Fälle Abeitsrecht _SV

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Fälle Abeitsrecht _SV
Wiss. Mitarbeiter Dr. Oliver Mörsdorf
Institut für IPR und Rechtsvergleichung der Universität Bonn
Adenauerallee 24-42 (Ostturm), Zimmer 312, 53113 Bonn
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Vorlesung Privatrecht II (Wirtschaftsrecht)
Fälle zum Arbeitsrecht
Fall 1 – Stellenanzeige. M bewarb sich mit Schreiben vom 17. 06. 2007 auf eine im „Kölner Stadtanzeiger“ erschienene Stellenanzeige der Firma Bitcom GmbH (B), die wie folgt lautete: „Für unseren Vertrieb suchen wir eine versierte Assistentin der Vertriebsleitung. Wenn Sie mit den Chaoten
eines vertriebsorientierten Unternehmens zurechtkommen können, diesen Kaffee kochen wollen, wenig Lob erhalten und viel arbeiten können, sind Sie bei uns richtig. Bei uns muss einer alles organisieren können und für die anderen mitdenken. Wenn Sie sich dieser Herausforderung wirklich stellen
wollen, erwarten wir Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen. Aber sagen Sie nicht, wir hätten
Sie nicht gewarnt ...“. Die B beantwortete das Schreiben des M nicht und sandte ihm auch nicht seine
Bewerbungsunterlagen zurück. Vielmehr stellte sie kurze Zeit später die Bewerberin F ein. Unter Berufung darauf, dass er der für die Stelle bestqualifizierte Bewerber gewesen und bei der Einstellung
aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden sei, erhob M beim Arbeitsgericht Köln Klage gegen B
auf Schadensersatz in Höhe von viereinhalb Monatsgehältern.
Fall 2 – Fragestunde. P war seit dem 31. 8. 1993 bei dem Bundesland Brandenburg als vollbeschäftigter Angestellter im Polizeivollzugsdienst mit dem Ziel seiner späteren Übernahme in ein Beamtenverhältnis tätig. Der Einstellung ging ein längeres Bewerbungsverfahren voraus. Dabei gab P an, ihm
sei wegen einer im Jahre 1992 begangenen Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis für acht Monate entzogen worden und er habe ein Bußgeld zahlen müssen. Am 25. 4. 1993 machte P mit einem von ihm
reparierten, weder zugelassenen noch versicherten Jeep eine Probefahrt. Er zerstörte dabei auf einem
Acker einen großen Teil des dort befindlichen Saatguts und benutzte eine öffentliche Straße. Am
10.6.1993 unterzeichnete P einen Belehrungsbogen, in dem er sich verpflichtete, die Bereitschaftspolizei zu benachrichtigen, falls bis zum Dienstantritt ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen ihn
eingeleitet werden sollte. Mit einer Beschuldigtenvernehmung vom 12. 8. 1993 wurde P wegen des
Vorfalls vom 25. 4. 1993 von der zuständigen Polizeidienststelle zur Vernehmung am 23. 8. 1993
geladen. P erschien nicht zur Vernehmung, sondern erteilte am 30. 8. 1993, einen Tag vor Abschluss
des Arbeitsvertrages mit dem Land Brandenburg, einer Rechtsanwältin Strafprozessvollmacht wegen
eines „Ermittlungsverfahrens“. Nach seinem Dienstantritt erhielt P zwei Strafbefehle wegen Vergehens gegen das Pflichtversicherungsgesetz und wegen Sachbeschädigung mit einer Gesamtgeldstrafe
von 35 Tagessätzen zu je 25 DM. Erst im Jahr 1996 erfuhr die Dienststelle des P von den Vorgängen.
Mit Schreiben vom 7. 11. 1996 erklärte das Land Brandenburg gegenüber P die Anfechtung des Ar-
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beitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. P erhob gegen das Land Brandenburg Klage vor dem Arbeitsgericht auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis fortbesteht. Mit Erfolg ? (BAG NJW 1999,
3653)
Fall 3 – Betriebsrisiko. M war zu einem monatlichen Gehalt von 2.000 Euro als Metzger in dem
Schlachthof der S-GmbH (S) in Oldenburg tätig. Als im Jahr 2001 in der Region ein Verdacht auf
Maul- und Klauenseuche aufkam, untersagte die zuständige Behörde für 2 Wochen sämtliche Viehtransporte in der Region. Da der Schlachthof nicht mehr mit Schlachtvieh beliefert wurde, konnte M
seine Tätigkeit als Metzger für 2 Wochen nicht ausüben. Hat er dennoch Anspruch auf den entsprechenden Lohn?
Fall 4 – Sattelzug. L war zu einem monatlichen Gehalt von 1.300 Euro als LKW-Fahrer für die Spedition S-KG (S) tätig. Am 5. 1. 2005 befand er sich mit seinem Sattelzug im Wert von 150.000 Euro
auf der Rückfahrt aus Italien, als er auf der A3 in Höhe von Frankfurt auf einen vor ihm fahrenden
anderen LKW auffuhr. Er hatte kurzzeitig seine Augen von der Fahrbahn abgewendet, um im Handschuhfach nach einem Taschentuch zu suchen. Dadurch hatte er nicht bemerkt, dass der Verkehr vor
ihm staubedingt zum Stehen gekommen war. Die S verlangt von L Ersatz des an dem Fahrzeug entstandenen Schadens von 15.000 Euro.
Abwandlung: Wie wäre es, wenn L den Sattelzug in einer Autobahnausfahrt „in den Graben gesetzt“
hätte, weil er statt der dort vorgeschriebenen 60 km/h eine Geschwindigkeit von 100 km/h fuhr und er
dadurch einen Totalschaden an dem Sattelzug verursacht hätte.
Fall 5 – Blauer Montag. M war als Monteur bei dem Automobilhersteller A-AG (A) in der Vorderachsmontage innerhalb eines Doppelarbeitsplatzes tätig, wobei die Arbeitsgänge ineinander übergingen und nur gemeinsam ausgeführt werden konnten. Im Jahr 1988 und in der ersten Hälfte des Jahres
1989 fehlte er an insgesamt 6 Montagen ganztätig unentschuldigt (28. 1. 1988, 30. 6. 1988, 1. 7. 1988,
24. 5. 1989, 22. 8. 1989 und 6. 9. 1989). Nach den ersten Fehlzeiten hatte A dem M dreifach eine
Abmahnung zukommen lassen (8. 2. 1988, 11. 7. 1988 und 31. 5. 1989), in denen dem M deutlich
gemacht wurde, dass man seine Fehlzeiten als Störung des Arbeitsverhältnisses bewerte und ein weiteres Fehlen Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis haben könne. Es musste jeweils ein anderer
Arbeitnehmer aus einer Springergruppe zur Verfügung gestellt oder an anderer Stelle abgezogen werden. Als es trotz dieser Abmahnungen im August und September 1989 erneut zu Fehltagen kam, kündigte A dem M unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist nach Anhörung des Betriebsrates
ordentlich in schriftlicher Form. Ist die Kündigung rechtswirksam? (vgl. BAG DB 1991, 1226).
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Fall 6 – AIDS-Erkrankung. P ist als Pfleger auf der Intensivstation eines von der K-GmbH (K) betriebenen Krankenhauses tätig und hat dort ständigen Kontakt mit frisch operierten Patienten. Ende
Oktober 2006 erfährt der Geschäftsführer der K davon, dass sich P mit dem HIV-Virus infiziert hat.
Er kündigt ihm nach Anhörung des Betriebsrates ordentlich in schriftlicher Form unter Einhaltung der
gesetzlichen Kündigungsfrist mit der Begründung, die von ihm ausgehende Ansteckungsgefahr lasse
die Eignung des P für seine bisherige Tätigkeit in vollem Umfang entfallen. Eine Versetzung des P auf
eine „normale Station“ komme derzeit mangels Spezialausbildung der dort tätigen Pfleger für den OPBereich nicht in Betracht. Ist die Kündigung rechtswirksam?
Fall 7 – Personalabbau. B war seit dem 1. 6. 1992 als Baufacharbeiter der Lohngruppe V (BRTVBau) bei dem Bauunternehmen U-GmbH (U) mit ca. 80 Arbeitnehmern beschäftigt. U kündigte das
Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. 1. 1998 aus betrieblichen Gründen fristgerecht. Im vorausgegangenen Anhörungsschreiben vom 15. 1. 1998 hatte sie dem Betriebsrat mitgeteilt, die Kündigung
gehe auf die Entscheidung der Geschäftsleitung zurück, den Personalbestand um drei Planstellen zu
reduzieren, und zwar für einen Werkpolier (Lohngruppe I), einen Vorarbeiter (Lohngruppe II) und
einen Baufacharbeiter (Lohngruppe V). Die Maßnahme wurde mit einer sinkenden Nachfrage und
unvermindertem Preisverfall in der Baubranche begründet. Es sei notwendig, die Bauleistung 1998
niedriger als für 1997 anzusetzen. Ist die Kündigung rechtswirksam? (BAG DB 1999, 1909)
Fall 8 – Bienenstich. Seit Dezember 2004 war die zu diesem Zeitpunkt 25-jährige B im Warenhaus
der W-AG (W) in Essen als Buffetkraft mit einem Monatslohn von 1.300 Euro brutto beschäftigt. Am
29. 3. 2007 wurde sie von einer Kontrollverkäuferin beobachtet, wie sie ohne Bezahlung ein Stück
Bienenstichkuchen aus dem Warenbestand nahm und hinter der Bedienungstheke verzehrte. Nach Anhörung und Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen und hilfsweise zur fristgemäßen Kündigung
kündigte die W-AG wegen dieses Vorfalls das Arbeitsverhältnis am 2. 4. 2007 fristlos. (BAG NJW
1985, 284 = DB 1984, 2702; bestätigt durch BAG NJW 2000, 1969 = DB 2000, 48)
Fall 9 – Sonderzulage. Die Gewerkschaft G setzt in den Tarifverhandlungen mit dem Arbeitgeberverband A durch, dass folgende Klausel in den Tarifvertrag aufgenommen wird: „Der Arbeitgeber ist
verpflichtet, Gewerkschaftsmitgliedern eine Sonderzulage von monatlich 100 Euro zu zahlen. Diese
Zulage darf nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern nicht gewährt werden.“ Ist eine solche Regelung
zulässig?
Fall 10 – Mitgliederwerbung. Betriebsangehörige Mitglieder der IG Metall verteilen in dem metallverarbeitenden Betrieb B in den Pausen und außerhalb der Arbeitszeit Werbe- und Informationsmaterial der Gewerkschaft sowie die Gewerkschaftszeitung. Der Arbeitgeber verbietet ihnen die Vertei-
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lung und mahnt ein Betriebsratsmitglied ab. Der betreffende Arbeitnehmer verlangt die Entfernung der
Abmahnung aus den Personalakten. Mit Erfolg?
Abwandlung: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn das Betriebsratsmitglied einem Arbeitskollegen
während dessen Arbeitszeit Informationsmaterial der Gewerkschaft ausgehändigt hätte. (BVerfG ZIP
1996, 470 = BB 1996, 590)
Fall 11 – Bergbau. Zwanzig Bergarbeiter, die sich auf einer Demonstration in Bonn gegen den Abbau
der Kohlesubventionen kennengelernt hatten, beschließen, aus der IG Bergbau auszutreten und ihre
eigene „Gewerkschaft Kohle und Bergbau“ zu gründen. Kann diese „Gewerkschaft“ mit dem Inhaber I
der Zeche „Glückauf“ einen Tarifvertrag schließen?
Fall 12 – Tariflohn. Der Schlosser S ist seit 10 Jahren Mitglied der IG Metall und arbeitet seit dem
1.1.2001 in dem metallverarbeitenden Betrieb der M-GmbH. Die M-GmbH ist seit 1980 Mitglied des
zuständigen Arbeitgeberverbandes. Nach dem für die Jahre 2001 – 2003 vereinbarten Tarifvertrag ist
für die Berufsgruppe der Schlosser ein Tariflohn von 2.000 Euro brutto monatlich vorgesehen. Im
Arbeitsvertrag zwischen S und M sind jedoch nur 1.750 Euro brutto monatlich vereinbart. Hat S gegen M einen Anspruch auf Zahlung von monatlich 2.000 Euro?
Abwandlung 1: Wie wäre es, wenn die M-GmbH erst zum 1.1.2002 dem zuständigen Arbeitgeberverband beigetreten ist?
Abwandlung 2: Wie wäre der Ausgangsfall zu beurteilen, wenn die M-GmbH zum 1.1.2002 aus dem
zuständigen Arbeitgeberverband ausgetreten ist?
Abwandlung 3: Wie wäre der Ausgangsfall zu beurteilen, wenn zwischen S und M ein Lohn von
2.250 Euro vereinbart worden wäre und M anschließend nur den niedrigeren Tariflohn zahlen will.
Fall 13 – Der unliebsame Vorgesetzte. Die Belegschaft des Flughafen Köln/Bonn war schon seit
langem mit dem Chef der Personalabteilung P unzufrieden. Da sich die Flughafenleitung trotz mehrfacher Vorsprache des Betriebsrates nicht zu einer Entlassung oder Umsetzung des P bereit gefunden
hatte, rief der Betriebsrat, um Druck zu machen, zu einem Streik auf. Wegen der Unbeliebtheit des P
schloss sich eine so große Zahl von Mitarbeitern dem Aufruf an, dass der Flughafenbetrieb für einen
Tag stark beeinträchtigt wurde. Der Betreiber des Flughafens verlangte daraufhin vom Betriebsratsvorsitzenden B und den beiden weiteren an dem Aufruf beteiligten Betriebsratsmitgliedern X und Y
Ersatz des entstandenen Schadens in Höhe von 1 Mio. Euro.
Fall 14 – Kleinbetrieb. H betreibt einen kleinen Computerhandel. Seinen Betrieb nahm er am
1.1.2001 mit den Mitarbeitern A und B auf. Im Oktober 2001 stellte er vier weitere Mitarbeiter C, D,
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E und F ein. Zusätzlich beschäftigt H von Zeit zu Zeit Aushilfskräfte. Im Januar 2002 wollen die Mitarbeiter einen Betriebsrat wählen. H hält dies für unzulässig.
Abwandlung 1: Wie wäre es, wenn C schon im Juli 2001 eingestellt worden wäre?
Abwandlung 2: Wie ist die Abwandlung 1 zu beurteilen, wenn E und F minderjährig sind?
Fall 15 – Lohnvereinbarung. Der Arbeitgeber A und der Betriebsrat B legen in einer Betriebsvereinbarung für die Betriebsangehörigen höhere Löhne fest als sie der für den Wirtschaftsbereich relevante Tarifvertrag vorsieht. Später weigert sich A, mehr als den tariflichen Lohn zu zahlen. Würde
eine Klage des Arbeitnehmers X auf Zahlung des in der Betriebsvereinbarung festgelegten Lohns vor
dem Arbeitsgericht Erfolg haben?
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