2 V 278/15

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2 V 278/15
FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 V 278/15
Beschluss des Senats vom 02.03.2016
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: KStG § 8 Abs. 3 Satz 2
Leitsatz: Ein fortlaufender monatlich im Voraus getroffener bedingter Gehaltsverzicht
eines Gesellschafter-Geschäftsführers stellt eine verdeckte Gewinnausschüttung dar,
wenn die Vereinbarung nicht vertragsgemäß durchgeführt wurde und sich ein
Fremdgeschäftsführer auf den Verzicht nicht eingelassen hätte.
Überschrift: Körperschaftsteuer: Verdeckte Gewinnausschüttung
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen von verdeckten Gewinnausschüttungen in
den Jahren 2010 bis 2012.
Die Antragstellerin, eine GmbH, wurde im Jahr 2003 gegründet. Geschäftsführer und
Alleingesellschafter ist Dr. A (im Folgenden: A). Zweck der Gesellschaft ist die
Unternehmensberatung, etwa im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Beschaffung
von finanziellen Mitteln, bei Investitionen und bei sog. mergers & acquisitions. Die
Antragstellerin schloss am … 2003 mit A einen Dienstvertrag. Darin war als
Vergütung des Geschäftsführers unter anderem ein monatliches Bruttogehalt von
10.000 € vorgesehen, zahlbar jeweils zum fünfzehnten eines Kalendermonats. Diese
Gehaltsvereinbarung wurde mehrfach geändert, zuletzt mit Gesellschafterbeschluss
vom … Dezember 2009; darin wurde das monatliche Gehalt auf 14.300 € brutto
bestimmt.
Von Januar 2010 bis einschließlich Dezember 2012 verzichtete A mit jeweils
gleichlautenden Schreiben im Voraus monatlich auf sein Gehalt von 14.300 €. Die
Antragstellerin, vertreten durch die Gesellschafterversammlung, bestehend aus A,
nahm den Verzicht jeweils an. Der Verzicht stand unter der Bedingung, dass der
Gehaltsanspruch insoweit wieder auflebt, wie das handelsrechtliche Ergebnis der
Gesellschaft vor Steuern zum Jahresende ausreicht, um den Gehaltsverzicht zu
decken. Hinsichtlich des dann noch nicht ausgeglichenen Teils des Gehalts sollte der
Verzicht endgültig sein. Als Grund für den Gehaltsverzicht wurde jeweils die
wirtschaftliche Situation der Antragstellerin angegeben. Für einige Monate
verzichtete A nur auf einen Teil seines Gehaltes und zwar für November 2011 auf
10.300 €, für Dezember 2011 auf 9.300 €, für April 2012 auf 9.300 €, für Mai 2012
auf 9.300 € und für November 2010 auf 11.716,68 €.
Die Antragstellerin erzielte in den Streitjahren folgende handelsrechtliche Ergebnisse
vor Steuern:
2010
57.481,66 €
2011 2012
83.653,83 €
115.435,80 €
Sie bildete in ihren Jahresabschlüssen folgende Rückstellungen für die zum
Jahresende jeweils wieder aufgelebten Gehaltsansprüche des A:
2010
0€
2011
83.653,83 €
2012
115.435,80 €
A bezog und lohnversteuerte in 2010 insgesamt einen Bruttolohn von 20.519,28 €.
Abzüglich des Sachwertbezugs für die private PKW-Nutzung lag eine
Gehaltszahlung von 3.623,92 € vor. Eine Ermittlung und Rückstellung für wieder
aufgelebte Gehaltsansprüche des A fand in 2010 nicht statt.
A wurde in 2011 insgesamt ein Bruttolohn von 9.000 € (November 4.000 € und
Dezember 5.000 €) und in 2012 in Höhe von 12.538,32 € (April und Mai jeweils 5.000
€ und November 2.583,32 €) gutgeschrieben. Unter Berücksichtigung dieser
Gehaltszahlungen verzichtete A in 2011 endgültig auf 47.165 € und in 2012 auf
75.363 €. Verrechnungen der Antragstellerin mit wieder aufgelebten und
zurückgestellten Gehaltsansprüchen des A erfolgten in 2013 und 2014.
Am … Juni 2003 vereinbarten die Antragstellerin und A im Rahmen eines
Darlehensvertrags, dass die Verzinsung von Salden der Verrechnungskonten 6 % p.
a. betrug. Die Zinsen sollten danach am Ende des Geschäftsjahrs nachträglich
gutgeschrieben oder belastet und kapitalisiert werden. Forderungen des
Gesellschafters gegen die Gesellschaft und umgekehrt gelten als jederzeit fällig,
sofern nicht im Einzelfall etwas Abweichendes schriftlich vereinbart ist und als
(gemeint ist wohl nicht) krisenbestimmt.
Mit Vereinbarung vom … Dezember 2011 wurde die Verzinsung mit Wirkung vom 1.
Januar 2012 auf 3 % reduziert und durch Gesellschafterbeschluss bestätigt.
Die Gesellschaft gewährte A fortlaufend Darlehen. Der Bestand
Verrechnungskontos entwickelte sich zum jeweiligen Jahresende wie folgt:
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
des
0€
0€
456,09 €
11.410,09 €
75.198,12 €
88.324,77 €
197.974,58 €
230.342,55 €
350.310,41 €
459.113,16 €
504.594,29 €
Für 2010 wurden Zinsen von 14.262,29 €, für 2011 von 17.331,72 € und für 2012 von
12.408,53 € gebucht. Tilgungen auf das Darlehen erfolgten in 2010 in Höhe von
insgesamt 78.825,21 €, in 2011 in Höhe von 0 € und in 2012 in Höhe von 11.900 €.
Bei der Antragstellerin fand im Jahr 2014 eine Außenprüfung statt. Der
Antragsgegner behandelte die Lohnzahlungen (tatsächliche Zahlungen und
Rückstellungen) als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) und rechnete deshalb
folgende Beträge dem Gewinn der Klägerin außerbilanziell hinzu:
2010
3.623,92 €
2011 2012
124.435,80 €
96.237,15 €
Ferner ging der Antragsgegner davon aus, dass auch der Zuwachs des Darlehens
für A in Höhe von 136.600 € in 2011 und von 128.600 € in 2012 als vGA zu
qualifizieren sei. Zudem sei die Verzinsung nicht fremdüblich und mit einem Zinssatz
von 10 % anzusetzen. Die Differenz zu der von der Antragstellerin vorgenommenen
Verzinsung werde als verdeckte Gewinnausschüttung außerbilanziell wie folgt
gewinnerhöhend hinzugerechnet:
2010
9.128,31 €
2011
3.514,17 €
2012
7.595,47 €
Im Rahmen der Prüfung wurde zudem festgestellt, dass Aufwendungen für
Tageszeitungen als Betriebsausgaben gebucht worden waren. In 2010 waren dies
1.199,59 € zuzüglich 86,18 € Vorsteuern, in 2011 867,78 € zuzüglich 63,25 €
Vorsteuern und in 2012 862,68 € nebst 62,89 € Vorsteuern. Auch diese Beträge
rechnete der Antragsgegner als nicht abziehbare Betriebsausgaben hinzu und
versagte den Vorsteuerabzug.
Der Antragsgegner erließ auf dieser Grundlage am 22. Oktober 2015
Änderungsbescheide
zur
Körperschaftsteuer
2010
bis
2012,
zum
Gewerbesteuermessbetrag und zur Gewerbesteuer 2010 bis 2012 sowie zur
Umsatzsteuer 2010 bis 2012.
Die Antragstellerin legte am 4. November 2015 Einsprüche gegen diese Bescheide
ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Der Antragsgegner lehnt den
AdV-Antrag mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 ab. Über den Einspruch ist noch
nicht entschieden worden.
Die Antragstellerin hat am 17. Dezember 2015 bei Gericht um vorläufigen
Rechtsschutz nachgesucht. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der angefochtenen Bescheide. Es lägen keine vGA vor. Die Gehaltsverzichte seien
zivilrechtlich wirksam, eindeutig und im Voraus vereinbart worden. Bei ihr, der
Antragstellerin, handele es sich um eine personalistisch geprägte GmbH. Anhand der
schriftlichen
Vereinbarungen
müsse
von
einem
konkludenten
Gesellschafterbeschluss ausgegangen werden. Es sei klar gewesen, in welcher
Höhe der ursprüngliche angemessene Gehaltsanspruch wieder aufleben würde. Die
Gehaltsvereinbarung sei auch ernst gemeint und tatsächlich durchgeführt worden. Es
läge keine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis vor. Die Gehaltsverzichte
hätten nicht die Gewinnsituation der Gesellschaft gesteuert, sondern Letztere habe
umgekehrt die Höhe der Bezüge des A festgelegt, die damit hinreichend definiert
gewesen seien. Es hätten auch keine ständigen Änderungen der Gehaltszahlungen
vorgelegen. Der Gehaltsverzicht sei fremdüblich, A habe nicht allein aus
Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Situation, sondern auch zur Abwendung einer
Insolvenz und damit zur Sicherung seiner Gehaltsansprüche zugestimmt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liege ein Darlehen an A vor,
weil die Zahlungen über ein Verrechnungskonto gebucht worden seien. Die
Rückzahlung des Darlehens sei auch von Anfang an gewollt gewesen. A sei ernstlich
bestrebt gewesen, die erhaltenen Mittel in absehbarer Zeit wieder zurückzuführen. Er
habe bereits erhebliche Beträge zur Tilgung der Darlehensschuld aufgebracht. In
2013 und 2014 seien weitere Tilgungen in Höhe von 93.533 € und 83.346 € erfolgt.
Das Darlehen sei nicht uneinbringlich. Der Gehaltanspruch für 2014 bestehe in voller
Höhe. Daraus könne eine weitere Tilgungsleistung erbracht werden. Die
Gesellschaftsanteile des A hätten zudem an Wert gewonnen und dieser könne
voraussichtlich ohne Probleme bei Bedarf eine andere Arbeitsstelle mit
vergleichbaren Bezügen erhalten und auf dieser Grundlage das Darlehen
zurückführen. Die Verzinsung mit 10 % sei nicht angemessen. Sie, die
Antragstellerin, habe ein eigenes Interesse an der Darlehenshingabe gehabt. Nur
dadurch habe A seine privaten Ausgaben decken und einen bedingten
Gehaltsverzicht aussprechen können.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag
2010 bis 2012, über die Gewerbesteuer 2010 bis 2012 und über Umsatzsteuer
2010 bis 2012, jeweils vom 22. Oktober 2015, ab Fälligkeit in Höhe von insgesamt
90.036,33 € auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Bescheide. Die Zahlung des Geschäftsführergehaltes stelle eine durch das
Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensminderung dar. Die bedingten
Gehaltsverzichte seien nicht zivilrechtlich wirksam geschlossen worden. Es fehle
jeweils an dem Gesellschafterbeschluss. Die Verzichte seien nicht fremdüblich. Ein
Fremdgeschäftsführer verzichte nicht auf vollständige Monatsgehälter, wenn keine
anderen regelmäßigen Einnahmen für den Lebensunterhalt zur Verfügung stünden,
auch wenn das Gehalt am Jahresende gegebenenfalls wieder auflebe. Die
Vereinbarungen seien nicht eindeutig und auch nicht ernsthaft durchgeführt worden.
Es lägen keine Ausführungen und keine Dokumentation zur wirtschaftlichen
Notwendigkeit des Verzichts vor. Ferner sei zweifelhaft, ob die wirtschaftliche
Situation tatsächlich jeweils einen vollständigen Gehaltsverzicht erforderlich gemacht
habe, wenn doch laufend Gelder als Darlehensmittel an den GesellschafterGeschäftsführer geflossen seien, dies zum Teil in der Größenordnung des
Bruttomonatsgehalts. Es sei nicht hinreichend konkret festgelegt, wann der
Besserungsfall eintrete, wann und in welcher Höhe der Lohnanspruch wieder
auflebe. Zudem fehle es an einer Vereinbarung zur Fälligkeit der Nachzahlung. Der
Verzicht entspreche nicht dem Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften
Geschäftsleiters, weil der gesamte Gewinn habe abgeschöpft werden sollen. Das
Gehalt des Gesellschafter-Geschäftsführers sei von der Gewinnsituation der
Gesellschaft abhängig gewesen, was auf eine „Nur-Tantieme-Regelung“ hinauslaufe,
die als vGA zu qualifizieren sei.
In Bezug auf das Verrechnungskonto für A liege jedenfalls ab 2011 mit Blick auf die
Erhöhungen des Bestands eine vGA vor. Der Bestand habe sich laufend nach oben
entwickelt und mehr als das Zehnfache des Stammkapitals der Antragstellerin
erreicht. Nennenswerte Tilgungsleistungen seien in 2011 und 2012 nicht zu
verzeichnen. A habe neben dem Lohnanspruch keine weiteren regelmäßigen
Einkünfte gehabt. Deshalb habe kein Geld für die Tilgung zur Verfügung gestanden.
Die Antragstellerin habe dennoch weiteres Geld zur Verfügung gestellt, ohne
Sicherheiten zu verlangen und zudem den Zinssatz vermindert. Der
Rückzahlungsbetrag habe sich 2013 auf 504.594,29 € erhöht. Selbst bei
Ausbezahlung des vollen Nettolohns und bescheidener Lebensführung seien immer
noch mehrere Jahre zur Tilgung erforderlich. Dies spreche für eine Uneinbringlichkeit
des Darlehens ab 2011.
Verrechnungskonten seien angemessen zu verzinsen. Es handele sich dem Grunde
nach um eine Art Überziehungskredit, deshalb seien als Vergleichsmaßstab die für
einen Dispokredit als Obergrenze zu zahlenden Schuldzinsen heranzuziehen. Der
Durchschnittszinssatz für solche Kredite habe in den Streitjahren 11,76 % betragen.
Mangels Besicherung des Verrechnungskontos und wegen der finanziellen Situation
des Gesellschafters seien 10 % ein angemessenes und fremdübliches Risikoentgelt.
In Bezug auf die Umsatzsteuerbescheide habe die Antragstellerin keine Einwände
vorgetragen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestünden insoweit auch bei
nochmaliger Überprüfung nicht.
II.
Der Antrag ist zum Teil unzulässig (1) und im Übrigen weitgehend unbegründet (2).
1) Der Antrag auf AdV ist unzulässig, soweit er sich gegen die
Gewerbesteuerbescheide 2010 bis 2012, die Bescheide über die Zinsen zur
Körperschaftsteuer 2010 bis 2012 und die Bescheide über den Solidaritätszuschlag
2010 bis 2012 richtet.
Die Gewerbesteuerbescheide sind Folgebescheide zu den Bescheiden über den
Gewerbesteuermessbetrag 2010 bis 2012. Soweit eine AdV in Bezug auf den
Grundlagenbescheid (§ 170 Abs. 10 der Abgabenordnung – AO -) erfolgt, ist auch
die Vollziehung des Folgebescheids auszusetzen (§ 69 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 1
der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die Antragstellerin wendet sich in den
Streitjahren jeweils gegen die Berechnung des Gewerbeertrags und damit des
Gewerbesteuermessbetrags und macht keine eigenständigen Einwände gegen die
Gewerbesteuerbescheide geltend. Sie hätte deshalb - wie bereits im
Einspruchsverfahren - AdV gegen die Gewerbesteuermessbescheide beantragen
müssen, die insoweit als Grundlagebescheide Bindungswirkung entfalten. Für einen
eigenständigen AdV-Antrag gegen die Gewerbesteuerbescheide fehlt das
Rechtsschutzbedürfnis, weil eine AdV der Gewerbesteuermessbetragsbescheide von
Amts wegen eine AdV der Gewerbesteuerbescheide nach sich zieht (vgl. BFHBeschluss vom 24. August 2004 IX S 7/04, juris; FG Hamburg Beschluss vom 13.
Mai 2005 I 130/05, EFG 2005, 1282).
Entsprechendes gilt für die Zinsbescheide zur Körperschaftsteuer und die Bescheide
über den Solidaritätszuschlag für die Streitjahre. Diese Bescheide sind jeweils
Folgebescheide zu den Körperschaftsteuerbescheiden (vgl. § 233a Abs. 5 AO; § 1
Abs. 5 des Solidaritätszuschlaggesetzes; BFH-Beschluss vom 23. Dezember 2002
IV B 13/02, BFH/NV 2003, 737 – zum Zinsbescheid; FG Hamburg Beschluss vom 3.
November 2015 6 V 259/15, juris – zum Solidaritätszuschlag).
2) Der Antrag hat, soweit er zulässig ist, zum weit überwiegenden Teil keinen Erfolg.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung
eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen.
Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den
Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene
Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Anhaltspunkte
für das Vorliegen einer unbilligen Härte sind weder von der Antragstellerin
vorgetragen worden, noch nach Aktenlage erkennbar. Eine Aussetzung der
Vollziehung kommt deshalb nur wegen Vorliegens von ernstlichen Zweifeln an der
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide vom 22. Oktober 2015 in
Betracht.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei
summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine
Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zu Tage treten, die
Unentschiedenheit
oder
Unsicherheit
in
der
Beurteilung
der
entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von
Tatfragen bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für
die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16.
Juni 2011 IV B 120/10, BFH/NV 2011, 1549; vom 6. November 2008 IV B 126/07,
BStBl II 2009, 156). Die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung ergeht wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der
sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten der
Finanzbehörde und präsenten Beweismitteln ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Juli
1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116).
Daran gemessen, bestehen überwiegend keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide vom 22. Oktober 2015.
a) Der Antragsgegner hat den Gewinn der Antragstellerin in den Streitjahren 2010 bis
2012 zu Recht außerbilanziell durch den Ansatz von vGA in Form der
Lohnzahlungen erhöht (2010: 3.624 €, 2011: 124.435,80 €, 2012: 96.237,15 €).
aa) Eine vGA im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes
(KStG) ist eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die sich
auf den Unterschiedsbetrag i. S. des § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) auswirkt, durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst oder mitveranlasst ist
und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht. Eine
Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist in der Regel gegeben, wenn eine
Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vorteil gewährt, den ein ordentlicher
und gewissenhafter Geschäftsleiter unter vergleichbaren Umständen einem
Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juni 2003 I R 38/02,
BStBl II 2004, 139, m. w. N.). Bei Leistungen einer Kapitalgesellschaft an ihren
beherrschenden Gesellschafter ist eine vGA auch dann anzunehmen, wenn diese
nicht auf einer im Voraus getroffenen, klaren und eindeutigen sowie tatsächlich
durchgeführten Vereinbarung beruhen (vgl. BFH-Urteil vom 22. Oktober 2003 I R
36/03, BStBl II 2004, 307, m. w. N.). Schließlich ist bei der Beurteilung des
Veranlassungszusammenhangs nicht nur auf die Sicht der Gesellschaft, sondern
auch auf die Position des Leistungsempfängers abzustellen; eine vGA kann deshalb
auch dann vorliegen, wenn eine Vereinbarung zwar für die Gesellschaft günstig ist,
ein gesellschaftsfremder Vertragspartner sich aber im eigenen Interesse nicht auf sie
eingelassen hätte (vgl. BFH-Urteile vom 17. Mai 1995 I R 147/93, BStBl II 1996, 204;
vom 20. Oktober 2004 I R 4/04, BFH/NV 2005, 723).
bb)
Vorliegend
sind
die
Gehaltsverzichtsvereinbarungen
mit
A
als
Alleingesellschafter-Geschäftsführer jeweils im Voraus getroffen worden und auch
zivilrechtlich wirksam. Zwar bedürfen der Abschluss, die Änderung und eine
Beendigung von Verträgen mit Geschäftsführern nach § 8 Abs. 3 der Satzung der
Antragstellerin einen Beschluss der Gesellschafterversammlung mit einer
Zustimmung von mindestens 75 % des vorhandenen Stammkapitals. Beschlüsse
können aber auch außerhalb von Gesellschafterversammlungen in Textform gefasst
werden (§ 48 Abs. 2 des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung –
GmbHG -). A war Alleingesellschafter der Klägerin und hat ausweislich der
schriftlichen Vereinbarungen über die bedingte Gehaltsverzichte jeweils für sich als
Geschäftsführer und für die Gesellschafterversammlung gehandelt und
unterschrieben. Er war als Geschäftsführer auch befugt, als Vertreter der
Gesellschaft mit sich im eigenen Namen Rechtsgeschäfte abzuschließen und somit
von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) befreit.
Es kann im vorliegenden summarischen Verfahren zwar nicht festgestellt werden,
dass A seiner Verpflichtung nachgekommen ist, die Gesellschaftsbeschlüsse jeweils
zu protokollieren (§ 48 Abs. 3 GmbHG, § 8 Abs. 6 der Satzung der Antragstellerin).
Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, würde eine Verletzung dieser
Verpflichtung die Wirksamkeit der Beschlüsse nicht berühren (vgl. Bayer in
Lutter/Hummelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 48 Rn. 36 m. w. N.).
cc) Die Gehaltsverzichtsvereinbarungen dürften auch klar und eindeutig genug sein.
Der wiederauflebende Gehaltsanspruch kann anhand des handelsrechtlichen
Ergebnisses der Antragstellerin vor Steuern hinreichend bestimmt ermittelt werden.
Es fehlt zwar eine Regelung dazu, wann dieser Anspruch fällig werden soll. Mangels
besonderer Fälligkeitsregelung ist der wiederaufgelebte Gehaltsanspruch nach § 271
Abs. 1 BGB aber in Gänze sofort fällig geworden. Ergänzend dazu ist in § 42a Abs. 2
GmbHG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 der Satzung der Antragstellerin geregelt, dass
die Gesellschafter den Jahresabschluss innerhalb der gesetzlichen Frist festzustellen
haben. Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine kleine Gesellschaft im Sinne
von § 267 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB). Deshalb war der
Jahresabschluss jeweils spätestens bis Ende des 11. Monats des nächsten
Geschäftsjahrs festzustellen. Geschäftsjahr der Antragstellerin ist das Kalenderjahr
(§ 4 Abs. 1 der Satzung). Der Abschluss war deshalb jeweils bis Ende November des
Folgejahrs festzustellen.
dd) Die Gehaltsverzichtsvereinbarungen sind aber nicht vertragsgemäß durchgeführt
worden. Im Jahr 2010 ist trotz Vorliegens eines handelsrechtlich ermittelten Gewinns
von 57.481,66 € kein wieder aufgelebter Gehaltsanspruch des A ermittelt und
rückgestellt worden. Dies ist für 2011 und 2012 zwar erfolgt. Die Jahresabschlüsse
sind aber erst nach Ablauf der oben dargestellten vertraglichen und gesetzlichen
Fristen ermittelt und festgestellt worden. Für 2011 erfolgte dies von Januar bis März
2013. Der wieder aufgelebte Gehaltsanspruch des A in Höhe von 115.435,80 € ist
dementsprechend erst im Mai 2013 gutgeschrieben worden. Für 2012 erfolgte die
Ermittlung und Feststellung des Jahresabschlusses im Januar und Februar 2014.
Der wieder aufgelebte Gehaltsanspruch des A in Höhe von 83.653,83 € ist daraufhin
im April 2014 gutgeschrieben worden.
ee) Darüber hinaus hätte sich ein Fremdgeschäftsführer nicht über drei Jahre hinweg
mit der Hoffnung auf positive handelsrechtliche Jahresergebnisse auf einen
überwiegenden vollständigen Verzicht auf seine monatlichen Gehaltszahlungen
eingelassen, wenn er zugleich von der Gesellschaft verzinste Darlehen in
beträchtlicher Höhe erhalten hätte, um davon seinen Lebensunterhalt bestreiten zu
können. Zum einen zeigt die Darlehenshingabe, dass in der Gesellschaft Liquidität
vorhanden war, die ein Fremdgeschäftsführer – jedenfalls soweit es für seinen
Lebensunterhalt erforderlich gewesen wäre – zur Gehaltszahlung und nicht zur
Darlehensausreichung verwendet hätte. Zum anderen waren die Darlehen
zurückzuführen, so dass der Geschäftsführer zusätzlich zum möglichen vollständigen
Ausfall seiner Gehaltsansprüche Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber der
Antragstellerin eingegangen ist, die er – irgendwann – erfüllen müsste. Auf dieses –
gleichsam doppelte – Risiko hätte sich ein Fremdgeschäftsführer, auch unter
Berücksichtigung einer Treueverpflichtung gegenüber der Antragstellerin und des
Bestrebens, seinen Arbeitsplatz zu erhalten, nicht eingelassen. Dieser Umstand zeigt
ebenfalls,
dass
die
Gehaltsverzichtsvereinbarungen
durch
das
Gesellschaftsverhältnis veranlasst waren (vgl. auch BFH-Urteile vom 13. Dezember
1989 I R 99/87, BStBl II 1990, 454; vom 20. Oktober 2004 I R 4/04, BFH/NV 2005,
723 – zur Bejahung einer vGA bei einem Vertrag, bei dem die Auszahlung des
Geschäftsführergehalts in vollem Umfang von der wirtschaftlichen Situation der
Gesellschaft abhängig ist). Ein fremder Geschäftsführer hätte angesichts der Höhe
des Gehaltsanspruchs und dessen monatlicher Fälligkeit zudem eine Verzinsung des
wiederaufgelebten Anspruchs verlangt, um seine finanziellen Nachteile abzufedern
(vgl. BFH-Urteil vom 13. November 1996 I R 53/95, BFH/NV 1997, 622; FG
Hamburg, Urteil von 28. Juni 2012 2 K 199/10, juris). Überdies hätte er auf einer
schnelleren Verpflichtung zur Erstellung und Feststellung des Jahresabschlusses
bestanden, als innerhalb der gesetzlichen Frist von 11 Monaten nach Ablauf des
Geschäftsjahrs.
ff) Der Beklagte hat auf Grund der fehlenden Durchführung der
Gehaltsverzichtsvereinbarungen
und
der
nicht
eingehaltenen
Fremdvergleichsgrundsätze zu Recht den gesamten Gehaltsaufwand als vGA dem
Grunde nach eingeordnet und außerbilanziell gewinnerhöhend zugerechnet (vgl.
BFH-Urteil vom 20. Oktober 2004 I R 4/04, BFH/NV 2005, 723).
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsgegner zu Recht eine vGA in den
Streitjahren 2011 und 2012 darin gesehen hat, dass die Antragstellerin A über das
Verrechnungskonto weitere Darlehensmittel zur Verfügung gestellt hat (136.300 € in
2011 und 128.600 € in 2012). Die Erhöhungen des Verrechnungskontos haben sich
bei der Antragstellerin zunächst nicht vermögensmindernd ausgewirkt. Die
innerbilanzielle Korrektur des Verrechnungskontos und Behandlung als vGA bewirkt
auf Gesellschaftsebene keine höhere Steuerlast. Ob A in 2011 und 2012
entsprechende Beträge als vGA zugeflossen sind, ist im vorliegenden Verfahren
nicht
entscheidungserheblich
und
gegebenenfalls
bei
dessen
Einkommensteuerfestsetzungen zu klären, für die die Körperschaftsteuerbescheide
keine materielle Bindungswirkung im Sinne eines Grundlagenbescheides entfalten
(vgl. etwa Bauschatz in Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 32a Rn. 28 m. w. N.). Es
spricht allerdings wohl Überwiegendes dafür, dass jedenfalls ab Ende 2010 bei
einem Darlehensstand von gut 230.000 € und fehlenden Sicherheiten die weiteren
erheblichen Zuführungen nicht mehr ernsthaft zur Durchführung der
Darlehensvereinbarung mit Rückzahlungsabsicht erfolgten, sondern durch das
Gesellschaftsverhältnis veranlasst waren, um – gleichsam als Gehaltsersatz – dem
Alleingesellschafter-Geschäftsführer seinen Lebensunterhalt zu sichern, der ab 2010
durch die bedingten Gehaltsverzichtsvereinbarungen offenbar nicht mit anderen
Mitteln bestritten worden konnte.
c) Es bestehen allerdings ernstliche Zweifel daran, ob die vom Antragsgegner als
vGA angesetzte zusätzliche Verzinsung des Verrechnungskontos rechtmäßig ist
(2010: 9.128,31 €; 2011: 3.514,17 €; 2012: 7.595,47 €); insoweit war deshalb AdV zu
gewähren.
Im Falle der Gewährung eines Darlehens durch die Gesellschaft an ihren
Gesellschafter muss die dem Darlehen zugrunde liegende Vereinbarung klar,
eindeutig und zivilrechtlich wirksam sein. Soweit dies zutrifft, muss darüber hinaus
eine marktübliche Verzinsung vereinbart worden sein. Ober- und Untergrenze der
Marktüblichkeit sind der höchstrichterlichen Rechtsprechung zufolge die
banküblichen Haben- und Sollzinsen, wobei bislang regelmäßig davon ausgegangen
wurde, dass sich Gesellschaft und Gesellschafter die dazwischen liegende Spanne
teilen (vgl. BFH-Urteile vom 28. Februar 1990 - I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; vom
19. Januar 1994 - I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; und vom 22. Dezember 2003 - I R
36/03, BStBl. II 2004, 307; FG Hamburg Urteil vom 12. September 2012 6 K 110/10,
juris).
Allerdings sind in Rechtsprechung und Schrifttum Zweifel geäußert worden, inwieweit
diese Auffassung nach wie vor Bestand haben kann (vgl. FG Hamburg Urteil vom 12.
September 2012 6 K 110/10, juris). So hat beispielsweise das FG Sachsen-Anhalt
entschieden, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung nicht angenommen werden
könne, wenn die zwischen einer Gesellschaft und ihren GesellschafterGeschäftsführern vereinbarten Zinsen für von den Geschäftsführern ausgereichte
Darlehen nicht oder nur geringfügig über den maximal möglichen Obergrenzen der
Streubreite für Sollzinsen der Bankkredite liegen (Urteil vom 21.02.2008 - 3 K
305/01, juris; s. dazu auch BFH-Beschluss vom 22.09.2008 I B 69- 71/08, juris). In
der Kommentarliteratur heißt es etwa: Soll-Größe eines fremdvergleichsgerechten
Verhaltens könne regelmäßig immer nur jener Zinssatz sein, den der ver- oder
entleihende Geschäftspartner auf dem "freien" Markt erreichen könne. Die
"Bandbreitenbetrachtung" der Rechtsprechung sei insoweit unangebracht; eher
schon müsse gefragt werden, ob der Kapitalgesellschaft auf dem "freien" Markt eine
anderweitige (alternative) Verwendung der Darlehensmittel zur Verfügung gestanden
hätte und welchen "Preis" sie dabei hätte erzielen können (Gosch in Gosch, KStG, 3.
Aufl. 2015, § 8 Rz. 693; vgl. auch Häußermann in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz.
1235; a. A. hingegen Rengers, in: Blümich, KStG, § 8 Rz. 594 f.).
Auf dieser Grundlage ist ernstlich zweifelhaft, ob das Abstellen auf den
durchschnittlichen Zinssatz für Überziehungskredite, geschätzt auf 10 %,
angemessen ist. Damit wird vom Antragsgegner maßgeblich auf die Konditionen
abgestellt, die A bei einer Bank für einen entsprechenden Dispokredit hätte eingehen
müssen. Für die Frage der Angemessenheit der Verzinsung und damit einer
unterlassenen Vermögensmehrung ist aber maßgeblich auf die Sichtweise eines
ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters der Antragstellerin abzustellen und
zu fragen, welche marktgerechte Zinshöhe er vereinbart hätte, wobei unter anderen
die oben genannten Kriterien eine Rolle spielen können. Dies wird der
Antragsgegner im Einspruchsverfahren zu berücksichtigen haben. Dabei sind auch
die Gründe zu ermitteln, die für die ursprüngliche Zinshöhe von 6 % maßgeblich
waren und warum ab 2012 eine Reduzierung auf 3 % erfolgt ist.
d) Die Antragstellerin hat im Übrigen keine Einwände gegen die angefochtenen
Bescheide erhoben. Weitere Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen nicht.
Die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 2010 ist deshalb in Höhe von
1.369,- € (15 % von 9.128 €), die des Körperschaftsteuerbescheides 2011 in Höhe
von 527,- € (15 % von 3.514 €) und die des Körperschaftsteuerbescheides 2012 in
Höhe von 1.139,- € (15 % von 7.595 €) auszusetzen.
Der Antragstellerin sind gemäß § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO sämtliche Kosten des
Verfahrens aufzuerlegen, weil sie nur zu einem geringen Anteil obsiegt hat;
gemessen an der begehrten AdV von insgesamt 90.036 € beträgt ihr Obsiegen in
Höhe von 3.036 € nur knapp 3,4 %.
Die Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 115 Abs. 2 FGO
vorliegen (§ 128 Abs. 3 FGO).

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