dj bobo dancing

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7.2012
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STAND JUNI 2012
4
Ist Nuhr Ramsch erfolgreich?, Foto: Francis Lauenau
www.engels-kultur.de I Juli 2012
engels-Thema.
Einmal drin, alles hin
Es gibt eine Supermarktkette, die wirbt mit einem ähnlichen Motto und betreibt eine Filiale im beschaulichen Wülfrath. Zwischen CD-Rohlingen und
Haartrocknern befindet sich die Abteilung für Belletristik, bestehend aus vier
Stapeln Bücher, die einsam auf einer Euro-Palette auf ihre Käufer warten.
Manche Jungschriftstellerinnen und Jungschriftsteller werden sich bei diesem traurigen Anblick schaudernd abwenden und darauf verzichten, ein Buch
zu schreiben, das Bestsellerlisten anführen könnte. Niemand möchte sein
Werk zwischen Daniela Katzenbergers Bekenntnis: „Sei schlau – stell dich
dumm“ und Natascha Kampuschs Enthüllung „3096 Tage“ wiederfinden. Die
Geisterschreiber der doofen und der armen Blondine bedienen vortrefflich
den Geschmack der Käufermassen, mögen die Nachwuchsdichter greinen.
Aber nicht jeder Bestseller, das sei hier tröstend vermerkt, ist Ramsch. Der
Erfolgsautor aus unserer Stadt, der weltweit mehr Bücher verkaufen konnte
als Katzenberger und Kampusch zusammen, lieh uns den Namen für dieses
Magazin. Und er war noch nicht mal blond.
Nach dem kläglichen Scheitern des ersten Anlaufs zur Verabschiedung des
Betreuungsgeldes geht die Diskussion umso heftiger weiter. Sollen Kleinkinder bei Muttern und heimischem Herd bleiben, oder müssen sie gar ab
Vollendung des ersten Lebensjahres täglich in eine herzlose Bildungseinrichtung? Das engels-Thema in diesem Monat heißt folglich KITA. Sozialdezernent STEFAN KÜHN und die Wissenschaftlerin CHARLOTTE RÖHNER
beziehen eindeutig Stellung. Frühe institutionelle Förderung nutzt allen Kindern. Ansonsten ist engels in diesem Monat sehr filmlastig geworden. Das
allerdings liegt daran, dass Künstlerinnen zu Filmemacherinnen werden. HEIKE KLUSSMANN, die als künstlerische Intervention schon mal Rohre durch
Berlin verlegt oder Parkhäuser verfremdet, stellt im NEUEN KUNSTVEREIN
WUPPERTAL die Videoinstallation SURROUND vor. Ihre Pläne zur Gestaltung
der Düsseldorfer U-Bahn erscheinen dem Betrachter wie ein Computerspiel.
Die Kommunikationsdesign-Studentin MITRA KASSAI zeigt im Cinemaxx ihren ersten Dokumentarfilm. engels portraitiert die 28Jährige, die von der
Fotografie zum Film kam. Der erfolgreichste Dokumentarfilm aus Wuppertal
heißt bekanntlich PINA. Anhand eines Marktforschungsberichts wird erläutert, wer ihn so erfolgreich hat werden lassen.
Natürlich will engels den Besuch des legendären Open Air-Kinos TALFLIMMERN wärmstens empfehlen. Nicht, dass es in unserer Stadt schon mal zu
kühl oder nass wäre. Das Programm ist einfach sehr anspruchsvoll. Neu ins
Kino kommt der japanische Film GUILTY OF ROMANCE. Eine domestizierte
Ehefrau gerät in die Welt von Pornographie und Prostitution. Kunstvolle Erotik sorgt hier für einen heißen Sommer. Die gerade 23 Jahre alte Schauspielerin EMMA STONE hingegen erklärt, dass es Parallelen zwischen dem gerade
angelaufenen THE AMAZING SPIDER-MAN gibt, in dem sie die schöne Gwen
Stacy spielt, und manchem Film von Woody Allen. Ist der Stadtneurotiker
also nur ein verkannter Superheld?
7 KINDERGARTENSTREIT: U3-Betreuung versus Betreuungsgeld
8 Interviews mit Stefan Kühn, Beigeordneter der Stadt Wuppertal für den Geschäftsbereich Soziales, Jugend & Integration, und Charlotte Röhner,
Professorin für Schulpädagogik an der Bergischen Universität Wuppertal
Bühne.
10 Theater an der Wupper: „Zur schönen Aussicht“ an der Oper Wuppertal
Tanz in NRW: Petition für Erhalt und Ausbau des Kölner Tanzes
11 RuhrTanz: Boris Charmatz’ „Enfant“ auf der RuhrTriennale
12 Theater in NRW: Startheater und enttäuschende Uraufführungen
Oper in NRW: Beatrice Cenci in Dortmund
13 Musical in NRW: Musicals um Hippie-Nostalgie und Hexerei
Opernzeit: „Mörder Kaspar Brand“ in Düsseldorf
Kino.
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Das Talflimmern – nicht bloß eine Kinoreihe
Film des Monats: „Guilty of Romance“
Hintergrund: „Hasta la Vista“
weitere Film-Kritiken
Roter Teppich: Schauspielerin Emma Stone im Interview
Filmwirtschaft: Die GfK-Studie zum Kinobesuchsjahr 2011
Literatur.
23 ComicKultur/Wortwahl: Comic- und Buch-Empfehlungen im Juli
24 Textwelten: Das E-Book floppt
Poetry: Die Kolumne von Sebastian23
Musik.
25 Kompakt Disk: neue Alben im Juli
Popkultur in NRW: Eine der letzten Kölner Locations für Freiluftpartys
Kunst.
26 Wupperkunst: Heike Klussmann stellt im Neuen Kunstverein aus
27 Kunst in NRW: Lewis Baltz in Bonn/Paul Thek in Duisburg
Kunst-Kalender NRW
Service.
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Intro
Portrait: Die Wuppertaler Studentin Mitra Kassai legt ihren ersten Kurzfilm vor
engels zungen/Auswahl: Veranstaltungstipps im Juli
Kolschewsky
Impressum
Magenbitter/Verlosungsbox
LUTZ DEBUS
Theater an der Wupper
© Uwe Stratmann
„Zur schönen Aussicht“
Hintergrund
„Hasta la Vista“
Seite 10
Seite 16
Lesen Sie mehr auf www.engels-kultur.de
Dieses Icon zeigt Ihnen den Weg.
© Heike Klussmann
Wupperkunst
Heike Klussmann im Neuen
Kunstverein
Seite 26
portrait
Was ist Pose, was ist Haltung?, Foto/Screenshot: Mitra Kassai
Die Geschichte hinter den Bildern
Kommunikationsdesign-Studentin Mitra Kassai legt ihren ersten Kurzfilm vor
Kommunikationsdesign ist eine komplexe Angelegenheit. Nicht allein,
weil es sich hier per se um einen haarscharfen Grenzgang zwischen Genres wie Kunst und Design handelt. Zum Gebot der interdisziplinären Arbeit des Studierenden gehört, sich vielfältig zu erproben und beweisen.
„Ich habe mit Fotografie angefangen“, erinnert sich Mitra Kassai. Jetzt
belegte die Allrounderin ein Seminar bei Dozentin Anna Silvia Bins. Zusammen mit Kommilitonen aus dem Bereich AV Medien/Film, Folkwang
Universität der Künste, Campus Wuppertal, zeigte die Wuppertalerin bei
der 7. Unicut Veranstaltung – ein wichtiger Termin für Filmfreunde – im
Cinemaxx ihren ersten Beitrag. Es ist ein Film über den Wuppertaler
Jürgen „Jojo“ Darski.
„Es war purer Zufall, dass ich auf ihn kam“, sagt die 28Jährige. Die Vorgabe für den filmischen Beitrag korrespondierte mit dem Motto „Erlaubt
ist, was gefällt“, es gab also weder thematische noch formelle Vorgaben. „Und ich habe natürlich gegrübelt, was eine richtig gute Idee sein
könnte.“ Nicht sitzend am Schreibtisch, sondern in der Bewegung kommen die besten Eingebungen. Bei den Spaziergängen mit ihrem Hund
rund ums heimische Karree kam sie immer wieder an einer Werbetafel
vorbei, die auf einen gewissen „Darski“ verwies. Darski, wer ist das?,
fragte sie sich.
Raus aus dem Stundenplan, rein ins Leben, klingelte die Studentin spontan bei ihm. „Er ist Designer, Maler und Musiker und erklärte sich ziemlich schnell bereit, beim Projekt mitzumachen.“
Verbergen wir Unwissen hinter schönen Theorien?
Das Wesen der Dinge ist es, was Mitra Kassai interessiert. Zwei Tage
dauerten die Gespräche, in denen die Studentin den Künstler „auf Herz
und Nieren prüfte und gewissenhaft ausfragte“. „Wir haben uns dann
auf seine Bilder spezialisiert.“ Das wiederum ist nicht sonderlich erstaunlich, wenn man genau betrachtet, was Darski macht. Nur auf den
ersten Blick sind seine bevorzugt in Airbrush-Techniken gearbeiteten
Ansichten floraler Elemente oder Kleinstlebewesen hübsch anzuschauen. Oft ist bei ihm Bild geworden, was sich für ihn dahinter verbirgt,
wenn sich Behauptungen als Wahrheiten verkleiden. Es scheint, als kon6
terkariere er die Idee des Verstehens als Illusion. Auch hier lässt sich die
Frage nach dem, was bloße Pose oder tatsächliche Haltung ist, ableiten. „Ich habe erst gedacht, dass ich das alles nicht packe“, resümiert
die Tochter italienisch-iranischer Eltern. Es war vor allem die Fülle des
Materials, die sie zunächst zu überrollen drohte. Oder wie es Dozentin
Bins mal ausdrückte: „Filmemachen ist mehr Arbeit, als man den Werken ansieht. Neben der Entwicklung einer guten Idee, dem technischen
Knowhow und der Kreativität in der Filmgestaltung sind auch Organisation, Disziplin und Durchhaltevermögen wichtige Elemente.“ Die Technik
der Verknappung und des präzisen Darstellens ist eines der wesentlichen
Merkmale, die sie so erlernt hat.
Eine Hymne auf die Tollpatschigkeit
Zu experimentieren und auszuprobieren hat der gebürtigen Wuppertalerin, die eigentlich nach dem Abi 2003 „weit weg ins Ausland“ gehen
wollte, sich dann aber überraschenderweise zunächst für ein Studium
der Wirtschaftswissenschaften einschrieb, immer am meisten Spaß
gemacht. Aber schon zu Zeiten als Fotografin, wenn sie stundenlang
in der Dunkelkammer ihre Bilder entwickelte, hat sie das „grobkörnig
Echte mehr interessiert als alles auf Hochglanz Polierte. Dieses Natürliche ist mehr mein Ding.“ Wohin die Reise beruflich wirklich geht, mag
sie jetzt noch nicht bestimmen. Aber was filmisch als nächstes kommt,
das weiß sie. „Ich bin ein absoluter Tollpatsch“, beschreibt Mitra Kassai
sich selbst. Ständig stolpere, falle und kippe sie über irgendetwas. „So
etwas passiert mir ständig, wahrscheinlich weil ich immer drei Dinge
gleichzeitig im Kopf habe und machen möchte.“ Aus diesem Prinzip heraus möchte sie eine Komödie machen. Stilistisch soll es ein Roadmovie werden, das zufällige Begegnungen in einer Bar zeigt. „Da treffen
dann charakterlich total unterschiedliche Menschen aufeinander, und
die Pointe ist, dass sie trotz aller Vorurteile und einbetonierter Meinungen miteinander kompatibel sind.“ Denn wenn man dem Wesentlichen
auf den Grund geht, steckt eben oft mehr dahinter, als eine Fassade
zunächst vermuten lässt.
VALESKA VON DOLEGA
6
thema
Illustration: Sven Siebenmorgen
Kinder im Garten und Kinder im Kindergarten
Möglichkeiten für Betreuung der ganz Kleinen
Übermütter und Rabenmütter streiten in den Geigen-, Ballett-, Tennis- und Yoga-für-Kinderletzten Wochen heftig miteinander. Der Gesetz- Stunden ein Fulltimejob geworden ist. Oder sie
entwurf der Bundesregierung zur Einführung ist alleinerziehend, bekommt deshalb keinen Job
eines Betreuungsgeldes, das Eltern von ein- bis und rutscht in prekäre Verhältnisse.
dreijährigen Kindern zustehen soll, die ihr Kind
nicht in eine Kindertageseinrichtung schicken, Das Vormittagsprogramm von RTL ist als
löst heftige Diskussionen aus. Neben dem par- Babysitter nicht geeignet
teipolitischen Zwist geht es um die grundsätz- Auch sind die Bedürfnisse der Kinder oft sehr
liche Frage, wo Kinder nach Vollendung ihres unterschiedlich. Mittelschichtskinder spielen
ersten Lebensjahres am besten ihren Tag ver- auf Spielstraßen, verbringen ansonsten ihre
bringen sollen. Die Fraktion der Rabenmütter Zeit in Krabbelgruppen und werden oft von Gebekommt hierbei unerwartet Zuspruch von Ar- schwisterkindern und Erwachsenen gefördert.
beitgeberverbänden. Das von der Bundesregie- Anders sieht es in den sogenannten bildungsrung initiierte Betreuungsgeld sei Unsinn, weil fernen Schichten aus. Das Vormittagsprogramm
es gutausgebildete und
von RTL ist als Babysitdringend gebrauchte
ter nicht geeignet. Zu
engels-Thema im Juli:
Frauen und vielleicht
viele Kinder wachsen in
auch Männer dem
anregungsarmen MiliArbeitsmarkt entzieeus auf. Kinder können
Der Rechtsanspruch auf U3-Betreuung auf der einen Seite und das „alternative“ Betreuungsgeld ab
he, so argumentieren
aber, wenn dies früh
dem kommenden Jahr für die alleinig häusliche Bedie Unternehmer. Die
geschieht, soweit getreuung von Kleinkindern auf der anderen spalten
Fraktion der Überfördert werden, dass
derzeit Politik wie öffentliche Meinung. Wie aber
mütter wiederum wird
manche Beeinträchtisieht es in der Praxis der Kinderbetreuung aus, was
ist überhaupt realistisch in Wuppertal und Umgenicht nur unterstützt
gungen wie mangelnde
bung, was hält wer für sinnvoll und umsetzbar im
von christlich-fundaSprachkompetenz, einSinne der Allerkleinsten?
mentalistischen
Orgeschränkte motorische
ganisationen wie der
Fähigkeiten, aber auch
Bischofskonferenz oder der CSU, sondern auch unzureichendes Sozialverhalten viel weniger
von manch ökologisch orientierten Zeitgenos- den weiteren Lebensweg verbauen, als wenn
sinnen. Die Entschleunigung der Gesellschaft diese Förderung erst spät oder gar nicht stattbeginne mit der Elternzeit, ist von Vertrete- findet. Leider werden gerade Kinder aus solchen
rinnen und Vertretern der neuen Innerlichkeit Familien seltener ab dem zweiten Lebensjahr in
zu hören. Den Streitenden entgeht dabei aller- der Kindertagesstätte angemeldet. Und dieser
dings, dass das Thema weitaus komplexer ist.
Trend wird sich noch verschärfen. Die Familie
mit einem Erwerbstätigen, der nur ein geringes
Es gibt nicht die eine Familie, an die wir un- Einkommen hat, wird sich lieber die 100 Euro
sere Maßstäbe anlegen können. Der Vierperso- Betreuungsgeld einstecken, als dass das Kind in
nenhaushalt mit Alleinverdiener mit mittlerem eine Tageseinrichtung kommt.
Einkommen ist nur noch im Werbefernsehen
eine Majorität. Sogar im Westen der Republik Viele Untersuchungen zeigen, dass Kinder nach
ist die Nur-Hausfrau-und-Mutter ein Auslauf- Vollendung des ersten Lebensjahres erheblich
modell. Um einen relativen Wohlstand zu errei- von dem Besuch einer Tageseinrichtung prochen, sind Familien mittlerweile fast immer auf fitieren, egal wo sie sonst aufwachsen. Auch
zwei Gehälter angewiesen. Kümmert sich eine das Kind aus der Eigenheimsiedlung erhält im
Mutter ausschließlich um ihre Kinder, kann dies Spiel mit Gleichaltrigen wertvolle Impulse, die
zwei Gründe haben. Entweder ihr Gatte ist so ihm kein Au-Pair-Mädchen und keine Tagesreich, dass für sie die Betreuung ihrer Kinder mit mutter vermitteln können. Allerdings sind die-
Kindergartenstreit
7
se positiven Effekte der Kita in hohem Maße
abhängig von der Qualität der Einrichtung. So
stimmt es bedenklich, dass die Bundesfamilienministerin in Erwägung zieht, ungelernte Kräfte
in Kindertageseinrichtungen einzusetzen, um
personellen Engpässen zu begegnen. In anderen europäischen Ländern ist der Kindergarten,
auch für die ganz Kleinen, inzwischen selbstverständliche Institution. Dabei geht es mitnichten
um eine preisgünstige Betreuung, damit beide
Eltern arbeiten können. Die Kindertageseinrichtung mauserte sich in den letzten Jahrzehnten
zu einer wichtigen Bildungsinstitution. Entsprechend wandelte sich auch das Berufsbild der Erzieherinnen und Erzieher. Während in Deutschland nach wie vor der dreijährige Besuch einer
Fachschule ausreicht, um den Beruf auszuüben,
sind in vielen anderen Ländern mittlerweile Universitäten für die Ausbildung zuständig.
Auch die Vergütung ist in anderen Ländern der
von Lehrern vergleichbar. Hierzulande verdienen Erzieherinnen und Erzieher hingegen ähnlich wenig wie in anderen schlechtbezahlten,
typischen „Frauenberufen“. Deshalb verwundert
es auch nicht, dass immer noch wenige Männer
den Beruf ergreifen. Erzieher im Regelkindergarten können wie die sprichwörtliche Nadel im
Heuhaufen gesucht werden. So erleben Kinder
neben ihrem Vater oft erst ab dem zehnten Lebensjahr eine andere männliche Bezugsperson,
den Fachlehrer in der 5. Klasse.
In diesem Zusammenhang erscheint die Forderung nach mehr gemeinsamer Zeit für die Familie natürlich in einem gänzlich anderen Licht.
Was wäre, wenn der Vater für die Betreuung
seines zweijährigen Kindes die Hauptverantwortung übernähme? Fraglich ist allerdings, ob in
diesem Fall 100 Euro Betreuungsgeld als Anreiz
ausreichen.
LUTZ DEBUS
In der frühkindlichen Bildung wird auf
Selbstständigkeit gesetzt. Weshalb Erwachsene trotzdem wichtig bleiben, zeigt
ein Besuch in der evgl. Kindertagesstätte
Wuppertal-Elberfeld: Lesen Sie mehr
unter www.engels-kultur.de/thema
thema
„Wir haben massiv neue Plätze geschaffen“
Kita-Ausbau: Träume sind nur Schäume?, Foto: Kirstin Jungmann
Stefan Kühn über die Bemühungen der Stadt Wuppertal im Bereich der Kinderbetreuung
engels: Herr Kühn, gibt es genug Krippenplätze
in Wuppertal?
Stefan Kühn: Nein, uns geht es wie fast allen anderen Großstädten in Westdeutschland.
Wir werden vom 1. August 2013 an nicht genug Plätze für alle Unter-Dreijährigen haben
und den Rechtsanspruch darauf nicht erfüllen
können.
Warum nicht?
Eine Stadt wie Wuppertal hatte und hat nicht genügend Geld, diese große Aufgabe zu stemmen.
Millionenschwere Investitionen sind da nötig. Wir
haben zwar massiv neue Plätze geschaffen, aber
das reicht nicht. Das Glas ist erst zu zwei Drittel
voll.
Die Bundesfamilienministerin sagt, dass noch
gar nicht alle vorgesehenen Mittel in Anspruch
genommen wurden.
Das mag für ganz Deutschland stimmen. In NRW
ist das Geld des Bundes fast komplett ausgegeben. Die damalige CDU/FDP-Regierung in Düssel-
dorf hat vor über zwei Jahren einen strategischen nach richtiger Kinderbetreuung?
Fehler gemacht. Es hieß: Wer zuerst kommt, mahlt Alleinerziehende, die Sozialleistungen bekommen,
sind zu über 99 Prozent Frauen.
zuerst. So ist der überwiegende
„Um ein Kind
Von allen Haushalten mit alleinTeil der Fördermittel in reiche
zu erziehen, braucht man
erziehenden Frauen in Wuppertal
Kommunen geflossen. Die neue
ein ganzes Dorf“
beziehen 50 Prozent Leistungen
Landesregierung hat ein eigenes
Programm aufgelegt und dafür gesorgt, dass die nach dem Sozialgesetzbuch II. Das heißt, dass
diese Frauen in soziale Sicherungssysteme fallen,
Gelder gleichmäßig in alle Kommunen fließen.
weil die Betreuungssituation ihrer Kinder nicht
Macht es eigentlich Sinn, Kinder in dem Alter gelöst ist. Wer Betreuungsangebote verknappt,
bereits in eine Einrichtung zu geben, oder sind lässt Frauen und Kinder in prekären LebenssituFamilienangehörige zur Betreuung nicht besser ationen zurück.
geeignet?
Eine generelle Antwort hierauf gibt es nicht. Dafür sind die Eltern und deren Lebenssituationen
viel zu unterschiedlich. Außerdem sollten Betreuungsmöglichkeiten nicht alternativ, sondern ZUR PERSON
additiv zueinander betrachtet werden. Die Kita ist
Dr. Stefan Kühn (49) ist Beigedie erste Bildungsinstitution. Ideal sind daneben
ordneter der Stadt Wuppertal
engagierte Eltern, Großeltern, Freunde. Es gibt ein
für den Geschäftsbereich Sozischönes afrikanisches Sprichwort: Um ein Kind zu
ales, Jugend & Integration.
erziehen, braucht man ein ganzes Dorf.
Gibt es eine soziale Komponente der Frage
Foto: Stadt Wuppertal
„Das Betreuungsgeld setzt auf Verhäuslichung“
Charlotte Röhner über Erkenntnisse der Kleinkindpädagogik
engels: Frau Röhner, was ist besser für ein Jahren proportional seltener in Einrichtungen,
obwohl gerade diese Kinder davon besonders proKind, eine Tageseinrichtung oder die Familie?
Charlotte Röhner: Das kommt ganz auf das Alter fitieren würden.
des Kindes an. Das erste Lebensjahr ist für eine
gesunde Persönlichkeitsentwicklung von zen- Was raten Sie unserer Bundesfamilienministetraler Bedeutung. In dieser Lebensphase stehen rin? Soll sie eher Mittel für das Erziehungsgeld
oder für den Krippenausbau bedie Mutter-Kind-Beziehung und
„Kinder aus anregungsarmen
reitstellen?
auch die Vater-Kind-Beziehung
Familien profitieren überDas Betreuungsgeld schafft für
im Zentrum. Wenn Mütter aldurchschnittlich vom Besuch
Frauen keinen Anreiz, trotz Kind
lein ein Kind erziehen, können
einer Tageseinrichtung“
berufstätig zu bleiben, setzt also
allerdings auch Entwicklungsrückstände auftreten, wenn darüber hinaus keine auf Verhäuslichung. Der Bedarf an Krippenplätzen
ist deutlich höher als das bestehende Angebot.
weiteren Entwicklungsimpulse gesetzt werden.
Deshalb sollten die Ressourcen für den Ausbau an
Kindertagesplätzen eingesetzt werden.
Spielt da die soziale Frage auch eine Rolle?
Kinder aus anregungsarmen Familien profitieren
überdurchschnittlich vom Besuch einer Tagesein- Werden Zweijährige nicht traumatisiert, wenn
richtung. Dies ergeben internationale Langzeit- sie der familiären Umgebung entrissen werden?
studien. Allerdings geben Mütter ohne Beruf ihre Keinesfalls. Wenn die Einrichtungen eine hohe
Kinder nicht so oft in Kitas wie berufstätige Müt- pädagogische Qualität haben, profitieren diese
ter. Also sind Kinder aus unteren sozialen Schich- Kinder von Kindertagesstätten. Bei den Unterten und Kinder aus Migrationsfamilien unter drei Dreijährigen sollte der Personalschlüssel bei 1:3
8
8
oder 1:4 liegen. Es soll kleine Gruppen geben, und
das Personal sollte qualifiziert sein.
Sollte deshalb die Erzieherin oder der Erzieher
nicht besser wie die Lehrerin und der Lehrer an
der Universität ausgebildet werden?
Es gibt international eine sehr umfassende Diskussion darüber. Die Qualität der Ausbildung muss
in Deutschland tatsächlich noch erheblich erhöht
werden.
INTERVIEWS: LUTZ DEBUS
ZUR PERSON
Prof. Dr. Charlotte Röhner (63)
ist Professorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt
Pädagogik der frühen Kindheit
und der Primarstufe an der Bergischen Universität Wuppertal
Foto: Bergische Universität Wuppertal
thema
Gute Kinderbetreuung ist nicht von Pappe, Foto: Kirstin Jungmann
Rascheln und Rindenkugelbahnen
Waldkindergärten bieten Erziehung im Grünen
Für viele ist es der Inbegriff einer glücklichen
Kindheit: im Wald Verstecken spielen, sich im
Laub wälzen und Hütten bauen. Für manche
Eltern ist das die ideale Kindheit, die sie selbst
nie hatten. Kinder, die einen Waldkindergarten besuchen, bekommen all dies und noch
vieles mehr. „Es ist ein sehr angenehmes Klima für die Kinder, aber auch für die Erzieher“,
erzählt Melanie Jatra vom Waldkindergarten
in Sprockhövel-Hiddinghausen. Vierzehn Kinder kommen hier jeden Tag zusammen, um
ein paar Stunden mit zwei Erzieherinnen im
Waldlaub zu verbringen. Dort tun sie alles, was
sie in einem normalen Kindergarten auch tun
würden. Sie sitzen im Kreis, improvisieren mit
Farbe und Pinsel auf großen Leinwänden und
bekommen Bücher vorgelesen. Aber sie tun es
unter offenem Himmel und bei jedem Wetter.
Das hat Konsequenzen: „Unsere Kinder werden
selten krank, ihr Immunsystem ist sehr stark“,
beschreibt Melanie Jatra die Konstitution ihrer
Schützlinge.
Kinder, die im Wald spielen, gelten als
konfliktfähiger und konzentrierter
Der Wald ist dabei nicht nur einfach ein alternativer Gruppenraum, sondern wird selbst zum
Gegenstand des Spielens. Spielen die Kinder ein
Rollenspiel mit Cowboys und Indianern, wird
ein Tipi aus Ästen gebaut, die Kinder lernen
schnitzen oder sich eine Kugelbahn aus Baumrinde zu bauen. „Die Kinder haben viele Ideen,
und wir legen Wert darauf, dass sie die Natur
kennenlernen.“ Aber die Liebe zur unberührten
Natur hat ihre Grenzen, denn die Gefahren des
Waldes müssen die Kleinen schon beachten.
Dass Äste durch Frost brüchig oder durch Regen rutschig werden können, ist ebenso Teil des
Lehrprogramms wie das Erlernen elementarer
Regeln für den Umgang mit dem Wald nach
einem Sturm oder bei einer Sturmwarnung. Besteht die Gefahr von herabfallenden Ästen oder
stürzenden Bäumen, werden Teile des Waldes
fürs Spielen gesperrt. Den Kindern werden dann
die Gefahren erläutert, so lernen sie die Grenzen der Natur kennen. „Die Kinder können sich
diese Regeln manchmal besser merken als wir“,
berichtet Melanie Jatra und muss schmunzeln.
Aber am meisten lobt die Erzieherin das Sozialverhalten ihrer Schützlinge. „Es ist toll, wie
die Kinder miteinander umgehen“, meint Melanie Jatra. „Es gibt nicht viele Streitereien.“
Die spärliche Forschung zu Waldkindergärten
bestätigt diese Einschätzung. Kinder, die im
Grünen spielen, gelten als konfliktfähiger und
konzentrierter. Aber vielleicht ist das auch nur
ein Effekt der sozialen Schichtung, denn günstig ist die laubraschelnde Kindererziehung in
der Regel nicht. Der Waldkindergarten wird von
einem privaten Trägerverein finanziert. Zwar
konnte der Fortbestand des Waldkindergartens
im Mai durch eine Spende der Dietrich-Grönemeyer-Stiftung gesichert werten, aber es kostet
dennoch mindestens 375 Euro, wenn man sein
Kind für einen Monat unter den Bäumen betreuen lassen möchte.
CHRISTIAN WERTHSCHULTE
Montessori als Lebenshaltung
Kinderbetreuung im Montessori Kinderhaus in Wuppertal
Finja möchte noch mehr schreiben können, Noël
noch einmal auf den Spielplatz: Die Kinder, die
im Sommer eingeschult werden, verewigen ihre
Wünsche auf einer Tafel. Auf dem roten Papier
steht, was sie schon können, und wie sie ihr
letztes Jahr im Kindergarten gestalten möchten.
Die Faszination für das Lesen setzt im Alter von fünf Jahren ein
„Die Kinder lernen hier auch lesen und schreiben,
aber nur, wenn sie das wollen“, erklärt Leiterin
Petra Kirschbaum. Im Leben des Kindes gebe es
sensible Phasen, in denen die Kleinen besonders
empfänglich für das Lernen seien. Ab dem dritten Lebensjahr beginnen sie, sich für Zahlen und
mathematische Zusammenhänge zu interessieren, ab dem vierten Lebensjahr für Buchstaben.
Die Faszination für das Lesen setze dann im Alter von fünf Jahren ein. Die Kleinen sollen dabei
ohne äußeren Zwang ihren Interessen folgen.
Im Montessori Kinderhaus gibt es zwei altersgemischte Tagesstättengruppen für Kinder von
drei bis sechs Jahren. Zwei Erzieherinnen mit
Montessoridiplom sowie weitere pädagogische
Kräfte kümmern sich um die Kleinen. In der Regenbogengruppe sind 20 Kinder, in der Sternschnuppengruppe 15, davon 5 mit Behinderung.
Den Drei- bis Sechsjährigen stehen jeweils
großzügige Gruppenräume zur Verfügung, die
in unterschiedliche Aktionsbereiche unterteilt
sind. Hier wird gebaut, konstruiert oder gespielt. Draußen befindet sich die „Hoppe Tosse“, ein
großes Schiff mit einer Rutsche. Die Umgebung
soll das kindliche Interesse an Wissen aktiv fördern. „Der Raum ist der dritte Erzieher“, erläutert
Petra Kirschbaum.
In der Montessori-Pädagogik wird mit sinnlichen
Erfahrungen gearbeitet. Auf einer handlichen
roten Tafel steht ein gelbes „E“. Die Kinder sollen
es nicht nur sehen, sondern auch fühlen. „Das
Begreifen mit den Händen schafft die Voraussetzung für das Begreifen von Begriffen.“ Ein
Knirps flitzt durch die Einrichtung und präsen9
tiert stolz sein Lego-Kunstwerk: „Habe ich alleine gemacht“, sagt er. „Diesen Satz höre ich hier
oft“, berichtet Petra Kirschbaum. Größtmögliche
Selbstständigkeit ist ein Ziel der Reformpädagogik. „So viel Hilfe wie nötig, so wenig wie möglich“ lautet das Credo. Die Kleinen sollen lernen,
Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen. Das Kind wird als eigene Persönlichkeit
mit individuellen Stärken und Schwächen anerkannt, das einer individuellen Förderung bedarf.
Im Montessori-Kinderhaus lernen Kinder, mit
Gefahren umzugehen. Das Schneiden mit einem
Messer wird hier genauso geübt wie das Tragen
eines Glases. Weil das Glas zerbrechlich ist, sind
sie vorsichtiger. Das Montessori Kinderhaus wird
von einer Elterninitiative betrieben. Ein ehrenamtlich agierender Vorstand ist für Finanzen,
Personal und Verwaltung verantwortlich. „Montessori, das ist eine Lebenshaltung“, erläutert
Petra Kirschbaum abschließend.
ANKE-ELISABETH SCHOEN
tanz in NRW
theater an der wupper
„Zur schönen Aussicht“, Foto: Uwe Stratmann
Szene aus „LOSS OF CONTROL/Café Jolles“, Foto: F. Dannhauer
Gerangel um Liebe
Ballett kann kämpfen
Geld macht schön. Diese Lebensweisheit ist zeitlos, wird in jedem Celebrity-Journal immer wieder bewiesen. Reichtum gilt als erstrebenswertes Ziel. Davon sind die Personen im heruntergekommenen Hotel in
Ödön von Horváths Dreiakter „Zur schönen Aussicht“ weit entfernt. Endlos weit. Sie vertreiben sich die Zeit, haben aber einen zahlungskräftigen
Dauergast, der sie als Sklaven behandelt. Martin Kloepfer inszeniert
an der Wuppertaler Oper die Komödie des österreichisch-ungarischen
Schriftstellers (1901–1938). Die Geschichte um Geld, Macht und Liebe
wurde 1926 geschrieben, aber erst 1969 in Graz uraufgeführt.
Volkstheaterhaft, milde modernisiert, aber mit einem schönen HotelBühnenbild, wo nichts mehr vorzeigbar scheint, nicht einmal die schöne
Aussicht, die ein riesiger Pappkarton zu sein scheint, der nichts verhüllt,
weil ohne Inhalt. Urlaubsdias gaukeln vergangene Freuden vor, zu Beginn wird am Panorama filmisch noch ein bisschen ausgebessert, doch
die Holzdielen im Restaurant haben sich längst vor Feuchtigkeit hochgebogen. Im Hintergrund säuselt der „Hotel California“-Riff.
Von Klaus Keil
Er hat das Ballett revolutioniert und vom Ballast des Gleichschritts befreit.
Statt der immer gleichen Bewegung zu frönen, hat er dem Ballett Beine gemacht und brachte politisch brisante The„Die finanziellen
men auf die Bühne. Die Rede ist von Johan
Daumenschrauben werden
Kresnik, der 1968 in Köln mit „Paradies?“,
angezogen“
einem Stück über Rudi Dutschke und die
Studentenrevolte, seine erste politische
Choreografie auf die Tanzbühne gebracht hat. In Köln stand damit – historisch betrachtet – die Wiege des politischen Tanztheaters. Die Uraufführung
war ein Riesenerfolg, doch das Stück wurde sofort vom Spielplan genommen.
Auch darin blieb sich 1968 das heute als weltoffene Stadt gefeierte Köln
treu. Bereits 1926 war die Tanzpantomime „Der wunderbare Mandarin“ von
Béla Bartók wegen „unmoralischer Handlung“ nach der Premiere verboten
worden. Heute, im Jahr 2012, steht in Köln nicht ein einzelnes Tanzstück
auf der Kippe, sondern der Tanz insgesamt. Da wird nichts verboten oder
abgesetzt, doch die finanziellen Daumenschrauben werden wieder einmal
angezogen. Das kommt indirekt einer Spielplan-Absetzung gleich. Vom Tanz
geblieben ist nur noch eine Gastspielreihe, die zwar immer ausverkauft ist,
aber weiter reduziert werden soll. Ballett kann kämpfen. Mit dieser Parole
ging Johan Kresnik einst gegen Ignoranz und Kleingeistigkeit an. Ein bisschen von diesem Kampfgeist ist jetzt nach Köln zurückgekehrt. Ballett kann
kämpfen. Schließlich geht es um seine Existenz. Und das Kölner Publikum
kämpft diesmal mit. Die erste „Kampf“-Abstimmung fand kürzlich im Opernhaus statt. Das Publikum hatte sich zum Protest erhoben und minutenlang
donnernd applaudiert. Noch galt der Applaus nicht dem Ballet de MonteCarlo und seiner Version von „Romeo und Julia“, sondern der Protestnote
gegen die Mittel-Kürzung und für den Erhalt der Gastspiele, die der Vorsitzende des Kunstsalon Köln, Dr. Peter Bach, verlesen hatte. Jetzt begehrt die
gebeutelte Sparte Tanz endlich auf. Nachdem der Etat von Schauspiel und
Oper nur um je 1,3 Prozent gekürzt werden soll, wird der Tanz gleich mit 30
Prozent zur Kasse gebeten, denn er soll von seinem bescheidenen 1-MillionEuro-Etat ganze 300.000 Euro abgeben. Das ist nicht nur unverhältnismäßig, das ist dreist. Die schwächste Sparte wird am stärksten belastet. Ballett
kann kämpfen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Das NRW Landesbüro Tanz,
der Verein tanZKoeln sowie die tanzsociety des Kunstsalon Köln haben nun
die Notbremse gezogen und eine Petition auf den Weg gebracht, die ein
vehementes Veto gegen diese Kürzungen einlegt. Rund tausend Besucher
von Tanzaufführungen haben bereits unterschrieben. Aber auch jeder Bürger
kann die Petition unterzeichnen: www.petitiononline.de/petition/fuer-denerhalt-und-ausbau-von-tanz-in-koeln/970. Mittlerweile
wird auch Protest gegen die Verwendung der 2010 eingeführten Kulturförderabgabe, der sogenannten „Bettensteuer“ laut, deren Mittel im allgemeinen Haushalt
versanden, ohne gezielt zur Kulturförderung eingesetzt zu
werden. Wie heißt es in der Petition: „Es ist an der Zeit,
eine gesamtökonomische Sicht zu entwickeln, die die PaKlaus Keil
Journalist, Tanzkritiker u. rameter von nachhaltigen Erträgen für eine Gesellschaft
Hochschuldozent
neu definiert.“
Ödön von Horváths Dreiakter „Zur schönen Aussicht“ in Wuppertal
Hier prallen die Versager aufeinander, balgen sich um Gunst und Geld,
müssen sich von Ada, Freifrau von Stetten (Sophie Basse), erniedrigen
lassen. Selbst ihr Bruder Emanuel, der abgehalfterte Freiherr, rutscht
vor ihr im Staub. Kloepfer mischt das alles ziemlich surreal, baut choreografische Personenführung mit Slapstick und Situationskomik. Dazu
treffen Diener mit roten Fußnägeln auf überdrehte Adlige mit Höhenangst und latenter Spielsucht, und das, während im Hintergrund Fahnen
vorm Gebirge wehen. Alle sind nicht koscher, der Chauffeur (Heisam
Abbas) vorbestraft, der Kellner ein Künstler, auf der Speisekarte stehen
vielleicht sogar Krücken.
Aber das Ensemble erzeugt auch wunderbare komödiantische Momente
der Stille, obwohl die Strasser (Holger Kraft), der Besitzer des Hotels,
nicht gebrauchen kann: Keine Gäste, kein Geld, nicht einmal den Sekt
von Vertreter Müller (Hendrik Vogt) kann er bezahlen. Und dann taucht
der Katalysator auf, der Zünder für die Explosion der fragilen ZwangsGemeinschaft: Christine (Anne-Catherine Studer) kommt – und gleich
mit Gott im Schlepptau. Einst war sie Gast, dann Geliebte des Chefs,
dann Mutter seines Kindes. Sie schrieb Briefe, die alle lasen, Strasser
aber nie beantwortete. Nun will sie ihn zurück, das Hotel übernehmen
und wieder aufmöbeln. Strasser wehrt sich, die Gruppe macht Christine
nicht nur verbal nieder, die Freifrau von Stetten will sowieso keine Konkurrentin. Als sich dann aber herausstellt, dass Christine Geld geerbt hat,
liegt die verrohte Männerwelt in Trümmern, die erbärmlichen Existenzen
buhlen säuselnd um sie. Das ist ein Fest für die Schauspieler, und Kloepfer lässt sie genüsslich machen. Jeder versucht nun auf seine Weise, am
christlichen Reichtum Christines, die unter Gott allerdings zehntausend
Euro versteht, zu partizipieren. Ada geht derweil auf ihr Zimmer – mit
einem Revolver. Ach Ödön.
PETER ORTMANN
„Zur schönen Aussicht“ I 5.7. 19.30 Uhr
Oper Wuppertal I 0202 563 76 666
Petition für den Erhalt und Ausbau von Tanz in Köln
www.tanzwebkoeln.de I www.lb-tanz.de I www.kunstsalon.de
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ruhrtanz
„Enfant”, Foto: Christophe Raynaud de Lage / WikiSpectacle
Das Schicksal der Kinder
Boris Charmatz zeigt bei der RuhrTriennale seine Choreographie
Noch einmal Kind sein. Das war einmal eine Vorstellung von Glück und Unbeschwertheit, von Freiheit und Lebensintensität. Heute ist Kindheit nicht mehr
so unschuldig mit Freude verbunden, heute provoziert sie Gedanken an Bedrohung durch Armut, Verwahrlosung, Gewalt und Missbrauch. Kinder werden als
Objekte für Kommerzialisierung betrachtet, je jünger je lieber, und zugleich
gibt es Überlegungen, das Alter für eine Strafverfolgung zu senken. Kindheit
wird von Angst überschattet. Ein zentrales Thema in Boris Charmatz‘ Tanz-Produktion „Enfant“, die zu den überragenden
Produktionen im Programm der diesjäh- „Die Ohnmacht, in der Kinder
rigen RuhrTriennale zählt. Freilich handelt einer Erwachsenenwelt ausgeliefert sind, wird spürbar“
es sich um einen dunklen Stern, den der
Künstlerische Leiter Heiner Goebbels in
den Reigen einer Triennale aufnahm, die mit Produktionen von Anne Teresa
De Keersmaeker, Mathilde Monnier, Luc Ferrari und Laurent Chétouane ihren
Schwerpunkt stärker als jemals zuvor im Tanzbereich setzt.
Boris Charmatz weiß um die Wirkung von Kindern auf der Bühne. Kinder agieren so authentisch, dass sie in jeder Inszenierung sofort die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen und die theatrale Wirkung der Erwachsenen
sprengen. Deshalb lässt der Franzose sie in seiner Choreographie die meiste Zeit
auch gar nichts tun. Nach einem unheimlichen Maschinenballett zu Beginn,
sieht man die Kinder wie schlafend liegen. Dafür hantieren die erwachsenen
Tänzer mit den Kinderkörpern. Kalt, ruppig und in ihrer Gleichgültigkeit fast
brutal wirken die Aktionen der Erwachsenen. Und sofort sind sie da, die Assoziationen von Missbrauch und Demütigung. Die Ohnmacht, in der Kinder einer
Erwachsenenwelt ausgeliefert sind, wird spürbar.
Aber das alles spielt sich in unseren Köpfen ab, es ist „eine Projektion der Erwachsenen“, wie Charmatz treffend behauptet. Sein eigentliches Sujet sind
denn auch nicht die Kinder, sondern unser Blick auf sie, das Mitleid und die
Angst, die wir um das Kind in uns haben und dem wir in Gestalt der Kinder auf
der Bühne begegnen. Damit hat er einen Nerv unserer Zeit getroffen, die Uraufführung bescherte dem Theaterfestival in Avignon 2011 seinen Höhepunkt.
Konsequent geht der 39jährige Franzose seinen Weg. Dass er stets den Blick
thematisiert, mit dem wir auf die Welt schauen, deutete sich schon an, als er
2009 die Künstlerische Leitung des Centre choréographique national de Renne
et de Bretagne übernahm und das Haus zu einem Museum für Tanz erklärte.
Charmatz betrachtet die Aktionen auf der Bühne als eine Fortsetzung der Bildenden Kunst mit den Mitteln des Tanzes. Er spielt mit den Erwartungen seines Publikums, aber er nimmt sein Publikum dabei auch ernst, mutet ihm eine
emotionale Achterbahnfahrt im Verlaufe der 75 Minuten zu, die „Entfant“ benötigt, um uns ein Schauspiel vor Augen zu führen, das sich in der Erinnerung
einschreibt. Wie sehen wir die Kinder, inwieweit stülpen wir ihnen unsere Wünsche, Träume und Ängste über? Das sind Fragen, zu denen eine Gesellschaft
Antworten finden muss, wenn sie sich selbst begegnen will. Die Bilder, die wir
vom Kindsein haben, werden von Boris Charmatz hart und unsentimental seziert. „Politisch“ will er seine Inszenierungen aber nicht verstanden wissen. Seine
Rolle ist die des „blinden Künstlers“, wie er sagt, der seine Arbeit „anbietet, ohne
darüber zu spekulieren, was sie bewirkt“. Klingt fast unschuldig, dass „Entfant“
jedoch ein komplexes Projekt ist, das seinem Publikum ins Herz zu schneiden
vermag, davon kann man sich am 18. August (19 Uhr) und am 19. August (15
Uhr) in der Jahrhunderthalle in Bochum überzeugen.
THOMAS LINDEN
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theater in NRW
oper in NRW
„Groß und Klein“, Foto: Lisa Tomasetti
Christiane Kohl (Beatrice) und Karl-Heinz Lehner (Marzio), Foto: Thomas M. Jauk/Stage Picture
Im Aquarium der Hochfinanz
Tyrannenmord ohne Happy End
Von Hans-Christoph Zimmermann
Internationale Stars gehen bei den Ruhrfestspielen ein und aus, seit Frank
Hoffmann in Recklinghausen das Sagen hat. Jetzt gastierte zum zweiten
Mal Cate Blanchett auf dem Grünen Hügel. Die Hollywoodactrice spielte
die Rolle der Lotte in Botho Strauß’ Drama „Groß und Klein“, und Stückwahl
sowie das Ergebnis hätten nicht unge„Internationale Stars
wöhnlicher sein können. Strauß schickt
gehen bei den Ruhrfestspielen
die Hauptfigur Lotte auf die Suche nach
ein und aus“
dem pulsierenden sozialen Fleisch unter
dem Panzer der Saturiertheit in der späten Bundesrepublik. In der Bearbeitung von Martin Crimp und der Regie von Benedict Andrews macht die
Sydney Theatre Company daraus ein verblüffend komisch-absurdes Gesellschaftsbild. Lottes Besuch bei der Gartenparty ihres Bruders gerät genauso
zur choreographierten Slapstick wie die grotesk getänzelte Büroszene mit
ihrem Interimslover. Lottes Verzweiflung geht allerdings nicht vollends in
Komik auf. Über einer kleinbürgerlichen Grundierung macht Cate Blanchett
aus ihr eine ergreifende Studie einer Figur, die den Panzer dichtzuhalten
versucht und doch offenbart, wie weit gesellschaftliches und individuelles
Sein auseinanderklaffen.
Manche Hollywoodstars haben selbst zur Geschichte der BRD etwas Substantielles zu sagen – was man von den deutschen Uraufführungen auf
dem grünen Hügel diesmal kaum sagen konnte. Eher verquast Kevin Rittbergers „Lasst euch nicht um-schlingen ihr 150 000 000“, das sich zwischen den Absurditäten der Werbefotografie, einer klischierten utopischen
Gesellschaft und dem Aufstand in Tunesien 2011 vergaloppiert. Ähnlich das
Projekt „Zerschossene Träume“ von Wolfram Lotz und Martin Laberenz, das
sich aus dem Schlemmertopf der Identität bedient: Schauspieler und Rolle,
Schauspieler und Körper, Körper und Geschlecht – alles dient als Spielmaterial um einen kontrasexuellen Thilo Sarrazin oder die von einem Darsteller gespielte Lindsay Lohan, die in der Verfilmung ihres Lebens mitspielen
soll. Der Turbowechsel der Realitätsebenen ist rasant, aber nicht neu, dafür
entschädigen die brillanten Schauspieler vom Centraltheater Leipzig nur
einigermaßen. Überzeugen konnte bei den Uraufführungen nur Dennis Kellys „Die Opferung des Gorge Mastromas“ vom Schauspiel Frankfurt, das das
Leben eines kapitalistischen Monsters nachverfolgt. Freunde, erste Liebe,
Affären, überall ist Gorge Durchschnitt, bis er plötzlich seinem Chef den
Todesstoß versetzt und damit der Erfolg kommt. Das Stück wechselt zwischen gespielten Szenen und den Texten eines Erzählers, den Torben Kübler mit grandioser Virtuosität irgendwo zwischen Clown und allmächtigem
Strippenzieher spielt. Hinter ihm ist durch Glasscheiben das Aquarium der
Hochfinanz zu sehen. Hier hockt der graubärtige Citizen
Mastro-mas (Isaak Dentler) in einem Sessel, hier serviert
er zusammen mit der Heuschrecke A (eiskalt: Katja Uffelmann) seinen Chef ab, hier verkündet er sein Credo
von der moralfreien Lüge um des Erfolgs willen. Am Ende
entpuppt sich in Christoph Mehlers Regie der Erzähler
als Gorges Enkel Pete, ein junger antikapitalistischer Aktivist, der selbst seinen eigenen subjektiv getönten Blick
Hans-Christoph
Zimmermann
auf das Monster erzählt hat. Wer will da noch ernsthaft
Journalist und
Theaterkritiker
sagen, was Wahrheit und was Lüge ist?
Von Karsten Mark
Für Opernhäuser sind „Ausgrabungen vergessener Werke“ eine Frage des
Prestiges. Unter den Ersten bei einer Wiederaufführung zu sein, sorgt für
Aufsehen – jedenfalls bei der Kritik und in der Fachwelt. Die Beachtung
durch das Publikum steht auf einem anderen Blatt. Denn viele Opernfreunde haben mittlerweile erfahren
„Goldschmidts Tonsprache
müssen, dass es durchaus gute Gründe
ist ausgesprochen spätromandafür geben kann, wenn ein Werk in
tisch und eingängig“
der Versenkung verschwunden ist. Die
Missachtung, mit der das Publikum allerdings die letzte Produktion dieser
Dortmunder Spielzeit straft, erscheint kaum gerechtfertigt. Mit „Beatrice
Cenci“ steht ein Werk eines Komponisten auf dem Spielplan, dessen vielversprechend begonnene Karriere jäh durch die Nazis abgewürgt wurde.
Berthold Goldschmidt war Jude und Sozialdemokrat und musste deshalb
1935 nach England emigrieren, womit er zu einem Niemand in der Fremde
wurde. Nach dem Krieg konnte er zwar als Dirigent, nicht aber als Komponist wieder Fuß fassen. So sollte es ganze 44 Jahre dauern, bis seine
zweite Oper – eben jene „Beatrice Cenci“ – ihre szenische Uraufführung
erlebte. 1994 war das in Magdeburg, drei Jahre vor Goldschmidts Tod,
und sie hinterließ keinen sonderlich nachhaltigen Eindruck. Dortmunds
neuer Opernintendant Jens-Daniel Herzog setzte den rund zweistündigen
Dreiakter trotzdem auf seinen Spielplan. Für diesen Mut gebührt ihm Anerkennung. Und es erscheint kaum nachvollziehbar, warum die Dortmunder Inszenierung von Johannes Schmid so sehr gemieden wird. An ihrer
Modernität liegt es ganz sicher nicht, denn davon kann keine Rede sein.
So ist zum einen Goldschmidts Tonsprache ausgesprochen spätromantisch
und eingängig, zum anderen liefert Johannes Schmid nicht einmal ansatzweise Regietheater, wie es die Traditionalisten so sehr fürchten. Letzteres
ist allerdings schade, weil der biografische Bezug der düsteren, auf realen
Geschehnissen beruhenden Renaissance-Geschichte zu Goldschmidts eigenem Schicksal auf der Hand liegt. Es geht um einen Tyrannenmord an
einem veritablen Monster. Graf Cenci ist ein Sadist, der seinen Machtanspruch in der eigenen Familie brutal durchsetzt. Dabei schreckt er nicht
einmal vor der Vergewaltigung der eigenen Tochter Beatrice zurück. Um
dem Spuk ein Ende zu setzen, heuern Beatrice und ihre Stiefmutter Lucrezia schließlich zwei Auftragskiller an und lassen den Grafen beseitigen. Allerdings gelingt der Plan nicht vollständig. Der Mord fliegt auf, die
Frauen werden dafür von der kirchlichen Justiz hingerichtet. So siegt am
Ende nicht das Gute. Der Widerstand gegen die Tyrannei
mag notwendig gewesen sein, doch er wird drakonisch
bestraft. Goldschmidts Musik zeichnet keine sonderlich
tiefgründigen Psychogramme, doch sie hat durchaus
Ausdruckskraft. Jac van Steen zeichnet am Pult mit kräftigen Farben und Kontrasten. Und das Gesangsensemble, allen voran Christiane Kohl als Beatrice, Katharina
Karsten Mark
Peetz als Lucrezia und Andreas Macco als Graf, bieten
Journalist mit Schwerpunkt (Musik-)Theater differenziert und durchaus intensiv gestaltete Partien.
Ruhrfestspiele zwischen Startheater und mauen Uraufführungen
Beatrice Cenci in Dortmund
„Beatrice Cenci“ I 5.7. 19.30 Uhr
Oper Dortmund I 0231 502 72 22
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opernzeit
musical in NRW
„Hair“ am TiC Wuppertal, Foto: Presse
Mörder Kaspar Brand, Foto: Hans Jörg Michel
Klassiker vs. Neuentdeckung
Mörder Kaspar Brand
Von Rolf-Ruediger Hamacher
Das für seine innovativen Musical-Produktionen bekannte MIR – man
denke nur an die großartige, von Regisseur Peter Hailer in die 60er Jahre
verlegte „My Fair Lady“-Inszenierung – wagt sich diesmal an eine deutsche
Erstaufführung. Das 2000 in London uraufgeführte „Die Hexen von Eastwick“ basiert auf einem Bestseller von
„Die Fahrt ins
John Updike, der 1986 mit Jack NicholOberbergische
lohnt sich“
son, Susan Sarandon, Cher und Michelle
Pfeiffer verfilmt wurde. Während das Libretto von John Dempsey geschickt
Roman-Struktur und Musical-Dramaturgie zu einer Einheit verbindet, offenbaren Dana P. Rowes Kompositionen die Krise des amerikanischen Musicals. Man geht zwar gut unterhalten aus vielen Shows, doch nicht mit
einem einzigen Song auf den Lippen. So bleibt auch von dieser Aufführung
vor allem Gil Mehmerts präzis getimte Inszenierung und das stimmungsvolle Bühnenbild von Heike Meixner, dass Fufu Frauenwahl kongenial mit
computeranimierten Hintergründen ergänzt, im Gedächtnis. Und natürlich
auch die drei Hexen (Jeanette Claßen, Stefanie Dietrich, Anke Sieloff), die
in einem bigotten amerikanischen Provinznest dem Teufel (Kristian Vetter)
verfallen. Er befreit sie von ihren Neurosen, wird aber letztlich selbst Opfer
der von ihm losgetretenen Emanzipation. Das schräge Quartett überzeugt
sowohl stimmlich wie mimisch, was man von der Technik des Hauses nicht
gerade behaupten kann. Wenn man den Ruf als eines der besten deutschen
Musical-Bühnen festigen will, dann sollte die Stadt doch mal in eine adäquate Lautsprecheranlage investieren – und einen Ton-Techniker einstellen, der nicht meint, ein Rock-Konzert abmischen zu müssen, sondern Wert
darauf legt, dass man die (nicht unwichtigen) Liedtexte auch versteht.
Kein Problem mit der Akustik hat man im kleinen, aber feinen Wuppertaler
TiC-Theater, wo der Musikalische Leiter Stefan Hüfner seine auf Band aufgenommenen Arrangements präzise den Sangeskünsten der (Laien-)Schauspieler angepasst hat. Einer, der hier seine ersten Bühnen-Erfahrungen gesammelt
hat und mittlerweile zu Deutschlands Musical-Stars gehört, ist zum zweiten
Mal als Regisseur zurückgekehrt. Nach „Der kleine Horrorladen“ hat Patrick
Stanke nun das Hippie-Flower-Power-Musical „Hair“ inszeniert. Würde das
legendäre Rock-Musical, das 1967 am Off-Broadway aus der Taufe gehoben wurde, den Erinnerungen standhalten, die man mit dieser revolutionären
Zeit verbindet? Oder ist der einstige Publikums-Schocker heute nur noch ein
nostalgisches Epochen-Souvenir? Um es vorwegzunehmen: Dem TiC gelang
es, eine Produktion auf die Beine zu stellen, die die Fahrt ins Oberbergische
lohnt. Vor allem weil Stanke es verstanden hat, die Energie
des auf über 20 Personen ausgelegten Stückes auf sein auf
neun Personen eingedampftes Ensemble zu übertragen.
Den schauspielerisch wie gesanglich weitgehend überzeugenden Darstellern gelingt dabei der Spagat zwischen Unterhaltung und Gesellschaftskritik, wenn auch die Charakterisierung der Figuren bisweilen ein wenig flach ausfällt.
R.-Ruediger Hamacher Dafür reißt einen auch heute noch die kraftvolle Partitur
Hochschuldozent und
von Galt MacDermot mit ihren Ohrwürmern (u.a. „Good
Vorstand des FilmkritiMorning Starshine“, „Let the Sunshine in“ ) von den Sitzen.
kerverbandes
Ein Mann begeht einen Mord, der ihn in seinen Phantasien verfolgt. Er
meint, seinen Konkurrenten getötet zu haben, doch später muss er feststellen, dass er in seinem Wahn, verblendet von Eifersucht und Neid, seine
Frau und sein Kind getötet hat. Die Geschichte geht zurück auf die kurze
Erzählung „Das Fass von Amontillado“ aus dem Jahr 1846 von Edgar Allan
Poe, dem Meister des Abgründigen der menschlichen Psyche. Auch hier
geht es um einen Mord, den perfekten Mord, strategisch genau geplant.
Ein in seiner Ehre gekränkter Mann, den Grund hierfür erfährt der Leser
nicht, lockt seinen Widersacher in die Tiefen eines Weinkellers, macht ihn
betrunken und mauert ihn bei lebendigem Leib ein. Der strategisch planende Täter verliert die Kontrolle über sich, in dem Moment, als er die
Schreie seines Opfers mit seinen eigenen Schreien überbieten will. Er ist
ein Getriebener und somit auch Opfer seiner eigenen Tat.
Musicals um Hippie-Nostalgie und Hexerei
Uraufführung an der Deutschen Oper am Rhein
Komponist und Librettist haben dies zum Ausgangspunkt genommen und
eine Geschichte darum gebaut, die einerseits die Motive für die Tat erklärt,
die bei Poe offen bleiben (zwei konkurrierende Restaurantbesitzer buhlen
um dieselbe Frau), und andererseits mittels Rückblenden und Halluzinationen die traumatische Wirkung auf den Mörder aufzeigt, der am Schluss
erkennen muss, die Falschen umgebracht zu haben. Anno Schreier, Jahrgang 1979, stieß zum ersten Mal vor gut elf Jahren auf Poes Erzählung
und fand dort wieder, was für seine Opernästhetik zentral ist: Menschen,
die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden, wie auch in
seiner im November mit großem Erfolg in Zürich uraufgeführten Oper „Die
Stadt der Blinden“ nach dem Roman von José Saramago (Libretto: Kerstin
Maria Pöhler), in der es um die entfesselte Gewalt in der Gesellschaft nach
einer Katastrophe geht.
Das Geschehen in „Mörder Kaspar Brand“ spielt sich im Kopf des Protagonisten ab, die anderen Figuren sind Spiegel seiner inneren Vorgänge. Die
Orchestersprache des Kammerorchesters zeichnet in differenzierten Klangfarben die Facetten des psychischen Erlebens der Hauptfigur nach, von
düsteren und verstörenden Klängen bis hin zur Unterhaltungsmusik in den
Restaurantszenen. Das große Vorbild Alban Berg ist immer wieder durchzuhören. Musikalisch wiederkehrende Motive charakterisieren die Figuren,
wobei der Lebensnerv von Schreiers Musik in den expressiven Gesangslinien
liegt und den Zuhörer dann am meisten berührt, wenn sie ihn am Erleben
und an der Tiefe der Hauptfigur teilhaben lässt. Mit der Kammeroper „Mörder Kaspar Brand“ in der alternativen Spielstätte Central am Hauptbahnhof
initiiert die Deutsche Oper am Rhein eine Uraufführungsreihe. Man darf
hoffen, dass man in Zukunft mit Uraufführungen auch den Sprung auf die
Hauptbühne in der Heinrich Heine Allee wagt.
KERSTIN MARIA PÖHLER
Mörder Kaspar Brand“ I 29.6./1.7.
„Central“ in der alten Paketpost, Düsseldorf
„Die Hexen von Eastwick“ I MiR GE I www.musiktheater-im-revier.de
„Hair“ I TiC Wuppertal I www.tic-theater.de
13
bühne
33 Filmabende unterm Sternenzelt stehen ab dem 7. Juli an der Gathe bevor
Vorhang auf für cineastische Sternstunden
Das Talflimmern ist nicht bloß eine Kinoreihe
Unprosaisch gesprochen gehört das Talflimmern zu Wuppertal wie Engelshaus und Schwebebahn. Ungefähr parallel zum Beginn des kalendarischen
Sommers startet das von Mark Rieder und Mark Tykwer organisierte Filmereignis an der Alten Feuerwache, inzwischen zum 15. Male (inklusive der
ersten vier Jahre am Viehhof). „Bewährt hat sich das fantastische Team
– und das programmatische Konzept: wenig Mainstream, viel europäisches
Kino, engagierte Filmkunst, Mut zum Risiko“, beantwortet Mark Tykwer die
Frage nach dem Konzept. Was er so unaufgeregt umschreibt, gefällt nicht
nur dem Publikum – egal, wie schlecht das Wetter im regenfreudigen Tal
auch ist, die Filme finden grundsätzlich ihre Zuschauer. Das Talflimmern
ist tatsächlich ausgezeichnet. „Keine Ahnung, wie viele Auszeichnungen
das mittlerweile sind, aber die Prämien waren immer ein Segen für die
technische Substanz. Zuletzt haben wir in den Ton investiert. Der ist im
zerklüfteten Innenhof der Alten Feuerwache ein Dauerthema.“
Ziemlich beste Aussichten
„Das Programm lässt keine Wünsche offen, wir haben alles realisiert“, umreißen die Kinomänner die reiche Saison. 31 Filme werden in der regulären
Staffel gezeigt. Neu ist der permanent bespielte Mittwoch, in der Kernphase ist Talflimmern fortan wöchentlich an fünf Tagen präsent. Den Auftakt
macht Michel
Hazanavicius’ Oscar-Gewinner „The Artist“ (7.7.). „‚The Artist’“ ist eine Art
Herzstillstandsveranstaltung für Cineasten. Er beschwört die Magie des
Bewegtbilds und schafft die perfekte Illusion, ohne dabei in kopflose Nostalgie zu verfallen. Klug auch, einen Film über den Umbruch vom Stummzum Tonfilm mitten in die Digitalisierungsphase des zeitgenössischen Kinos
zu platzieren“, so beschreibt Mark Tykwer die Besonderheiten des Openers.
Als weitere Glanzlichter sind schon jetzt drei Abende herauszupicken: In
einer Preview läuft vier Tage vor dem Bundesstart Julie Delpys „Familientreffen mit Hindernissen“. Mit „Ein Sommer in Haifa“ wagen sich die
Flimmer-Chefs gemeinsam mit dem „Freundeskreis Beer Sheva" erstmals
an eine hebräische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Und am 15.
August wird Filmemacher und Journalist Jörg Buschka sein Projekt „Buschka entdeckt Deutschland“ persönlich dem Publikum vorstellen.
Unveränderte Kartenpreise
Auch das ist typisch Talflimmern, zur Filmvorführung gehört auch immer
die Einbindung verschiedener Kulturschaffender vor Ort. Gemeinsam mit
der Wuppertaler Ortsgruppe von Amnesty International wird am 24. August
Luc Bessons Biopic über die birmenische Oppositionspolitikerin Aung San
Suu Kyi gezeigt, die dem Film den Titel „The Lady“ gibt. So viel steht fest:
Talflimmern ist vital – und definitiv „Kein Ort für Nazis“. Am 29. August
gibt es in Zusammenarbeit mit einer antifaschistischen Initiative David
Wnendts „Kriegerin“ zu sehen. Der lokale Bezug wird durch Kooperationen
verstärkt, die Live-Darbietungen des Saxophon-Quartetts Unisono und von
Sascha Gutzeit (der den Score zu „Buschka entdeckt Deutschland“ beisteuerte) sowie die „Wortwache" zum Ende der Saison.
Nach wie vor gibt es kein Abo. „Den seit zehn Jahren unveränderten Eintrittspreis von sechs Euro zu rabattieren, wäre einigermaßen ruinös. Außerdem zahlen Besitzer von Abo-Karten der WSW-Verkehrsbetriebe ohnehin
nur fünf Euro“, beantwortet Mark Tykwer die Frage nach den Eintrittspreisen.
Bleibt noch die Frage nach dem Komfort. Ganz ohne Schnickschnack
managt Lutz Griebel, Buddy und Stammgast, die Gastronomie („das Bier
kommt aus der Flasche, aber dafür schnell.“) Und wie in allen Vorgängerjahren bewährt es sich, gegen Wind und Wetter gewappnet gekleidet zu
sein. Talflimmern versteht sich nicht als Festival, sondern dachloses Sommerkino. Also erhöhen mitgebrachte Decken und Kissen den Genuss des
jeweiligen Filmabends unbedingt.
VALESKA VON DOLEGA
Talflimmern I 7.7.-31.8. I Abendkasse ab 20 Uhr I 0202 40 86 99 00
www.talflimmern.de
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film des monats
Dahinter lauern Abgründe: Izumi (Megumi Kagurazaka) dient ihrem Ehemann
Vitale Vielheit
„Guilty of Romance“ von Sion Sono
Izumi ist eine brave Hausfrau, die ihrem pedantischen Mann, einem erfolgreichen
Schriftsteller, im Haushalt sklavisch zur Seite steht. Als sie in einem Job Erfüllung sucht,
entdeckt sie ungeahnte Seiten an sich.
C Explosiver Genremix
Die Polizistin Kazuko wird an einen Tatort gerufen: Sie muss einen bestialischen Mord aufklären. Rückblende: Izumi wirkt auf den ersten Blick wie eine
schüchterne Hausangestellte: Morgens stehen die Hausschuhe für den erfolgreichen Schriftsteller an ihrem Platz, abends werden sie zentimetergenau
umgedreht, so dass der Herr direkt hinein schlüpfen kann. „Gut positioniert“,
lobt er, und sie freut sich über seine Worte. Doch Izumi ist kein Dienstmädchen, der Schriftsteller ist ihr Mann. Wenn er außer Haus ist, langweilt sie
sich in ihrem goldenen Käfig. Eines Tages entschließt sie sich, einen Job als
Verkäuferin in einem Supermarkt anzunehmen. Doch das laute, selbstbewusste Anpreisen der Waren fällt der zurückhaltenden Izumi schwer. Als sie
von einer Kundin zu einem Fotoshooting überredet wird, ist sie zunächst
zögerlich. Und als sich dieses Shooting schon bald als Pornodreh herausstellt, schreckt sie verängstigt zurück. Aber sie spürt auch etwas Befreiendes
an ihrer neuen Tätigkeit. Sie wird offensiver, auch auf der Straße. Dort macht
sie Bekanntschaft mit einem jungen Kerl, der sich bald als Zuhälter herausstellt. Über ihn trifft sie auf die etwas ältere Mitsuko. Sie ist Dozentin an der
Universität, doch nachts gibt sie sich der Prostitution hin. Durch sie lässt
sich Izumi immer weiter auf sexuelle Abenteuer ein, wird immer selbstbewusster und auch selbstbestimmter. Doch die Verwicklungen hinter all den
Ereignissen übersteigen ihre Vorstellungskraft bei weitem.
Ausbrüche
„Guilty of Romance“ – das sei an dieser Stelle ganz klar gesagt – geizt nicht
mit der Darstellung von Sex und Gewalt. Aber Sion Sono versteht sich als
feministischer Filmemacher. Das sollte man wissen, bevor man hinter all
dem gewöhnliche Männerphantasien vermutet. Dass kann man dann natürlich immer noch argwöhnen, nur wird es der Komplexität von Sonos Filmen nicht gerecht. Hier sind es drei Frauen, deren Wege sich verschlungen
kreuzen und die sie auf eine emotionale Achterbahn führen. Inhaltlich
dockt der an das in Japan verbreitete Thema der Sublimierung gesellschaftlicher Zwänge durch Grenzüberschreitung an: Die japanische Kultur ist
gekennzeichnet von sexuellen und aggressiven Ausbrüchen, vor allem im
Manga und Film. Zwar gibt es das Thema auch in der westlichen Popkultur
– Filme wie „Belle de Jour“ von Luis Buñuel sind thematisch durchaus mit
„Guilty of Romance“ vergleichbar. Das Pink Eiga-Genre – so werden die
kunstvollen Erotikfilme im japanischen Kino genannt – hat jedoch einen
15
festen Platz in der Filmproduktion des Landes, der nicht vergleichbar ist mit
dem Schmuddelimage pornografischer Filme in der westlichen Welt. Auch
Manga mit explizit erotischen und sexuellen Themen sind allgegenwärtig
in Japan. Davon ist auch Sion Sono geprägt, und nicht nur er. Die Beschäftigung des Autorenfilms mit prononciert sexuellen Themen hat eine Tradition. Filme wie Susumu Hanis „Das Mädchen Nanami“ von 1968 und „Im
Reich der Sinne“ von Nagisa Ôshima von 1975 haben diesbezüglich frühe
Akzente gesetzt. Doch während diese Filme auf allen Ebenen homogen erzählen, zersplittern die Filme von Sion Sono regelrecht. Die drei parallelen
Handlungsstränge in „Guilty of Romance“, die von Restriktion und Befreiung erzählen, treffen sich immer wieder, driften wieder auseinander und
kollabieren schließlich in einem großen finalen Knall.
Überschreitungen
Die visuellen Stilmittel stehen der Story an Komplexität in nichts nach. Sono
scheucht seine Geschichte durch eine entfesselte Ästhetik, die Romantik,
Grauen, Absurdität und Komik in einem wilden Reigen verbindet. Ganz ruhige, sehr geradlinig aufgebaute Szenen haben dort genauso Platz wie wildes,
mit nervöser Handkamera gefilmtes Chaos. All das wechselt ebenso schnell
und munter wie der erzählerische Tonfall und die Gemütszustände der
Figuren. Wie im Manga führen die emotionalen Zustände der Figuren zum
permanenten Stilwechsel zwischen realistischer und expressiver Darstellung. Die klassische Idee der Einheit des Werkes – Sono interessiert das
nicht. Er produziert stattdessen eine vitale Vielheit. Diese Vitalität auf allen
Ebenen macht Sonos Kino zu einem Kino der Affekte. Neben seinen gleichaltrigen Landsmännern Takashi Miike und Shinja Tsukamoto zählt Sion
sicher zu den unkonventionellsten Regisseuren – nicht nur Japans. Die drei
Genannten widersetzen sich jeglichen Versuchen der Einordnung. Und
Sono macht es einem mit seinen überlangen, affektreichen Dramen am
schwersten. Während seine beiden Kollegen zumindest innerhalb der Filme
– wenn auch nicht im Gesamtwerk – eine gewisse Homogenität anstreben,
sind Sonos Filme vielteilige Puzzles: Das gilt für die Story, das gilt für die
Bildästhetik und das gilt mitunter auch für die Psyche und die Körper der
Protagonisten. Der letzte Dialog des Films – „Wo bist Du?“ / „Ich weiß nicht“
– steht exemplarisch für den Geisteszustand der Filmfiguren. Er spricht
nach zweieinhalb Stunden verwirrender Extremzustände aber sicher auch
vielen Zuschauern aus dem Herzen.
CHRISTIAN MEYER
GUILTY OF ROMANCE
J 2011 - Drama - Regie: Sion Sono - Kamera: Sohei Tanikawa - mit: Miki Mizuno,
Makoto Togashi, Megumi Kagurazaka - Verleih: Rapid Eye Movies
Start: 19.7.
hintergrund
Lars, Philip und Jozef wollen meer
Abenteuer Leben
„Hasta la vista” von Geoffrey Enthoven
Drei körperlich behinderte Freunde planen eine Reise nach Spanien zu einem speziellen
Bordell. Nachdem sich der Gesundheitszustand von einem verschlechtert, sind die Eltern
gegen die Reise. Aber die Drei machen sich heimlich auf den Weg.
C Sympathische Außenseiterstory
Schon seit Jahrzehnten ist es eine fast unumstößliche Genreformel, dass in
Teenagerfilmen auf mehr oder weniger eindeutige Art der Verlust von Jungfräulichkeit zelebriert wird. Teenagerreihen wie die „Eis am Stiel“-Filme,
George Lucas’ „American Graffiti“, die jüngst wieder belebte „American Pie“Serie oder jede x-beliebige Mainstream-Hollywoodkomödie blasen hierbei
ins gleiche Horn. Wenn dann „Hasta la Vista“ mit Einstellungen auf tief
geschnittene Dekolletés und die jugendliche Sehnsucht nach dem „Ersten
Mal“ beginnt, vermutet man schon ein ähnlich plumpes Konzept, das nur
mit Hilfe eines ungewöhnlichen Rahmens transportiert werden soll. Denn
die jugendlichen Helden des belgischen Arthouse-Hits sind allesamt körperlich behindert, und deswegen auch mit jenseits der 20 nach wie vor jungmännlich. Doch schon nach wenigen Minuten wird klar, dass Geoffrey
Enthoven tiefer gräbt und ihn die ungewöhnlichen Charaktere, denen er hier
eine Plattform bietet, tatsächlich interessieren.
Lars (Sonnyboy Gilles de Schryver, bekannt aus „Ben X“) leidet unter einem
unheilbaren und rasant voranschreitenden Tumor, der ihn zunehmend lähmt.
Auch Philip (sehr authentisch: Robrecht Vanden Thoren) ist vom Hals ab gelähmt und muss sich diverser Hilfsmittel bedienen, um im Leben zurechtzukommen. Der dritte im Bunde ist Jozef (gleichfalls überzeugend: Tom Audenaert),
der sich zwar bewegen kann, aber fast blind ist. Wenn sich drei dermaßen
gehandicapte Personen gemeinsam auf eine große Reise begeben, bleiben die
elterlichen Bedenken natürlich nicht aus. Mit der resoluten Betreuerin Claude
(sympathisch: Isabelle de Hertogh) begibt sich die illustre Gruppe dennoch auf
Achse, muss anfängliche Differenzen und Schwierigkeiten überwinden und
wird im Laufe der Fahrt nur noch enger aneinander geschweißt. Dass diese
Handlungsentwicklung im Rahmen des Road-Movie-Genres ein alter Hut ist,
macht das Gesamtergebnis nicht minder liebenswert. Von einigen allzu plakativen Zuspitzungen gegen Ende abgesehen, ist es Regisseur Geoffrey Enthoven
und dem Drehbuchautoren Pierre De Clercq nämlich sehr überzeugend gelungen, die besonderen Befindlichkeiten der Hauptfiguren glaubwürdig und ohne
Sentimentalitäten in Szene zu setzen. Auch dem Umfeld der Jugendlichen
wird man dabei mit einem authentischen Blick auf das Wesentliche gerecht.
Es mag vielleicht etwas verwundern, dass man für die Hauptrollen keine tatsächlich behinderten Schauspieler gecastet hat. Vielleicht ist dadurch eine
etwas zu gefällige Annäherung an ein, nach wie vor, mit Tabus behaftetes
Thema entstanden. Nichtsdestotrotz kann „Hasta la vista“ am Ende mit sensiblen Ideen und einer ansprechenden Umsetzung überzeugen und dürfte
auch hierzulande das Publikum gewinnen.
FRANK BRENNER
HASTA LA VISTA
Valladolid 2011: Goldene Ähre Bester Film
B 2011 - Komödie / Tragikomödie - Regie: Geoffrey Enthoven - Kamera: Gerd Schelfhout mit: Robrecht Vanden Thoren, Gilles De Schryver, Tom Audenaert - Verleih: Ascot Elite
Start: 12.7.
engels verlost 3x2 Karten.
E-Mail bis 16.7. an [email protected], Kennwort: „Hasta la vista“
HASTA LA VISTA – Am Rande
Gibt es
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so etwas
etwas wie
wie das
das Anrecht
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„For
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Alle Filme, alle Kinos, alle Filmkritiken, alle Termine in Wuppertal
neue filme
São Paulo
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Entdeckt an sich ein neues Talent: Rebecca Hall als Beth
Beschwingt beschwipst
„Lady Vegas“ von Stephen Frears
Eine lebensfrohe Stripperin zieht nach Las Vegas und entdeckt im Sportwetten-Geschäft
ihr unvermutetes Talent.
C Feel-Good-Movie
Der englische Filmemacher Stephen Frears hat seit seinem ersten Kinoerfolg
von 1985, „Mein wunderbarer Waschsalon“, bis hin zu „The Queen“ thematisch immer die Nähe zu seiner Heimat gesucht, wenn es um gesellschaftskritische Stoffe ging. Auch Frankreich bot da gelegentlich Futter („Gefährliche Liebschaften“, „Chéri“).
Frears Erfolg führte ihn Anfang der 90er Jahre natürlich auch in die USA, wo
er Stoffe suchte und fand („Grifters“, „Ein ganz normaler Held“), die auch das
amerikanische Publikum beseelt berieselten.
Sein letzter amerikanischer Ausflug, „High Fidelity“, liegt zwölf Jahre zurück
und beruht auf der literarischen Vorlage von Nick Hornby, die eigentlich in
London angesiedelt ist, aber für die Verfilmung nach Chicago verlegt wurde.
Jetzt reist Frears wieder in die Vereinigten Staaten und bringt eine vergleichbar seichte, aber beschwingt leichthändig inszenierte Komödie mit, in der
sich so einige etablierte US-Stars (Bruce Willis, Catherine Zeta-Jones, Vince
Vaughn) die Hand reichen. Thema: Sportwetten. Das hätte man auch in
England ansiedeln können. Aber dort scheint keine Sonne, und davon gibt es
in „Lady Vegas“ reichlich. Und abgesehen davon will „Lady Vegas“ schlicht
und einfach in vielfacher Hinsicht ein Stück harmloses, amerikanisches Kino
sein.
Im Mittelpunkt der turbulenten Kurzweil steht Beth (Rebecca Hall, „Frost/
Nixon“, „The Town“), die sich in Florida mit privaten Stripshows über Wasser
hält, bis ihr die Klientel zu bunt wird und sie beschließt, in Las Vegas als
Bedienung in einer Coctailbar ihr Glück zu versuchen. Über Umwege landet
das naive Sonnenkind schließlich bei Dink (Willis), der sein Geld mit Sportwetten verdient. Und siehe da: Das vermeintliche Dummchen entpuppt sich
als Zahlenakrobatin und bringt dem Unternehmen Glück. Dink ist schon bald
auch privat zunehmend fasziniert von Beth, die schon längst ein Auge auf
ihn wirft. Das wiederum passt Dinks eifersüchtiger Ehefrau Tulip (ZetaJones) nicht. Und die Konkurrenz im fernen New York (Vaughn) schläft derweil auch nicht. Konflikte an allen Fronten sind vorprogrammiert.
Sportwetten sind hierzulande nicht sonderlich populär, zumindest ist der
Status nicht vergleichbar mit dem in den USA, und das gilt ebenso für das
entsprechende Filmgenre.
Darüber hinaus begibt sich Indie-Filmer Frears auf ungewohntes Terrain.
„Lady Vegas“ wird nicht als Satire durchgehen, sondern eher als schlichter
Ulk: Frears öffnet sich hiermit dem breiten Mainstream. Aber das heißt ja
nicht zwingend Schlechtes. Sein Film wandelt in Sachen Tempo, Leichtigkeit,
beschwingter Sommerlichkeit und beschwipsten Starkino in den Schuhen
von Steven Soderberghs „Ocean’s Eleven“-Reihe. Alle Figuren sind dabei sympathisch bemackt. „Lady Vegas“ ist nicht zu vergleichen mit Frears‘ bisherigem Filmschaffen, für sich genommen aber durchaus solide Unterhaltung.
CARLA SCHMIDT
LADY VEGAS
USA/GB 2012 - Drama / Komödie - Regie: Stephen Frears - Kamera: Michael McDonough mit: Bruce Willis, Rebecca Hall, Catherine Zeta-Jones - Verleih: Wild Bunch
Start: 19.7.
Mit Filmtrailer, Hintergrund, Interview, Portrait ...
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neue filme
Rentner Tiedgen (Otto Sander) hat es faustdick hinter den Ohren
Die Freunde Simon und Isak mit Isaks Vater (Jan Josef Liefers)
Auf die alten Tage
Jugend im Krieg
„Bis zum Horizont, dann links!“ von Bernd Böhlich
„Simon“ von Lisa Ohlin
Ein Seniorenheimausflug mit dem Flugzeug nimmt eine unerwartete Wendung: Rentner
Tiedgen entführt die Maschine.
C Gewitzte Seniorenkomödie
Der schwedische Bauernsohn Simon freundet sich während des 2. Weltkriegs mit dem
Sohn eines wohlhabenden jüdischen Buchhändlers an.
C Epische Familiengeschichte
Die Filme des Dresdner Regisseurs Bernd Böhlich („Du bist nicht allein“, „Der
Mond und andere Liebhaber“) zeichnen sich durch bodenständige Figuren aus
dem Kleine-Leute-Milieu aus, die beim Publikum auf viel Sympathie stoßen.
So auch bei Böhlichs drittem Kinofilm, bei dem es wieder um alltägliche Probleme und die Sehnsucht jedes Einzelnen nach Freiheit geht. Auf komödiantische Weise werden hier gesellschaftlich relevante Fragestellungen um Überalterung, Entmündigung und Entwürdigung im Alter angesprochen. In der
ersten halben Stunde des Films überwiegt noch diese Gesellschaftskritik, danach setzt immer mehr eine witzige Seniorenposse ein, die aufgrund einer
famos aufspielenden Riege aus Ost- und Weststars durchweg kurzweilig ausgefallen ist.
FRANK BRENNER
Hier wird der 2. Weltkrieg mal aus der Sicht der Schweden geschildert, noch
dazu mit einem Fokus auf die jugendlichen Protagonisten. Lisa Ohlin ist ein bis
in die Details stimmiges Zeitgemälde gelungen, das eine menschlich bewegende Familiengeschichte über mehrere Jahrzehnte hinweg ausbreitet. Leider
merkt man dem Film mitunter an, dass er auf einer Romanvorlage basiert und
die Macher sich nicht trauten, die komplexe Handlung etwas beherzter zu
kürzen. So wird vieles nur angerissen und wirkt insgesamt allzu bruchstükkhaft. Trotzdem ist das Ergebnis mitreißend und interessant gestaltet, zumal
hier eine Kriegsgeschichte erzählt wird, die gänzlich ohne Schlachtszenen
auskommt und spannende neue Aspekte bereithält.
FRANK BRENNER
SIMON
BIS ZUM HORIZONT, DANN LINKS!
D 2012 - Komödie - Regie: Bernd Böhlich - Kamera: Florian Foest - mit: Otto Sander,
Angelica Domröse, Ralf Wolter - Verleih: Neue Visionen
Start: 12.7.
Guldbagge Award 2012: Jan Josef Liefers
S/DK/D/N 2011 - Drama - Regie: Lisa Ohlin - Kamera: Dan Laustsen - mit: Bill Skarsgård,
Jonatan S. Wächter, Helen Sjöholm - Verleih: Farbfilm
Start: 28.6.
Ruhe vor dem Sturm: Mingus, Marion und die Kinder
Eric (Robert Pattinson) mit seiner frisch vermählten Ehefrau Elise (Sarah Gadon)
Hysterie
Vom Ende des Kapitalismus
„2 Tage New York“ von Julie Delpy
„Cosmopolis“ von David Cronenberg
Die Französin Marion lebt mit ihrem afroamerikanischen Freund Mingus in New York.
Als Marions Familie zu Besuch kommt, bricht schnell interkulturelles Chaos aus.
C Überdrehtes Sequel zu „2 Tage Paris“
Twilight-Star Robert Pattinson begibt sich in der Adaption von Don DeLillos Kultroman
auf eine gefährliche Odyssee durch ein New York am Rande des Abgrunds.
C Intelligenter Kommentar zur Finanzkrise
Dass Julie Delpy einst mit Filmen von Jean-Luc Godard, Krzysztof Kieslowski
oder Leos Carax bekannt geworden ist, merkt man ihren jüngeren Filmen nicht
mehr an. Hier regiert überbordendes Chaos und wilder Humor. Ihrem Überraschungserfolg „2 Tage Paris“ schickt sie nun fünf Jahre später ein Sequel hinterher, das sich stimmungsvoll dort einreiht: Marion lebt mit ihrem Sohn in New
York, ist aber inzwischen mit Mingus liiert, der eine Tochter hat. Als Marions
Familie aus Frankreich anrückt und sich in ihrer kleinen Wohnung einnistet,
prallen Welten aufeinander. Die Franzosen sind grob und vulgär, die Amerikaner
zugeknöpft und verklemmt. Und zwischendrin die überforderte und angespannte Marion. „2 Tage New York“ ist eine überdrehte Komödie, die munter
mit Klischees spielt. Mit Gastauftritten von Vincent Gallo und Daniel Brühl.
Der 28jährige und vom Leben gelangweilte Multi-Billionär Eric Packer beschließt trotz vehementer Sicherheitswarnungen seiner Bodyguards, sich auf
den Weg ans andere Ende der Stadt zu machen, in den Friseurladen seines
Vertrauens. Doch der Verkehr ist aufgrund eines Präsidentenbesuches, des
Begräbnisses eines Star-Rappers und anarchistischer Ausschreitungen völlig
lahm gelegt. So spielt der Hauptteil der Handlung in einer Stretch-Limo, die
zum Schauplatz von schnellem Sex, Diskussionen über die Finanzkrise und
schließlich Mord und Totschlag wird. Durch die pointierten Dialogsequenzen
gleicht Regisseur Cronenberg die verkopften Momente aus. Ihm gelingt eine
scharfe Karikatur des kollabierenden Wirtschaftssystems.
SILVIA BAHL
CHRISTIAN MEYER
2 TAGE NEW YORK
COSMOPOLIS
F/D/B 2012 - Komödie - Regie: Julie Delpy - Kamera: Lubomir Bakchev mit: Julie Delpy, Chris Rock, Albert Delpy - Verleih: Senator
Start: 5.7.
CDN/F 2012 - Drama / Thriller - Regie: David Cronenberg - Kamera: Peter Suschitzky mit: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon - Verleih: Falcom
Start: 5.7.
engels verlost 2x2 Karten.
E-Mail bis 10.7. an [email protected], Kennwort: „New York“
www.engels-kultur.de/heute-im-kino
engels verlost 3x2 Karten.
E-Mail bis 10.7. an [email protected], Kennwort: „Cosmopolis“
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Alle Filme, alle Kinos, alle Filmkritiken, alle Termine in Wuppertal
Ganz normale Typen in einer ganz normalen Komödie – von wegen ...
Abseitig ausgebremst
„Fast verheiratet“ von Nicholas Stoller
Tom und Violet wollen heiraten. Als Violet ein Jobangebot hat, wollen sie noch etwas
warten. Aber das warten nimmt gar kein Ende mehr.
C Ungewöhnliche Romantic-Comedy
„EIN SCHMUCKSTÜCK
VOLL ZARTEN HUMORS!
ZUM VERLIEBEN!“
20 MINUTES
Jason Segal ist vor allem bekannt aus der tollen HochgeschwindigkeitsSitcom „How I met your mother“. In Sachen Tempo ist „Fast verheiratet“ das
Gegenteil. Segal ist nicht nur neben Emily Blunt Hauptdarsteller, sondern
auch Autor der mit 124 Minuten überlangen Romantic Comedy. Dass Produzent Judd Apatow hier seine Finger im Spiel hat, merkt man hingegen
sofort. Ungewöhnliches Timing, das mal total ausbremst, und dann wieder
grotesk abseitigen oder unangenehm düsteren Humor einstreut, um im
nächsten Augenblick richtig ernst zu werden. Man hat das Gefühl, der Film
ist viel zu lang und kommt überhaupt nicht in die Pötte. Aber wie sollte
man ihm das vorwerfen … genau das ist ja das Thema des Films.
CHRISTIAN MEYER
FAST VERHEIRATET
USA 2012 - Komödie - Regie: Nicholas Stoller - Kamera: Javier Aguirresarobe mit: Jason Segel, Emily Blunt, Rhys Ifans - Verleih: Universal
Start: 12.7.
DER PUBLIKUMSRENNER
AUS BELGIEN VERZÜCKTE BEREITS
Mutter und Tochter Frey halten die Tradition hoch
MILLIONEN
Um die Wurst
„Pommes Essen“ von Tina von Traben
Mutter Freys „Feyner Imbiss“ gegen Onkel Walthers „Pommes-King“-Kette. Schließlich
entscheiden drei pfiffige Gören und natürlich die Currysoße den ungleichen Kampf.
C Wohlfühl-Familienkomödie
Während man sich in unseren Nachbarländern häufig originäre Stoffe ausdenkt, ist der deutsche Kinderfilm immer mehr zur Reproduktion erfolgreicher
Kinderbücher verkommen. Die meisten Ergebnisse – von „Vorstadtkrokodile“
über „Tom Sawyer“ bis zu „Hanni & Nanni“ zeigen wenig geistige oder inszenatorische Anstrengung. Umso erfrischender, dass jetzt ein Film in die Kinos
kommt, der sein junges Publikum ernst nimmt. Auch Dank der von der Regie
großartig geführten Schwestern-Bande mit nachahmenswertem Selbstbewusstsein (Luise und Marlene Risch,Tabea Willemsen) und einer blendend
aufgelegten Thekla Carola Wied möchte man, dass dieses kurzweilige Ruhrpott-Märchen, in dem Smudo von den „Fantastischen Vier“ den bösen Wolf
gibt, nie zu Ende geht.
ROLF–RUEDIGER HAMACHER
PFLÜCKE DAS LEBEN!
POMMES ESSEN
D 2012 - Komödie - Regie: Tina von Traben - Kamera: Ralf M. Mendle - mit: Luise Risch,
Marlene Risch, Tabea Willemsen - Verleih: farbfilm
Start: 12.7.
Mit Filmtrailer, Hintergrund, Interview, Portrait ...
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AB 12. JULI IM KINO
www.HastaLaVista-Film.de
roter teppich
Ein Highschool-Mädchen, das sich in einen Superhelden verliebt: Emma Stone in „The Amazing Spider-Man“
„Spider-Man ist sehr Woody Allen-freundlich“
Emma Stone über „The Amazing Spider-Man“, ihren Ehrgeiz, Schauspielerin zu werden und die Faszination der Sterblichkeit
Mit unglaublichem Ehrgeiz hat die 1988 in
Scottsdale, Arizona, geborene Emma Stone
ihre Karriere vorangetrieben. Nach ersten Rollen in den Kinofilmen „Superbad“ und „House
Bunny“ wurde sie für ihre Rollen in der Komödie „Einfach zu haben“ und in dem Rassismus-Drama „The Help“ mit zahlreichen Preisen
ausgezeichnet, u.a. mit dem Golden Globe und
dem MTV Movie Award. In der Rolle als Peter Parkers Freundin Gwen Stacy ist sie nun
Teil des Reboots der Comicverfilmung um „The
Amazing Spider-Man“, der jetzt in den Kinos
anläuft.
point-Präsentation vorgeführt, um sie davon
zu überzeugen, dass Sie nach Hollywood ziehen
sollen, um Ihnen eine Filmkarriere zu ermöglichen …
Ich habe das damals gemacht, weil ich schon immer ein Händchen für Computer hatte, und weil
das viel schneller ging, als eine Pinnwand zu kaufen und Sachen auszuschneiden (lacht).
Wussten Sie schon immer, dass Sie Schauspielerin werden wollen?
Ich bin nach Los Angeles gezogen, als ich fünfzehn
Jahre alt war, also noch ziemlich jung. Ich hatte das
große Glück, dass meine Eltern großes Verständnis
engels: Miss Stone, was hat Sie an der Figur für meine Entscheidungen hatten, auch als diese
der Gwen Stacy gereizt?
schon recht früh in meinem Leben feststanden. Ich
Emma Stone: Mir gefiel sehr gut, dass sie mit glaube schon, dass es etwas seltsam ist, wenn die
Peter Parker auf Augenhöhe ist.
vierzehnjährige Tochter einen mit
„Diane Keaton
Das war für mich ein wirklich
einer Powerpoint-Präsentation
wichtiges Element. Sie geht sehr
von ihrem Traum von Hollywood
hätte mich bestimmt für
forsch auf ihn zu und wird dann
überzeugen möchte. Aber einige
verrückt gehalten“
natürlich seine erste Vertraute,
Monate später bin ich dann eben
wenn er sich als Spider-Man zu erkennen gibt. tatsächlich mit meinen Eltern dorthin gezogen.
Ihr Vater versucht ja, ihn im wahrsten Sinne des
Wortes umzubringen – was sicherlich viele Tee- Sie wollten also unbedingt Schauspielerin
nagermädchen auf die eine oder andere Weise werden?
erfahren, wenn auch nicht in diesem Ausmaß Ich habe mit dem Theaterspielen in Phoenix, Ari(lacht). Hinzu kommt die Tatsache, dass sie sich zona, begonnen, als ich ungefähr elf war. Ich hatte
für alle und jeden verantwortlich fühlt, sie scheint mich auf Sketchcomedy und Improvisationen spesich jedem verpflichtet zu sehen, einschließlich zialisiert und träumte davon, einmal bei „Saturday
ihrer Eltern. Bei Peter macht sich das bemerk- Night Live“ dabei zu sein. Dann habe ich mir Woobar, indem sie ihn ständig zur Krankenschwester dy Allen- und Hal Ashby-Filme angesehen, und Dischickt. Es gibt also eine ganze Menge Facetten ane Keaton wurde in vielerlei Hinsicht zu meinem
an der Figur, die mir sehr gut gefallen haben.
Idol. Irgendwann habe ich dann einfach die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und auf mein
Gwen ist ein mutiges Mädchen gemessen am Bauchgefühl gehört. Auf diese Weise treffe ich die
Highschool-Standard. Einen Schlägertyp hält meisten wichtigen Entscheidungen in meinem Lesie davon ab, andere zu quälen. Waren Sie auch ben. Ich folge einfach meinem Bauchgefühl. Und
so mutig, als Sie an der Highschool waren?
an jenem Tag habe ich deswegen die PowerpointIch wurde zu Hause unterrichtet. Wenn ich mir Präsentation erstellt.
also ein paar verpasst habe, dann habe ich mich
auch selbst wieder davon abgehalten – so wie in Haben Sie Diane Keaton jemals persönlich ge„Fight Club“ (lacht). Meine Highschool-Erfah- troffen?
rungen waren komplett anders. Die meisten mei- Nein, ich habe sie aus der Ferne in anderen Zimner Freunde waren viel älter als ich, weil ich sie mern sitzen sehen, mich aber nicht getraut, auf sie
in der örtlichen Jugendtheatergruppe kennenge- zuzugehen. Ich fange vor Leuten, die ich wirklich
lernt hatte, bei der ich mitspielte. Ich hatte selten bewundere, immer zu heulen an. Ich wollte wirkErfahrungen mit Gleichaltrigen, das hat sich bis lich nicht vor Diane Keaton das Heulen anfangen,
heute nicht geändert. Die meisten meiner Freunde weil sie mich dann bestimmt für verrückt gehalten
sind ein bisschen älter als ich.
hätte.
Sie haben Ihren Eltern angeblich eine Power- Würden Sie sich wünschen, einmal in einem
20
Woody Allen-Film mitzuspielen?
Pfff … (wildes Augenrollen) Ja, unbedingt! Unheimlich gerne! Jesse Eisenberg hat gerade in
einem Woody Allen-Film mitgespielt („To Rome
With Love“; die Red.), ich kenne Jesse, seit wir
zusammen „Zombieland“ gedreht haben, und Andrew Garfield hat mit ihm „The Social Network“
gedreht. Das ist irgendwie wie eine himmlische
Fügung, Jesse und Woody Allen!
Warum?
Weil sie wie ein und dieselbe Person sind. Beide
sind unglaublich intelligent und die ultimative
Verkörperung New Yorks. Er spielt eine Art jüngeres Alter Ego von Woody in dem Film. Auch
Owen Wilson war ja ein unglaubliches Alter Ego
Woody Allens (in „Midnight in Paris“; die Red.),
was für mich wesentlich überraschender war, weil
ich nicht vermutet hatte, dass er so gut in diese
Rolle passt.
Von Woody Allen zu Spider-Man ist es ein
großer Schritt – warum wollten Sie Teil des
Spider-Man-Franchises werden, und wie kam
das zustande?
Der Schritt ist gar nicht so groß, wie Sie vielleicht
denken würden. Woody Allen ist von der Sterblichkeit besessen, und Gwen Stacys Geschichte
fußt ebenfalls komplett im Tod. Ich selbst denke
auch sehr oft darüber nach. Nicht auf eine morbide Art und Weise, aber ich bin mir der Sterblichkeit
bewusst. Die beiden Themen liegen also gar nicht
so weit auseinander. Die Spider-Man-Saga ist, da
bin ich mir sicher, sehr Woody Allen-freundlich.
Fühlen Sie sich als Frau im Filmgeschäft
gleichberechtigt behandelt?
Ja, die meiste Zeit schon. Ich hatte auch das
Glück, als Komikerin Rollen zu spielen, die auf
angenehme Weise aus dem Raster fallen. Und ich
durfte in sehr gut geschriebenen Rollen spielen,
was für eine Schauspielerin im komischen Fach
äußerst selten ist. Andererseits gibt es natürlich
auch Ungleichheiten. Beispielsweise wurde „The
Help“ dafür gefeiert, ein Film für Frauen zu sein,
und allein das weist ja schon auf eine Ungleichheit
hin. Wieso sollte man das denn extra erwähnen?
INTERVIEW: FRANK BRENNER
Lesen Sie die Langfassung
unter www.engels-kultur.de/roter-teppich
neue filme
Der Lorax (3D)
Ice Age 4 – Voll verschoben
USA 2012 - Trickfilm - Regie: Chris Renaud, Kyle Balda - Verleih: Universal
USA 2012 - Trickfilm / Komödie - Regie: Steve Martino, Michael Thurmeier - Verleih: Fox
Entweder man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, oder man sieht den Wald
nicht, weil er nicht mehr da ist. Letzteres wiederfährt der jungen Ashley, und das
ist schade, denn Ashley liebt Bäume. Gemeinsam mit Waldmeister Lorax begibt
sie sich auf die Suche nach dem letzten Baumsamen. 3D-Musical mit grünem Gewissen. Danny DeVito fungiert auch in der Synchron-Fassung als Sprecher. HE
Während unsereins heutzutage das Eis an den Polen wegtaut, sind Manny, Diego
und Sid von dem kalten Weiß noch immer gut versorgt. Zumindest vorläufig: Die
Freunde treiben auf einem gigantischen Eisberg, der sich gelöst hat. Eine abenteuerliche Kreuzfahrt steht ihnen bevor, auf der sie Piraten begegnen und auf
der natürlich auch Scrat noch ein Wörtchen mitzureden hat.
HE
Start: 19.7.
Start: 2.7.
Luks Glück
The Raid
D 2010 - Komödie / Drama - Regie: Ayse Polat - Verleih: Real Fiction
INO 2011 - Action - Regie: Gareth Evans - Verleih: Koch Media
Eine türkische Familie aus Deutschland gewinnt im Lotto, die unterschiedlichen
Pläne sorgen für Reibereien und Misstrauen. Im Fokus: Junior und Naivling Luk
(René Vaziri). Der Film mit seinen gut aufgelegten Jungdarstellern beginnt charmant, nähert sich aber zunehmend unglaubwürdig seinem tragikomischen Ende
und wirkt als Klamotte, die ein Drama sein will, insgesamt unentschlossen. HE
Glaubt man den Machern des Films, verkörpert Hauptdarsteller Iko Uwais den
neuen Actionstar. Für den Streifen mimt der Indonesier einen verdeckten Ermittler,
der sich in einem Hochhaus mit einem Drogenbaron samt Schergen anlegt.
Kampfkunst trifft auf Actionkino der 80er Jahre: Das Rezept der Zukunft? Mal
sehen, was die „Expendables“ Ende August dagegen zu setzen haben.
HE
Start: 28.6.
Start: 12.7.
Noch tausend Worte
Sleep Tight
USA 2012 - Komödie / Drama - Regie: Brian Robbins - Verleih: Paramount
E 2011 - Thriller / Horror - Regie: Jaume Balagueró - Verleih: Senator
Die Rolle ist Quasselstrippe Eddie Murphy auf den Leib geschrieben: Als
geschwätziger Literaturagent Jack, der seinen Wortschatz gern für dubiose
Geschäftspraktiken missbraucht, verdirbt er es sich eines Tages mit einem
New-Age-Guru – der ihn daraufhin verflucht: Jack darf noch tausend Worte
sagen, dann wird er ins Gras beißen. Familienkomödie.
HE
In jüngster Zeit siedelt sich der spanische Horrorfilm gern in geschlossenen Gemäuern an („[REC]“, „Das Waisenhaus“). In diesem Fall steht ein altwürdiges
Mietshaus im Fokus des Geschehens: Der unglückliche Portier César gönnt anderen ihr Glück nicht und spielt in der Wohnung der hübschen, ahnungslosen Clara
heimlich böses Heinzelmännchen. Gemein gewitzter Grusel.
HE
Start: 21.6.
Start: 5.7.
Copacabana
The Amazing Spider-Man
F 2012 - Komödie / Drama - Regie: Marc Fitoussi - Verleih: Kairos
USA 2012 - Action / Fantasy - Regie: Marc Webb - Verleih: Sony
Ein geordnetes Leben führt sie nicht, aber ein glückliches: Babou (Isabelle
Huppert) ist unbesorgt. Zu unbesorgt, findet ihre Tochter Esméralda (Hupperts
Tochter Lolita Chammah), die ihre eigenwillige Mutter daher von der Hochzeit
auslädt. Daraufhin gelobt diese Besserung. Verschrobene Komödie über eine
Heldin in der Schwebe zwischen Individualität und Angepasstheit.
HE
Andrew Garfield löst Tobey Maguire als Spinnenmann ab, die Zutaten sind
bekannt: Ein Spinnenbiss, der das Leben des Außenseiters Peter Parker für immer
verändert, Tante May (Sally Field) und Onkel Ben (Martin Sheen), die erste Freundin (Emma Stone). Schurke ist diesmal The Lizard (Rhys Ifans). Die Produzenten
versprechen, neue Seiten des Superhelden offenzulegen.
HE
Start: 28.6.
Start: 28.6.
21
21
neue filme
filmwirtschaft
Wenders bei den Dreharbeiten zu „Pina“ Foto: Donata Wenders, © NEUE ROAD MOVIES GmbH
Christina hat mit dem Haus auf Korsika eine Menge Arbeit
Was hält uns hier?
„Das Haus auf Korsika“ von Pierre Duculot
Eine unorthodoxe Erbschaft bietet einer angepassten Frau neue Perspektiven.
C Aussteigerdrama
Die belgische Arbeiterstadt Charleroi: Gemeinsam mit ihrem Freund hat
sich Christina (Christelle Cornil) mit einer heimeligen Existenz arrangiert,
beide wohnen in derselben Wohnung, beide arbeiten in derselben Pizzeria.
Ein geordnetes Leben, angepasst, lustlos. Bis eines Tages Christinas Großmutter stirbt und ihrer Enkelin ein Haus auf Korsika vermacht. Freund und
Familie raten zum Verkauf, Christina aber will vorher einen Blick auf das
alte Gemäuer werfen. Sie reist auf die Insel im Mittelmeer und landet in
einem verschlafenen Nest, in dem sie Bekanntschaften mit Ziegen, Wildschweinen und Einheimischen macht, allen voran einem attraktiven Ziegenhirten. Das Haus indes wirkt weniger einladend, ist renovierbedürftig.
Doch die Menschen und die Idylle verzaubern den Neuankömmling und
verleiten Christina dazu, ihr Leben neu zu überdenken. Zurück in Charleroi
stellt sich ihr die Frage: „Was hält uns hier?“
Und sie hat recht: Auch der Zuschauer dürfte sich in diesem kleinen Aussteigerdrama vom Fernweh der Protagonistin anstecken lassen. Das funktioniert in diesem Fall besonders gut, weil Regisseur Pierre Duculot die Ferne, das Fremde und Neue nüchtern ausstellt, fern jedes Exotismus‘, fern von
Kitsch und Farbfilter. Alles an diesem Film scheint geerdet. Sympathisch
verschroben ist der Blick auf das ländliche Korsika und seine Einwohner, die
bescheiden ihren Traum von Freiheit und Ungebundenheit leben. Christina
ist die Wohlstands-Städterin, in der noch ein Rest Sehnsucht schlummert,
das Erbe der Großmutter ist der notwendige Impuls, ihre Sehnsucht anzustoßen. Hauptdarstellerin Christelle Cornil („Die Kinder von Paris“) verleiht
ihrer Figur sympathische Schlichtheit, eine Figur, die angepasst scheint, es
aber nicht ist, in der Kräfte brodeln, die ihre Nächsten nicht vermutet
haben. Die sich von der zivilisierten Tristesse emanzipiert und sich im neuen Umfeld mit Hartnäckigkeit und Selbstbewusstsein Respekt erarbeitet –
sowohl bei ihren Angehörigen als auch in der schrulligen Gemeinde. Und
die einfach hinreißend ist als Macherin auf dem Mofa.
Träume, innere Stärke, Mut und Kampfeslust, die am Ende andere mitreißen werden. Duculot jongliert mit alltäglichen Sehnsüchten und Rückschlägen, die Inszenierung ist unspektakulär, zurückgenommen, das Tempo
ausgebremst. Als Schauwert genügen ihm seine Figuren und die Naturaufnahmen von der Insel, die überwältigend sind. Der Regisseur zeigt, dass
man manchmal Dinge einfach hinter sich lassen muss, um das kleine Glück
zu finden; dass man an sich selbst denken darf, ohne automatisch Egoist
zu sein, dass der Ausstieg aus dem Wohlstand Aufstieg sein kann und dass
Gemäuer mit Fenstern und Türen mehr sein können als bloße Immobilie. Ein
liebenswert inszeniertes Aussteigerabenteuer – und ein berührendes Familiendrama. Denn mit dem Ausstieg aus der Heimat und der Distanz zur Familie nähert sich die Heldin zugleich ihren Wurzeln.
HARTMUT ERNST
DAS HAUS AUF KORSIKA
Internationales Filmfestival Amiens: Goldenes Einhorn Bester Film
B 2011 - Drama - Regie: Pierre Duculot - Kamera: Hichame Alaouie mit: Christelle Cornil, François Vincentelli, Jean-Jaques Rausin - Verleih: Schwarz-Weiss
Start: 12.7.
Demographie und Pina
GfK-Studie zum Kinobesuchsjahr 2011
Die Gesellschaft für Konsumforschung GfK ist eines der größten Marktforschungsinstitute in Deutschland und befragt regelmäßig Tausende von Bürgern über ihr Verbraucherverhalten. In der jüngst vorgelegten Studie werden im Namen der FFA die 75 erfolgreichsten Filme des Jahres 2011 bzw.
deren Besucher nach allen sinnvollen – und leider manchmal auch weniger
sinnvollen – Regeln der Empirie erfasst. Während beispielsweise Alter, Geschlecht und Bildung nachvollziehbare demographische Merkmale bilden,
führen die Merkmale Haushaltsgröße oder das Haushalts-Nettoeinkommen
zu wenig Erkenntnisfortschritt oder sinnvollen Interpretationen. Unter den
75 Topsellern des Vorjahres waren 16 deutsche und nur ein Dokumentarfilm.
Wim Wenders Dokumentarfilm „Pina“ über das Tanztheater Pina Bausch belegte mit mittlerweile 500.000 Besuchern Platz 73.
Neben dieser Platzierung, die für einen Dokumentarfilm über ein Tanztheater
trotzdem noch erstaunlich hoch ist, hat „Pina“ bei anderen Kriterien eine
zum Teil erstaunliche Spitzenstellung eingenommen. So ist beispielsweise
das Publikum bei „Pina“ mit Abstand am ältesten. Kein anderer Film hat die
Hälfte seines Publikums in der Altersklasse über 60. Insgesamt waren überhaupt nur 8% der Besucher jünger als 30 Jahre. Der Film mit dem zweitältesten Publikum war „Das Schmuckstück“ von François Ozon, gefolgt von „The
King‘s Speech“ und „Almanya“. Logische Folge dieser Altersstruktur ist, dass,
sortiert nach dem Kriterium Berufsgruppe, Rentner mit 50% den höchsten
Besucheranteil realisierten. Befragt nach dem höchsten Berufsabschluss,
hat „Pina“ insgesamt das „gebildetste“ Publikum angesprochen, denn knapp
70% hatten ein Abitur und Studium vorzuweisen, während dies nur für 50%
des gesamten Kinopublikums gilt.
Neben diesen soziodemographischen Faktoren wurden auch kino- und filmspezifische Merkmale abgefragt. Auch hier sind der Wochentag, die Uhrzeit
der Vorstellung, die Frage der Besuchsplanung von untergeordnetem Interesse, aufschlussreicher sind vielmehr das Ausgabeverhalten und die Bewertung der Filme. Eine besondere Position nimmt „Pina“ auch bei der Frage
nach der Anzahl der Begleitpersonen ein. Während durchschnittlich nur 10%
aller Kinobesucher allein ein Kino aufsuchen, erreicht das „Pina“-Publikum
mit 37% Einzelgängern den mit Abstand höchsten Wert. Und noch eine weitere Einzelstellung nimmt „Pina“ im Bereich der Frage ein, wie das Publikum
auf den Film aufmerksam wurde. Während über alle Filme hinweg nur 4%
der Besucher sich durch einen Fernsehbericht inspirieren lassen, sind es bei
„Pina“ 26% gewesen.
Bei der Bewertung des Films haben die Zuschauer von „Pina“ eine Durchschnittsnote von 1,49 vergeben, besser war lediglich „Harry Potter“ mit 1,4.
Der Nebenumsatz ist für Kinobetreiber immer eine wichtige Größe, er lag im
Durchschnitt bei 3,54 pro Kopf. Das „Pina“-Publikum war das mit Abstand
sparsamste, denn hier wurden nur 0,50 pro Besucher für Süßwaren und
ähnliches ausgegeben. Denn 85% der Besucher konsumierten gar nichts, der
Rest teilte sich offenbar ein Mineralwasser.
Zusammenfassend könnte man zu dem Schluss kommen, dass das Publikum
von „Pina“ alt, einsam, schlau und geizig ist. Aber wie sagte schon Goethe:
Durch Zahlenspiel ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften
fehlt.
KIM LUDOLF KOCH
22
wortwahl
comickultur
Namhafte Begleiter
Noir-Krimi in Farbe
Geht's in den Urlaub, vertraut man bei der Lektüre gern auf Altbewährtes. Da
können die Herren Kritiker und Rezensenten ihre literarischen Entdeckungen
noch so anpreisen. Sicher ist sicher. Wer sein Ebook nicht den Erosionskräften
Wind/Wasser/Sonne aussetzen will und/oder lieber auf nach Druckerschwärze
duftende Printerzeugnisse baut, wird einen Teufel tun, die heutigen
Übergewichtszuschläge in Kauf zu nehmen und ein belletristisches Wagnis
eingehen, sondern lieber auf positive Erfahrungen respektive klangvolle Namen
vertrauen (drum an dieser Stelle auch nur Paperbacks). Doch Obacht, bisweilen
erweisen sich selbst diese als Schall und Rauch.
Zumindest bei George Pelecanos' erstem Teil seiner Krimiserie um den
Spürhund Spero Lucas sollte man Vorsicht walten lassen; zumindest Freunde
actiongeladener Crime Stories, die direkt zur Sache kommen. Aber wie gesagt:
Es handelt sich um einen Serienauftakt, und so nimmt sich der Amerikaner
hellenischer Vorfahren in „Ein schmutziges Geschäft“ (rowohlt) viel Zeit,
seine Charaktere liebevoll einzuführen, ehe die eigentliche Geschichte um ein
abhandengekommenes Marihuana-Päckchen, den dazugehörigen einsitzenden
Drogenboss und den mit dem Fund einhergehenden Verwicklungen tatsächlich
ins Rollen kommt. Dass auch Elmore Leonard nicht immer nur Grandioses
„Gegen den Strom“ von Yoshihiro Tatsumi ist eine Inside Story. Der
Mangaka Tatsumi, der mit den „Gekiga“ den Manga mit dramatischen
Themen für Erwachsene geöffnet hat, erzählt, wie er in den 50er Jahren vom
jugendlichen Hobbyzeichner zu einer eigenen Nische auf dem Mangamarkt
fand, die die gesamte Kunstform entscheidend weiterentwickelte. Das über
800 Seiten umfassende Mammutwerk ist zugleich eine Coming of AgeGeschichte und ein Portrait der japanischen Nachkriegsgesellschaft (Carlsen).
Mit „Der Boxer“ widmet sich Reinhard Kleist der tragischen Geschichte von
Hertzko Haft. Als Jugendlicher kommt der polnische Junge Anfang der 40er
Jahre in ein KZ. Dort überlebt er als Showboxer für die Nazis. Als er nach dem
Krieg in Amerika Erfolg als Boxer sucht, tut er dies nur, um seine Jugendliebe
Leah zu finden. Er hofft, dass sie ihn erkennt, wenn über ihn in der Zeitung
berichtet wird. Kleist adaptiert die Aufzeichnungen von Hertzkos Sohn Alan.
Seine groben Schwarzweiß-Zeichnungen fangen das Grauen im KZ gut ein.
Die ambivalente Hauptfigur lässt inhaltliche Schwarzweißmalerei jedoch
nicht zu. Ungewöhnlich ist auch, dass er den Schwerpunkt der Geschichte
zu gleichen Teilen auf die Lager und die Nachkriegszeit legt (Carlsen). „Die
Krankenschwester“ ist der letzte Teil von Jeff Lemires bewegender Essex
fabriziert, musste unsereins mit „Dschibuti“ (s. Wortwahl 02/12) goutieren.
Definitiv brillant auf überraschende Wendungen und kühle Spannungsmomente
hingetrieben, minimalistisch im Duktus ist hingegen „Out of Sight“ (suhrkamp):
die aberwitzige Crime‘n‘Love-Beziehung zwischen der Bankräuberlegende Jack
Foley und dem Deputy US Marshall Karen Sisco, die in ihrem wilden Tanz an
den Paarungsakt zwischen Kater und Katze erinnert, bei dem die Katze dem
Kater nach dem Paarungsakt ordentlich eine verpasst, weil sein Geschlechtsteil
schmerzhafte Widerhaken besitzt, die ihre – pardon – Muschi anregen sollen.
Ganz anders wiederum Bodo Kirchhoff, der mit seinem „Schundroman“ bewiesen
hat, dass er ebenfalls famose Pulpliteratur zu Papier bringen kann, mit „Eros und
Asche“ (dtv) allerdings einer mehr oder minder typischen Männerfreundschaft
ein sensibles Denkmal gesetzt hat – in allen Nähen und Distanzierungen, wie sie
das irdische Schicksal in seiner subjektiven Erfahrung und Auslebung schreibt;
bis hin zum vermeintlich zu frühen Tod, an dem sich die Zwischenmenschlichkeit
wie in einem Prisma bricht. Gnadenlos ehrlich, aufrichtig in all seinen Höhen und
Tiefen und entsprechend 'schlicht und einfach' traurig-schön.
Als vermeintlich grelles Kontrastprogramm sei im Anschluss „Schlechtes Chili“
(DuMont) von Joe R. Landsdale empfohlen, das beileibe nur oberflächlich
als markig-zotige Krimigroteske um einen seit einer Eichhörnchen-Attacke
'tollwütigen' Taugenichts, der seinem schwulen Heavy-Weight-BouncerNigger-Buddy aus der Patsche helfen muss, daherkommt. Krachend schwarzkomischer Splatter, den der Countrypunkoutlaw der US-Literaturszene in seiner
hinterhältig-bärbeißigen Gesellschaftskritik nicht umsonst dem hierzulande
vielleicht sogar bekannteren „Bruder Andrew Vacchs, Krieger“ gewidmet hat, der
als Anwalt wie als Romancier auf beeindruckend empathische Weise seit jeher
gegen psycho-sexuelle Übergriffigkeiten gegenüber Kindern ankämpft.
Nichtsdestotrotz heißt Reisen auch immer Entdecken, weswegen zum krönenden
Abschluss doch noch eine außerordentliche Erstveröffentlichung erwähnt
sei – von keinem Geringeren als Singer/Songwriter/Producer Ry Cooder, der
nicht nur den Stones die Slide-Guitar beigebracht, sondern auch den Buena
Vista Social Club produziert und Wim Wenders' „Paris, Texas“ unvergessliche
Atmo eingehaucht hat. Mit beeindruckender Sensibilität, Achtsamkeit und
Ausdrucksstärke hat der nunmehr 65Jährige „In den Straßen von Los Angeles“
(Tiamat) ein kleines Prosaskizzenkompendium zusammengetragen, dessen
Eröffnung bereits als metaphorischer Reisewegweiser taugt: „Ich bin nur einer
von vielen. Unsere Aufgabe ist es, rauszugehen und die Fakten einzusammeln.“
LARS ALBAT
County-Trilogie, dessen schlichte, kantige Zeichnungen einen falschen
Eindruck vermitteln könnten. Mit dem ersten Band hatte Lemire die
Freundschaft eines Waisenjungen mit einem schrulligen Tankstellenwärter
skizziert, während der zweite Band einen Ausflug in die Vergangenheit
machte. „Die Krankenschwester“ ist nun sowohl in der Gegenwart als auch
in der ferneren Vergangenheit angesiedelt, und am Ende schließen sich alle
Kreise dieses ruhigen, melancholischen und tief bewegenden Portraits eines
einsamen Landstrichs und seiner Bewohner (Edition 52). Stéphane Heuet
verlässt mit dem zweibändigen „Eine Liebe Swanns“ erstmals den jungen
Protagonisten seiner Proust-Adaption, der hier nur noch als Ich-Erzähler
der Liebesabenteuer des Schwerenöters Swann auftritt. Heuets im Stile von
Hergé angelegte Reihe ist nach wie vor ein beeindruckendes Unterfangen
(Knesebeck). Nach „Shutter Island“ und „Swinging London“ adaptiert
Christian De Metter den Mafia-Klassiker „Scarface“ von Armitage Trail,
dessen viel bekanntere Verfilmungen an einigen Stellen entscheidend in
der Handlung abweichen. De Metter hält sich an das Original und erzählt
trocken und ökonomisch. Die Bilder erinnern hingegen wieder einmal eher
an Ölgemälde. Ein guter Noir-Krimi in gedeckten Farben (schreiber & leser).
„Grandville“ von Bryan Talbot ist ein düsterer Steampunk-Krimi. Frankreich
beherrscht Europa, Brittania hat sich eine geduldete Autonomie erkämpft.
Doch Terroristen bedrohen das labile System. Kommissar LeBrock muss einen
Diplomatenmord aufdecken und stößt bald auf eine große Verschwörung. Die
Tierfiguren sind schnell vergessen in dieser spannenden wie fantasiereichen
Geschichte. Nur die Zeichnungen sind ein wenig zu deutlich am Computer
entstanden (schreiber & leser). Lewis Trondheim hat mit „Ralph Azham“
eine neue Fantasy-Serie gestartet. Zunächst fragt man sich, warum er sie
nicht einfach an sein auf 300 Bände angelegtes, mit Ko-Autor Joann Sfar
und einer Heerschar von Zeichnern konzipiertes Donjon-Opus andockt – so
ähnlich erscheinen die beiden bislang erschienen „Azham“-Bände schon. Aber
dann groovt man sich schnell ein, und es wird klar, warum dies eine eigene
Welt sein muss: Hier macht Trondheim wieder alles selber – lediglich die
Kolorierung hat er abgegeben (Reprodukt).
23
CHRISTIAN MEYER
textwelten
poetry
E-Book-Reader, Foto: Hannah Linden
Pfützen sind die Babys von Wolken und Schlaglöchern
Glücklich mit Huckepack
Die Kindheit ist kompostierbar
Werden wir bald kein Leinen mehr unter den Fingern spüren, werden wir
nicht mehr das Geräusch eines gewendeten Blattes hören? Gibt es bald
keine Bücher mehr zum Anfassen, keinen Textkorpus, den wir in der Hand
wiegen? Liegt stattdessen ein Lesegerät vor uns, ein Tablet-Computer, ein
E-Book? Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vermeldet nach
sieben Wachstumsjahren ein Umsatzminus von 1,4 Prozent im Geschäft
mit dem gedruckten Buch. Gleich einer Fanfare folgt die Meldung: „EBook-Geschäft verdoppelt sich / Perspektive für 2015: Neues Medium ist
Hoffnungsträger der Verlage“.
Seit Jahren pusht der Börsenverein das E-Book-Geschäft, drängelt bei
jeder sich bietenden Gelegenheit Verlage und Buchhändler zum Einsatz
des elektronischen Buches. Auf der Frankfurter Buchmesse baut Florian
Langenscheidt ein Tadj Mahal für das E-Book. Immer nach dem Motto:
Wer das E-Book verpasst, kann seine Zukunft in den Mond schreiben. Klar,
der Börsenverein mischt selbst im E-Book-Geschäft mit. Aber nicht nur
deshalb folgen auf die Nachricht von der Verdopplung des Umsatzes mit
dem E-Book die eher kleinlauten Hinweise, dass der Umsatz von E-Books
im letzten Jahr nur einen Anteil von einem Prozent am Gesamtumsatz
ausmachte. Der Umsatzanteil des E-Books in den Buchhandlungen sank
sogar gegenüber dem Vorjahr.
Der Haken beim Geschäft mit den digitalen Texten ist „weiterhin die geringe Nachfrage“, wie der Börsenverein und das GfK Panel Service Deutschland in ihrer gemeinsamen Studie feststellen. Es ist also nicht wirklich ein
Geschäft, sondern nur die Hoffnung darauf. Die deutschen Leser sehen offenbar nicht so recht ein, warum sie das gedruckte Buch aufgeben sollten,
und möglicherweise muss der Weg zum E-Book ja zunächst über die Faszination des gedruckten Buches gehen. Erst der geübte Leser, der Vielleser,
entdeckt Chancen des E-Books für sich, wie die Tatsache, dass man in die
Ferien nicht einen Koffer Papier schleppen muss, wenn man stattdessen
zu Hause noch drei Dutzend E-Books auf sein Lesegerät gespeichert hat.
Die sind übrigens gar nicht so billig, wie man immer annimmt. Die 13 Euro,
die ein E-Book im Vergleich zu den 20 Euro eines gebundenen Buches
kostet, bieten halt bloß einen virtuellen Text. Das ist etwas für HardcoreLeser, die auf alles zu verzichten bereit sind, was ein Buch zu einer sinnlichen Angelegenheit macht, oder duften die Zeichen auf dem Bildschirm
nach Leim und Papier?
Aber die Zahl dieser Puristen wird sicherlich nie gigantische Umsätze einfahren. Möglicherweise funktioniert jedoch eine andere Idee. Axel Stemmer, Buchhändler des Anderen Buchladens in Köln-Sülz
bezeichnet sie treffend als „Huckepack“-Konstruktion.
Die sieht so aus, dass der Verlag Rogner & Bernhard in
jedem Exemplar des gebundenen Romans „Taqwacore“
von Michael Muhammad Knight einen Zahlen- oder
Buchstabencode eingelassen hat, über den man sich den
Text auch auf den E-Book-Reader herunterladen kann.
So hat man beides in einem Paket und kann die prakThomas Linden
Journalist und Jurymit- tische Seite des virtuellen Textes nutzen, ohne auf die
glied des Kölner Kinderu. Jugendtheaterpreises Freude am gebundenen Buch verzichten zu müssen.
Viele fragen sich, warum ich immer eine Mütze trage. Dabei ist der Grund
eigentlich leicht zu erraten. Denn ich bin eine Pflanze, die nach unten wächst,
und die Mütze ist meine Vase.
Dass ich dabei genau bis zum Boden reiche, ist reiner Zufall – als Kind schwebte ich stets ein kleines Stück über dem Boden, weil mein Haar so fest im Mutterboden der Mütze wurzelte.
Das war damals in den 80ern auch nicht weiter ungewöhnlich.
Man muss bedenken, dass es sich um eine Zeit handelte, in der wir nicht
draußen spielen durften, weil von der Ukraine her Atommüll durch die Luft
nach Deutschland transportiert wurde. Ein paar Castor-Gegner hatten noch
versucht, sich an eine Wolke zu ketten, waren aber von Polizeihubschraubern
entfernt worden. Und Polizeihubschrauber in den 80ern waren aus Vinyl und
wurden per Handkurbel betrieben, was damals als hochmodern galt.
Sebastian23 zählt an: Zweiundzwanzig – die Videokolumne
Das E-Book floppt
„Epochen“ ist nicht elektrisches Anklopfen
Die 80er waren eine Zeit, in der David Hasselhoff sich in Berlin auf ein Podest
stellte, um über die Mauer hinweg die Ostdeutschen für das Leben im Westen zu begeistern. Forscher gehen heute davon aus, dass allein dieses Konzert
die Bemühungen um Wiedervereinigung um mehrere Monate hinausgezögert
hatte. Viele der Zeugen dieses Konzertes meldeten sich nachher freiwillig für
Straflager in Sibirien.
Lacht nicht – David Hasselhoff war nicht der Bodensatz der Gesangskultur
dieser Dekade!
Die 80er waren das Jahrzehnt, in dem Dieter Bohlen als Musiker erfolgreich
war! „Cherry, cherry lady“ war ein Hit, und das war von den Hörern nicht ironisch gemeint.
Wir haben alle gedacht, im Jahr 2000 würden wir alle mit fliegenden Autos
unterwegs sein. Wir Trottel!
Sogar die Postleitzahlen waren aus lauter Dummheit nur vierstellig!
Handys hatten damals noch Kabel und hingen an der Wand fest. Außer eine
Ecke im Wohnzimmer war der Rest der Welt ein Funkloch.
„Internet“ gab es damals nur als Rechtschreibfehler und Email war eine Beschichtung von Kochtöpfen.
Bebraham liegt bei Görlitz
Fußball wurde in den 80ern noch mit einem Backstein statt einem Ball gespielt,
und eine Halbzeit dauerte vier Tage. Die Spiele gingen trotzdem meistens 0:0
aus, aber es gab wenigstens wesentlich mehr Verletzungen.
Wir ritten damals auf rasierten Mammuts zur Schule. Und mit Schule meine
ich ein Erdloch, in dem ein Stein lag, auf dem das Grundgesetz eingemeißelt
war. Damals bestand das Grundgesetz aus nur einem Satz: „Sprach Abraham
zu Bebraham, kann ich mal dein Zebra ham.“
Das war alles, was wir wussten von der Welt, also wiederholten wir diesen
Satz zu jeder Gelegenheit. All das ist wahr. Aber eines hatten wir nicht: den
behämmerten Kleidungsstil, den die Hipster jetzt als 80er Jahre-Retro-Look
auftragen. Wir sahen schlimmer aus. Heute trage ich darum lieber eine Mütze
und reiche bis zum Boden.
FOTO/TEXT: SEBASTIAN23
THOMAS LINDEN
Sebastian23 – Die Video-Kolumne: Auf youtube und auf
www.engels-kultur.de/literatur-nrw
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popkultur in NRW
kompakt disk
Abstrakte Leitlinie
Das neunte Album der Dirty Projectors heißt „Swing Lo Magellan“ und
ist wieder einmal gefüllt mit komplexen Songstrukturen. Die Stücke erinnern in jedem Augenblick an mindestens fünf verschiedene Momente der
Musikgeschichte, ohne dass man sie eindeutig auf ein Vorbild zurückführen könnte. Chefkomponist David Longstreth verarbeitet Rock, orchestrale
Arrangements, Musical, polyphone Gesangsparts, Folk und vieles mehr.
Alleine die 70er Jahre scheinen als abstrakte Referenz eine Leitlinie zu
sein. Tolles Album (Domino). Das Duo Peaking Lights dockt an die Liaison von New Wave mit Dub in den frühen 80ern an: Rhythmusmaschine,
Synthies, Halleffekte, Frauenstimme. Verträumte Songs für lange Nächte
– Dreampop in Dub (Weird World). Ballrogg ist ein norwegisches Trio, dessen Interesse sich sowohl an Jazz von Eric Dolphy als auch Neuer Musik
von Morton Feldman orientiert. Mit dem neuen Album haben sie deutliche
Schlagseite zur Minimal Music, der Jazzeinfluss ist aber noch hörbar. Das
Ergebnis erinnert an die Musik der späten Talk Talk oder an das Duo Gastr
del Sol, ohne deren starke rhythmische Akzente (Hubro). Die Zartheit ihrer
Landsleute von Ballrog geht den Berserkern von Fire! um Saxofonist Mats
Gustafsson ab. Die psychedelischen Jazzrocker mit Freejazz-Einschlag haben sich dieses Mal den Gitarristen Oren Ambarchi als Verstärkung geholt.
Der Australier hat schon mit John Zorn, Sunn 0))), Jim O‘Rourke, Merzbow
oder Evan Parker gespielt – da geht in Sachen Krach also einiges. Schließlich heißt das Album auch „In the Mouth – a Hand“. Das ist doch eine recht
anschauliche Umschreibung für „Voll in die Fresse“ (Rune Grammofon).
Die beiden Alben „Klopfzeichen“ und „Zwei Osterei“ der Krautrocker Kluster werden wiederveröffentlicht. Tatsächlich ist darauf Proto-Industrial
zu hören. Elektroakustik nannten die beteiligten Moebius, Rodelius und
Schnitzler das 1970 und ordneten sich damit der akademischen Musik zu,
ohne dort akzeptiert zu werden. Die jeweiligen A-Seiten mit Rezitationen
literarischer Texte wirken bemüht hochkulturell, die instrumentalen Improvisationen auf den B-Seiten hingegen revolutionär. Conrad Schnitzler verließ die Band, die sich daraufhin Cluster nannte. Schnitzler machte
dann solo weiter und veröffentlichte die Alben „Rot“ (‚73) und „Blau“ (‚74),
die nicht minder radikal als Kluster sind, mit ihren verzerrten, fiepsenden
Geräuschen und Dissonanzen sogar noch ein wenig abseitiger erscheinen
– weniger psychedelisch denn psychotisch. Aktuelle Musik gibt es aus dem
Umfeld auch: Dieter Moebius von Cluster hat gerade zusammen mit dem
Elektroniker Asmus Tietchens das Album „Moebius + Tietchens“ aufgenommen – angeblich ein Vorhaben, dass sie seit ihrem einmaligen Zusammenspiel mit der Supergroup Liliental 1976 im Kopf haben. So seicht wie
das Liliental-Album ist diese CD glücklicherweise nicht – es grummelt,
knistert und knarzt reichlich, und auch die ambienteren Passagen sind erfreulich ungehobelt (alle bureau b).
Mario Galeano von Frente Cumbiero und Will ‚Quantic‘ Holland von der
Combo Bárbaro haben für das Projekt Ondatrópica und die gleichnamige
Doppel-CD alte Meister und junge Hoffnungsträger kolumbianischer Musik
zusammengetrommelt, um die Musik Kolumbiens mit Harmonium, Bläsern
und polyphonen Rhythmen zu feiern. Meist ist das sehr traditionalistisch
gehalten, mitunter mischen sich auch neuere Elemente wie Rap in die Musik oder dezente Fusionen – etwa mit Ska oder Brass – deuten sich an. Ein
wahres Fest, das auch vor einer rohen Coverversion von Black Sabbaths
„Iron Man“ nicht Halt macht (Soundway).
CHRISTIAN MEYER
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Malerisch: der Biergarten des Odonien bei Nacht, Foro: Laurence Voumard
Nicht ohne mein Odonien
Einer der letzten Kölner Veranstaltungsorte für Freiluftpartys
Von Christian Steinbrink
In der ganzen eng besiedelten Region zwischen Köln und Dortmund klagen
(Sub-)Kulturschaffende dasselbe Leid: Es gibt keine Orte für angemessene
kulturelle Entfaltung, die genügend Leute fassen, und in denen man auch
mal etwas lauter werden kann. Seit langer Zeit flüchten gerade freie Initiativen in die Halblegalität, an Orte,
„Eine permanente Freiluftlocaan denen zumindest irgendwas erlaubt
tion, die sich Partygänger schon
ist, das halbwegs mit dem zu tun hat,
lange wünschen“
was sie selbst veranstalten wollen.
Dass die Halbwertzeit solcher Orte gering ist, ist dabei den Initiatoren genauso klar wie den meisten Besuchern. Man nimmt es eben schicksalsergeben in Kauf.
Eigentlich war jedem klar, dass auch das Odonien im Nordwesten der Kölner
Innenstadt genau so ein Ort ist und bleiben würde. Auf dem Gelände des
Ateliers Odo Rumpf finden seit ein paar Sommern Partys statt, zumeist
unter freiem Himmel. Für Köln, dessen Elektroszene seit Jahren von Club
zu Club tingelt und dessen Freiluftlocations in der Regel nur wenige Veranstaltungen überdauerten, kam das fast schon einer Konstante gleich. Im
vergangenen Mai kam auch hier das eigentlich Unvermeidliche, nämlich
das Ordnungsamt auf den Plan und setzte die Auflagen (Fluchtwege, Feuerwehrzufahrt) wie gewohnt so hoch an, dass für das Odonien das Aus
gekommen schien. Auch deshalb, weil die Protestaufrufe der Odonien-Fans
über die bekannten Sozialen Netzwerke alles andere als glücklich formuliert waren.
Dennoch – oder gerade deswegen – war die Resonanz in der Kölner „Szene“
überwältigend: Auf dem Rudolfplatz in der Kölner Innenstadt versammelten sich am 27. Mai knapp 1.000 Demonstranten. Eindruck hat dieser Protest in jedem Fall gemacht – die Verhandlungen um die Zukunft des Odonien gehen weiter. Der Ausgang ist, Stand Redaktionsschluss, allerdings
ungewiss.
Andere, deutlich kooperativere Wege geht eine neue Initiative aus dem
Umfeld der Essener Zeche Carl, die den Namen „Netzwerk x“ trägt. Das
Netzwerk setzt auf Strategien, die denen der „runden Tische“ ähneln. Öffentliche und freie Veranstalter und Kulturaktivisten wollen mit Ämtern
und Behörden in diesem Rahmen Probleme erörtern und Potenziale abklopfen. Ende Mai stellte sich das Netzwerk mit Performances öffentlichkeitswirksam vor, ab dem 22. Juni soll es mit der Konferenz „Recht auf Stadt“ im
gebeutelten Duisburg in die Vollen gehen. Noch ist das Netzwerk zu jung,
um eine Bilanz zu ziehen, außerdem sind alle Beteiligten
unter dem andauernden Eindruck der Loveparade-Katastrophe noch sehr um Vorsicht und Einvernehmlichkeit
bemüht. Doch wenn das Netzwerk in einer Region mit
einem solchen Nachholbedarf, gerade in Sphären der Soziokultur, Erfolge vorweisen kann, wird dieses Modell sicher auch Schule machen. Und vielleicht bekommt dann
Christian Steinbrink
sogar Köln die permanente Freiluftlocation, die sich die
Journalist und
Partygänger der Stadt schon so lange wünschen.
Musikkritiker
www.netzwerk-x.org I www.odonien.de
wupperkunst
Heike Klussmann, Surround, 2012, Installation mit 20 animierten Videos, Stills (Ausschnitt), © Heike Klussmann
Fläche im Raum
Heike Klussmann stellt im Neuen Kunstverein aus
Direkt gegenüber ragt der Alex in die Höhe. Vom Atelier auf einem Terrassengeschoss an der Karl-Liebknecht-Straße blickt man allerdings auch
auf die desolate städtebauliche Szenerie. Monoton, rau wirken die Funktionsbauten. Viel Beton allenthalben, stumpfe Oberflächen oder gleichförmige Raster. Berlin-Mitte ist hier, an dieser Stelle, Symptom für gescheiterte, kaum versuchte oder doch versuchte Stadtplanung. Für Verödung
aus Hochhäusern und Plattenbauten und monströsen Straßen, nur noch
Durchgang für Passanten, Fahrzeuge, die Nah- und Fernverkehrszüge.
Gründung einer interdisziplinären Forschungsgruppe an der Universität
Kassel. In diesem Kontext steht die Beschäftigung mit Materialien im
öffentlichen Raum und deren Beschaffenheit und Textur; mit Thorsten
Klooster hat sie einen Licht reflektierenden Beton entwickelt, den BlingCrete: „Das optische Phänomen wird durch Mikroglaskugeln erzeugt, die
in das Trägermaterial Beton eingebettet werden“, schreiben Klussmann
und Klooster dazu in einem Aufsatz zu einem Symposion auf Schloss Solitude in Stuttgart.
Gegenstand der Kunst von Heike Klussmann ist die urbane Verfasstheit mit ihren architektonischen Detailstrukturen und Leitsystemen. Die
Sichtbarmachung der städtebaulichen Prinzipien und die Organisation des Raumes, aus der Perspektive des Betrachters. Heike Klussmann
wurde 1968 in Saarbrücken geboren, sie hat an den Kunstakademien in
Düsseldorf (bei Klaus Rinke) und Berlin (bei Rebecca Horn) studiert und
lehrt selbst seit 2005 als Professorin für Bildende Kunst am Fachbereich
Architektur der Universität Kassel. Ihre eigenen künstlerischen Beiträge
sind vor allem ortsbezogene Installationen, Filme und filmische Animationen sowie fotografische Direktbelichtungen auf Fotopapier. Die Konzeption, die sich durch alle Medien zieht, stand schon frühzeitig fest,
und bis heute kommt Heike Klussmann auf den gleichen situativen und
motivischen Kanon zurück. Ihre Kunst durchmisst Räume und verdeutlicht deren Grenzen, etwa indem sie die potentielle Fortsetzung vor Augen
führt. Der Blick mäandert durch Systeme aus aneinander anschließenden
Gefügen und stellt so eine Topographie des Ortes auf. Mehr als für die
Außenhaut interessiert sich Heike Klussmann für die innere Struktur und
den osmotischen Austausch mit dem Draußen.
Bereits seit 2002 plant Heike Klussmann mit „netzwerkarchitekten ParG“
die fünf Stationen der
U-Bahnlinie Wehrhahn in Düsseldorf, die 2015 eröffnet werden soll: Im
Atelier stehen dazu etliche Modelle in unterschiedlichen Größen, die ausgesprochen filigrane und für sich komplexe skulpturale Gebilde aus gefalteten und gewinkelten Bändern sind. Ausgehend von den jeweils vier
Zugängen und von der linearen Außenform abknickend, ergeben die Bahnen ein Netz aus Überlagerungen und Durchlässigkeit, das einen dreidimensionalen Körper unter der Möglichkeit der Begehbarkeit bildet.
1997 ist die temporäre Installation „Steg“ für das Parkhaus Behrenstraße in Berlin entstanden. Im 13. Stockwerk hat sie eine langgestreckte
Bahn aus weißer retroreflektierender Straßenmarkierung gestrichen; analog dazu führt im Stockwerk darunter ein Steg mitten durch das Stockwerk auf die Fassade hinaus. Zugleich wurde das Parkhaus zum modular
gestapelten Modell für den Topos Stadt mit seinen Strukturen und Verknüpfungen. Die kontinuierliche Form, die ein Raumkonstrukt geradlinig
durchmisst, nahm sie dann bei ihrer Intervention in der daadgalerie in
Berlin 2001 wieder auf. Dort reichte eine 28 Meter lange Pipeline bis
auf die Brüstungen der gegenüber befindlichen Balkone außerhalb des
Hauses. Zugleich funktionierte die Röhre als Camera Obscura. Sie verwies
damit aber nicht nur auf die Fotoarbeiten von Heike Klussmann, sondern
im Grunde auch schon auf ihre Hinwendung zu tunnelartigen Konstrukten, gesehen von innen. So hat sie 2008 eine filmische Animation zum
Tiefbunker unter dem Alexanderplatz realisiert, entwickelt aus rund 6.000
Einzelbildern, die sie dort aufgenommen hat.
Das ist nun die Ausgangsbasis für die Videoinstallation im Neuen Wuppertaler Kunstverein, deren Titel „Surround“ das Verhältnis von architektonischer Umgebung und individuellem Standpunkt anspricht. 20 verwandte Projektionen laufen auf Augenhöhe horizontal nebeneinander ab.
Indem sie verschiedene Längen besitzen, stellen sich im Loop immer neue
Konstellationen ein. Der Betrachter sieht jeweils ein fließendes Schreiten
durch einen offenen Raum, der an den teils schrägen Seiten, der Decke
und dem Boden einheitlich aus s/w-Bändern besteht, abbiegt und dabei
nie überschaubar ist. Mit jeder Bewegung ändern sich seine Struktur und
sein Verlauf, ist wieder alles neu. Fläche wird zu Raum und Raum zu Fläche. Der Betrachter dringt immer tiefer in die Raumkonstruktion ein und
gleitet doch an ihr ab, und mithin wird dabei auch unser Körpergefühl mit
der Schwerkraft verhandelt. Natürlich ist diese Videoarbeit, bei aller wunderbaren Ästhetik als Kaleidoskop mit Anklängen an die Parallelwelten
von Computerspielen, auch eine Metapher und ein Forschungsansatz zur
Frage, wie wir uns im Stadtraum und innerhalb von Gebäuden verhalten,
wie sich Überschaubarkeit und Unübersichtlichkeit einstellen. Schließlich
geht es auch um die Frage, wie wir sehen, und wie wir uns orientieren.
Und was die Kunst und die Architektur dazu leisten könnten.
THOMAS HIRSCH
„Heike Klussmann – Surround“ I bis 29.7. I Neuer Kunstverein Wuppertal
www.neuer-kunstverein-wuppertal.de
Blick von innen
Die Hinwendung zur Beschaffenheit von Architektur im Stadtraum und
unter der Erde hat bei Heike Klussmann aber auch zu Projekten geführt,
die über die eigentliche Kunst hinausweisen und auf praktische Anwendung zielen und zugleich die ästhetische Gestaltung des Stadtraumes
postulieren. Dazu gehört ihre Zusammenarbeit mit Architekten und die
26
kunst in NRW
kunst-kalender
Paul Thek, Oh Come All Ye Faithful, 1973, Mischtechnik, 49x66 cm,
© Estate of G.P. Thek, New York, Foto: LehmbruckMuseum
Ein anderer Blick auf die Welt
Ausstellungen in Bonn und Duisburg
Von Thomas Hirsch
Eine Aufgabe der zeitgenössischen Kunst ist es, die Gegenwart zu transzendieren, auf sie zu reagieren und darin unangepasst und weitsichtig zu sein. Der
Fotograf Lewis Baltz ist seiner Zeit schon immer voraus gewesen, und ist das,
was er gemacht hat, erst salonfähig, so befindet er sich längst auf einer anderen
Fährte. Paul Thek ist vor allem mit Objekten und Installationen zu unserer Kultur
und psychischen Verfasstheit in Erscheinung getreten, die sich der schnellen
Durchschaubarkeit entziehen und tief Verwurzeltes mit lapidarer, auch humorvoller Beobachtung kombinieren – Werke beider Künstler sind derzeit in Museen in Bonn und Duisburg ausgestellt.
Lewis Baltz wurde 1945 geboren; seit 1986 lebt er zunächst in Venedig und
heute in Paris. Bekannt wurde Baltz in den 1970er Jahren im Kontext der „New
Topographics“ in Amerika: mit kleinformatigen fotografischen Serien von industriellen Bauten inmitten profaner Landschaft, die er s/w in klarer Flächenaufteilung erfasst. Darin ist sich Baltz bis heute treu geblieben. Er dokumentiert
Zivilisation und technologischen Fortschritt anhand von Architektur und Städtebau. Aber er wandelt seine Maßnahmen mit der Zeit. Von der s/w-Fotografie
wechselt er zur großformatigen Farbfotografie und von dort zur Projektion
im Außenraum. Der fotografische Blick schneidet das Motiv am Bildrand ab,
wendet sich diesem wiederholt zu, wählt Perspektiven, mit denen man nicht
gerechnet hat und die erst allmählich ihre Genauigkeit und eine entschiedene
Aussage offenbaren.
Baltz‘ Landsmann Paul Thek (1933-1988) hingegen ist vorrangig Bildhauer und
Objektkünstler. Auch er forscht, weitgehend von Europa aus, auf eigenwillige
Weise zur Zivilisation. Aber während sich das sezierend analytische Erfassen
bei Baltz unter der glatten Oberfläche der Fotografie ereignet, schreibt Thek
die Nervosität direkt der Struktur seiner Arbeiten ein. Seine Sensibilität zielt
aufs Körperliche und aufs Fragmentarische. Paul Thek, der mit seinen individuellen Mythologien schon zur documenta 1968 in Kassel eingeladen wurde, erstellte realistisch wirkende Fleischimitate, vertracktes Mobiliar und installative
Behausungen mit alltäglichen Materialien. Diese raumgreifenden Arbeiten mit
Hölzern und Fundobjekten, die er seit den frühen 1970er Jahren in Ausstellungsräumen errichtet hat, kennzeichnete das Provisorische. Natürlich waren
sie extrem stark an seine Person gebunden, nach der Ausstellung wurden sie
wieder abgebaut. Vorhanden sind nur noch Fotografien. Dies betrifft auch das
Environment „Ark, Pyramid – Christmas“, das Thek 1973 im Duisburger Museum eingerichtet hat, begleitet von einem Krippenspiel mit Duisburger Kindern,
welches seine Auseinandersetzung mit Religion und mit dem modernen Theater
weiter zum Ausdruck gebracht hat. – Die aktuelle Ausstellung im LehmbruckMuseum nun zeigt Dokumente dieser
damaligen Schau in Verbindung mit einigen Plastiken und
Zeichnungen sowie Werken befreundeter Kollegen. Während das Kunstmuseum Bonn bei Lewis Baltz den konventionellen Weg der chronologisch angeordneten Retrospektive
wählt, wird das Denken von Thek also von innen, aus dem
Thomas Hirsch
Kontext heraus geschildert. In beiden Fällen geht es um die
Kunsthistoriker,
Kurator und Journalist Vermittlung eines eigenwilligen Werkes.
„Lewis Baltz“ bis 2.9. I Kunstmuseum Bonn I www.kunstmuseum-bonn.de
„Paul Thek – in Process (Duisburg)“ I bis 29.7. I LehmbruckMuseum, Duisburg
www.lehmbruckmuseum.de
27
Johann von Schraudolph, Nazarener-Fresken der Apostel, 1846,
© Domkapitel Speyer, courtesy Arp Museum, Rolandseck/Remagen
Die Kunst-Termine NRW
BOCHUM – Kunstmuseum
www.bochum.de/kunstmuseum
DUISBURG – Museum Küppersmühle
www.museum-kueppersmuehle.de
Johannes Brus bis 26.8.
Realistische Skulpturen und mysteriöse Fotos
Joseph Beuys und Anselm Kiefer 29.6.-30.9.
Papierarbeiten und Bücher der beiden Künstler
zwischen Mythologie und Zeitgeschichte
en
ESSEN – Museum Folkwang
www.museum-folkwang.de
BONN – Kunst- und Ausstellungshalle
www.kah-bonn.de
Anselm Kiefer bis 16.9.
Der berühmte deutsche Künstler mit Hauptwerken aus der Sammlung Grothe
Geschichten zeichnen bis 15.7.
Erzählerische Positionen heutiger Grafik
GELSENKIRCHEN – bild.sprachen
www.bildsprachen.de
BONN – Kunstmuseum
www.kunstmuseum-bonn.de
David Reed bis 7. Oktober
Theatralisch abstrakte Malereien auf Leinwand
und Papier des amerikanischen Künstlers
BOTTROP – Josef Albers Museum
www.quadrat-bottrop.de
Ian McKeever bis 2.9.
s/w-Fotografien und abstrakt gestische Gemälde des englischen Malers (geb. 1946)
BRÜHL – Max Ernst Museum des LVR
www.maxernstmuseum.de
William N. Copley bis 4.11.
Werkschau des legendären amerikanischen
Malers zwischen Surrealismus und Pop Art
Motodrom Gelsenkirchen bis 24.11.
Fotografien vom Gelände der einstigen Rennstrecke von Joachim Brohm und Robert Freise
HAGEN – Osthaus Museum
www.osthausmuseum.de
Markus Lüpertz bis 29.7.
Der Protagonist figurativer expressiver Kunst
HERFORD – MARTA
www.marta-herford.de
Atelier + Küche = Labore der Sinne bis 16.9.
Die Nähe von Küche und Künstleratelier in 150
Werken vom 16. Jahrhundert bis heute
KÖLN – Museum für Angewandte Kunst
www.makk.de
DORTMUND – MUSEUM OSTWALL
www.museumostwall.dortmund.de
Architekturteilchen bis 19.8.
Eine Geschichte des Bauens mit Modulen
Heinz Mack bis 29.7.
Überblick zum Werk des Zero-Pioniers
KÖLN – Museum Ludwig
www.museum-ludwig.de
DORTMUND – Zeche Zollern
www.ausstellung-zwangsarbeit.lwl.org
Claes Oldenburg bis 30.9.
Der 83jährige Weltstar der Pop Art-Plastik
Zwangsarbeit bis 30.9.
Eine dokumentarische Ausstellung
Zwangsarbeit durch die NS-Diktatur
zur
DÜREN – Leopold-Hoesch-Museum
www.leopoldhoeschmuseum.de
Dirk Skreber bis 12.8.
Eine hochkarätig abgefahrene Malerei
DÜSSELDORF – K21 Ständehaus
www.kunstsammlung.de
Thomas Schütte bis 9.9.
Die 138teilige Radierfolge „Wattwanderung“
DÜSSELDORF – Museum Kunstpalast
www.smkp.de
LEVERKUSEN – Museum Morsbroich
www.museum-morsbroich.de
R. Trockel, P. Varga Weisz bis 30.9.
Ein Dialog mit zeitgenössischer Skulptur
NEUSS – Langen Foundation
www.langenfoundation.de
Sofia Hultén 7.7.-7.10.
Kunst als Transformation alltäglicher Dinge
OBERHAUSEN – Ludwiggalerie
www.ludwiggalerie.de
At Home bis 16.9
Leben und Alltag im Ruhrgebiet, in der Kuns
t
REMAGEN – Arp Museum Rolandseck
www.arpmuseum.de
El Greco und die Moderne bis 12.8.
Dialogische Inszenierung der manieristischen
Meisterwerke von El Greco
Die Eroberung der Wand bis 9.9.
Zwölf zeitgenössische Positionen zu den Fresken des Nazareners Johann Schraudolph
DÜSSELDORF – Kunsthalle
www.kunsthalle-duesseldorf.de
SIEGEN – Museum für Gegenwartskunst
www.mgk-siegen.de
Tal R – Mann über Bord 7.7.-9.9.
Der angesagte dänische Maler und Bildhauer,
der an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrt
Bridget Riley 1.7.-11.11.
Die Grande Dame der Op Art, zur Verleihung
des Rubenspreises der Stadt Siegen
DÜSSELDORF – NRW-Forum
www.nrw-forum.de
WUPPERTAL – Von der Heydt-Kunsthalle
www.von-der-heydt-kunsthalle.de
Die Polaroid Collection bis 5.8.
Polaroids der Größen der jüngeren Fotografie
Christian Hellmich bis 7.10.
Junge Malerei an der Grenze zur Abstraktion
Empfehlungen von Thomas Hirsch
zungen
auswahl
bis 8.7. I Di 13-18,
Mi/Fr-So 10-18, Do 10-20 Uhr
mit
-zungen
Foto: I. Arndt, Montage: K. Nikolic
Lieber Engels!
Borsdorf-Leipzig, den 2. Mai 1883
Überbringer dieses ist Harry Kaulitz, Sohn eines unserer ersten Notare,
bekannt nach dem scheußlichen Saarbrücker Erkenntnisse, das gegen ihn
und Hackenberger auf, irre ich nicht, 2 ½ Jahre Gefängnis lautete. Er verbüßte sie in Trier, ist jetzt wieder frei und verläßt auf Wunsch seiner Eltern
Deutschland. In London, wo er zahlreiche Verwandte hat, hofft er – er ist
Kaufmann – im Laufe der Zeit eine angemessene Stellung zu finden; seine
Familie hat sehr aristokratische Neigungen, auf die er einige Rücksicht
nehmen muß, weshalb er etwas wählerisch in bezug auf die anzunehmende Stellung wird sein müssen; ich glaube aber, daß er es finanziell eine
Zeitlang ansehen kann.
Sollten Sie ihm mit gutem Rat an die Hand gehen können, so verbinden
Sie mich dadurch zu großem Dank. Kaulitz ist Ihrer Sympathie würdig. Bezeichnend für ihn ist sein Entwicklungsgang. Als Mitglied der jeunesse dorée waren ihm alle Genüsse reichlich zugänglich, und er machte Gebrauch
von dem Gebotenen; er fühlte sich aber bald übersättigt und angeekelt.
Die Leere, die er empfand, war ihm überaus peinlich, und er suchte nach
irgendeinem reellen Inhalte für sein Leben. Da stieß er auf Arbeiterverhältnisse und auf die Sozialdemokratie, die ihm nun wirklich Inhalt geworden
ist. Im Gefängnisse hat er sich sehr standhaft benommen und selbst ein
Gnadengesuch seines Vaters vereitelt. Schade, daß er im Gefängnisse, in
welchem er sich ganz bedeutend entwickelte, alles Mögliche lesen könnte,
nur alles auf die Bewegung Bezügliche nicht; so hat er „Das Kapital“ erst
noch zu lesen. Über seine Persönlichkeit werden Sie ja selbst urteilen.
Wie geht es Ihnen? und Marx? Hoffentlich gut.
[…]
Herzlichen Gruß an Sie und Marx.
Ihr Bracke
THOMAS LINDEN
engels zungen in der Engels-Stadt:
Wir lassen Zeitgenossen des
Kapitalisten und Revolutionärs zu
Wort kommen, zitieren Briefe an
Wuppertals berühmten Sohn.
Wilhelm Bracke (1842-1880): Sozialistischer Verleger, Schriftsteller und Reichstagsabgeordneter; Vertrauensmann von
Marx und Engels in der deutschen Arbeiterbewegung. Er verstarb rund sechs Wochen nach Abfassung des Briefes, am 27.
April.
Harry Kaulitz und Rudolf Hackenberger
waren im August 1877 wegen sozialistischer Agitation von einem Saarbrücker
Gericht zu jeweils 2 ½ Jahren Gefängnis
verurteilt worden. „Jeunesse dorée“ (vergoldete Jugend) meint das sorglose Leben
der Jugend des Bürgertums.
HISTORISCHES ZENTRUM
Wuppertal
JENSEITS VON SCHANGHAI. EUGEN
FLEGLERS CHINABILDER 1936-1938
Eugen Flegler (1897-1981) war für
einige Jahre, bis zum Ausbruch des
Weltkrieges, Professor für Elektrotechnik in Schanghai; die Fotografie
war ein Hobby, das er indes mit großer Aufmerksamkeit und Präzision
betrieb. Seine Leica setzte genaue
Planung und Sicherheit beim Motiv und in der Komposition voraus.
Flegler fotografierte, was er sah:
die Großstadt mit ihren Boulevards
ebenso wie das Landleben, Personen
und Personengruppe, den Hafen
und die Flüsse, aber auch die ersten
Kriegshandlungen. Eine dokumentarische Ausstellung mit künstlerischen Qualitäten.
Infos: 0202 563 43 75
bis 15.7. I Di-Fr 15-18 Uhr
KUNSTRAUM HENGESBACH
Wuppertal
MARKUS WILLEKE
Rolf Hengesbach, der schon vor einiger Zeit mit seiner Galerie nach
Berlin gezogen ist, hat seinen
Kunstraum wiederbelebt. In der Vogelsangstrasse 20 zeigt er nun mit
Markus Willeke einen „richtigen“
Maler. Willeke, der 1971 in Recklinghausen geboren wurde, malt vehement, engagiert, gekonnt aus dem
Duktus des Pinselstrichs heraus und
widmet sich den Dingen und Situationen, die unseren Alltag dominieren.
Die Nahsicht auf ein schwimmendes
Mädchen findet sich hier ebenso wie
der überschauende Blick auf einen
erleuchteten McDonald's-Laden.
Infos: 0202 75 35 32
stößt zufällig auf eine Wolfsfamilie,
die ihn aufnimmt und wie ein eigenes Kind beschützt und aufzieht.
Mogli erlernt alles, was er zum
Überleben im Dschungel braucht.
Und in dem Bären Balu und dem
Panther Baghira findet er auch treue
Freunde. Nach einiger Zeit muss er,
wie alle Wolfskinder, dem Rudel
präsentiert werden.
Infos: 0202 44 77 66
Mi 4.7. I 20 Uhr
DIE BÖRSE
Wuppertal
MANFRED LEMM ENSEMBLE
Der Sänger und Komponist hat sich
intensiv mit der Liedkultur des osteuropäischen Judentum beschäftigt.
Im Fokus stehen Lieder des Krakauer
Tischlers und Dichters Mordechaj
Gebirtig. Lemm hat über 90 Lieder
zusammengetragen und mit seinem
Ensemble eingespielt. Die ganze
Bandbreite der ostjüdischen Kultur
und Alltagswelt kommt in diesen
Liedern zum Klingen. Angereichert
wird das Ganze durch eigene Kompositionen im Stile der jüdischen
Spielmannstradition, der Klezmer
Osteuropas.
Infos: 0202 24 32 20
Do 5.7. I 20 Uhr
BARMER BAHNHOF
Wuppertal
COMEDY APPARTMENT – SPASS AM
BAHNSTEIG
So 1.7. I 16. Uhr
MÜLLERS MARIONETTENTHEATER
Wuppertal
DAS DSCHUNGELBUCH
Vera Deckers
Quellenangabe: Karl Marx / Friedrich Engels: Briefwechsel mit Wilhelm Bracke
(1869-1880), eingel. und hg. von Heinrich
Gemkow, Berlin 1963, S. 213-215.
Jedes Kind kennt die Geschichte von
Mogli, der als Findelkind bei einer
Wolfsfamilie, ohne jeglichen Kontakt zu Menschen, aufwächst. Der
kleine indische Junge wird nach
einem Überfall des Tigers Shere
Khan von seinen Eltern getrennt und
28
Das comedy appartment lädt dieses
Mal zu einem Ladys‘ Special ein. Mit
dabei sind Daphne de Luxe, Vera Deckers und Sybille Bullatschek. Daphne de Luxe präsentiert „Comedy in
Hülle und Fülle“. Die üppige Blondine lässt sich in keine Schublade stecken und begeistert durch ihre authentische Art. Vera Deckers ist
Psychologin, hat aber leider nichts
davon. Im Café wird sie permanent
vom Kellner ignoriert, ihre Mutter
will sie so schnell wie möglich unter
die Haube bringen, und das Tourleben ist nicht so glamourös, wie sie
gedacht hätte. Mit viel Selbstironie
nimmt Vera Deckers ihr eigenes
Scheitern aufs Korn. Abgerundet
wird der Abend durch Sybille Bullatschek. Mit viel positiver Energie
nimmt sie ihre Zuschauer mit in ihren Alltag im Altenheim. Und der ist
alles andere als langweilig. Neben
Sommerfest mit Hüpfburg und Bullriding findet auch die wöchentliche
Rollator-Rallye statt.
Infos: 0202 87 07 30 87
Sa 6.7. I 20 Uhr
STADTHALLE HAGEN
Hagen
JON LORD IN CONCERT
Bekannt durch seine Zeit bei Deep
Purple, hat sich Jon Lord auch als
Komponist orchestraler Musik einen Namen gemacht. Lord wird sein
Werk „Durham Concerto“ vorstellen, zusammen mit dem philharmonischen orchesterhagen unter
der Leitung des Hagener Dirigenten
Florian Ludwig. Eine spezielle Aufführung – immerhin ist es sein erstes Konzert in Deutschland 2012.
Gleichzeitig beschließt das Konzert
seine Zeit als Residenz-Komponist
mit dem Orchester.
Foto: marcpierre
In der Erwartung einer üppigen Erbschaft reist Autohändler Charlie zur
Beerdigung seines Vaters, den er seit
zehn Jahren nicht mehr gesehen hat.
Doch enttäuscht muss er feststellen,
dass der Verstorbene sein millionenschweres Vermögen einem anonymen Erben in einer Klinik hinterlassen hat. Geschockt macht sich
Charlie auf den Weg in die Klinik, um
dort festzustellen, dass der anonyme
Erbe sein autistischer Bruder Raymond ist, von dessen Existenz er bisher nichts wusste. Kurzerhand entführt Charlie seinen Bruder, um ihn
dazu zu bringen, ihm das Vermögen
zu überschreiben. Der oscar-prämierte Leinwanderfolg wird hier für
die Theaterbühne adaptiert.
Infos: 0202 87 07 29 64
Sa 7.7 I 19.30 Uhr
WUPPERTALER BÜHNEN
Wuppertal
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – OPER
VON RICHARD WAGNER
Foto: Uwe Stratmann
Sa 7.7. I 20 Uhr
LEO THEATER
Wuppertal
RAIN MAIN
Der Kapitän hatte einst gotteslästerlich geschworen, er werde bis zum
Jüngsten Tag nicht davon ablassen,
das Kap der Guten Hoffnung zu um-
29
segeln und gegen die Winde ankämpfen. So ist es nun tatsächlich
geschehen, und er wurde dazu verflucht, für immer mit seinem Geisterschiff die Weltmeere zu durchkreuzen. Nur alle sieben Jahre ist es
ihm erlaubt, an Land zu gehen und
eine Frau zu suchen, die ihm treu
bleibt und ihn so von seinem Fluch
erlösen würde. Durch ihre Amme erfährt die junge Senta von dem
Schicksal des Seemanns und fühlt
sich berufen, ihn von seinem Leid zu
erlösen. Und dann betritt ihr Vater
die Stube und zeigt ihr einen Mann,
der um ihre Hand anhält: den Kapitän.
Infos: 0202 563 76 66
So 8.7. I 18 Uhr
TALTONTHEATER
Wuppertal
TRAUMFRAU, VERZWEIFELT
GESUCHT
Keine Sache beschäftigt die Menschen so sehr wie die Liebe und die
Suche nach dem richtigen Partner
fürs
Leben.
Schlimm
wird
es, wenn man diesen gefunden zu
haben scheint und der einem den
Laufpass gibt. So ist es Harald ergangen. Nachdem ihn seine Julia
verlassen hat, ist erst einmal großes
Ausheulen bei der besten Freundin
angesagt. Danach stürzt sich der attraktive junge Mann wieder in den
Dschungel der Blind Dates und Kontaktanzeigen. Aus dem BeziehungsBärchen muss wieder ein Partylöwe
werden. Es melden sich die unterschiedlichsten Frauen mit den
furchtbarsten Macken, und Harald
erlebt eine Peinlichkeit nach der anderen. Aber die Traumfrau kommt,
nicht nur einmal und nicht immer
wie gewünscht …
Infos: 0202 247 98 60
So 8.7. I 18 Uhr
LEO THEATER
Wuppertal
HEINZ ERHARDT DINNER SHOW
Thorsten Hamer
Heinz Erhardt gilt als einer der herausragendsten deutschen Humoristen und feierte in den 50er und
60er Jahren seine größten Erfolge im
Kino mit Komödien wie „Immer die
Radfahrer“ oder „Was ist denn bloß
mit Willi los?“. Nun setzt ihm Thorsten Hamer mit seiner Dinner Show
ein kulinarisches Denkmal und bietet dazu Humor vom Feinsten – ganz
nach Heinz Erhardt-Art. Herausgekommen ist ein „Best Of“ des Kultkomikers, angereichert mit einem
exklusiven Vier-Gänge-Menü. Gedichte und Lieder des berühmten
Spaßmachers kombiniert mit kulinarischen Köstlichkeiten sorgen für einen unvergesslichen Abend.
Infos: 0202 87 07 29 64
Mi 11.7. I 20 Uhr
PAULUSKIRCHE
Wuppertal
BASSA
auswahl
Tangomondo heißt die neue Musikrichtung: Tango gepaart mit Jazzelementen und Flamencorhythmen.
Auf diese Weise nimmt die Berliner
Band bassa ihre Zuschauer mit auf
eine leidenschaftliche musikalische
Reise durch alle Facetten des modernen Tangos, ohne dessen Traditionen zu vergessen oder zu verleugnen. Mit frischem Wind und voller
Energie präsentiert sich das junge
Quintett noch virtuoser auf der Bühne. Die Musiker überzeugen durch
spritziges und gleichzeitig tiefgründiges Spiel. Immer mit viel Herzblut
und Emotionen und deshalb niemals
langweilig.
Infos: 0202 439 23 46
Do 12.7. I 18.30 Uhr
DIE BÖRSE
Wuppertal
WUPPERTALER WORTPIRATEN:
WURSTEX-OPEN-AIR-POETRY-SLAM
Wuppertaler Wortpiraten, Foto: Presse
Die Wuppertaler Wortpiraten laden
wieder zu ihrem alljährlichen Open
Air-Poetry Slam ein. Bei Grillwürsten
und strahlender Sonne werden den
Liebhabern moderner, unterhaltsamer Literatur wieder einige Leckerbissen geboten, die das Herz der
Slamfans höher schlagen lassen.
Infos: 0202 24 32 20
Do 12.7. I 20 Uhr
CITIY-KIRCHE ELBERFELD
Wuppertal
IRIS PANKNIN BAND
ist vom Jazz, Blues oder Latin unüberhörbar beeinflusst, wird aber von
den Musikern gelegentlich mit
Funk- oder Rockkomponenten kombiniert.
Infos: 0202 97 44 08 11
Sa 14.7. I 20 Uhr
TALTONTHEATER
Wuppertal
„GESCHLOSSENENE GESELLSCHAFT“
VON JEAN-PAUL SARTRE
Eine geschlossene Gesellschaft
möchte in der Regel nur eins: ungestört von der Außenwelt bleiben.
Auch die drei Protagonisten in JeanPaul Sartres Drama sind abgeschnitten von der Welt. Doch von Wollen
kann hier nicht die Rede sein! Nach
ihrem Tod werden alle drei in eine
geschlossene Hotelsuite gesperrt.
Dass sie sich in der Hölle befinden,
wird ihnen schnell klar, denn jeder
von ihnen hat Schuld auf sich geladen. Die reiche Estelle hat ihr Kind
ermordet und ihren Mann in den Suizid getrieben. Die hochintellektuelle
Inés hat die junge Florènce verführt
und so ihrem Ehemann entfremdet,
bis dieser sich von einer Straßenbahn hat überfahren lassen. Der
Journalist Garcin hat seine Frau
misshandelt. Nun sind alles drei
dazu verdammt, die Ewigkeit miteinander zu verbringen.
Infos: 0202 247 98 60
und Entspannen ein – ein Getränkebecher, der einmalig erworben werden muss, ersetzt hier kostspielige
Festival-Tickets. Das Musikevent
geht 2012 in seine fünfte Runde und
verspricht wieder Besucher aus der
ganzen Region anzuziehen.
Fr 20.7. I 20 Uhr
BANDFABRIK
Wuppertal
IONTACH – IRISH FOLK
Die drei Musiker Siobhan Kennedy,
Angelika Berns und Jens Kommnick
haben sich vor 7 Jahren zu dem Trio
„Iontach“, was im Irischen „wunderbar“ oder „hervorragend“ bedeutet,
zusammengeschlossen und erfreuen
seitdem ihr Publikum mit einer abwechslungsreichen Mischung aus
mehrstimmigem Harmoniegesang
und schwungvoller irischer Tanzmusik. Durch das große Repertoire ihres
eingesetzten Instrumentariums gehören die drei zu den beliebtesten
Formationen der irisch-traditionellen Musikszene. Sie spielten
schon erfolgreiche Konzerte in Frankreich, Österreich, Italien, den Niederlanden und der Schweiz.
Infos: 0202 69 85 19 33
BU: Iontach, Foto: Presse
Sa 28.7. I 20 Uhr
TALTONTHEATER
Wuppertal
ALEKSANDER ROMAN WARZECHA –
SHRUTIS-MIKROTÖNE
Do 19.7.-Do 23.8. I 19 Uhr
RATHAUSPLATZ
Remscheid
REMSCHEID LIVE
rer auf eine literarisch-musikalische
Reise mit nach Kalkutta, in die Welt
der Gurus und der indischen Musik.
Infos: 0202 247 98 60
Fr 28.7.-Sa 28.7. I 18.30 Uhr
LCB LIVE CLUB BARMEN
Wuppertal
100KILOHERZ FESTIVAL
100KiloHerz, unabhängiger Plattenladen und -label mit Sitz in
Schwelm, hat Grund zum Feiern.
Das zweijährige Bestehen wird zum
Anlass genommen, im LCB auf den
Putz zu hauen und sich bei Fans und
Liebhabern mit einem – entsprechend dem Geburtstag – zweitägigen Indoor-Festival zu bedanken.
Das Line-Up rockt ordentlich, umfasst unter anderem die Dortmunder
Punk-Band Willy Fog, die Brüsseler
Noise-Rocker von Siamese Queens
oder die fünfköpfige Kölner Band
City Light Thief.
ZUSAMMENGESTELLT VON:
THOMAS HIRSCH, SERGEJ MAIER
IMPRESSUM
Herausgeber:
engels Verlag
Joachim Berndt, Büro Köln
Maastrichter Str. 6-8, 50672 Köln
E-Mail: [email protected]
Tel. 0221 272 52 60, Fax: -88
Redaktion:
Maren Lupberger, Linda Hoemberg (v.i.S.d.P.)
Mitarbeit an dieser Ausgabe:
Lars Albat, Silvia Bahl, Frank Brenner, Lutz
Debus, Valeska von Dolega, Hartmut Ernst,
Rolf-Ruediger Hamacher, Thomas Hirsch,
Klaus Keil, Kim Ludolf Koch, Thomas Linden, Sergej Maier, Karsten Mark, Christian
Meyer, Peter Ortmann, Kerstin Maria Pöhler, Carla Schmidt, Anke Elisabeth Schoen,
Christian Steinbrink, Sebastian23, Christian
Werthschulte, Hans-Christoph Zimmermann, Andreas Zolper
Grafik: Michael Hennemann, Martin Johna
Mira Moroz
Aleksander Roman Warzecha
Seit 15 Jahren ist die Sängerin mit
ihrer Band auf den Bühnen der Republik zu Hause. Sie spielen gerne in
Jazzclubs, Bars oder Musikkneipen.
Anfangs als Trio unterwegs, ist die
Gruppe zum Quintett gewachsen.
Zum Repertoire der Band zählen Hits
und Genre-Klassiker ebenso wie weniger bekannte Stücke, die sich nach
bandeigener Interpretation als wahre Musikperlen erweisen. Der Sound
Silent Seven
Einen knappen Sommermonat lang
wird der Remscheider Rathausplatz
wieder jeden Donnerstag-Abend mit
Live-Musik bespielt, Coverbands aller denkbaren Stilrichtungen steuern
ihren Teil bei. Nach Feierabend, ab
19 Uhr, lädt „Remscheid live“ dann
unter freiem Himmel zum Feiern
Aleksander Roman Warzecha ist in
Polen geboren und in Wuppertal
aufgewachsen. Seit seiner zweijährigen Asienreise, wo er sich unter
anderem 17 Monate in Kalkutta aufgehalten hatte, arbeitet er als
Deutschlehrer, Sprecher, Hörspielmacher und Sitarist. Außerdem veröffentlicht der studierte Anglist
Kurzgeschichten und Essays in
Deutschland und Indien. In seiner
Event-Lesung nimmt er seine Zuhö-
30
Anzeigenverwaltung:
Berndt Media
Dr.-C.-Otto-Str. 196, 44879 Bochum
www.berndt-media.de
Tel. 0234-941910, Fax -9419191
Buchhaltung:
Karin Okniewski
Druck:
Henke Druck
Verbr. Auflage:
IVW I/2012 14887 Ex.
Alle nicht gesondert gekennzeichnete Bilder
sind Pressefotos.
magenbitter
service
VERLOSUNGS-BOX
Foto: Günter Havlena/pixelio.de
Foto: Michael/pixelio.de
Moers zurück im Diluvium
Eine Stadt am kulturellen Abgrund
This town ain't big enough for both of us
And it ain't me who's gonna leave. (Sparks)
COSMOPOLIS
Im neuen Film von Meister-Regisseur spielt Robert Pattinson einen millionenschweren Vermögensverwalter, der mit seiner Limousine quer durch
New York fährt, um sich bei seinem Lieblingsfriseur die Haare schneiden
zu lassen. Doch die Stadt ist im Ausnahmezustand, da der Präsident sein Kommen
angekündigt hat. So wird der Friseurbesuch zu einer Odyssee in die Abgründe der
Stadt und seines Lebens. Cosmopolis basiert auf dem gleichnamigen Roman von
Don DeLillo.
Von Peter Ortmann
Ganz langsam und bedächtig fegt ein älterer Herr die Bühne. Nur die
Notbeleuchtung weist ihm den Weg zum Unrat. Dann ist der Dreck im
Eimer und der Mann geht ab. Ohne Publikum, ohne Beifall. Ganz still.
Die letzte Glühbirne verlischt, knarrend schließt sich die Tür im alten
Schloss, der Schlüssel dreht sich ein letztes Mal. Dann ist Ruhe im Tuffstein-Karton, der einmal eine theatrale Aushängebox für den Niederrhein war. Auch draußen auf den Wiesen werden nie wieder Jazzmusiker
und Fans gemeinsame Sache machen. Von diversen Festivals ganz zu
schweigen. Die Stadt Moers will ihre Kultur abschaffen und das nicht
erst seit den aktuellen Haushaltsproblemen. Diese Stadt könnte wieder ins Diluvium zurückfallen, wo ihre Fläche einst aus Gletscher-Geröll
entstand. Die Stadt hinter dem deutschen Paradefluss versinkt so frei
gewählt in Bedeutungslosigkeit. Stadtmarketing für Touristen wird dann
ebenso wenig mehr gebraucht wie ein Kulturbüro nebst Dezernent.
engels verlost 3 Romane
E-Mail bis 12.7. an
[email protected]
Kennwort: „Cosmopolis“
Verzweiflung macht sich breit, es werden Unterschriften gesammelt.
Unterstützer gesucht. Bürger als Ideengeber geworben. Wer jetzt, denkt
diese Situation sei außergewöhnlich in NRW, der hat sich geschnitten.
Eigentlich sind alle pleite, sollten alle Theater, Museen, Konzerthallen,
Festivals, Opern, öffentliche Toiletten und Ampeln, Parks, Kreisverkehre
und Tierparks abgeschafft oder geschlossen werden. Die VHS und die
Stadtbibliotheken sowieso, je dümmer der Bürger, desto leichter hat es
der Würger. Die Lösung zeigt ein uraltes Zitat von Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten): „Bulimische Verschlankung für den ganzen Staat“.
engels verlost ein signiertes Filmplakat
von Julie Delpy E-Mail bis 10.7. an
[email protected]
Kennwort: „New York“
Und dennoch. Ich bin ich. Wir sind wir. Gerade haben alle wieder die
Fahnen geschwungen, haben wir unserer Bundeskanzlerin eine kleine
Urlaubsreise nach Polen finanziert, VIP-Karte auf der Tribüne bei der
Europameisterschaft inklusive. Das können sich nicht alle leisten. Dafür muss man berühmt sein oder ein Amt haben – oder Geld. Geld ist
aber alle, also gibt es auch kein öffentliches Geld mehr für Sportveranstaltungen oder Dienstwagen oder Schwimmbäder, sorry, die wurden ja
bereits abgeschafft.
Die Stadt Moers muss bis September einen Plan machen, wie der Haushalt 2018 ausgeglichen werden kann. Ein Fall nur für Wettbüros. Sollte
das diese 100.000 Seelen-Gemeinde hinter den sieben Moränenhügeln
schaffen, dann gibt es statt Horror-Sparkatalog eine horrende Quote.
1.000 für 10 würde ich mal schätzen. Wenn nicht, gibt es gerade mal
den Einsatz wieder.
SLEEP TIGHT
Das Leid anderer Menschen ist sein Lebenselexier. Cesar arbeitet als Hausmeister und Rezeptionist in einem Appartmentkomplex in Barcelona.
Während die Anwohner ihn nicht wirklich wahrnehmen, spioniert er sie
aus und kennt so ziemlich jedes intime Detail. Besonders die junge Clara interessiert
ihn sehr. Doch die lebensfrohe Ausstrahlung der jungen Frau versetzt ihn in eine
innere Unruhe und bereitet ihm reinste
Übelkeit. Also schmiedet er den perfiden
Plan ihr das Leben zur Hölle zu machen.
Bitter-böser Horrorschinken mit einem
grandios aufspielenden Hauptdarsteller.
Wie wäre das denn: 2018 hat das formidable Schlosstheater eine Auslastungsquote von 95 Prozent. Jugendliche rangeln bei den Vorstellungen
um die letzten Eintrittskarten, drängen ihre überforderten Deutschlehrer beiseite. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ skandieren sie. Nein
nicht das Pokalfinale, das Theatertreffen meinen sie. Der ältere Herr
packt draußen den Besen weg. Es nieselt leicht, doch er lächelt.
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2 TAGE NEW YORK
5 Jahre nachdem Marion gemeinsam mit ihrem amerikanischem Freund
Jack zwei nervenaufreibende Tage bei ihrer Familie verbracht hat, kündigen sich in der Fortsetzung „2 Tage New York“ ihr kauziger Vater, die neurotische Schwester und deren unhöflicher
Ex-Freund ihren Besuch an. Zusammen
mit ihrem neuen Lebensgefährten Mingus
stehen ihr chaotische Tage bevor.
engels verlost 2 Filmplakate und
2 Reiseführer „Cool Barcelona – AAD“
(teNeues Verlag)
E-Mail bis 10.7. an [email protected],
Kennwort: „Sleep Tight“
Joseph Beuys
Anselm Kiefer
Anselm Kiefer, Siegfried’s difficult way to Brünhilde, 1977, © Anselm Kiefer
ZEICHNUNGEN
GOUACHEN
BÜCHER
Die Ausstellung wird gefördert von
29. Juni – 30. September 2012
MKM Museum Küppersmühle, Duisburg
www.museum-kueppersmuehle.de