Das Pensionskassen-System in der Schweiz: Konzept, Umsetzung
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Das Pensionskassen-System in der Schweiz: Konzept, Umsetzung
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Das Pensionskassen-System in der Schweiz: Konzept, Umsetzung, künftige Veränderungen Dr. Martin Janssen, a.o. Professor für Finanzmarktökonomie / ECOFIN Investment Consulting AG Lehrveranstaltung „The Economic and Financial Challenges of an Aging Society“ (Prof. Dr. Markus Leippold, Prof. Dr. Paolo Vanini) Zürich, 9. Mai 2005 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Gliederung • Ausgangslage • Konzept der beruflichen Vorsorge (BV) in der Schweiz • Umsetzungsaspekte • Künftige Veränderungen • Schlussfolgerungen Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 2 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ausgangslage (1): Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge in der Schweiz • Die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge beruht auf drei Säulen (Art. 111 Bundesverfassung) Alters-, Hinterlassenenund Invalidenvorsorge Erste Säule Eidg. AHI-Versicherung AHVRente Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 Zweite Säule Berufliche Vorsorge BVGRente Kapitalbezug Dritte Säule Selbstvorsorge Rentenbezug Kapitalbezug 3 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ausgangslage (2): Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge in der Schweiz • Vorsorgesystem ist ausgewogen, weil es auf Einflussfaktoren differenziert reagiert – Demographische und wirtschaftliche Aspekte ° Überalterung ° Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung ° Veränderungen auf den Kapitalmärkten – Politische Aspekte ° Öffentlich-rechtliche vs. privat-rechtliche Gesichtspunkte ° Abstimmungstaktische Aspekte Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 4 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ausgangslage (3): Bedeutung der beruflichen Vorsorge in der Schweiz • Die BV ist aus wirtschaftlicher und sozial-politischer Sicht von ausserordentlicher Bedeutung Anteile der Sozialversicherungszweige am Total in % der Einnahmen (2002); Bundesamt für Sozialversicherung: Schweizerische Sozialversicherungsstatistik 2004, S. 40 Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 5 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ausgangslage (4): Bedeutung der beruflichen Vorsorge in der Schweiz • Ausbaustand ist im Vergleich zu anderen Ländern ausgezeichnet (ca. 10 mal mehr Kapital pro Kopf als DE) • Totalbestand der angelegten Mittel: ca. CHF 500 Mrd. Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 6 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Konzept der beruflichen Vorsorge in der Schweiz (1) • Die BV ermöglicht zusammen mit der AHI-Versicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise (Art. 113 Bundesverfassung) • Die BV ist – im Prinzip – obligatorisch für alle Arbeitnehmer • Die Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung • Die BV beruht – im Prinzip – auf dem Kapitaldeckungsverfahren • Im Rahmen der BV gibt es – im Prinzip – keine systematischen Solidaritäten Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 7 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Konzept der beruflichen Vorsorge in der Schweiz (2) Altersguthaben (AGH) = Umwandlungssatz * AGH Rente pro Jahr Sparbeiträge pro Jahr Sparphase Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 65 Verzehrphase Tod 8 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Konzept der beruflichen Vorsorge in der Schweiz (3) • Wichtige konzeptionelle Elemente der BV – – – – Obligatorium für die meisten Erwerbstätigen Arbeitgeberbindung Kapitaldeckungsverfahren Keine systematische Umverteilung Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 9 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Umsetzung: Wie wurden / werden diese Elemente realisiert? • Umsetzung aus Sicht von – Effizienz – Transparenz Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 10 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (1): Überblick • Die BV erbringt im Wesentlichen drei Leistungen – Kapitalanlage für die Altersvorsorge – Administrative Leistungen ° Eintritte, Austritte ° Kapitalbezug (z.B. Wohneigentumsförderung) ° Behandlung von Versicherungsfällen ° etc. – Versicherungsschutz im Rahmen der Hinterlassenenund Invalidenvorsorge Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 11 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (2): Kapitalanlagen aus Sicht der Pensionskasse • Grosse Unterschiede in den Kapitalanlagekosten – Kapitalanlagekosten für grosse Pensionskassen liegen teilweise bei < 10 BP, teilweise bei > 100 BP – Kapitalanlagekosten für kleine Pensionskassen liegen teilweise bei < 35 BP, teilweise bei > 200 BP • Grosse Unterschiede in den Managementstilen mit jährlichen Ertragsunterschieden von mehr als 100 BP (meist zulasten des aktiven (internen) Managements) • Renditeunterschiede von insgesamt 100 BP bis zu mehr als 200 BP – selbst bei vergleichbaren Kassen – sind nicht untypisch Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 12 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (3): Kapitalanlagen aus Sicht der Pensionskasse • Annahmen – Beitragsdauer: 40 Jahre – Jährliches Lohnwachstum: 1% p.a. – nachschüssige Verzinsung Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 13 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (4): Kapitalanlagen aus Sicht der Pensionskasse • Die Renten liegen unter den getroffenen Annahmen – bei 1% Renditeunterschied um 23% – bei 2% Renditeunterschied um 54% höher • Schlussfolgerungen – Von Effizienz in den Kapitalanlagen der BV kann nicht gesprochen werden – Viele Probleme der BV im Bereich Überalterung könnten durch (einmalig realisierbare) Effizienzgewinne für lange Zeit entschärft werden Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 14 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (5): Kapitalanlagen aus Sicht der Pensionskasse • Notwendige Verzinsung bei Leistungsprimatkassen und bei Beitragsprimatkassen mit Rentnerbeständen – Bruttoverzinsung ° Rentnerkapital: ca. 5% p.a. ° Sparkapital: ca. 3.5% p.a. – Bruttoverzinsung des Rentnerkapitals verlangt bei heutigen Zinsen mehr als 50% Aktienanteil Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 15 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (6): Kapitalanlagen aus Sicht der Pensionskasse • Rentner tragen faktisch kein Risiko • Implikationen – Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragen das gesamte Risiko der Rentneranlagen – Beispiel: Sollrendite von 5% p.a. ° Aktienquote: 55% (Renditeerwartung: 7% p.a.) ° Obligationenquote: 45% (Renditeerwartung: 2.5% p.a.) ° Volatilität: > 12% p.a. ° Wahrscheinlichkeit, Wertverlust > 10%: > 16% ° Wertschwankungsreserve: ca. 25% (bei 98%, 1 Jahr) – Sehr grosses Ungleichgewicht mit systematischen, starken Umverteilungswirkungen Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 16 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (7): Kapitalanlagen aus Sicht des Versicherten • Zwei Verfahren, um aus Sicht des Versicherten unnötige Risiken zu vermeiden – „Life Cycle“-Ansatz ° Berücksichtigung von Risikofähigkeit und Risikobereitschaft ° Steuerungsgrössen – Duration: Anpassung der Strukturen der Assets auf die Verpflichtungsstrukturen des Einzelnen – Aktienanteil: z.B. Reduktion bis zur Pensionierung, falls Rente gekauft werden soll – Diversifikation in der Zeit, d.h. entlang den Alterskohorten (explizite Optionsverträge zwischen Generationen) Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 17 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (8): Kapitalanlagen aus Sicht des Versicherten – Heutige Lösung: implizite Optionsverträge – System funktioniert nur, falls jeweils eine Generation nachstösst und eingebunden werden kann – De facto unmöglich: Garantien können sinnvoll nur im Rahmen eines echten Umlageverfahrens erreicht werden • Bindung der BV an den Arbeitgeber erschwert / verunmöglicht intelligente Lösungen Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 18 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (9): Administration • Die jährlichen administrativen Kosten liegen etwa bei – CHF < 100 p.a. (bei grossen autonomen Pensionskassen) – CHF 200 p.a. (bei kleinen Sammelstiftungen) – Teilweise CHF > 700 p.a. (bei grossen Sammelstiftungen) • Bei 40 Beitragsjahren, 1% Lohnwachstum p.a. und 6% Umwandlungssatz entsprechen CHF 500 p.a. Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 19 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (10): Administration • Von Effizienz in der Administration der BV kann nicht gesprochen werden • Problem ist besonders schwerwiegend bei tiefen Einkommen, wo die Administrationskosten grösser sind als die jährlichen Beiträge (!) Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 20 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Effizienz in der beruflichen Vorsorge (11): Versicherungsschutz • Nicht abgeklärt ž „Unschuldsvermutung“ Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 21 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Transparenz in der beruflichen Vorsorge (1): die Rolle des technischen Zinses • Dient der Diskontierung der Verpflichtungen • Muss realistisch sein • Soll sich nach Meinung vieler Involvierter nicht allzu rasch verändern • Liegt zwischen 3.5% (bei gesunden Kassen) und 4.5% p.a. Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 22 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Transparenz in der beruflichen Vorsorge (2): die Rolle des technischen Zinses • Unmöglichkeit, Anlagerisiken auf die Rentner zu verschieben, verlangt risikolose und fristenkongruente Finanzierung der laufenden Rentenzahlungen an die Rentner, um Umverteilungen zu vermeiden • Nettoverzinsung des Rentnerkapitals müsste in der Grössenordnung von ca. 1% p.a. liegen – Risikoarmer Bruttozins auf 3 Monate (8.5.2005): ca. 0.75% p.a. – Risikoarmer Bruttozins auf 10 Jahre (8.5.2005): ca. 2% p.a. Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 23 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Transparenz in der beruflichen Vorsorge (3): die Rolle des technischen Zinses • Zu hoher technischer Zins führt zu einer systematischen Fehlinformation der Versicherten • Es gelten näherungsweise folgende Zusammenhänge (längste Anlagedauer, Deckungsgrad, technischer Zins): • Die Senkung des technischen Zinses um 1% führt bei einer Anlagedauer von 16 (14, 12, 10) Jahren zu einer Senkung des Deckungsgrades von rund 7% (6%, 5.5%, 5%) • Der durchschnittliche Deckungsgrad schweizerischer Pensionskassen dürfte (unter sonst gleichen Umständen) ca. 10% zu hoch ausgewiesen werden Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 24 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Transparenz in der beruflichen Vorsorge (4): die Rolle des technischen Zinses • Ein nicht-korrekter technischer Zins führt zu einer systematischen Überschätzung der Gesundheit der BV • Ein nicht-korrekter technischer Zins ist mit einer systematischen Umverteilung zugunsten der Rentner (zulasten der Unternehmungen und der Erwerbstätigen) verbunden • (Es gibt ausfinanzierte öffentliche Kassen, wo die Erwerbstätigen praktisch kein Sparkapital mehr haben) Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 25 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Künftige Veränderungen: Anforderungen • Hauptziel: mehr Vorsorge pro einbezahlten Franken • Nebenziel: Transparenz Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 26 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Denkbare künftige Veränderungen: freie Pensionskassenwahl für Alterssparen • Anschluss-, Einzahlungs- und Informationspflicht beim Arbeitgeber • Von der Aufsicht definierte Minimalprodukte (z.B. „Life Cycle“-Produkte) • Beliebige weitere Anlageprodukte • Keine Werbung, keine Verkäufer („Berater“) • Vereinheitlichtes Reporting im Internet • Vorteile – – – – Kostengünstig Unbürokratisch Einfach verständlich Selbstverantwortliche Vorsorge Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 27 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Denkbare künftige Veränderungen, falls keine freie Pensionskassenwahl fürs Alterssparen • Inhaltliche Reorganisation der Aufsicht – – – – „Absegnen“ einer kassenspezifischen Asset Allocation Kostenminimierende Anlagen Vermeiden von Risiken, die nicht entschädigt werden Kein internes Portfoliomanagement ausser bei offensichtlichem Mehrertrag (korrigiert für Risiken und Kosten) – Auflagen für das Etablieren reiner Rentnerkassen Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 28 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Wahrscheinliche künftige Veränderungen (1): Erweiterung der Aufsicht bei den Anlagen • Formelle Erweiterungen der Aufsicht (und damit neue Kosten zulasten der Altersvorsorge) – – – – – Auflagen zur Parität (z.B. Einbezug der Rentner) Anlagebegrenzungen Buchhaltungsvorschriften Anforderung an Dokumentation und Archivierung Zunahme der Verantwortlichkeitsklagen Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 29 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Wahrscheinliche künftige Veränderungen (2): Reaktion des Einzelnen • Zunahme des Verständnisses der wichtigsten Zusammenhänge • Zunahme des Wissens um die eigene Vorsorgesituation – Finanzplanung – www.nzz.ch/finfox • Zunahme der Bedeutung der Selbstvorsorge • Steuerersparnisse werden mehr genutzt • Teure Anbieter und teure Vorsorgedienstleistungen werden vermehrt gemieden Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 30 Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Schlussfolgerungen • Das System der BV in der Schweiz steht auf einem hohen Niveau • Wichtige Veränderungen stehen an – Nicht ohne politischen Widerstand – Notwendig, falls System überleben soll • Überhöhte Garantien im Rahmen der BV werden zu sehr schwierigen Zeiten führen, falls das zuckersüsse Manna der Kapitalmärkte ausbleiben sollte Das Pensionskassen-System in der Schweiz © Prof. Dr. Martin Janssen Zürich, 9. Mai 2005 31