Leitbild Kreisreform in Sachsen
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Leitbild Kreisreform in Sachsen
www.pdslsa-lt.de Leitbild Kreisreform in Sachsen-Anhalt Vorschlag der PDS-Landtagsfraktion Februar 2004 Inhaltsverzeichnis: 1. 2. 3. 3.1. 3.2. 4. 4.1 4.2. 5. Vorbemerkungen Kriterien für eine Kreisreform Aktuelle Situation der Landkreise und kreisfreien Städte im Reformprozess Funktionalreform Aufgabenverlagerung von der Landesebene in die Kreise Aufgabenverlagerung vom Landkreis in den gemeindlichen Bereich (interkommunale Aufgabenverlagerung) Raumordnerische Grundsätze und Regeln mit Orientierungskarte zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte Grundsätze und Regeln Orientierungskarte Zeitliche Umsetzung Schlussbemerkungen S. 2 S. 2 S. 5 S. 6 S. 6 S. 7 S. 8 S. 8 S. 9 S. 11 S. 12 2 Vorbemerkungen: Die PDS-Landtagsfraktion stellt ein Leitbild zur Kreisreform vor, welches auf grundsätzlichen Positionen der Landespartei aus der vergangenen Legislaturperiode aufbaut und entsprechend den aktuellen Bedingungen fortgeschrieben ist. Eine öffentliche Diskussion und Beschlussfassung im Landtag ist jetzt zwingend erforderlich, da bereits Aktivitäten vor Ort eingeleitet wurden, ohne der kommunalen Ebene verlässliche Positionen durch die Landesregierung vorzulegen. Die Schlüsselstellung der Kreise und kreisfreien Städte für den gesamten Reformprozess machen es jedoch zwingend erforderlich, rechtzeitig die landespolitische Gesamtsicht auf die Strukturen zu berücksichtigen und die untrennbare Verbindung der Strukturreform mit der Funktionalreform einfließen zu lassen. Um diesem Gesamtanspruch Ausdruck zu verleihen, sind im vorliegenden Leitbild „Kreisreform in Sachsen-Anhalt“ zunächst Kriterien für eine zukunftsfähige Kreisreform formuliert, die als Grundlage der Einschätzung der aktuellen Situation der Kreise im Reformprozess im zweiten Abschnitt dienen. Im Abschnitt Funktionalreform wird zunächst dargestellt, welche Aufgabenverlagerungen zwischen Land und Landkreisen bereits beschlossen oder noch entschieden werden müssen, um einen Kompetenzzuwachs der Kreise zu erzielen. Dem folgen Aussagen, welche Aufgabenverlagerungen zwischen den Kreisen und der gemeindlichen Ebene folgen müssen, um trotz größerer Kreiszuschnitte Bürgernähe zu garantieren. Im Abschnitt vier werden Grundsätze und Regeln für die Landkreis-Neugliederung vorgestellt, auf deren Grundlage die ausgewiesene Orientierungskarte beruht. Abschließend folgt ein Vorschlag zum Umsetzungszeitraum. Dieses Leitbild ist ein erstes Diskussionsangebot, um dem Landtag den sofortigen Einstieg in die Debatte zu ermöglichen. Dem entsprechend bedarf es der Fortschreibung. 1. Kriterien für eine Kreisreform (1) Die untere staatliche Verwaltungsebene des Landes Sachsen-Anhalt wird von 24 Gebietskörperschaften (Landkreise und kreisfreie Städte) gebildet, die sich hinsichtlich Größe, Form, Einwohnerzahl, Bevölkerungsdichte, Traditionen, Wirtschaftskraft und Leistungsfähigkeit der Verwaltungen deutlich unterscheiden. (2) Um unter den Bedingungen eines zusammenwachsenden einheitlichen Europas, fortschreitender Globalisierung, der Regionalisierung von Funktionen, Strukturen und Prozessen, der demographischen Situation sowie einer sich zwischen den Regionen, Städten und Gemeinden verstärkenden Konkurrenz um wirtschaftliche Aktivitäten, Arbeitsplätze und Infrastruktur auf der einen Seite und der wachsenden Bedeutung von Zusammenarbeit und Kooperation über kommunale Grenzen hinweg bestehen zu können, bedarf es adäquater kompetenter und leistungsfähiger kommunaler Gebietskörperschaften. Nur diese werden in der Lage sein, die freiwilligen und übertragenen Aufgaben der Selbstverwaltung auch in Zukunft zum Wohle der Bürger und des Landes erfüllen zu können. (3) Eine regional ausgewogene und nachhaltige Landes- und Raumentwicklung, die einerseits die Vielfalt lokaler und regionaler Identitäten und Spezifika erhalten und produktiv nutzen will, andererseits Disparitäten abbauen und zu einer räumlich ausgewogeneren Entwicklung führen soll, kann nur in adäquat zugeschnittenen Territorien vollzogen werden. Ausgewogene Raumentwicklung bedeutet insbesondere, die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen und kulturellen Funktionen in Einklang zu bringen. 3 (4) Als Organe der Selbstverwaltung und staatlichen Verwaltung zugleich müssen die Landkreise in neuer Qualität ihrer Funktion als untere staatliche Verwaltung gerecht werden. Für die Wahrnehmung dieser Funk tionen muss ihre Leistungskraft deutlich gestärkt werden, um sie in die Lage zu versetzen, staatliche Aufgaben und Behörden aufzunehmen. (5) Leistungsstarke, zukunftsfähige kreisliche Strukturen werden dann erreicht, wenn neben einer deutlichen Maßstabsvergrößerung, raumordnerische Gesichtspunkte und der Wille der Kreistage im Abwägungsprozess eine entscheidende Rolle spielen. Weitgehend sollten sich außerdem die zukünftigen Strukturen an den Planungs-/Wirtschaftsregionen festmachen. Wobei eine Planungsregion derzeit nicht die Bildung eines Regionalkreises zur Konsequenz haben muss, das Land aber bei entsprechenden Entscheidungen vor Ort größere Zuschnitte befördert. (6) Stets ist zu sichern, dass die Landkreise trotz Maßstabsvergrößerung ihren Aufgaben als Selbstverwaltungsorgane gerecht werden können. Territoriale Überschaubarkeit, die Möglichkeit maßgeschneiderten kommunalpolitischen ehrenamtlichen Engagements durch Ortskenntnis und eine qualifizierte Aufgabenerledigung im eigenen Wirkungskreis dürfen nicht in Abrede gestellt werden. Dazu sind insbesondere bei Kreisen in der Größe einer Planungsregion zuvor zwingend weitere Voraussetzungen zu schaffen. Das betrifft beispielsweise eine vom Land beförderte kommunale Politikreform bei deutlicher Verbesserung der Bedingungen für das kommunale Ehrenamt. (7) Die Stadt-Umland -Beziehungen der Städte Halle, Magdeburg und Dessau sind zeitgleich im Gesetz über die Kreisneugliederung zu regeln. Kreiszuschnitte müssen im Einklang zu den Entwicklungsbedürfnissen der drei Großstädte stehen. Die Grundlage bildet die Verflechtungsanalyse von TUROWSKI & GRAIVING (2001). Für die Bewältigung der objektiv gegebenen Stadt-Umland-Konflikte sind geeignete Bewegungsformen sowie Konfliktvermeidungs- und -lösungsstrategien zu bestimmen. Die Stadt-Umland -Beziehung im Raum Halle wird durch ein selbständiges Stadt-Umland-Gesetz zu regeln sein. (8) Die Aufgabenverteilung zwischen den Verwaltungsstufen ist am Subsidiaritätsprinzip und am Grundsatz einer mittelfristig zu erreichenden Zweistufigkeit des Landesaufbaus auszurichten. Alle unverzichtbaren Aufgaben, insbesondere die Bündelungsaufgaben sind grundsätzlich nach erfolgtem Neuzuschnitt auf die Kommunen zu übertragen. Bei der Bestimmung der Wirtschaftlichkeit einer solchen Aufgabenverlagerung ist dabei nicht nur von den Kosten für eine einzelne Aufgabe auszugehen, sondern von der Effektivität des gesamten staatlichen Aufgabenvollzuges. Fazit: Neue Landkreiszuschnitte müssen den Weg ebenen für • eine Verlagerung staatlicher Aufgaben in die Kreisebene; • eine Kompensation des Rückzuges staatlicher Behörden aus der Fläche durch die Eingliederung von Landesbehörden in die Kreisstruktur; • die Ausrichtung auf eine angereicherte oder konsequente Zweistufigkeit des Landes, da sich diese mittelfristig nicht umgehen lässt und besser dem Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung entspricht; 4 • die Übernahme der Bündlungsfunktion aus der Mittelinstanz; • die Ausrichtung der Kreise auf den Regionalisierungsprozess im Rahmen der Europäischen Union; • überschaubare Kooperationsbeziehungen bei der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben mit regionalem Charakter durch die Ausrichtung auf Planungsregionen; • Stadt-Umland-Beziehungen, die einer zukunftsfähigen Entwicklung großer Städte nicht entgegenstehen und gleichzeitig ländliche Räume nicht vernachlässigen; • die Gewährleistung der Mandatsausübung im Ehrenamt, welches in der Kreisebene bei Wahrnehmung überörtlicher Angelegenheiten ein Alleinstellungsmerkmal besitzt; und darüber hinaus einen Beitrag leisten, • ein Gegengewicht zu den sich abzeichnenden Bevölkerungsverlust und der demografischen Entwicklung sowie den damit einhergehenden Veränderungen der Selbstverwaltungsaufgaben zu schaffen; • um mittelfristig die Gesamtaufwendungen der staatlichen und kommunalen Hand zu reduzieren. Schlussfolgerungen für den Landtag von Sachsen-Anhalt: 1. Bei der Kreisgebietsreform müssen landes- und raumordnungspolitische Interessen rechtzeitig artikuliert werden und ein größeres Gewicht bei Strukturentscheidungen erhalten, als es im gemeindlichen Bereich der Fall ist. Der Landtag als Gesetzgeber steht in der Pflicht, diese Arbeit einschließlich der Gesetzgebung zu leisten. Angesichts der besonderen Bedeutung für die Entwicklung des gesamten kreislichen und gemeindlichen Bereiches müssen die Überlegungen zur Zukunft der kreisfreien Städte und ihrer Beziehungen zum Umfeld zeitnah entschieden werden. 2. Die Kreise und kreisfreien Städte müssen vor der gesetzlichen Regelung und Umsetzung einer Kreisgebietsreform durch das Land eine Gewähr dafür erhalten, dass mit dem größeren Zuschnitt auch ein deutlicher Kompetenzzuwachs der Kreisstufe einhergeht. Dies bildet die Voraussetzung, Akzeptanz vor Ort zu erzielen. Inhaltliche Prämissen sind die Voraussetzung mit den Akteuren vor Ort über mögliche Strukturvarianten zu diskutieren. 5 2. Aktuelle Situation der Landkreise und kreisfreien Städte im Reformprozess Zu Beginn der Legislaturperiode war es erklärter Wille der Mehrheit des Landtages und der Landesregierung, den Kreisen auch ohne vorgeschaltete Gebietsreform einen Kompetenzzuwachs zu garantieren, indem • die im Beschluss des Landtages in der Drs. 3/68/5222 B festgeschriebenen Aufgabenverlagerungen vom Land in die Landkreise ab 2003 erfolgen sollten. Dies wurde nicht realisiert. • durch zwei Funktionalreformgesetze (Verlagerung von Aufgaben des Landes in die Kommunen sowie die interkommunale Aufgabenverlagerung von den Kreisen in die Gemeinden im Jahre 2003) sollte eine gesetzliche Garantie für einen Kompetenzzuwachs der kommunalen Ebene erreicht werden. Diese Funktionalreformgesetze sind von der Landesregierung nicht vorgelegt worden. Statt dessen • sind Aufgabenbereiche, die vor 2003 von den Kreisen und kreisfreien Städten wahrgenommen wurden, so zum Beispiel die örtliche Sozialhilfe nach BSHG in die Verantwortung des Landesverwaltungsamtes verlagert worden; • wurden untere Landesbehörden mit bündlungsrelevanten Aufgaben im Kreisbereich aus der Fläche herausgezogen, auf wenige Standorte konzentriert bzw. in die Ministerien oder in das Landesverwaltungsamt eingegliedert (z.B. die staatliche Schulverwaltung); • wurden Aufgabenbereiche unterer Landesbehörden mit engen kreislichen Bezügen auf die Landesebene verlagert und in Landesbetriebe ausgelagert (z.B. Gewerbeaufsicht); • hat das Landesverwaltungsamt in der Mittelinstanz per Gesetz Kompetenzen einer Bündlungsbehörde erhalten, was zwangsläufig die Bündlungsfunktion der Landkreise schwächt; • sind Aufgaben, die bisher in der Zuständigkeit der Landkreise lagen, im Einzelgesetzgebungsverfahren in den gemeindlichen Verwaltungszuständigkeitsbereich übertragen worden (z.B. Aufgaben der Eingriffsverwaltung gemäß „Gesetz zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften“); • spitzt sich der Stadt-Umland -Konflikt vor allem zwischen den kreisfreien Städten und dem Umland zu. Es wird nicht deutlich, in welcher Weise die Landesregierung darauf reagieren wird. 6 Fazit: Die bisherigen Reformschritte des Landes seit 2002 haben direkt oder mittelbar bereits einen Kompetenzverlust der Landkreise bewirkt und eine zukünftige Funktionalreform erschwert. Sollen die Kompetenzen der Landkreise gestärkt werden, gehen damit zusätzliche personelle und finanzielle Belastungen einher, weil erneut Umstrukturierungen auf Landesebene notwendig werden. Um dem Grundsatz der Bürgerorientierung zu entsprechen, müssen den bereits beschlossenen Verlagerungen zwischen Kreisen und gemeindlicher Verwaltungsebene noch vor der Kreisreform zwingend vor allem Aufgabenverlagerungen der Dienstleistungsverwa ltung folgen. Ohne Funktionalreform zwischen Landesebene und Landkreisen führt jedoch diese interkommunale Aufgabenverlagerung zwangsläufig zu einer weiteren Ausdünnung des Aufgabenspektrums und damit zum weiteren Kompetenzverlust der Kreise. Der derzeitige Stand der verbindlichen und auch der absehbaren Reformaktivitäten rechtfertigt aus der Sicht der Landkreise eine Kreisreform nicht. Dennoch sind Diskussionen und Aktivitäten auf kommunaler Ebene entbrannt und grundsätzlich eine Kreisreform auch notwendig. Die landespolitischen Voraussetzungen für einen Neuzuschnitt für Kreise und kreisfreie Städte müssen jedoch zuvor erst noch erbracht werden, sonst drohen Landkreise und kreisfreie Städte die großen Verlierer der Reform zu werden. 3. Funktionalreform Zu Beginn der 4. Legislaturperiode war es Konsens im Landtag und in der Landesregierung, dass der Beschluss des Landtages Drs. 3/68/5222 B vom 17.01.2002 Grundlage der Funktionalreform ist. Es steht bisher noch aus, diese Absichten in einem Gesetz zu verankern. Die Landesregierung hat ferner die Ergebnisse ihrer Aufgabenkritik vorzulegen und darauf aufbauend weitere Bereiche für eine Kommunalisierung zu benennen. Dabei dürfen bereits erfolgte Umstrukturierungen keine hinlängliche Begründung darstellen, die Kommunalisierung abzuweisen. 3. 1. Aufgabenverlagerung von der Landesebene in die Kreise a) Im Landtag bereits beschlossene Aufgabenverlagerungen: Kurzdarstellung der in die Kreise zu verlagernden Aufgabenkomplexe, die Zusammenführung des örtlichen mit dem überörtlichen Sozialhilfeträger auf der Kreisebene/kreisfreie Stadt (z.Z. LVA Abt. 6 und 7) § verbliebene Aufgaben in den Bereichen wasserwirtschaftlicher Vollzug, der Kreislauf- und Abfallwirtschaft, des Immissionsschutzes, des allgemeinen Gesundheits- und Naturschutzes (z.Z. LVA Abteilung 4); § Aufgaben, die im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Investitionsförderung, der Flurbereinigung und Flurneuordnung stehen; § Aufgaben im Zusammenhang mit Entscheidungen bei Kulturdenkmalen, die sich im Eigentum des Bundes, Landes oder der kommunalen Gebietskörperschaft befinden, Erteilung von Genehmigungen, wenn sich der Abriss erforderlich macht, ausgewählte Planungsverfahren; 7 § § § für Zustimmungsverfahren bei Bauten des Bundes und der Länder, Genehmigungen von Flächennutzungsplänen und anderen Satzungen nach BauGB; für Linienverkehrsgenehmigungen nach dem Personenförderungsgesetz; bei Änderungen von Gemeindenamen, Genehmigungen von Flaggen und Wappen, Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, Aufgaben in den Bereichen des Brandschutzes, des Waffen und Sprengstoffrechtes. Anmerkung: Im Landtagsbeschluss Drs. 3/68/5222 B sind diese Aufgabenkomplexe ausführlich dargestellt und im Grundsatz noch gültig, weil nur minimale Verlagerungen in den kommunalen Aufgabenbereich erfolgten. b) Weiterführende Kommunalisierungspotenziale, deren Bewertung im Rahmen der Aufgabenkritik durch die Landesregierung angekündigt war und dem Landtag zur Kenntnis gegeben werden müssen: Jene Aufgaben, insbesondere für (vormals) untere Landesämter, wie beispielsweise § § die staatliche Schulaufsichtsverwaltung einschließlich Schulpsychologischer Dienst (z.Z. LVA Abt. 5), Aufgabenkomplexe der Gewerbeaufsichtsämter, die im kreislichen Bereich bündlungsrelevant sind (z.Z. Landesbetrieb für Verbraucherschutz). Sonstige Aufgaben, die mit einem weiteren Prüfvermerk versehen wurden, z.B.: § § Aufgabenkomplexe der Ämter für Landwirtschaft und Flurneuordnung nach Auslaufen der Förderperiode 2006 (z.Z. Ämter der Ortsstufe), Naturschutzstationen (z.Z. LVA) sowie jene Aufgabenbereiche, die durch neue Bundesgesetzgebung auf Synergieeffekte bei der Bündlung auf kreislicher Ebene noch untersucht werden müssen, z.B. § 3.2 Aufgaben der Arbeitsförderung im Zusammenhang mit Hartz IV. Aufgabenverlagerung vom Landkreis in den gemeindlichen Bereich (interkommunale Aufgabenverlagerung) Für die interkommunale Aufgabenverlagerung gilt der Grundsatz: Bürgerinnen und Bürger können ihre Anliegen bei ihren gemeindlichen Verwaltungen erledigen. Deshalb ist die Dienstleistungsverwaltung in die gemeindliche Verwaltungsebene zu verlagern. Dabei geht Bürgernähe vor Effizienz. Weitere Aufgaben der Eingriffsverwaltung können in den gemeindlichen Bereich verlagert werden, sofern eine effiziente Wahrnehmung ermöglicht wird. Diesen Grundsätzen folgend, muss der Landtag rechtzeitig vor Änderung der Kreisgrenzen über folgende Aufgabenverlagerungen entscheiden: Im Bereich Soziales und Jugend: - Hilfe zum Lebensunterhalt, - Hilfe in besonderen Lebenslagen, 8 - Aufgaben nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Erteilung von Auskünften in sozialen Angelegenheiten, Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen, Asylbewerberleistungsgesetz, Aufgaben nach dem Gesetz über Verbreitung jugendgefährdender Schriften, Aufgaben der Versicherungsämter. - Im Bereich Bauen, Umwelt und Denkmalschutz: - Aufgaben nach dem Wohnraumförderungsgesetz, - Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde, - Aufgaben der unteren Denkmalschutzbehörde, - Aufgaben des Naturschutzgesetzes. Im Bereich Verkehr und Wirtschaft: - Aufgaben der unteren Straßenverkehrsbehörde, - Aufgaben der Kfz-Zulassungsstelle, - Aufgaben der Führerscheinstelle. Im Bereich Recht, Sicherheit und Ordnung: - Aufgaben nach dem Lotte riegesetz, - Überwachung von Preisangaben, - Aufgaben im Gewerberecht, - Sperrung von Feld- und Waldflächen. Im Bereich Schule, Kultur: - Trägerschaft der Sekundarschulen. 4. Raumordnerische Grundsätze und Regeln mit Orientierungskarte zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte 4.1. Grundsätze und Regeln Aus den Kriterien für eine Kreisreform und den bisher geführten Diskussionen vor Ort wurden folgende Grundsätze und Regeln für die Bildung der neuen Landkreise abgeleitet. § Raumordnerische Zusammenhänge (Verkehrsbeziehungen, Zentrale-Orte-System etc.) und regionale Identitäten sind vorrangig zu berücksichtigen und ggf. durch historische Gesichtspunkte und naturräumliche Aspekte zu ergänzen; sie haben Vorrang vor Flächengrößen und Einwohnerzahlen. § Mit Ausnahme der großräumig ländlich geprägten Gebiete im Norden des Landes sollte bei den neuen Landkreisen langfristig eine Einwohnerzahl von 150.000 EW nicht unterschritten werden. § Grundsätzlich ist bei einer Fusion eine Vollfusion von zwei bis drei Landkreisen vorzunehmen. 9 § Lässt sich ein Landkreis nicht vollständig fusionieren, dann soll bei der Teilung auf die historischen Kreisgrenzen vor der Kreisgebietsreform 1994 zurückgegriffen werden. § Bei einem gewünschten Wechsel in einen anderen Landkreis muss die gesamte Verwaltungsgemeinschaft / Einheitsgemeinde den Wechsel vollziehen. § Es soll ein Zusammenschluss von jeweils zwei bis drei Landkreisen erfolgen. Die Grenzen der Planungsregionen werden nach der Kreisgebietsreform denen der Kreise angepasst. Der Zuschnitt der je Planungsregion gebildeten Landkreise soll der Option für eine perspektivische Bildung eines Großkreises jedoch nicht entgegen stehen. § Die Verflechtungsanalyse von TUROWSKI & GRAIVING (2001) ist für die Bestimmung geeigneter Bewegungsformen der Stadt-Umland-Beziehungen der Städte Halle, Magdeburg und Dessau zu beachten. § Sofern engste Verflechtungsbeziehungen nachgewiesen sind, können Gemeindegrenzen auch durch Gesetz verändert werden. Der Beitritt oder die Fusion regelt sich ansonsten nach der Gemeindeordnung; Soll eine Gemeindegrenze durch Gesetz geändert oder ein beabsichtigter freiwilliger Beitritt oder Zusammenschluss untersagt werden, sind die betroffenen Gebietskörperschaften anzuhören. 4.2. Orientierungskarte Die Orientierungskarte stellt die unter regionaler und landesweiter Sicht optimierte Variante der Kreisstruktur dar. Sie ist auf der einen Seite so robust, dass der Wechsel einzelner Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften oder Einheitsgemeinden in den Nachbarkreis problemlos möglich ist, auf der anderen Seite aber so ausbalanciert, dass jegliches Partikularinteresse auf der Kreisebene das Gesamtgebäude insgesamt zum Wanken bringt. 10 11 5. Zeitliche Umsetzung Zum Zeitpunkt der Umsetzung der Strukturreform liegen bislang unterschiedliche Überlegungen vor. War in der letzten Legislaturperiode 2004 gesetzlich verankert, so wird die Diskussion derzeit über eine Fusion der Kreise in den Jahren 2007, 2008 oder 2009 diskutiert . Alle Vorschläge bieten Vor- und Nachteile. Die PDS teilt die Auffassung, dass eine Fusion der Landkreise 2007 möglich und vorteilhaft ist, auch wenn damit die Entscheidungsphasen erheblich gerafft werden müssen. Vorteile einer Kreisfusion 2007 sind: 1. Die Diskussion um eine Kreisgebietsreform kann zeitiger beendet werden. Bereits seit drei Jahren wird in den Kreisen mit unterschiedlicher Intensität über eine Kreisgebietsreform diskutiert, weitere drei Jahre kommen bis zur Umsetzung 2007 hinzu. Die Grenze der Zumutbarkeit innerhalb der kommunalen Ebene ist erreicht bzw. längst überschritten. 2. Die Fusion der Kreistage 2007 ohne gleichzeitige Neuwahl ermöglicht einen schonenden Übergang und befördert gegenseitige Akzeptanz. 3. Die von den Spitzenverbänden eingeforderte Anlaufphase für die Verwaltung und für den Kreistag wird ermöglicht, um 2009 Funktionen aus der Landesebene zu übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt können die unmittelbaren Fusionsprobleme weitgehend ausgeräumt sein. 4. Die Personalentwicklungskurve in den kommunalen Verwaltungen kann bei der Fusion der Verwaltungen 2007 noch effizienter genutzt werden. 5. Die Stadt- Umland-Problematik als Schlüsselfrage innerhalb der Neuordnung der Landkreiszuschnitte kann keinesfalls erneut über Jahre verschoben werden. 6. In den Landes- und Kommunalbehörden kommt es zeitiger zu einem relativen Abschluss von Umstrukturierungsphasen. Daraus abgeleitet wird folgende Zeitleiste vorgeschlagen: 03/2004 Beginn der Diskussion über die Kreisreform, federführend im Innenausschuss (soweit eine Mehrheit des Landtages ein gesondertes Beratungsgremium weiterhin nicht für erforderlich hält); Darstellung der Ergebnisse der Aufgabenkritik, Berichterstattung der Landesregierung zum Stand der Kreisreform und zur Stadt-UmlandProblematik, danach fortlaufend Diskussion über eingebrachte Positionspapiere III/2004 Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Funktionalreform, Einbringung Leitbild Kreisreform einschließlich Stadt-Umland-Beziehungen im Landtag I/2005 Verabschiedung eines Funktionalreformgesetzes I/2005 Verabschiedung des Leitbildes zur Kreisreform, Beginn der Findungsphase IV/2005 Einbringung Kreisreformgesetz, Ende der Findungsphase II/2006 Beschluss Kreisgebietsreformgesetz I/2007 Kreisreform, Zusammenführung der Kreistage 12 II/2008 Landratswahl, spätester Zeitpunkt der Aufgabenverlagerung im interkommunalen Bereich II/ 2009 Wahl der neuen Kreistage, Übernahme aller verbleibenden staatlichen Aufgaben aus dem Funktionalreformgesetz Schlussbemerkungen Der Landtag Sachsen-Anhalt steht in der Pflicht, seine Verantwortung für einen effizienten Landesaufbau und eine bürgerorientierte leistungsfähige Kommunalstruktur wahrzunehmen. Nach einer Phase der Stagnation in der Diskussion um eine Kreisgebietsreform durch einen Regierungswechsel 2002 und den damit verbundenen politisch anders gewichteten Zielstellungen zeichnet sich ab, dass es politischer Wille aller Parteien ist, eine Kreisgebietsreform zu realisieren. Wenngleich die dafür bisher formulierten Zielstellungen und Bedingungen große Unterschiede aufweisen, bietet der Konsens zur Notwendigkeit einer Strukturreform einen Ansatzpunkt, den verbalen politischen Schlagabtausch um die kommunale Strukturreform zu beenden und gemeinsam mit der kommunalen Ebene parteiübergreifend um jene Varianten zu ringen, die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit sowohl der kommunalen Ebene als auch des Landesaufbaus insgesamt garantieren. Damit bekräftigt die PDS ihre bereits 1999 erklärte Bereitschaft, bei einer so wichtigen Zukunftsentscheidung den Konsens anzustreben.