Steht uns die Reformation erst noch bevor?
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Steht uns die Reformation erst noch bevor?
Die 95 Thesen des Klaus-Peter Jörns Steht uns die Reformation erst noch bevor? Wenn Religionen nicht belanglos werden wollen, müssen sie sich den Fragen der Gegenwart stellen. Offenbar gelingt das den Konfessionen des Christentums immer weniger. Sonst wären die Kirchen nicht so leer, würde an den theologischen Hochschulen weiterhin die Elite studieren, wären Christen Salz und nicht Schmiermittel der Gesellschaft. Der evangelische Religionssoziologe Klaus-Peter Jörns hat einen bemerkenswerten Katechismus geschrieben, in dem er das Glaubenswissen - Zufall oder nicht: in 95 Thesen auf den gegenwärtigen Stand bringt - also updatet, wie es im heutigen Sprachgebrauch heißt. Denn auch jede Computergeneration muss sich neuen Herausforderungen stellen. NZ: Herr Professor Jörns, das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 wird schon groß vorbereitet. Wenn man Ihr Buch liest, steht die eigentliche Reformation der Kirchen aber noch bevor.. . Jörns: ... das ist richtig. Denn bei diesem Jubiläum werden sich die Blicke aller zurückwenden und die großen Taten der protestantischen Gründungsväter rühmen. Das haben sie durchaus verdient - und sie würden trotzdem schlecht behandelt, wenn wir nicht die seit langem bei uns anstehenden Glaubensreformen endlich in Angriff nehmen würden. Es fehlt das, was man heute ein Update nennt. NZ: Sie sprechen ja nicht nur von einem Update für die Kirchen, sondern für den Glauben. Was war der Grundgedanke? Updates sind - auch ohne diesen modernen Begriff zu verwenden - schon in der Antike das Erfolgsmodell von Religionen gewesen, die nicht in der Rechtgläubigkeit erstarren wollten. Man muss sich dazu nur den Siegeszug der therapeutischen Göttinnen und Götter durch die antiken Religionen ansehen. Das gilt für die ägyptische Isis genauso wie für den griechischen Asklepios. Gerade der Asklepios-Kult und die mit ihm verbundenen Heiligtümer und Therapien haben sich vom 6. Jahrhundert vor Christus an rund um das Mittelmeer ausgebreitet. Der Grund dafür war einfach: Von dieser Zeit an hatte man den Leiden der Menschen eine ganz neue Aufmerksamkeit geschenkt. Also erwartete man von den Göttern auch Heil in der Gestalt von Heilung. Dafür steht Asklepios, der noch heute mit dem berühmten Äskulapstab Symbol der ärztlichen Heilkunst ist. Seine Herkunft aber ist religiös. Jörns: NZ: Was hat das mit dem jüdischen Messias zu tun? Jörns: Er hat auch in den frühen judenchristlichen Bereich hinein gewirkt. Denn der jüdische Messias war eigentlich eine königliche Befreier- und Herrschergestalt und hatte nichts mit Heilungen zu tun. Als man dann glaubte, Jesus sei der erwartete Messias bzw. Christus, hat man von ihm aber auch erwartet, was die Menschen bei Asklepios fanden: Heilung von ihren Leiden. Und so ist der Titel „Retter" (griechisch: Soter) von Asklepios auf Jesus übertragen worden, erzählte man auch von ihm Heilungsgeschichten. NZ: Sie waren 10 Jahre Gemeindepfarrer und 20 Jahre lang Theologieprofessor, bis 1999. Wann wurde Ihnen klar, dass es nicht so weitergehen kann? Vor allem: Warum tun Sie sich das an; denn Sie stoßen ja wahrscheinlich nicht nur auf Zustimmung? Jörns: Das Unbehagen daran, Jesu Tod als von Gott gewolltes Opfer zur Sühne unserer Sünden predigen zu müssen, ist schon während der Zeit als Pfarrer gewachsen. Diese innere Spaltung in Herz und Sinn wollte ich irgendwann loswerden, wollte auch denken und leben können, was ich glaube. Einen anderen Weg als den Abschied davon gab es nicht. Was die fehlende Zustimmung angeht: Sie ist fast ausschließlich bei traditionell denkenden Theologen und Kirchenleitungen zu finden. Wenn ich Vorträge im Lande halte, überwiegt dagegen die Zustimmung bei weitem. Ich habe den Eindruck, dass die sogenannten Laien mittlerweile für sich selbst, und ohne die Kirchen zu fragen, längst viel „Reformation" vollzogen haben. Sie haben sich weiterentwickelt, trauen dem Heiligen Geist als lebendiger Kraft viel mehr zu als alle Theologen, die glauben, Gottes Geist sei so eine Art geistiger Museumswärter. NZ: Ist in der Universitätstheologie nicht schon immer fleißig „upgedatet" worden? Man hat neue Akzente gesetzt, gewiss, und, wo man mutig war, auch begriffen, dass wir die Bibel nicht immer nur von der Bibel her auslegen können. Alle heiligen Schriften der Religionen müssen sich in der einen großen Frage bewähren: Ob sie uns Menschen helfen, leben und sterben nicht nur zu müssen, sondern auch zu können. Jörns: NZ: Sie haben sich schon vor einiger Zeit als Kritiker der Sühneopfer-Theologe „geoutet". Und sind angeeckt. Erklären Sie uns die Problematik? Seite1 Das Problem hat damit zu tun, dass sich die Botschaft, die Jesus von Gott verkündet hat, in zwei zentralen Punkten nicht mit der Predigt der Apostel zur Deckung bringen lässt. Der erste Punkt: Jesus hat - zum Beispiel im Gleichnis vom ganz und gar nicht „verlorenen Sohn" - verkündet, dass Gott die Menschen aus sich selbst heraus liebt und ihnen für diese Liebe und die daraus kommende Vergebung keine Bedingungen stellt. Jörns: NZ: Das müssen Sie erklären: Jörns: Er, Gott, versteht sich als der, der die Menschen durch seine Liebe dazu anstecken will, liebevoll miteinander umzugehen und seine Vergebung weiterzugeben. In der apostolischen Tradition wird dagegen betont, dass die Menschen nur deshalb einen Zugang zu Gottes Liebe und Vergebung hätten, weil Jesus unschuldig an unserer Stelle am Kreuz gelitten habe und gestorben sei. Nur durch sein Blut, betont Paulus, Römer 5, sei Gottes Zorn über uns Menschen gestillt worden. Davon kann bei Jesus keine Rede sein. Gott liebt uns ohne jede Bedingung und Vorleistung. Der zweite Punkt: Jesus hat wahrgenommen, dass es sehr schwer ist, gut zu sein. Gott ist nicht dazu da, uns das Leben durch Drohungen und Strafen noch schwerer zu machen. Vielmehr stellt er sich und seine Gebote in den Dienst am Leben aller Geschöpfe. Bei Paulus aber werden wir Menschen und was wir tun, zuerst von den Forderungen her gesehen, die das religiöse Gesetz uns stellt - und die wir niemals vollständig erfüllen können. Also kann niemand Gott gerecht werden. Nur weil Jesus für uns eingesprungen sei, können wir uns vor Gott sehen lassen. NZ: Stoßen Sie damit nicht viele vor den Kopf? Da tut sich ein großer Graben auf und man muss sich entscheiden, ob man Jesu gute Botschaft glaubt oder sich Gott als den vorstellt, der uns ohne ein Blutopfer nicht ansehnlich findet. Jörns: NZ: Über Jahrhunderte stand das Kruzifix mit dem leidenden Christus im Mittelpunkt. Muss es nicht aus Kirchen und öffentlichen Räumen verschwinden? Nein. Das Kreuz Jesu verstehe ich als Symbol für alle Menschen und Tiere, die zum Opfer menschlicher Gewalt und Interessen gemacht worden sind - vor allem für diejenigen Opfer, die man meinte, Gott bringen zu müssen. Jörns: NZ: Was feiern Sie persönlich bei der Eucharistie/beim Abendmahl? Die Lebensgaben Gottes - also Brot und Wein, Mitmenschen, Tiere und Pflanzen, Musik und Kunst - alles also, worin sich die Liebe und der Lebenswille Gottes spiegeln. Jörns: NZ: Sie zeigen in Ihrem neuesten Buch, wie hilfreich sich die Evolutionstheorie und quantenphysikalisches Denken mit dem Glauben verbinden lassen. Wenn Sie sagen, dass der eine Gott auch in den anderen Religionen wahrgenommen wird, und, dass wir mit Tieren und Pflanzen nicht nur die selbe Herkunft, sondern auch eine gleichwertige Gottesbeziehung haben - verlangen Sie da nicht zu viel? Man hört schon die Kritiker von unzulässiger Vermischung sprechen. Jörns: Diese Kritik steht zu erwarten. Aber ich halte die Rede von dem einen Gott und Schöpfer nur dann für sinnvoll, wenn dieser Gott wirklich mit allem zu tun hat, weil er sich durch den schöpferischen Geist in der Lebensvielfalt selbst entfaltet. Nur auf diesem Boden wächst die Ehrfurcht vor dem Leben, und nur die lässt hoffen, dass der Krieg irgendwann kein Mittel der Politik mehr sein wird. Solange Kriege geführt werden, leben wir trotz aller Religion noch in der Steinzeit. NZ: Aber Traditionschristen wollen nichts ändern. Jedes Rütteln am Über lieferten halten sie für überflüssig, ja schädlich. Wer wird sich auf Dauer durchsetzen? Ich glaube, dass Gottes Geist sich durchsetzen wird. Und das heißt: Die Evolution geht weiter, die Menschwerdung des Menschen ist ja noch lange nicht abgeschlossen. Seit Gott Mensch geworden ist und wir in einer Wirklichkeit mit ihm bzw. ihr leben, haben wir aber Grund zur Zuversicht. Aus dieser Zuversicht heraus haben mein katholischer Kollege Hubertus Halbfas und ich mit vielen anderen zusammen die „Gesellschaft für eine Glaubensreform" gegründet. Es muss den Kirchen deutlich gemacht werden, dass die Mehrzahl derer, die jetzt noch in den Kirchen sind, hier bei uns, in unseren Kirchen, eine Reformation erwartet, die sich wieder auf Jesus besinnt, auf „den Anfänger und Vollender des Glaubens". Jörns: NZ: In diesen Tagen ist viel von „Weihnachtschristentum" die Rede. Angesichts voller Kirchen könnte man glauben, es sei alles Ordnung? Es ist in Ordnung, dass die Menschen sich gerade von der Geburt eines Kindes dazu bewegen lassen, ihrer tiefen Sehnsucht nach einem Leben in Frieden zu folgen. Für uns Sterbliche beginnt die Sehnsucht nach Leben und die Hoffnung auf Schutz mit der Geburt von Kindern. Es ist gut, wenn wir diese Wahrheit in die Grundeinsicht Albert Schweitzers übersetzen: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will." Wenn wir uns das täglich ins Gedächtnis rufen, übersetzt sich uns das Wort Gottesdienst sehr bald in „Dienst am Leben". Jörns: Fragen:Raimund Kirch Klaus-Peter Jörns: Update für den Glauben. Gütersloher Verlagshaus. 272 Seiten, 17,99 Euro. Gesellschaft für eine Glaubensreform e. V." Waldstr. 17, 82335 Berg; Mail: [email protected]; Homepage: www.glaubensreform.de Seite2 Seit dem Ende seiner akademischen Tätigkeit setzt sich der evangelische Religionssoziologe Klaus-Peter Jörns (Jahrgang 1939) mit Leidenschaft dafür ein, das Leben und die Verkündigung Jesu wieder ins Zentrum der Theologie zu rücken. Dabei geht es ihm vor allem darum, dass die ursprüngliche Kraft des Christentums wiederentdeckt wird. Foto: privat Seite3