen tanzt. Dieser Roman ist Erdrichs literarischer Protest gegen die Gewalt der Verhältnisse. ZÄH Marnelle Tokio: Nichts leichter als das | Diese Überlebensgeschichte einer Magersüchtigen beginnt in einer Klinik für Essgestörte, wohin es die 17jährige Marty verschlagen hat. Auf die Frage der Betreuerin antwortet das Mädchen mit einem ausführlichen Wutausbruch: „Wie es mir geht, ohne Schlankheitspillen, ohne Cola light und ohne Kaffee...?“ Sie will sofort wieder weg, in das Leben zu Hause, das doch unlebbar für sie geworden war, aber in dem sie wenigstens selbst bestimmt, was sie isst: möglichst nichts. Ihre Mitpatientinnen durchschaut sie mühelos, sich selbst nur teilweise. Und so lehnt sie sich aggressiv gegen das ganze System der Hilfe auf, gegen die Regeln und Helfer, begreift aber erst nach und nach, auf wen sie wirklich wütend ist. Marty nimmt die achtjährige Lily unter ihre Fittiche, und das hilft ihr selbst. Als diese jüngste Leidensgenossin stirbt, stürzt Marty in die Verzweiflung, und es scheint, dass sie auch ihren eigenen Kampf verloren gibt. Doch gerade der Tod einer anderen wird zum Wendepunkt. Die kanadische Autorin Marnelle Tokio erzählt die Geschichte mit grimmigem Humor und vielen berührenden Momenten als einen Kampf zurück ins Leben. KLIX ROMAN. Ü.: CHRIS HIRTE, INSEL VERLAG JUGENDBUCH, Ü.: MARTINA TICHY, Eva Karnofsky: Die Straße der Tugenden / Eine kubanische Familienchronik | 50 Jahre kubanische Revolution: Hochzeit für Analysen und Diskurse. Wer dazu keine Lust hat, ist mit diesem Roman besser dran: Die Autorin war 20 Jahre Lateinamerikakorrespondentin und ist mit einem Kubaner verheiratet. In Karnofskys Roman erzählt ein deutscher Schriftsteller, der Groschenromane schreibend auf Kuba lebt, tagebuchartig während der Jahre 1993 bis 1998 in Rückblicken die Geschichte der mit ihm befreundeten Bauernfamilie Perez Valdez seit 1959. Während bitterer Mangel und politische Desillusion den Alltag der 90er Jahre beherrschen, erinnern die Frauen der Familie sich an das Glück kostenloser Schulen und Universitäten, an ihren Bildungshunger, an Hoffnung und revolutionäres Engagement. Symbol für den Niedergang der Revolution ist die dritte Tochter, 1959 geboren, Tänzerin, Akademikerin, 1993 an mangelnder medizinischer Versorgung gestorben. Karnofsky erzählt einfach, schnörkellos, mit Sympathie für die Frauen und Kuba, spinnt souverän eine Liebesgeschichte und die Wandlung des Chronisten zum seriösen Schriftsteller. Mit einem Zeitsprung ins Jahr 2008 entlässt sie uns und ihre Protagonisten am Ende ratlos und wenig zukunftsfroh. UL 2009, 397 S., 22,80 € CARLSEN VERLAG 2009, 286 S., 9,95 € HORLEMANN VERLAG, 350 S., 19,90 € MÄRZ 2009 K U L T U R B E U T E L 21 FOTOS: TOSSELL FILM/ MMC; PROMO; I WAGNER; M DOMAGE www.ecoshopper.de | Gäbe es EcoShopper als begehbaren Ort, wäre es wohl eine Art Messehalle, gefüllt mit Beratungsständen, Büchertischen, Prospektständern und schwarzen Brettern. Ein großes Gewimmel an Informationen und Reizen, das den Verbraucher schnell überfordert. Im Internet heißen solche Konzepte „Portale“ und sind dafür geschaffen, hilfreiche Orientierung zu bieten. Auch EcoShopper versteht sich als Verbraucherportal rund um biologische, ökologische, energieeffiziente, nachhaltige und fair gehandelte Produkte und Dienstleistungen. Unter „Öko-Bio-Fair“ finden sich Einkaufstipps und Preisvergleiche zu Bio-Kindersachen, Fahrrädern, strahlungsarmen Handys, Naturtextilien und „grünem“ Büromaterial, um nur einige zu nennen. Auch Ökostrom, Naturreisen, Bio-Apotheken und sogar Öko-Mail & Webspace bietet die Navigation als Rubrik an, um dort Texte und Direktlinks aufzuführen. Ecoshopper verfügt über eine brauchbare Suchfunktion und viele redaktionelle Verbraucherinfos. Trotz der Fülle bleibt die gut über Partner und Strategie informierende Seite übersichtlich, auch durch sparsam eingesetzte Werbeeinblendungen. Ideologisch unverkrampft und verlässlich, diese „grünen gelben Seiten“. HEST www.liveradio.de | Das Ohr in die Radio-Kulturen der Welt hieß in den sechziger und siebziger Jahren schlicht „Weltempfänger“. Heute genügt für den akustischen Abenteuer-Urlaub ein Internet-Anschluss. Mittlerweile dürften weltweit mehrere zehntausend Radiostationen ins World Wide Web hinein senden, die meisten davon sogar ausschließlich im Internet. Für Übersicht in der internationalen Senderflut sorgt die Seite Liveradio.de, wo derzeit knapp 3 000 auf Musik fokussierte Internetradios verzeichnet sind. Als Ordnungskriterium dienen die musikalischen Genres, wie Klassik, Jazz oder Rock, zudem die so genannte Bitrate, von der in der Regel die Klangqualität abhängt. Das Abspielen der als „Streams“ (Datenströme) gelieferten Radiosendungen auf dem Computer erledigen Musikprogramme wie „iTunes“ oder „Winamp“. Wer sich bei Liveradio. de mit Namen und E-Mail-Adresse registriert, kann sich dort eine Favoritenliste anlegen oder auch Bewertungen eingeben, die dann ihren Einfluss auf eine nutzergenerierte Bestenliste haben. So gesehen ist Liveradio der Drehknopf am Weltempfänger Internet, spartanisch aufgebaut, mit Suchfunktion und ein bisschen Verkaufs- und Werbe-Schnickschnack drumherum. HEST SEHEN Ein echtes Märchen Slumdog Millionär | Bei Wer wird Millionär? kann man vor allem eins gewinnen: eine Menge Geld. Jamal allerdings rät sich in der indischen Ausgabe der weltweit beliebten Spielshow nicht wegen des winkenden Reichtums bis zur 20-MillionenRupien-Frage. Nein, der aus ärmlichsten Verhältnissen stammende Hilfsarbeiter will so seine große Liebe wiederfinden. Doch wie konnte er, ein Junge ohne jede Bildung aus den Slums von Bombay, all die Fragen wissen, an denen selbst Professoren scheitern? In geschickt montierten Rückblenden erzählt der britische Regisseur Danny Boyle die Geschichte eines modernen Simplicissimus: Mit dem etwas einfältig, aber immer aufmerksam durch sein Leben taumelnden Jamal werfen wir einen Blick auf ein Indien im rapiden Wandel. Ein Land, in dem erbärmliche Armut und verschwenderischer Luxus dicht nebeneinander existieren, in dem die Gewalt regiert und ein Menschenleben nicht viel wert ist. Ein Indien voller Vitalität, zerrissen zwischen althergebrachter Tradition und rasender Moderne. Boyle nutzt in seiner Reminiszenz an das HindiKino alle Möglichkeiten, die ihm dieses Tableau bietet – und wechselt in fast schon hysterischer Schnittfolge zwischen Gangsta-Thriller und sozialem Realismus, Burleske und Tragödie. Dort allerdings, zwischen allen Genres, verliert sich der Film bisweilen in einer Beliebigkeit, die auch vor einer Ästhetisierung des Elends nicht zurückschreckt. Diese visuelle Kraft aber beförderte Slumdog Millionär zum großen AwardAbräumer: Mit acht Oscars, drei British Independent Film Awards und vier Golden Globes wurde ausgezeichnet, wie der Film Bollywood-Märchen und soziales Gewissen miteinander zu versöhnen versucht. In Indien allerdings ist der Film umstritten. Amitabh Bachchan, einer der größten Stars des Landes und mit einem Kurzauftritt als er selbst in Slumdog Millionär gewürdigt, kritisierte den Film; Hindi-Aktivisten demolierten aus Protest Kinos; zwei Sozialarbeiter versuchten gar per Klage eine Titeländerung des Films durchzusetzen. Der zentrale Kritikpunkt: Slumdog Millionär bestätige westliche Vorurteile über Indien und konzentriere sich allein auf die Schattenseiten des aufstrebenden Milliardenlandes. Allerdings: Dass diese Schattenseiten, vom Leben im Slum bis zur allgegenwärtigen Polizeibrutalität, weitgehend korrekt dargestellt sind, wird ebenfalls kaum bestritten. So beweist Slumdog Millionär: Auch ein Märchen kann von der Wirklichkeit erzählen. THOMAS WINKLER GB/USA 2008; R.: DANNY BOYLE, D.: DEV PATEL, ANIL KAPOOR, IRRFAN KHAN, MADHUR MITTAL, FREIDA PINTO; L.: 120 MIN., KINOSTART: 19.3.2009 Hilde | Was gibt es an diesem Film eigentlich auszusetzen? Heike Makatsch ist hier so grandios wie Julia Jentsch als Sophie Scholl. Sie spielt nicht Hildegard Knef, sie ist sie mit Leib und Seele, sieht ihr zum Verwechseln ähnlich, imitiert ihre Stimme nahezu perfekt. Sogar bei den Liedern kommt man ins Grübeln: Singt nun die Knef oder ihr Double? Das funktioniert auch deshalb so gut, weil der Film nicht das Leben seines Stars bis ins hohe Alter nachzeichnet, sondern im Zenit der Karriere endet: 1966 mit dem legendären Konzert in der Berliner Philharmonie. Von da aus zeichnet Kai Wessel in Rückblenden ein atemloses Künstlerleben nach, das mit vielen Erfolgen und ebenso vielen Misserfolgen einer Achterbahnfahrt gleicht. Besonders packend das Auf und Ab in den Berliner Nachkriegsjahren, in denen Hilde in Die Mörder sind unter uns zum Leinwand- star reüssiert, dann als skandalöse Sünderin in Ungnade fällt. Wer sie denn eigentlich wirklich sei, wird der erfolgreiche Filmproduzent Erich Pommer sie nach einem ersten gescheiterten Anlauf in Hollywood fragen. Von wegen Wessels Film gebe darauf keine Antwort: Hilde-Heike imponiert mit ihrem burschikosen Auftreten, Schlagfertigkeit, Berliner Schnauze und ihrem mutigen, späten Durchbruch als Sängerin. Sicher, sie hat auch manche falsche Entscheidungen getroffen, aber wer, bitteschön, hat das nicht? KL D 2009, R: KAI WESSEL, D: HEIKE MAKATSCH, DAN STEVENS, MONICA BLEIBTREU, HANNS ZISCHLER, U.A., L.:136 MIN., KINOSTART: 12.3.2009