dj bobo dancing
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7.2012 DJ BOBO DANCING LAS VEGAS TOUR 2012 20.10.2012 LANXESS arena KÖLN www.lanxess-arena.de www.engels-kultur.de donnerstags in Ein Tag, der bleibt. ã immer donnerstags ã immer ab 19 Uhr ã immer Rathausplatz ã immer Live-Musik 5 Personen. 1 Tag. 1 Ticket. Gültig in: Mit dem VRR-GruppenTicket ab 12,60 Euro den Sommer genießen. 19.07.2012 26.07.2012 Tipp: Mit dem SchönerTagTicket NRW 5 Personen für nur 37,50 Euro NRW-weit unterwegs sein. Tickets gibt’s bei der DB – ob VRS, VRR oder ganz NRW. Die Bahn macht mobil. Regio NRW ã 02.08.2012 09.08.2012 16.08.2012 23.08.2012 Infos unter www.bahn.de/sommer-nrw Preis für ein VRR-GruppenTicket für bis zu 5 Personen, Preisstufe A: 12,60 Euro. ã ã ã ã ã SILENT SEVEN XTRY MELLER ALEX IM WESTERLAND PRIVACY TIMELINE www.remscheid-openair.de unsthochschule für Medien Köln Academy of Media Arts Cologne DIPLOMPRÄSENTATION JAHRESAUSSTELLUNG FILMPROGRAMM ERÖFFNUNG: 12. JULI, 18 UHR BIS 15. JULI 2012 CAMPUS DER KHM FILZENGRABEN 2 50676 KÖLN PROGRAMMDETAILS DEMNÄCHST UNTER WWW.KHM.DE Rundgang12 A b b . (Det a i l ): Ro m a n H a hl b ro ck / J o na s Z a is , 2 0 11 Sparkasse Dortmund präsentiert: Theater Fletch Bizzel im Spiegelzelt am U RuhrHOCHdeutsch Musik I Kabarett I Comedy I Kunst immer montags... Pommes, Currywurst, Bier und Kabarett NightWash 20. Juli, 18. Aug.+22.Sept. Jürgen Becker 26. August immer dienstags... „Der Bauch lacht mit“ inkl. 5-Gänge-Menü Richard Rogler 21. Juli immer mittwochs... immer donnerstags... Lioba Albus lädt ein: „HerzDame sticht“ Bruno „Günna“ Knust & Hartz-Vegas-Segers Band Frank Goosen 29.+30. Juni / 08. Juli Fritz Eckenga 13.+14. Juli Uta Rotermund 15.Juli+12. August Kay Ray 27.+28. Juli Robert Kreis 03.+04. August Schmitz & Mense-Moritz 10.+11. Aug. PREMIERE Kom(m)ödchen 19. August Jürgen Becker 26. August Hagen Rether 07. September Hennes Bender 09.+16. September Horst Schroth 14.+15. September Wilfried Schmickler 28.+30. September Jochen Malmsheimer 31. Aug. - 02. September und viele mehr... Bullemänner 02. September 28. Juni - 13. Oktober 2012 www.ruhrHOCHdeutsch.de THEATER · GALERIE · KULTURWERKSTATT FLETCH BIZZEL Foto: Stefan Rentel Vorverkauf läuft! Biergarten ab 17.00 Uhr geöffnet FAMILIE PROFESSIONELL LEBEN UND KINDER UND JUGENDLICHE STARK MACHEN! BEWÄHRTE QUALITÄT SEIT 2001 IM HERZEN VON ELBERFELD TROTZDEM E.V., FREIER TRÄGER DER JUGENDHILFE, BIETET SEIT 1998 ERFOLGREICH DIE UNTERBRINGUNG VON KINDERN UND JUGENDLICHEN IN FAMILIENANALOGEN BETREUUNGSSTELLEN AN. Yoga für alle Stufen: Haben Sie, als pädagogisch ausgebildete Fachkraft, Lust, Kindern oder Jugendlichen einen stabilen und dauerhaften Lebensmittelpunkt in Ihrem Hause anzubieten? Ȉ ò Ȉ Ȉ Zuhause arbeiten und die soziale Elternrolle übernehmen für: t,JOEFSEJFNBODINBMBOEFSTTJOEVOEEBNJUBVĊBMMFO t,JOEFSEJFJOJISFS)FSLVOGUTGBNJMJFTDIPOGSàI[FJUJHTDIXJFSJHF&SGBISVOHFOHFNBDIUIBCFO t,JOEFSEJF7FSMÊTTMJDILFJU3FTQFLUVOE"OFSLFOOVOHTPXJF,MBSIFJUVOE(SFO[FOCFOÚUJHFO 8JSCFSFJUFO4JFBVGEJF"SCFJUWPSVOEVOUFSTUàU[FO4JFJOEJFTFSWFSBOUXPSUVOHTWPMMFO"VGHBCF EVSDISFHFMNÊJHF'BDICFSBUVOH3VGCFSFJUTDIBGUVOE,SJTFOJOUFSWFOUJPOEVSDIVOTFSFLPPSEJOJFSFOEFO'BDILSÊGUFSFHFMNÊJHFFYUFSOF4VQFSWJTJPOEJF&JOCJOEVOHJOVOTFS6OUFSTUàU[VOHT /FU[XFSLTPXJFLPOLSFUF&OUMBTUVOHTNÚHMJDILFJUFOJO,SJTFO Ȉ Ȉ Ȉ Ȉ Ȉ 8JSCJFUFO*IOFOGàS*ISF"SCFJUBOHFNFTTFOFmOBO[JFMMF-FJTUVOHFOJO'PSNFJOFT)POPSBST[[HM FOUTQSFDIFOEFS4BDILPTUFOGàSEJF7FSTPSHVOHEFT,JOEFTEFT+VHFOEMJDIFO4PMMUFO4JF*OUFSFTTF IBCFOBCFSOJDIUEFOOPUXFOEJHFO1MBU[VOUFSTUàU[FOXJS4JFHFSOFCFJN'JOEFOWPOHFFJHOFUFN 8PIOSBVN SIND SIE NEUGIERIG GEWORDEN? 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Manche Jungschriftstellerinnen und Jungschriftsteller werden sich bei diesem traurigen Anblick schaudernd abwenden und darauf verzichten, ein Buch zu schreiben, das Bestsellerlisten anführen könnte. Niemand möchte sein Werk zwischen Daniela Katzenbergers Bekenntnis: „Sei schlau – stell dich dumm“ und Natascha Kampuschs Enthüllung „3096 Tage“ wiederfinden. Die Geisterschreiber der doofen und der armen Blondine bedienen vortrefflich den Geschmack der Käufermassen, mögen die Nachwuchsdichter greinen. Aber nicht jeder Bestseller, das sei hier tröstend vermerkt, ist Ramsch. Der Erfolgsautor aus unserer Stadt, der weltweit mehr Bücher verkaufen konnte als Katzenberger und Kampusch zusammen, lieh uns den Namen für dieses Magazin. Und er war noch nicht mal blond. Nach dem kläglichen Scheitern des ersten Anlaufs zur Verabschiedung des Betreuungsgeldes geht die Diskussion umso heftiger weiter. Sollen Kleinkinder bei Muttern und heimischem Herd bleiben, oder müssen sie gar ab Vollendung des ersten Lebensjahres täglich in eine herzlose Bildungseinrichtung? Das engels-Thema in diesem Monat heißt folglich KITA. Sozialdezernent STEFAN KÜHN und die Wissenschaftlerin CHARLOTTE RÖHNER beziehen eindeutig Stellung. Frühe institutionelle Förderung nutzt allen Kindern. Ansonsten ist engels in diesem Monat sehr filmlastig geworden. Das allerdings liegt daran, dass Künstlerinnen zu Filmemacherinnen werden. HEIKE KLUSSMANN, die als künstlerische Intervention schon mal Rohre durch Berlin verlegt oder Parkhäuser verfremdet, stellt im NEUEN KUNSTVEREIN WUPPERTAL die Videoinstallation SURROUND vor. Ihre Pläne zur Gestaltung der Düsseldorfer U-Bahn erscheinen dem Betrachter wie ein Computerspiel. Die Kommunikationsdesign-Studentin MITRA KASSAI zeigt im Cinemaxx ihren ersten Dokumentarfilm. engels portraitiert die 28Jährige, die von der Fotografie zum Film kam. Der erfolgreichste Dokumentarfilm aus Wuppertal heißt bekanntlich PINA. Anhand eines Marktforschungsberichts wird erläutert, wer ihn so erfolgreich hat werden lassen. Natürlich will engels den Besuch des legendären Open Air-Kinos TALFLIMMERN wärmstens empfehlen. Nicht, dass es in unserer Stadt schon mal zu kühl oder nass wäre. Das Programm ist einfach sehr anspruchsvoll. Neu ins Kino kommt der japanische Film GUILTY OF ROMANCE. Eine domestizierte Ehefrau gerät in die Welt von Pornographie und Prostitution. Kunstvolle Erotik sorgt hier für einen heißen Sommer. Die gerade 23 Jahre alte Schauspielerin EMMA STONE hingegen erklärt, dass es Parallelen zwischen dem gerade angelaufenen THE AMAZING SPIDER-MAN gibt, in dem sie die schöne Gwen Stacy spielt, und manchem Film von Woody Allen. Ist der Stadtneurotiker also nur ein verkannter Superheld? 7 KINDERGARTENSTREIT: U3-Betreuung versus Betreuungsgeld 8 Interviews mit Stefan Kühn, Beigeordneter der Stadt Wuppertal für den Geschäftsbereich Soziales, Jugend & Integration, und Charlotte Röhner, Professorin für Schulpädagogik an der Bergischen Universität Wuppertal Bühne. 10 Theater an der Wupper: „Zur schönen Aussicht“ an der Oper Wuppertal Tanz in NRW: Petition für Erhalt und Ausbau des Kölner Tanzes 11 RuhrTanz: Boris Charmatz’ „Enfant“ auf der RuhrTriennale 12 Theater in NRW: Startheater und enttäuschende Uraufführungen Oper in NRW: Beatrice Cenci in Dortmund 13 Musical in NRW: Musicals um Hippie-Nostalgie und Hexerei Opernzeit: „Mörder Kaspar Brand“ in Düsseldorf Kino. 14 15 16 17 20 22 Das Talflimmern – nicht bloß eine Kinoreihe Film des Monats: „Guilty of Romance“ Hintergrund: „Hasta la Vista“ weitere Film-Kritiken Roter Teppich: Schauspielerin Emma Stone im Interview Filmwirtschaft: Die GfK-Studie zum Kinobesuchsjahr 2011 Literatur. 23 ComicKultur/Wortwahl: Comic- und Buch-Empfehlungen im Juli 24 Textwelten: Das E-Book floppt Poetry: Die Kolumne von Sebastian23 Musik. 25 Kompakt Disk: neue Alben im Juli Popkultur in NRW: Eine der letzten Kölner Locations für Freiluftpartys Kunst. 26 Wupperkunst: Heike Klussmann stellt im Neuen Kunstverein aus 27 Kunst in NRW: Lewis Baltz in Bonn/Paul Thek in Duisburg Kunst-Kalender NRW Service. 5 6 28 29 30 31 Intro Portrait: Die Wuppertaler Studentin Mitra Kassai legt ihren ersten Kurzfilm vor engels zungen/Auswahl: Veranstaltungstipps im Juli Kolschewsky Impressum Magenbitter/Verlosungsbox LUTZ DEBUS Theater an der Wupper © Uwe Stratmann „Zur schönen Aussicht“ Hintergrund „Hasta la Vista“ Seite 10 Seite 16 Lesen Sie mehr auf www.engels-kultur.de Dieses Icon zeigt Ihnen den Weg. © Heike Klussmann Wupperkunst Heike Klussmann im Neuen Kunstverein Seite 26 portrait Was ist Pose, was ist Haltung?, Foto/Screenshot: Mitra Kassai Die Geschichte hinter den Bildern Kommunikationsdesign-Studentin Mitra Kassai legt ihren ersten Kurzfilm vor Kommunikationsdesign ist eine komplexe Angelegenheit. Nicht allein, weil es sich hier per se um einen haarscharfen Grenzgang zwischen Genres wie Kunst und Design handelt. Zum Gebot der interdisziplinären Arbeit des Studierenden gehört, sich vielfältig zu erproben und beweisen. „Ich habe mit Fotografie angefangen“, erinnert sich Mitra Kassai. Jetzt belegte die Allrounderin ein Seminar bei Dozentin Anna Silvia Bins. Zusammen mit Kommilitonen aus dem Bereich AV Medien/Film, Folkwang Universität der Künste, Campus Wuppertal, zeigte die Wuppertalerin bei der 7. Unicut Veranstaltung – ein wichtiger Termin für Filmfreunde – im Cinemaxx ihren ersten Beitrag. Es ist ein Film über den Wuppertaler Jürgen „Jojo“ Darski. „Es war purer Zufall, dass ich auf ihn kam“, sagt die 28Jährige. Die Vorgabe für den filmischen Beitrag korrespondierte mit dem Motto „Erlaubt ist, was gefällt“, es gab also weder thematische noch formelle Vorgaben. „Und ich habe natürlich gegrübelt, was eine richtig gute Idee sein könnte.“ Nicht sitzend am Schreibtisch, sondern in der Bewegung kommen die besten Eingebungen. Bei den Spaziergängen mit ihrem Hund rund ums heimische Karree kam sie immer wieder an einer Werbetafel vorbei, die auf einen gewissen „Darski“ verwies. Darski, wer ist das?, fragte sie sich. Raus aus dem Stundenplan, rein ins Leben, klingelte die Studentin spontan bei ihm. „Er ist Designer, Maler und Musiker und erklärte sich ziemlich schnell bereit, beim Projekt mitzumachen.“ Verbergen wir Unwissen hinter schönen Theorien? Das Wesen der Dinge ist es, was Mitra Kassai interessiert. Zwei Tage dauerten die Gespräche, in denen die Studentin den Künstler „auf Herz und Nieren prüfte und gewissenhaft ausfragte“. „Wir haben uns dann auf seine Bilder spezialisiert.“ Das wiederum ist nicht sonderlich erstaunlich, wenn man genau betrachtet, was Darski macht. Nur auf den ersten Blick sind seine bevorzugt in Airbrush-Techniken gearbeiteten Ansichten floraler Elemente oder Kleinstlebewesen hübsch anzuschauen. Oft ist bei ihm Bild geworden, was sich für ihn dahinter verbirgt, wenn sich Behauptungen als Wahrheiten verkleiden. Es scheint, als kon6 terkariere er die Idee des Verstehens als Illusion. Auch hier lässt sich die Frage nach dem, was bloße Pose oder tatsächliche Haltung ist, ableiten. „Ich habe erst gedacht, dass ich das alles nicht packe“, resümiert die Tochter italienisch-iranischer Eltern. Es war vor allem die Fülle des Materials, die sie zunächst zu überrollen drohte. Oder wie es Dozentin Bins mal ausdrückte: „Filmemachen ist mehr Arbeit, als man den Werken ansieht. Neben der Entwicklung einer guten Idee, dem technischen Knowhow und der Kreativität in der Filmgestaltung sind auch Organisation, Disziplin und Durchhaltevermögen wichtige Elemente.“ Die Technik der Verknappung und des präzisen Darstellens ist eines der wesentlichen Merkmale, die sie so erlernt hat. Eine Hymne auf die Tollpatschigkeit Zu experimentieren und auszuprobieren hat der gebürtigen Wuppertalerin, die eigentlich nach dem Abi 2003 „weit weg ins Ausland“ gehen wollte, sich dann aber überraschenderweise zunächst für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften einschrieb, immer am meisten Spaß gemacht. Aber schon zu Zeiten als Fotografin, wenn sie stundenlang in der Dunkelkammer ihre Bilder entwickelte, hat sie das „grobkörnig Echte mehr interessiert als alles auf Hochglanz Polierte. Dieses Natürliche ist mehr mein Ding.“ Wohin die Reise beruflich wirklich geht, mag sie jetzt noch nicht bestimmen. Aber was filmisch als nächstes kommt, das weiß sie. „Ich bin ein absoluter Tollpatsch“, beschreibt Mitra Kassai sich selbst. Ständig stolpere, falle und kippe sie über irgendetwas. „So etwas passiert mir ständig, wahrscheinlich weil ich immer drei Dinge gleichzeitig im Kopf habe und machen möchte.“ Aus diesem Prinzip heraus möchte sie eine Komödie machen. Stilistisch soll es ein Roadmovie werden, das zufällige Begegnungen in einer Bar zeigt. „Da treffen dann charakterlich total unterschiedliche Menschen aufeinander, und die Pointe ist, dass sie trotz aller Vorurteile und einbetonierter Meinungen miteinander kompatibel sind.“ Denn wenn man dem Wesentlichen auf den Grund geht, steckt eben oft mehr dahinter, als eine Fassade zunächst vermuten lässt. VALESKA VON DOLEGA 6 thema Illustration: Sven Siebenmorgen Kinder im Garten und Kinder im Kindergarten Möglichkeiten für Betreuung der ganz Kleinen Übermütter und Rabenmütter streiten in den Geigen-, Ballett-, Tennis- und Yoga-für-Kinderletzten Wochen heftig miteinander. Der Gesetz- Stunden ein Fulltimejob geworden ist. Oder sie entwurf der Bundesregierung zur Einführung ist alleinerziehend, bekommt deshalb keinen Job eines Betreuungsgeldes, das Eltern von ein- bis und rutscht in prekäre Verhältnisse. dreijährigen Kindern zustehen soll, die ihr Kind nicht in eine Kindertageseinrichtung schicken, Das Vormittagsprogramm von RTL ist als löst heftige Diskussionen aus. Neben dem par- Babysitter nicht geeignet teipolitischen Zwist geht es um die grundsätz- Auch sind die Bedürfnisse der Kinder oft sehr liche Frage, wo Kinder nach Vollendung ihres unterschiedlich. Mittelschichtskinder spielen ersten Lebensjahres am besten ihren Tag ver- auf Spielstraßen, verbringen ansonsten ihre bringen sollen. Die Fraktion der Rabenmütter Zeit in Krabbelgruppen und werden oft von Gebekommt hierbei unerwartet Zuspruch von Ar- schwisterkindern und Erwachsenen gefördert. beitgeberverbänden. Das von der Bundesregie- Anders sieht es in den sogenannten bildungsrung initiierte Betreuungsgeld sei Unsinn, weil fernen Schichten aus. Das Vormittagsprogramm es gutausgebildete und von RTL ist als Babysitdringend gebrauchte ter nicht geeignet. Zu engels-Thema im Juli: Frauen und vielleicht viele Kinder wachsen in auch Männer dem anregungsarmen MiliArbeitsmarkt entzieeus auf. Kinder können Der Rechtsanspruch auf U3-Betreuung auf der einen Seite und das „alternative“ Betreuungsgeld ab he, so argumentieren aber, wenn dies früh dem kommenden Jahr für die alleinig häusliche Bedie Unternehmer. Die geschieht, soweit getreuung von Kleinkindern auf der anderen spalten Fraktion der Überfördert werden, dass derzeit Politik wie öffentliche Meinung. Wie aber mütter wiederum wird manche Beeinträchtisieht es in der Praxis der Kinderbetreuung aus, was ist überhaupt realistisch in Wuppertal und Umgenicht nur unterstützt gungen wie mangelnde bung, was hält wer für sinnvoll und umsetzbar im von christlich-fundaSprachkompetenz, einSinne der Allerkleinsten? mentalistischen Orgeschränkte motorische ganisationen wie der Fähigkeiten, aber auch Bischofskonferenz oder der CSU, sondern auch unzureichendes Sozialverhalten viel weniger von manch ökologisch orientierten Zeitgenos- den weiteren Lebensweg verbauen, als wenn sinnen. Die Entschleunigung der Gesellschaft diese Förderung erst spät oder gar nicht stattbeginne mit der Elternzeit, ist von Vertrete- findet. Leider werden gerade Kinder aus solchen rinnen und Vertretern der neuen Innerlichkeit Familien seltener ab dem zweiten Lebensjahr in zu hören. Den Streitenden entgeht dabei aller- der Kindertagesstätte angemeldet. Und dieser dings, dass das Thema weitaus komplexer ist. Trend wird sich noch verschärfen. Die Familie mit einem Erwerbstätigen, der nur ein geringes Es gibt nicht die eine Familie, an die wir un- Einkommen hat, wird sich lieber die 100 Euro sere Maßstäbe anlegen können. Der Vierperso- Betreuungsgeld einstecken, als dass das Kind in nenhaushalt mit Alleinverdiener mit mittlerem eine Tageseinrichtung kommt. Einkommen ist nur noch im Werbefernsehen eine Majorität. Sogar im Westen der Republik Viele Untersuchungen zeigen, dass Kinder nach ist die Nur-Hausfrau-und-Mutter ein Auslauf- Vollendung des ersten Lebensjahres erheblich modell. Um einen relativen Wohlstand zu errei- von dem Besuch einer Tageseinrichtung prochen, sind Familien mittlerweile fast immer auf fitieren, egal wo sie sonst aufwachsen. Auch zwei Gehälter angewiesen. Kümmert sich eine das Kind aus der Eigenheimsiedlung erhält im Mutter ausschließlich um ihre Kinder, kann dies Spiel mit Gleichaltrigen wertvolle Impulse, die zwei Gründe haben. Entweder ihr Gatte ist so ihm kein Au-Pair-Mädchen und keine Tagesreich, dass für sie die Betreuung ihrer Kinder mit mutter vermitteln können. Allerdings sind die- Kindergartenstreit 7 se positiven Effekte der Kita in hohem Maße abhängig von der Qualität der Einrichtung. So stimmt es bedenklich, dass die Bundesfamilienministerin in Erwägung zieht, ungelernte Kräfte in Kindertageseinrichtungen einzusetzen, um personellen Engpässen zu begegnen. In anderen europäischen Ländern ist der Kindergarten, auch für die ganz Kleinen, inzwischen selbstverständliche Institution. Dabei geht es mitnichten um eine preisgünstige Betreuung, damit beide Eltern arbeiten können. Die Kindertageseinrichtung mauserte sich in den letzten Jahrzehnten zu einer wichtigen Bildungsinstitution. Entsprechend wandelte sich auch das Berufsbild der Erzieherinnen und Erzieher. Während in Deutschland nach wie vor der dreijährige Besuch einer Fachschule ausreicht, um den Beruf auszuüben, sind in vielen anderen Ländern mittlerweile Universitäten für die Ausbildung zuständig. Auch die Vergütung ist in anderen Ländern der von Lehrern vergleichbar. Hierzulande verdienen Erzieherinnen und Erzieher hingegen ähnlich wenig wie in anderen schlechtbezahlten, typischen „Frauenberufen“. Deshalb verwundert es auch nicht, dass immer noch wenige Männer den Beruf ergreifen. Erzieher im Regelkindergarten können wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen gesucht werden. So erleben Kinder neben ihrem Vater oft erst ab dem zehnten Lebensjahr eine andere männliche Bezugsperson, den Fachlehrer in der 5. Klasse. In diesem Zusammenhang erscheint die Forderung nach mehr gemeinsamer Zeit für die Familie natürlich in einem gänzlich anderen Licht. Was wäre, wenn der Vater für die Betreuung seines zweijährigen Kindes die Hauptverantwortung übernähme? Fraglich ist allerdings, ob in diesem Fall 100 Euro Betreuungsgeld als Anreiz ausreichen. LUTZ DEBUS In der frühkindlichen Bildung wird auf Selbstständigkeit gesetzt. Weshalb Erwachsene trotzdem wichtig bleiben, zeigt ein Besuch in der evgl. Kindertagesstätte Wuppertal-Elberfeld: Lesen Sie mehr unter www.engels-kultur.de/thema thema „Wir haben massiv neue Plätze geschaffen“ Kita-Ausbau: Träume sind nur Schäume?, Foto: Kirstin Jungmann Stefan Kühn über die Bemühungen der Stadt Wuppertal im Bereich der Kinderbetreuung engels: Herr Kühn, gibt es genug Krippenplätze in Wuppertal? Stefan Kühn: Nein, uns geht es wie fast allen anderen Großstädten in Westdeutschland. Wir werden vom 1. August 2013 an nicht genug Plätze für alle Unter-Dreijährigen haben und den Rechtsanspruch darauf nicht erfüllen können. Warum nicht? Eine Stadt wie Wuppertal hatte und hat nicht genügend Geld, diese große Aufgabe zu stemmen. Millionenschwere Investitionen sind da nötig. Wir haben zwar massiv neue Plätze geschaffen, aber das reicht nicht. Das Glas ist erst zu zwei Drittel voll. Die Bundesfamilienministerin sagt, dass noch gar nicht alle vorgesehenen Mittel in Anspruch genommen wurden. Das mag für ganz Deutschland stimmen. In NRW ist das Geld des Bundes fast komplett ausgegeben. Die damalige CDU/FDP-Regierung in Düssel- dorf hat vor über zwei Jahren einen strategischen nach richtiger Kinderbetreuung? Fehler gemacht. Es hieß: Wer zuerst kommt, mahlt Alleinerziehende, die Sozialleistungen bekommen, sind zu über 99 Prozent Frauen. zuerst. So ist der überwiegende „Um ein Kind Von allen Haushalten mit alleinTeil der Fördermittel in reiche zu erziehen, braucht man erziehenden Frauen in Wuppertal Kommunen geflossen. Die neue ein ganzes Dorf“ beziehen 50 Prozent Leistungen Landesregierung hat ein eigenes Programm aufgelegt und dafür gesorgt, dass die nach dem Sozialgesetzbuch II. Das heißt, dass diese Frauen in soziale Sicherungssysteme fallen, Gelder gleichmäßig in alle Kommunen fließen. weil die Betreuungssituation ihrer Kinder nicht Macht es eigentlich Sinn, Kinder in dem Alter gelöst ist. Wer Betreuungsangebote verknappt, bereits in eine Einrichtung zu geben, oder sind lässt Frauen und Kinder in prekären LebenssituFamilienangehörige zur Betreuung nicht besser ationen zurück. geeignet? Eine generelle Antwort hierauf gibt es nicht. Dafür sind die Eltern und deren Lebenssituationen viel zu unterschiedlich. Außerdem sollten Betreuungsmöglichkeiten nicht alternativ, sondern ZUR PERSON additiv zueinander betrachtet werden. Die Kita ist Dr. Stefan Kühn (49) ist Beigedie erste Bildungsinstitution. Ideal sind daneben ordneter der Stadt Wuppertal engagierte Eltern, Großeltern, Freunde. Es gibt ein für den Geschäftsbereich Sozischönes afrikanisches Sprichwort: Um ein Kind zu ales, Jugend & Integration. erziehen, braucht man ein ganzes Dorf. Gibt es eine soziale Komponente der Frage Foto: Stadt Wuppertal „Das Betreuungsgeld setzt auf Verhäuslichung“ Charlotte Röhner über Erkenntnisse der Kleinkindpädagogik engels: Frau Röhner, was ist besser für ein Jahren proportional seltener in Einrichtungen, obwohl gerade diese Kinder davon besonders proKind, eine Tageseinrichtung oder die Familie? Charlotte Röhner: Das kommt ganz auf das Alter fitieren würden. des Kindes an. Das erste Lebensjahr ist für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung von zen- Was raten Sie unserer Bundesfamilienministetraler Bedeutung. In dieser Lebensphase stehen rin? Soll sie eher Mittel für das Erziehungsgeld oder für den Krippenausbau bedie Mutter-Kind-Beziehung und „Kinder aus anregungsarmen reitstellen? auch die Vater-Kind-Beziehung Familien profitieren überDas Betreuungsgeld schafft für im Zentrum. Wenn Mütter aldurchschnittlich vom Besuch Frauen keinen Anreiz, trotz Kind lein ein Kind erziehen, können einer Tageseinrichtung“ berufstätig zu bleiben, setzt also allerdings auch Entwicklungsrückstände auftreten, wenn darüber hinaus keine auf Verhäuslichung. Der Bedarf an Krippenplätzen ist deutlich höher als das bestehende Angebot. weiteren Entwicklungsimpulse gesetzt werden. Deshalb sollten die Ressourcen für den Ausbau an Kindertagesplätzen eingesetzt werden. Spielt da die soziale Frage auch eine Rolle? Kinder aus anregungsarmen Familien profitieren überdurchschnittlich vom Besuch einer Tagesein- Werden Zweijährige nicht traumatisiert, wenn richtung. Dies ergeben internationale Langzeit- sie der familiären Umgebung entrissen werden? studien. Allerdings geben Mütter ohne Beruf ihre Keinesfalls. Wenn die Einrichtungen eine hohe Kinder nicht so oft in Kitas wie berufstätige Müt- pädagogische Qualität haben, profitieren diese ter. Also sind Kinder aus unteren sozialen Schich- Kinder von Kindertagesstätten. Bei den Unterten und Kinder aus Migrationsfamilien unter drei Dreijährigen sollte der Personalschlüssel bei 1:3 8 8 oder 1:4 liegen. Es soll kleine Gruppen geben, und das Personal sollte qualifiziert sein. Sollte deshalb die Erzieherin oder der Erzieher nicht besser wie die Lehrerin und der Lehrer an der Universität ausgebildet werden? Es gibt international eine sehr umfassende Diskussion darüber. Die Qualität der Ausbildung muss in Deutschland tatsächlich noch erheblich erhöht werden. INTERVIEWS: LUTZ DEBUS ZUR PERSON Prof. Dr. Charlotte Röhner (63) ist Professorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Pädagogik der frühen Kindheit und der Primarstufe an der Bergischen Universität Wuppertal Foto: Bergische Universität Wuppertal thema Gute Kinderbetreuung ist nicht von Pappe, Foto: Kirstin Jungmann Rascheln und Rindenkugelbahnen Waldkindergärten bieten Erziehung im Grünen Für viele ist es der Inbegriff einer glücklichen Kindheit: im Wald Verstecken spielen, sich im Laub wälzen und Hütten bauen. Für manche Eltern ist das die ideale Kindheit, die sie selbst nie hatten. Kinder, die einen Waldkindergarten besuchen, bekommen all dies und noch vieles mehr. „Es ist ein sehr angenehmes Klima für die Kinder, aber auch für die Erzieher“, erzählt Melanie Jatra vom Waldkindergarten in Sprockhövel-Hiddinghausen. Vierzehn Kinder kommen hier jeden Tag zusammen, um ein paar Stunden mit zwei Erzieherinnen im Waldlaub zu verbringen. Dort tun sie alles, was sie in einem normalen Kindergarten auch tun würden. Sie sitzen im Kreis, improvisieren mit Farbe und Pinsel auf großen Leinwänden und bekommen Bücher vorgelesen. Aber sie tun es unter offenem Himmel und bei jedem Wetter. Das hat Konsequenzen: „Unsere Kinder werden selten krank, ihr Immunsystem ist sehr stark“, beschreibt Melanie Jatra die Konstitution ihrer Schützlinge. Kinder, die im Wald spielen, gelten als konfliktfähiger und konzentrierter Der Wald ist dabei nicht nur einfach ein alternativer Gruppenraum, sondern wird selbst zum Gegenstand des Spielens. Spielen die Kinder ein Rollenspiel mit Cowboys und Indianern, wird ein Tipi aus Ästen gebaut, die Kinder lernen schnitzen oder sich eine Kugelbahn aus Baumrinde zu bauen. „Die Kinder haben viele Ideen, und wir legen Wert darauf, dass sie die Natur kennenlernen.“ Aber die Liebe zur unberührten Natur hat ihre Grenzen, denn die Gefahren des Waldes müssen die Kleinen schon beachten. Dass Äste durch Frost brüchig oder durch Regen rutschig werden können, ist ebenso Teil des Lehrprogramms wie das Erlernen elementarer Regeln für den Umgang mit dem Wald nach einem Sturm oder bei einer Sturmwarnung. Besteht die Gefahr von herabfallenden Ästen oder stürzenden Bäumen, werden Teile des Waldes fürs Spielen gesperrt. Den Kindern werden dann die Gefahren erläutert, so lernen sie die Grenzen der Natur kennen. „Die Kinder können sich diese Regeln manchmal besser merken als wir“, berichtet Melanie Jatra und muss schmunzeln. Aber am meisten lobt die Erzieherin das Sozialverhalten ihrer Schützlinge. „Es ist toll, wie die Kinder miteinander umgehen“, meint Melanie Jatra. „Es gibt nicht viele Streitereien.“ Die spärliche Forschung zu Waldkindergärten bestätigt diese Einschätzung. Kinder, die im Grünen spielen, gelten als konfliktfähiger und konzentrierter. Aber vielleicht ist das auch nur ein Effekt der sozialen Schichtung, denn günstig ist die laubraschelnde Kindererziehung in der Regel nicht. Der Waldkindergarten wird von einem privaten Trägerverein finanziert. Zwar konnte der Fortbestand des Waldkindergartens im Mai durch eine Spende der Dietrich-Grönemeyer-Stiftung gesichert werten, aber es kostet dennoch mindestens 375 Euro, wenn man sein Kind für einen Monat unter den Bäumen betreuen lassen möchte. CHRISTIAN WERTHSCHULTE Montessori als Lebenshaltung Kinderbetreuung im Montessori Kinderhaus in Wuppertal Finja möchte noch mehr schreiben können, Noël noch einmal auf den Spielplatz: Die Kinder, die im Sommer eingeschult werden, verewigen ihre Wünsche auf einer Tafel. Auf dem roten Papier steht, was sie schon können, und wie sie ihr letztes Jahr im Kindergarten gestalten möchten. Die Faszination für das Lesen setzt im Alter von fünf Jahren ein „Die Kinder lernen hier auch lesen und schreiben, aber nur, wenn sie das wollen“, erklärt Leiterin Petra Kirschbaum. Im Leben des Kindes gebe es sensible Phasen, in denen die Kleinen besonders empfänglich für das Lernen seien. Ab dem dritten Lebensjahr beginnen sie, sich für Zahlen und mathematische Zusammenhänge zu interessieren, ab dem vierten Lebensjahr für Buchstaben. Die Faszination für das Lesen setze dann im Alter von fünf Jahren ein. Die Kleinen sollen dabei ohne äußeren Zwang ihren Interessen folgen. Im Montessori Kinderhaus gibt es zwei altersgemischte Tagesstättengruppen für Kinder von drei bis sechs Jahren. Zwei Erzieherinnen mit Montessoridiplom sowie weitere pädagogische Kräfte kümmern sich um die Kleinen. In der Regenbogengruppe sind 20 Kinder, in der Sternschnuppengruppe 15, davon 5 mit Behinderung. Den Drei- bis Sechsjährigen stehen jeweils großzügige Gruppenräume zur Verfügung, die in unterschiedliche Aktionsbereiche unterteilt sind. Hier wird gebaut, konstruiert oder gespielt. Draußen befindet sich die „Hoppe Tosse“, ein großes Schiff mit einer Rutsche. Die Umgebung soll das kindliche Interesse an Wissen aktiv fördern. „Der Raum ist der dritte Erzieher“, erläutert Petra Kirschbaum. In der Montessori-Pädagogik wird mit sinnlichen Erfahrungen gearbeitet. Auf einer handlichen roten Tafel steht ein gelbes „E“. Die Kinder sollen es nicht nur sehen, sondern auch fühlen. „Das Begreifen mit den Händen schafft die Voraussetzung für das Begreifen von Begriffen.“ Ein Knirps flitzt durch die Einrichtung und präsen9 tiert stolz sein Lego-Kunstwerk: „Habe ich alleine gemacht“, sagt er. „Diesen Satz höre ich hier oft“, berichtet Petra Kirschbaum. Größtmögliche Selbstständigkeit ist ein Ziel der Reformpädagogik. „So viel Hilfe wie nötig, so wenig wie möglich“ lautet das Credo. Die Kleinen sollen lernen, Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen. Das Kind wird als eigene Persönlichkeit mit individuellen Stärken und Schwächen anerkannt, das einer individuellen Förderung bedarf. Im Montessori-Kinderhaus lernen Kinder, mit Gefahren umzugehen. Das Schneiden mit einem Messer wird hier genauso geübt wie das Tragen eines Glases. Weil das Glas zerbrechlich ist, sind sie vorsichtiger. Das Montessori Kinderhaus wird von einer Elterninitiative betrieben. Ein ehrenamtlich agierender Vorstand ist für Finanzen, Personal und Verwaltung verantwortlich. „Montessori, das ist eine Lebenshaltung“, erläutert Petra Kirschbaum abschließend. ANKE-ELISABETH SCHOEN tanz in NRW theater an der wupper „Zur schönen Aussicht“, Foto: Uwe Stratmann Szene aus „LOSS OF CONTROL/Café Jolles“, Foto: F. Dannhauer Gerangel um Liebe Ballett kann kämpfen Geld macht schön. Diese Lebensweisheit ist zeitlos, wird in jedem Celebrity-Journal immer wieder bewiesen. Reichtum gilt als erstrebenswertes Ziel. Davon sind die Personen im heruntergekommenen Hotel in Ödön von Horváths Dreiakter „Zur schönen Aussicht“ weit entfernt. Endlos weit. Sie vertreiben sich die Zeit, haben aber einen zahlungskräftigen Dauergast, der sie als Sklaven behandelt. Martin Kloepfer inszeniert an der Wuppertaler Oper die Komödie des österreichisch-ungarischen Schriftstellers (1901–1938). Die Geschichte um Geld, Macht und Liebe wurde 1926 geschrieben, aber erst 1969 in Graz uraufgeführt. Volkstheaterhaft, milde modernisiert, aber mit einem schönen HotelBühnenbild, wo nichts mehr vorzeigbar scheint, nicht einmal die schöne Aussicht, die ein riesiger Pappkarton zu sein scheint, der nichts verhüllt, weil ohne Inhalt. Urlaubsdias gaukeln vergangene Freuden vor, zu Beginn wird am Panorama filmisch noch ein bisschen ausgebessert, doch die Holzdielen im Restaurant haben sich längst vor Feuchtigkeit hochgebogen. Im Hintergrund säuselt der „Hotel California“-Riff. Von Klaus Keil Er hat das Ballett revolutioniert und vom Ballast des Gleichschritts befreit. Statt der immer gleichen Bewegung zu frönen, hat er dem Ballett Beine gemacht und brachte politisch brisante The„Die finanziellen men auf die Bühne. Die Rede ist von Johan Daumenschrauben werden Kresnik, der 1968 in Köln mit „Paradies?“, angezogen“ einem Stück über Rudi Dutschke und die Studentenrevolte, seine erste politische Choreografie auf die Tanzbühne gebracht hat. In Köln stand damit – historisch betrachtet – die Wiege des politischen Tanztheaters. Die Uraufführung war ein Riesenerfolg, doch das Stück wurde sofort vom Spielplan genommen. Auch darin blieb sich 1968 das heute als weltoffene Stadt gefeierte Köln treu. Bereits 1926 war die Tanzpantomime „Der wunderbare Mandarin“ von Béla Bartók wegen „unmoralischer Handlung“ nach der Premiere verboten worden. Heute, im Jahr 2012, steht in Köln nicht ein einzelnes Tanzstück auf der Kippe, sondern der Tanz insgesamt. Da wird nichts verboten oder abgesetzt, doch die finanziellen Daumenschrauben werden wieder einmal angezogen. Das kommt indirekt einer Spielplan-Absetzung gleich. Vom Tanz geblieben ist nur noch eine Gastspielreihe, die zwar immer ausverkauft ist, aber weiter reduziert werden soll. Ballett kann kämpfen. Mit dieser Parole ging Johan Kresnik einst gegen Ignoranz und Kleingeistigkeit an. Ein bisschen von diesem Kampfgeist ist jetzt nach Köln zurückgekehrt. Ballett kann kämpfen. Schließlich geht es um seine Existenz. Und das Kölner Publikum kämpft diesmal mit. Die erste „Kampf“-Abstimmung fand kürzlich im Opernhaus statt. Das Publikum hatte sich zum Protest erhoben und minutenlang donnernd applaudiert. Noch galt der Applaus nicht dem Ballet de MonteCarlo und seiner Version von „Romeo und Julia“, sondern der Protestnote gegen die Mittel-Kürzung und für den Erhalt der Gastspiele, die der Vorsitzende des Kunstsalon Köln, Dr. Peter Bach, verlesen hatte. Jetzt begehrt die gebeutelte Sparte Tanz endlich auf. Nachdem der Etat von Schauspiel und Oper nur um je 1,3 Prozent gekürzt werden soll, wird der Tanz gleich mit 30 Prozent zur Kasse gebeten, denn er soll von seinem bescheidenen 1-MillionEuro-Etat ganze 300.000 Euro abgeben. Das ist nicht nur unverhältnismäßig, das ist dreist. Die schwächste Sparte wird am stärksten belastet. Ballett kann kämpfen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Das NRW Landesbüro Tanz, der Verein tanZKoeln sowie die tanzsociety des Kunstsalon Köln haben nun die Notbremse gezogen und eine Petition auf den Weg gebracht, die ein vehementes Veto gegen diese Kürzungen einlegt. Rund tausend Besucher von Tanzaufführungen haben bereits unterschrieben. Aber auch jeder Bürger kann die Petition unterzeichnen: www.petitiononline.de/petition/fuer-denerhalt-und-ausbau-von-tanz-in-koeln/970. Mittlerweile wird auch Protest gegen die Verwendung der 2010 eingeführten Kulturförderabgabe, der sogenannten „Bettensteuer“ laut, deren Mittel im allgemeinen Haushalt versanden, ohne gezielt zur Kulturförderung eingesetzt zu werden. Wie heißt es in der Petition: „Es ist an der Zeit, eine gesamtökonomische Sicht zu entwickeln, die die PaKlaus Keil Journalist, Tanzkritiker u. rameter von nachhaltigen Erträgen für eine Gesellschaft Hochschuldozent neu definiert.“ Ödön von Horváths Dreiakter „Zur schönen Aussicht“ in Wuppertal Hier prallen die Versager aufeinander, balgen sich um Gunst und Geld, müssen sich von Ada, Freifrau von Stetten (Sophie Basse), erniedrigen lassen. Selbst ihr Bruder Emanuel, der abgehalfterte Freiherr, rutscht vor ihr im Staub. Kloepfer mischt das alles ziemlich surreal, baut choreografische Personenführung mit Slapstick und Situationskomik. Dazu treffen Diener mit roten Fußnägeln auf überdrehte Adlige mit Höhenangst und latenter Spielsucht, und das, während im Hintergrund Fahnen vorm Gebirge wehen. Alle sind nicht koscher, der Chauffeur (Heisam Abbas) vorbestraft, der Kellner ein Künstler, auf der Speisekarte stehen vielleicht sogar Krücken. Aber das Ensemble erzeugt auch wunderbare komödiantische Momente der Stille, obwohl die Strasser (Holger Kraft), der Besitzer des Hotels, nicht gebrauchen kann: Keine Gäste, kein Geld, nicht einmal den Sekt von Vertreter Müller (Hendrik Vogt) kann er bezahlen. Und dann taucht der Katalysator auf, der Zünder für die Explosion der fragilen ZwangsGemeinschaft: Christine (Anne-Catherine Studer) kommt – und gleich mit Gott im Schlepptau. Einst war sie Gast, dann Geliebte des Chefs, dann Mutter seines Kindes. Sie schrieb Briefe, die alle lasen, Strasser aber nie beantwortete. Nun will sie ihn zurück, das Hotel übernehmen und wieder aufmöbeln. Strasser wehrt sich, die Gruppe macht Christine nicht nur verbal nieder, die Freifrau von Stetten will sowieso keine Konkurrentin. Als sich dann aber herausstellt, dass Christine Geld geerbt hat, liegt die verrohte Männerwelt in Trümmern, die erbärmlichen Existenzen buhlen säuselnd um sie. Das ist ein Fest für die Schauspieler, und Kloepfer lässt sie genüsslich machen. Jeder versucht nun auf seine Weise, am christlichen Reichtum Christines, die unter Gott allerdings zehntausend Euro versteht, zu partizipieren. Ada geht derweil auf ihr Zimmer – mit einem Revolver. Ach Ödön. PETER ORTMANN „Zur schönen Aussicht“ I 5.7. 19.30 Uhr Oper Wuppertal I 0202 563 76 666 Petition für den Erhalt und Ausbau von Tanz in Köln www.tanzwebkoeln.de I www.lb-tanz.de I www.kunstsalon.de 10 ruhrtanz „Enfant”, Foto: Christophe Raynaud de Lage / WikiSpectacle Das Schicksal der Kinder Boris Charmatz zeigt bei der RuhrTriennale seine Choreographie Noch einmal Kind sein. Das war einmal eine Vorstellung von Glück und Unbeschwertheit, von Freiheit und Lebensintensität. Heute ist Kindheit nicht mehr so unschuldig mit Freude verbunden, heute provoziert sie Gedanken an Bedrohung durch Armut, Verwahrlosung, Gewalt und Missbrauch. Kinder werden als Objekte für Kommerzialisierung betrachtet, je jünger je lieber, und zugleich gibt es Überlegungen, das Alter für eine Strafverfolgung zu senken. Kindheit wird von Angst überschattet. Ein zentrales Thema in Boris Charmatz‘ Tanz-Produktion „Enfant“, die zu den überragenden Produktionen im Programm der diesjäh- „Die Ohnmacht, in der Kinder rigen RuhrTriennale zählt. Freilich handelt einer Erwachsenenwelt ausgeliefert sind, wird spürbar“ es sich um einen dunklen Stern, den der Künstlerische Leiter Heiner Goebbels in den Reigen einer Triennale aufnahm, die mit Produktionen von Anne Teresa De Keersmaeker, Mathilde Monnier, Luc Ferrari und Laurent Chétouane ihren Schwerpunkt stärker als jemals zuvor im Tanzbereich setzt. Boris Charmatz weiß um die Wirkung von Kindern auf der Bühne. Kinder agieren so authentisch, dass sie in jeder Inszenierung sofort die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen und die theatrale Wirkung der Erwachsenen sprengen. Deshalb lässt der Franzose sie in seiner Choreographie die meiste Zeit auch gar nichts tun. Nach einem unheimlichen Maschinenballett zu Beginn, sieht man die Kinder wie schlafend liegen. Dafür hantieren die erwachsenen Tänzer mit den Kinderkörpern. Kalt, ruppig und in ihrer Gleichgültigkeit fast brutal wirken die Aktionen der Erwachsenen. Und sofort sind sie da, die Assoziationen von Missbrauch und Demütigung. Die Ohnmacht, in der Kinder einer Erwachsenenwelt ausgeliefert sind, wird spürbar. Aber das alles spielt sich in unseren Köpfen ab, es ist „eine Projektion der Erwachsenen“, wie Charmatz treffend behauptet. Sein eigentliches Sujet sind denn auch nicht die Kinder, sondern unser Blick auf sie, das Mitleid und die Angst, die wir um das Kind in uns haben und dem wir in Gestalt der Kinder auf der Bühne begegnen. Damit hat er einen Nerv unserer Zeit getroffen, die Uraufführung bescherte dem Theaterfestival in Avignon 2011 seinen Höhepunkt. Konsequent geht der 39jährige Franzose seinen Weg. Dass er stets den Blick thematisiert, mit dem wir auf die Welt schauen, deutete sich schon an, als er 2009 die Künstlerische Leitung des Centre choréographique national de Renne et de Bretagne übernahm und das Haus zu einem Museum für Tanz erklärte. Charmatz betrachtet die Aktionen auf der Bühne als eine Fortsetzung der Bildenden Kunst mit den Mitteln des Tanzes. Er spielt mit den Erwartungen seines Publikums, aber er nimmt sein Publikum dabei auch ernst, mutet ihm eine emotionale Achterbahnfahrt im Verlaufe der 75 Minuten zu, die „Entfant“ benötigt, um uns ein Schauspiel vor Augen zu führen, das sich in der Erinnerung einschreibt. Wie sehen wir die Kinder, inwieweit stülpen wir ihnen unsere Wünsche, Träume und Ängste über? Das sind Fragen, zu denen eine Gesellschaft Antworten finden muss, wenn sie sich selbst begegnen will. Die Bilder, die wir vom Kindsein haben, werden von Boris Charmatz hart und unsentimental seziert. „Politisch“ will er seine Inszenierungen aber nicht verstanden wissen. Seine Rolle ist die des „blinden Künstlers“, wie er sagt, der seine Arbeit „anbietet, ohne darüber zu spekulieren, was sie bewirkt“. Klingt fast unschuldig, dass „Entfant“ jedoch ein komplexes Projekt ist, das seinem Publikum ins Herz zu schneiden vermag, davon kann man sich am 18. August (19 Uhr) und am 19. August (15 Uhr) in der Jahrhunderthalle in Bochum überzeugen. THOMAS LINDEN 11 theater in NRW oper in NRW „Groß und Klein“, Foto: Lisa Tomasetti Christiane Kohl (Beatrice) und Karl-Heinz Lehner (Marzio), Foto: Thomas M. Jauk/Stage Picture Im Aquarium der Hochfinanz Tyrannenmord ohne Happy End Von Hans-Christoph Zimmermann Internationale Stars gehen bei den Ruhrfestspielen ein und aus, seit Frank Hoffmann in Recklinghausen das Sagen hat. Jetzt gastierte zum zweiten Mal Cate Blanchett auf dem Grünen Hügel. Die Hollywoodactrice spielte die Rolle der Lotte in Botho Strauß’ Drama „Groß und Klein“, und Stückwahl sowie das Ergebnis hätten nicht unge„Internationale Stars wöhnlicher sein können. Strauß schickt gehen bei den Ruhrfestspielen die Hauptfigur Lotte auf die Suche nach ein und aus“ dem pulsierenden sozialen Fleisch unter dem Panzer der Saturiertheit in der späten Bundesrepublik. In der Bearbeitung von Martin Crimp und der Regie von Benedict Andrews macht die Sydney Theatre Company daraus ein verblüffend komisch-absurdes Gesellschaftsbild. Lottes Besuch bei der Gartenparty ihres Bruders gerät genauso zur choreographierten Slapstick wie die grotesk getänzelte Büroszene mit ihrem Interimslover. Lottes Verzweiflung geht allerdings nicht vollends in Komik auf. Über einer kleinbürgerlichen Grundierung macht Cate Blanchett aus ihr eine ergreifende Studie einer Figur, die den Panzer dichtzuhalten versucht und doch offenbart, wie weit gesellschaftliches und individuelles Sein auseinanderklaffen. Manche Hollywoodstars haben selbst zur Geschichte der BRD etwas Substantielles zu sagen – was man von den deutschen Uraufführungen auf dem grünen Hügel diesmal kaum sagen konnte. Eher verquast Kevin Rittbergers „Lasst euch nicht um-schlingen ihr 150 000 000“, das sich zwischen den Absurditäten der Werbefotografie, einer klischierten utopischen Gesellschaft und dem Aufstand in Tunesien 2011 vergaloppiert. Ähnlich das Projekt „Zerschossene Träume“ von Wolfram Lotz und Martin Laberenz, das sich aus dem Schlemmertopf der Identität bedient: Schauspieler und Rolle, Schauspieler und Körper, Körper und Geschlecht – alles dient als Spielmaterial um einen kontrasexuellen Thilo Sarrazin oder die von einem Darsteller gespielte Lindsay Lohan, die in der Verfilmung ihres Lebens mitspielen soll. Der Turbowechsel der Realitätsebenen ist rasant, aber nicht neu, dafür entschädigen die brillanten Schauspieler vom Centraltheater Leipzig nur einigermaßen. Überzeugen konnte bei den Uraufführungen nur Dennis Kellys „Die Opferung des Gorge Mastromas“ vom Schauspiel Frankfurt, das das Leben eines kapitalistischen Monsters nachverfolgt. Freunde, erste Liebe, Affären, überall ist Gorge Durchschnitt, bis er plötzlich seinem Chef den Todesstoß versetzt und damit der Erfolg kommt. Das Stück wechselt zwischen gespielten Szenen und den Texten eines Erzählers, den Torben Kübler mit grandioser Virtuosität irgendwo zwischen Clown und allmächtigem Strippenzieher spielt. Hinter ihm ist durch Glasscheiben das Aquarium der Hochfinanz zu sehen. Hier hockt der graubärtige Citizen Mastro-mas (Isaak Dentler) in einem Sessel, hier serviert er zusammen mit der Heuschrecke A (eiskalt: Katja Uffelmann) seinen Chef ab, hier verkündet er sein Credo von der moralfreien Lüge um des Erfolgs willen. Am Ende entpuppt sich in Christoph Mehlers Regie der Erzähler als Gorges Enkel Pete, ein junger antikapitalistischer Aktivist, der selbst seinen eigenen subjektiv getönten Blick Hans-Christoph Zimmermann auf das Monster erzählt hat. Wer will da noch ernsthaft Journalist und Theaterkritiker sagen, was Wahrheit und was Lüge ist? Von Karsten Mark Für Opernhäuser sind „Ausgrabungen vergessener Werke“ eine Frage des Prestiges. Unter den Ersten bei einer Wiederaufführung zu sein, sorgt für Aufsehen – jedenfalls bei der Kritik und in der Fachwelt. Die Beachtung durch das Publikum steht auf einem anderen Blatt. Denn viele Opernfreunde haben mittlerweile erfahren „Goldschmidts Tonsprache müssen, dass es durchaus gute Gründe ist ausgesprochen spätromandafür geben kann, wenn ein Werk in tisch und eingängig“ der Versenkung verschwunden ist. Die Missachtung, mit der das Publikum allerdings die letzte Produktion dieser Dortmunder Spielzeit straft, erscheint kaum gerechtfertigt. Mit „Beatrice Cenci“ steht ein Werk eines Komponisten auf dem Spielplan, dessen vielversprechend begonnene Karriere jäh durch die Nazis abgewürgt wurde. Berthold Goldschmidt war Jude und Sozialdemokrat und musste deshalb 1935 nach England emigrieren, womit er zu einem Niemand in der Fremde wurde. Nach dem Krieg konnte er zwar als Dirigent, nicht aber als Komponist wieder Fuß fassen. So sollte es ganze 44 Jahre dauern, bis seine zweite Oper – eben jene „Beatrice Cenci“ – ihre szenische Uraufführung erlebte. 1994 war das in Magdeburg, drei Jahre vor Goldschmidts Tod, und sie hinterließ keinen sonderlich nachhaltigen Eindruck. Dortmunds neuer Opernintendant Jens-Daniel Herzog setzte den rund zweistündigen Dreiakter trotzdem auf seinen Spielplan. Für diesen Mut gebührt ihm Anerkennung. Und es erscheint kaum nachvollziehbar, warum die Dortmunder Inszenierung von Johannes Schmid so sehr gemieden wird. An ihrer Modernität liegt es ganz sicher nicht, denn davon kann keine Rede sein. So ist zum einen Goldschmidts Tonsprache ausgesprochen spätromantisch und eingängig, zum anderen liefert Johannes Schmid nicht einmal ansatzweise Regietheater, wie es die Traditionalisten so sehr fürchten. Letzteres ist allerdings schade, weil der biografische Bezug der düsteren, auf realen Geschehnissen beruhenden Renaissance-Geschichte zu Goldschmidts eigenem Schicksal auf der Hand liegt. Es geht um einen Tyrannenmord an einem veritablen Monster. Graf Cenci ist ein Sadist, der seinen Machtanspruch in der eigenen Familie brutal durchsetzt. Dabei schreckt er nicht einmal vor der Vergewaltigung der eigenen Tochter Beatrice zurück. Um dem Spuk ein Ende zu setzen, heuern Beatrice und ihre Stiefmutter Lucrezia schließlich zwei Auftragskiller an und lassen den Grafen beseitigen. Allerdings gelingt der Plan nicht vollständig. Der Mord fliegt auf, die Frauen werden dafür von der kirchlichen Justiz hingerichtet. So siegt am Ende nicht das Gute. Der Widerstand gegen die Tyrannei mag notwendig gewesen sein, doch er wird drakonisch bestraft. Goldschmidts Musik zeichnet keine sonderlich tiefgründigen Psychogramme, doch sie hat durchaus Ausdruckskraft. Jac van Steen zeichnet am Pult mit kräftigen Farben und Kontrasten. Und das Gesangsensemble, allen voran Christiane Kohl als Beatrice, Katharina Karsten Mark Peetz als Lucrezia und Andreas Macco als Graf, bieten Journalist mit Schwerpunkt (Musik-)Theater differenziert und durchaus intensiv gestaltete Partien. Ruhrfestspiele zwischen Startheater und mauen Uraufführungen Beatrice Cenci in Dortmund „Beatrice Cenci“ I 5.7. 19.30 Uhr Oper Dortmund I 0231 502 72 22 12 opernzeit musical in NRW „Hair“ am TiC Wuppertal, Foto: Presse Mörder Kaspar Brand, Foto: Hans Jörg Michel Klassiker vs. Neuentdeckung Mörder Kaspar Brand Von Rolf-Ruediger Hamacher Das für seine innovativen Musical-Produktionen bekannte MIR – man denke nur an die großartige, von Regisseur Peter Hailer in die 60er Jahre verlegte „My Fair Lady“-Inszenierung – wagt sich diesmal an eine deutsche Erstaufführung. Das 2000 in London uraufgeführte „Die Hexen von Eastwick“ basiert auf einem Bestseller von „Die Fahrt ins John Updike, der 1986 mit Jack NicholOberbergische lohnt sich“ son, Susan Sarandon, Cher und Michelle Pfeiffer verfilmt wurde. Während das Libretto von John Dempsey geschickt Roman-Struktur und Musical-Dramaturgie zu einer Einheit verbindet, offenbaren Dana P. Rowes Kompositionen die Krise des amerikanischen Musicals. Man geht zwar gut unterhalten aus vielen Shows, doch nicht mit einem einzigen Song auf den Lippen. So bleibt auch von dieser Aufführung vor allem Gil Mehmerts präzis getimte Inszenierung und das stimmungsvolle Bühnenbild von Heike Meixner, dass Fufu Frauenwahl kongenial mit computeranimierten Hintergründen ergänzt, im Gedächtnis. Und natürlich auch die drei Hexen (Jeanette Claßen, Stefanie Dietrich, Anke Sieloff), die in einem bigotten amerikanischen Provinznest dem Teufel (Kristian Vetter) verfallen. Er befreit sie von ihren Neurosen, wird aber letztlich selbst Opfer der von ihm losgetretenen Emanzipation. Das schräge Quartett überzeugt sowohl stimmlich wie mimisch, was man von der Technik des Hauses nicht gerade behaupten kann. Wenn man den Ruf als eines der besten deutschen Musical-Bühnen festigen will, dann sollte die Stadt doch mal in eine adäquate Lautsprecheranlage investieren – und einen Ton-Techniker einstellen, der nicht meint, ein Rock-Konzert abmischen zu müssen, sondern Wert darauf legt, dass man die (nicht unwichtigen) Liedtexte auch versteht. Kein Problem mit der Akustik hat man im kleinen, aber feinen Wuppertaler TiC-Theater, wo der Musikalische Leiter Stefan Hüfner seine auf Band aufgenommenen Arrangements präzise den Sangeskünsten der (Laien-)Schauspieler angepasst hat. Einer, der hier seine ersten Bühnen-Erfahrungen gesammelt hat und mittlerweile zu Deutschlands Musical-Stars gehört, ist zum zweiten Mal als Regisseur zurückgekehrt. Nach „Der kleine Horrorladen“ hat Patrick Stanke nun das Hippie-Flower-Power-Musical „Hair“ inszeniert. Würde das legendäre Rock-Musical, das 1967 am Off-Broadway aus der Taufe gehoben wurde, den Erinnerungen standhalten, die man mit dieser revolutionären Zeit verbindet? Oder ist der einstige Publikums-Schocker heute nur noch ein nostalgisches Epochen-Souvenir? Um es vorwegzunehmen: Dem TiC gelang es, eine Produktion auf die Beine zu stellen, die die Fahrt ins Oberbergische lohnt. Vor allem weil Stanke es verstanden hat, die Energie des auf über 20 Personen ausgelegten Stückes auf sein auf neun Personen eingedampftes Ensemble zu übertragen. Den schauspielerisch wie gesanglich weitgehend überzeugenden Darstellern gelingt dabei der Spagat zwischen Unterhaltung und Gesellschaftskritik, wenn auch die Charakterisierung der Figuren bisweilen ein wenig flach ausfällt. R.-Ruediger Hamacher Dafür reißt einen auch heute noch die kraftvolle Partitur Hochschuldozent und von Galt MacDermot mit ihren Ohrwürmern (u.a. „Good Vorstand des FilmkritiMorning Starshine“, „Let the Sunshine in“ ) von den Sitzen. kerverbandes Ein Mann begeht einen Mord, der ihn in seinen Phantasien verfolgt. Er meint, seinen Konkurrenten getötet zu haben, doch später muss er feststellen, dass er in seinem Wahn, verblendet von Eifersucht und Neid, seine Frau und sein Kind getötet hat. Die Geschichte geht zurück auf die kurze Erzählung „Das Fass von Amontillado“ aus dem Jahr 1846 von Edgar Allan Poe, dem Meister des Abgründigen der menschlichen Psyche. Auch hier geht es um einen Mord, den perfekten Mord, strategisch genau geplant. Ein in seiner Ehre gekränkter Mann, den Grund hierfür erfährt der Leser nicht, lockt seinen Widersacher in die Tiefen eines Weinkellers, macht ihn betrunken und mauert ihn bei lebendigem Leib ein. Der strategisch planende Täter verliert die Kontrolle über sich, in dem Moment, als er die Schreie seines Opfers mit seinen eigenen Schreien überbieten will. Er ist ein Getriebener und somit auch Opfer seiner eigenen Tat. Musicals um Hippie-Nostalgie und Hexerei Uraufführung an der Deutschen Oper am Rhein Komponist und Librettist haben dies zum Ausgangspunkt genommen und eine Geschichte darum gebaut, die einerseits die Motive für die Tat erklärt, die bei Poe offen bleiben (zwei konkurrierende Restaurantbesitzer buhlen um dieselbe Frau), und andererseits mittels Rückblenden und Halluzinationen die traumatische Wirkung auf den Mörder aufzeigt, der am Schluss erkennen muss, die Falschen umgebracht zu haben. Anno Schreier, Jahrgang 1979, stieß zum ersten Mal vor gut elf Jahren auf Poes Erzählung und fand dort wieder, was für seine Opernästhetik zentral ist: Menschen, die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden, wie auch in seiner im November mit großem Erfolg in Zürich uraufgeführten Oper „Die Stadt der Blinden“ nach dem Roman von José Saramago (Libretto: Kerstin Maria Pöhler), in der es um die entfesselte Gewalt in der Gesellschaft nach einer Katastrophe geht. Das Geschehen in „Mörder Kaspar Brand“ spielt sich im Kopf des Protagonisten ab, die anderen Figuren sind Spiegel seiner inneren Vorgänge. Die Orchestersprache des Kammerorchesters zeichnet in differenzierten Klangfarben die Facetten des psychischen Erlebens der Hauptfigur nach, von düsteren und verstörenden Klängen bis hin zur Unterhaltungsmusik in den Restaurantszenen. Das große Vorbild Alban Berg ist immer wieder durchzuhören. Musikalisch wiederkehrende Motive charakterisieren die Figuren, wobei der Lebensnerv von Schreiers Musik in den expressiven Gesangslinien liegt und den Zuhörer dann am meisten berührt, wenn sie ihn am Erleben und an der Tiefe der Hauptfigur teilhaben lässt. Mit der Kammeroper „Mörder Kaspar Brand“ in der alternativen Spielstätte Central am Hauptbahnhof initiiert die Deutsche Oper am Rhein eine Uraufführungsreihe. Man darf hoffen, dass man in Zukunft mit Uraufführungen auch den Sprung auf die Hauptbühne in der Heinrich Heine Allee wagt. KERSTIN MARIA PÖHLER Mörder Kaspar Brand“ I 29.6./1.7. „Central“ in der alten Paketpost, Düsseldorf „Die Hexen von Eastwick“ I MiR GE I www.musiktheater-im-revier.de „Hair“ I TiC Wuppertal I www.tic-theater.de 13 bühne 33 Filmabende unterm Sternenzelt stehen ab dem 7. Juli an der Gathe bevor Vorhang auf für cineastische Sternstunden Das Talflimmern ist nicht bloß eine Kinoreihe Unprosaisch gesprochen gehört das Talflimmern zu Wuppertal wie Engelshaus und Schwebebahn. Ungefähr parallel zum Beginn des kalendarischen Sommers startet das von Mark Rieder und Mark Tykwer organisierte Filmereignis an der Alten Feuerwache, inzwischen zum 15. Male (inklusive der ersten vier Jahre am Viehhof). „Bewährt hat sich das fantastische Team – und das programmatische Konzept: wenig Mainstream, viel europäisches Kino, engagierte Filmkunst, Mut zum Risiko“, beantwortet Mark Tykwer die Frage nach dem Konzept. Was er so unaufgeregt umschreibt, gefällt nicht nur dem Publikum – egal, wie schlecht das Wetter im regenfreudigen Tal auch ist, die Filme finden grundsätzlich ihre Zuschauer. Das Talflimmern ist tatsächlich ausgezeichnet. „Keine Ahnung, wie viele Auszeichnungen das mittlerweile sind, aber die Prämien waren immer ein Segen für die technische Substanz. Zuletzt haben wir in den Ton investiert. Der ist im zerklüfteten Innenhof der Alten Feuerwache ein Dauerthema.“ Ziemlich beste Aussichten „Das Programm lässt keine Wünsche offen, wir haben alles realisiert“, umreißen die Kinomänner die reiche Saison. 31 Filme werden in der regulären Staffel gezeigt. Neu ist der permanent bespielte Mittwoch, in der Kernphase ist Talflimmern fortan wöchentlich an fünf Tagen präsent. Den Auftakt macht Michel Hazanavicius’ Oscar-Gewinner „The Artist“ (7.7.). „‚The Artist’“ ist eine Art Herzstillstandsveranstaltung für Cineasten. Er beschwört die Magie des Bewegtbilds und schafft die perfekte Illusion, ohne dabei in kopflose Nostalgie zu verfallen. Klug auch, einen Film über den Umbruch vom Stummzum Tonfilm mitten in die Digitalisierungsphase des zeitgenössischen Kinos zu platzieren“, so beschreibt Mark Tykwer die Besonderheiten des Openers. Als weitere Glanzlichter sind schon jetzt drei Abende herauszupicken: In einer Preview läuft vier Tage vor dem Bundesstart Julie Delpys „Familientreffen mit Hindernissen“. Mit „Ein Sommer in Haifa“ wagen sich die Flimmer-Chefs gemeinsam mit dem „Freundeskreis Beer Sheva" erstmals an eine hebräische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Und am 15. August wird Filmemacher und Journalist Jörg Buschka sein Projekt „Buschka entdeckt Deutschland“ persönlich dem Publikum vorstellen. Unveränderte Kartenpreise Auch das ist typisch Talflimmern, zur Filmvorführung gehört auch immer die Einbindung verschiedener Kulturschaffender vor Ort. Gemeinsam mit der Wuppertaler Ortsgruppe von Amnesty International wird am 24. August Luc Bessons Biopic über die birmenische Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi gezeigt, die dem Film den Titel „The Lady“ gibt. So viel steht fest: Talflimmern ist vital – und definitiv „Kein Ort für Nazis“. Am 29. August gibt es in Zusammenarbeit mit einer antifaschistischen Initiative David Wnendts „Kriegerin“ zu sehen. Der lokale Bezug wird durch Kooperationen verstärkt, die Live-Darbietungen des Saxophon-Quartetts Unisono und von Sascha Gutzeit (der den Score zu „Buschka entdeckt Deutschland“ beisteuerte) sowie die „Wortwache" zum Ende der Saison. Nach wie vor gibt es kein Abo. „Den seit zehn Jahren unveränderten Eintrittspreis von sechs Euro zu rabattieren, wäre einigermaßen ruinös. Außerdem zahlen Besitzer von Abo-Karten der WSW-Verkehrsbetriebe ohnehin nur fünf Euro“, beantwortet Mark Tykwer die Frage nach den Eintrittspreisen. Bleibt noch die Frage nach dem Komfort. Ganz ohne Schnickschnack managt Lutz Griebel, Buddy und Stammgast, die Gastronomie („das Bier kommt aus der Flasche, aber dafür schnell.“) Und wie in allen Vorgängerjahren bewährt es sich, gegen Wind und Wetter gewappnet gekleidet zu sein. Talflimmern versteht sich nicht als Festival, sondern dachloses Sommerkino. Also erhöhen mitgebrachte Decken und Kissen den Genuss des jeweiligen Filmabends unbedingt. VALESKA VON DOLEGA Talflimmern I 7.7.-31.8. I Abendkasse ab 20 Uhr I 0202 40 86 99 00 www.talflimmern.de 14 film des monats Dahinter lauern Abgründe: Izumi (Megumi Kagurazaka) dient ihrem Ehemann Vitale Vielheit „Guilty of Romance“ von Sion Sono Izumi ist eine brave Hausfrau, die ihrem pedantischen Mann, einem erfolgreichen Schriftsteller, im Haushalt sklavisch zur Seite steht. Als sie in einem Job Erfüllung sucht, entdeckt sie ungeahnte Seiten an sich. C Explosiver Genremix Die Polizistin Kazuko wird an einen Tatort gerufen: Sie muss einen bestialischen Mord aufklären. Rückblende: Izumi wirkt auf den ersten Blick wie eine schüchterne Hausangestellte: Morgens stehen die Hausschuhe für den erfolgreichen Schriftsteller an ihrem Platz, abends werden sie zentimetergenau umgedreht, so dass der Herr direkt hinein schlüpfen kann. „Gut positioniert“, lobt er, und sie freut sich über seine Worte. Doch Izumi ist kein Dienstmädchen, der Schriftsteller ist ihr Mann. Wenn er außer Haus ist, langweilt sie sich in ihrem goldenen Käfig. Eines Tages entschließt sie sich, einen Job als Verkäuferin in einem Supermarkt anzunehmen. Doch das laute, selbstbewusste Anpreisen der Waren fällt der zurückhaltenden Izumi schwer. Als sie von einer Kundin zu einem Fotoshooting überredet wird, ist sie zunächst zögerlich. Und als sich dieses Shooting schon bald als Pornodreh herausstellt, schreckt sie verängstigt zurück. Aber sie spürt auch etwas Befreiendes an ihrer neuen Tätigkeit. Sie wird offensiver, auch auf der Straße. Dort macht sie Bekanntschaft mit einem jungen Kerl, der sich bald als Zuhälter herausstellt. Über ihn trifft sie auf die etwas ältere Mitsuko. Sie ist Dozentin an der Universität, doch nachts gibt sie sich der Prostitution hin. Durch sie lässt sich Izumi immer weiter auf sexuelle Abenteuer ein, wird immer selbstbewusster und auch selbstbestimmter. Doch die Verwicklungen hinter all den Ereignissen übersteigen ihre Vorstellungskraft bei weitem. Ausbrüche „Guilty of Romance“ – das sei an dieser Stelle ganz klar gesagt – geizt nicht mit der Darstellung von Sex und Gewalt. Aber Sion Sono versteht sich als feministischer Filmemacher. Das sollte man wissen, bevor man hinter all dem gewöhnliche Männerphantasien vermutet. Dass kann man dann natürlich immer noch argwöhnen, nur wird es der Komplexität von Sonos Filmen nicht gerecht. Hier sind es drei Frauen, deren Wege sich verschlungen kreuzen und die sie auf eine emotionale Achterbahn führen. Inhaltlich dockt der an das in Japan verbreitete Thema der Sublimierung gesellschaftlicher Zwänge durch Grenzüberschreitung an: Die japanische Kultur ist gekennzeichnet von sexuellen und aggressiven Ausbrüchen, vor allem im Manga und Film. Zwar gibt es das Thema auch in der westlichen Popkultur – Filme wie „Belle de Jour“ von Luis Buñuel sind thematisch durchaus mit „Guilty of Romance“ vergleichbar. Das Pink Eiga-Genre – so werden die kunstvollen Erotikfilme im japanischen Kino genannt – hat jedoch einen 15 festen Platz in der Filmproduktion des Landes, der nicht vergleichbar ist mit dem Schmuddelimage pornografischer Filme in der westlichen Welt. Auch Manga mit explizit erotischen und sexuellen Themen sind allgegenwärtig in Japan. Davon ist auch Sion Sono geprägt, und nicht nur er. Die Beschäftigung des Autorenfilms mit prononciert sexuellen Themen hat eine Tradition. Filme wie Susumu Hanis „Das Mädchen Nanami“ von 1968 und „Im Reich der Sinne“ von Nagisa Ôshima von 1975 haben diesbezüglich frühe Akzente gesetzt. Doch während diese Filme auf allen Ebenen homogen erzählen, zersplittern die Filme von Sion Sono regelrecht. Die drei parallelen Handlungsstränge in „Guilty of Romance“, die von Restriktion und Befreiung erzählen, treffen sich immer wieder, driften wieder auseinander und kollabieren schließlich in einem großen finalen Knall. Überschreitungen Die visuellen Stilmittel stehen der Story an Komplexität in nichts nach. Sono scheucht seine Geschichte durch eine entfesselte Ästhetik, die Romantik, Grauen, Absurdität und Komik in einem wilden Reigen verbindet. Ganz ruhige, sehr geradlinig aufgebaute Szenen haben dort genauso Platz wie wildes, mit nervöser Handkamera gefilmtes Chaos. All das wechselt ebenso schnell und munter wie der erzählerische Tonfall und die Gemütszustände der Figuren. Wie im Manga führen die emotionalen Zustände der Figuren zum permanenten Stilwechsel zwischen realistischer und expressiver Darstellung. Die klassische Idee der Einheit des Werkes – Sono interessiert das nicht. Er produziert stattdessen eine vitale Vielheit. Diese Vitalität auf allen Ebenen macht Sonos Kino zu einem Kino der Affekte. Neben seinen gleichaltrigen Landsmännern Takashi Miike und Shinja Tsukamoto zählt Sion sicher zu den unkonventionellsten Regisseuren – nicht nur Japans. Die drei Genannten widersetzen sich jeglichen Versuchen der Einordnung. Und Sono macht es einem mit seinen überlangen, affektreichen Dramen am schwersten. Während seine beiden Kollegen zumindest innerhalb der Filme – wenn auch nicht im Gesamtwerk – eine gewisse Homogenität anstreben, sind Sonos Filme vielteilige Puzzles: Das gilt für die Story, das gilt für die Bildästhetik und das gilt mitunter auch für die Psyche und die Körper der Protagonisten. Der letzte Dialog des Films – „Wo bist Du?“ / „Ich weiß nicht“ – steht exemplarisch für den Geisteszustand der Filmfiguren. Er spricht nach zweieinhalb Stunden verwirrender Extremzustände aber sicher auch vielen Zuschauern aus dem Herzen. CHRISTIAN MEYER GUILTY OF ROMANCE J 2011 - Drama - Regie: Sion Sono - Kamera: Sohei Tanikawa - mit: Miki Mizuno, Makoto Togashi, Megumi Kagurazaka - Verleih: Rapid Eye Movies Start: 19.7. hintergrund Lars, Philip und Jozef wollen meer Abenteuer Leben „Hasta la vista” von Geoffrey Enthoven Drei körperlich behinderte Freunde planen eine Reise nach Spanien zu einem speziellen Bordell. Nachdem sich der Gesundheitszustand von einem verschlechtert, sind die Eltern gegen die Reise. Aber die Drei machen sich heimlich auf den Weg. C Sympathische Außenseiterstory Schon seit Jahrzehnten ist es eine fast unumstößliche Genreformel, dass in Teenagerfilmen auf mehr oder weniger eindeutige Art der Verlust von Jungfräulichkeit zelebriert wird. Teenagerreihen wie die „Eis am Stiel“-Filme, George Lucas’ „American Graffiti“, die jüngst wieder belebte „American Pie“Serie oder jede x-beliebige Mainstream-Hollywoodkomödie blasen hierbei ins gleiche Horn. Wenn dann „Hasta la Vista“ mit Einstellungen auf tief geschnittene Dekolletés und die jugendliche Sehnsucht nach dem „Ersten Mal“ beginnt, vermutet man schon ein ähnlich plumpes Konzept, das nur mit Hilfe eines ungewöhnlichen Rahmens transportiert werden soll. Denn die jugendlichen Helden des belgischen Arthouse-Hits sind allesamt körperlich behindert, und deswegen auch mit jenseits der 20 nach wie vor jungmännlich. Doch schon nach wenigen Minuten wird klar, dass Geoffrey Enthoven tiefer gräbt und ihn die ungewöhnlichen Charaktere, denen er hier eine Plattform bietet, tatsächlich interessieren. Lars (Sonnyboy Gilles de Schryver, bekannt aus „Ben X“) leidet unter einem unheilbaren und rasant voranschreitenden Tumor, der ihn zunehmend lähmt. Auch Philip (sehr authentisch: Robrecht Vanden Thoren) ist vom Hals ab gelähmt und muss sich diverser Hilfsmittel bedienen, um im Leben zurechtzukommen. Der dritte im Bunde ist Jozef (gleichfalls überzeugend: Tom Audenaert), der sich zwar bewegen kann, aber fast blind ist. Wenn sich drei dermaßen gehandicapte Personen gemeinsam auf eine große Reise begeben, bleiben die elterlichen Bedenken natürlich nicht aus. Mit der resoluten Betreuerin Claude (sympathisch: Isabelle de Hertogh) begibt sich die illustre Gruppe dennoch auf Achse, muss anfängliche Differenzen und Schwierigkeiten überwinden und wird im Laufe der Fahrt nur noch enger aneinander geschweißt. Dass diese Handlungsentwicklung im Rahmen des Road-Movie-Genres ein alter Hut ist, macht das Gesamtergebnis nicht minder liebenswert. Von einigen allzu plakativen Zuspitzungen gegen Ende abgesehen, ist es Regisseur Geoffrey Enthoven und dem Drehbuchautoren Pierre De Clercq nämlich sehr überzeugend gelungen, die besonderen Befindlichkeiten der Hauptfiguren glaubwürdig und ohne Sentimentalitäten in Szene zu setzen. Auch dem Umfeld der Jugendlichen wird man dabei mit einem authentischen Blick auf das Wesentliche gerecht. Es mag vielleicht etwas verwundern, dass man für die Hauptrollen keine tatsächlich behinderten Schauspieler gecastet hat. Vielleicht ist dadurch eine etwas zu gefällige Annäherung an ein, nach wie vor, mit Tabus behaftetes Thema entstanden. Nichtsdestotrotz kann „Hasta la vista“ am Ende mit sensiblen Ideen und einer ansprechenden Umsetzung überzeugen und dürfte auch hierzulande das Publikum gewinnen. FRANK BRENNER HASTA LA VISTA Valladolid 2011: Goldene Ähre Bester Film B 2011 - Komödie / Tragikomödie - Regie: Geoffrey Enthoven - Kamera: Gerd Schelfhout mit: Robrecht Vanden Thoren, Gilles De Schryver, Tom Audenaert - Verleih: Ascot Elite Start: 12.7. engels verlost 3x2 Karten. E-Mail bis 16.7. an [email protected], Kennwort: „Hasta la vista“ HASTA LA VISTA – Am Rande Gibt es es so so etwas etwas wie wie das das Anrecht Anrecht des des Menschen Menschen auf auf Sex? Gibt Sex? Auf Auf nichts nichts Ge Ge-ringeres lief lief die die Diskussion Diskussion um um den den damals damals 25-jährigen 25-jährigen Asta Asta Philpot ringeres Philpot 2007 2007 hinaus.Philpot, Philpot, der der seit seit seiner seiner Geburt Geburt an an einer einer Art hinaus. Art von von Gelenksteife Gelenksteife leidet, leidet, kannnur nur einen einen kleinen kleinen Teil Teil seines seines Körpers Körpers bewegen. bewegen. Und Und in in einer kann einer Welt, Welt, die die übersättigt ist ist mit mit Sexangeboten Sexangeboten und und -anspielungen, übersättigt -anspielungen, bleibt bleibt behinderten behinderten Menschen der der Zutritt Zutritt zu zu einem einem entscheidenden entscheidenden Teil Teil der Menschen der Gesellschaft Gesellschaft und und des Lebens Lebensoft oftverwehrt. verwehrt.Bevormundung Bevormundungististdabei dabeinur nureineinBestandteil Teil des Pro des desblems. In In den Problems. denNiederlanden Niederlandenexistiert existiertdaher dahereine eine Gruppe Gruppe Freiwilliger, Freiwilliger, die körperlich Behinderten Behinderten Zugang Zugang zu zu legalen Sexangeboten ermöglicht. Doch körperlich fördern solche solche Initiativen Initiativen nicht nicht gerade gerade eine Ghettoisierung, indem sie das fördern Recht auf auf eine eine Art Art „Wohltätigkeitssex“ proklamieren, wie sich kritische Recht www.engels-kultur.de/heute-im-kino Stimmen Stimmen äußern? äußern? Nachdem Nachdem Philpot Philpot von von einem einem legalen legalen und und barrierefreien barrierefreien spanischen Bordell erfährt, erfährt, entschließt entschließterersich sichzu2007 einer Spanienspanischen Bordell einerzu Spanien-Reise der Reise derArt. anderen Art. Die ungewohnte Erfahrung lässt ihn selbstbewusanderen Die neuen Erfahrungen lassen ihn selbstbewusster und souster undim souveräner mit Frauen Nur wenig später tritt veräner Umgang im mitUmgang Frauen werden. Nurwerden. wenig später tritt er die Reise er die Reise an, zweier in Begleitung weiterer Männer und eines erneut an, in erneut Begleitung weitererzweier Männer und eines Filmteams: 2007 Filmteams: erscheint die BBC-Dokumentation „For Night Only“ erscheint die2007 BBC-Dokumentation „For One Night Only“ alsOne non-fiktive Vorals Vorlage „Hasta der Tragikomödie „Hasta la Vista“. Unterschied Ein wesentlicher lagenon-fiktive der Tragikomödie la Vista“. Ein wesentlicher zwiUnterschied zwischen RealitätWährend und Spielfilm: Philpot Fahrt schen Realität und Spielfilm: Philpot Während von seinen Elterndie begleitet gemeinsam Eltern antrat, aus wurde, reisenmit dieseinen drei Protagonisten ausreisen „Hastadiela drei Vista“Protagonisten auf eigene Faust. „Hasta Vista“ eigene Faust. so kann die –– Fahrt eher zweckmäßige – Nur so lakann dieauf – ansonsten eherNur zweckmäßige auch zu einem Fahrt auch zu einem Kino-Abenteuer werden. MAREN Kino-Abenteuer werden. MARENLUPBERGER LUPBERGER 16 Alle Filme, alle Kinos, alle Filmkritiken, alle Termine in Wuppertal neue filme São Paulo /ŶƚĞƌŶĂƟŽŶĂů&ŝůŵ &ĞƐƟǀĂůϮϬϭϭ Entdeckt an sich ein neues Talent: Rebecca Hall als Beth Beschwingt beschwipst „Lady Vegas“ von Stephen Frears Eine lebensfrohe Stripperin zieht nach Las Vegas und entdeckt im Sportwetten-Geschäft ihr unvermutetes Talent. C Feel-Good-Movie Der englische Filmemacher Stephen Frears hat seit seinem ersten Kinoerfolg von 1985, „Mein wunderbarer Waschsalon“, bis hin zu „The Queen“ thematisch immer die Nähe zu seiner Heimat gesucht, wenn es um gesellschaftskritische Stoffe ging. Auch Frankreich bot da gelegentlich Futter („Gefährliche Liebschaften“, „Chéri“). Frears Erfolg führte ihn Anfang der 90er Jahre natürlich auch in die USA, wo er Stoffe suchte und fand („Grifters“, „Ein ganz normaler Held“), die auch das amerikanische Publikum beseelt berieselten. Sein letzter amerikanischer Ausflug, „High Fidelity“, liegt zwölf Jahre zurück und beruht auf der literarischen Vorlage von Nick Hornby, die eigentlich in London angesiedelt ist, aber für die Verfilmung nach Chicago verlegt wurde. Jetzt reist Frears wieder in die Vereinigten Staaten und bringt eine vergleichbar seichte, aber beschwingt leichthändig inszenierte Komödie mit, in der sich so einige etablierte US-Stars (Bruce Willis, Catherine Zeta-Jones, Vince Vaughn) die Hand reichen. Thema: Sportwetten. Das hätte man auch in England ansiedeln können. Aber dort scheint keine Sonne, und davon gibt es in „Lady Vegas“ reichlich. Und abgesehen davon will „Lady Vegas“ schlicht und einfach in vielfacher Hinsicht ein Stück harmloses, amerikanisches Kino sein. Im Mittelpunkt der turbulenten Kurzweil steht Beth (Rebecca Hall, „Frost/ Nixon“, „The Town“), die sich in Florida mit privaten Stripshows über Wasser hält, bis ihr die Klientel zu bunt wird und sie beschließt, in Las Vegas als Bedienung in einer Coctailbar ihr Glück zu versuchen. Über Umwege landet das naive Sonnenkind schließlich bei Dink (Willis), der sein Geld mit Sportwetten verdient. Und siehe da: Das vermeintliche Dummchen entpuppt sich als Zahlenakrobatin und bringt dem Unternehmen Glück. Dink ist schon bald auch privat zunehmend fasziniert von Beth, die schon längst ein Auge auf ihn wirft. Das wiederum passt Dinks eifersüchtiger Ehefrau Tulip (ZetaJones) nicht. Und die Konkurrenz im fernen New York (Vaughn) schläft derweil auch nicht. Konflikte an allen Fronten sind vorprogrammiert. Sportwetten sind hierzulande nicht sonderlich populär, zumindest ist der Status nicht vergleichbar mit dem in den USA, und das gilt ebenso für das entsprechende Filmgenre. Darüber hinaus begibt sich Indie-Filmer Frears auf ungewohntes Terrain. „Lady Vegas“ wird nicht als Satire durchgehen, sondern eher als schlichter Ulk: Frears öffnet sich hiermit dem breiten Mainstream. Aber das heißt ja nicht zwingend Schlechtes. Sein Film wandelt in Sachen Tempo, Leichtigkeit, beschwingter Sommerlichkeit und beschwipsten Starkino in den Schuhen von Steven Soderberghs „Ocean’s Eleven“-Reihe. Alle Figuren sind dabei sympathisch bemackt. „Lady Vegas“ ist nicht zu vergleichen mit Frears‘ bisherigem Filmschaffen, für sich genommen aber durchaus solide Unterhaltung. CARLA SCHMIDT LADY VEGAS USA/GB 2012 - Drama / Komödie - Regie: Stephen Frears - Kamera: Michael McDonough mit: Bruce Willis, Rebecca Hall, Catherine Zeta-Jones - Verleih: Wild Bunch Start: 19.7. Mit Filmtrailer, Hintergrund, Interview, Portrait ... 17 &ĞƐƟǀĂůƌƚĞDĂƌĞ ĂƐƟĂϮϬϭϭ DĂŶŶŚĞŝŵͲ ,ĞŝĚĞůďĞƌŐ /ŶƚĞƌŶĂƟŽŶĂů&ŝůŵ &ĞƐƟǀĂůϮϬϭϭ &ĞƐƟǀĂů /ŶƚĞƌŶĂƟŽŶĂůĚƵ&ŝůŵ Ě͛ŵŝĞŶƐϮϬϭϭ &ĞƐƟǀĂůĚƵ&ŝůŵĚĞ ĂďŽƵƌŐϮϬϭϭ ƌƵƐƐĞůƐ&ŝůŵ &ĞƐƟǀĂůϮϬϭϭ neue filme Rentner Tiedgen (Otto Sander) hat es faustdick hinter den Ohren Die Freunde Simon und Isak mit Isaks Vater (Jan Josef Liefers) Auf die alten Tage Jugend im Krieg „Bis zum Horizont, dann links!“ von Bernd Böhlich „Simon“ von Lisa Ohlin Ein Seniorenheimausflug mit dem Flugzeug nimmt eine unerwartete Wendung: Rentner Tiedgen entführt die Maschine. C Gewitzte Seniorenkomödie Der schwedische Bauernsohn Simon freundet sich während des 2. Weltkriegs mit dem Sohn eines wohlhabenden jüdischen Buchhändlers an. C Epische Familiengeschichte Die Filme des Dresdner Regisseurs Bernd Böhlich („Du bist nicht allein“, „Der Mond und andere Liebhaber“) zeichnen sich durch bodenständige Figuren aus dem Kleine-Leute-Milieu aus, die beim Publikum auf viel Sympathie stoßen. So auch bei Böhlichs drittem Kinofilm, bei dem es wieder um alltägliche Probleme und die Sehnsucht jedes Einzelnen nach Freiheit geht. Auf komödiantische Weise werden hier gesellschaftlich relevante Fragestellungen um Überalterung, Entmündigung und Entwürdigung im Alter angesprochen. In der ersten halben Stunde des Films überwiegt noch diese Gesellschaftskritik, danach setzt immer mehr eine witzige Seniorenposse ein, die aufgrund einer famos aufspielenden Riege aus Ost- und Weststars durchweg kurzweilig ausgefallen ist. FRANK BRENNER Hier wird der 2. Weltkrieg mal aus der Sicht der Schweden geschildert, noch dazu mit einem Fokus auf die jugendlichen Protagonisten. Lisa Ohlin ist ein bis in die Details stimmiges Zeitgemälde gelungen, das eine menschlich bewegende Familiengeschichte über mehrere Jahrzehnte hinweg ausbreitet. Leider merkt man dem Film mitunter an, dass er auf einer Romanvorlage basiert und die Macher sich nicht trauten, die komplexe Handlung etwas beherzter zu kürzen. So wird vieles nur angerissen und wirkt insgesamt allzu bruchstükkhaft. Trotzdem ist das Ergebnis mitreißend und interessant gestaltet, zumal hier eine Kriegsgeschichte erzählt wird, die gänzlich ohne Schlachtszenen auskommt und spannende neue Aspekte bereithält. FRANK BRENNER SIMON BIS ZUM HORIZONT, DANN LINKS! D 2012 - Komödie - Regie: Bernd Böhlich - Kamera: Florian Foest - mit: Otto Sander, Angelica Domröse, Ralf Wolter - Verleih: Neue Visionen Start: 12.7. Guldbagge Award 2012: Jan Josef Liefers S/DK/D/N 2011 - Drama - Regie: Lisa Ohlin - Kamera: Dan Laustsen - mit: Bill Skarsgård, Jonatan S. Wächter, Helen Sjöholm - Verleih: Farbfilm Start: 28.6. Ruhe vor dem Sturm: Mingus, Marion und die Kinder Eric (Robert Pattinson) mit seiner frisch vermählten Ehefrau Elise (Sarah Gadon) Hysterie Vom Ende des Kapitalismus „2 Tage New York“ von Julie Delpy „Cosmopolis“ von David Cronenberg Die Französin Marion lebt mit ihrem afroamerikanischen Freund Mingus in New York. Als Marions Familie zu Besuch kommt, bricht schnell interkulturelles Chaos aus. C Überdrehtes Sequel zu „2 Tage Paris“ Twilight-Star Robert Pattinson begibt sich in der Adaption von Don DeLillos Kultroman auf eine gefährliche Odyssee durch ein New York am Rande des Abgrunds. C Intelligenter Kommentar zur Finanzkrise Dass Julie Delpy einst mit Filmen von Jean-Luc Godard, Krzysztof Kieslowski oder Leos Carax bekannt geworden ist, merkt man ihren jüngeren Filmen nicht mehr an. Hier regiert überbordendes Chaos und wilder Humor. Ihrem Überraschungserfolg „2 Tage Paris“ schickt sie nun fünf Jahre später ein Sequel hinterher, das sich stimmungsvoll dort einreiht: Marion lebt mit ihrem Sohn in New York, ist aber inzwischen mit Mingus liiert, der eine Tochter hat. Als Marions Familie aus Frankreich anrückt und sich in ihrer kleinen Wohnung einnistet, prallen Welten aufeinander. Die Franzosen sind grob und vulgär, die Amerikaner zugeknöpft und verklemmt. Und zwischendrin die überforderte und angespannte Marion. „2 Tage New York“ ist eine überdrehte Komödie, die munter mit Klischees spielt. Mit Gastauftritten von Vincent Gallo und Daniel Brühl. Der 28jährige und vom Leben gelangweilte Multi-Billionär Eric Packer beschließt trotz vehementer Sicherheitswarnungen seiner Bodyguards, sich auf den Weg ans andere Ende der Stadt zu machen, in den Friseurladen seines Vertrauens. Doch der Verkehr ist aufgrund eines Präsidentenbesuches, des Begräbnisses eines Star-Rappers und anarchistischer Ausschreitungen völlig lahm gelegt. So spielt der Hauptteil der Handlung in einer Stretch-Limo, die zum Schauplatz von schnellem Sex, Diskussionen über die Finanzkrise und schließlich Mord und Totschlag wird. Durch die pointierten Dialogsequenzen gleicht Regisseur Cronenberg die verkopften Momente aus. Ihm gelingt eine scharfe Karikatur des kollabierenden Wirtschaftssystems. SILVIA BAHL CHRISTIAN MEYER 2 TAGE NEW YORK COSMOPOLIS F/D/B 2012 - Komödie - Regie: Julie Delpy - Kamera: Lubomir Bakchev mit: Julie Delpy, Chris Rock, Albert Delpy - Verleih: Senator Start: 5.7. CDN/F 2012 - Drama / Thriller - Regie: David Cronenberg - Kamera: Peter Suschitzky mit: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon - Verleih: Falcom Start: 5.7. engels verlost 2x2 Karten. E-Mail bis 10.7. an [email protected], Kennwort: „New York“ www.engels-kultur.de/heute-im-kino engels verlost 3x2 Karten. E-Mail bis 10.7. an [email protected], Kennwort: „Cosmopolis“ 18 Alle Filme, alle Kinos, alle Filmkritiken, alle Termine in Wuppertal Ganz normale Typen in einer ganz normalen Komödie – von wegen ... Abseitig ausgebremst „Fast verheiratet“ von Nicholas Stoller Tom und Violet wollen heiraten. Als Violet ein Jobangebot hat, wollen sie noch etwas warten. Aber das warten nimmt gar kein Ende mehr. C Ungewöhnliche Romantic-Comedy „EIN SCHMUCKSTÜCK VOLL ZARTEN HUMORS! ZUM VERLIEBEN!“ 20 MINUTES Jason Segal ist vor allem bekannt aus der tollen HochgeschwindigkeitsSitcom „How I met your mother“. In Sachen Tempo ist „Fast verheiratet“ das Gegenteil. Segal ist nicht nur neben Emily Blunt Hauptdarsteller, sondern auch Autor der mit 124 Minuten überlangen Romantic Comedy. Dass Produzent Judd Apatow hier seine Finger im Spiel hat, merkt man hingegen sofort. Ungewöhnliches Timing, das mal total ausbremst, und dann wieder grotesk abseitigen oder unangenehm düsteren Humor einstreut, um im nächsten Augenblick richtig ernst zu werden. Man hat das Gefühl, der Film ist viel zu lang und kommt überhaupt nicht in die Pötte. Aber wie sollte man ihm das vorwerfen … genau das ist ja das Thema des Films. CHRISTIAN MEYER FAST VERHEIRATET USA 2012 - Komödie - Regie: Nicholas Stoller - Kamera: Javier Aguirresarobe mit: Jason Segel, Emily Blunt, Rhys Ifans - Verleih: Universal Start: 12.7. DER PUBLIKUMSRENNER AUS BELGIEN VERZÜCKTE BEREITS Mutter und Tochter Frey halten die Tradition hoch MILLIONEN Um die Wurst „Pommes Essen“ von Tina von Traben Mutter Freys „Feyner Imbiss“ gegen Onkel Walthers „Pommes-King“-Kette. Schließlich entscheiden drei pfiffige Gören und natürlich die Currysoße den ungleichen Kampf. C Wohlfühl-Familienkomödie Während man sich in unseren Nachbarländern häufig originäre Stoffe ausdenkt, ist der deutsche Kinderfilm immer mehr zur Reproduktion erfolgreicher Kinderbücher verkommen. Die meisten Ergebnisse – von „Vorstadtkrokodile“ über „Tom Sawyer“ bis zu „Hanni & Nanni“ zeigen wenig geistige oder inszenatorische Anstrengung. Umso erfrischender, dass jetzt ein Film in die Kinos kommt, der sein junges Publikum ernst nimmt. Auch Dank der von der Regie großartig geführten Schwestern-Bande mit nachahmenswertem Selbstbewusstsein (Luise und Marlene Risch,Tabea Willemsen) und einer blendend aufgelegten Thekla Carola Wied möchte man, dass dieses kurzweilige Ruhrpott-Märchen, in dem Smudo von den „Fantastischen Vier“ den bösen Wolf gibt, nie zu Ende geht. ROLF–RUEDIGER HAMACHER PFLÜCKE DAS LEBEN! POMMES ESSEN D 2012 - Komödie - Regie: Tina von Traben - Kamera: Ralf M. Mendle - mit: Luise Risch, Marlene Risch, Tabea Willemsen - Verleih: farbfilm Start: 12.7. Mit Filmtrailer, Hintergrund, Interview, Portrait ... 19 AB 12. JULI IM KINO www.HastaLaVista-Film.de roter teppich Ein Highschool-Mädchen, das sich in einen Superhelden verliebt: Emma Stone in „The Amazing Spider-Man“ „Spider-Man ist sehr Woody Allen-freundlich“ Emma Stone über „The Amazing Spider-Man“, ihren Ehrgeiz, Schauspielerin zu werden und die Faszination der Sterblichkeit Mit unglaublichem Ehrgeiz hat die 1988 in Scottsdale, Arizona, geborene Emma Stone ihre Karriere vorangetrieben. Nach ersten Rollen in den Kinofilmen „Superbad“ und „House Bunny“ wurde sie für ihre Rollen in der Komödie „Einfach zu haben“ und in dem Rassismus-Drama „The Help“ mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Golden Globe und dem MTV Movie Award. In der Rolle als Peter Parkers Freundin Gwen Stacy ist sie nun Teil des Reboots der Comicverfilmung um „The Amazing Spider-Man“, der jetzt in den Kinos anläuft. point-Präsentation vorgeführt, um sie davon zu überzeugen, dass Sie nach Hollywood ziehen sollen, um Ihnen eine Filmkarriere zu ermöglichen … Ich habe das damals gemacht, weil ich schon immer ein Händchen für Computer hatte, und weil das viel schneller ging, als eine Pinnwand zu kaufen und Sachen auszuschneiden (lacht). Wussten Sie schon immer, dass Sie Schauspielerin werden wollen? Ich bin nach Los Angeles gezogen, als ich fünfzehn Jahre alt war, also noch ziemlich jung. Ich hatte das große Glück, dass meine Eltern großes Verständnis engels: Miss Stone, was hat Sie an der Figur für meine Entscheidungen hatten, auch als diese der Gwen Stacy gereizt? schon recht früh in meinem Leben feststanden. Ich Emma Stone: Mir gefiel sehr gut, dass sie mit glaube schon, dass es etwas seltsam ist, wenn die Peter Parker auf Augenhöhe ist. vierzehnjährige Tochter einen mit „Diane Keaton Das war für mich ein wirklich einer Powerpoint-Präsentation wichtiges Element. Sie geht sehr von ihrem Traum von Hollywood hätte mich bestimmt für forsch auf ihn zu und wird dann überzeugen möchte. Aber einige verrückt gehalten“ natürlich seine erste Vertraute, Monate später bin ich dann eben wenn er sich als Spider-Man zu erkennen gibt. tatsächlich mit meinen Eltern dorthin gezogen. Ihr Vater versucht ja, ihn im wahrsten Sinne des Wortes umzubringen – was sicherlich viele Tee- Sie wollten also unbedingt Schauspielerin nagermädchen auf die eine oder andere Weise werden? erfahren, wenn auch nicht in diesem Ausmaß Ich habe mit dem Theaterspielen in Phoenix, Ari(lacht). Hinzu kommt die Tatsache, dass sie sich zona, begonnen, als ich ungefähr elf war. Ich hatte für alle und jeden verantwortlich fühlt, sie scheint mich auf Sketchcomedy und Improvisationen spesich jedem verpflichtet zu sehen, einschließlich zialisiert und träumte davon, einmal bei „Saturday ihrer Eltern. Bei Peter macht sich das bemerk- Night Live“ dabei zu sein. Dann habe ich mir Woobar, indem sie ihn ständig zur Krankenschwester dy Allen- und Hal Ashby-Filme angesehen, und Dischickt. Es gibt also eine ganze Menge Facetten ane Keaton wurde in vielerlei Hinsicht zu meinem an der Figur, die mir sehr gut gefallen haben. Idol. Irgendwann habe ich dann einfach die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und auf mein Gwen ist ein mutiges Mädchen gemessen am Bauchgefühl gehört. Auf diese Weise treffe ich die Highschool-Standard. Einen Schlägertyp hält meisten wichtigen Entscheidungen in meinem Lesie davon ab, andere zu quälen. Waren Sie auch ben. Ich folge einfach meinem Bauchgefühl. Und so mutig, als Sie an der Highschool waren? an jenem Tag habe ich deswegen die PowerpointIch wurde zu Hause unterrichtet. Wenn ich mir Präsentation erstellt. also ein paar verpasst habe, dann habe ich mich auch selbst wieder davon abgehalten – so wie in Haben Sie Diane Keaton jemals persönlich ge„Fight Club“ (lacht). Meine Highschool-Erfah- troffen? rungen waren komplett anders. Die meisten mei- Nein, ich habe sie aus der Ferne in anderen Zimner Freunde waren viel älter als ich, weil ich sie mern sitzen sehen, mich aber nicht getraut, auf sie in der örtlichen Jugendtheatergruppe kennenge- zuzugehen. Ich fange vor Leuten, die ich wirklich lernt hatte, bei der ich mitspielte. Ich hatte selten bewundere, immer zu heulen an. Ich wollte wirkErfahrungen mit Gleichaltrigen, das hat sich bis lich nicht vor Diane Keaton das Heulen anfangen, heute nicht geändert. Die meisten meiner Freunde weil sie mich dann bestimmt für verrückt gehalten sind ein bisschen älter als ich. hätte. Sie haben Ihren Eltern angeblich eine Power- Würden Sie sich wünschen, einmal in einem 20 Woody Allen-Film mitzuspielen? Pfff … (wildes Augenrollen) Ja, unbedingt! Unheimlich gerne! Jesse Eisenberg hat gerade in einem Woody Allen-Film mitgespielt („To Rome With Love“; die Red.), ich kenne Jesse, seit wir zusammen „Zombieland“ gedreht haben, und Andrew Garfield hat mit ihm „The Social Network“ gedreht. Das ist irgendwie wie eine himmlische Fügung, Jesse und Woody Allen! Warum? Weil sie wie ein und dieselbe Person sind. Beide sind unglaublich intelligent und die ultimative Verkörperung New Yorks. Er spielt eine Art jüngeres Alter Ego von Woody in dem Film. Auch Owen Wilson war ja ein unglaubliches Alter Ego Woody Allens (in „Midnight in Paris“; die Red.), was für mich wesentlich überraschender war, weil ich nicht vermutet hatte, dass er so gut in diese Rolle passt. Von Woody Allen zu Spider-Man ist es ein großer Schritt – warum wollten Sie Teil des Spider-Man-Franchises werden, und wie kam das zustande? Der Schritt ist gar nicht so groß, wie Sie vielleicht denken würden. Woody Allen ist von der Sterblichkeit besessen, und Gwen Stacys Geschichte fußt ebenfalls komplett im Tod. Ich selbst denke auch sehr oft darüber nach. Nicht auf eine morbide Art und Weise, aber ich bin mir der Sterblichkeit bewusst. Die beiden Themen liegen also gar nicht so weit auseinander. Die Spider-Man-Saga ist, da bin ich mir sicher, sehr Woody Allen-freundlich. Fühlen Sie sich als Frau im Filmgeschäft gleichberechtigt behandelt? Ja, die meiste Zeit schon. Ich hatte auch das Glück, als Komikerin Rollen zu spielen, die auf angenehme Weise aus dem Raster fallen. Und ich durfte in sehr gut geschriebenen Rollen spielen, was für eine Schauspielerin im komischen Fach äußerst selten ist. Andererseits gibt es natürlich auch Ungleichheiten. Beispielsweise wurde „The Help“ dafür gefeiert, ein Film für Frauen zu sein, und allein das weist ja schon auf eine Ungleichheit hin. Wieso sollte man das denn extra erwähnen? INTERVIEW: FRANK BRENNER Lesen Sie die Langfassung unter www.engels-kultur.de/roter-teppich neue filme Der Lorax (3D) Ice Age 4 – Voll verschoben USA 2012 - Trickfilm - Regie: Chris Renaud, Kyle Balda - Verleih: Universal USA 2012 - Trickfilm / Komödie - Regie: Steve Martino, Michael Thurmeier - Verleih: Fox Entweder man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, oder man sieht den Wald nicht, weil er nicht mehr da ist. Letzteres wiederfährt der jungen Ashley, und das ist schade, denn Ashley liebt Bäume. Gemeinsam mit Waldmeister Lorax begibt sie sich auf die Suche nach dem letzten Baumsamen. 3D-Musical mit grünem Gewissen. Danny DeVito fungiert auch in der Synchron-Fassung als Sprecher. HE Während unsereins heutzutage das Eis an den Polen wegtaut, sind Manny, Diego und Sid von dem kalten Weiß noch immer gut versorgt. Zumindest vorläufig: Die Freunde treiben auf einem gigantischen Eisberg, der sich gelöst hat. Eine abenteuerliche Kreuzfahrt steht ihnen bevor, auf der sie Piraten begegnen und auf der natürlich auch Scrat noch ein Wörtchen mitzureden hat. HE Start: 19.7. Start: 2.7. Luks Glück The Raid D 2010 - Komödie / Drama - Regie: Ayse Polat - Verleih: Real Fiction INO 2011 - Action - Regie: Gareth Evans - Verleih: Koch Media Eine türkische Familie aus Deutschland gewinnt im Lotto, die unterschiedlichen Pläne sorgen für Reibereien und Misstrauen. Im Fokus: Junior und Naivling Luk (René Vaziri). Der Film mit seinen gut aufgelegten Jungdarstellern beginnt charmant, nähert sich aber zunehmend unglaubwürdig seinem tragikomischen Ende und wirkt als Klamotte, die ein Drama sein will, insgesamt unentschlossen. HE Glaubt man den Machern des Films, verkörpert Hauptdarsteller Iko Uwais den neuen Actionstar. Für den Streifen mimt der Indonesier einen verdeckten Ermittler, der sich in einem Hochhaus mit einem Drogenbaron samt Schergen anlegt. Kampfkunst trifft auf Actionkino der 80er Jahre: Das Rezept der Zukunft? Mal sehen, was die „Expendables“ Ende August dagegen zu setzen haben. HE Start: 28.6. Start: 12.7. Noch tausend Worte Sleep Tight USA 2012 - Komödie / Drama - Regie: Brian Robbins - Verleih: Paramount E 2011 - Thriller / Horror - Regie: Jaume Balagueró - Verleih: Senator Die Rolle ist Quasselstrippe Eddie Murphy auf den Leib geschrieben: Als geschwätziger Literaturagent Jack, der seinen Wortschatz gern für dubiose Geschäftspraktiken missbraucht, verdirbt er es sich eines Tages mit einem New-Age-Guru – der ihn daraufhin verflucht: Jack darf noch tausend Worte sagen, dann wird er ins Gras beißen. Familienkomödie. HE In jüngster Zeit siedelt sich der spanische Horrorfilm gern in geschlossenen Gemäuern an („[REC]“, „Das Waisenhaus“). In diesem Fall steht ein altwürdiges Mietshaus im Fokus des Geschehens: Der unglückliche Portier César gönnt anderen ihr Glück nicht und spielt in der Wohnung der hübschen, ahnungslosen Clara heimlich böses Heinzelmännchen. Gemein gewitzter Grusel. HE Start: 21.6. Start: 5.7. Copacabana The Amazing Spider-Man F 2012 - Komödie / Drama - Regie: Marc Fitoussi - Verleih: Kairos USA 2012 - Action / Fantasy - Regie: Marc Webb - Verleih: Sony Ein geordnetes Leben führt sie nicht, aber ein glückliches: Babou (Isabelle Huppert) ist unbesorgt. Zu unbesorgt, findet ihre Tochter Esméralda (Hupperts Tochter Lolita Chammah), die ihre eigenwillige Mutter daher von der Hochzeit auslädt. Daraufhin gelobt diese Besserung. Verschrobene Komödie über eine Heldin in der Schwebe zwischen Individualität und Angepasstheit. HE Andrew Garfield löst Tobey Maguire als Spinnenmann ab, die Zutaten sind bekannt: Ein Spinnenbiss, der das Leben des Außenseiters Peter Parker für immer verändert, Tante May (Sally Field) und Onkel Ben (Martin Sheen), die erste Freundin (Emma Stone). Schurke ist diesmal The Lizard (Rhys Ifans). Die Produzenten versprechen, neue Seiten des Superhelden offenzulegen. HE Start: 28.6. Start: 28.6. 21 21 neue filme filmwirtschaft Wenders bei den Dreharbeiten zu „Pina“ Foto: Donata Wenders, © NEUE ROAD MOVIES GmbH Christina hat mit dem Haus auf Korsika eine Menge Arbeit Was hält uns hier? „Das Haus auf Korsika“ von Pierre Duculot Eine unorthodoxe Erbschaft bietet einer angepassten Frau neue Perspektiven. C Aussteigerdrama Die belgische Arbeiterstadt Charleroi: Gemeinsam mit ihrem Freund hat sich Christina (Christelle Cornil) mit einer heimeligen Existenz arrangiert, beide wohnen in derselben Wohnung, beide arbeiten in derselben Pizzeria. Ein geordnetes Leben, angepasst, lustlos. Bis eines Tages Christinas Großmutter stirbt und ihrer Enkelin ein Haus auf Korsika vermacht. Freund und Familie raten zum Verkauf, Christina aber will vorher einen Blick auf das alte Gemäuer werfen. Sie reist auf die Insel im Mittelmeer und landet in einem verschlafenen Nest, in dem sie Bekanntschaften mit Ziegen, Wildschweinen und Einheimischen macht, allen voran einem attraktiven Ziegenhirten. Das Haus indes wirkt weniger einladend, ist renovierbedürftig. Doch die Menschen und die Idylle verzaubern den Neuankömmling und verleiten Christina dazu, ihr Leben neu zu überdenken. Zurück in Charleroi stellt sich ihr die Frage: „Was hält uns hier?“ Und sie hat recht: Auch der Zuschauer dürfte sich in diesem kleinen Aussteigerdrama vom Fernweh der Protagonistin anstecken lassen. Das funktioniert in diesem Fall besonders gut, weil Regisseur Pierre Duculot die Ferne, das Fremde und Neue nüchtern ausstellt, fern jedes Exotismus‘, fern von Kitsch und Farbfilter. Alles an diesem Film scheint geerdet. Sympathisch verschroben ist der Blick auf das ländliche Korsika und seine Einwohner, die bescheiden ihren Traum von Freiheit und Ungebundenheit leben. Christina ist die Wohlstands-Städterin, in der noch ein Rest Sehnsucht schlummert, das Erbe der Großmutter ist der notwendige Impuls, ihre Sehnsucht anzustoßen. Hauptdarstellerin Christelle Cornil („Die Kinder von Paris“) verleiht ihrer Figur sympathische Schlichtheit, eine Figur, die angepasst scheint, es aber nicht ist, in der Kräfte brodeln, die ihre Nächsten nicht vermutet haben. Die sich von der zivilisierten Tristesse emanzipiert und sich im neuen Umfeld mit Hartnäckigkeit und Selbstbewusstsein Respekt erarbeitet – sowohl bei ihren Angehörigen als auch in der schrulligen Gemeinde. Und die einfach hinreißend ist als Macherin auf dem Mofa. Träume, innere Stärke, Mut und Kampfeslust, die am Ende andere mitreißen werden. Duculot jongliert mit alltäglichen Sehnsüchten und Rückschlägen, die Inszenierung ist unspektakulär, zurückgenommen, das Tempo ausgebremst. Als Schauwert genügen ihm seine Figuren und die Naturaufnahmen von der Insel, die überwältigend sind. Der Regisseur zeigt, dass man manchmal Dinge einfach hinter sich lassen muss, um das kleine Glück zu finden; dass man an sich selbst denken darf, ohne automatisch Egoist zu sein, dass der Ausstieg aus dem Wohlstand Aufstieg sein kann und dass Gemäuer mit Fenstern und Türen mehr sein können als bloße Immobilie. Ein liebenswert inszeniertes Aussteigerabenteuer – und ein berührendes Familiendrama. Denn mit dem Ausstieg aus der Heimat und der Distanz zur Familie nähert sich die Heldin zugleich ihren Wurzeln. HARTMUT ERNST DAS HAUS AUF KORSIKA Internationales Filmfestival Amiens: Goldenes Einhorn Bester Film B 2011 - Drama - Regie: Pierre Duculot - Kamera: Hichame Alaouie mit: Christelle Cornil, François Vincentelli, Jean-Jaques Rausin - Verleih: Schwarz-Weiss Start: 12.7. Demographie und Pina GfK-Studie zum Kinobesuchsjahr 2011 Die Gesellschaft für Konsumforschung GfK ist eines der größten Marktforschungsinstitute in Deutschland und befragt regelmäßig Tausende von Bürgern über ihr Verbraucherverhalten. In der jüngst vorgelegten Studie werden im Namen der FFA die 75 erfolgreichsten Filme des Jahres 2011 bzw. deren Besucher nach allen sinnvollen – und leider manchmal auch weniger sinnvollen – Regeln der Empirie erfasst. Während beispielsweise Alter, Geschlecht und Bildung nachvollziehbare demographische Merkmale bilden, führen die Merkmale Haushaltsgröße oder das Haushalts-Nettoeinkommen zu wenig Erkenntnisfortschritt oder sinnvollen Interpretationen. Unter den 75 Topsellern des Vorjahres waren 16 deutsche und nur ein Dokumentarfilm. Wim Wenders Dokumentarfilm „Pina“ über das Tanztheater Pina Bausch belegte mit mittlerweile 500.000 Besuchern Platz 73. Neben dieser Platzierung, die für einen Dokumentarfilm über ein Tanztheater trotzdem noch erstaunlich hoch ist, hat „Pina“ bei anderen Kriterien eine zum Teil erstaunliche Spitzenstellung eingenommen. So ist beispielsweise das Publikum bei „Pina“ mit Abstand am ältesten. Kein anderer Film hat die Hälfte seines Publikums in der Altersklasse über 60. Insgesamt waren überhaupt nur 8% der Besucher jünger als 30 Jahre. Der Film mit dem zweitältesten Publikum war „Das Schmuckstück“ von François Ozon, gefolgt von „The King‘s Speech“ und „Almanya“. Logische Folge dieser Altersstruktur ist, dass, sortiert nach dem Kriterium Berufsgruppe, Rentner mit 50% den höchsten Besucheranteil realisierten. Befragt nach dem höchsten Berufsabschluss, hat „Pina“ insgesamt das „gebildetste“ Publikum angesprochen, denn knapp 70% hatten ein Abitur und Studium vorzuweisen, während dies nur für 50% des gesamten Kinopublikums gilt. Neben diesen soziodemographischen Faktoren wurden auch kino- und filmspezifische Merkmale abgefragt. Auch hier sind der Wochentag, die Uhrzeit der Vorstellung, die Frage der Besuchsplanung von untergeordnetem Interesse, aufschlussreicher sind vielmehr das Ausgabeverhalten und die Bewertung der Filme. Eine besondere Position nimmt „Pina“ auch bei der Frage nach der Anzahl der Begleitpersonen ein. Während durchschnittlich nur 10% aller Kinobesucher allein ein Kino aufsuchen, erreicht das „Pina“-Publikum mit 37% Einzelgängern den mit Abstand höchsten Wert. Und noch eine weitere Einzelstellung nimmt „Pina“ im Bereich der Frage ein, wie das Publikum auf den Film aufmerksam wurde. Während über alle Filme hinweg nur 4% der Besucher sich durch einen Fernsehbericht inspirieren lassen, sind es bei „Pina“ 26% gewesen. Bei der Bewertung des Films haben die Zuschauer von „Pina“ eine Durchschnittsnote von 1,49 vergeben, besser war lediglich „Harry Potter“ mit 1,4. Der Nebenumsatz ist für Kinobetreiber immer eine wichtige Größe, er lag im Durchschnitt bei 3,54 pro Kopf. Das „Pina“-Publikum war das mit Abstand sparsamste, denn hier wurden nur 0,50 pro Besucher für Süßwaren und ähnliches ausgegeben. Denn 85% der Besucher konsumierten gar nichts, der Rest teilte sich offenbar ein Mineralwasser. Zusammenfassend könnte man zu dem Schluss kommen, dass das Publikum von „Pina“ alt, einsam, schlau und geizig ist. Aber wie sagte schon Goethe: Durch Zahlenspiel ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt. KIM LUDOLF KOCH 22 wortwahl comickultur Namhafte Begleiter Noir-Krimi in Farbe Geht's in den Urlaub, vertraut man bei der Lektüre gern auf Altbewährtes. Da können die Herren Kritiker und Rezensenten ihre literarischen Entdeckungen noch so anpreisen. Sicher ist sicher. Wer sein Ebook nicht den Erosionskräften Wind/Wasser/Sonne aussetzen will und/oder lieber auf nach Druckerschwärze duftende Printerzeugnisse baut, wird einen Teufel tun, die heutigen Übergewichtszuschläge in Kauf zu nehmen und ein belletristisches Wagnis eingehen, sondern lieber auf positive Erfahrungen respektive klangvolle Namen vertrauen (drum an dieser Stelle auch nur Paperbacks). Doch Obacht, bisweilen erweisen sich selbst diese als Schall und Rauch. Zumindest bei George Pelecanos' erstem Teil seiner Krimiserie um den Spürhund Spero Lucas sollte man Vorsicht walten lassen; zumindest Freunde actiongeladener Crime Stories, die direkt zur Sache kommen. Aber wie gesagt: Es handelt sich um einen Serienauftakt, und so nimmt sich der Amerikaner hellenischer Vorfahren in „Ein schmutziges Geschäft“ (rowohlt) viel Zeit, seine Charaktere liebevoll einzuführen, ehe die eigentliche Geschichte um ein abhandengekommenes Marihuana-Päckchen, den dazugehörigen einsitzenden Drogenboss und den mit dem Fund einhergehenden Verwicklungen tatsächlich ins Rollen kommt. Dass auch Elmore Leonard nicht immer nur Grandioses „Gegen den Strom“ von Yoshihiro Tatsumi ist eine Inside Story. Der Mangaka Tatsumi, der mit den „Gekiga“ den Manga mit dramatischen Themen für Erwachsene geöffnet hat, erzählt, wie er in den 50er Jahren vom jugendlichen Hobbyzeichner zu einer eigenen Nische auf dem Mangamarkt fand, die die gesamte Kunstform entscheidend weiterentwickelte. Das über 800 Seiten umfassende Mammutwerk ist zugleich eine Coming of AgeGeschichte und ein Portrait der japanischen Nachkriegsgesellschaft (Carlsen). Mit „Der Boxer“ widmet sich Reinhard Kleist der tragischen Geschichte von Hertzko Haft. Als Jugendlicher kommt der polnische Junge Anfang der 40er Jahre in ein KZ. Dort überlebt er als Showboxer für die Nazis. Als er nach dem Krieg in Amerika Erfolg als Boxer sucht, tut er dies nur, um seine Jugendliebe Leah zu finden. Er hofft, dass sie ihn erkennt, wenn über ihn in der Zeitung berichtet wird. Kleist adaptiert die Aufzeichnungen von Hertzkos Sohn Alan. Seine groben Schwarzweiß-Zeichnungen fangen das Grauen im KZ gut ein. Die ambivalente Hauptfigur lässt inhaltliche Schwarzweißmalerei jedoch nicht zu. Ungewöhnlich ist auch, dass er den Schwerpunkt der Geschichte zu gleichen Teilen auf die Lager und die Nachkriegszeit legt (Carlsen). „Die Krankenschwester“ ist der letzte Teil von Jeff Lemires bewegender Essex fabriziert, musste unsereins mit „Dschibuti“ (s. Wortwahl 02/12) goutieren. Definitiv brillant auf überraschende Wendungen und kühle Spannungsmomente hingetrieben, minimalistisch im Duktus ist hingegen „Out of Sight“ (suhrkamp): die aberwitzige Crime‘n‘Love-Beziehung zwischen der Bankräuberlegende Jack Foley und dem Deputy US Marshall Karen Sisco, die in ihrem wilden Tanz an den Paarungsakt zwischen Kater und Katze erinnert, bei dem die Katze dem Kater nach dem Paarungsakt ordentlich eine verpasst, weil sein Geschlechtsteil schmerzhafte Widerhaken besitzt, die ihre – pardon – Muschi anregen sollen. Ganz anders wiederum Bodo Kirchhoff, der mit seinem „Schundroman“ bewiesen hat, dass er ebenfalls famose Pulpliteratur zu Papier bringen kann, mit „Eros und Asche“ (dtv) allerdings einer mehr oder minder typischen Männerfreundschaft ein sensibles Denkmal gesetzt hat – in allen Nähen und Distanzierungen, wie sie das irdische Schicksal in seiner subjektiven Erfahrung und Auslebung schreibt; bis hin zum vermeintlich zu frühen Tod, an dem sich die Zwischenmenschlichkeit wie in einem Prisma bricht. Gnadenlos ehrlich, aufrichtig in all seinen Höhen und Tiefen und entsprechend 'schlicht und einfach' traurig-schön. Als vermeintlich grelles Kontrastprogramm sei im Anschluss „Schlechtes Chili“ (DuMont) von Joe R. Landsdale empfohlen, das beileibe nur oberflächlich als markig-zotige Krimigroteske um einen seit einer Eichhörnchen-Attacke 'tollwütigen' Taugenichts, der seinem schwulen Heavy-Weight-BouncerNigger-Buddy aus der Patsche helfen muss, daherkommt. Krachend schwarzkomischer Splatter, den der Countrypunkoutlaw der US-Literaturszene in seiner hinterhältig-bärbeißigen Gesellschaftskritik nicht umsonst dem hierzulande vielleicht sogar bekannteren „Bruder Andrew Vacchs, Krieger“ gewidmet hat, der als Anwalt wie als Romancier auf beeindruckend empathische Weise seit jeher gegen psycho-sexuelle Übergriffigkeiten gegenüber Kindern ankämpft. Nichtsdestotrotz heißt Reisen auch immer Entdecken, weswegen zum krönenden Abschluss doch noch eine außerordentliche Erstveröffentlichung erwähnt sei – von keinem Geringeren als Singer/Songwriter/Producer Ry Cooder, der nicht nur den Stones die Slide-Guitar beigebracht, sondern auch den Buena Vista Social Club produziert und Wim Wenders' „Paris, Texas“ unvergessliche Atmo eingehaucht hat. Mit beeindruckender Sensibilität, Achtsamkeit und Ausdrucksstärke hat der nunmehr 65Jährige „In den Straßen von Los Angeles“ (Tiamat) ein kleines Prosaskizzenkompendium zusammengetragen, dessen Eröffnung bereits als metaphorischer Reisewegweiser taugt: „Ich bin nur einer von vielen. Unsere Aufgabe ist es, rauszugehen und die Fakten einzusammeln.“ LARS ALBAT County-Trilogie, dessen schlichte, kantige Zeichnungen einen falschen Eindruck vermitteln könnten. Mit dem ersten Band hatte Lemire die Freundschaft eines Waisenjungen mit einem schrulligen Tankstellenwärter skizziert, während der zweite Band einen Ausflug in die Vergangenheit machte. „Die Krankenschwester“ ist nun sowohl in der Gegenwart als auch in der ferneren Vergangenheit angesiedelt, und am Ende schließen sich alle Kreise dieses ruhigen, melancholischen und tief bewegenden Portraits eines einsamen Landstrichs und seiner Bewohner (Edition 52). Stéphane Heuet verlässt mit dem zweibändigen „Eine Liebe Swanns“ erstmals den jungen Protagonisten seiner Proust-Adaption, der hier nur noch als Ich-Erzähler der Liebesabenteuer des Schwerenöters Swann auftritt. Heuets im Stile von Hergé angelegte Reihe ist nach wie vor ein beeindruckendes Unterfangen (Knesebeck). Nach „Shutter Island“ und „Swinging London“ adaptiert Christian De Metter den Mafia-Klassiker „Scarface“ von Armitage Trail, dessen viel bekanntere Verfilmungen an einigen Stellen entscheidend in der Handlung abweichen. De Metter hält sich an das Original und erzählt trocken und ökonomisch. Die Bilder erinnern hingegen wieder einmal eher an Ölgemälde. Ein guter Noir-Krimi in gedeckten Farben (schreiber & leser). „Grandville“ von Bryan Talbot ist ein düsterer Steampunk-Krimi. Frankreich beherrscht Europa, Brittania hat sich eine geduldete Autonomie erkämpft. Doch Terroristen bedrohen das labile System. Kommissar LeBrock muss einen Diplomatenmord aufdecken und stößt bald auf eine große Verschwörung. Die Tierfiguren sind schnell vergessen in dieser spannenden wie fantasiereichen Geschichte. Nur die Zeichnungen sind ein wenig zu deutlich am Computer entstanden (schreiber & leser). Lewis Trondheim hat mit „Ralph Azham“ eine neue Fantasy-Serie gestartet. Zunächst fragt man sich, warum er sie nicht einfach an sein auf 300 Bände angelegtes, mit Ko-Autor Joann Sfar und einer Heerschar von Zeichnern konzipiertes Donjon-Opus andockt – so ähnlich erscheinen die beiden bislang erschienen „Azham“-Bände schon. Aber dann groovt man sich schnell ein, und es wird klar, warum dies eine eigene Welt sein muss: Hier macht Trondheim wieder alles selber – lediglich die Kolorierung hat er abgegeben (Reprodukt). 23 CHRISTIAN MEYER textwelten poetry E-Book-Reader, Foto: Hannah Linden Pfützen sind die Babys von Wolken und Schlaglöchern Glücklich mit Huckepack Die Kindheit ist kompostierbar Werden wir bald kein Leinen mehr unter den Fingern spüren, werden wir nicht mehr das Geräusch eines gewendeten Blattes hören? Gibt es bald keine Bücher mehr zum Anfassen, keinen Textkorpus, den wir in der Hand wiegen? Liegt stattdessen ein Lesegerät vor uns, ein Tablet-Computer, ein E-Book? Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vermeldet nach sieben Wachstumsjahren ein Umsatzminus von 1,4 Prozent im Geschäft mit dem gedruckten Buch. Gleich einer Fanfare folgt die Meldung: „EBook-Geschäft verdoppelt sich / Perspektive für 2015: Neues Medium ist Hoffnungsträger der Verlage“. Seit Jahren pusht der Börsenverein das E-Book-Geschäft, drängelt bei jeder sich bietenden Gelegenheit Verlage und Buchhändler zum Einsatz des elektronischen Buches. Auf der Frankfurter Buchmesse baut Florian Langenscheidt ein Tadj Mahal für das E-Book. Immer nach dem Motto: Wer das E-Book verpasst, kann seine Zukunft in den Mond schreiben. Klar, der Börsenverein mischt selbst im E-Book-Geschäft mit. Aber nicht nur deshalb folgen auf die Nachricht von der Verdopplung des Umsatzes mit dem E-Book die eher kleinlauten Hinweise, dass der Umsatz von E-Books im letzten Jahr nur einen Anteil von einem Prozent am Gesamtumsatz ausmachte. Der Umsatzanteil des E-Books in den Buchhandlungen sank sogar gegenüber dem Vorjahr. Der Haken beim Geschäft mit den digitalen Texten ist „weiterhin die geringe Nachfrage“, wie der Börsenverein und das GfK Panel Service Deutschland in ihrer gemeinsamen Studie feststellen. Es ist also nicht wirklich ein Geschäft, sondern nur die Hoffnung darauf. Die deutschen Leser sehen offenbar nicht so recht ein, warum sie das gedruckte Buch aufgeben sollten, und möglicherweise muss der Weg zum E-Book ja zunächst über die Faszination des gedruckten Buches gehen. Erst der geübte Leser, der Vielleser, entdeckt Chancen des E-Books für sich, wie die Tatsache, dass man in die Ferien nicht einen Koffer Papier schleppen muss, wenn man stattdessen zu Hause noch drei Dutzend E-Books auf sein Lesegerät gespeichert hat. Die sind übrigens gar nicht so billig, wie man immer annimmt. Die 13 Euro, die ein E-Book im Vergleich zu den 20 Euro eines gebundenen Buches kostet, bieten halt bloß einen virtuellen Text. Das ist etwas für HardcoreLeser, die auf alles zu verzichten bereit sind, was ein Buch zu einer sinnlichen Angelegenheit macht, oder duften die Zeichen auf dem Bildschirm nach Leim und Papier? Aber die Zahl dieser Puristen wird sicherlich nie gigantische Umsätze einfahren. Möglicherweise funktioniert jedoch eine andere Idee. Axel Stemmer, Buchhändler des Anderen Buchladens in Köln-Sülz bezeichnet sie treffend als „Huckepack“-Konstruktion. Die sieht so aus, dass der Verlag Rogner & Bernhard in jedem Exemplar des gebundenen Romans „Taqwacore“ von Michael Muhammad Knight einen Zahlen- oder Buchstabencode eingelassen hat, über den man sich den Text auch auf den E-Book-Reader herunterladen kann. So hat man beides in einem Paket und kann die prakThomas Linden Journalist und Jurymit- tische Seite des virtuellen Textes nutzen, ohne auf die glied des Kölner Kinderu. Jugendtheaterpreises Freude am gebundenen Buch verzichten zu müssen. Viele fragen sich, warum ich immer eine Mütze trage. Dabei ist der Grund eigentlich leicht zu erraten. Denn ich bin eine Pflanze, die nach unten wächst, und die Mütze ist meine Vase. Dass ich dabei genau bis zum Boden reiche, ist reiner Zufall – als Kind schwebte ich stets ein kleines Stück über dem Boden, weil mein Haar so fest im Mutterboden der Mütze wurzelte. Das war damals in den 80ern auch nicht weiter ungewöhnlich. Man muss bedenken, dass es sich um eine Zeit handelte, in der wir nicht draußen spielen durften, weil von der Ukraine her Atommüll durch die Luft nach Deutschland transportiert wurde. Ein paar Castor-Gegner hatten noch versucht, sich an eine Wolke zu ketten, waren aber von Polizeihubschraubern entfernt worden. Und Polizeihubschrauber in den 80ern waren aus Vinyl und wurden per Handkurbel betrieben, was damals als hochmodern galt. Sebastian23 zählt an: Zweiundzwanzig – die Videokolumne Das E-Book floppt „Epochen“ ist nicht elektrisches Anklopfen Die 80er waren eine Zeit, in der David Hasselhoff sich in Berlin auf ein Podest stellte, um über die Mauer hinweg die Ostdeutschen für das Leben im Westen zu begeistern. Forscher gehen heute davon aus, dass allein dieses Konzert die Bemühungen um Wiedervereinigung um mehrere Monate hinausgezögert hatte. Viele der Zeugen dieses Konzertes meldeten sich nachher freiwillig für Straflager in Sibirien. Lacht nicht – David Hasselhoff war nicht der Bodensatz der Gesangskultur dieser Dekade! Die 80er waren das Jahrzehnt, in dem Dieter Bohlen als Musiker erfolgreich war! „Cherry, cherry lady“ war ein Hit, und das war von den Hörern nicht ironisch gemeint. Wir haben alle gedacht, im Jahr 2000 würden wir alle mit fliegenden Autos unterwegs sein. Wir Trottel! Sogar die Postleitzahlen waren aus lauter Dummheit nur vierstellig! Handys hatten damals noch Kabel und hingen an der Wand fest. Außer eine Ecke im Wohnzimmer war der Rest der Welt ein Funkloch. „Internet“ gab es damals nur als Rechtschreibfehler und Email war eine Beschichtung von Kochtöpfen. Bebraham liegt bei Görlitz Fußball wurde in den 80ern noch mit einem Backstein statt einem Ball gespielt, und eine Halbzeit dauerte vier Tage. Die Spiele gingen trotzdem meistens 0:0 aus, aber es gab wenigstens wesentlich mehr Verletzungen. Wir ritten damals auf rasierten Mammuts zur Schule. Und mit Schule meine ich ein Erdloch, in dem ein Stein lag, auf dem das Grundgesetz eingemeißelt war. Damals bestand das Grundgesetz aus nur einem Satz: „Sprach Abraham zu Bebraham, kann ich mal dein Zebra ham.“ Das war alles, was wir wussten von der Welt, also wiederholten wir diesen Satz zu jeder Gelegenheit. All das ist wahr. Aber eines hatten wir nicht: den behämmerten Kleidungsstil, den die Hipster jetzt als 80er Jahre-Retro-Look auftragen. Wir sahen schlimmer aus. Heute trage ich darum lieber eine Mütze und reiche bis zum Boden. FOTO/TEXT: SEBASTIAN23 THOMAS LINDEN Sebastian23 – Die Video-Kolumne: Auf youtube und auf www.engels-kultur.de/literatur-nrw 24 popkultur in NRW kompakt disk Abstrakte Leitlinie Das neunte Album der Dirty Projectors heißt „Swing Lo Magellan“ und ist wieder einmal gefüllt mit komplexen Songstrukturen. Die Stücke erinnern in jedem Augenblick an mindestens fünf verschiedene Momente der Musikgeschichte, ohne dass man sie eindeutig auf ein Vorbild zurückführen könnte. Chefkomponist David Longstreth verarbeitet Rock, orchestrale Arrangements, Musical, polyphone Gesangsparts, Folk und vieles mehr. Alleine die 70er Jahre scheinen als abstrakte Referenz eine Leitlinie zu sein. Tolles Album (Domino). Das Duo Peaking Lights dockt an die Liaison von New Wave mit Dub in den frühen 80ern an: Rhythmusmaschine, Synthies, Halleffekte, Frauenstimme. Verträumte Songs für lange Nächte – Dreampop in Dub (Weird World). Ballrogg ist ein norwegisches Trio, dessen Interesse sich sowohl an Jazz von Eric Dolphy als auch Neuer Musik von Morton Feldman orientiert. Mit dem neuen Album haben sie deutliche Schlagseite zur Minimal Music, der Jazzeinfluss ist aber noch hörbar. Das Ergebnis erinnert an die Musik der späten Talk Talk oder an das Duo Gastr del Sol, ohne deren starke rhythmische Akzente (Hubro). Die Zartheit ihrer Landsleute von Ballrog geht den Berserkern von Fire! um Saxofonist Mats Gustafsson ab. Die psychedelischen Jazzrocker mit Freejazz-Einschlag haben sich dieses Mal den Gitarristen Oren Ambarchi als Verstärkung geholt. Der Australier hat schon mit John Zorn, Sunn 0))), Jim O‘Rourke, Merzbow oder Evan Parker gespielt – da geht in Sachen Krach also einiges. Schließlich heißt das Album auch „In the Mouth – a Hand“. Das ist doch eine recht anschauliche Umschreibung für „Voll in die Fresse“ (Rune Grammofon). Die beiden Alben „Klopfzeichen“ und „Zwei Osterei“ der Krautrocker Kluster werden wiederveröffentlicht. Tatsächlich ist darauf Proto-Industrial zu hören. Elektroakustik nannten die beteiligten Moebius, Rodelius und Schnitzler das 1970 und ordneten sich damit der akademischen Musik zu, ohne dort akzeptiert zu werden. Die jeweiligen A-Seiten mit Rezitationen literarischer Texte wirken bemüht hochkulturell, die instrumentalen Improvisationen auf den B-Seiten hingegen revolutionär. Conrad Schnitzler verließ die Band, die sich daraufhin Cluster nannte. Schnitzler machte dann solo weiter und veröffentlichte die Alben „Rot“ (‚73) und „Blau“ (‚74), die nicht minder radikal als Kluster sind, mit ihren verzerrten, fiepsenden Geräuschen und Dissonanzen sogar noch ein wenig abseitiger erscheinen – weniger psychedelisch denn psychotisch. Aktuelle Musik gibt es aus dem Umfeld auch: Dieter Moebius von Cluster hat gerade zusammen mit dem Elektroniker Asmus Tietchens das Album „Moebius + Tietchens“ aufgenommen – angeblich ein Vorhaben, dass sie seit ihrem einmaligen Zusammenspiel mit der Supergroup Liliental 1976 im Kopf haben. So seicht wie das Liliental-Album ist diese CD glücklicherweise nicht – es grummelt, knistert und knarzt reichlich, und auch die ambienteren Passagen sind erfreulich ungehobelt (alle bureau b). Mario Galeano von Frente Cumbiero und Will ‚Quantic‘ Holland von der Combo Bárbaro haben für das Projekt Ondatrópica und die gleichnamige Doppel-CD alte Meister und junge Hoffnungsträger kolumbianischer Musik zusammengetrommelt, um die Musik Kolumbiens mit Harmonium, Bläsern und polyphonen Rhythmen zu feiern. Meist ist das sehr traditionalistisch gehalten, mitunter mischen sich auch neuere Elemente wie Rap in die Musik oder dezente Fusionen – etwa mit Ska oder Brass – deuten sich an. Ein wahres Fest, das auch vor einer rohen Coverversion von Black Sabbaths „Iron Man“ nicht Halt macht (Soundway). CHRISTIAN MEYER 25 Malerisch: der Biergarten des Odonien bei Nacht, Foro: Laurence Voumard Nicht ohne mein Odonien Einer der letzten Kölner Veranstaltungsorte für Freiluftpartys Von Christian Steinbrink In der ganzen eng besiedelten Region zwischen Köln und Dortmund klagen (Sub-)Kulturschaffende dasselbe Leid: Es gibt keine Orte für angemessene kulturelle Entfaltung, die genügend Leute fassen, und in denen man auch mal etwas lauter werden kann. Seit langer Zeit flüchten gerade freie Initiativen in die Halblegalität, an Orte, „Eine permanente Freiluftlocaan denen zumindest irgendwas erlaubt tion, die sich Partygänger schon ist, das halbwegs mit dem zu tun hat, lange wünschen“ was sie selbst veranstalten wollen. Dass die Halbwertzeit solcher Orte gering ist, ist dabei den Initiatoren genauso klar wie den meisten Besuchern. Man nimmt es eben schicksalsergeben in Kauf. Eigentlich war jedem klar, dass auch das Odonien im Nordwesten der Kölner Innenstadt genau so ein Ort ist und bleiben würde. Auf dem Gelände des Ateliers Odo Rumpf finden seit ein paar Sommern Partys statt, zumeist unter freiem Himmel. Für Köln, dessen Elektroszene seit Jahren von Club zu Club tingelt und dessen Freiluftlocations in der Regel nur wenige Veranstaltungen überdauerten, kam das fast schon einer Konstante gleich. Im vergangenen Mai kam auch hier das eigentlich Unvermeidliche, nämlich das Ordnungsamt auf den Plan und setzte die Auflagen (Fluchtwege, Feuerwehrzufahrt) wie gewohnt so hoch an, dass für das Odonien das Aus gekommen schien. Auch deshalb, weil die Protestaufrufe der Odonien-Fans über die bekannten Sozialen Netzwerke alles andere als glücklich formuliert waren. Dennoch – oder gerade deswegen – war die Resonanz in der Kölner „Szene“ überwältigend: Auf dem Rudolfplatz in der Kölner Innenstadt versammelten sich am 27. Mai knapp 1.000 Demonstranten. Eindruck hat dieser Protest in jedem Fall gemacht – die Verhandlungen um die Zukunft des Odonien gehen weiter. Der Ausgang ist, Stand Redaktionsschluss, allerdings ungewiss. Andere, deutlich kooperativere Wege geht eine neue Initiative aus dem Umfeld der Essener Zeche Carl, die den Namen „Netzwerk x“ trägt. Das Netzwerk setzt auf Strategien, die denen der „runden Tische“ ähneln. Öffentliche und freie Veranstalter und Kulturaktivisten wollen mit Ämtern und Behörden in diesem Rahmen Probleme erörtern und Potenziale abklopfen. Ende Mai stellte sich das Netzwerk mit Performances öffentlichkeitswirksam vor, ab dem 22. Juni soll es mit der Konferenz „Recht auf Stadt“ im gebeutelten Duisburg in die Vollen gehen. Noch ist das Netzwerk zu jung, um eine Bilanz zu ziehen, außerdem sind alle Beteiligten unter dem andauernden Eindruck der Loveparade-Katastrophe noch sehr um Vorsicht und Einvernehmlichkeit bemüht. Doch wenn das Netzwerk in einer Region mit einem solchen Nachholbedarf, gerade in Sphären der Soziokultur, Erfolge vorweisen kann, wird dieses Modell sicher auch Schule machen. Und vielleicht bekommt dann Christian Steinbrink sogar Köln die permanente Freiluftlocation, die sich die Journalist und Partygänger der Stadt schon so lange wünschen. Musikkritiker www.netzwerk-x.org I www.odonien.de wupperkunst Heike Klussmann, Surround, 2012, Installation mit 20 animierten Videos, Stills (Ausschnitt), © Heike Klussmann Fläche im Raum Heike Klussmann stellt im Neuen Kunstverein aus Direkt gegenüber ragt der Alex in die Höhe. Vom Atelier auf einem Terrassengeschoss an der Karl-Liebknecht-Straße blickt man allerdings auch auf die desolate städtebauliche Szenerie. Monoton, rau wirken die Funktionsbauten. Viel Beton allenthalben, stumpfe Oberflächen oder gleichförmige Raster. Berlin-Mitte ist hier, an dieser Stelle, Symptom für gescheiterte, kaum versuchte oder doch versuchte Stadtplanung. Für Verödung aus Hochhäusern und Plattenbauten und monströsen Straßen, nur noch Durchgang für Passanten, Fahrzeuge, die Nah- und Fernverkehrszüge. Gründung einer interdisziplinären Forschungsgruppe an der Universität Kassel. In diesem Kontext steht die Beschäftigung mit Materialien im öffentlichen Raum und deren Beschaffenheit und Textur; mit Thorsten Klooster hat sie einen Licht reflektierenden Beton entwickelt, den BlingCrete: „Das optische Phänomen wird durch Mikroglaskugeln erzeugt, die in das Trägermaterial Beton eingebettet werden“, schreiben Klussmann und Klooster dazu in einem Aufsatz zu einem Symposion auf Schloss Solitude in Stuttgart. Gegenstand der Kunst von Heike Klussmann ist die urbane Verfasstheit mit ihren architektonischen Detailstrukturen und Leitsystemen. Die Sichtbarmachung der städtebaulichen Prinzipien und die Organisation des Raumes, aus der Perspektive des Betrachters. Heike Klussmann wurde 1968 in Saarbrücken geboren, sie hat an den Kunstakademien in Düsseldorf (bei Klaus Rinke) und Berlin (bei Rebecca Horn) studiert und lehrt selbst seit 2005 als Professorin für Bildende Kunst am Fachbereich Architektur der Universität Kassel. Ihre eigenen künstlerischen Beiträge sind vor allem ortsbezogene Installationen, Filme und filmische Animationen sowie fotografische Direktbelichtungen auf Fotopapier. Die Konzeption, die sich durch alle Medien zieht, stand schon frühzeitig fest, und bis heute kommt Heike Klussmann auf den gleichen situativen und motivischen Kanon zurück. Ihre Kunst durchmisst Räume und verdeutlicht deren Grenzen, etwa indem sie die potentielle Fortsetzung vor Augen führt. Der Blick mäandert durch Systeme aus aneinander anschließenden Gefügen und stellt so eine Topographie des Ortes auf. Mehr als für die Außenhaut interessiert sich Heike Klussmann für die innere Struktur und den osmotischen Austausch mit dem Draußen. Bereits seit 2002 plant Heike Klussmann mit „netzwerkarchitekten ParG“ die fünf Stationen der U-Bahnlinie Wehrhahn in Düsseldorf, die 2015 eröffnet werden soll: Im Atelier stehen dazu etliche Modelle in unterschiedlichen Größen, die ausgesprochen filigrane und für sich komplexe skulpturale Gebilde aus gefalteten und gewinkelten Bändern sind. Ausgehend von den jeweils vier Zugängen und von der linearen Außenform abknickend, ergeben die Bahnen ein Netz aus Überlagerungen und Durchlässigkeit, das einen dreidimensionalen Körper unter der Möglichkeit der Begehbarkeit bildet. 1997 ist die temporäre Installation „Steg“ für das Parkhaus Behrenstraße in Berlin entstanden. Im 13. Stockwerk hat sie eine langgestreckte Bahn aus weißer retroreflektierender Straßenmarkierung gestrichen; analog dazu führt im Stockwerk darunter ein Steg mitten durch das Stockwerk auf die Fassade hinaus. Zugleich wurde das Parkhaus zum modular gestapelten Modell für den Topos Stadt mit seinen Strukturen und Verknüpfungen. Die kontinuierliche Form, die ein Raumkonstrukt geradlinig durchmisst, nahm sie dann bei ihrer Intervention in der daadgalerie in Berlin 2001 wieder auf. Dort reichte eine 28 Meter lange Pipeline bis auf die Brüstungen der gegenüber befindlichen Balkone außerhalb des Hauses. Zugleich funktionierte die Röhre als Camera Obscura. Sie verwies damit aber nicht nur auf die Fotoarbeiten von Heike Klussmann, sondern im Grunde auch schon auf ihre Hinwendung zu tunnelartigen Konstrukten, gesehen von innen. So hat sie 2008 eine filmische Animation zum Tiefbunker unter dem Alexanderplatz realisiert, entwickelt aus rund 6.000 Einzelbildern, die sie dort aufgenommen hat. Das ist nun die Ausgangsbasis für die Videoinstallation im Neuen Wuppertaler Kunstverein, deren Titel „Surround“ das Verhältnis von architektonischer Umgebung und individuellem Standpunkt anspricht. 20 verwandte Projektionen laufen auf Augenhöhe horizontal nebeneinander ab. Indem sie verschiedene Längen besitzen, stellen sich im Loop immer neue Konstellationen ein. Der Betrachter sieht jeweils ein fließendes Schreiten durch einen offenen Raum, der an den teils schrägen Seiten, der Decke und dem Boden einheitlich aus s/w-Bändern besteht, abbiegt und dabei nie überschaubar ist. Mit jeder Bewegung ändern sich seine Struktur und sein Verlauf, ist wieder alles neu. Fläche wird zu Raum und Raum zu Fläche. Der Betrachter dringt immer tiefer in die Raumkonstruktion ein und gleitet doch an ihr ab, und mithin wird dabei auch unser Körpergefühl mit der Schwerkraft verhandelt. Natürlich ist diese Videoarbeit, bei aller wunderbaren Ästhetik als Kaleidoskop mit Anklängen an die Parallelwelten von Computerspielen, auch eine Metapher und ein Forschungsansatz zur Frage, wie wir uns im Stadtraum und innerhalb von Gebäuden verhalten, wie sich Überschaubarkeit und Unübersichtlichkeit einstellen. Schließlich geht es auch um die Frage, wie wir sehen, und wie wir uns orientieren. Und was die Kunst und die Architektur dazu leisten könnten. THOMAS HIRSCH „Heike Klussmann – Surround“ I bis 29.7. I Neuer Kunstverein Wuppertal www.neuer-kunstverein-wuppertal.de Blick von innen Die Hinwendung zur Beschaffenheit von Architektur im Stadtraum und unter der Erde hat bei Heike Klussmann aber auch zu Projekten geführt, die über die eigentliche Kunst hinausweisen und auf praktische Anwendung zielen und zugleich die ästhetische Gestaltung des Stadtraumes postulieren. Dazu gehört ihre Zusammenarbeit mit Architekten und die 26 kunst in NRW kunst-kalender Paul Thek, Oh Come All Ye Faithful, 1973, Mischtechnik, 49x66 cm, © Estate of G.P. Thek, New York, Foto: LehmbruckMuseum Ein anderer Blick auf die Welt Ausstellungen in Bonn und Duisburg Von Thomas Hirsch Eine Aufgabe der zeitgenössischen Kunst ist es, die Gegenwart zu transzendieren, auf sie zu reagieren und darin unangepasst und weitsichtig zu sein. Der Fotograf Lewis Baltz ist seiner Zeit schon immer voraus gewesen, und ist das, was er gemacht hat, erst salonfähig, so befindet er sich längst auf einer anderen Fährte. Paul Thek ist vor allem mit Objekten und Installationen zu unserer Kultur und psychischen Verfasstheit in Erscheinung getreten, die sich der schnellen Durchschaubarkeit entziehen und tief Verwurzeltes mit lapidarer, auch humorvoller Beobachtung kombinieren – Werke beider Künstler sind derzeit in Museen in Bonn und Duisburg ausgestellt. Lewis Baltz wurde 1945 geboren; seit 1986 lebt er zunächst in Venedig und heute in Paris. Bekannt wurde Baltz in den 1970er Jahren im Kontext der „New Topographics“ in Amerika: mit kleinformatigen fotografischen Serien von industriellen Bauten inmitten profaner Landschaft, die er s/w in klarer Flächenaufteilung erfasst. Darin ist sich Baltz bis heute treu geblieben. Er dokumentiert Zivilisation und technologischen Fortschritt anhand von Architektur und Städtebau. Aber er wandelt seine Maßnahmen mit der Zeit. Von der s/w-Fotografie wechselt er zur großformatigen Farbfotografie und von dort zur Projektion im Außenraum. Der fotografische Blick schneidet das Motiv am Bildrand ab, wendet sich diesem wiederholt zu, wählt Perspektiven, mit denen man nicht gerechnet hat und die erst allmählich ihre Genauigkeit und eine entschiedene Aussage offenbaren. Baltz‘ Landsmann Paul Thek (1933-1988) hingegen ist vorrangig Bildhauer und Objektkünstler. Auch er forscht, weitgehend von Europa aus, auf eigenwillige Weise zur Zivilisation. Aber während sich das sezierend analytische Erfassen bei Baltz unter der glatten Oberfläche der Fotografie ereignet, schreibt Thek die Nervosität direkt der Struktur seiner Arbeiten ein. Seine Sensibilität zielt aufs Körperliche und aufs Fragmentarische. Paul Thek, der mit seinen individuellen Mythologien schon zur documenta 1968 in Kassel eingeladen wurde, erstellte realistisch wirkende Fleischimitate, vertracktes Mobiliar und installative Behausungen mit alltäglichen Materialien. Diese raumgreifenden Arbeiten mit Hölzern und Fundobjekten, die er seit den frühen 1970er Jahren in Ausstellungsräumen errichtet hat, kennzeichnete das Provisorische. Natürlich waren sie extrem stark an seine Person gebunden, nach der Ausstellung wurden sie wieder abgebaut. Vorhanden sind nur noch Fotografien. Dies betrifft auch das Environment „Ark, Pyramid – Christmas“, das Thek 1973 im Duisburger Museum eingerichtet hat, begleitet von einem Krippenspiel mit Duisburger Kindern, welches seine Auseinandersetzung mit Religion und mit dem modernen Theater weiter zum Ausdruck gebracht hat. – Die aktuelle Ausstellung im LehmbruckMuseum nun zeigt Dokumente dieser damaligen Schau in Verbindung mit einigen Plastiken und Zeichnungen sowie Werken befreundeter Kollegen. Während das Kunstmuseum Bonn bei Lewis Baltz den konventionellen Weg der chronologisch angeordneten Retrospektive wählt, wird das Denken von Thek also von innen, aus dem Thomas Hirsch Kontext heraus geschildert. In beiden Fällen geht es um die Kunsthistoriker, Kurator und Journalist Vermittlung eines eigenwilligen Werkes. „Lewis Baltz“ bis 2.9. I Kunstmuseum Bonn I www.kunstmuseum-bonn.de „Paul Thek – in Process (Duisburg)“ I bis 29.7. I LehmbruckMuseum, Duisburg www.lehmbruckmuseum.de 27 Johann von Schraudolph, Nazarener-Fresken der Apostel, 1846, © Domkapitel Speyer, courtesy Arp Museum, Rolandseck/Remagen Die Kunst-Termine NRW BOCHUM – Kunstmuseum www.bochum.de/kunstmuseum DUISBURG – Museum Küppersmühle www.museum-kueppersmuehle.de Johannes Brus bis 26.8. Realistische Skulpturen und mysteriöse Fotos Joseph Beuys und Anselm Kiefer 29.6.-30.9. Papierarbeiten und Bücher der beiden Künstler zwischen Mythologie und Zeitgeschichte en ESSEN – Museum Folkwang www.museum-folkwang.de BONN – Kunst- und Ausstellungshalle www.kah-bonn.de Anselm Kiefer bis 16.9. Der berühmte deutsche Künstler mit Hauptwerken aus der Sammlung Grothe Geschichten zeichnen bis 15.7. Erzählerische Positionen heutiger Grafik GELSENKIRCHEN – bild.sprachen www.bildsprachen.de BONN – Kunstmuseum www.kunstmuseum-bonn.de David Reed bis 7. Oktober Theatralisch abstrakte Malereien auf Leinwand und Papier des amerikanischen Künstlers BOTTROP – Josef Albers Museum www.quadrat-bottrop.de Ian McKeever bis 2.9. s/w-Fotografien und abstrakt gestische Gemälde des englischen Malers (geb. 1946) BRÜHL – Max Ernst Museum des LVR www.maxernstmuseum.de William N. Copley bis 4.11. Werkschau des legendären amerikanischen Malers zwischen Surrealismus und Pop Art Motodrom Gelsenkirchen bis 24.11. Fotografien vom Gelände der einstigen Rennstrecke von Joachim Brohm und Robert Freise HAGEN – Osthaus Museum www.osthausmuseum.de Markus Lüpertz bis 29.7. Der Protagonist figurativer expressiver Kunst HERFORD – MARTA www.marta-herford.de Atelier + Küche = Labore der Sinne bis 16.9. Die Nähe von Küche und Künstleratelier in 150 Werken vom 16. Jahrhundert bis heute KÖLN – Museum für Angewandte Kunst www.makk.de DORTMUND – MUSEUM OSTWALL www.museumostwall.dortmund.de Architekturteilchen bis 19.8. Eine Geschichte des Bauens mit Modulen Heinz Mack bis 29.7. Überblick zum Werk des Zero-Pioniers KÖLN – Museum Ludwig www.museum-ludwig.de DORTMUND – Zeche Zollern www.ausstellung-zwangsarbeit.lwl.org Claes Oldenburg bis 30.9. Der 83jährige Weltstar der Pop Art-Plastik Zwangsarbeit bis 30.9. Eine dokumentarische Ausstellung Zwangsarbeit durch die NS-Diktatur zur DÜREN – Leopold-Hoesch-Museum www.leopoldhoeschmuseum.de Dirk Skreber bis 12.8. Eine hochkarätig abgefahrene Malerei DÜSSELDORF – K21 Ständehaus www.kunstsammlung.de Thomas Schütte bis 9.9. Die 138teilige Radierfolge „Wattwanderung“ DÜSSELDORF – Museum Kunstpalast www.smkp.de LEVERKUSEN – Museum Morsbroich www.museum-morsbroich.de R. Trockel, P. Varga Weisz bis 30.9. Ein Dialog mit zeitgenössischer Skulptur NEUSS – Langen Foundation www.langenfoundation.de Sofia Hultén 7.7.-7.10. Kunst als Transformation alltäglicher Dinge OBERHAUSEN – Ludwiggalerie www.ludwiggalerie.de At Home bis 16.9 Leben und Alltag im Ruhrgebiet, in der Kuns t REMAGEN – Arp Museum Rolandseck www.arpmuseum.de El Greco und die Moderne bis 12.8. Dialogische Inszenierung der manieristischen Meisterwerke von El Greco Die Eroberung der Wand bis 9.9. Zwölf zeitgenössische Positionen zu den Fresken des Nazareners Johann Schraudolph DÜSSELDORF – Kunsthalle www.kunsthalle-duesseldorf.de SIEGEN – Museum für Gegenwartskunst www.mgk-siegen.de Tal R – Mann über Bord 7.7.-9.9. Der angesagte dänische Maler und Bildhauer, der an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrt Bridget Riley 1.7.-11.11. Die Grande Dame der Op Art, zur Verleihung des Rubenspreises der Stadt Siegen DÜSSELDORF – NRW-Forum www.nrw-forum.de WUPPERTAL – Von der Heydt-Kunsthalle www.von-der-heydt-kunsthalle.de Die Polaroid Collection bis 5.8. Polaroids der Größen der jüngeren Fotografie Christian Hellmich bis 7.10. Junge Malerei an der Grenze zur Abstraktion Empfehlungen von Thomas Hirsch zungen auswahl bis 8.7. I Di 13-18, Mi/Fr-So 10-18, Do 10-20 Uhr mit -zungen Foto: I. Arndt, Montage: K. Nikolic Lieber Engels! Borsdorf-Leipzig, den 2. Mai 1883 Überbringer dieses ist Harry Kaulitz, Sohn eines unserer ersten Notare, bekannt nach dem scheußlichen Saarbrücker Erkenntnisse, das gegen ihn und Hackenberger auf, irre ich nicht, 2 ½ Jahre Gefängnis lautete. Er verbüßte sie in Trier, ist jetzt wieder frei und verläßt auf Wunsch seiner Eltern Deutschland. In London, wo er zahlreiche Verwandte hat, hofft er – er ist Kaufmann – im Laufe der Zeit eine angemessene Stellung zu finden; seine Familie hat sehr aristokratische Neigungen, auf die er einige Rücksicht nehmen muß, weshalb er etwas wählerisch in bezug auf die anzunehmende Stellung wird sein müssen; ich glaube aber, daß er es finanziell eine Zeitlang ansehen kann. Sollten Sie ihm mit gutem Rat an die Hand gehen können, so verbinden Sie mich dadurch zu großem Dank. Kaulitz ist Ihrer Sympathie würdig. Bezeichnend für ihn ist sein Entwicklungsgang. Als Mitglied der jeunesse dorée waren ihm alle Genüsse reichlich zugänglich, und er machte Gebrauch von dem Gebotenen; er fühlte sich aber bald übersättigt und angeekelt. Die Leere, die er empfand, war ihm überaus peinlich, und er suchte nach irgendeinem reellen Inhalte für sein Leben. Da stieß er auf Arbeiterverhältnisse und auf die Sozialdemokratie, die ihm nun wirklich Inhalt geworden ist. Im Gefängnisse hat er sich sehr standhaft benommen und selbst ein Gnadengesuch seines Vaters vereitelt. Schade, daß er im Gefängnisse, in welchem er sich ganz bedeutend entwickelte, alles Mögliche lesen könnte, nur alles auf die Bewegung Bezügliche nicht; so hat er „Das Kapital“ erst noch zu lesen. Über seine Persönlichkeit werden Sie ja selbst urteilen. Wie geht es Ihnen? und Marx? Hoffentlich gut. […] Herzlichen Gruß an Sie und Marx. Ihr Bracke THOMAS LINDEN engels zungen in der Engels-Stadt: Wir lassen Zeitgenossen des Kapitalisten und Revolutionärs zu Wort kommen, zitieren Briefe an Wuppertals berühmten Sohn. Wilhelm Bracke (1842-1880): Sozialistischer Verleger, Schriftsteller und Reichstagsabgeordneter; Vertrauensmann von Marx und Engels in der deutschen Arbeiterbewegung. Er verstarb rund sechs Wochen nach Abfassung des Briefes, am 27. April. Harry Kaulitz und Rudolf Hackenberger waren im August 1877 wegen sozialistischer Agitation von einem Saarbrücker Gericht zu jeweils 2 ½ Jahren Gefängnis verurteilt worden. „Jeunesse dorée“ (vergoldete Jugend) meint das sorglose Leben der Jugend des Bürgertums. HISTORISCHES ZENTRUM Wuppertal JENSEITS VON SCHANGHAI. EUGEN FLEGLERS CHINABILDER 1936-1938 Eugen Flegler (1897-1981) war für einige Jahre, bis zum Ausbruch des Weltkrieges, Professor für Elektrotechnik in Schanghai; die Fotografie war ein Hobby, das er indes mit großer Aufmerksamkeit und Präzision betrieb. Seine Leica setzte genaue Planung und Sicherheit beim Motiv und in der Komposition voraus. Flegler fotografierte, was er sah: die Großstadt mit ihren Boulevards ebenso wie das Landleben, Personen und Personengruppe, den Hafen und die Flüsse, aber auch die ersten Kriegshandlungen. Eine dokumentarische Ausstellung mit künstlerischen Qualitäten. Infos: 0202 563 43 75 bis 15.7. I Di-Fr 15-18 Uhr KUNSTRAUM HENGESBACH Wuppertal MARKUS WILLEKE Rolf Hengesbach, der schon vor einiger Zeit mit seiner Galerie nach Berlin gezogen ist, hat seinen Kunstraum wiederbelebt. In der Vogelsangstrasse 20 zeigt er nun mit Markus Willeke einen „richtigen“ Maler. Willeke, der 1971 in Recklinghausen geboren wurde, malt vehement, engagiert, gekonnt aus dem Duktus des Pinselstrichs heraus und widmet sich den Dingen und Situationen, die unseren Alltag dominieren. Die Nahsicht auf ein schwimmendes Mädchen findet sich hier ebenso wie der überschauende Blick auf einen erleuchteten McDonald's-Laden. Infos: 0202 75 35 32 stößt zufällig auf eine Wolfsfamilie, die ihn aufnimmt und wie ein eigenes Kind beschützt und aufzieht. Mogli erlernt alles, was er zum Überleben im Dschungel braucht. Und in dem Bären Balu und dem Panther Baghira findet er auch treue Freunde. Nach einiger Zeit muss er, wie alle Wolfskinder, dem Rudel präsentiert werden. Infos: 0202 44 77 66 Mi 4.7. I 20 Uhr DIE BÖRSE Wuppertal MANFRED LEMM ENSEMBLE Der Sänger und Komponist hat sich intensiv mit der Liedkultur des osteuropäischen Judentum beschäftigt. Im Fokus stehen Lieder des Krakauer Tischlers und Dichters Mordechaj Gebirtig. Lemm hat über 90 Lieder zusammengetragen und mit seinem Ensemble eingespielt. Die ganze Bandbreite der ostjüdischen Kultur und Alltagswelt kommt in diesen Liedern zum Klingen. Angereichert wird das Ganze durch eigene Kompositionen im Stile der jüdischen Spielmannstradition, der Klezmer Osteuropas. Infos: 0202 24 32 20 Do 5.7. I 20 Uhr BARMER BAHNHOF Wuppertal COMEDY APPARTMENT – SPASS AM BAHNSTEIG So 1.7. I 16. Uhr MÜLLERS MARIONETTENTHEATER Wuppertal DAS DSCHUNGELBUCH Vera Deckers Quellenangabe: Karl Marx / Friedrich Engels: Briefwechsel mit Wilhelm Bracke (1869-1880), eingel. und hg. von Heinrich Gemkow, Berlin 1963, S. 213-215. Jedes Kind kennt die Geschichte von Mogli, der als Findelkind bei einer Wolfsfamilie, ohne jeglichen Kontakt zu Menschen, aufwächst. Der kleine indische Junge wird nach einem Überfall des Tigers Shere Khan von seinen Eltern getrennt und 28 Das comedy appartment lädt dieses Mal zu einem Ladys‘ Special ein. Mit dabei sind Daphne de Luxe, Vera Deckers und Sybille Bullatschek. Daphne de Luxe präsentiert „Comedy in Hülle und Fülle“. Die üppige Blondine lässt sich in keine Schublade stecken und begeistert durch ihre authentische Art. Vera Deckers ist Psychologin, hat aber leider nichts davon. Im Café wird sie permanent vom Kellner ignoriert, ihre Mutter will sie so schnell wie möglich unter die Haube bringen, und das Tourleben ist nicht so glamourös, wie sie gedacht hätte. Mit viel Selbstironie nimmt Vera Deckers ihr eigenes Scheitern aufs Korn. Abgerundet wird der Abend durch Sybille Bullatschek. Mit viel positiver Energie nimmt sie ihre Zuschauer mit in ihren Alltag im Altenheim. Und der ist alles andere als langweilig. Neben Sommerfest mit Hüpfburg und Bullriding findet auch die wöchentliche Rollator-Rallye statt. Infos: 0202 87 07 30 87 Sa 6.7. I 20 Uhr STADTHALLE HAGEN Hagen JON LORD IN CONCERT Bekannt durch seine Zeit bei Deep Purple, hat sich Jon Lord auch als Komponist orchestraler Musik einen Namen gemacht. Lord wird sein Werk „Durham Concerto“ vorstellen, zusammen mit dem philharmonischen orchesterhagen unter der Leitung des Hagener Dirigenten Florian Ludwig. Eine spezielle Aufführung – immerhin ist es sein erstes Konzert in Deutschland 2012. Gleichzeitig beschließt das Konzert seine Zeit als Residenz-Komponist mit dem Orchester. Foto: marcpierre In der Erwartung einer üppigen Erbschaft reist Autohändler Charlie zur Beerdigung seines Vaters, den er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Doch enttäuscht muss er feststellen, dass der Verstorbene sein millionenschweres Vermögen einem anonymen Erben in einer Klinik hinterlassen hat. Geschockt macht sich Charlie auf den Weg in die Klinik, um dort festzustellen, dass der anonyme Erbe sein autistischer Bruder Raymond ist, von dessen Existenz er bisher nichts wusste. Kurzerhand entführt Charlie seinen Bruder, um ihn dazu zu bringen, ihm das Vermögen zu überschreiben. Der oscar-prämierte Leinwanderfolg wird hier für die Theaterbühne adaptiert. Infos: 0202 87 07 29 64 Sa 7.7 I 19.30 Uhr WUPPERTALER BÜHNEN Wuppertal DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – OPER VON RICHARD WAGNER Foto: Uwe Stratmann Sa 7.7. I 20 Uhr LEO THEATER Wuppertal RAIN MAIN Der Kapitän hatte einst gotteslästerlich geschworen, er werde bis zum Jüngsten Tag nicht davon ablassen, das Kap der Guten Hoffnung zu um- 29 segeln und gegen die Winde ankämpfen. So ist es nun tatsächlich geschehen, und er wurde dazu verflucht, für immer mit seinem Geisterschiff die Weltmeere zu durchkreuzen. Nur alle sieben Jahre ist es ihm erlaubt, an Land zu gehen und eine Frau zu suchen, die ihm treu bleibt und ihn so von seinem Fluch erlösen würde. Durch ihre Amme erfährt die junge Senta von dem Schicksal des Seemanns und fühlt sich berufen, ihn von seinem Leid zu erlösen. Und dann betritt ihr Vater die Stube und zeigt ihr einen Mann, der um ihre Hand anhält: den Kapitän. Infos: 0202 563 76 66 So 8.7. I 18 Uhr TALTONTHEATER Wuppertal TRAUMFRAU, VERZWEIFELT GESUCHT Keine Sache beschäftigt die Menschen so sehr wie die Liebe und die Suche nach dem richtigen Partner fürs Leben. Schlimm wird es, wenn man diesen gefunden zu haben scheint und der einem den Laufpass gibt. So ist es Harald ergangen. Nachdem ihn seine Julia verlassen hat, ist erst einmal großes Ausheulen bei der besten Freundin angesagt. Danach stürzt sich der attraktive junge Mann wieder in den Dschungel der Blind Dates und Kontaktanzeigen. Aus dem BeziehungsBärchen muss wieder ein Partylöwe werden. Es melden sich die unterschiedlichsten Frauen mit den furchtbarsten Macken, und Harald erlebt eine Peinlichkeit nach der anderen. Aber die Traumfrau kommt, nicht nur einmal und nicht immer wie gewünscht … Infos: 0202 247 98 60 So 8.7. I 18 Uhr LEO THEATER Wuppertal HEINZ ERHARDT DINNER SHOW Thorsten Hamer Heinz Erhardt gilt als einer der herausragendsten deutschen Humoristen und feierte in den 50er und 60er Jahren seine größten Erfolge im Kino mit Komödien wie „Immer die Radfahrer“ oder „Was ist denn bloß mit Willi los?“. Nun setzt ihm Thorsten Hamer mit seiner Dinner Show ein kulinarisches Denkmal und bietet dazu Humor vom Feinsten – ganz nach Heinz Erhardt-Art. Herausgekommen ist ein „Best Of“ des Kultkomikers, angereichert mit einem exklusiven Vier-Gänge-Menü. Gedichte und Lieder des berühmten Spaßmachers kombiniert mit kulinarischen Köstlichkeiten sorgen für einen unvergesslichen Abend. Infos: 0202 87 07 29 64 Mi 11.7. I 20 Uhr PAULUSKIRCHE Wuppertal BASSA auswahl Tangomondo heißt die neue Musikrichtung: Tango gepaart mit Jazzelementen und Flamencorhythmen. Auf diese Weise nimmt die Berliner Band bassa ihre Zuschauer mit auf eine leidenschaftliche musikalische Reise durch alle Facetten des modernen Tangos, ohne dessen Traditionen zu vergessen oder zu verleugnen. Mit frischem Wind und voller Energie präsentiert sich das junge Quintett noch virtuoser auf der Bühne. Die Musiker überzeugen durch spritziges und gleichzeitig tiefgründiges Spiel. Immer mit viel Herzblut und Emotionen und deshalb niemals langweilig. Infos: 0202 439 23 46 Do 12.7. I 18.30 Uhr DIE BÖRSE Wuppertal WUPPERTALER WORTPIRATEN: WURSTEX-OPEN-AIR-POETRY-SLAM Wuppertaler Wortpiraten, Foto: Presse Die Wuppertaler Wortpiraten laden wieder zu ihrem alljährlichen Open Air-Poetry Slam ein. Bei Grillwürsten und strahlender Sonne werden den Liebhabern moderner, unterhaltsamer Literatur wieder einige Leckerbissen geboten, die das Herz der Slamfans höher schlagen lassen. Infos: 0202 24 32 20 Do 12.7. I 20 Uhr CITIY-KIRCHE ELBERFELD Wuppertal IRIS PANKNIN BAND ist vom Jazz, Blues oder Latin unüberhörbar beeinflusst, wird aber von den Musikern gelegentlich mit Funk- oder Rockkomponenten kombiniert. Infos: 0202 97 44 08 11 Sa 14.7. I 20 Uhr TALTONTHEATER Wuppertal „GESCHLOSSENENE GESELLSCHAFT“ VON JEAN-PAUL SARTRE Eine geschlossene Gesellschaft möchte in der Regel nur eins: ungestört von der Außenwelt bleiben. Auch die drei Protagonisten in JeanPaul Sartres Drama sind abgeschnitten von der Welt. Doch von Wollen kann hier nicht die Rede sein! Nach ihrem Tod werden alle drei in eine geschlossene Hotelsuite gesperrt. Dass sie sich in der Hölle befinden, wird ihnen schnell klar, denn jeder von ihnen hat Schuld auf sich geladen. Die reiche Estelle hat ihr Kind ermordet und ihren Mann in den Suizid getrieben. Die hochintellektuelle Inés hat die junge Florènce verführt und so ihrem Ehemann entfremdet, bis dieser sich von einer Straßenbahn hat überfahren lassen. Der Journalist Garcin hat seine Frau misshandelt. Nun sind alles drei dazu verdammt, die Ewigkeit miteinander zu verbringen. Infos: 0202 247 98 60 und Entspannen ein – ein Getränkebecher, der einmalig erworben werden muss, ersetzt hier kostspielige Festival-Tickets. Das Musikevent geht 2012 in seine fünfte Runde und verspricht wieder Besucher aus der ganzen Region anzuziehen. Fr 20.7. I 20 Uhr BANDFABRIK Wuppertal IONTACH – IRISH FOLK Die drei Musiker Siobhan Kennedy, Angelika Berns und Jens Kommnick haben sich vor 7 Jahren zu dem Trio „Iontach“, was im Irischen „wunderbar“ oder „hervorragend“ bedeutet, zusammengeschlossen und erfreuen seitdem ihr Publikum mit einer abwechslungsreichen Mischung aus mehrstimmigem Harmoniegesang und schwungvoller irischer Tanzmusik. Durch das große Repertoire ihres eingesetzten Instrumentariums gehören die drei zu den beliebtesten Formationen der irisch-traditionellen Musikszene. Sie spielten schon erfolgreiche Konzerte in Frankreich, Österreich, Italien, den Niederlanden und der Schweiz. Infos: 0202 69 85 19 33 BU: Iontach, Foto: Presse Sa 28.7. I 20 Uhr TALTONTHEATER Wuppertal ALEKSANDER ROMAN WARZECHA – SHRUTIS-MIKROTÖNE Do 19.7.-Do 23.8. I 19 Uhr RATHAUSPLATZ Remscheid REMSCHEID LIVE rer auf eine literarisch-musikalische Reise mit nach Kalkutta, in die Welt der Gurus und der indischen Musik. Infos: 0202 247 98 60 Fr 28.7.-Sa 28.7. I 18.30 Uhr LCB LIVE CLUB BARMEN Wuppertal 100KILOHERZ FESTIVAL 100KiloHerz, unabhängiger Plattenladen und -label mit Sitz in Schwelm, hat Grund zum Feiern. Das zweijährige Bestehen wird zum Anlass genommen, im LCB auf den Putz zu hauen und sich bei Fans und Liebhabern mit einem – entsprechend dem Geburtstag – zweitägigen Indoor-Festival zu bedanken. Das Line-Up rockt ordentlich, umfasst unter anderem die Dortmunder Punk-Band Willy Fog, die Brüsseler Noise-Rocker von Siamese Queens oder die fünfköpfige Kölner Band City Light Thief. ZUSAMMENGESTELLT VON: THOMAS HIRSCH, SERGEJ MAIER IMPRESSUM Herausgeber: engels Verlag Joachim Berndt, Büro Köln Maastrichter Str. 6-8, 50672 Köln E-Mail: [email protected] Tel. 0221 272 52 60, Fax: -88 Redaktion: Maren Lupberger, Linda Hoemberg (v.i.S.d.P.) Mitarbeit an dieser Ausgabe: Lars Albat, Silvia Bahl, Frank Brenner, Lutz Debus, Valeska von Dolega, Hartmut Ernst, Rolf-Ruediger Hamacher, Thomas Hirsch, Klaus Keil, Kim Ludolf Koch, Thomas Linden, Sergej Maier, Karsten Mark, Christian Meyer, Peter Ortmann, Kerstin Maria Pöhler, Carla Schmidt, Anke Elisabeth Schoen, Christian Steinbrink, Sebastian23, Christian Werthschulte, Hans-Christoph Zimmermann, Andreas Zolper Grafik: Michael Hennemann, Martin Johna Mira Moroz Aleksander Roman Warzecha Seit 15 Jahren ist die Sängerin mit ihrer Band auf den Bühnen der Republik zu Hause. Sie spielen gerne in Jazzclubs, Bars oder Musikkneipen. Anfangs als Trio unterwegs, ist die Gruppe zum Quintett gewachsen. Zum Repertoire der Band zählen Hits und Genre-Klassiker ebenso wie weniger bekannte Stücke, die sich nach bandeigener Interpretation als wahre Musikperlen erweisen. Der Sound Silent Seven Einen knappen Sommermonat lang wird der Remscheider Rathausplatz wieder jeden Donnerstag-Abend mit Live-Musik bespielt, Coverbands aller denkbaren Stilrichtungen steuern ihren Teil bei. Nach Feierabend, ab 19 Uhr, lädt „Remscheid live“ dann unter freiem Himmel zum Feiern Aleksander Roman Warzecha ist in Polen geboren und in Wuppertal aufgewachsen. Seit seiner zweijährigen Asienreise, wo er sich unter anderem 17 Monate in Kalkutta aufgehalten hatte, arbeitet er als Deutschlehrer, Sprecher, Hörspielmacher und Sitarist. Außerdem veröffentlicht der studierte Anglist Kurzgeschichten und Essays in Deutschland und Indien. In seiner Event-Lesung nimmt er seine Zuhö- 30 Anzeigenverwaltung: Berndt Media Dr.-C.-Otto-Str. 196, 44879 Bochum www.berndt-media.de Tel. 0234-941910, Fax -9419191 Buchhaltung: Karin Okniewski Druck: Henke Druck Verbr. Auflage: IVW I/2012 14887 Ex. Alle nicht gesondert gekennzeichnete Bilder sind Pressefotos. magenbitter service VERLOSUNGS-BOX Foto: Günter Havlena/pixelio.de Foto: Michael/pixelio.de Moers zurück im Diluvium Eine Stadt am kulturellen Abgrund This town ain't big enough for both of us And it ain't me who's gonna leave. (Sparks) COSMOPOLIS Im neuen Film von Meister-Regisseur spielt Robert Pattinson einen millionenschweren Vermögensverwalter, der mit seiner Limousine quer durch New York fährt, um sich bei seinem Lieblingsfriseur die Haare schneiden zu lassen. Doch die Stadt ist im Ausnahmezustand, da der Präsident sein Kommen angekündigt hat. So wird der Friseurbesuch zu einer Odyssee in die Abgründe der Stadt und seines Lebens. Cosmopolis basiert auf dem gleichnamigen Roman von Don DeLillo. Von Peter Ortmann Ganz langsam und bedächtig fegt ein älterer Herr die Bühne. Nur die Notbeleuchtung weist ihm den Weg zum Unrat. Dann ist der Dreck im Eimer und der Mann geht ab. Ohne Publikum, ohne Beifall. Ganz still. Die letzte Glühbirne verlischt, knarrend schließt sich die Tür im alten Schloss, der Schlüssel dreht sich ein letztes Mal. Dann ist Ruhe im Tuffstein-Karton, der einmal eine theatrale Aushängebox für den Niederrhein war. Auch draußen auf den Wiesen werden nie wieder Jazzmusiker und Fans gemeinsame Sache machen. Von diversen Festivals ganz zu schweigen. Die Stadt Moers will ihre Kultur abschaffen und das nicht erst seit den aktuellen Haushaltsproblemen. Diese Stadt könnte wieder ins Diluvium zurückfallen, wo ihre Fläche einst aus Gletscher-Geröll entstand. Die Stadt hinter dem deutschen Paradefluss versinkt so frei gewählt in Bedeutungslosigkeit. Stadtmarketing für Touristen wird dann ebenso wenig mehr gebraucht wie ein Kulturbüro nebst Dezernent. engels verlost 3 Romane E-Mail bis 12.7. an [email protected] Kennwort: „Cosmopolis“ Verzweiflung macht sich breit, es werden Unterschriften gesammelt. Unterstützer gesucht. Bürger als Ideengeber geworben. Wer jetzt, denkt diese Situation sei außergewöhnlich in NRW, der hat sich geschnitten. Eigentlich sind alle pleite, sollten alle Theater, Museen, Konzerthallen, Festivals, Opern, öffentliche Toiletten und Ampeln, Parks, Kreisverkehre und Tierparks abgeschafft oder geschlossen werden. Die VHS und die Stadtbibliotheken sowieso, je dümmer der Bürger, desto leichter hat es der Würger. Die Lösung zeigt ein uraltes Zitat von Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten): „Bulimische Verschlankung für den ganzen Staat“. engels verlost ein signiertes Filmplakat von Julie Delpy E-Mail bis 10.7. an [email protected] Kennwort: „New York“ Und dennoch. Ich bin ich. Wir sind wir. Gerade haben alle wieder die Fahnen geschwungen, haben wir unserer Bundeskanzlerin eine kleine Urlaubsreise nach Polen finanziert, VIP-Karte auf der Tribüne bei der Europameisterschaft inklusive. Das können sich nicht alle leisten. Dafür muss man berühmt sein oder ein Amt haben – oder Geld. Geld ist aber alle, also gibt es auch kein öffentliches Geld mehr für Sportveranstaltungen oder Dienstwagen oder Schwimmbäder, sorry, die wurden ja bereits abgeschafft. Die Stadt Moers muss bis September einen Plan machen, wie der Haushalt 2018 ausgeglichen werden kann. Ein Fall nur für Wettbüros. Sollte das diese 100.000 Seelen-Gemeinde hinter den sieben Moränenhügeln schaffen, dann gibt es statt Horror-Sparkatalog eine horrende Quote. 1.000 für 10 würde ich mal schätzen. Wenn nicht, gibt es gerade mal den Einsatz wieder. SLEEP TIGHT Das Leid anderer Menschen ist sein Lebenselexier. Cesar arbeitet als Hausmeister und Rezeptionist in einem Appartmentkomplex in Barcelona. Während die Anwohner ihn nicht wirklich wahrnehmen, spioniert er sie aus und kennt so ziemlich jedes intime Detail. Besonders die junge Clara interessiert ihn sehr. Doch die lebensfrohe Ausstrahlung der jungen Frau versetzt ihn in eine innere Unruhe und bereitet ihm reinste Übelkeit. Also schmiedet er den perfiden Plan ihr das Leben zur Hölle zu machen. Bitter-böser Horrorschinken mit einem grandios aufspielenden Hauptdarsteller. Wie wäre das denn: 2018 hat das formidable Schlosstheater eine Auslastungsquote von 95 Prozent. Jugendliche rangeln bei den Vorstellungen um die letzten Eintrittskarten, drängen ihre überforderten Deutschlehrer beiseite. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ skandieren sie. Nein nicht das Pokalfinale, das Theatertreffen meinen sie. Der ältere Herr packt draußen den Besen weg. Es nieselt leicht, doch er lächelt. 31 2 TAGE NEW YORK 5 Jahre nachdem Marion gemeinsam mit ihrem amerikanischem Freund Jack zwei nervenaufreibende Tage bei ihrer Familie verbracht hat, kündigen sich in der Fortsetzung „2 Tage New York“ ihr kauziger Vater, die neurotische Schwester und deren unhöflicher Ex-Freund ihren Besuch an. Zusammen mit ihrem neuen Lebensgefährten Mingus stehen ihr chaotische Tage bevor. engels verlost 2 Filmplakate und 2 Reiseführer „Cool Barcelona – AAD“ (teNeues Verlag) E-Mail bis 10.7. an [email protected], Kennwort: „Sleep Tight“ Joseph Beuys Anselm Kiefer Anselm Kiefer, Siegfried’s difficult way to Brünhilde, 1977, © Anselm Kiefer ZEICHNUNGEN GOUACHEN BÜCHER Die Ausstellung wird gefördert von 29. Juni – 30. September 2012 MKM Museum Küppersmühle, Duisburg www.museum-kueppersmuehle.de