60 Jahre aGTCM
Transcription
60 Jahre aGTCM
60 Jahre AGTCM Rückblicke · Gratulationen · Danksagungen 2 Inhalt Grußwort von Nils von Below 3 „Wir gehören zu den Spitzenreitern in Deutschland“ von Nils Von Below 4 Gratulation 5 Dreißig Jahre Praxis - Der Sinn? Vortrag von August Brodde 9 In Memoriam August Brodde von Helmut Magel 12 Eine Persönlichkeit der ersten Stunde von Wilfried Merz 14 Unvergessliche Erlebnisse während der ersten Studienreise nach Chengdu von Helen Schreiner 16 Wandlungen durch und mit Tcm in Deutschland von Marlies Sonnentag 18 Vom langen Ringen um einen Kooperationsvertrag von Herbert Vater 23 Die Oscar-Verleihung in China und andere Anekdoten von Gerd Ohmstede 26 Zeit der Wende: Auch die Agtcm wird fast „komplett“ von Andreas Noll 28 Nach hitzigen Debatten um Ideen: Die Agtcm beschreitet neue Wege von Andreas Noll 30 Vor mehr als 30 Jahren begann die Freundschaft zur Tcm-Universität Chengdu von Birgit Ziegler 32 Mein Engagement für die Agtcm begann mit einer umstrittenen „Werbeaktion“ von Helmut Magel 34 „Halte an der Mitte fest“: Die Pioniere der TCM organisieren sich in Berlin von Annette Moll 36 60 Jahre – Nur ein Wimpernschlag der Geschichte? von Dirk Berein 39 Eiom München ist seit 2001 Kooperationspartner der Agtcm von Wolfgang Waldmann 42 Bis zum Bezug der Schulungsräume war viel Improvisation gefragt von Grita Petersen-Jung 43 CCM Nord: Die Geschichte einer „freundlichen Übernahme“ von Christina Koch, Sönke Dorau und Marita Erhardt-Albrecht 44 Danksagung von Franziska Kohlmüller 46 Impressum 47 TITEL: 弘扬光大 „hóng yáng guang dà“ carry forward, develop, enhance 3 Liebe Freundinnen und Freunde der AGTCM, mit dieser Festschrift wollen wir das 60-jährige Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V. (AGTCM) würdigen und Ihnen einen kleinen Rückblick auf die bewegte Geschichte unseres Vereins geben. In 60 Jahren hat sich nicht nur die Welt der AGTCM, sondern vor allem auch die Welt an sich verändert. 1954, als August Brodde und seine Kolleginnen und Kollegen den Arbeitskreis TCM gründeten war der 2. Weltkrieg erst 9 Jahre her. Die Städte in Deutschland waren zwar schon im Aufbau, aber überall gab es noch Ruinen. Die Welt war in zwei Teile geteilt: Ost und West und China, und damit die Traditionelle Chinesische Medizin, war noch sehr weit weg. Die Mauer war noch nicht gebaut, geschweige denn als der große Irrtum einer Generation wieder eingerissen. Bei der Mondlandung, die erst in 15 Jahren, also 1969 stattfinden sollte, wurden Berechnungen noch mit Rechenschiebern gemacht. Es gab Telefone mit Wählscheiben! Aber die große Umwälzung sollte erst noch stattfinden und hatte 1989! ihren Ausgangspunkt als das World Wide Web im Forschungszentrum CERN gegründet wurde. Wir können uns heute nicht mehr vorstellen, dass die Welt ohne WWW existiert. Die Arbeit der AGTCM und des TCM Kongress Rothenburg wäre jedenfalls ohne Web und E Mails so nicht machbar. Und so wie die Welt sich in den letzten 60 Jahren mehr verändert hat als jemals in seiner Zeit zuvor, so hat sich auch die TCM im Westen verändert bzw. etabliert. Das was mal von irgendwelchen „Exoten und esoterischen Spinnern“ als netter „Behandlungshokuspokus“ ausgeübt wurde, ist heute eine erforschte und bewiesen effektive Behandlungsmethode die ihren Einzug nicht nur in die Schmerztherapie erhalten hat sondern auch in alle Bereiche des Gesundheitswesens einfließt. Vielleicht werden in 60 Jahren unsere Nachfahren diese Festschrift in die Hand nehmen und die Geschichte der AGTCM nachspüren. Auch sie werden auf die Veränderungen der nächsten 60 Jahre erstaunt zurückblicken und darüber hoffentlich auch erfreut sein. Ich möchte Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen des Jahres 2074, eine herzlichen Gruß mit einer kleinen Prophezeiung ausrichten: Eines wird sich auch bis in Eure Zeit nicht verändert haben - so wie es sich auch in den letzten 2500 Jahren nicht verändert hat: Der Mensch mit seinen Bedürfnissen nach Gesundheit und Glück, seinen individuellen Ursachen für Krankheit und Leid und die wunderbaren Möglichkeiten der TCM, Erkrankungen zu lindern oder zu heilen und Gesundheit wiederherzustellen oder zu bewahren. Ich hoffe, dass auch Ihr immer noch die Möglichkeit habt, diese wunderbare TCM in ihrer Vielfalt, Poesie und Kunst auszuüben. Diese letzten 60 Jahre haben jedenfalls spannende Erinnerungen hinterlassen, die Ihnen hoffentlich so viel Genuss beim Lesen bereiten wie wir ihn hatten beim Sammeln. Viel Spaß dabei wünscht Ihr Nils von Below 1. Vorsitzender AGTCM 2005- 2014 im Namen des Vorstandes der AGTCM 2014 4 „Wir gehören zu den Spitzenreitern in Deutschland“ Die AGTCM hat im Lauf ihrer Geschichte immer vom Idealismus und Engagement ihrer Mitglieder gelebt Von Nils von Below, 1. Vorsitzender der AGTCM 2014 jährt sich zum 60. Mal das Gründungsjahr der AGTCM. Was 1954 als ein Treffen einer kleinen Heilpraktiker-Arbeitsgruppe begonnen hatte, ist inzwischen zu einer Organisation und Gemeinschaft von enthusiastischen Spezialisten der Traditionellen Chinesischen Medizin gewachsen. Heute können wir mit Stolz sagen, dass wir sowohl hinsichtlich unserer Aus- und Weiterbildungsangebote als auch unseres Wissensniveaus zu den Spitzenreitern in Deutschland gehören, und dass die AGTCM eine der wenigen medizinischen Institutionen in Deutschland ist, in denen Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen sowie Ärzte und Ärztinnen gemeinschaftlich organisiert sind – zwei Drittel unserer Mitglieder sind Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen, ein Drittel Ärzte und Ärztinnen. Mit unserem ,TCM Kongress Rothenburg‘ haben wir inhaltlich, organisatorisch und auch atmosphärisch Trendmarken im Bereich der internationalen TCM-Kongresse gesetzt. Mit dem Bedeutungszuwachs, den die Chinesische Medizin in den letzten 25 Jahren national als auch international erfahren hat, ist auch die AGTCM gewachsen und hat sich zu einem beachtlichen Verein entwickelt, der seinen Mitgliedern neben allen Vorteilen einer Vereinszugehörigkeit auch eine starke Identifikationskraft bietet. Die bewegte Geschichte der AGTCM war immer eng an die Persönlichkeiten gebunden, die sich in verschiedenen Ämtern und Funktionen für den Verband engagiert haben. Wichtig sind aber auch drei herausragende Ereignisse bzw. Entwicklungen, die die AGTCM maßgeblich beeinflusst haben. Die erste bahnbrechende Veränderung stellte die Abwendung der AGTCM von der französisch begründeten TCM hin zu einer angelsächsisch geprägten Ausübung der Chinesischen Medizin in den 1970er Jahren dar. Wurden die Wurzeln der TCM in Europa Kongress Rothenburg‘. Hier spielte insbesondere Gerd Ohmstede eine wichtige Rolle, der als Organisator des ,TCM Kongress Rothenburg‘ verpflichtet wurde und die heutige Gestalt unseres Kongresses entscheidend prägte. Durch seinen unermüdlichen Aufbau von internationalen Netzwerken konnte Gerd Ohmstede viele große Namen der internationalen TCM-Szene für unseren Kongress gewinnen, womit er maßgeblich zu dessen großem Erfolg beitrug. maßgeblich durch die französischen Jesuiten geprägt, spielten in den 1950er und 1960er Jahren zunächst die französischen TCM-Kollegen und Kolleginnen eine maßgebliche Rolle für die AGTCM. Die im Zuge des Besuchs von US-Präsident Nixons 1972 in China von amerikanischen Journalisten veröffentlichten Reportagen und Berichte über Akupunktur bildeten den Grundstein für ein neues Bewusstsein über die Möglichkeiten alternativ-medizinischer Therapiemethoden in der westlichen Welt. Bücher wie beispielsweise ,The web that has no weaver‘ von Ted Kaptchuk wurden zu vielbeachteter Medizinliteratur und fanden insbesondere in den neuen gesellschaftlichen Strömungen dieser Zeit eine starke Resonanz. Flower-Power, Befreiung aus traditionellen Gesellschaftsstrukturen und Hinwendung zu östlichen Philosophien stellten einen wichtigen Nährboden für die Anwendung der TCM im Westen dar. In diesem Zusammenhang stieg sowohl in den USA als auch in England die Zahl der Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten für Akupunktur - und später für die übrigen Methoden der Chinesischen Medizin - rasant an, was zu einem breiten Angebot an Bachelor- und Masterstudiengängen in diesen Ländern führte. Kollegen und Kolleginnen, die in den USA oder England studiert hatten, brachten das neue Wissen zu uns nach Deutschland und beeinflussten damit auch die Ausrichtung der AGTCM und ihres ,TCM In den 1990er Jahren kam es für die AGTCM zu einer weiteren wichtigen Entwicklung, die sich im Bereich des ,TCM Kongress Rothenburg‘ niederschlug und diesem ein neues Gesicht verleihen sollte. Der Grundstein für diese Entwicklung wurde durch die ,Entdeckung‘ des Wildbads in Rothenburg und seinen räumlichen Möglichkeiten gelegt. Fanden die Vorträge und Kurse bis dahin fast ausschließlich in der Reichsstadthalle statt, boten die vielseitigen Räumlichkeiten des Wildbads, seine umliegenden Wiesen und die Café-Terrasse die Möglichkeit, neue Themen anzubieten und Referenten und Referentinnen einzuladen, Praxiskurse in Qi Gong und Tai Ji anzubieten und das kollegiale Miteinander unter den Kongressteilnehmern aufzubauen und zu pflegen. Der zunächst rein wissensorientiert ausgerichtete Kongress erfuhr ein stetig wachsendes Kursangebot und wurde darüber hinaus mit zusätzlichen ,Event-Angeboten‘ bereichert, was ihm einen atmosphärisch einzigartigen Charakter verlieh und unseren israelischen Kollegen Yair Maimon zu der Bezeichnung ,Woodstock der TCM-Kongresse‘ inspirierte. Einen weiteren wichtigen Baustein der Geschichte der AGTCM stellte die Entwicklung der Ausbildungszentren bzw. Kooperationsschulen dar. Die erste Kooperationsschule der AGTCM wurde 1984 in Bochum gegründet und zog später als August-Brodde- 5 gratulation Schule nach Wuppertal. Heute zeigen sich die sechs Kooperationsschulen als echte Ausbildungszentren: Hier wird nicht nur das Grundwissen für alle fünf Säulen der Chinesischen Medizin in verschiedenen Ausbildungsgängen vermittelt, sondern es hat sich an allen Ausbildungszentren ein vielfältiges System an qualitativ hochwertigen Weiterbildungsmöglichkeiten in allen Bereichen der chinesischen - und zum Teil auch der japanischen - Medizin etabliert. Als selbstständige Schulen für Chinesische Medizin sind die Schulen wichtige lokale Vertreter und Partner der AGTCM und zudem wichtiger Bezugspunkt für die Mitglieder der AGTCM. Das hohe Qualitätsniveau der Aus- und Weiterbildungsgänge an den Kooperationsschulen der AGTCM, das für eine kontinuierliche und hochwertige therapeutische Qualifikation der Mitglieder der AGTCM sorgt, wird dabei von der zentralen Qualitätskommission für Aus- und Weiterbildung (QAW) garantiert. Die AGTCM hat im Lauf ihrer Geschichte immer von dem Idealismus und Engagement ihrer Mitglieder gelebt. Die vielen Funktionsträger und Helfer, die ihre Arbeit zu einem nicht unerheblichen Teil ehrenamtlich geleistet haben, machten sie zu dem, was sie heute ist. Auch wenn in Zukunft unsere Vorstandsmitglieder aufgrund neuer rechtlicher Regelungen in ein Angestelltenverhältnis überführt werden müssen und so ihre Tätigkeit und Vergütung einen genaueren arbeitsrechtlichen Rahmen erhält, wird ihre Arbeit immer über die im Rahmen der Arbeitsverträge vergütete Arbeitszeit hinausgehen und ein teilweise ehrenamtliches Engagement fordern. Für einen mit begrenzten finanziellen Mitteln ausgestatteten Verein ist dies eine Notwendigkeit und ich möchte hiermit noch einmal allen großen und kleinen Helfern in der Geschichte der AGTCM meinen tiefen Dank aussprechen! Gratulation CDUTCM „Warm Congratulations to the Grand 60th Anniversary of the Founding of AGTCM Thousands of years’ unique TCM created by our forefathers, are followed by boundless and endless generations. TCM classics must be abided by strictly, and great Masters are subtle and loyal in TCM. With extreme nobility and goodness, those sticking to TCM doings can advance far and long. By the President, Prof. Liang Fanrong Chengdu University of Traditional Chinese Medicine, May, 2014“ 6 世界针灸学会联合会 WORLD FEDERATION OF ACUPUNCTURE AND MOXIBUSTION SOCIETIES (WFAS) NGO IN OFFICIAL RELATIONS WITH WHO A-LIASON ORGANIZATION OF ISO/TC249 To: Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V., AGTCM e.V. Message of Congratulations March 15th, 2014 Dear Dr. Nils von Below, President of AGTCM, Dear Dr. Gerd Ohmstede, President of TCM Kongress Rothenburg, It gives me a great pleasure to send this message to Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V. (AGTCM e.V.). First, I would like to congratulate AGTCM on its 60th birthday. During that period of time, AGTCM has evolved into a respected organization which is much needed to provide a platform for education, communication and exchange as the use as acupuncture-moxibustion and other forms of traditional Chinese medicine rapidly increases in Europe. I would also like to compliment AGTCM for organizing TCM Kongress Rothenburg and making this great event to its 45th anniversary. It is the oldest and biggest TCM congress in Europe, if not the Western world, which attracts more than 1,000 delegates from dozens of countries across the globe every year. TCM Kongress Rothenburg has become an icon for highly quality workshops, scientific meetings and exchange of experience. AGTCM became a member society of World Federation of Acupuncture-Moxibustion Societies (WFAS) in 2000. Since then, AGTCM has been actively involved with promoting acupuncture and moxibustion in Germany and Europe within the framework built by WFAS. I’m happy that acupuncture and moxibustion has been widely accepted and acknowledged in many parts of Europe. This couldn’t have come true if without the joint effort from AGTCM and many organizations and individuals. Let us hope that TCM Kongress Rothenburg and other work of by AGTCM will contribute to the integration of Chinese and Western medicine, and also advancing health and wellness for all people. Prof. Liu Baoyan President of World Federation of Acupuncture-Moxibustion Societies (WFAS) 电话(Tel):+861064011210,+861087194973 传真(Fax):+861064018354 网址(Web):www.wfas.org.cn 地址:中国北京东城区广渠门内夕照寺街东玖大厦 B 座 7 层 邮编:100061 Addr: B-7, Dongjiu Mansion, Xizhaosijie, Dongcheng District, Beijing, 100061, China Gratulation WFAS 7 Gratulation WFCM 8 Gratulation ETCMA 9 DreiSSig Jahre Praxis – der Sinn? Ein philosophischer Ausflug in die Geschichte des Heilens Vortrag von August Brodde, gehalten auf einer Heilpraktiker-Tagung 1994 Viele Kollegen können auf mehrere Jahrzehnte erfolgreich ausgeübter Praxis zurückblicken. Wenn wir hier als Überschrift ausgewählt haben „Dreißig Jahre Praxis“, so deshalb, weil dieses gerade die Spanne einer Generation ist. Eine Generation Praxis! Eine Generation verfolgt haben, wie sich das Kind über Schule, Lehre, Beruf zum Erwachsenen entwickelt, Liebe erfährt, eine Ehe eingeht und selbst wieder Kinder hat. Diesen Weg in Höhen und Tiefen sehen, die von mannigfaltigen Zufällen begleitet werden, von denen die gesundheitlichen Störungen den Menschen durch sein Dasein, aber auch sein Sosein begleiten. Sein Dasein mit dem „Kampf ums Leben“, der seine Zeichen setzt, sein Sosein, das ihn nicht seinen Veranlagungen - psychischen wie physischen - entrinnen lässt: Das Ganze als „Schicksal“ oder mindestens als Teil desselben aufgefasst, wird in seinen psychosomatischen Zusammenhängen und Verquickungen vom Behandler vorsichtig mitgestaltet, wenn sich der Mensch ihm in seinen Nöten anvertraut. Und da liegt unsere Aufgabe, über deren Sinn wir nachzudenken haben, über den SINN, den wir diesem Weg mitteilen. Und gerade da, in der Frage nach diesem Sinn, scheiden sich bereits die Geister. Die einen meinen, durch verantwortungsbewusstes Einsetzen ihrer Heilkunst eine Lebensaufgabe zu erfüllen, die darin besteht, dem Menschen bei Minimierung seiner möglichen Beschwerden ein Maximum an Lebensqualität und -erwartung zu verschaffen. Wenn wir uns aber das ansehen, was heute meist unter „Lebensqualität“ bei der breiten Masse verstanden wird, die - notwendigerweise - dem Materiellen verhaftet ist, dann können wir mit einem ehrlicheren Klartext sagen, dass diese Tätigkeit nicht viel mehr ist als die Reparatur von Gesundheits- und Befindensstörungen zum Zwe- cke der Erhaltung der Erwerbstätigkeit, die der Beschaffung materieller Güter dient, welche die so genannte „Lebensqualität“ ausmachen. Sollte das etwa der SINN sein, den wir erfüllen und vermitteln? Andere, die – und Gott sein Dank gibt es so etwas - im Menschen jene bekannte Dreiheit von Körper, Geist und Seele sehen, meinen, über die bloße Reparatur des Körperlichen hinaus sich auch um Geist und Seele kümmern zu müssen. Ein lobenswertes Bemühen, das aber - leider - all zu oft dazu verführt, vom Körper zu abstrahieren und nur Geist und Seele zu sehen. Diese Kollegen vergaloppieren sich leicht ins nur Esoterische. Und da ist es wohl angebracht, etwas zurechtzurücken. Jedes Ding oder jede Lehre hat zwei Aspekte: einen für jedermann bestimmten äußerlichen, exoterischen und einen für die Eingeweihten, die Adepten bestimmten esoterischen. Das sollte man vorsichtig abwägen und sich fragen, ob man denn selbst oder ob der Patient wirklich zu den Adepten gehört. Esoterische Literatur, die jedermann zugänglich ist, kann unmöglich Brevier der Eingeweihten sein. Also: Vorsicht in diesen Dingen, die zu abstrakt sein sollenden Praktiken führen und wieder Einseitigkeit bringen. Vielleicht sogar zu einer gefährlichen. Das sollte gewiss auch nicht der SINN unseres Tuns sein. Was ist nun aber der SINN, von dem ich zu reden versuche? Eine Antwort darauf kann nur von der Philosophie gegeben werden, die man freilich im eigentlichen Sinne des Wortes zu verstehen hat. Nicht als ein in „Wolkenkuckucksheim“ angesiedeltes abstraktes Etwas von „erhabenen“ Theorien und Denksetzungen, sondern in Übersetzung des Wortes die „Freundschaft oder Liebe zur Weisheit“. Und dazu bieten sich wiederum verschiedene Lehren an, welche Der junge August Brodde eben diese Liebe zur Weisheit zu formulieren versuchen. Mindestens zwei davon könnten uns am Herzen liegen. Da ist zunächst einmal die altgriechische STOA, um etwa 300 v. Chr. durch Zenon aus Kition (Zypern) gegründet und über Chrysippos bis zu Epiktet verfolgbar. Diese weit verbreitete Schule lehrte - kurz gesagt - die Einschränkung weltlichen Genusses und die Hinwendung zur natürlichen Lebensweise. Auch der römische Kaiser Marc Aurel gehörte ihr an. In ihren späteren Phasen wurde sie vorwiegend eklektisch gesinnt und gab der Religion einen größeren Raum im Dasein. Das lässt sich hervorragend auf heutige Verhältnisse transponieren. Gelingt es, den Menschen zur Minimierung seiner Luxusbedürfnisse zu bewegen und ihm eine natürliche Lebensweise schmackhaft zu machen unter Einbeziehung der Erkenntnis, dass es auch höhere Dinge gibt, die religio zur Existenz über die dritte Dimension hinaus, so ist damit der erste Schritt getan, ihm einen SINN mitzuteilen. Richtet er sein Leben nach diesen Maximen aus, ohne die ihm adäquaten Annehmlichkeiten des täglichen Daseins auszuklammern, so kann er durchaus zu einem 10 zufriedenen Leben finden, das in psychosomatischer Hinsicht weniger anfällig für Befindensstörungen ist. Vorstehend habe ich versucht, von der altgriechischen STOA aus unserem Tun einen Sinn zuzuordnen. Von anderen Philosophierichtungen ist besonders der TAOISMUS geeignet, den SINN zu erschließen, nach dem wir suchen. Wenn Sie über den Taoismus informiert sein wollen, so ist das Suchen in Lexika unter diesem Stichwort wenig hilfreich. Dort wird oft ausgesagt, dass er eine chinesische Religion sei, die in der Vermischung naturphilosophischer Auffassungen mit einem Götterglauben und einem Schuss Buddhismus bestehe. Dieser Taoismus interessiert uns hier nicht, sondern nur und ausschließlich TAOISMUS als Weisheitslehre. Diese geht aus vom TAO als dem Absoluten, dem Anfang aller Dinge, welches - obschon „dauernd ohne Handeln“ - alles Seiende, den Himmel, die Erde und alle Dinge hervor bringt. Richard Wilhelm benennt das Tao mit SINN. Er trifft damit „den Nagel auf den Kopf“, wenn man bedenkt, dass eben nur der in allem steckende Sinn dieses Alles bewirken kann. Eine Vorstellung, die auch Philosophien aus anderen Kulturkreisen gemein ist. Lassen Sie mich nur an das Johannes-Evangelium erinnern, welches anfängt: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“. Das Wort ist im Griechischen gleichbedeutend mit Sinn. Es könnte dort also auch stehen: „Im Anfang war der Sinn“. Dieser Sinn nun - und das ist das typisch taoistische - handelt von sich aus nicht, sondern verharrt im „Wu wei“, dem „Nicht-tun tun“, was kein faules Warten ist, sondern als Tätigkeit aufzufassen ist, welche durch ihre bloße Existenz als Sinn in den Dingen steckt und diese hervorbringt. Und zwar mittels des „Te“, dem an sich passiven Einwirkens des Tao in die Welt, welches als Vorhandensein des Sinns die Entfaltung und Erhaltung des Universums in vollkommener Güte hervorbringt. Sollte Sie dieser Denkansatz interessieren, so empfehle ich Ihnen die Lektüre des LAO TSE zugeschriebenen TAO TE KING – Dieses existiert in verschiedenen Übersetzungen, von denen ich empfehle: 1. Die Übersetzung von Victor von Strauß, TAO TE KING, Manesse-Bibliothek der Weltliteratur, besonders wegen der darin enthaltenen Kommentare. 2. Die Übersetzung von Richard Wilhelm, TAO TE KING, Diedrichs Gelbe Reihe. Ein angenehm zu lesendes, mehr belletristisches Werk. Dieser so apostrophierte philosophische Hintergrund reicht noch nicht aus, die praktische Bedeutung des Taoismus für die Chinesische Medizin zu erklären und damit zu dem zu führen, was wir hier als die Suche nach dem Sinn unseres Tuns betreiben. Wir müssen vielmehr noch über die naturphilosophischen Konsequenzen sprechen, welche „Te“, der Weg, des Tao in die Welt hinein als modus operandi benutzt. Bar jeder Axiomatik fußt diese Denkweise auf der Totalität aller denkbaren Antagonisten, Yin und Yang genannt. Zwischen oben und unten, hell und dunkel, Mann und Frau und allem nur denkbaren Gegensätzlichen besteht eine potentielle Spannung, die sich als Energie äußert. Und zwar sowohl in physikalischer als auch biologischer Hinsicht. Es ist nur logisch, alles energetische Geschehen des Lebens unter diesem Aspekt zu betrachten. Angefangen beim Antagonismus zwischen Himmel und Erde erschließt diese Naturphilosophie der Chinesischen Medizin schlüssige Vorstellungen von der Entstehung der Lebensenergie, die verdächtig unserer Physiologie ähneln, bis zu deren Auswirkungen in den verschiedenen Funktionskreisen unseres Körpers. Ein imposantes, in sich hervorragend funktionierendes Gebäude medizinischer Theorien, welches zu beschreiben nicht der Sinn meiner Auslassungen sein kann und das ein spezielles Studium der Dinge erfordert. Es ist aber von großem Nutzen, weitere Betrachtungen zu unserem Thema, dem Sinn unseres Tuns anzustellen. Aus der Palette der Vielfalt philosophischer Aussagen, die uns nützlich sein könnten, habe ich auszugsweise und komprimiert die eben angedeuteten Lehren der griechischen Stoa und des chinesischen Taoismus ausgewählt, um zu zeigen, was man unter dem SINN unseres Tuns verstehen könnte und was er in der Praxis sein sollte. Ich weigere mich, als bloßer „Gesundheitsverkäufer“ vor meine Patienten zu treten und meine, wir alle sollten einen höheren Auftrag erfüllen, indem wir unsere Behandlung so einrichten, dass einerseits der Patient geführt wird, andererseits auch seinen ontischen, ihm seinsmäßig zukommenden Platz in der Schöpfung begreift. l. Unter Parientenführung kann man die Aufgabe verstehen, dem Menschen, der sich uns anvertraut, nicht nur zu zeigen, welche Lebensweise und welche Mittel er zur Wiederherstellung seiner Gesundheit anzuwenden hat. Das ist einerseits Berufsroutine, über die wir vor einem Auditorium von Fachleuten, die eben hiervon leben, wohl kaum zu reden haben. Andererseits aber auch Zielvorstellung im vorher apostrophierten Sinne der Stoa: Der Patient soll begreifen, dass der Sinn des Lebens nicht nur in der Jagd nach den Annehmlichkeiten desselben bestehen darf; Geld, Luxus, kurz Wohlstand ist nicht alles, sondern eher morbide Belastung, insofern also vom Neid diktiert: Weil „der andere“ es hat, muss man es auch haben - und sich im Streben danach übernimmt und kaputt macht. Wenn man begreift, dass das Streben zum Notwendigen in heiterer Gelassenheit auch etwas „Angenehmes“ sein kann, dann lässt man sich auch auf eine „natürliche Lebensweise“ ein, genießt das, was die Natur, je nach Jahreszeit, schönes zum Leben, zum Erleben und Genießen zu bieten hat, wohl wissend, dass das alles von einem höheren Prinzip her kommt und gesteuert wird. 2. Die ontische, seinsmäßig orientierte Position des Patienten in der Welt kann am ehesten taoistisch begriffen werden. Er soll wissen, dass er zwischen Himmel und Erde steht und aus diesem Spannungsfeld nicht nur seine Kraft, das Leben bezieht, sondern auch alles, was da war, ist und sein wird. Der „Himmel“ ist nicht nur als theologischer Begriff zu sehen, sondern beginnt bereits im Außen. Alles, was der Mensch nicht selbst ist, ist Anfang des Himmels in diesem Sinne und dehnt sich aus, wenn man so will bis ins Unendliche, bis in eine nur denkbare, sinnlich nicht wahrnehmba- 11 re Dimension, die - mathematisch gesehen - keineswegs irreal ist. Wir und der Patient müssen begreifen, dass wir in diesen unabdingbaren Zusammenhang hineingeboren sind. Dann bekommt der 35. Spruch des TAO TE KING eine essentielle Bedeutung, welche zu begreifen das Leben sinnvoller machen kann: Wer festhält das große Urbild, zu dem kommt die Welt. Sie kommt und wird nicht verletzt, In Ruhe, Gleichen und Seligkeit, Der SINN geht aus dem Munde hervor, milde und ohne Geschmack. Du blickst nach ihm und siehst nichts Sonderliches. Du horchst nach ihm und hörst nichts Sonderliches. Du handelst nach ihm und findest kein Ende. Lieber August Brodde, höre ich Sie sagen. Du spinnst uns ganz schön etwas vor! - Ist denn das alles, was wir in drei Jahrzehnten unserer Praxistätigkeit getan haben, ohne Sinn gewesen? Haben wir nicht so manchen Patienten von seinen Beschwerden befreit? Haben wir nicht das Vertrauen so vieler Menschen erworben? Macht das etwa keinen Sinn? Doch, es macht Sinn. Nur durch Erfolge kann dieses zustande kommen, durch Erfolge, die das Selbstwertgefühl des Behandlers erhöhen. Dieses besteht zum großen Teil nicht nur in dem Bewusstsein, von den Patienten gerühmt und empfohlen zu werden, sondern auch dann, was man von diesem Erfolge präsentieren kann: Haus, Auto, Luxus, Reichtum. In dieser materiellen Hinsicht den SINN unserer Bemühungen sehen, bedeutet, dem Pragmatismus huldigen, einer von den Amerikanern Charles Peirce und William James begründeten Philosophie, deren Lehre in der Quintessenz gipfelt „Nur was wirkt und Erfolg hat ist Wahrheit“. Für den Geist ist hier nur sehr wenig Platz. Aber gerade der sollte uns nicht unwichtig sein. Haben wir bis hierher versucht, den SINN von der griechischen Stoa, dem chinesischen Taoismus, dem amerikanischen Pragmatismus her zu deuten, so ist dadurch die Palette philosophischer Möglichkeiten keineswegs erschöpft. Erlassen Sie mir weitere Ausflüge in Gebiete, die nicht uninteressant wären und von denen - zum Beispiel - ein Superpragmatismus, der Dialektische Materialismus von Karl Marx weltweit politische Bedeutung mit verheerenden Folgen erlangte. Jedoch lädt ein Überblick durch meine oben stattgefundenen Zusammenfassungen aus Weisheitslehren dazu ein, noch ein Wort über den Eklektizismus zu sagen. Der Eklektiker wird meist als bloßer Nachahmer apostrophiert, was ausgesprochen ungerecht ist. Meist ist er ein gebildeter, belesener, aber bescheidener und nachdenklicher Mensch, der nichts Neues erdenkt, um es zu einem neuen philosophischen Gebäude zusammen zu setzen, sondern der Überzeugung ist, dass alles Wissenswerte schon vor ihm durch bedeutende Köpfe gesagt worden ist und man es wohl variieren, kaum aber Neues hinzufügen kann. Und aus dieser großen Summe vorhandener Lehren setzt er sein Weltbild zusammen, wie es schon Diogenes Laertios getan hat und Kameades (212 bis 128 v.Chr.) in der Spätzeit der griechischen Philosophie lehrte. Heutzutage würde mehr Eklektizismus weniger Spinner bedeuten. Im 32. Spruch des TAO TE KING sagt Lao Tse auszugsweise: Der SINN als Ewiger ist namenlos Einfalt. Obwohl klein, wagt die Welt ihn nicht zum Diener zu machen. Weiß man, wo halt zu machen ist, So kommt man nicht in Gefahr. Dreißig Jahre Praxis – der Sinn? Den kann ich Ihnen nicht sagen und als sichere Erkenntnis mit auf den Weg geben. Es kommt ganz darauf an, unter welchem Aspekt man die Dinge anschaut. Für den einen wird dieser Sinn im materialistischen Pragmatismus zu finden sein: Wahr ist, was mir Erfolg bringt. Für den anderen liegt die Richtschnur in der Stoa: Sich und den Patienten auf das Wesentliche zu beschränken und eine natürliche Lebensweise führen, die keineswegs Annehmlichkeiten ausklammert. Der dritte sieht den Sinn seines bisherigen, gegenwärtigen und künftigen Tuns darin, den richtigen Platz im kosmischen Geschehen - sowohl im Makro als auch im Mikrokosmos - und ihren unabdingbaren gegenseitigen Relationen zu orientieren und zu finden, wobei er auf der Welle des Taoismus liegt, und der vierte schließlich orientiert sich mit den Eklektikern an der Summe ihm bekannter Weisheiten. Ich muss sagen, dass es den „SINN AN SICH“ als feststehenden, unabänderlichen Begriff nicht gibt, sondern dass ein jeder aufgerufen ist, sich um seinen SINN zu bemühen, und er wird ihn je nach dem Stadium seiner eigenen Evolution zwischen bloßer Materie und reinem Geist finden. Hoffen wir, dass Sie auf dieser Skala einen gehobenen ontischen Platz haben. Hier wie im täglichen Leben überhaupt gilt der Ausspruch des griechischen Philosophen Epiktet: „Es verwirren den Menschen nicht Dinge, sondern Meinungen über Dinge“. Arthur Schopenhauer sagt es in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ im Kapitel „Von dem, was einer ist“ folgendermaßen: „Nicht was die Dinge objektiv und wirklich sind, sondern was sie für uns, in unserer Auffassung sind, macht uns glücklich oder unglücklich“. Wenn ich auch nicht schlüssig oder gar allgemein gültig habe sagen können, was der SINN einer generationslang ausgeübten Praxis sei, hoffe ich doch, zu diesem Thema mindestens Denkanstöße gesetzt haben zu können, die Sie freundlichst und - vielleicht - fruchtbar in Ihrem Sinn bewegen wollen, um Ihren SINN zu finden. Nun ist aber der Begriff des Sinns nicht nur ein geistiger Wert, wie bisher abgehandelt, sondern auch eine Vokabel der Allgemeinheit im täglichen Umgang, an der wir wohl nicht vorbei können. Erleben wir doch dauernd, dass die Vertreter der offiziellen Medizin – besonders die Funktionäre – unser Tun als Unsinn bezeichnen und dieses der Patientenschar schmackhaft machen wollen. Das lasst manchmal die Wogen der öffentlichen Diskussion hochschlagen. Aber es gibt - Gott sei Dank - eine Unzahl von Patienten, die mit uns gute Erfahrungen gemacht haben und die sich deshalb gern der Meinung anschließen WER HEILT HAT RECHT! Damit ist, vom Nutzen her gesehen, die 12 Frage nach Sinn oder Unsinn unserer Praxistätigkeit umrissen und beantwortet. Es bleibt das mehr oder weniger nur akademische Diskussionsblabla. Da hört man immer wieder mit der Monotonie einer Gebetsmühle, dass die enormen, von uns benutzten „Verdünnungen“ - Potenzierungen ist den Herren eine Fremdvokabel – keinerlei Materie mehr enthalten und deshalb gar nicht wirken können. Realität ist, dass selbst Hochpotenzen in der Tiermedizin, auch beim Großtier, wirken. Und sind Sie nicht sicherlich mit mir darin einig, dass vierbeinige Kühe in der Regel weder die Regenbogenpresse lesen noch an naturheilkundlichen Diskussionen teilnehmen und trotzdem hervorragend auf eine D30, C30, D200 etc. reagieren. Das ist zwar schon Beweis genug für den praktischen SINN der Homöopathie, der zweifelsohne außerhalb der ständig wiederkehrenden Behauptung vom Placebo-Effekt liegt und auch nicht mit psychogenen Mechanismen erklärbar ist (und wenn schon ... auch das wäre nicht schändlich). Wir können stolz sein auf das Geleistete und die wissenschaftliche Erklärung getrost denen überlassen, die als Wissenschaftler dafür kompetent sind. Und die tun sich in dieser Hinsicht schwer – wenn sie nicht von vornherein ihre Bemühungen auf das vorab erklärte Ziel ausrichten, absichtlich die Unwirksamkeit zu beweisen. Die gewählten Untersuchungsmethoden sind im Übrigen in der Regel nicht geeignet, das Problem richtig anzupacken. Wenn überhaupt die Wirksamkeit der Homöopathie nachweisbar ist, dann bestimmt nicht pharmakologisch oder chemisch, sondern eher physikalisch. Da ich kein Wissenschaftler bin, fühle ich mich hier nicht kompetent, kann aber auf ein interessantes physikalisches Phänomen hinweisen: Nehmen Sie zwei Tonbandkassetten, eine leere und eine bespielte. Chemisch sind beide vollkommen identisch, aber nur eine davon lässt sich abspielen. Weil hier nämlich die Moleküle der Materie magnetisch anders angeordnet wurden, was ein physikalisches, kein chemisches Phänomen ist. Das metallische Band als Informationsträger. Und so ist es auch mit dem homöo- pathischen Mittel. Das Vehiculum – Alkohol oder Milchzucker – wurde durch die Potenzierung imprägniert und ist zum Informationsträger geworden. Sei dem wie ihm wolle: Die uns bekannte Wirksamkeit kann am ehesten noch so erklärt werden. Diese kleine Erinnerung an bestimmt längst Gewusstes mag uns darin bestärken, unsere Praxis mit gutem Gewissen auszuüben, wohl wissend, dass das, was wir tagtäglich an Wirksamkeit beobachten, „Hand und Fuß“ hat und auch „wissenschaftlich“ erklärbar sein musste, wenn man es richtig anfassen würde. Einstweilen gedulden wir uns mit dem, was uns zur Verfügung steht, erleb- und beobachtbar ist und das die Patienten so schätzen, dass sie uns Tag für Tag eine „Abstimmung mit den Füßen“ darbringen. Sie besuchen und empfehlen uns immer wieder und beweisen ihre Zufriedenheit und ihr Vertrauen dadurch, dass sie in gleichbleibend großer Zahl unsere Praxen füllen. Ergo hat unser von ärztlicher Seite so gern als UNSINN apostrophiertes Tun doch seinen SINN, und zwar einen höchst praktischen und ethisch vertretbaren. Der Vorwurf, in unseren Praxen würden schwere Krankheiten verschleppt, trifft uns nicht, denn wir wissen sehr wohl, wann wir Patienten zur „Schulmedizin“ zu schicken haben. Zur „Schulmedizin“, die unsere unbestreitbaren Erfolge oft (auch) damit erklärt, dass viele Krankheiten von selbst heilen. Was, so wissen wir, in ärztlichen Praxen durchaus oft mit Erfolg verhindert wird. Lassen Sie es mich kurz machen. In voller Verantwortlichkeit gegenüber dem Leben üben wir unseren Dienst am Patienten in dem Bewusstsein aus, dass er seinen SINN hat, und dass die schulmedizinische Behauptung, er sein Unsinn, UNSINN ist. Dreißig Jahre Praxis – der Sinn? Ich glaube, wir kommen ihm immer näher, wenn wir nicht nur in unserer Tätigkeit einen Sinn sehen, sondern – vor allen Dingen – auch versuchen, ihn unter philosophischen Gesichtspunkten zu begreifen, wozu eine kleine „Schützenhilfe“ gegeben zu haben ich hoffe. August Brodde schreitet zum Gesellschaftsabend, 80er Jahre In memoriam August Brodde Heilpraktiker Brodde startete 1953 seinen Unterricht Die Geschichte der Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V. und des ABZ West Von Helmut Magel (2001), Vorstand/Bereichsleiter Didaktik der August-BroddeSchule August Brodde, ein Praktiker der Akupunktur der ersten Stunde nach dem 2. Weltkrieg, war Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V. und erster Vorsitzender sowie der Gründer des Ausbildungszentrums West e.V., das heute seinen Namen trägt. In französischer Kriegsgefangenschaft mit der Chinesischen Medizin in Kontakt gekommen, ließ Brodde diese in Deutschland eher fremde Heilkunde nicht mehr los. Nach dem Krieg scharte sich nach seinen ersten Veröffentlichungen eine kleine Gruppe gleichgesinnter Heilpraktiker und Ärzte um ihn, um die Systematik der Chinesischen Medizin zu erfassen. 1952 fanden erste Kurse unter Leitung von Dr. Stiefvater und den Heilpraktikern Hörner und Korn statt. August Brodde begann 13 dann 1953 mit Kursen in ganz Deutschland, um dem wachsenden Interesse an diesem Zweig der Medizin gerecht zu werden. Nach anfänglicher Zusammenarbeit von Heilpraktikern und Ärzten bekamen letztere zunehmend Schwierigkeiten mit ihren Standesorganisationen: Zum einen wegen der Bezeichnung “Akupunkteur” – die TCM war damals von einer öffentlichen Anerkennung seitens der offiziellen Medizin noch weit entfernt – zum anderen aufgrund des im ärztlichen Standesrecht verankerten Konsiliarverbots mit Heilpraktikern. Es handelte sich jedoch nicht um eine Zusammenarbeit, sondern um eine gemeinsame Ausbildung, die von diesem Verbot nicht betroffen war. Zu diesem Zeitpunkt gründete sich die “Deutsche Gesellschaft für Akupunktur” (DGfA), Vorläufer der heutigen “Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur” (DÄGfA), unter Leitung von Gerhard Bachmann. Dies führte dann zu nicht mehr überbrückbaren Differenzen mit den zum größten Teil in der “Deutschen Heilpraktikerschaft” (DH) organisierten nichtärztlichen Kollegen, so dass es schließlich zum Bruch kam. August Brodde gründete 1954 den Arbeitskreis für Klassische Akupunktur in der Deutschen Heilpraktikerschaft (DH). Es begann eine Zeit, in der sich Praktiker mehr und mehr auch auf regionaler Ebene mit der Thematik beschäftigten. Einige herausragende Größen der damaligen Zeit, zum Beispiel Else Münster aus Hamburg, scheuten keine Mühen, um „vor Ort“ zu lernen. Aus politischen Gründen waren Reisen in die VR China nicht möglich, so orientierten sich die Interessenten nach Japan und Hongkong. Die dort Ausgebildeten kamen sehr enthusiastisch von ihren Reisen zurück, um zu lehren, was sie dort erfahren hatten. Nachdem sich die Mitglieder des Arbeitskreises für Klassische Akupunktur lange Jahre im kleinen Kreis getroffen hatten, die Nachfrage nach qualifizierter Ausbildung aber immer größer wurde, entschloss sich der Arbeitskreis 1968, eine erste größere Tagung durchzuführen. Die mittelalterliche Stadt Rothenburg o.d.T. und dort wiederum das Spitalviertel wurden ganz bewusst gewählt. Die Tagungen fanden jährlich in wachsendem Umfang und mit größer werdendem Zulauf statt. Sie sind bis heute ein Ort lebendigen Austausches zwischen Kolleginnen und Kollegen und zum größten TCM-Kongress in der westlichen Welt geworden. Dieses “Treiben” der Akupunkteure, vor allem ihr zunehmend selbstbewusstes Auftreten, fiel der Leitung der damaligen DH auf. Bedingt durch zunehmende Schwierigkeiten mit der DH-Führung entschloss sich die Gruppe 1981, einen eigenen Verein unter dem Namen “Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V.” zu gründen. Die Arbeitsgemeinschaft wurde in das Vereinsregister eingetragen und erhielt die Gemeinnützigkeit. Ein weiterer qualitativer Sprung erfolgte 1984, als der bekannte Praktiker Hans Giesen zusammen mit August Brodde eine “Schule für Klassische Akupunktur und TCM” in Bochum gründete. Das Ziel war, den Interessierten in einer intensiven Ausbildung die Grundlagen der TCM zur Praxisreife zu vermitteln. Die erste, damals noch zweijährige Ausbildung wurde mit großer Resonanz angenommen. Zur damaligen Zeit gab es in Deutschland keine andere Ausbildung in dieser Form. Angeregt durch die Bochumer Schule kamen später weitere Ausbildungszentren hinzu. Heute gibt es insgesamt sechs, die miteinander in regelmäßigem Austausch stehen und sich gegenseitig inspirieren. August Brodde leitete die Arbeitsgemeinschaft bis 1992 und wurde später ihr Ehrenpräsident. Er ist am 4. Dezember 1997 kurz nach Vollendung seines 80. Lebensjahres gestorben. Da er maßgeblich zur Verbreitung der Chinesischen Medizin in Deutschland beigetragen hat, trägt das ABZ West als August-Brodde-Schule e.V. zusätzlich seinen Namen. Das Ausbildungszentrum wird durch einen gemeinnützigen Verein getragen, in dessen Vorstand auch DozentInnen der Schule vertreten sind. Das ABZ ist somit eine selbständige Institution, die wie die übrigen Ausbildungszentren für Chinesische Medizin Ausbildungen durchführt, die mit der Verleihung des Diploms der Arbeitsge- meinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin abgeschlossen werden. Seit September 1999 findet der Unterricht in eigenen Räumen, zu denen auch ein Lehr-Ambulatorium gehört, in Wuppertal-Barm statt. August Brodde 1996 beim TCM Kongress in Rothenburg August Brodde und Karl-Friedrich Liebau, Anfang der 1980er 14 Eine Persönlichkeit der ersten Stunde Erinnerungen an den Heilpraktiker August Brodde (1917 – 1997) Von Wilfried Merz, Langzeitmitglied der AGTCM Mit großem Fleiß hat er über fünf Jahrzehnte versucht, die besonderen Erkenntnisse der chinesischen Entdeckungen zu verstehen und durchschaubar zu machen. Er wollte verstehen. In seinen Werken weist er immer darauf hin, dass er zu diesen Schriften gedrängt wurde. Es war sein Anliegen, Zusammenhänge zu sehen und die Logik, die hinter der chinesischen Philosophie steht, zu durchschauen. Als Persönlichkeit der „ersten Stunde chinesischen Denkens in Europa“ hat er schon sehr früh - Anfang der 1950er Jahre - als Heilpraktiker begonnen, seine Erkenntnisse weiterzugeben. Vor dem riesigen Wissen der chinesischen Philosophie hat er nie kapituliert, sondern - wie er gern sagte - als kleiner Fußgänger Zusammenhänge gesucht und gefunden. In seinem Grundwissen war er geprägt von der französischen Schule. George Soulié de Morant war - wie ich heute deute - die erste Quelle seiner Studien. Die Gründung des Arbeitskreises für Klassische Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin erfolgte im Jahre 1954 als Arbeitskreis in der Deutschen Heilpraktikerschaft e.V. Bereits in seinem ersten Werk „Ratschläge für den Akupunkteur“, 1963 im RichardPflaum-Verlag erschienen, wies er auf die Wichtigkeit der Maximalzeiten (Sonnenzeiten ) hin: Die Behandlung der Wurzel des Geschehens unter der Berücksichtigung der Dynamik der Natur. Dabei muss man herausheben, dass er in der Therapie des Ausgleichs die maximale Voraussetzung zur Selbstheilung gesehen hat. Schon zu dieser Zeit waren die Behandlungsansätze in Europa unterschiedlich (Goldnadeln, Silbernadeln, Stahlnadeln, Moxatherapien, Pflasterbehandlungen, symptomatisches Behandeln). Ich erinnere mich gut, dass er die Arbeitsgemeinschaft darüber abstimmen ließ, ob man die Ohrakupunktur als einen Aspekt der Klassik integrieren kann. Als ich in den 1960er und 1970er Jahren die ersten Vorlesungen und Seminare miterlebte, fand ich eine Gruppe von Idealisten, die ihre Arbeit ganz diesen Gedankengebäuden gewidmet hatten. Da wurde am Wochenende weiter gearbeitet, auch wenn man eine Fünf-Tage-Woche in der vollen Praxis hinter sich hatte. Wir alle profitierten von seinem Drang, uns diese Erkenntnisse zugänglich zu machen und sie in Europa zu festigen. Er war seit 1970 Präsident der Deutschen Heilpraktikerschaft e.V. 1976 veröffentlichte er die dritte Auflage seines Werkes „Ratschläge für den Akupunkteur“ mit dem Hinweis, kein Lehrbuch schreiben zu wollen, sondern dass es sein Anliegen ist, die energetische Akupunktur durchschaubarer zu machen. Zitat: … „dass das Durchdenken eines Falles nach den energetischen Prinzipien der klassischen Akupunktur vor dem Stechen stehen sollte“. Zitat: „August Brodde betrieb eine allgemeine Heilpraxis, in der die Akupunktur eine dienende, nicht – wie heute leider so modern – die herrschende Rolle spielt.“ In seinem Vorwort wies er auf die neuen Probleme dieser Zeit hin. Zitat: “Die Vielfalt moderner Bücher bringt eine gewisse Verwirrung in die Ausübung der Akupunktur. Die energetische klassische Kunst wird nur von wenigen gelehrt.“… „Das führt mehr und mehr zur kritiklosen Anwendung und zur Verflachung von Lehre, Ausbildung und Erfolg.“ Um der chinesischen Medizin gerecht zu werden, versuchte er immer mehr Fachleute nach Rothenburg zu holen. Man muss vor Augen haben, dass in diesen Jahren die Behandlung mit der Nadel als eine völlig außergewöhnliche Methode gesehen wurde, die - auch von Heilpraktikern - belächelt und bis zur Scharlatanerie diskrimi- niert wurde. Wie Kollege Brodde an einer Stelle schreibt, war er froh, wenn es ihm gelungen war, einen Patienten oder eine Patientin zur Behandlung mit der Nadel zu überreden, ja man musste sogar bitten. Von der Sache überzeugt lud er Spezialisten, wie zum Beispiel Dr. Westermeyer (Veterinärmediziner, Ersteller der ersten Akupunktur-Atlanten für die Großtierpraxis) ein. Er präsentierte diesen immer mit der derselben Ansage: „Ich habe den Dr. Westermeier mit seinen interessanten Filmen und Vorträgen wieder eingeladen, um zu zeigen, dass die Akupunktur auch bei Kühen wirkt, die nicht vorher die BildZeitung gelesen haben!“ Mit der regelmäßigen Einladung von Jacques Bierlaire nach Rothenburg wurden die Überlegungen der Therapie des Ausgleichs untermauert. (Buch: Akupunktur des Ausgleichs - Regeln und ihre Anwendungen erschienen im WBV) Natürlich sind hier der Sinologe Prof. Dr. M. Porkert, Dr. A. Markgraf, die Kollegin Ockelmann, der Anästhesist Prof. Dr. Dr. H. F. Herget (Elektrostimulations-Analgesie - 250 offene Herz-Operationen 1973 - 1976) und J. D. van Buren zu nennen. Im Jahre 1969 fand erstmals in Rothenburg o. T. im „Hotel Reichsküchenmeister“ eine kleine Zusammenkunft statt. Die Basis der Rothenburger Tagungen war gegeben. Um den Anfängen in Rothenburg gerecht zu werden, müssen hier selbstverständlich die Kolleginnen Doris Baginsky (klass. Akupunktur) und Else Münster (japanische Akupunktur und die besondere Kinderbehandlung - Shoni-Shin) genannt werden. Besonders sind aber ebenso die Kollegen Hans Giesen und Dr. Karl O. Heimann zu nennen, ohne die diese Seminare nicht zu dem geworden wären, was sie damals waren. Kollege Hans Giesen hat an der Entwick- 15 lung der Arbeitsgemeinschaft einen sehr großen Anteil, vielleicht sogar den größten. Mit einem unermüdlichen Fleiß, immer im Bewusstsein, Schüler von August Brodde zu sein, solidem Grundwissen und dem beherrschen der PA FA , hat er diesen Aspekt der Lehre verinnerlicht und gelebt. Die Erfahrungen seines Wissens hat er in dem Buch, „PA FA. Klassische Akupunktur für den Praktiker“ erschienen bei WBV, veröffentlicht. Nicht zu vergessen die vielen Vorträge und Seminare, die zum Teil von Dr. Karl O. Heimann in den drei Büchern „Beiträge zu den Tagungen“ für die Arbeitsgemeinschaft für klassische Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin veröffentlicht wurden. Dr. Heimann war immer Mitorganisator der Rothenburger Tagungen. Während Hans Giesen den ersten Arbeitskreis im Westen leitete, gründete Dr. Heimann den Arbeitskreis Süd in München. Die erste Schule der Arbeitsgemeinschaft wurde 1983 in Bochum gegründet, an die auch ich als Lehrer berufen wurde. Nicht nur im Verstehen des chinesischen Weltbildes, sondern auch für uns Praktiker hat August Brodde sehr viel geleistet, wie zum Beispiel in der Ausarbeitung der grafischen Darstellung des Akabane-Tests. Durch seine besondere Idee wurde ein Diagnostikum bestätigt und der Heilungsverlauf gezeigt, obwohl es sich hierbei nur um die Reflexion der Anfangs- bzw. Endpunkte der Meridiane gegen Hitze handelt, welche jedoch schon die kleinsten Überreaktionen oder Verlangsamungen des Stoffwechsels darstellen. Hier hat er die Basis für eine echte ganzheitliche Perspektive und die Belegbarkeit dieser Therapie geschaffen. (Buch: Brennen mit Moxakraut - Der Akabane-Test als thermisches Diagnostikum, WBV). Aber nicht nur in diesem Bereichen half er weiter, sondern er knüpfte ebenso die Beziehungen zu den idealistischen Verbänden, die anstrebten, die authentischen Kenntnisse der chinesischen Medizin umzusetzen, wie die Société International d’Acupuncture, deren Präsident Jean Schatz auch in Rothenburg lehrte. Ich schließe meine Erinnerungen mit dem Bewusstsein, einen guten Lehrer in August Brodde gehabt zu haben, der uns nach Dr. Karl Heimann 1980er Jahre: Wer findet den jungen Herbert Vater? wie vor ein Vorbild sein sollte. Mit seiner Anregung auf meine Weiterbildung hat er meine Tätigkeit als Therapeut mit folgender Feststellung geprägt: Wenn man einen Bastard bestimmen will, dann muss man erst die Rasse studieren. Das Studium der Rasse habe ich nach 40 Jahren Vollzeitpraxis noch nicht abgeschlossen und fühle mich sehr wohl dabei. „Der Erkennende ist nicht viel wissend, der Vielwisser erkennt nicht.“ Tao Te King LXXXI Hans Giesen 16 Unvergessliche Erlebnisse während der ersten Studienreise nach Chengdu Persönliche Erinnerungen an die Jahre der aktiven Vereinsarbeit Von Helen Schreiner, ehem. 1. Vorsitzende der AGTCM Nachdem ich bei Frau Heinz in der HPFachschule München eine Grundausbildung in TCM genossen hatte und im Sommer 1980 bei Hans Giesen ein fünfwöchiges Praktikum absolviert hatte, nahm ich an den Fachfortbildungen der AG teil. Unsere damaligen Dozenten waren hauptsächlich August Brodde und Hans Giesen. 1984 wurden anlässlich der Rothenburg-Tagung Prüfungen abgehalten und mit der Nr. 74 wurde ich als Vollmitglied aufgenommen. Eine weitere sehr gute Ausbildung erhielt ich durch Wochenendseminare mit Dr. Nguyen van Nghi und Dr. Hadida 1986/87 in Barcelona. Soweit ich mich erinnere, gründeten wir 1989 auf Initiative von Dr. K.O. Heimann das Ausbildungszentrum Süd in der Giselastraße in München-Schwabing. Neben A. Brodde und H. Giesen unterrichteten hauptsächlich H. Weczey, H. Wittmann und ich. Unvergesslich war der Unterricht von August Brodde, dem Mitbegründer der AG, der viel Wert auf den philosophischen Hintergrund der chinesischen Medizin legte. Das Steckenpferd von „Charly“ Heimann war die geschichtliche Entwicklung. Hans Giesen war der Praktiker, der uns durch seine langjährige Erfahrung wertvolle Tipps auch in anderen Aspekten der Naturheilkunde mitgab. Über Gerd Ohmstede kam Barbara Kirschbaum als Dozentin dazu. In ihrem klar strukturierten Unterricht erklärte sie die Logik und Zusammenhänge der chinesischen Medizin. Durch sie wurden wir unter anderem in Diagnostik und chinesischer Pharmakologie geschult. Während meiner fünfjährigen Vorstandsarbeit hatte ich die Möglichkeit, an internationalen Tagungen teilzunehmen. Herr Brodde bat mich damals, die AG in Straßburg bei einer Anhörung des EUParlamentes zu vertreten, als es um die europäische Regelung der nicht ärztlichen Therapeuten ging. Gerd Ohmstede, der schon mehrfach in China war, organisierte für den Sommer 1990 die erste Studienreise der AG nach Beijing und Chengdu. Teilnehmer waren unter anderem Grita Petersen-Jung, Silke Schweinhuber, Sigrid Klain, Renate Ilg, Herbert Vater, Claude Diolosa, Gerd Ohmstede und ich. Nach einer Woche Sightseeing in Beijing ging es weiter nach Chengdu. Wir waren im Ausländer-Studentenheim des Provinzhospitals von Sichuan gut untergebracht. Da unser Aufenthalt ein Jahr nach der brutalen Niederschlagung des Aufstandes auf dem Tiananmen- Platz stattfand, wurden wir dementsprechenbewacht und man verhinderte die Kontaktaufnahme mit den chinesischen Studenten. Während eines Wochenendes, an dem wir auf einer Exkursion waren, wurde sogar das Verbindungstor, das den Hof der chinesischen Studenten mit dem der ausländischen verband, zugemauert. Freudig überrascht waren wir von der Freundlichkeit und Offenheit der Ärzte und Übersetzer uns gegenüber. Auch die Beziehung zwischen Arzt/Ärztin und Patient/in war von einer Kameradschaft geprägt, wie wir sie hier im Westen nicht kannten. Intimität gab es nicht. In den Behandlungsräumen wurden die Patient/ inn/en auf alten Sesseln, Liegen oder sitzend auf Stühlen behandelt, und jeder konnte mithören, welche Beschwerden der Nächste vortrug. Sicherlich hat sich in den 23 Jahren vieles geändert, aber damals war es für uns einerseits befremdlich, andererseits wurde es durch die Helen Schreiner als 1. Vorsitzende in der Reichsttadthalle in Rothenburg Liebenswürdigkeit der Behandler/innen und die Geduld der Patient/inn/en ausgeglichen. Unser Tagesablauf war stressig: 7.30 UhrChi Gong, 8.30 Uhr Frühstück, das sehr gewöhnungsbedürftig war (kalter Reis, Erdnüsse, Tee, Sojamilch). Von 9 bis 12 Uhr hospitierten je zwei unserer Gruppe mit einem Übersetzer bei einem Arzt und konnten auch selbst unter seiner Anleitung nadeln. Noch immer höre ich das leicht verächtliche „bu tong“ (tut nicht weh) der Patient/inn/en, weil wir uns nicht trauten, so zu nadeln wie die chinesischen Ärzte. Dann gab es Mittagessen, nachmittags hatten wir Vorlesungen. Die Klinik hatte uns Fahrräder zur Verfügung gestellt, und so konnten wir in die Stadt fahren. Aber immer wurden wir von einem Bewacher begleitet. Manchmal verabredeten wir uns und fuhren ein jeder in eine andere Richtung, um uns nachher 17 wieder zu treffen. So wurden wir unseren Bewacher los. Am Wochenende konnten wir mit einem Bus die nähere Umgebung erkunden. So machten wir Ausflüge und besichtigten Lo Shan und kletterten auf den Er Emai. Die fünf Wochen waren sehr schnell vorbei. Mit vielen neuen Erkenntnissen und Erfahrungen sowie beladen mit Souvenirs kehrten wir zurück. Eine bemerkenswerte Episode sollte ich noch erwähnen: Eine Großmutter brachte ihren achtjährigen, unterernährten Enkel, der wie ein Fünfjähriger aussah, zur täglichen Behandlung. Der Junge hatte infolge einer Meningitis das Gehör verloren und war blind geworden. Der Kleine hielt die Nadelung tapfer aus, die Oma weinte. Vielleicht auch, weil sie nicht genügend Geld hatte, um die Behandlung fortzusetzen. Bevor wir nach Hause flogen, gaben meine Kollegin Silke und ich der behandelnden Ärztin 50,- DM (oder waren es Dollar?), um die Behandlung dieses Jungen weiterzuführen. ten und erwähnten, dass sie das übrige Geld den Eltern mitgegeben hatten, um den Kleinen besser ernähren zu können. Außerdem enthielt der Umschlag eine Cassette und ein Foto. Darauf sah man die Großmutter, die Eltern, die Ärzte und den Kleinen mit einem Spielzeugauto und einen Blumenstrauß. Auf der Cassette hörten wir, wie der Junge gefragt wurde, was er in der Hand hält. Dann wurde er gebeten, für uns ein Lied zu singen, damit sollten wir den Erfolg der Behandlung hören. Dieses Erlebnis steht für die ganzen Erfahrungen, die wir während unseres Aufenthaltes in Chengdu gemacht haben. Hiermit möchte ich nochmal meinen Dank an Gerd Ohmstede für seine gut gelungene Organisation ausdrücken und auch allen, mit denen ich während meiner Zeit im Vorstand zusammenarbeiten konnte. Ebenso möchte ich der AG und besonders dem jetzigen Vorstand zu seiner Arbeit gratulieren. Etwa einen Monat später erhielten Silke und ich einen Brief aus Chengdu, es war ein dicker Umschlag. Dr. Xie Ru, eine Ärztin, war gerade bei uns im AK Süd zu einer Fachfortbildung. Sie wohnte bei mir und übersetzte den Brief. Es war ein Dankesschreiben von den Eltern des kleinen Jungen und ein Rechenschaftsbericht der Ärzte, die den Kleinen behandelt hatten. Sie dokumentierten die Behandlungskos- Der Kleine hielt die Nadelung tapfer aus, die Oma weinte. Erste Chinareise: Unvergessliche Erlebnisse 18 Wandlungen durch und mit TCM1 in Deutschland Therapie, Therapeuten, Gesundheitssystem und Gesellschaft von Marlies Sonnentag, ehem. Mitglied des Vorstandes der AGTCM 60 Jahre sind eine kurze Spanne in der Geschichte von Ost und West und doch eine wechselvolle Zeit: Es gab massive Veränderung nach dem Ende des 2. Weltkriegs, die Beschleunigung der Technisierung der Lebens- und Arbeitswelt, die zunehmende Internationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft. Auf der sozialen und individuellen Ebene erweiterten sich die Möglichkeiten für einen Teil der Weltbevölkerung: Wahlfreiheit der eigenen religiösen und philosophischen Ausrichtung, mehr Informationsmöglichkeiten und Reisefreiheit. Dies hat den Austausch von Ost und West gefördert und die heutige Rezeption von TCM im Westen ermöglicht. Hier sollen mit einigen persönliche Skizzen und Thesen Aspekte zur Entwicklung und Rezeption der Traditionellen Chinesischen Medizin, Philosophie und Lebenspraxis in Deutschland dargestellt werden: als Moment zum Innehalten, zur Anregung von Bescheidenheit und Stolz, zur kritischen Reflexion und als Motivation zum Weitermachen. Medizinische Wissenschaftlichkeit versus „Ganzheitliche Sicht“ des Menschen Der technische und wissenschaftliche Fortschritt im Bereich der Medizin hat in den letzten Jahrzehnten die Möglichkeiten von Diagnose und Therapie, konservativ wie chirurgisch, revolutioniert. Es ist sinnvoll, wenn man aus der eigenen Perspektive vielleicht gerade kritisch auf manche Entwicklungen der heutigen Medizin schaut, sich klar zu machen, was vor 60 Jahren alles noch nicht möglich war. In den wohlhabenden Ländern ist dieser Fortschritt für viele Menschen real zugänglich, während er für viele Menschen in vielen Gegenden der Welt noch eine ferne erstrebenswerte Vision darstellt. Es ist hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, ob man aus einer Pers- pektive der (Über)Sättigung oder aus einer Perspektive der Not auf sogenannte Schulmedizin oder Alternativmedizin blickt. Und dennoch zeigen Stichworte wie „Technisierung“, „Enthumanisierung“, „Apparatemedizin“ oder „Ökonomisierung“ reale Defizite und ein subjektiv empfundenes Unbehagen auf: Wo bleibt der Mensch? Wo wird der Mensch als Subjekt gesehen? Es gibt in Deutschland eine lange Tradition der Naturheilkunde, besonders im Bereich der Kräuterheilkunde auch aus früheren Jahrhunderten, die in Wellen immer wieder aufgegriffen wurde, früher aus Armut, mangels anderer Alternativen und heute hat sich eine Pharmakotherapie mit vielen Herstellern und Präparaten etabliert. Homöopathie und Anthroposophische Medizin wurde in Deutschland entwickelt. Bemerkenswert ist, dass immer wieder die ganzheitliche Lebenspflege auch von Geistlichen entwickelt und propagiert wurde – die Klostermedizin im Allgemeinen, Hildegard von Bingen im Mittelalter, die Pfarrer Kneipp und Felke in der Neuzeit. Im Blick dieser Medizin steht der ‚Mensch in der Verantwortung‘2 für sich selbst und seine Umwelt. Heil und Heilung aus der Natur, mit den Kräften von Natur und Kosmos als Einheit und Eingebundensein, ist immer wieder Thema, vielleicht auch Sehnsucht, die durch die sogenannte wissenschaftliche Medizin nicht aufgegriffen wird. Die moderne instrumentelle Medizin mit der Gefahr, den Menschen selbst aus dem Blick zu verlieren, bereitet den Weg für die Suche nach weiteren Alternativen.3 Die Perspektive von Wissenschaftlichkeit und von Medizin als wirtschaftliche Großmacht lassen wesentliche Bereiche der Fragen von Krankheit, Gesundheit, Sinn und Leid unberührt.4 Rezeption und Akzeptanz von TCM Die Geschichte der Arbeitsgemeinschaft für Akupunktur und Traditionelle Medizin und die verschiedenen Traditionseinflüsse wird an anderer Stelle dieses Bandes detailliert beleuchtet. Die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft richtet sich vorwiegend an Therapeuten, damit dann mittelbar an Patienten. Ein Teilbereich des Nachfolgenden orientiert sich exemplarisch an der Fragestellung, welche Wandlungen die Rezeption von Qigong in der BRD bewirkt hat, bei Übenden, Lehrenden, im Gesundheitssystem und in der Übermittlungspraxis selbst.5 Meiner Beobachtung nach verläuft dies in wichtigen Aspekten synchron zur Rezeption von TCM allgemein. Bücher spiegeln Interesse und Verbreitung in gewissem Grade wider. Noch vor 30 Jahren passte die gesamte deutschsprachige Literatur zu TCM noch in ein einziges Regal – als geschätzte subjektive Erinnerung. Heute reicht es schon für eine kleine Bibliothek, ähnliche proportionale Zuwächse gelten für die auch früher schon größere Vielfalt der englischsprachigen Literatur. Ab 1960 wächst die Literatur speziell zu Qigong allmählich und ab 1980 kommen zunehmend Titel von Autoren heraus, die entweder selbst asiatische Wurzeln haben oder von Menschen aus dem Westen, die die Sprache kennen und persönliche Erfahrungen in China, Taiwan, Japan gemacht haben. Die Tabelle lässt das zunehmende Interesse schon graphisch deutlich werden. Von vielen Publikationen erscheinen Folgeauflagen. Qigong als Teilbereich der TCM ist „angekommen“. Der erste Titel des Ehepaars Stiefvater kam noch aus der französisch geprägten Richtung. 19 68 Erstauflagen von Qigongtiteln in 5-Jahresperioden 61 60 40 40 20 12 1 1 1961 – 1965 1966 – 1970 1 1971 – 1975 1976 – 1980 1981 – 1985 1986 – 1990 1991 – 1995 1996 – 2000 2001 – 2005 Josefine Zöller hat in Rothenburg auf der Tagung schon früh Qigong unterrichtet und gehörte damit zu den ersten Vermittlerinnen aus eigener Anschauung und Erfahrung als Ärztin, als Übende, als Lehrende. Mittlerweile sind grundlegende Begriffe wie Qi, Yin und Yang, 5 Wandlungsphasen im allgemeinen Sprachgebrauch der heutigen Gesellschaft fest verankert. Hier ist erst einmal nicht wichtig, wie zutreffend die assoziierten Inhalte in der jetzigen Rezeption im Vergleich zum Ursprung sind. Es ist erstaunlich genug, dass in der säkularisierten westlichen Gesellschaft primär philosophisch, religiös gefärbte Kategorien eine derartige Akzeptanz erfahren haben. Sie sind nicht als neuer Glaube akzeptiert, sondern eher als ein plausibles praktisch anwendbares Modell, das eben nicht naturwissenschaftlich ausgerichtet ist. Es zeigt, dass TCM hier eine potentielle Leerstelle im medizinischen System des Westens füllt: Ein ganzheitliche Denkweise, die praktisch anwendbar ist, „passiv“ in der Anwendung als Patientin oder Patient mit Akupunktur, traditioneller Pharmakologie, Tuina oder auch „aktiv und damit verantwortliches eigenes Handeln ermöglichend“ mit Qigong, Ernährung und bewusster Lebensführung. Sie bietet psychosomatische Erklärungen und Interventionsstrategien. Sie erlaubt die Erweiterung zu philosophischen Fragen zur eigenen Verbundenheit in Welt und Kosmos und einseitige Subjekt/Objektzuordnungen zu transzendieren. Alles dies geschieht in einer Zeit von Wissenschaftlichkeitsorientierung und zunehmenden Säkularisierung. Bis 1990 erschienene Buchtitel zu Qigong in der BRD Autor Titel Erstauflage Stiefvater, Erich und Stiefvater, Ilse Chinesische Atemlehre und Gymnastik 1962 Pálos, Stephan Atem und Meditation 1968 Zöller, Josefine Das Tao der Selbstheilung. Die chinesische Kunst der Meditation in der Bewegung - ein Weg der Selbsthilfe und Heilung 1984 Engelhardt, Ute Die klassische Tradition der Qi-Übungen (Qigong). Eine Darstellung anhand des Tang-Zeitlichen Textes Fuqi Jingyi Lun von Sima Chengzhen 1987 Höting, Hans Die sechs heilenden Laute 1988 Jiao Guorui Qigong Yangsheng. Gesundheitsfördernde Übungen der traditionellen chinesischen Medizin 1988 Chia Mantak Tao Yoga. Eisenhemd Chi Kung: wirksame Techniken für eine starken und gesunden Körper (in 2 Verlagen als 2 Bücher) 1989 Jiao Guorui Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong 1989 König, Georg und Wancura, Ingrid 100 (Hundert) Jahre in Gesundheit leben - Nach Überlieferung unserer chinesischen Lehrer 1989 Zhu Longyu und Liselotte Petersohn Qigong. Das Übungssystem der chinesischen Medizin zur Gesundung und Gesunderhaltung; Einführung in die Qigong-Therapie, Kranich-Übung, Pfahl-Stand 1989 Hackl, Monnica (Hrsg.) Qigong: Chinesische Atemtherapie-Methoden 1990 Hinterthür, Petra und Astrid Schillings Qi Gong. Der fliegende Kranich. Die selbstheilende Kraft meditativer Bewegungsübungen für Körper, Seele und Geist 1990 Li Ding Taiji-Qigong in achtundzwanzig Schritten 1990 20 Wandlungen und Grabenkämpfe – die „reine“ Lehre Wenn Systeme sich neu etablieren oder verändern wollen, entstehen leicht Fremdheit, Missverständnisse, Ablehnung auf Seiten der Rezipienten, Fanatismus, Kämpfe um Deutungshoheiten, Kampf um die „reine, richtige Lehre“ und Besitzstandswahrung auf der Seite der Lehrenden. Auch diese zuweilen schmerzhaften Phasen hat die Arbeitsgemeinschaft als Schmelztiegel von diversen Strömungen der Rezeption aus vielen Bereichen der TCM-Welt immer wieder durchlaufen – „symptomatische Punktstecher“ versus „abgehobene Philosophen“ und Ähnliches. Es ist eine Herausforderung für alle lange bestehenden Traditionsformen, den Spagat zwischen Substanzerhalt der Tradition und Anpassung (Wandlung) an den Verständnishorizont des jeweiligen Adressaten, der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe oder ganzer Gesellschaften zu erreichen. Wenn diese Synthese gelingt, können Menschen der jeweiligen Gesellschaft angesprochen werden und die Substanz der Tradition bleibt trotzdem erhalten. Gelingt diese Synthese nicht oder nur unzureichend, kommt es aufgrund einer unreflektierten Anpassung an die Moderne zu Oberflächlichkeit und Substanzverlust der Tradition als Folge falscher Wandlung. Die andere Seite des Misslingens der Synthese bedeutet, dass als Folge einer zu geringen Anpassungsfähigkeit eine notwendige Wandlung ausbleibt und die Tradition erstarrt. Es ist hilfreich diese Rezeption als Prozess zu sehen, um eine zeitweise auftretende Oberflächlichkeit oder Missverständnisse nicht zu verurteilen, sondern als Teil eines Entwicklungsprozesses zu erkennen. Lernen und Lehren verläuft nicht gradlinig. Therapeuten, die vielleicht anfänglich für ausgesuchte Indikationen symptomatisch einige Akupunkturpunkte angewendet haben, haben später ein auch sie ganz persönlich umfassendes tiefgreifendes Interesse entwickelt und verkörpern in ihrer Person die Essenz von TCM. Andere Therapeutinnen und Therapeuten bleiben vielleicht bei einer primär symptomatischen Anwendung und integrieren dies in ihr übriges Repertoire. Auch dies trägt zur Verbreitung bei. In der Vielfalt der Methoden und der Möglichkeiten, diese zu lehren, hat sich ebenfalls eine große Bandbreite von Lehrerpersönlichkeiten entwickelt, die für die unterschiedlichen kulturellen und persönlichen Ausgangsvoraussetzungen von Therapeutinnen und Therapeuten adressatenorientiert lehrt. Auch hier kann phasenweise der Eindruck von zu starker Anpassung oder auch elitärer Fremdheit entstehen. Auch dies ist Teil eines interkulturellen Rezeptionsprozesses. Die Tatsache, dass TCM in der Gesellschaft angekommen und anerkannt ist, erleichtert die Toleranz auch nach innen. Vielfalt zu leben, ohne den Kern zu verlieren, ist nach dem erfolgreichen Comingout viel leichter als vor 30 oder 60 Jahren. Es ist hilfreich auch für die Zukunft hier immer wieder den Prozesscharakter von Entwicklung zu erkennen. Innere und äußere Wandlung bei Patienten und Therapeutinnen Denken und Gefühle formen Bewusstsein und Körper sowie umgekehrt. Der Zirkel von Körper und Bewusstseinsinhalten sowie Handlungen war und ist in der Naturheilkunde allgemein und in der TCM ein Kern der Lehre. Wir üben auch als Therapeutinnen und Therapeuten, die körperliche Verände- Anpassung von traditionellen, kulturell fremden Systemen am Beispiel von Qigong Rezipienten Individuen, Gesellschaften Lehrsysteme · kein Interesse, weil das System fremd ist · komplexe Übungsanforderungen, · Kulturell fremde oder nicht zeitgemäße ideologische Überzeugung · Ausprobieren von Übungen · positive Erfahrungen damit · Senken der Übungsanforderungen · Herausstellen von modernen Werten: zum Beispiel Gesundheit, Enspannung · langfristiges Interesse · Interesse für Zusammenhänge, · Bereitschaft, geeignete ideologische Überzeugungen zu übernehmen bzw. zu integrieren · Anpassen an den Lernenden je nach Übungsfortschritt · Anpassen der Darstellung an den Verständnishorizont · weitere Annäherung bei Streben zur Erhaltung der Substanz Synthese und weitere Vertiefung zu einer verständlichen und den Kern der Tradition bewahrenden Lehre 21 rung zuzulassen, bewusst zu üben, auch die Neugier an eigener Erfahrung zu kultivieren: ob mit Meditation, Qigong, Tai Qi oder asiatische Kampfsportarten. Die „Arbeitsgemeinschaft für Akupunktur und TCM“ hat seit ihren ersten Anfängen Möglichkeiten dazu angeboten. Qigong mit einer der Pionierinnen in Deutschland Josephine Zöller, später mit Gisela Hildebrandt der Qigong Yangsheng Gesellschaft und dann später mit vielen weiteren Lehrerinnen und Lehrern. Unterstützend für die Etablierung und Anerkennung von Qigong im Westen waren und sind auch die verschiedenen Richtungen der körperorientierten Psychotherapie – aktuell unter ,Embodiment‘ bekannt –, in denen noch einmalmoderne Begriffe und Forschungen die „alten“ Erkenntnisse untermauern. Nicht nur Qigong oder Yoga sondern auch Therapieformen westlicher Autoren wie Rolfing, Alexandertechnik, Bioenergetik oder Feldenkrais-Übungen konnten sich seit den 1970er Jahren durch diese Strömung stärker etablieren. Nur die eigene Erfahrung und die Bereitschaft zu eigener auch körperlicher Wandlung kann dauerhaft die Ganzheitlichkeit von TCM weitergeben. Einbindung in soziales Umfeld, Gesellschaft und Kosmosphilosophie Die konkrete Anwendbarkeit über die kulturellen Grenzen hat die Integration in den Westen gefördert. Bei allem Pragmatismus ist wichtig, immer wieder zu versuchen, den größeren Kontext der TCM-Philosophie in den Blick zu nehmen. Es geht nicht nur um den eigenen Körper und Geist um seiner Selbst willen – das Individuum als Teil des Kosmos ist auch verbunden mit seiner Umwelt und darüber hinaus. In Deutschland haben wir eine gut begründete Tradition der Neutralität in weltanschaulichen Fragen in medizinischen Kontexten. Das beugt Indoktrination, Abhängigkeiten und Übergriffen vor. Die zugrundeliegenden Wertvorstellungen sind eher implizit. Das macht sie in neuerer Zeit potentiell anfällig für negative Veränderungen, die eher an Zahlen als an Menschen orientiert sind. Dies als „moderne“ Wertorientierung wird nicht bewusst gesehen, geschweige denn explizit diskutiert. Historisch gesehen ist in Europa und hier in Deutschland die Krankenfürsorge aus dem christlich kirchlichen Kontext entstanden. Das Prinzip der Nächstenliebe sollte für den Umgang mit Kranken leitend sein. Der Umgang mit dem eigenen Körper war aus kirchlicher Lehre im vordualistischen Mittelalter wie bei Hildegard von Bingen oder Theresa von Avila wesentlich körperfreundlicher als zum Teil in späteren Zeiten. Für sich selbst ausgewogen und genügsam zu sorgen, Harmonie mit der sozialen Umgebung zu suchen und sich als verantwortungsvollen Teil der gesamten Schöpfung zu sehen, war die Lehre der Heilige Hildegard. Der philosophisch-religiöse Kontext schuf diese Werteausrichtung, die in der Abstraktion als Weltethos vergleichbar ist mit den Darstellungen aus dem buddhistischdaoistischen Kontext der TCM. „Grundsätzlich zielt Qigong {hier als Synonym für TCM, (sic.!)} darauf ab, von einer verschwenderischen und nachlässigen Haltung seinem eigenen Körper und Bewusstsein gegenüber zu einem ganzheitlichen, heilsamen und rücksichtsvollen Umgang mit sich selbst zu gelangen.“6 In der chinesischen Denkweise wird in der alten Tradition die Einheit von Geist, Körper und zudem mit den Göttern im Makrokosmos betont. So hat beispielsweise jede Wandlung durch Übung: Qigong, Yoga, Feldenkrais, Alexandertechnik Übungsbeginn Neuausrichtung von Körperhaltung mit bewusster Wahrnehmung des Körpers erste Wirkung: · Neuausrichtung muskulären Mustern · Enspannung Gewöhnung/Anpassung: · Verbesserung der Atmung · Verbesserung der Propriozeption · psychische Entlasung weitere Übung weitere Übung weitere Übung Konditionierung: · Verfestigung der Körperreaktion stabile Veränderung: · dauerhafte positve Haltungsänderung bis zur Strukturverbesserung · Verbesserung der psycho-physischen Belastbarkeit 22 Gymnastikübung einen religiösen Aspekt aufgrund der Heiligkeit des Körpers als Teil des Makrokosmos und auch als Wohnort für die Schutzgötter.7 Die Aufnahme von Qi als Austausch zwischen äußeren göttlichen Anteilen der Welt und den inneren göttlichen Anteilen hat ihre Voraussetzung in der Überzeugung, dass keine wirkliche Trennung zwischen Innen und Außen existiert. Die eigene verantwortliche Beziehung zu Körper und Bewusstsein soll in der gesamten Lebensführung kultiviert werden. Es ist letztlich nicht entscheidend, ob TCM-BehandlerInnen ihre ethischen Grundüberzeugungen und Werteprägungen aus dem Christentum, dem Buddhismus, dem Daoismus, philosophischen Überlegungen oder aus anderen religiösen Richtungen entwickeln, aber es ist hilfreich, sich selbst darüber im Klaren zu sein, wo man persönlich verortet ist. Die Integration von TCM in den Westen heißt auch Verantwortung für die Entwicklungen im Medizinsystem zu übernehmen. Wir therapieren nicht im wertfreien Raum. Es geht nicht darum, Patienten zu missionieren, aber bei passenden Anlässen Werte- und Sinnfragen aufzuwerfen, kann Patienten ermutigen, auch ihre eigene jeweilige Verortung im Makrokosmos zu suchen. Wir sollten vermeiden, dass TCM im Westen bei uns eine reine Reparaturmentalität des herrschenden Medizinbetriebs adaptiert. Die AGTCM eröffnet mit dem Sozialforum und der dort vorgestellten Projekte auf dem Kongress in Rothenburg seit Jahren einen Beitrag zu auch konkreter aktiver sozialer Verantwortung neben den vielen Angeboten zur philosophischen Reflektion und Diskussion. Zwischen Mode, Mammon und Religionsersatz Immer wieder ist eine kritische Reflektion nötig auf die Vergangenheit und gegenwärtige Strömungen, im Bewusstsein, dass wir alle Kinder der jeweiligen Zeit mit den jeweiligen Irrtümern und Perspektiven sind. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht, was in 5 Jahren, in 50 oder 500 Jahren sein wird. Das ist scheinbar trivial, aber unser Alltagsbewusstsein flüstert uns An- deres zu. Im Kontext unserer aktuellen Lebensrealität und des sozialen realen oder virtuellen Meinungsumfeldes erscheint uns vieles intuitiv überzeugend, wahr und nützlich. Als Deutsche brauchen wir nicht weit zurückzuschauen: 1914, vor hundert Jahren brach die Begeisterung über die angeblich segensreiche Wirkung des Beginns des Ersten Weltkriegs aus. Verheerende Wirkungen von Nationalismus, oft gepaart mit der angeblichen Überlegenheit von Ideologien, Religionen gespeist von finanziellen Interessen, sind aktueller denn je. In Bezug auf die TCM ist es zurzeit so, dass diese in Teilen der westlichen Bevölkerung akzeptiert wird und „modern“ ist. Fakt ist aber auch, dass nur eine Minderheit aktiv daran teilhat. Eine persönliche Haltung von „Lebenspflege“ ist eher bedingt zu finden. Das war auch im alten China nicht viel anders. Die Mehrheit war arm, hatte keinen oder wenig Zugang zu Bildung und keine Zeit zum Beispiel für Übung wie Qigong; die Reichen und Adeligen frönten dem Luxus und erwarteten von ihren Ärzten die erfolgreiche Reparatur der Folgen des Lebenswandels und keine Mahnungen zum Maßhalten. Hier und heute gilt es auch in der Therapie gelegentlich maßvoll zu mahnen und andererseits realistisch wahrzunehmen, dass wir als Menschen nicht primär präventiv handeln - und dabei trotzdem zugewandt zu bleiben, auch uns selbst gegenüber. TCM ist auch ein Wirtschaftsfaktor im gegenwärtigen Medizinbetrieb. Das ist im Prinzip erst mal positiv, da es Wert und Anerkennung spiegelt und durch diese finanzielle Anerkennung eine dauerhafte Basis ermöglicht. Die Grenzen und Graubereiche zwischen solidem medizinischen Handwerk, reinem Kommerzdenken, Geschäft mit Heilserwartungen und Ausbeutung von Abhängigkeiten durch Guruverhalten müssen in der Medizin immer wieder kritisch in den Blick genommen werden, wenn die Glaubwürdigkeit auf Dauer erhalten bleiben soll. Hier ist die Alternativmedizin nicht weniger im Fokus als Banken und Kirchen – und da, wo das „Heil“ der Menschen gefördert werden soll, sind die Maßstäbe zu Recht strenger. Aber sie sollten auch realistisch sein, sonst wird leicht Scheinheiligkeit und Doppelmoral erzeugt. Gesundheit und Fitness als vorrangiges Lebensziel, ständige Selbstoptimierung, Machbarkeitsglaube mit Fengshui, Qigong, Kräutern … kann den Charakter einer Ersatzreligion einnehmen. Dies ist eine Tendenz des aktuellen Zeitgeistes. Es gibt Darstellungen von TCM, die unkritisch diesen Glauben fördern. Auch hier stehen Behandler in der Verantwortung vielleicht etwas zurechtzurücken. Eine Behandlerin, eine Behandler, die oder der Methoden der TCM ausübt, muss keine Heiligkeit anstreben. Sie/er muss nicht das ganze Spektrum der TCM beherrschen. Sie/ er muss nicht alte Schriften im Original lesen können. Sie/er sollte aber wissen (und auch wollen?), dass TCM ihr Denken verändern wird. Je länger und je öfter wir im Kategoriensystem, im philosophischen System von TCM denken, umso mehr wird es Teil unseres Bewusstseins. Aus dem „Modell“ von Qi, von Yin und Yang, der Wandlungsphasen und weiteren Bereichen der TCM-Philosophie wird ein Bewusstseinsraum, in dem wir uns dann automatisch bewegen. Wir sollten dies reflektieren, einerseits um es Patienten vermitteln zu können, für die dieses System fremd ist, andererseits aber auch so, dass es keine absolute Wahrheit ist, sondern ein Modell darstellt. Dies sollte ebenso im Kontakt mit den Anwendern anderer Modelle, wie verschiedenen Ausrichtungen von Ganzheitsmedizin oder der Schulmedizin gelten. Es ist die Voraussetzung für Dialog und Weiterentwicklung. Schlussbemerkungen Wir haben uns durch den Kontakt zur TCM verändert und die Westliche Medizin erlebt Wandlungen durch uns und unsere Arbeit. Wir stehen in einer langen Überlieferungskette. Dies ist Anlass für Dankbarkeit und Bescheidenheit. Das kann uns Mut zur Bewahrung dieser Tradition und zu ihrer Wandlung an unser jetziges Leben geben. Das hilft die Breite und Vielfalt der vielen Aspekte der TCM zu erhalten und zu integrieren, ohne die Tiefe und Anwendbarkeit für Patienten und Übende zu verlieren, eingebettet in einen weltweiten Kontext von Menschen, die den Schatz TCM weiter- 23 tragen, aktiv, mutig und im Vertrauen auf Entwicklung und Wandlung in den Zeiten. Mögen die vielen individuellen Fähigkeiten der Mitglieder der AGTCM, der Teilnehmenden der Kongresse, der Lernenden der Ausbildungen geistige und körperliche Nahrung finden, gegenseitige Unterstützung und durch alles Schöne, Anstrengende und Alltägliche der Praxis hindurch immer Momente spüren, wo der scheinbare Unterschied zwischen Mikro- und Makrokosmos aufgehoben ist, wo „eins ist und nicht zwei“. 1 Es wird hier durchgängig die Abkürzung TCM als Bezeichnung für Traditionelle Chinesische Medizin im weitesten Sinn benutzt. 2 Titel eines Buches von Hildegard von Bingen 3 „Eine der Einheit der Person entsprechende Einheit der Medizin droht verloren zu gehen. Die Probleme sind erkannt, aber in einem hocharbeitsteiligen, Ressortmoral von Privatmoral trennenden, auf Sachkompetenz und Effizienz ausgerichteten Dienstleistungsgroßbetrieb Gesundheitswesen nur schwer zu lösen. Dazu bedarf es auch eines neuen Verhältnisses von Theologie, Kirche und Medizin.“ Toellner, Richard, Heilkunde II, Theologische Realenzyklopädie Bd. 14, 1985, S. 450. 4 Vgl. Toellner TRE1985, 745: „Die Persistenz der magischanimistischen Medizin in der so genannten Volksmedizin, in alternativen und Naturheilkunden sowie der theurgischen Medizin in allen Religionen und die Attraktivität dieser Formen der Medizin auch in der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation mit hoch entwickelter rational-empirischer Medizin macht deutlich, dass die in ihren Inhalten und Verfahrensweisen so unterschiedenen Formen der Medizin nicht einfach Stadien eines historischen „Entwicklungsganges“ der Medizin sind, sondern Ausprägungen unterschiedlicher Arten der Weltsicht und Weltbewältigung, die in der modernen Gesellschaft auf dem Felde der Medizin erfolgreich konkurrieren können, weil Gesundheit, Wohlbefinden, Leidensminderung, Heilung zu den elementaren Bedürfnissen der Menschen zählen.“ […] Die Koexistenz und Wirksamkeit sehr alter und relativ jüngerer Formen der Medizin, die sich in der Geschichte intensiv gegenseitig beeinflusst haben, macht es schwer, ihre Bereiche, die sich auch in der Gegenwart weit überschneiden, klar voneinander abzugrenzen. Jeder Versuch dazu würde die Wirklichkeit der Medizin unzulässig, weil willkürlich verkürzen. Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit erfasst nicht einmal die Praxis der rational-empirischen Medizin, allenfalls wissenschaftliche Disziplinen der Medizin. 5 Sonnentag, Marlies, Explorationsstudie zur Rezeption von Qigong in der Bundesrepublik Deutschland. 2006. 6 Kohn, Livia, Ebenen des Qigong aus der Sicht des traditionellen daoistischen Weltbildes, in: Hildenbrand, G. & Geissler, M., Qigong und Yangsheng, Uelzen 2002, 15-22. S.22. 7 Ebenda. Vom langen Ringen um einen Kooperationsvertrag Bis die TCM-Universität Chengdu einer Zusammenarbeit zustimmte, war Diplomatie und Beharrlichkeit gefragt Von Herbert Vater, ehem. 1. Vorsitzender der AGTCM Nils von Below hat mich gebeten, meine Erinnerungen niederzuschreiben - als Mitglied und teilweise auch Funktionsträger. Kein einfaches Unterfangen, denn ich bin ja 2012 auf die Philipppinen ausgewandert und habe keinerlei Unterlagen mehr, aber mein Kopf funktioniert noch ganz gut. Okay, das sagen die meisten Alzheimer-Patienten. Ich gehöre ja der berüchtigten 68er-Generation an. Und so sah ich vor 40 Jahren auch aus, schulterlanges Haar. Und so tauchte ich das erste Mal auf der Rothenburger Jahrestagung auf. Ich war der absolute Außenseiter. Alle waren wesentlich älter als ich, alle in teures Tuch gekleidet. Und so wurde ich dann auch angesehen: „Wer ist das denn?!!!“ Glücklicherweise waren aber von den „Etablierten“ zwei Bekannte aus Schleswig-Holstein bzw. Hamburg dabei, nämlich die Gründungsmitglieder der AG, Johanna Ockelmann und Else Münster. Letztere war schon damals hochbetagt, aber voll dabei mit einer wunderbaren Ausstrahlung, wohingegen Johanna Ockelmann etwas Hanseatisches an sich hatte, aber auch eine faszinierende Persönlichkeit. Die beiden nun machten mich erst mal mit der Elite der AG bekannt, dem Präsidenten der AG, August Brodde, Hans Giesen, seinem Stellvertreter, Charly Heimann, der Geschäftsführer, der auch so ein wenig der „outcast“ war, obwohl er mit so einer bayerischen Tracht rumlief. Das waren meine ersten persönlichen Eindrücke, die ich hatte. August Brodde kannte ich schon von anderen Tagungen. Unverfroren wie ich war und bin, bezeichne ich ihn als einen Kauz. Aber: Er war auch eine charismatische Persönlichkeit. Von dieser ersten Tagung, die ich miterlebte, fuhr ich mit sehr gemischten Gefühlen wieder nach Hause. Drei Gründe gab es, die mich nicht aufgeben ließen: Schon mit 16 Jahren hatte ich mich intensiv mit chinesischer (Medizin-)Philo- Herbert Vater und Inge Lützen, 1996 sophie auseinandergesetzt. Daraus ergab sich zweitens eine absolute Faszination für Akupunktur. Und drittens diese Seele von Mensch Else Münster, die mir immer, wenn ich verzweifeln wollte, zur Seite stand. Und auch Johanna Ockelmann gab mir vieles. So setzte ich dann nach und nach immer öfter Akupunktur in meiner Praxis ein und hatte teilweise erstaunliche Erfolge. Und immer mehr durchdrang ich diesen faszinierenden Dschungel medizinischer Medizinphilosophie, angefangen von den Punkten über die Pulse (letzteres faszinierte mich besonders und so kam ich dazu, diese Diagnostik zu einer gewissen Perfektion zu bringen) bis hin zu den Wuxing, den Fünf Wandlungsphasen, inklusive des ganzen Rüstzeugs chinesischer Diagnostik, von dem ja die Pulsdiagnose nur ein Teil, wenn auch ein sehr wichtiger, ist. Und merkwürdigerweise gab es immer wieder Gespräche zwischen August Brodde und mir. Mit der Zeit erwuchs 24 daraus eine freundschaftlich-väterliche Beziehung. Und eines Tages passierte es doch tatsächlich, ich mochte es damals kaum glauben, dass August Brodde mich fragte, ob ich nicht in Rothenburg einen Vortrag halten wolle. Ich!!! Ich war doch gar niemand und gehörte noch viel weniger dazu. Aber so kam es und ich erntete sogar einigen Beifall. Unabhängig von der Thematik war das ein Durchbruch. Ich wurde auf einmal wahrgenommen und ich war auf einmal bekannt, wenn auch immer noch der Außenseiter. So langsam kamen aber Mitte der 1970er Jahre mehr jüngere Leute in die AG. Exemplarisch sei hier Gerd Ohmstede genannt, der nun auch nicht gerade das Lieblingskind der Etablierten war. Es vollzog sich aber ein langsamer unaufhaltsamer Wandel, „wir“ wurden mehr. Nun hatte ich ja meine chinesischen Weisheiten - wie so viele damals aus Büchern - und hier ein Wochenendkurs und dort ein Wochenendkurs, aber eben nichts Systematisches. 1981 nun bot das Gespann August Brodde/Hans Giesen erstmalig einen zweijährigen Akupunkturkurs an, systematisch aufgebaut, ein Novum in Deutschland. Zur damaligen Zeit wohnte und praktizierte ich in Marburg/Lahn. Es waren fast 300 km nach Bochum, wo der Kurs stattfinden sollte. Das war egal, es war damals das Beste, was man in Deutschland kriegen konnte. Also machte ich es und hielt es auch durch trotz der starken Belastung. Das war eine wesentliche Etappe für meine therapeutische Entwicklung. Und ich weiß nicht warum, aber im Gegensatz zu den meisten anderen hatte ich keinerlei Probleme mit der Bearbeitung des Stoffes. Und es war klar, es sollte ein drittes Jahr geben, vor allem für mich. Man mag aus der Sicht des Jahres 2014 darüber lächeln, was damals inhaltlich angeboten wurde. Aber 1981/82 war das ein ungeheurer Fortschritt in Deutschland, und nicht nur da. Vergleichbares wurde eigentlich nur in der V.R. China und in den USA angeboten. Ja, VR China … Meinen Traum hatte ich mit 16 schon - das war die Zeit der Kulturrevolution: die VR China zu besuchen. Gerd Ohmstede hatte es irgendwie geschafft, durch das Land zu reisen und hat dabei auch das Chengdu College of TCM kennen- gelernt. Und er erzählte davon, was bei mir leuchtende Augen zur Folge hatte. So war schnell der Beschluss klar, dass wir eine Gruppe aus der AG bilden wollten, um dorthin zu fahren. Und es passierte natürlich, was passieren musste: Die Führung der AG lächelte darüber, aber gar nicht chinesisch. Gerd Ohmstede war ja nun derjenige, der da im fernen China, im gänzlich unbekannten Chengdu, einige Kontaktpersonen hatte. Und es war dann 1989 eine Reise dorthin geplant, und die war bis ins kleinste Detail fertig. Aber es sollte anders kommen. Es gab die Studentenunruhen, die dann trotz eines gegenteiligen Versprechens von Deng Xiao Ping in dem blutigen Gemetzel auf dem Tian An Men in Beijing ihr Ende fanden. Aus Empörung darüber sagten wir die Reise ab, was in China falsch verstanden wurde. Sie dachten, wir fürchteten um unsere Sicherheit und bemühten sich, uns davon zu überzeugen, dass diese gewährleistet sei. Naja, es sei mir die despektierliche Bemerkung erlaubt, dass man auf chinesischer Seite dringendst die harten Devisen brauchte. Aber 1990 war es dann soweit … Wir reisten natürlich über Beijing und legten dort ein paar Tage Zwischenstopp ein. Unglücksfall: Eine Teilnehmerin stürzte und brach sich den Arm. Das (westliche) Krankenhaus meinte sechs Wochen Gips, dann Krankengymnastik. Nach vier Tagen erreichten wir dann Chengdu. Eine alte und damals zugleich moderne aufstrebende 4,5 Millionen Einwohner zählende Stadt. Es gab eine Altstadt mit zweigeschossigen Holzhäusern, drum herum eine moderne Großstadt. Und nach unserer Begrüßung wurde dann Rosemarie befragt, was denn mit ihrem Arm sei. Ein Arzt schlug dann vor, den Gips sofort abzunehmen und den Arm mit einer Kräuterpaste zu behandeln und mit Tuina. Und man glaubt es kaum, Rosemarie hat nach drei Wochen ihren Koffer selbst getragen, hatte nichts mehr. Ihr Arzt zu Hause wollte es nicht glauben, dass sie sich überhaupt den Arm gebrochen hatte. Aber die Röntgenbilder aus Beijing belegten es eindeutig. Für manchen von uns eine eindrucksvolle Bestätigung der Wirksamkeit traditioneller Chinesischer Medizin. Ansonsten war die Reise schwierig, weil sie in Chengdu keine Erfahrung mit westlichen Ausländern hatten und wir eben keine Erfahrung mit Chinesen. Wir wagten es dennoch, während der Vorlesungen Fragen zu stellen. Oder fast noch schlimmer: Am ersten Tag nach der Ankunft wollten wir die Stadt erkunden. Also machten wir uns auf, mieteten uns Fahrräder und erkundeten die Stadt. Als wir zurückkamen, gab es ein Donnerwetter seitens des Waiban, des Ausländeramtes des College: Wir wurden belehrt, dass wir nicht allein den Campus verlassen durften. Das haben wir uns nicht bieten lassen und nach einigen Querelen wurden wir gebeten, wenigstens unsere Dolmetscher mitzunehmen, wenn wir rausgingen. Gut, das war ja sogar in vielerlei Hinsicht praktisch. Solcherlei Anekdoten gab es zahlreiche. Aber nach vier Wochen Aufenthalt insgesamt waren wir beeindruckt, einige, wie Gerd Ohmstede und ich sogar begeistert. Wir waren uns einig, dass das nicht das letzte Mal gewesen sein sollte. Besonders Gerd Ohmstede und ich waren der Meinung, dass man das institutionalisieren sollte. In Deutschland habe ich das natürlich August Brodde erzählt, der von einer Institutionalisierung nichts wissen wollte. Nach einiger Zeit hatte ich einen Plan erstellt, wie das aussehen könnte. Gerd Ohmstede war zu dem Zeitpunkt aus Gründen, die ich bis heute nicht kenne, irgendwie nicht ansprechbar in der Richtung. Und August Brodde war genervt und sagte zum guten Schluss, dass ich das mal ruhig machen solle (wobei ich deutlich die unausgesprochenen Worte raushörte „Das schaffst Du ja doch nicht!“). Hier sei mal kurz eingeschoben, dass ich 1986 nach Schleswig-Holstein nach Tönning an die Nordsee übersiedelte, worüber wiederum Else Münster glücklich war, weil sie dachte, nun endlich einen Nachfolger für den Arbeitskreis Nord der AG gefunden zu haben, und nach einigem Zögern dachte sie richtig. Und wenn, dann wollte ich es gleich gründlich machen und gründete in Kopie der Schule von August Brodde/Hans Giesen eine Schule im AK Nord. Insofern hatte ich also auf einmal zwei Funktionen. Und das war bedeutsam, weil das in China eine wichtige Rolle spielt. Resultat: Nach zwei Jahren und vier Chinareisen kam ich nach Hause und legte August Brodde einen Kooperationsvertrag zum Unterschreiben auf 25 den Tisch, der eine Zusammenarbeit in der Lehre zwischen der AG und dem ChengduCollege of TCM festlegte mit Austausch von Lehrkräften, Studenten etc. August Brodde war wie vom Donner gerührt und gab auch seiner Überraschung Ausdruck, dass ich es geschafft hatte. In letzter Konsequenz hat dies das ganze Ausbildungssystem der AG umgekrempelt und wirklich zu der innovativen Kraft gemacht, die sie heute hat. Es hat danach viele weiterführende Änderungen gegeben. Das wäre aber alles nicht möglich gewesen ohne diesen ersten Vertrag! Und heute ist dieses College ja zur Universität aufgestiegen. August Brodde machte es wahr und trat zurück. Helen Blohm wurde zur 1. Vorsitzenden gewählt. Nach ihrer ersten Amtszeit kandidierte sie nicht wieder, dann wurde ich gewählt. Es war eine immense Arbeit, aber sie hat mir viel Freude bereitet. Es war kreativ, viele interessante Menschen um mich herum, viele interessante Kontakte ins Ausland, die auch heute noch vorhanden sind. Dann aber kam eine Phase, in der die Funktionsträger der AG andere Wege gehen wollten als ich in Hinblick auf internationale Kooperation und gerade in Hinblick auf EU-Politik. So kam es dann, dass ich 2001 die Vertrauensfrage auf der Mitgliederversammlung stellte und sich eine Mehrheit der Anwesenden für die durch Andreas Noll repräsentierte Politik entschied. Das war nicht ganz schmerzlos für mich, ist aber auf der anderen Seite eine Normalität in der Politik. Eben deswegen habe ich auch danach versucht, die jeweiligen Vorstände in ihrer Politik zu stärken, und deswegen bin ich auch gern der Bitte von Nils von Below nachgekommen, meine Erinnerungen an 40 Jahre Mitgliedschaft in der AG niederzuschreiben. Mit Trauer und Bestürzung ist mir in dem Jahr auch das Ableben von August Brodde mit einigen Tagen Verspätung von seiner Frau Hertha mitgeteilt worden. An dem Tag habe ich meinen Akupunktur-Vater verloren. Obwohl August Brodde als Berufspolitiker mit allen Wassern gewaschen war, verneige ich mich noch heute in großem Respekt vor ihm und bitte alle, ihm ein ehrendes Andenken zu bewahren, was ja allein schon meisterlich umgesetzt wurde, indem die Schule des AK West August-Brodde-Schule genannt wurde. Das erweckt Dankbarkeit bei mir. Der Vorstand, 1996 August Brodde war wie vom Donner gerührt und gab auch seiner Überraschung Ausdruck, dass ich es geschafft hatte. 26 Die Oscar-Verleihung in China und andere Anekdoten: Aus kleinen Begegnungen entwickelte sich über Jahrzehnte ein weltweites Netzwerk Von Gerd Ohmstede, ehem. Mitglied des Vorstandes der AGTCM Nachdem ich von Altmeister Brodde und Giesen 1978/79 in die Akupunktur eingeführt und sehr neugierig war, wurde der erste Besuch der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur, wie sie damals noch hieß, fällig. 1979, zum zehnten Male, geleitet von Karl O. Heimann. Es war sympathisch, doch leicht komisch und etwas einsam, als 25jähriger frischgebackener HP unter den vielen „alten“ Kollegen zu sitzen. Über zweieinhalb Tage, mit zwei parallelen Kursen am ersten Tag und dann das Plenum mit einstündigen Vorträgen und um die hundert Teilnehmer/innen/n - das Ganze in der Reichsstadthalle, im Spitalviertel Rothenburgs. Zum Jubiläum waren die führenden Vertreter der Akupunktur/TCM aus Europa eingeladen. Diesmal war Dr. van Buren aus England da und faszinierte durch ganz „neue“ Einblicke in die Pulsdiagnostik. Dr. Manman Wong aus Hongkong war da, der wohl als erster Chinese in Rothenburg in die TCM einführte. Auch Prof. Herget, der in Gießen als erster in Deutschland AkupunkturAnalgesie bei Operationen anwendete. Und Prof. M. Porkert mit einer Einführung in die chinesischen Arzneimittel. Van Buren war so beeindruckend, dass ich mich für seine vierjährige Ausbildung in Holland anmeldete. Aber nicht ohne zuvor einen Besuch bei Dr. Nguyen van Nghi in Marseille gemacht zu haben, um den anderen großen Mann der Akupunktur und deren Ausbildung kennenzulernen. Doch dort gab es nur eine dreijährige Ausbildung auf französisch mit einer Unterrichtsstunde pro Monat (!). Inakzeptabel. Zusammen mit Dr. de Tymowski aus Paris und Alain Lerner, der in China ausgebildet worden war (!), war das Programm schon recht international. Der „Gesellschaftsabend“ mit einer Drei-Mann-Kombo und Standardtanz war der reine Graus, da blieb nur die Flucht in die örtliche Disko. Der erste Weltkongress für Akupunktur der AGTCM Er fand 1989 in Düsseldorf statt. Als Mitglied der SIA (Societé Internationale d’Acupuncture, die AG war Mitglied in der französisch geführten Weltgesellschaft für Akupunkturgesellschaften) sollte der 20. Kongress ein ganz besonderer sein. Manager war Horst Ferger, der nach dem Ausscheiden von K.O. Heimann die Jahrestagungen in Rothenburg für eine kurze Zeit organisierte. Die Vorgaben der SIA waren wohl recht klar und die Referenten kamen aus aller Welt. Als ich von Ferger den ersten Programmentwurf bekam, war ich doch sehr erstaunt, dass kaum Dozenten von der AG vorgeschlagen wurden. Das ging gar nicht, so bescheiden durfte die AG nicht sein. Und so durfte ich dafür sorgen, dass Barbara Kirschbaum, Gisela Hildenbrand, Claude Diolosa, Stefan Kappstein und Prof. Gao Lishan auch vortrugen. Prof. Gao war der erste Arzt aus der VR China, den die AG eingeladen hat. Die ersten Kongresse In den 1970ern und Anfang der 1980er Jahre gab es in Deutschland keine richtige Ausbildung im Sinne einer Schule, die für eine geschlossene Schulung in der Akupunktur/ TCM sorgte. Es waren vielmehr einzelne Lehrer, die in Deutschland in Kursform das nötige Fundament legten. Allerdings gab es damals auch schon große Namen in Europa, Nguyen van Nghi aus Marseille (in Rothenburg 1987 und 1989), John R. Worsley in Leamington (1978) und J.B. van Buren in East Grinstead (1979, 1981) aus England. Anfang der 1980er kamen die ersten Fachbücher meist von Ärzten, die in China Kurse besucht hatten, heraus. Auch Manfred Porkert spielte eine zunehmend bedeutende Rolle in der Ausbildung. So kamen denn Sigrid Klain und Friedlinde Adt (beide Raum Frankfurt, Worsley-Schule), Josef Weber (Berlin, van Nghi), Hermann Vecsey (Herrenberg, Porkert) und Gerd Ohmstede (Aachen, van Buren) auf die Idee, eine vernünftige Schule zu gründen. In regelmäßigen Treffen (Claude Diolosa war teilweise auch dabei) wurde über zwei Jahre ein Curriculum erarbeitet, das als Fundament für eine Schule dienen sollte. Als es aber dann an die technische Realisierung ging, wurde klar, dass je nach Ort der TCM-Schule die Entfernung zu groß war. Es gab keine familien- und praxisfreundliche Lösung. Wir hatten aber eine gute Zeit und haben viel von einander gelernt. August Brodde und die französischen Wurzeln August Brodde war als Kriegsgefangener in Frankreich, lernte dort Französisch und bekam ein französisches Buch über Akupunktur in die Hand, studierte dieses ausführlich mit großer Faszination und war durch die Anwendung so überzeugt, dass er diesen Weg intensiv weiterverfolgte. Durch seine Sprachkenntnisse öffnete sich die für die damalige Zeit recht umfangreiche französische Akupunktur-Literatur (Soulié de Morant, Chamfrault, Rogier de la Fuye) sowie der Unterricht in den Kursen dort. Die Akupunktur der AGTCM hat also zweifellos einen französischen Ursprung, der sich auch in der engen Verbindung zur SIA ausdrückte (Societé Internationale d’Acupuncture, die AG war Mitglied in der französisch geführten Weltgesellschaft für Akupunkturgesellschaften, für die sie 1989 in Düsseldorf ihren bisher einzigen Weltkongress ausrichtete) unter der 27 Leitung von Jean Schatz, der auch häufiger Gast in Rothenburg war – begleitet von seiner Dolmetscherin Elisabeth Rochat de la Valleé. Else Münster und die Reise nach Japan Else Münster führte eine Landpraxis im Dörfchen Belau in Schleswig-Holstein und hatte in der 1950er Jahren von einem Prof. Manaka in Japan gehört, der eine spezielle FünfElemente-Akupunktur praktizierte. Sie verkaufte ihr Haus, um ihre Reise nach Japan zu finanzieren. Leider gab es von Manaka keine Adresse, und es dauerte wohl drei Monate, bevor sie ihn fand. In drei intensiven Wochen hat er sie in seine Lehre eingeweiht, die sie dann in der AGTCM unter anderem auch bis 1993 in Rothenburg vortrug. Wir haben von Brodde und Giesen damals (Endsiebziger) die Akupunktur mit japanischen Nadeln mittels Führungsröhrchen gelernt. Es kam also neben dem französischen auch ein japanischer Einfluss hinzu. Mein erster Vortrag in Rothenburg 1985 hatte ich meine erste Studienreise (vier Monate) in die VR China unternommen. Ich war eigentlich auf der Suche nach berühmten Qi-Gong-Lehrern, deren Adressen ich von Gisela Hildenbrand (Bonn) bekommen hatte. Die Literatur von in China ausgebildeten Kollegen ließ nicht auf ursächliches, hintergründiges Denken schließen – oberflächlich, symptomatisch und ziemlich uninteressant kam sie mir vor. Und doch war ich natürlich sehr neugierig darauf, wie die Praxis aussah. Ich besuchte einige TCMKrankenhäuser und kam schließlich in eine vierwöchige Ausbildung für Fortgeschrittene im Dongzhimen-Training-Center, in der mir schnell klar wurde, dass der wahre Schatz im klinischen Alltag an der Seite guter Ärzte zu finden war. Auch schimmerte hier und da schon auch wieder hochinteressante Hinter- grundtheorie hervor, die derzeit offiziell noch verboten war. Mao hatte ja durch westliche Ärzte die Chinesische Medizin von allem „Aberglauben“ befreien lassen und nannte das Produkt TCM - eigentlich ja alles andere als traditionell. Doch in der Praxis gab es je nach Arzt unterschiedlich spannendste Anregung für die Praxis. Prof. Gao Lishan war einer von ihnen. Wieder zurück, habe ich Karl Heimann berichtet, der mich, obwohl das Programm für Rothenburg schon feststand, noch irgendwie einflechten wollte. Und so kam es zu einem Diavortrag vor dem Essen des Festabends - ziemlich ungünstig vor hungrigen Kollegen zu sprechen. Außerdem war Manfred Porkert, der für seine bissige Kritik berüchtigt war, anwesend. Dann kam die saloppe Ankündigung von Präsident Brodde, dass ein junger Kollege gern noch mal schnell seine Urlaubsschnappschüsse zeigen wolle. Welch eine Schmach: Meine rein medizinische Fotosammlung mit außergewöhnlichen Einblicken in die vielgestaltige Praxis der TCM. Brodde hatte halt immer eine Neigung zu exzessivem Understatement. Die Übergabe der Kongressleitung 1994 bin ich von der Mitgliederversammlung in Rothenburg zur Leitung des Kongresses freiwillig verdonnert worden. Meine liebe Vorgängerin Marlies Sonnentag lud mich im Herbst zur Übergabe ein. Gemütlich saßen wir zusammen, sie meinte: „ Ja, da setzt du dich mal ein bis zwei Wochenenden hin, dann steht das Programm und die Organisation.“ Zur Übergabemasse gehörte auch ein Kleinkopierer, der bis heute seinen zugegebenermaßen sparsamen Dienst versieht. Lang lebe Rothenburg! Mein erster Kongress 1995 war schon zeitlich eine Erweiterung – der Sonntag kam hinzu – und der Einfluss der amerikanischen Referenten begann. Bob Flaws und Andrew Gamble waren namhafte Autoren, die unserer Gemeinschaft Neues bringen sollten. Drei Vorträge im Donnerstagsplenum, zwei samstags. Wir hatten ja nur die beiden Räume in der Stadthalle und den Musiksaal, der dieses Jahr wieder zu Geltung kommt. Und Schluss war mit dem Standardtanz-Abend. Herbert Vater, der damalige Präsident, hatte eine tolle Empfehlung: DJ Raven und Kilo aus München, der sich so etwa zehn Jahre gehalten hat. Wie sich später herausstellte, war er ein Nachbar von Paul Unschuld. Die erste Chinareise - inspiriert durch Porkert Prof. M. Porkert kann mit Fug und Recht als einflussreichster Dozent im Rothenburg der 1980er und frühen 1990er Jahre bezeichnet werden. Er hat mit großer Akribie das verwestlichte Verständnis der Chinesischen Medizin in ein wirkliches Verstehen gewandelt. Das war ein ganz wichtiger Schritt in der AGTCM. Wenn er von China sprach, hat er immer die TCM-Universität in Chengdu als Hort der Tradition und der Klassiker gelobt. So kam es denn auch, dass sich aus einer TCM-Arbeitsgruppe drei AGTCMler (Friedlinde Adt, Sigrid Klain, Gerd Ohmstede) 1988 auf unterschiedlichen Wegen nach Chengdu aufmachten. Friedlinde war schon früher gereist. Und wie es der Zufall wollte, begegneten wir uns im berühmten Peace Hotel in Beijing, wo sie mir freudestrahlend entgegen kam und voller Begeisterung über ihre spannende Lehrzeit mit einem Dr. Li sprühte, wie der Dolmetscher bei den intensiven Diskussionen über die Extraleitbahnen einen heißen Kopf bekam und die Einsichten täglich weiter wurden. Also begab ich mich, frisch in Chengdu angekommen, auf die Suche nach Dr. Li, der allerdings gerade im Unterricht war, als ich an der TCM-Universität nach ihm fragte. Später dann – zum Glück war auch ein Dolmetscher anwesend – traf 28 ich Prof. Li Zhongyu, der mich allein durch seine Erscheinung schwer beeindruckte und meine Frage nach den Stämmen und Zweigen mit einem Satz weise beantwortete. Bei van Buren ausgebildet (der in seiner Schule eine Therapie nach den Stämmen und Zweigen entwickelt hatte) war ich auf der Suche nach dem alten, wirklichen Wissen der Chinesischen Medizin. Denn die derzeitige TCM schien mir oberflächlich und vereinfacht. Jetzt war nur noch der Unterricht mit der Verwaltung zu verhandeln (nicht ganz einfach), und es konnte beginnen. XieRu war meine Dolmetscherin. Vorher aber traf ich noch Sigrid und konnte sie überreden, an dem Unterricht teilzunehmen. Prof. Li sprudelte dieses komplexe Wissen an die Tafel, dass uns vor Erstaunen und Fülle fast schwindelig wurde. Es gab es also doch noch, das alte chinesische Wissen. Nebenbei erfuhr ich, wie angenehm und unterstützend es ist, zu zweit zu lernen und sich anschließend auszutauschen. Ich beschloss, für das nächste Jahr eine Studienreise, die erste der AGTCM, zu organisieren, die dann leider wegen der TianAnMen-Revolution auf 1990 verschoben wurde. Der Oscar für die Universität in Chengdu Die Chengdu-Universität für TCM gehört zu den vier ersten Unis in China, die 1956 gegründet wurden. 2006 war also ein großer Geburtstag fällig. Die Ehreneinladung an die AGTCM wurde von Birgit Ziegler, Andreas Noll und mir angenommen. Zudem wurde der riesige, zwei Stunden außerhalb des Zentrums liegende Campus eingeweiht. Es war eine beeindruckende Szenerie: Vor dem achtstöckigen Hauptgebäude war eine riesige Bühne aufgebaut, sicher 40 m breit mit zwei Tischreihen für die vielen bedeutenden Repräsentanten. Große rote chinesische Lettern, rote, große Ballons in 15 m Höhe mit Spruchbändern und ein unheimliches Gewusel aus Professoren, Offiziellen, Studenten, Arbeitern, Musikanten und einigen wenigen Ausländern. 4000 Teilnehmer wurden erwartet. In der Vorbereitung hatte ich mich mit Birgit über die Frage ausgetauscht, was schenkt man denn einer Uni zu Geburtstag? Schwierig. Aber dann war klar, ein Oscar sollte es sein, ein Oscar für beste TCM-Uni. Birgit besorgte einen wunderschönen kleinen Oscar mit Gravur. Ms. Huang, die Leiterin des Waiban (foreign affairs office) informierte mich, dass ich die Ehre hatte, im Namen aller ausländischen Gäste eine Rede zu halten. Zunächst trugen die aus ganz China angereisten Honoratioren und Repräsentanten ihre üblichen Reden vor. Das Publikum schien geduldig zu schlafen, bis dann ein begeisterter Westler auf die Bühne kam und eine Lob- und Honigrede auf die Qualitäten der CDUTCM hielt, anschließend bejubelt, den Oscar schwenkend über die ganze Bühne schreiten musste, um dem Dekan die Trophäe zu überreichen. Ein Erlebnis der besonderen Art, das wohl die Verbindung fester geknüpft hat. Zeit der Wende: Auch die AGTCM wird fast „komplett“ Nach dem Mauerfall trafen sich Kolleg/inn/en aus dem Osten Deutschlands in Berlin Von Andreas Noll, ehem. 1. Vorsitzender der AGTCM Es ist bald 25 Jahre her: Aufbruchsstimmung nicht nur im Osten Deutschlands, sondern auch in der sehr übersichtlichen Akupunktur-Szene Berlins. Die „Arbeitsgemeinschaft“ hatte gerade mal eine knappe Handvoll Mitglieder in Berlin, die sich in kleinen Arbeitsgruppen mit den rudimentären Quellen klassischer Akupunktur beschäftigten. Die auch heute noch essentiellen Werke von Prof. Porkert, aber auch die aus dem Vietnamesischen/Französischen übersetzen Bücher von Nguyen Van Nghi und das „Lehrbuch“ von Schnorrenberger – überaus neugierig wurden sie diskutiert und verschlungen. Macciocia kam wie J. Ross erst später in deutsche Lande. Weitgehend profitierte man von der „französischen Schule“, ehe via USA-England die volksrepublikanische, wohlstrukturierte „TCM“ den Weg nach Europa fand. Ausbildungen in klassischer Akupunktur oder gar in TCM insgesamt? Es gab seit einigen Jahren die Schule der AGTCM in Bochum, auch ein Ausbildungszentrum in Bayern - aber in Berlin wurden diese vielversprechenden Ansätze neugierig beäugt, und es wuchs der Wunsch nach „mehr“. Wandlungsphasen, psychische Aspekte, ja, sogar das exotische „Qigong“ sollten aus der Perspektive der Berliner in ein ganz neues, umfassendes Ausbildungskonzept münden. West-Berlin war etwas Besonderes in jeglicher Hinsicht, eine kreative, aber am „Tropf“ des Westens hängende Metropole. Zwei Autostunden über die Transitstrecken durch die – aus Sicht der West-Berlinerterra incognita DDR von Westdeutschland abgekoppelt. Bekanntermaßen blüht in den „Marginalien“ die Kreativität...Und 1989/90 – die DDR ging ihrem Ende entgegen – besuchten auch neugierige Kolleg/inn/en aus Dresden, Leipzig, Frankfurt/Oder und aus dem Umland Berlins die Workshops, die Radha Thambirajah, Claude Diolosa und meine Wenigkeit zusammen mit Peter Weber-Bluhm und Ulla Blum anboten. Es stand für uns auf der Tagesordnung, uns dieser westlichen Vereinigung anzuschließen, die als Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur solide ausbildete und jährlich die Maßstäbe setzende Jahrestagung in Rothenburg o.d.T. veranstaltete. Und die - das war für uns sehr wichtig - interdisziplinär für Heilpraktiker/innen, Ärzte und Ärztinnen sowie Sinolog/inn/en offen war. Ich traf mich zur Vorbereitung dieser „Komplettierung“ der AG, der zu diesem Zeitpunkt neben dem Osten auch noch die Mitte fehlte, mit Gerd Ohmstede und Herbert Vater, dann auch mit den „Gründungsvätern“ August Brodde und Hans Giesen. Der Weg war frei – obgleich die Skepsis des Westens angesichts der bunten, kreativen und etwas revoluzzerhaften Ost-Szene deutlich war. Konkret war in der „Dokumentation“ der 29 Gründung des Arbeitskreises Ost und der Schule für TCM (später: „Shou Zhong“) zu lesen: Angesichts zahlreicher auch in den neuen Bundesländern gemachter Bemühungen, die Akupunktur lediglich als „Hautreiz-und Schmerztherapie“ den dortigen zahlreichen Interessenten in Schnellkursen anzubieten, fand in Berlin am 15./ 16.12.90 die Gründungsveranstaltung des Arbeitskreises Ost der Arbeitsgemeinschaft für klassische Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin e. V. statt. In den Räumen der Samuel-HahnemannSchule trafen sich ca. 80 Freunde der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), unter ihnen Heilpraktiker, Ärzte, Tierärzte, Apotheker und Sinologen. Das Vortragsprogramm verdeutlichte, daß die chinesische Heilkunde weit mehr als ein exotisch anmutendes Therapiemodell, sondern daß Grundlage für zum Beispiel die Akupunktur eine umfangreiches und universal gültiges Denksystem ist Herr Hans-Josef Weber (Anm.: Mitbegründer der TCM-Schule) aus Berlin verwies in seinem Referat über „Die Wandlungsphasen der chinesischen Medizin und die Archetypen“ auf die tiefgreifenden Wirkungen der Akupunktur im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlungsstrategie. Herr August Brodde, 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft und nunmehr auch Präsident der Societe International d‘ Acupuncture rief die Bedeutung der „Geistigen Energien Shen, Hun, Po, Chi, Yi“ in Erinnerung. Viele Teilnehmer kannten Frau Dr.med.vet. Annerose Weiß aus Pfaffenried. Auf der Berliner Veranstaltung zeigte sie auch anhand von zahlreichen Beispielen die Aspekte der Wandlungsphase Wasser bei der Akupunkturbebandlung von Tieren auf. Qi Gong- dieser Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin, für Prophylaxe und Therapie unerläßlich, wurde von Frau Ulla Blum (Berlin, Anm.: Mitbegründerin der TCM-Schule) dargestellt und anband von Übungen demonstriert. Herr Dr. Bierlaire (Belgien) – der Vortrag wurde von A.Brodde verlesen- der ein großes Spektrum der chinesischen Medizin quasi überspannte, von den grundlegenden kosmologischen Aspekten bis hin zu den Träumen und den Zyklen der Wandlungsphasen. Den Wurzeln chinesischen Denkens war der Beitrag des Sinologen und Religionswissenschaftlers Dr. Frank Fiedeler gewidmet, eines Denkens, das in Form der 64 Hexagramme des I Ging universal gültige Strukturen vorgegeben hat. Herr Gerd Ohmstede (Aachen) berichtete in seinem Beitrag über „Moxibustion- Vorstellung und Differenzierung der verschiedenen Techniken“. Prof. Wang Shiming und Frau Dr. Xie Ru (Anm.: Chengdu University of TCM) gaben in ihrem Vortrag über Moxibustion bei Hitze-Erkrankungen einen Eindruck von den in den geplanten Seminaren vermittelten Wissensstoff. Frau Gulde aus Dresden, als Akupunkteurin aus Rothenburger Vorträgen bekannt, versuchte in ihrem Beitrag über den „Nadelstich“ auch anhand von anschaulichen Experimenten eine Überleitung herzustellen von Anatomie und Physiologie zum energetischen Aspekt der Akupunktur. Herbert Vater (Tönning) stellte anhand der acht diagnostischen Leitkriterien der TCM einen Weg zur homöopathischen Mittelfindung dar. Möglichkeiten zur Nutzung einheimischer bzw. westlicher Heilpflanzen in der TCM erläuterte Herr Andreas Noll (Berlin, Anm.: Mitbegründer der TCM-Schule). Das gewaltige Spektrum der chinesischen Medizin, die enorm vielfältigen Beziehungen zu jedem Aspekt unseres Daseins, so mancher hiermit bisher nur oberflächlich hiermit in Kontakt gekommene Zuhörer, der vielleicht die Ausbildung des AK machen wollte, „verzweifelte“ schier angesichts dieser Dimensionen, eine „Verzweiflung“, die mit einer gehörigen Portion Begeisterung und Respekt genährt wurde. Neben den Vorträgen wurde eine umfangreiche Ausstellung über die chinesische Medizin präsentiert. Vom Arbeitskreis Süd (München) der Arbeitsgemeinschaft (Anm. Dr. K.O Heimann) zusammengestellt, wurden zahlreiche Exponate aus allen Bereichen der TCM dem Publikum präsentiert. Schautafeln informierten über Tai Ji und Qi Gong, die Nadeltypen der Akupunktur, die Tierakupunktur, über geschichtliche Hintergründe, verschiedene Pharmaka und vieles andere mehr. Vor allem diese Ausstellung stieß auf lebhaftes Interesse der Presse und des Fernsehens. So war es dann geschehen: Der Arbeitskreis Ost war gegründet, es gab ab Januar 1991 eine dreijährige TCM-Ausbildung in Berlin und anfangs ein bis zweimal im Monat von den wissenshungrigen Adepten der chinesischen Heilkunde begierig aufgenommene Weiterbildungsveranstaltungen. Andreas Noll bei der Gründungsveranstaltung AK Ost Chinareise mit Affe 30 Nach hitzigen Debatten um Ideen: Die AGTCM beschreitet neue Wege Andreas Noll – Vorsitzender von 1999 bis 2005 – erinnert sich Von Andreas Noll, ehem. 1. Vorsitzender der AGTCM Man hat mich gebeten, etwas über die sechs Jahre meiner Präsidentschaft in der AGTCM zu schreiben. Neun Jahre ist es inzwischen her, dass ich diesen „Job“ aufgegeben habe. So einiges hat sich geändert und weiterentwickelt, in vielem sehe ich auch heute noch die Resultate meines „Wirkens“. Wenn ich jetzt über diese Zeit schreibe, so muss dies subjektiv sein, durch das Raster meiner Sichtweise gefiltert und den Gesetzen der Mythisierung gehorchend. Vor zehn Jahren schrieb ich anlässlich des 50jährigen Bestehens der „Arbeitsgemeinschaft“: „… und in diesem Jahr kann nun die „Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und TCM e.V.“ (AGTCM) ihr 50jähriges Bestehen feiern. Es war ein Jahr des Pferdes, 1954, die Aufbruchsstimmung des „Wirtschaftswunders“ führte auch dazu, dass sich die „Akupunkturbeflissenen der ersten Stunde“ zusammenfanden: Die Heilpraktiker August Brodde und Hans Giesen sowie die Ärzte Stiefvater und Schmidt. Später dann setzten sich immer mehr von der asiatischen Heilweise Begeisterte zu einem zunächst noch sehr kleinen Kreis von Neugierigen zusammen. Ihr Ziel: Mehr zu wissen über dieses fremde Heilsystem, sich weiterzubilden und das Wissen in einem häufig geradezu missionarischen Eifer zu verbreiten. Bereits nach einigen Jahren schon wurden die ärztlichen Akupunkteure aus diesem Kreis von ihren Standesorganisationen zurückgepfiffen und so schloss sich diese Arbeitsgemeinschaft der „Deutschen Heilpraktikerschaft“ (DH, der spätere FDH) an. Sie wurde bis in die frühen 1980er Jahre ein Arbeitskreis des Heilpraktikerverbandes. Der Gedanke an ein über alle Berufsschranken hinweggehendes Zusammenwirken aller derjenigen, die ein tatsächliches Interesse an einem fundierten Wissen hatten, war die Jahre über aber nicht vergessen. Und so wurde Anfang der 1980er Jahre die „Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur“ als eigenständiger Verein beim Amtsgericht Iserlohn registriert. Noch mehr als zehn Jahre bestimmten August Brodde und Hans Giesen den Werdegang der AG - vom Rothenburger Kongress, der vor 35 Jahren erstmals in den Hinterstuben Rothenburger Restaurants abgehalten wurde, über die Gründung von regionalen Arbeitskreisen für die Weiterbildung von Heilpraktikern und Ärzten bis hin zu Ausbildungszentren in Bochum, München, Hamburg/Kiel, Berlin und Offenbach. Die Grundstruktur war geschaffen, die 1990er Jahre brachten viele neue Ideen, Impulse aus China und den USA. Die Wandlungsphase „Holz“ begann sich zu entfalten und entwickelte eine kräftige Dynamik für die AG und die immer bekannter werdende chinesische Medizin in Deutschland. Neue Gesichter übernahmen das Lenken der AG – Helen Blohm, Herbert Vater und dann 1999 der jetzige Vorstand. Die mittlerweile über 1000 Mitglieder, vielfältigstes Engagement in Aus- und Weiterbildung, Öffentlichkeitsarbeit, Verbindungen zu internationalen Organisationen, Zusammenarbeit mit Berufsverbänden der Heilpraktiker und Ärzte und hohe Ansprüche an die Qualität von Verabschiedung 2005 Aus- und Weiterbildung erforderten neue kommunikative Strukturen – offensichtlich war die AG in der Wandlungsphase „Feuer“ angelangt! Holz und Feuer mündeten wiederum in eine Phase des Bauens, der Konsolidierung, Sammlung und Etablierung: die „Erde“. Der Name „Arbeitsgemeinschaft“ steht heute so nicht nur in Deutschland für hohe und höchste Qualität im Aus- und Weiterbildungsangebot – hierzu haben der Rothenburger Kongress und die Ausbildungszentren, aber auch die Arbeitskreise in den Regionen gemeinsam beigetragen. Der „Erde“ folgt bekanntermaßen das „Metall“. Nach Assimilation und Sammlung folgt eine Phase des Reflektierens und Sortierens, des Überdenkens und Neuschaffens von Strukturen, die dem Ganzen einen stabilen Rahmen geben. „Geschmiedet“ wird dieser Rahmen durch die Wandlungsphase „Feuer“, durch den in vielen Jahren gewachsenen Geist der „Arbeitsgemeinschaft“. Es ist der Geist, der vor 50 Jahren einige Kollegen dazu brachte, den Samen für diesen Verband in die Erde zu setzen. Und obwohl es damals ein „Pferdejahr“ war - es hatte auch damals schon etwas mit der Neugierde und Lebendigkeit von der Energie zu tun, die uns in diesem Jahr des Affen (2004) begleiten wird. Wir sehen, das System der fünf Wandlungsphasen lässt sich sehr gut auch auf die Entwicklung eines Verbandes anwenden. Auf das Stärken des Metalls folgt die Stabilität, die Stärke und Festigkeit des Wassers - der Fundamente des gemeinsamen Arbeitens, Lernens und Lehrens.“ Und nun, zehn Jahre später: 1999 - die Konflikte vor allem der Schulleiter und anderer Funktionsträger der AGTCM mit dem Vorstand hatten sich zugespitzt. Es gab damals einen dreiköpfigen Vorstand, dessen Arbeitsweise nicht in die Zeit passte mit seinen Hierarchien und der zudem das unsere therapeutische Freiheit (in Deutschland als 31 Heilpraktiker) einschränkende Berufsbild des TCM-Therapeuten anzustreben schien. Mediationen und Supervisionen zwischen den Kontrahenten waren seit Mitte 1998 vorausgegangen, ebenso wie regionale Mitgliederversammlungen, Statements, Strategiediskussionen, viel Aufregung, meterlange Faxe und erhitzte Telefonate (E-Mails mit dem überbordenden „cc“ oder gar „bcc“ gab es noch nicht so richtig). Das Ergebnis der bis weit nach Mitternacht dauernden Mitgliederversammlung im Mai 1999: Ich wurde als Vorsitzender eines nunmehr achtköpfigen Vorstandes gewählt. In der Konsequenz legte ich meine Position als Schulleiter von Shouzhong (ABZ Ost in Berlin) nieder. Eine neue kreative Phase begann, eher Teamarbeit, zumindest Aufteilung der Verantwortlichkeiten - nach einer mühsamen Zeit der Lösung von den jahrzehntelangen, zu ihrer Zeit durchaus bewährten hierarchischen Muster. August Brodde und Hans Giesen, dann Helen Blohm und schließlich Herbert Vater hatten 45 Jahre die AGTCM geleitet: Jetzt waren wir dran. Altes hinterfragen, Neues schaffen - neue Wurzeln zusätzlich zu den zwar bewährten, aber etwas morsch und starr gewordenen Fundamenten der AGTCM. Nun ein großer Vorstand - acht Plätze für das Team gab es zu „besetzen“. Nicht so einfach. Birgit Ziegler war von Anfang an dabei, auch Gerd Ohmstede (natürlich!). Einige Monate später auch Michael van Gorkom als Sekretär an Bord. Voller Elan gingen wir an die Arbeit, sortierten und initiierten, diskutierten, delegierten und agierten. National und international, nach außen und innen. Sitzungen, unzählige Telefonate, ein Bericht- und Protokollwesen und monatliche Telefonkonferenzen sorgten für meist reibungslose Kommunikation. In den Archiven der AGTCM müsste noch ein Menge Text liegen, aber es gab eben viel zu tun. Mit den Ausbildungszentren konnten wir durch Kooperationsverträge die Arbeitsteilung zwischen Aus- und Weiterbildung regeln – damals gab es noch regionale Arbeitskreise, die Fortbildungsveranstaltungen unabhängig von den ABZ anboten. Es gelang, die hohe Qualität der im Rahmen der AGTCM angebotenen Ausbildungen sowohl bei den HP-Verbänden als auch zum Beispiel bei den Hebammen als Maßstab zu etablieren. Im Rahmen der Qualitätssicherung entstand in dieser Zeit auch das Kreditsystem für die kontinuierliche Fortbildung - und die Therapeutenliste im Internet. Zwei Websites wurden aufgebaut, für die AGTCM und den Kongress. Eine Zeitschrift („Der Heilpraktiker“) veröffentlichte monatlich Beiträge aus unserer sprunghaft wachsenden TCMWelt. Später ging die Kooperation über an die „Naturheilpraxis“ mit fest garantiertem Der Vorstand 2001 in Heidelberg“ v. li: Anna Mietzner, Wolfgang Waldmann, Andreas Noll, Dirk Berein, Gerd Ohmstede, Annette Wrobel, Catherine Herwartz, Birgit Ziegler redaktionellem Umfang – so wurden unsere Anliegen und Ansichten einem Leserkreis von damals 18.000 Therapeut/inn/en bekannt gemacht. Gute Kontakte konnte ich mit den vorher auf deutliche Distanz zur AGTCM gegangenen Heilpraktikerverbänden knüpfen und (damals unter der Hand) auch mit den Ärztevereinigungen. Und wir wollten uns voller Begeisterung mit nahezu missionarischem Eifer weltweit „vernetzen“: International erreichten wir die jahrelang angestrebte Mitgliedschaft in der WFAS, dem Weltverband für Akupunktur auf deren Kongress in Seoul. Auch europaweit wurde in Rothenburg schon im Jahr 2000 ein Meilenstein gesetzt: Es fand ein erstes Treffen europäischer TCM-Gesellschaften aus elf Staaten statt. Ziel: Ein europäischer TCM-Verband zur Vertretung der Interessen sowohl ärztlicher als auch nichtärztlicher TCM-Therapeuten. Ungeachtet ihres jeweiligen sehr unterschiedlichen juristischen Status’ in den einzelnen Ländern. Offensichtlich waren dies Zeichen der Zeit – denn völlig unabhängig von unserer Initiative wurde ich im Sommer nach Wien zu einem internationalen Treffen von TCM-/Akupunkturgesellschaften eingeladen. Beides ging dann einen gemeinsamen Weg bis zur Gründung der (damals) EATCM in Brüssel 2001. Was dann für ein Jahr folgte, möchte ich an dieser Stelle nicht beschreiben. Es war ernüchternd und erschreckend mit dem Ergebnis, dass die „Wiener Initiative“ für einige Zeit eigene Wege ging. Bis heute wächst und gedeiht jedoch die (nun) ETCMA. Mein Nachfolger Nils von Below unterstützte bei diesem Projekt maßgeblich den Vorstand, erst als Beauftragter in Europafragen, dann als Vorstandsassistent. China: Die Beziehungen zur Chengdu TCM University hatte Gerd Ohmstede initiiert und auch mein Vorgänger Herbert Vater weitergeführt. Meine Wenigkeit versuchte mit Kooperationsverträgen die Zusammenarbeit auf ein neues Niveau zu heben, was auch nachhaltig gelang. Absolvent/inn/en der ABZ konnten nun unter anderem nach erfolgter Studienreise ihr Diplom mit dem Stempel der Universität „besiegeln“ lassen. Professor/inn/en aus Chengdu reisten nach Deutschland, sowohl nach Rothenburg als zu intensiven Praxisseminaren an die ABZ. Mehrwöchige Studienreisen mit vielen Teilnehmern wurden von der AGTCM 32 Vor mehr als 30 Jahren begann die Freundschaft zur TCM-Universität Chengdu Die ersten Kontakte knüpften Sigrid Klain, Gerd Ohmstede und Andreas Noll Von Birgit Ziegler, ehem. 2. Vorsitzende der AGTCM Freundschaftliche Beziehungen zur Universität Chengdu organisiert, und nicht wenige Kolleg/inn/en studierten auch längere Zeit an dieser Universität, die mit Recht als die „klassischste“ TCM-Universität Chinas gilt. Freundschaftliche Bindungen entstanden, die bis heute noch ihre Früchte tragen. Mit Feuer und Flamme waren wir dabei und der Pioniergeist verbrannte sicher auch so manche Reserven. Ärgernisse und Streitigkeiten gab es auch, Gerichtsprozesse und nervenaufreibende Machtkämpfe. Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir uns bevorzugt an das Gute erinnern. Das Schlechte können wir abspeichern, aber es sollte nicht unser Handeln bestimmen. 2005 konnte ich mein „Amt“ an Nils von Below weitergeben. Ich habe mich gefreut, dass Vorstandskolleg/ inn/en für die unerlässliche Kontinuität bürgten. Besonders Birgit Ziegler danke ich für die gefestigten und gewachsenen Beziehungen zu unserer chinesischen PartnerUniversität. Und Gerd Ohmstede für das Wachsen und Gedeihen des internationalen TCM-Kongresses - der zu meiner Zeit anfangs noch „Jahrestagung der AGTCM“ hieß. Mit im Team waren damals: · Seit 1999 Michael van Gorkom als unermüdlicher Sekretär, · Dorothea Laner und ein Jahr später Catherine Herwartz als Geschäftsführerin, · Stefan Penns und Annette Wrobel für den Bereich Pharmakologie, · Dirk Berein als Vertreter der ABZ und überaus wichtiger Impulsgeber, · Clemens Prost und Anna Mietzner für die besonderen Belange der Ärzte, · Wolfgang Waldmann und Bernd Michel für die Arbeitskreise · und viele andere im Hinter- und Vordergrund. Dankeschön! Im Rahmen meiner Tätigkeit als 2. Vorsitzende der AGTCM e.V. reiste ich erstmals Mitte Oktober 2005 mit meinen Kollegen Nils von Below, Dirk Berein und Gerd Ohmstede nach Beijing und Chengdu. In Beijing trafen wir uns mit dem Präsidenten der WFAS (World Federation of Acupuncture Moxibustion Society). In dieser führenden Akupunktur-Organisation Chinas waren wir damals schon einige Jahre Mitglied, und wir wollten Möglichkeiten einer stärkeren Vernetzung diskutieren. Unsere Reise führte uns weiter nach Chengdu, denn mit der dortigen „Chengdu University of Traditional Chinese Medicine“ verbindet uns schon eine langjährige Freundschaft, deren Anfänge bis in die 1980er Jahre reichen. Die ersten Kontakte wurden durch Sigrid Klain, Gerd Ohmstede und Andreas Noll geknüpft. Damals war eine Reise zu Studienzwecken nach Chengdu noch ein echtes Abenteuer. Doch dank dieser Pioniere ist ein derartiges Unterfangen zwar auch heute noch eine Herausforderung, aber was die Bedingungen sowohl an der Universität als auch im täglichen Leben angeht, wesentlich entspannter. Unser damaliger Besuch hatte unter anderem zum Ziel, unsere Kontakte noch enger zu knüpfen, aber auch die dortigen Professor/inn/en und Lehrer/innen in ihren jeweiligen Fachgebieten näher kennen zu lernen. Zu diesem Zweck vereinbarten wir eine Reihe von Treffen, in denen sich die Professor/inn/en vorstellten und über ihre Fachgebiete referierten. Auf Seiten der chinesischen Ärzte herrscht – zum Teil auch noch heute - die Meinung, dass westliche TCMler nur über rudimentäre Kenntnisse der chinesischen Medizin verfügen. Sie sind oft nur sehr zögerlich bereit, ihr umfangreiches Wissen mit uns zu teilen. Stetige Diskussionen, die wir während unserer wiederkehrenden Besuche dort und auch in Rothenburg mit Vertretern der Universität Chengdu geführt haben, dienten und dienen dem Ziel, diese Einschätzung unserer chinesischen Freunde über unser Wissen allmählich zu verändern. Im Jahr 2006 feierte die Universität in Chengdu ihr 50jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass gab es einen Kongress und beeindruckende Feierlichkeiten, zu denen Vertreter der AGTCM eingeladen waren. Dieses Mal reiste ich mit Andreas Noll und Gerd Ohmstede. Unserer Gruppe hatten sich aber auch zwei ETCMA-Mitglieder aus Irland angeschlossen sowie jeweils eine Vertreterin des Thieme-Verlags und des Elsevier-Verlags. Der Kongress und die Feierlichkeiten gingen über drei Tage. Der Höhepunkt war eine beeindruckende Open-Air-Veranstaltung auf dem neuen Campus in den weiteren Außenbezirken von Chengdu, mit vielen Reden und sehr schönen Tanzdarbietungen. Wir nahmen natürlich die Gelegenheit wahr und führten Gespräche zu allen möglichen aktuellen Themen, aber insbesondere ging es auch bei diesen Treffen um die Verbesserung der Studienmöglichkeiten für unsere westlichen Kollegen. Im Rahmen der Veranstaltungen wurde Andreas Noll zum Gastprofessor der Universität Chengdu ernannt. Im Jahr 2009 reiste ich wieder nach China, und zwar mit den Dozentinnen und Dozenten des ABZ Mitte. Ich hatte eine dreiwöchige Reise organisiert, die uns zuerst nach Shanghai und dann nach Hangzhou führte. Dort trafen wir uns mit der Leitung der dortigen Universität, um über die Möglichkeit von Studienaufenthalten zu diskutieren. Weiter führte uns unsere Reise in die Provinz Yunnan, wo wir die Städte Lijiang und Dali und deren Umgebung besuchten. Den 33 Abschluss bildete ein zehntägiger Aufenthalt in Chengdu am dortigen Hospital und an der Universität. Neben dem touristischen Programm stand für mich vor allen Dingen im Vordergrund, dass meine Kolleginnen und Kollegen vor Ort einen Eindruck von den Möglichkeiten und Bedingungen gewinnen konnten, unter denen Fortbildungsreisen stattfinden, und über diese auch den Schülern des ABZ berichtet werden konnte. Ich bin sicher, dass unser gemeinsames Reiseerlebnis allen Beteiligten in guter Erinnerung geblieben ist. Im November 2010 besuchte ich den 3. Internationalen Kongress zur Modernisierung der TCM in Chengdu. Im Rahmen dieses Kongresses hielt ich einen Vortrag über die Trainingsstandards an den Kooperationsschulen der AGTCM. Da ich seit 2010 die Verantwortung für die China-Reisen habe, nahm ich die Gelegenheit war, mit dem dortigen „Office for Foreign Affairs“ über Bedingungen und Preise der Studienreisen zu verhandeln. Die Gespräche fanden – wie immer – in freundschaftlicher Atmosphäre statt. Mittlerweile hatte ich zu allen Verantwortlichen eine gute Beziehung aufgebaut. Im Oktober 2013 fand in Chengdu der 4. Internationale Kongress zur Modernisierung der TCM statt. Erstmals bekam die AGTCM unter der Federführung von Gerd Ohmstede, der als zweites Mitglied der AGTCM zum Gastprofessor ernannt wurde, die Möglichkeit, ein Panel, das heißt eine Vortragsreihe im Rahmen des Kongresses, mitzugestalten. Dieser Kongress ist weltweit die größte derartige Veranstaltung. Neben der Universität Chengdu findet sie unter Federführung der Zentralregierung und der Provinzregierung von Sichuan statt. Dort waren auch wichtige Organisationen wie WHO, WFAS und WFCMS vertreten. ABZ Mitte im Reich der Mitte Bis einschließlich 2013 reiste jedes Jahr eine Gruppe nach Chengdu. Die Teilnehmer/innen rekrutierten sich mehrheitlich aus dem Kreis der ehemaligen Schüler des ABZ Mitte. Es meldeten sich aber zu jeder Reise auch Interessenten außerhalb der AGTCM. Natürlich gibt es auch 2014 wieder eine Reise nach Chengdu. Die meisten Teilnehmer entscheiden sich für einen zweiwöchigen Studienaufenthalt. Das ist zwar relativ kurz, aber doch nachvollziehbar, weil niemand seine Praxis viel länger schließen kann oder möchte. Trotz der Kürze der Zeit gelingt es aber immer, einen guten Einblick in die Arbeitsweise der dortigen Ärzte und Ärztinnen und Professor/inn/en zu erlangen. Es ist mit Sicherheit eine lohnende Erfahrung. Der Vollständigkeit halber sei noch vermerkt, dass ich eine weitere Studienreise für die Dozentinnen und Dozenten des ABZ Mitte organisierte. Diese führte uns im Oktober 2012 nach Beijing. Wir wollten direkt bei Dr. Wang die Palpitation der Leitbahnen sehen und lernen, weil Dirk Berein seinen Schüler Jason Robertson eingeladen hatte, im ABZ Mitte eine Fortbildung zu veranstalten. Diese war so inspirierend, dass wir beschlossen, Dr. Wang persönlich kennen zu lernen. Neben dem wertvollen Wissen, das uns Dr. Wang vermittelte, hatten diese zwei Wochen aber auch einen guten Teambildungseffekt, wie auch schon unsere gemeinsame Reise im Jahr 2009. 34 mein Engagement für die AGTCM begann mit einer umstrittenen „Werbeaktion“ Rückblick auf die ersten Begegnungen bei Seminaren und Kongressen Von Helmut Magel, Schulleiter der August-Brodde-Schule In den 1980er Jahren war die Ausbildungssituation für Chinesische Medizin vom Umfang bescheiden, aber ähnlich unübersichtlich wie heute. Über das Internet konnte man sich noch nicht informieren. So kam es, dass ich meine TCM-Ausbildung in der Nähe von Bochum, dem Sitz des 1984 von August Brodde und Hans Gießen gegründeten Ausbildungszentrums West (ABZ) bei Peter Weinfurt absolvierte. So erging es damals einigen Kolleginnen und Kollegen, die später zur AGTCM stießen, ebenfalls. August Brodde begegnete ich erstmals 1988 auf dem SIA-Kongress („Société Internationale d’Acupuncture“) in Düsseldorf. Er saß vorn auf dem Podium neben dem berühmten französischen Akupunkteur Nguyen van Nghi. Das war noch zu Zeiten, als in der TCM-Szene eher französisch als englisch (und aufgrund der erst beginnenden Öffnung Festland-Chinas) schon gar nicht chinesisch gesprochen wurde. Die französischen Akupunkteure waren bis in die 1980er Jahre seit Soulié de Morant (gest. 1955) die Avantgarde in Europa. In den 1990er Jahren änderte sich dies mit den Lehrbüchern von Maciocia, Bensky, Flaws und Ross: Die Anglo-Amerikaner strukturierten die TCM über die Syndromlehre um und schienen für manche Adepten „Klarheit“ in diverse Merkwürdigkeiten zu bringen. Hier kam man noch ohne Syndrome aus: „Gar nicht oft genug kann es wiederholt werden, dass das A und O jeglichen Akupunkturerfolges die Ausgleichung der deregulierten Meridianpulse ist, wobei man sich der Standardpunkte bedient und gegebene Regeln befolgt. So wird eine Ausgleichung des gestörten vegetativen Gleichgewichtes angestrebt, die vegetative Steuerung der Organfunktionen normalisiert und eine ganze Anzahl funktioneller Störungen zum Weichen gebracht, ohne dass man ihnen einen Namen gegeben zu haben braucht. Dieses ist im Sinne der Akupunkturlehre die Behandlung der „Wurzel“ der Krankheiten.“ (Brodde, Wundermeridiane) Als ich meine eigene Akupunktur-Praxis 1990 eröffnete, hatte ich das große Bedürfnis, mich mit anderen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. Zu diesem Zweck gründete ich mit einigen einen Verein und bald darauf gaben wir eine bescheidene Zeitschrift in Eigenarbeit heraus: „ZECHInfo“. ZECH stand unbescheiden für „Zentrum für europäische und chinesische Heilkunde“. Von vorn herein war uns klar, dass wir keine Chinesen waren und unsere Heilkundetradition - zum Beispiel die der Kräutermedizin - mit einbezogen werden sollte. Ohne dass wir das damals wussten, bezog auch August Brodde sowohl die europäischen Philosophen als auch die homöopathische Heilkunst in seine Theorie und Praxis ein. Mit der AGTCM bekam ich erst Anfang der 1990er Jahre über Fortbildungsseminare in Bochum verschiedene Kontakte, unter anderem mit Guido Fisch, jenem Akupunktur-Arzt aus Lausanne, der heute leider in Vergessenheit geraten ist und auch aus der französischen Schule um Van Nghi stammt. In der ZECH-Zeitschrift verbreiteten wir auch die Termine des Arbeitskreises West der AGTCM, was von Frau Brodde, die ihrem Mann organisatorisch zur Seite stand, aber gar nicht gern gesehen wurde. Sie war der Meinung, unsere Zeitschrift „bediene“ sich des Arbeitskreises. Ähnliches geschah dann auf dem TCMKongress in Rothenburg, den ich - die ZECH-Zeitschrift unter dem Arm - 1994 erstmals besuchte. Mein argloses Ansinnen, dort unsere Zeitschrift auszulegen, machte mich rasch mit dem Vorstand der AGTCM bekannt. Die Kollegin Helen Blohm, damals 1. Vorsitzende, meinte, das ginge deshalb nicht, weil die AGTCM die Zeitschrift „Volksheilkunde“ als ihr Organ nutze, in dem monatlich Beiträge zur TCM publiziert würden. Aber sie sei, sagte sie sehr freundlich, nicht die richtige, um mit mir darüber zu verhandeln. Die (wörtlich) „große Klappe“ habe der 2. Vorsitzende. Das war Herbert Vater, mit dem ich dann auch bekannt gemacht wurde. Nach einigem Hin und Her machte mir Herbert Vater ein überraschendes Angebot: Ob ich bereit sei, unsere Zeitschrift einzustellen und stattdessen die Redaktion der monatlichen TCM-Beiträge in der „Volksheilkunde“ redaktionell zu betreuen, da die bisherige Redakteurin diesen Posten aufgeben wolle. Offenbar hatte ich keinen schlechten Eindruck mit meinem Engagement gemacht. Ich brauchte nicht lange zu überlegen und erklärte mich bereit und dankte für die Ehre. Die bisherige Redakteurin war übrigens Marlies Sonnentag, die zusammen mit Inge Sander auch viele Jahre Dozentin im ABZ West in Bochum war. So geriet meine Werbeaktion für unsere Zeitschrift, die immerhin eine Auflage von 60 Exemplaren mit Abonnenten in ganz Deutschland aufwies, zu einem „Senkrechtstart“ in die AGTCM, schließlich gehörte die Redaktion zum damaligen „Beirat“, eine Art Beratergremium des Vorstandes. Als Fach-Redakteur hatte ich genügend Gelegenheit, mich mit Kolleginnen und Kollegen inhaltlich über Artikel auszutauschen und auch selbst Beiträge zu publizieren. Insofern wurde ich aktiver Zeuge eines Wandels der Chinesischen Medizin in Deutschland, bei dem der Einfluss der französischen Schule durch den angloamerikanischen Einfluss und schließlich den - immer noch schillernden - Einfluss der VR China verdrängt wurde. Gab es in den 1980er Jahren nur wenige Lehrbücher 35 zur Chinesischen Medizin, so hat sich das heute gewandelt: Die Zahl der internationalen Veröffentlichungen ist fast unüberschaubar geworden. Auf dem Rothenburger Kongress 1994 hielt noch Manfred Pokert einen Vortrag, dessen international beachtetes Grundlagenwerk zur Chinesischen Medizin heute nur noch wenigen bekannt sein dürfte. Er war der Meinung, die alten chinesischen Fachbegriffe dürften nur in einer ebenso alten, nicht mehr gebräuchlichen europäischen Sprache, dem Latein, übersetzt werden, um ihren Sinngehalt nicht „modern“ zu übertünchen. Inzwischen liegen uns vielfältige Ausgaben klassischer Schriften vor, die neben dem chinesischen Text gleich die Übersetzung (meist ins Englische) mitliefern, so dass sich jeder selbst ein Bild machen kann. Zugleich hat mit der großen Zahl von Veröffentlichungen auch die Zahl der Systeme und Lehrmeinungen zugenommen. Das war im alten China immer so, wir im Westen müssen das aushalten. Was August Brodde gegenüber der Vielfalt von Weisheitslehren sagte, passt gut in den angesprochenen Zusammenhang: „Jedoch lädt ein Überblick durch meine (...) Zusammenfassungen aus Weisheitslehren dazu ein, noch ein Wort über den Eklektizismus zu sagen. Der Eklektiker wird meist als bloßer Nachahmer apostrophiert, was ausgesprochen ungerecht ist. Meist ist er ein gebildeter, belesener, aber bescheidener und nachdenklicher Mensch, der nichts Neues erdenkt, um es zu einem neuen philosophischen Gebäude zusammenzusetzen, sondern der Überzeugung ist, dass alles Wissenswerte schon vor ihm durch bedeutende Köpfe gesagt worden ist und man es wohl variieren, kaum aber Neues hinzufügen kann. Und aus dieser großen Summe vorhandener Lehren setzt er sein Weltbild zusammen, wie es schon Diogenes Laertios getan hat und Kameades von Kyrene (212 bis 128 v.Chr.) in der Spätzeit der griechischen Philosophie lehrte. Heutzutage würde mehr Eklektizismus weniger Spinner bedeuten. Im 32. Spruch des TAO TE KING sagt Lao Tse: Der SINN* als Ewiger ist namenlos Einfalt. Obwohl klein, wagt die Welt ihn nicht zum Diener zu machen. Weiß man, wo halt zu machen ist, so kommt man nicht in Gefahr. Dreißig Jahr Praxis - der Sinn? (...) Ich muss sagen, dass es den „SINN AN SICH“ als feststehenden, unabänderlichen Begriff nicht gibt, sondern dass ein jeder aufgerufen ist, sich um SEINEN SINN zu bemühen, und er wird ihn je nach dem Stadium seiner eigenen Evolution zwischen bloßer Materie und reinem Geist finden. Hoffen wir, dass Sie auf dieser Skala einen gehobenen ontischen Platz haben.“ (aus einem Vortrag von August Brodde, gehalten auf einer Heilpraktiker-Tagung) * Richard Wilhelm übersetzte Dao (Tao) Herbert Vater, Claudia Papst-Dippel, Peter Waltz, 1998 Ehepaar Brodde und Karl-Friedrich Liebau, 1980er Jahre Meisterkurs 1995 36 „Halte an der Mitte fest“: Die Pioniere der TCM organisieren sich in Berlin Mehrere Umzüge prägen die Geschichte des Ausbildungszentrums Ost - Shou Zhong Von Annette Moll, Journalistin und Journalisten-Ausbilderin, im dritten Ausbildungsjahr Akupunktur im Shou Zhong Seit 1991 bietet das Ausbildungszentrum Ost für Chinesische Medizin in Berlin Ausund Fortbildungen in TCM an. Shou Zhong ist eine von insgesamt sechs Kooperationsschulen der „großen Mutter“ AGTCM und hat eine bewegte Geschichte. Es gibt Bagels mit türkischen Aufstrichpasten, auf dem Stövchen dampft eine chinesische Teekanne vor sich hin. Vor der Regalwand mit den Kräutergläsern und der eingelegten Echse sind die Seminartische zu einem Quadrat zusammen geschoben: Dozententreffen im Shou Zhong Ausbildungszentrum Ost in Berlin-Schöneberg. Nach der wie immer intensiven Diskussion über den Lehrplan der dreijährigen Akupunkturausbildung lenkt Schulleiterin Suzanne Rainer das Thema auf die Geschichte von Shou Zhong: Wie ging es los vor 23 Jahren, welche Stationen gab es auf dem Weg bis heute – und die Stimmung in der Runde wird aufgekratzt. Erinnerungen fliegen hin und her: Dass die Akupunkturschüler/innen der ersten festen Schuladresse, einer alten Villa in Babelsberg, im Winter in den Heizungskeller hinab steigen und Kohle schippen mussten, wenn der Hausmeister mal wieder vergessen hatte, frühmorgens anzuheizen. Lachen, als man sich an rußgeschwärzte Wangen und Hände erinnert, ans Zusammenkuscheln unter wärmenden Decken während des Unterrichts – oder daran, dass ständig die Sicherung heraus flog und Patient/inn/ en und Behandler/innen in der Lehrpraxis plötzlich im Dunkeln saßen. Das sind die Anekdoten, die der Blick in die Vergangenheit spontan hervorzaubert – doch alle, die damals dabei waren, sagen vor allem: Es war eine Pionierzeit. Aufbruchsstimmung herrschte in der noch kleinen Berliner Akupunkturszene kurz nach der Wiedervereinigung, denn mit dem 1991 aus der Taufe gehobenen Ausbildungszentrum Ost gab es in der Regi- on nun endlich eine wirklich umfassende Ausbildung in chinesischer Medizin. Gründervater Andreas Noll hatte bereits Ende der 1980er Jahre anderthalbjährige TCMKurse angeboten. Doch er wollte mehr: Akupunktur und das ganzheitliche Konzept der chinesischen Medizin intensiv erfahrbar machen, inspiriert von den vielfältigen Impulsen der AGTCM sowie ihren spannenden Jahrestagungen in Rothenburg. Lernen und Spüren, drei Jahre lang. Noch im Jahr 1990 gibt es diesen legendären Abend in Berlin-Kreuzberg: Andreas Noll und Peter Weber-Bluhm treffen sich in einer Kneipe im Graefe-Kiez, nach ein paar Stunden und einigen Getränken steht ihr Entschluss: Wir gründen eine Schule für chinesische Medizin! Eine Ausbildungsstätte, die Theorie mit der praktischen Arbeit, der Patientenbehandlung, verbindet, in der die Wandlungsphasen mit Körper, Geist und Seele erlebt werden. Auch das damals noch etwas exotisch anmutende Qi Gong soll einen zentralen Ausbildungsteil bilden – zum Führungstriumvirat der neuen TCM-Schule gehört auch Ulla Blum, die die angehenden Akupunkteure mit ihren Qi Gong Workshops für die energetische Arbeit öffnet. Ende des Jahres schließt sich die Schule der AGTCM an. Zu diesem Zeitpunkt gibt es bereits Kooperationsschulen in München, Bochum und Hamburg. Im Januar 1991 ist es dann soweit, der erste Ausbildungsjahrgang geht an den Start. Zu den 15 „Erstklässlern“ zählt Clemens Prost, damals knapp 30 Jahre alt, frisch ausgebildeter Arzt und auf der Suche nach der Essenz ganzheitlicher Behandlung. Akupunktur interessiert ihn schon geraume Zeit, seit einem Kurs bei Radha Thambirajah liegt in seinem WGZimmer eine Matratze auf dem Boden, auf der sich aufgeschlossene Mitbewohner und Freunde Übungsnadelungen hinge- ben. Den chinesischen Klassiker Su Wen hat Clemens schon Mitte der 80er Jahre gelesen, sonnenbadend auf dem Berliner Kreuzberg. Er wusste damals noch nicht, ob er den alten Text genial oder völlig verrückt finden sollte. Doch jetzt mit der fundierten TCM-Ausbildung erschließt sich ihm allmählich der Sinn. Verwirrung stiftet anfangs eher die Vielzahl der Ausbildungsorte: Bis 1993 finden die Kurse nämlich in lockerer Folge im Berliner Ökowerk statt sowie in der selbstverwalteten Heilpraktikerschule, damals in der Hasenheide, sowie in der Samuel-Hahnemann-Schule. „Jeden Samstag stellte sich mir die gleiche Frage: Bei wem, wann und wo findet der Kurs heute eigentlich statt?“, erzählt Clemens Prost und gibt ehrlich zu, dass er wahrscheinlich jener Schüler war, der damals am häufigsten „ein bisschen verpeilt“ vor der falschen Adresse stand. Damit ist Schluss, als die TCM-Schule 1993, nun ein gemeinnütziger Verein, nach Babelsberg zieht: in eine alte, etwas baufällige, aber charmante Villa am Ufer des Griebnitzsees. „Die Idee war, nach der Dreiteilung der Ausbildungsorte ein echtes Zentrum zu schaffen, unsere Mitte zu finden“, erzählt Andreas Noll. Diese Grundidee spiegelt der Name wider, mit dem die Schule damals getauft wird: Shou Zhong – halte an der Mitte fest, ein Spruch aus Laotses Daodejing. Babelsberger Villa: Erste Heimat ABZ Ost nach der Wende 37 Um die Villa in der Karl-Marx-Straße ranken sich viele Geschichten. Jutta Bernig, damals Schülerin, heute Shou Zhong-Dozentin, erinnert sich nicht nur ans muntere Kohleschippen im Heizungskeller, sondern auch an einiges Befremden in der Nachbarschaft. Schon der Einzug der Gründungstruppe mit Trommeln und chinesischem Löwentanz hat die Offenheit der alteingesessenen Babelsberger herausgefordert. Und wenn die Schüler dann im Garten Qi Gong übten, in bunten Pumphosen oder Batik-Shirts; wenn seltsame Geräusche aus den WandlungsphasenSeminaren drangen, „glaubten die Leute wohl, hier sei eine Sekte eingezogen.“ Einmal kam sogar die Polizei vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Es war ein weiter Weg hinaus zur Shou Zhong Villa: Die Fahrt in der träge polternden S-Bahn, gefolgt vom Fußmarsch am Ufer des Griebnitzsees entlang – im Sommer wunderschön, im Winter aber mitunter eine Herausforderung, auch für die Patient/in/en. „Sie mussten gut zu Fuß sein und ein stabiles Immunsystem haben, um überhaupt zu uns in die Lehrpraxis, das Ambulatorium, zu kommen“, meint Clemens Prost heute. Bis zu drei Stunden Anreise hätten damals einige in Kauf genommen. Dennoch seien alle natürlich gesünder gegangen als sie kamen – eine gute Behandlung habe immer im Mittelpunkt gestanden. Der Schule ist er bis heute tief verbunden: Gleich im Anschluss an seine Ausbildung fängt Clemens Prost als Ambu-Lehrer an; wenige Monate später wählen ihn die Schüler zum stellvertretenden Schulleiter. Wegen des weiten Weges verbringen viele Schüler das Wochenende in der Villa, da kommt eine familiäre Atmosphäre auf. Gemütliche Kochabende, rauschende Partys, außerdem streichen und renovieren die Schüler notdürftig die besonders baufälli- Party Babelsberg gen Teile der Villa - und nachts geschehen manchmal merkwürdige Dinge. Im Gebäude war Jahrzehnte zuvor ein russisches Lazarett untergebracht. Manche Schüler berichten nach einer unruhigen Nacht, sie hätten die Geister der Verwundeten gesehen. Die Jahre kommen und gehen, der Lehrplan, den Andreas Noll und seine beiden Mitstreiter Ulla Blum und Peter WeberBluhm entworfen haben, wird immer wieder leicht verändert, verbessert, neu justiert. Im steten Austausch mit der AGTCM und den anderen Kooperationsschulen wird ein Curriculum entwickelt, das einen neuen Standard für Akupunkturausbildungen in Deutschland setzt. Anfangs gibt es kaum Lehrbücher, die Dozenten teilen keine Skripte aus, alles wird mitgeschrieben; die Schüler lernen das Akupunktieren noch mit Mehrweg-Nadeln, die sie nach jeder Behandlung selbst sterilisieren. „Wir haben damals auch improvisiert, waren aber mit sehr viel Herzfeuer bei der Sache“, erzählt Margot SchlemenderMischo, die Mitte der 1990er Jahre als Ambu-Lehrerin zum Team stößt und später Schulleiterin wird. Ihr fallen viele hitzige Diskussionen von früher ein, lange basisdemokratische Entscheidungsprozesse – darüber, ob der Unterricht an Tischen oder auf Futons stattfindet, ab welcher Nadellänge das Qi erreicht wird oder wie viel Raum Prüfungen einnehmen sollen. Über eines seien sich allerdings immer alle einig gewesen: dass die Kooperation mit der Universitätsklinik von Chengdu durch alle Jahre beibehalten und vertieft wird. Dass die Patient/inn/en in der Ausbildungssituation einer Lehrpraxis die bestmögliche Behandlung erhalten. Und dass die Offenheit für viele verschiedene Therapieansätze den Schülern ein gutes Fundament für ihre spätere Heilarbeit schafft. Und dann hängt auf einmal eine Rechtsklage wie ein Damoklesschwert über der Schule: Anwälte der Jewish Claims Conference (JCC) haben die alte Villa in Babelsberg ausfindig gemacht. Deren Besitzverhältnisse während der vergangenen Jahrzehnte sind unklar – möglicherweise haben jüdische Opfer des Nationalsozialismus Anspruch auf Entschädigung. Davon wissen die Shou-Zhong-Vertreter nichts. Sie haben mit der Stadt Potsdam einen einfachen Nutzungsvertrag abgeschlossen: Instandhaltung und Beheizen des alten Gemäuers, dafür dürfen sie die Räume nutzen. Doch die JCC verklagt die Schule auf 200.000 Euro – und trifft damit Andreas Noll als Privatperson. Denn er hatte einst den Vertrag nur mit seinem Namen unterschrieben, der Schulstempel fehlt. Bis 2004 zieht sich das Verfahren hin, dann endlich entscheidet der Bundesgerichtshof, dass die Klage hinfällig ist. Schule im Gildehaus Frankfurter Allee 38 Zu diesem Zeitpunkt hat Shou Zhong seine Mitte längst an einem anderen Ort gefunden, die Unsicherheit des Rechtsstreits gab den Ausschlag für den Umzug in die Frankfurter Allee im östlichen Herzen Berlins, Anfang der 2000er Jahre. Zur rituellen Weihung der Räume im alten Haus der Schlossergilde kommt ein buddhistischer Mönch und wirft eine Handvoll Reis in den laufenden Unterricht; Jutta Bernig muss immer noch schmunzeln, wenn sie an die verdutzten Gesichter der Schüler denkt. Ihr Dozentenkollege Achim Wypler, Meister der non-invasiven Akupunktur und Qi Gong-Kenner, schwärmt von der guten Akustik in den Räumen und vom hervorragenden Resonanzraum für die energetischen Schwingungen bei der Behandlung. Die Organisation der Schulverwaltung wird weiter professionalisiert, das Shou-ZhongTeam lässt sich von einem Coach beraten. Und die Schüler arbeiten nun mit sterilen Einwegnadeln. Eine Zeit des Wachsens und Reifens für Shou Zhong – bei allen praktischen Herausforderungen. Der Seminarraum, ein alter Gildensaal, steht unter Denkmalschutz; die Wandfarbe, ein in Schulkreisen noch immer legendäres „Dunkel-Blut-Rostrot“, darf nicht überstrichen werden. Nägel in den Wänden sind verboten, ebenso angeschraubte Deckenlampen. Das Team behilft sich mit auf dem Boden aufgestellten Halogenstrahlern, die die düsteren Wände notdürftig anleuchten. Frischluft bringt Lärm: Die Fenster nach vorn bieten Anblick und Geräuschkulisse der mehrspurigen Frankfurter Allee, am Wochenende ziehen Demonstrationszüge mit Sprechchören und Trillerpfeifen vorbei. Das Drogenzentrum im Hinterhof sorgt zuverlässig für Musikbeschallung aus der anderen Richtung. Bis 2007 bleibt Shou Zhong an dieser Adresse, dann steht der nächste Umzug an. Die Schule soll noch professioneller werden, die Räume praktischer, geeignet auch für größere Veranstaltungen. Margot Schlemender-Mischo, damals Schulleiterin, macht sich auf die Suche und findet eine große Hinterhofetage, schräg gegenüber vom Schöneberger Rathaus. Die Abstimmung über den neuen Ort endet im Dozentenkreis nur mit knappem Zuspruch. Manche Kolleg/inn/en halten die ehemaligen Fabrikräume in der Belziger Straße energetisch für eine Zumutung, andere sehen ganz pragmatisch das Potenzial, die Räume hell und freundlich zu gestalten und die bis heute gern genutzte offene Wohnküche einzubauen. Vor allem Platz gibt es nun genug, in drei großen Seminarräumen kann gleichzeitig Unterricht stattfinden. Der ständig weiter entwickelte Lehrplan für die Akupunkturausbildung ist inhaltlich auf gut das Doppelte dessen angewachsen, was die ersten Ausbildungsjahrgänge durchnahmen. „Früher gab es vielleicht noch mehr Zeit fürs Spüren, auf jeden Fall mehr Qi Gong“, sagt Bastiane Hartmann – eine von etlichen früheren Schülerinnen, die heute im Dozententeam arbeiten. Andererseits vermisst heute kaum jemand die Tatsache, dass Fachbücher Mangelware waren oder die Schüler noch die lateinischen Punktebezeichnungen von Porkert pauken mussten. Allein die Vielzahl der Lehrer mit ihren ganz unterschiedlichen Werdegängen und Behandlungsansätzen sorge dafür, dass die Schüler heute sehr viel am eigenen Leib erfahren und mitnehmen können – eine gute Balance zwischen Wissen und Intuition. Bastiane Hartmanns Weg in Beruf wie auch Berufung hat Shou Wohnküche Schöneberg Steven Birch unterrichtet in Schöneberg Zhong jedenfalls stark geprägt. In jungen Jahren hat die studierte Politologin viel Frauenpolitik gemacht und „versucht, die Welt zu retten“. Kaum eine Demo, die sie nicht mitorganisiert oder auf der sie mitmarschiert ist, Straßenkampf rund um die Uhr: „Ich habe mich nicht geschont“. Und dann schlichen sich irgendwann gesundheitliche Probleme an, Zeit zum Anhalten und Durchatmen. Sie lernt Clemens Prost kennen, der begeistert von seiner Ausbildung erzählt. Bastiane wird eine jener Freiwilligen, die sich auf der WG-Matratze als „Versuchskaninchen“ für seine ersten AkupunkturBehandlungen zur Verfügung stellen. Sie fängt Feuer - und 1994 selber die Akupunkturausbildung an, im Jahrgang der Holzhunde. Nach den aufreibenden Jahren ständiger Revolutionsbereitschaft, politischer Arbeit und analytischen Denkens spürt sie zum ersten Mal das Qi, erlebt die spirituelle Komponente der chinesischen Medizin, kommt in tiefen Kontakt mit anderen und mit sich selbst. Heute, 20 Jahre später, ist sie erfolgreiche Therapeutin sowie Dozentin und sagt: „Ich bin dieser Schule sehr dankbar dafür, dass ich bei mir selber angekommen bin“. Suzanne Rainer, ebenfalls Shou Zhong-Absolventin, war bereits als Schülerin begeistert von dem Fachwissen und der langjährigen praktischen Erfahrung der Dozenten. Heute, in ihrer Funktion als Schulleiterin, schätzt sie an ihren Kollegen auch deren Teamfähigkeit, Loyalität und stetes Ringen um das höchstmögliche Ausbildungsniveau. Teetassen und Teller klappern, als die Dozenten den Tisch abräumen, das Teamtreffen hat heute ein bisschen länger gedauert – viele Erinnerungen sind hoch gekommen. Und es wird noch viele weitere Geschichten zu erzählen geben, da ist sich Suzanne Rainer sicher. Denn auch wenn Shou Zhong stets die Mitte behalten hat – das Prinzip des ewigen Wandels geht weiter. 39 60 Jahre – Nur ein Wimpernschlag der Geschichte? „Erfahrung und Tradition – in Frage stellen und Neues zu wagen: ein kontinuierlich spannender Prozess“ Von Dirk Berein, Schulleiter des ABZ Mitte Die erste Frage, die mir zum „überraschenden“ 60-jährigen Bestehen der AGTCM in den Sinn kam war: „Was bedeuten 60 Jahre? und „Ist das nun alt oder jung?“ Als Praktiker und Dozent der Chinesischen Medizin kann ich da nur sagen: „Das kommt auf die Perspektive an“. Da ich 2013 auch 60 geworden bin, hat mich diese Frage „schon alt oder noch jung“ sehr beschäftigt. Was die Entwicklung der Chinesischen Medizin betrifft, sind 60 Jahre natürlich ein „Wimpernschlag“ der Geschichte. Diese Betrachtungsweise bedeutet für mich einfach: Vieles nicht so wichtig nehmen, alles etwas gelassener sehen; Was heute so neu und wichtig erscheint, hat morgen vielleicht schon keine Bedeutung mehr; der allgemeinen Schnelllebigkeit etwas entgegen setzen. Was eignet sich mehr dazu als die Chinesische Medizin? Und auch: Bewährtes nicht gleich umkrempeln. Bezieht man die 60 Jahre auf die Entwicklung der Chinesischen Medizin in Deutschland, sieht es für mich schon anders aus. Da gehört die AGTCM und mit ihr der Mitbegründer August Brodde zu ihren Pionieren. Die AGTCM ist mit vielen Mitstreitern/innen in den letzten 60 Jahren zu der Organisation geworden, welche die Entwicklung der Chinesischen Medizin in Deutschland maßgeblich beeinflusst hat. Natürlich hat die „60“ für uns „Chinesen“ auch noch eine weitere Bedeutung: Die Vollendung eines Zyklus der Himmelsstämme und Erdenzweige und damit auch den Beginn eines neuen Zyklus. Für mich begann das Kapitel AGTCM 1985 mit dem Akupunkturunterricht bei Wilfried Merz – auch ein Pionier der Akupunktur in Deutschland – in der Heilpraktikerschule in Hochheim. Er begeisterte mich und andere für die Akupunktur und die Sichtweise von Gesundheit und Krankheit in der Chinesischen Medizin sowie mit seiner Art, uns dies alles näher zu bringen. Mit Wilfried trafen wir uns nach der Ausbildung in einer Arbeitsgruppe in Fulda, und er führte uns auch nach Rothenburg zum TCM-Kongress. Diesen erlebte ich 1986 zum ersten Mal. Der TCM-Kongress war schon damals ganz anders als alle Heilpraktiker-Tagungen, die ich bis dahin besucht hatte. 1986 empfand ich den Tagungsort, die Atmosphäre mit so vielen TCMlern und die Möglichkeiten des Austausches einfach umwerfend. Gleichzeitig war der Respekt vor und die Distanz zu „denen da oben“ ziemlich groß, und die Eröffnung des damals so genannten „Gesellschaftsabends“ mit Standard-Tänzen für uns eher belustigend. So verabschiedeten wir uns gleich nach dem Essen in die nahe gelegene Disco. Ein Lichtblick in meinen frühen Rothenburg-Jahren war der Vortrag eines jungen Mannes über seine Fahrradtour durch China und seine Eindrücke von dort. Das war mal etwas Anderes und sehr beeindruckend. Dieser junge Mann hieß Gerd Ohmstede, und wir alle sollten noch viel von ihm hören als den Entwickler, Gestalter und weltweiten Netzwerker des TCMKongresses in Rothenburg. Wir genossen tagsüber neben den Seminaren besonders das herrliche Wetter auf den Wiesen im schönen Taubertal und ließen es uns einfach gut gehen. 1986 erfuhren wir erst nach dem TCMKongress, dass die radioaktive Wolke der Tschernobyl-Katastrophe auch über Rothenburg gezogen war. Wir waren erschrocken, aber es trübte nicht unsere positive Erfahrung und das Gefühl, „Teil eines großen Ganzen“ oder im heutigem Sprachgebrauch „Teil einer Community“ zu sein. Mich hat das Ganze auf jeden Fall so beeindruckt, dass ich die nächsten 27 Jahre den Termin in Rothenburg um Christi Himmelfahrt nicht mehr missen wollte.Besonders fasziniert mich seither die Möglichkeit, sich in der AGTCM für die Sache der Chinesischen Medizin zu engagieren. Ich habe letztlich immer – wenn auch manchmal verbunden mit heftigen Diskussionen – Offenheit und Unterstützung erfahren, sei es zum Beispiel bei der Gründung des Arbeitskreises Mitte 1992 oder des ABZ Mitte 1993. Die Gründung des Ausbildungszentrums Mitte war sicher ein solch heftiger Diskussionspunkt mit dem damaligen Vorstand der AGTCM. Aber das gemeinsame Engagement, die Argumente von uns Gründern (Astrid Kratz, Sigrid Klain, Nils von Below und Ulrich Cordes), viele Gespräche sowie die Unterstützung von Barbara Kirschbaum überzeugten letztlich auch den Vorstand der AGTCM (damals unter der Führung von Helen Blohm) „uns mal machen zu „Das war mal etwas Anderes und sehr beeindruckend.“ 40 lassen“. Damit konnten wir 1994 unseren ersten dreijährigen Akupunkturkurs im ABZ Mitte beginnen und auch mit dem Diplom der AGTCM als Abschluss werben. Die nächsten Jahre waren meine Kollegen und Kolleginnen und ich als Schulleiter mit dem Aufbau und Ausbau des ABZ Mitte beschäftigt, aber auch mit der Intensivierung der Zusammenarbeit der Kooperationsschulen innerhalb der AGTCM. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit war 1999 das erste gemeinsame Akupunktur-Curriculum für alle Schulen der AGTCM und damit verbunden auch der erste Kooperationsvertrag der Schulen mit der AGTCM sowie 2006 die Gründung der Qualitätskommission für Aus- und Weiterbildungen (QAW). Diese hat die Aufgabe, die zwischen AGTCM und den Kooperationsschulen erarbeiteten Qualitätsstandards für die Aus- und Weiterbildungen kontinuierlich weiter zu entwickeln und zu kontrollieren. Wir alle – Dozent/inn/en und Schulleitungen der Kooperationsschulen der AGTCM, der Vorstand der AGTCM und die vielen Engagierten der Chinesischen Medizin – haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland die Qualität der Aus- und Weiterbildung sowie die Praxis der Chinesischen Medizin mit sehr viel – auch ehrenamtlichem – Engagement auf ein hohes Niveau entwickelt. Dies spiegelt sich in den Workshops des TCM-Kongresses in Rothenburg wider sowie im umfangreichen Aus- und Weiterbildungsangebot der Kooperationsschulen. Für die vielfältige Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen danke ich allen Mitstreitern/innen der letzten Jahrzehnte und ich möchte alle „Jungen“ ermutigen, sich zu engagieren und einzumischen. Das ABZ Mitte ist jetzt 20 Jahre alt und gerade haben wir unseren 21. Akupunkturkurs begonnen. Damit ist es gerade ein Drittel so alt wie die AGTCM, und die 60 Jahre scheinen noch weit entfernt. Aber auch das ABZ Mitte hat schon eine kleine Tradition, die einerseits gepflegt und andererseits immer wieder belebt werden muss. Ein Beispiel ist für mich unser Dozent/inn/ enteam der Akupunkturausbildung. Die Gründer/inn/en und Dozent/inn/en der ersten Jahre unterrichten – als alte Hasen – immer noch mit Begeisterung. Gleichzeitig ist es uns gelungen, jüngere behutsam in unser Team zu integrieren. Diese Verbindung von Erfahrung und Tradition, in Frage stellen und Neues zu wagen, ist ein spannender Prozess, den wir als Team kontinuierlich fortsetzen. Das Ziel dieses Teams ist seit 20 Jahren und auch in Zukunft, die Vielfalt der Chinesischen Medizin zu lehren. Faktenwissen, Theorie, energetisches Verstehen und die Erfahrung der Dozent/inn/en sollen letztlich jeden Einzelnen unserer Schüler/inn/ nen qualifizieren, die Patient/inn/en mit eigenen Augen zu betrachten, einen eigenen Ansatz der Behandlung zu entwickeln und mit ihnen den richtigen Weg der Behandlung zu finden. Denn die Chinesische Medizin lebt von der individuellen Interpretation der spezifischen Erkrankung und der therapeutischen Beziehung zwischen Patient/inn/en und Therapeut/inn/en. In diesem Sinne ist Chinesische Medizin eine Heilkunst. Diese bedarf einer soliden, qualifizierten Handwerksausbildung sowie der Verfeinerung der eigenen intuitiven Fähigkeiten. Die Entwicklung des ABZ Mitte in den letzten 20 Jahren ist als Kooperationsschule eng verbunden mit der AGTCM. So war ich bis zum Jahr 2007 Sprecher der Ausbildungszentren im Vorstand der AGTCM. Birgit Ziegler gehört zu einer der sehr frühen Dozentinnen im Team (von 1999 bis 2007 zweite Vorsitzende der AGTCM) und Nils von Below, einer der Mit-Gründer des ABZ Mitte, war bis 2014 neun Jahre erster Vorsitzender der AGTCM. In diesen Jahren gab es viele kontroverse Diskussionen über die richtigen Strategien, Marketingkonzepte im Verhältnis zwischen AGTCM und Kooperationsschulen. Was uns aber immer verbunden hat und verbindet, ist das gemeinsame Ziel, die Chinesische Medizin für Patient/inn/en und Therapeut/inn/en weiter zu entwickeln und ihre tiefgehenden Wirkungen bekannter zu machen. Vor diesem Hintergrund beschäftigen mich diese „60 Jahre AGTCM“ noch einmal besonders. Der 60er-Zyklus legt nahe, darüber nachzudenken „Was schließt sich und was öffnet sich?“ – „Was geht zu Ende und was entsteht neu?“ Das Jahr des Holz-Pferdes liefert uns mit seiner Dynamik eine gute Anschub-Energie, diesen Fragen in den nächsten Jahren nachzugehen. Die Zeit „der Gründerjahre der Chinesischen Medizin“ in Deutschlang ist zu Ende – wie das halt mit Gründerjahren so ist. Stürzten wir uns in den 1980er Jahren noch auf jedes neue Buch zur Chinesischen Medizin und entdeckten so immer neue Aspekte, so werden wir heute von teilweise immer kurzlebigeren Büchern überschwemmt. Waren wir früher in unserer Literaturauswahl begrenzt, besteht heute die Schwierigkeit die „wirklich Wichtige“ auszuwählen und dabei auch noch herauszufinden, „was für einen selbst die Richtige ist“. Gerne lese ich zum Beispiel Artikel von den Rothenburger TCM-Kongressen aus den 1970-, 1980er Jahren. Darin werden viele grundsätzliche energetische Aspekte beschrieben, die uns heute in der Flut der Einzelinformationen drohen verloren zu gehen. Unser Wissen hat sich in den letzten Jahren auf vielfältige Weise erweitert und dies wird auch nie beendet sein. Das ist ja gerade das Spannende an unserer Arbeit mit PatientInnen. Dabei ist es immer wieder hilfreich, sich auf die Grundlagen zu besinnen - zum Beispiel auf Yin und Yang, die Fünf Wandlungsphasen, die Leitbahnen - um das Wesentliche nicht zu übersehen -, den Wald: Das sind unsere Patient/inn/en in ihrer gesamten Lebenswirklichkeit. Die Aufgabe der AGTCM und der Schulen sehe ich auch darin, ein Forum zu sein, um immer wieder den eigenen Kompass in diesem Sinne auszurichten. Als Therapeut/inn/en begegnen wir sehr oft einer komplexen Lebenssituation unserer Patient/inn/en, die auf den verschiedenen Ebenen – der körperlichen, psychischen, geistigen und spirituellen – aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die Chinesische Medizin bietet uns hier vielfältige Möglichkeiten, diese verschiedenen Ebenen – 41 auch in ihrer Interaktion – zu betrachten und zu behandeln. Dies erfordert – neben der rein fachlichen – eine hohe persönliche Kompetenz von uns Therapeut/inn/ en und der Fähigkeit der Reflexion. Dafür innovative Angebote – zum Beispiel in Form von Supervision – zu entwickeln, die uns in dieser Reflexion der Therapeut/ inn/en-Patient/inn/en-Beziehung unterstützen und weiterbringen, wäre eine interessante Aufgabe. Hierzu gehört auch die Verbindung der Chinesischen Medizin mit wissenschaftlichen Erkenntnissen der Hirnforschung, der Psychoneuroimmunologie, aber auch der Faszienforschung. Für die AGTCM und die Kooperationsschulen wird es auch wichtig sein, Strategien und Wege zu überlegen, wie wir die Chinesische Medizin noch stärker in unser Gesundheitswesen einbringen können, gerade auch mit ihrem wichtigen Präventionsgedanken. eigenständige TCM-Schulen – bei aller Konkurrenz – untereinander sowie als Kooperationsschulen mit der AGTCM abstimmen und zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit und der Austausch sind von Vorteil für alle von uns und unsere große Stärke. Hier gilt es aus meiner Sicht in Zukunft darum, einerseits zu bewahren und auszubauen, was sich bewährt hat, sowie andererseits, da wo sich neue Entwicklungen, Bedürfnisse und Erkenntnisse zeigen, Strukturen zu verändern und neue Wege der Zusammenarbeit zu finden. Wie aus meinen Beispielen deutlich wird, geht es darum, das sich Schließende als Grundlage des sich Öffnenden zu begreifen. Dazu gehören immer wieder Rückbesinnungen auf Bewährtes, aber auch der Mut zum Abschneiden „alter Zöpfe“, das Beschreiten neuer Wege und das Erarbeiten neuer Visionen. Ich wünsche dem Vorstand der AGTCM und uns allen auch für die Zukunft ide- enreiche, spannende, respektvolle und mutige Diskussionen mit dem Ziel, die vielfältigen Wurzeln der Chinesischen Medizin noch besser zu verstehen, diese – wo möglich und sinnvoll –, mit unserem westlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit zu verbinden. Ich wünsche uns, dass wir die Chinesische Medizin als Heilkunst den Patient/inn/en und Therapeut/inn/en immer näher zu bringen und hoffe ebenso, dass wir die Mitglieder der AGTCM als qualifizierte Therapeut/inn/en der Chinesischen Medizin noch stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken können. Wie sieht es mit neuen Formen der Weiterbildungsangebote aus? Webinare, OnlineVorlesungen, E-Learning, TCM lernen über Facebook, Twitter und Google? Eigentlich müssten wir uns kaum noch treffen, oder? Wir können neue Formen der Vermittlung ausprobieren und an einigen Stellen sinnvoll in unsere bestehenden Lernformen integrieren. Wir sollten aber nicht jedem neuen Hype hinterherlaufen - bei den „Jungen“ soll Facebook ja schon wieder „out“ sein. Dieser Form der Schnelllebigkeit etwas Persönliches, Bedächtiges und Ruhiges entgegenzusetzen, kann auch wohltuend sein und ist der Chinesischen Medizin angemessen. Der Rothenburger TCM-Kongress ist ein wunderbares Beispiel vielfältiger persönlicher Begegnungen in einer ruhigen, naturnahen Umgebung – und wird es auch hoffentlich noch lange bleiben. Das Verhältnis zwischen AGTCM und Kooperationsschulen, ihre jeweiligen Strukturen und Interessen sowie ihre gemeinsamen aber auch unterschiedlichen Aufgaben sollten auf dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte diskutiert werden. Es ist sicherlich einmalig in Europa, dass sich sechs wirtschaftlich Das Team ABZ Mitte 42 EIOM München ist seit 2001 Kooperationspartner der AGTCM Die Aus- und Fortbildungen werden kontinuierlich weiterentwickelt Von Wolfgang Waldmann, Geschäftsführer der EIOM gGmbH Das European Institute of Oriental Medicine (EIOM) in München wurde 2001 gegründet. Damals leitete ich bereits seit mehreren Jahren den Arbeitskreis Süd der AGTCM. In dieser Zeit wurde das Fortbildungsprogramm, für das der Arbeitskreis zuständig war, kontinuierlich erweitert. Es fanden erstmals mehrjährige Fortbildungszyklen zu wichtigen chinesischen Medizinklassikern wie dem Shanghan lun statt. Diese vom AK Süd innerhalb der AGTCM geleistete Pionierarbeit wurde von angesehenen Lehrern wie Dan Bensky, Volker Scheid, Ma Shouchun unter anderem unterstützt. Der Professionalisierung im Fortbildungsbereich sollte aus Sicht des seinerzeit aktiven AGTCM-Vorstandes auch eine Verbesserung des Ausbildungsniveaus folgen. Die Zusammenarbeit zwischen dem damaligen Ausbildungszentrum Süd und der AGTCM wurde beendet, als Folge sollte eine neue Kooperationsschule für den süddeutschen Raum gegründet werden. In dieser Situation wurde dann 2001 EIOM als neue Schule ins Leben gerufen. Initiatoren waren dabei Cinzia Scorzon, Volker Scheid und Wolfgang Waldmann. Die Namensgebung ‚European Institute of Oriental Medicine unterstrich das erste ehrgeizige Vorhaben: Als erste Schule im deutschsprachigen Raum einen ‚Bachelor für Akupunktur‘ und ‚Master für Chi- Das neue EIOM gGMBH in München nesische Medizin‘ vergeben zu können. Parallel zur Gründung durchlief die neue Schule deshalb einen aufwendigen Akkreditierungsprozess der University of Wales. Der Lehrplan wurde von vornherein so konzipiert, dass er sowohl den Vorgaben der AGTCM, als auch den Vorgaben der University of Wales entsprach. Dieser Prozess wurde zwar erfolgreich abgeschlossen, leider legten dann aber die bayerischen Behörden zu viele Hindernisse in den Weg für dieses, die Schule von Anfang an prägende Projekt. Der neuen Situation Rechnung tragend war fortan die Devise: Soviel wie möglich des entwickelten Ausbildungsniveaus auch ohne universitäre Vorgaben umsetzen, sich der gestalterischen Freiheiten bewusst zu sein und diese nutzend, im Sinne einer praxisorientierten und soliden Ausbildung. 2003 hat EIOM die ersten eigenen Räume in der Augustenstraße bezogen, 2008 erfolgte dann der Umzug in die Leonrodstraße. Zwischenzeitlich haben wir die 13. dreijährige Akupunkturausbildung und neunte zweijährige Ausbildung in chinesischer Arzneimitteltherapie begonnen. Es hat sich mit annähernd 300 Absolventen eine ordentliche Anzahl an qualifizierten Akupunkteuren und Therapeuten der Kräutermedizin gebildet. Nicht wenige davon unterrichten zwischenzeitlich in diversen Gesellschaften und Schulen. Mit jedem Jahrgang ist das Dozententeam, das zum allergrößten Teil seit der Gründung kontinuierlich mitwirkt, gereift, zusammengewachsen und bildet somit einen recht erfahrenen Lehrkörper. EIOM misst in seiner Ausbildung der inhaltlichen Vielfältigkeit der chinesischen Medizin eine große Bedeutung zu. So ist beispielweise neben der traditionellen chinesischen Akupunktur auch die japanische Akupunktur (Meridiantherapie) von Anfang an fester Bestandteil des Unterrichts. EIOM hat sich in den letzten Jahren aktiv an der Ausarbeitung des BSc-Studiengangs mit der Dresden International University beteiligt. Dieses, aus unserer Sicht sehr innovative Ausbildungsangebot, hat ja bekanntermaßen nicht die erwartete Nachfrage erfahren. Dennoch war auch diese Arbeit sinnvoll, so musste beispielsweise unser gesamtes Curriculum einmal mehr einer gewissenhaften universitären Prüfung standhalten. Unsere zukünftigen Planungen werden demnach auf die kontinuierliche Weiterentwicklung unserer Aus- und Fortbildungen ausgerichtet sein, um auch in Zukunft im Verbund mit der AGTCM und deren Kooperationsschulen ein verlässlicher Partner für alle diejenigen zu sein, die an der chinesischen Medizin Interesse haben und sich eine sichere Basis für eine erfolgreiche Praxistätigkeit erwerben möchten. Unterricht mit Cincia Scorzon im EIOM 43 Bis zum Bezug der Schulungsräume war viel Improvisation gefragt Die Geschichte der Drei-Länder-Schule e.V. in Steinen Von Grita Petersen-Jung, ehem. Schulleiterin der Drei-Länder-Schule Nach dem Ausscheiden des ABZ Süd aus der AGTCM wurde ich im Jahre 2000 gefragt, ob wir nicht ein neues ABZ im Süden eröffnen wollten. Daraufhin gründeten wir im November 2001 den Verein „Drei-Länder-Schule e.V.“. In den Vorstand wurden Grita Petersen-Jung, Martina Neuper und Markus Granzow gewählt. Im darauffolgenden Januar starteten wir auch schon mit dem ersten Lehrgang. Es wurden für jedes Unterrichtswochenende Räume angemietet, um die Kosten möglichst gering zu halten: zum Beispiel im „Haus der Sicherheit“, wo direkt nebenan Feuerwehr, Polizei und Rotes Kreuz ihre Räumlichkeiten haben. Dort, wo sonst der Gemeinderat über der Finanzlage brütet, wurde von Januar 2002 an unterrichtet: Wir zogen also mit Flipchart, Overhaed, sämtlichem Unterrichtsmaterial und Behandlungsliegen aus meiner Praxis, wo alles unter der Woche gelagert wurde, in die entsprechenden Räumlichkeiten. Große Aufregung herrschte während der ersten Hebammenausbildung, die im „Haus der Sicherheit“ stattfand. Damals musste eine Hebamme von der Feuerwehr befreit werden, da ich sie nach Unterrichtsende versehentlich im Gebäude eingeschlossen hatte. Im Seniorenzentrum wurde die „Wandlungsphase Feuer“ gelehrt. Die Dozentin brachte Kräuterbüschel mit, die sie anzündete, um so die Assoziation mit dem Feuer zu erspüren. Es gab eine riesige Aufregung, denn überall waren Rauchmelder an der Decke. Zum Glück ließ die Dozentin sich überreden, das Feuer zu löschen, bevor die Feuerwehr anrückte. Lange Zeit fand der Unterricht auch in den Praxisräumen Petersen statt. Endlich fanden wir 2006 in einem alten Fabrikgebäude sehr schöne Schulungsräume. Bei der Eröffnungsfeier kamen Interessenten aus der Umgebung, um die Chinesische Medizin und das schuleigene Ambulatorium kennenzulernen. Zum Teil waren es drei Jahreskurse, die parallel liefen, und Fortbildungen die gleichzeitig stattfanden. Während der Fortbildungen wurde ein gemeinsames Essen für alle Teilnehmer/innen angeboten, was das Kennenlernen der Schüler/innen mit den Kolleg/inn/en, die schon in der Praxis standen förderte. Ein reger Austausch wurde dadurch gefördert. Besonders lustig ging es vorab in den Räumen der Vermieterin zu, wenn unser „KrauthobelCatering“ (unsere Vermieterin und unsere Sekretärin) das Essen zubereiteten. In den letzten Jahren kam noch das Angebot der „Wiesental-Lounge“ dazu, wodurch die Schüler/innen im Schulgebäude übernachten konnten. Besonders im Winter wurde das Angebot reichlich angenommen. Aus Altersgründen wollte ich 2013 aufhören. Leider haben wir, trotz langer und intensiver Suche zu diesem Zeitpunkt keine passende Nachfolge gefunden. Die Schule war deshalb im „Ruhezustand“. Neue Mitglieder im Verein und kompetente und engagierte Kollegen/innen lassen ab September 2014 die Drei-Länder-Schule e.V. aus ihrem Ruhezustand wieder erwachen. Innerhalb der letzten 14 Jahre ist aus einem „Drei-Mann-Betrieb“ eine über die Grenzen der Region bekannte, anerkannte und beliebte Schule geworden. „Es gab eine riesige Aufregung, denn überall waren Rauchmelder an der Decke.“ Grita Petersen-Jung 44 CCM Nord: Die Geschichte einer „freundlichen Übernahme“ Die Kooperationsschule in Hamburg ist die jüngste der AGTCM Von Christina Koch, Sönke Dorau und Marita Erhardt-Albrecht, Schulleiter des CCM Nord Da gab es einmal eine TCM-Therapeutin, die im schönen Hamburg in ihrer Praxis fröhlich vor sich hin arbeitete. Nebenbei unterrichtete sie noch angehende Heilpraktiker und war bei ihrer Regierung, der AGTCM, aktiv. Eines Tages im Frühjahr des letzten Jahres bekam sie einen Anruf von einem sehr geschätzten Kollegen, der sich mit ihr auf ein Bier verabreden wollte. „Nanu“, fragte sich die Therapeutin, „was ist wohl das Begehren dieses Herrn?“ Voller Neugier traf sie sich mit ihm und – siehe da – er hatte ihr etwas mitgebracht, an das die Therapeutin nie gedacht hätte: Ein Geschenk, das anzunehmen sicher intensiv bedacht werden wollte. Es dauerte nicht lange, da wusste die Therapeutin: Das Geschenk ist so groß und umfangreich, mit Ecken und Kanten, das sollte und musste mit anderen geteilt werden. So ging sie auf die Suche. Und es dauerte nicht lange und sie hatte zwei weitere TCM-Therapeuten gefunden, die das Geschenk ebenfalls ganz spannend fanden. So kam es, dass die drei im Sommer des letzten Jahres dieses Geschenk ganz und gar angenommen haben. Seither sind sie am Auspacken und so manche kleine und große, nette und auch manchmal anstrengende Überraschungen sind dabei aufgetaucht. So sind alle drei Therapeuten bis heute sehr glücklich mit diesem umfangreichen Geschenk. Und wenn sie nicht gestorben sind… na, ihr wisst ja alle, wie Märchen so enden. Soweit einige Gedanken zum Thema „Märchen können ab und an doch wahr werden…“. Das CCM-Nord, die „jüngste“ Schule unter den Kooperationsschulen der AGTCM, wurde 2006 von Catherine und Rolf gemeinsam mit Michael gegründet. Wieviel Herzblut, lange Nächte, Kopfzerbrechen, Bangen und Hoffen, Einkaufen, Organisieren, durchgearbeitete Wochen- Das Leitungsteam Sönke Dorau, Marita Albrecht und Christina Koch enden, aber auch Freude, Anerkennung, vielfältige Kontakte und Visionen damit verbunden sind, lässt sich vermutlich nur erahnen. Aber nur aufgrund dieses enormen Engagements steht das CCM-Nord heute auf einem guten Fundament und verkörpert inzwischen in ganz Norddeutschland den höchsten Ausbildungsstandard in TCM. Das zeigen auch die Schüler, die aus Oldenburg, Bremen, Kiel, Flensburg, Rostock, Schwerin, Hannover, Lüneburg, Göttingen und selbstverständlich aus Hamburg und ganz Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern anreisen, um Ausbildung oder Fortbildung am CCM-Nord zu machen. Catherine, Rolf und Michael haben nun seit dem Sommer 2013 die Schulleitung in unsere Hände gegeben. Diese Aufgabe weiter zu führen, ist ein hoher Anspruch, an dem wir ständig arbeiten. Aber: Neben all den vielfältigen Aufgaben ist uns das CCM-Nord als „Baby“ sehr ans Herz gewachsen. Wir sind davon überzeugt, dass ein Projekt wie das CCM-Nord nicht nur fachlich und organisatorisch gut geführt werden muss. Was mindestens genau so wichtig ist, ist der „Shen“, der „Spirit“, der in der Schule herrscht. Und wie wir alle wissen, ist das eine Herzenssache. In diesem Sinne werden wir uns weiter unserem „Baby“ intensiv widmen und freuen uns sehr, wenn der eine oder andere mal vorbeikommt, um an unserem Spirit zu schnuppern. „Märchen können ab und an doch wahr werden …“ 45 Der aktuelle Vorstand 2014 v. li. Wiegbert Lummer, Christian Yehoash, Franziska Kohlmüller, Michael van Gorkom (Sekretariat), Nils von Below, Babett Ohlen, Ina Horn, Dr. Andrea Hellwig Etwas zu wissen ist nicht so viel wert, wie etwas zu lieben. Etwas zu lieben ist nicht so viel wert, wie seine größte Freude daran zu haben. Konfuzius 60 Jahre AGTCM im Überblick Hans Giesen und August Brodde gründen TCM Schule in Bochum, damals zwei Jahre Ausbildung Erste größere Tagung in Rothenburg zwecks Austausch Gründung der Arbeitsgemeinschaft für klassische Akupunktur In der DH (Vorläufer der AGTCM) durch A. Brodde 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 Doris Baginski, Dr. Karl, O. Heinamann Einsatz für Rothenburger Jahrestagung 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 Eintrag der AGTCM e.V. ins Vereinsregister 1976 1977 1978 1979 1980 1. Vorsitzende(r): Danksagung Der Weg in die nächsten 60 Jahre AGTCM liegt vor uns Von Franziska Kohlmüller, 2. Vorsitzende der AGTCM Mein Dank gilt allen Mitwirkenden, die durch ihre Beiträge und Unterstützung – neben ihren beruflichen Verpflichtungen – diese Festschrift möglich gemacht haben! Darüber hinaus möchte ich all denen meinen Dank aussprechen, die durch ihre nachhaltige Begeisterung für die chinesische Medizin die Erfolgsgeschichte der AGTCM auf den Weg gebracht haben. Das Feuer der AGTCM brennt durch die besondere Identifikation und Zusammengehörigkeit ihrer Mitglieder. Durch Globalisierung und Technisierung befinden wir uns in einer Zeit des extremen Wandels: Transformationsprozesse müssen aktiv gestaltet werden, Chancen daraus gilt es zu nutzen. Nur Lernende können sich stetig weiterentwickeln. Mit einer Mischung aus Optimismus und kritischer Selbstreflexion gilt es, die Ziele der AGTCM und ihren Spirit nach außen zu kommunizieren, um die Einzigartigkeit des Vereins und ihrer Mitglieder weiter in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. 1981 1982 1983 1984 47 Kontakt mit dem damaligen Chengdu College of TCM (heute Chengdu University of TCM) Erste Studienreise nach China 1985 1986 August Brodde 1987 1988 1989 1990 ’99 – 05 Anerkennung der TCM-Ausbildung an Koop Schulen durch Chengdu Universität, ETCMA Gründung: elf Länder und 7000 Praktizierende Erweiterung des Vorstandes auf acht, Abschaffung Beirat 1991 1992 1993 Konsolidierung der ABZ 1994 Helen Blom 1995 1996 1997 1998 1999 Herbert Vater Einführung CS 2000 2001 2002 2003 ABZ Nord scheidet aus der Koop aus, Gründung CCM-Nord 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Andreas Noll 2010 2011 IMPRESSUM Herausgeber Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e. V. Geschäftsstelle Rüschenkamp 12 · 59558 Lippstadt Verantwortliche Nils von Below Franziska Kohlmüller Michael van Gorkom Redaktion Franziska Kohlmüller, Katja Kuhlmann Gestaltung Johanna Trapp · Gottschalkstraße 1a · 13359 Berlin · www.johannatrapp.de Druck WIRmachenDRUCK GmbH Mühlbachstraße 7 · 71522 Backnang · www.wir-machen-druck.de 2012 Nils v. Below 2013 2014 Wer festhält das große Urbild, zu dem kommt die Welt. Sie kommt und wird nicht verletzt, In Ruhe, Gleichen und Seligkeit, Der SINN geht aus dem Munde hervor, milde und ohne Geschmack. Du blickst nach ihm und siehst nichts Sonderliches. Du horchst nach ihm und hörst nichts Sonderliches. Du handelst nach ihm und findest kein Ende. TAO TE KING, 35. Spruch