Die politische, soziale und wirtschaftliche Situation
Transcription
Die politische, soziale und wirtschaftliche Situation
Angerzellgasse 14 A-6020 Innsbruck Die politische, soziale und wirtschaftliche Situation Afghanistans im 20. Jahrhundert und deren Darstellung im Roman „Tausend strahlende Sonnen“ von Khaled Hosseini Vorwissenschaftliche Arbeit verfasst von Johanna Kofler Klasse 8D Betreuungslehrperson Mag. Gabriele Rathgeb Abgabetermin 20. Februar 2015 Abstract Afghanistan gilt seit langem als einer der schockierendsten Krisenherde unserer Welt. Der Autor Khaled Hosseini beschreibt in seinem Roman „Tausend strahlende Sonnen“ die berührende und zugleich erschütternde Geschichte zweier Frauen, eingebettet in die historische Entwicklung Afghanistans von 1973 bis 2003 mit all seinen Kriegen, Machtstreitigkeiten, und gesellschaftlichen Spaltungen. Das Ziel dieser auf Literaturrecherche basierenden Arbeit ist es, die Realitätsnähe von Hosseinis Beschreibungen zu prüfen, wobei anzunehmen ist, dass sich Hosseini auf Grund seiner afghanischen Wurzeln fundiert mit der Thematik auseinandergesetzt hat und somit über weite Teile realitätstreu schreibt. Meine Motivation, dieses Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten, beruht auf der tiefen Faszination für die Geschichte einer intensiven Freundschaft zweier junger Menschen einerseits, sowie auf meinem Interesse für das Land mit der höchsten Flüchtlingsquote weltweit andererseits. Das Thema Afghanistan ist jedoch so umfassend, dass die Erwähnung aller im Roman vorkommenden Ereignisse bei weitem den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ich beschränke mich daher auf die wichtigsten Aspekte, auch wenn ich liebend gerne noch auf zahlreiche weitere Punkte hingewiesen hätte. 2 Inhaltsverzeichnis: 1 Einleitung 2 4 Autor 6 2.1 Biographie ................................................................................................................. 6 2.2 Entstehungshintergrund des Romans .......................................................................... 6 2.3 Die „Khaled Hosseini foundation“ ............................................................................. 7 2.4 Weitere Werke........................................................................................................... 7 2.4.1 Drachenläufer (original: The Kite Runner) ............................................................. 7 2.4.2 Traumsammler (original: And the Mountains Echoed) ........................................... 7 3 Buch 8 3.1 Inhaltsangabe ............................................................................................................. 8 3.2 Titelgebung des Buches ........................................................................................... 10 3.3 Charakterisierung der ProtagonistInnen.................................................................... 11 3.3.1 Mariam.................................................................................................................. 11 4 5 3.3.2 Laila .................................................................................................................... 11 3.3.3 Raschid................................................................................................................ 12 3.4 Literarische Analyse ................................................................................................ 12 3.5 Rezensionen............................................................................................................. 14 Das Land Afghanistan 15 4.1 Allgemeine Daten zu Afghanistan ............................................................................. 15 4.2 Ethnien ..................................................................................................................... 16 Die historisch-politische Entwicklung Afghanistans und deren Darstellung im Roman 18 5.1 Historische Vorgeschichte Afghanistans.................................................................... 18 5.2 Geschichtliche und politische Situation Afghanistans im 20. Jahrhundert .................. 18 5.2.1 Republik Afghanistan: ......................................................................................... 19 5.2.2 Besatzungszeit der Sowjets .................................................................................. 20 5.2.3 Kämpfe der Warlords ........................................................................................... 21 5.2.4 Talibanherrschaft: ................................................................................................ 23 5.3 Rolle der Frau .......................................................................................................... 25 5.3.1 Frauen unter den Sowjets ..................................................................................... 27 5.3.2 Frauen unter der Talibanherrschaft ....................................................................... 27 5.3.3 Situation heute: ..................................................................................................... 28 5.4 Gesellschaftliche Aspekte ........................................................................................ 29 5.4.1 Familienverhältnisse ............................................................................................ 29 5.4.2 Religion ............................................................................................................... 30 5.4.3 Flüchtlingsproblematik ........................................................................................ 30 6 Afghanistan 2001 bis 2015 32 7 Fazit 33 8 Anhang 35 8.1 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 35 8.1 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................. 39 8. 2 Selbstständigkeitserklärung ...................................................................................... 39 3 1 Einleitung „[…] der einzige Feind, den ein Afghane niemals wird bezwingen können, ist niemand anders als er selbst.“ 1 Diese Aussage scheint nicht ganz unbegründet zu sein, da Afghanistan trotz des Sturzes der Taliban und einer offensichtlichen Besserung der Situation im vergangenen Jahr jenes mit der größten Flüchtlingszahl weltweit war. Die Gründe dafür sind vielseitig und werden von Khaled Hosseini in seinen bislang drei Romanen thematisiert. In seinem zweiten Werk, „Tausend strahlende Sonnen“, konzentriert er sich hauptsächlich auf die Beziehung zweier Frauen, die zuerst verfeindet sind, im Laufe der Geschichte jedoch nicht nur Freundinnen, sondern sogar eine Familie werden. Den Hintergrund ihrer von 1973 bis 2003 erzählten Erlebnisse stellen die tragischen Ereignisse während der Afghanistankriege dar, welche leider bis heute andauern und die oben erwähnten enormen Flüchtlingsströme auslösten. Das Hauptziel meiner Arbeit ist es, aufzuzeigen, wie sich die politischen, sozialgesellschaftlichen und historischen Schilderungen in Khaled Hosseinis Buch „Tausend Strahlende Sonnen“ im Vergleich zur Realität Afghanistans verhalten. Im Speziellen möchte ich auf die geschichtliche Entwicklung zwischen 1973 und 2003 und die Rolle und Position der afghanischen Frau in der Gesellschaft eingehen. Auf dieser Grundlage basiert der Aufbau meiner Arbeit: Ich werde zuallererst einen Überblick über das Werk an sich, seine Handlung, die Charaktere und die wichtigsten sprachlichen Eigenheiten geben, gefolgt von einem Einblick in das Leben von Khaled Hosseini. Dem schließt sich eine genaue Aufarbeitung der historischen und politischen Hintergründe des Themas an. Afghanistans historische Vorgeschichte und Gesellschaftsstrukturen sind zudem unerlässlich für ein fundiertes Verstehen meiner Arbeit. Den Abschluss bilden eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 bis zum heutigen Zeitpunkt und ein abschließendes Fazit. Zugang zu diesem Wissen erhielt ich fast ausschließlich durch verschiedene themenbezogene Bücher, daher handelt es sich hierbei um eine literaturgestützte Arbeit. Zu diesem Zweck verwendete ich neben meiner Primärliteratur hauptsächlich den „Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan“ von Bernhard Chiari, „die Webseite www.bpb.de, sowie weitere in der Literaturliste angeführte Printmedien. 1 Hosseini, Khaled, 2013, S. 127 4 Jedoch muss ich hier auch gleich vorwegnehmen, dass ich Aspekte, wie zum Beispiel die Rolle des Islams, weitgehend eliminiere, da diese Thematik allein Stoff für eine ganze weitere Arbeit bieten würde. Außerdem habe ich im Laufe meiner Arbeit erkennen müssen, dass Hosseini die wirtschaftliche Situation in seinem Heimatland gänzlich außer Acht lässt - obwohl die Staatsverschuldung nach den über drei Jahrzehnten Krieg für die Bevölkerung ein großes Problem darstellt - und ich diesen zuerst vorgesehenen Teilaspekt daher auch nicht behandeln werde. 5 2 Autor 2.1 Biographie Khaled Hosseini wurde 19652 als ältestes von fünf Kindern3 in Afghanistan geboren. Sein Vater war als Diplomat tätig, seine Mutter als Lehrerin 4. Die tadschikische Familie lebte bis 1976 in Kabul, bis Khaled Hosseinis Vater nach Paris versetzt wurde. Als die Familie bereit war, in ihr Heimatland zurückzureisen, herrschte dort Krieg und so beschloss sie 1981, nach San Jose in Kalifornien, wo sie um politisches Asyl ansuchte, zu emigrieren. Hosseini studierte an der „Santa Clara University“ Biologie. 1993 schloss er in San Diego sein Medizinstudium ab. Zwischen den Jahren 1996 und 2004 war Hosseini als Internist tätig 5, beschloss jedoch nach der Veröffentlichung seines ersten Romans, sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Außerdem wurde er Sonderbeauftragter des „Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge“. Zusammen mit seiner Frau Roya und seinen beiden Kindern lebt Khaled Hosseini heute in Kalifornien6. 2.2 Entstehungshintergrund des Romans Obwohl Hosseini mit seinen Büchern seinen LeserInnen die Geschichte Afghanistans näher bringt, ist dies nicht seine Hauptabsicht. Er selbst sagt, es gehe ihm um das Geschichtenerzählen und seine Romane würden erst beim Schreiben eine gewisse Komplexität entwickeln. Im konkreten Fall wurde dem Autor auch erst im Laufe des Buches bewusst, dass eine Schilderung der historischen Ereignisse im Land unbedingt notwendig für das Verstehen der Rolle der beiden Hauptcharaktere ist. Hosseini selbst erhofft sich, dass „[…] die Leser Tausend strahlende Sonnen zuklappen mit dem Gefühl, einerseits einen etwas größeren Einblick erhalten und eine etwas persönlichere Beziehung zu dem aufgebaut zu haben, was in Afghanistan in den letzten dreißig Jahren passiert ist.“7 Zudem ist es Hosseini in diesem Roman besonders wichtig, dass der Leser/die Leserin ein tieferes Verständnis für die Situation der afghanischen Frauen entwickelt 8. 2 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. Buchumschlag Vgl. „Khaled Hosseini Biography“, http://www.achievement.org/ [03. 09. 2014, 14:59] 4 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. Buchumschlag 5 Vgl. „Biography“, http://khaledhosseini.com/ [03. 09. 2014, 14:59] 6 Vgl. „Khaled Hosseini Biography“, http://www.achievement.org/ [03. 09. 2014, 14:59] 7 Hosseini, Khaled, 2013, S. 388 8 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 387f 6 3 2.3 Die „Khaled Hosseini foundation“ Es handelt sich hierbei um eine von Hosseini im Jahr 2007 selbst gegründete NonProfit-Organisation, deren Ziel es ist, den über fünf Millionen Flüchtlingen, die nach dem Sturz der Taliban wieder in ihr Heimatsland zurückreisten, Unterstützung zu bieten. Die Organisation arbeitet mit der UNHCR (= United Nations High Commissioner for Refugees) zusammen und konzentriert sich vor allem auf die medizinische Versorgung und den Wiederaufbau von Schulen9. Aktive Hilfe anzubieten einerseits, sowie Außenstehenden Kenntnisse über sein Heimatland zu vermitteln andererseits, stehen dabei für Hosseini im Vordergrund. 2.4 Weitere Werke 2.4.1 Drachenläufer (original: The Kite Runner) Einen weltweiten Erfolg erzielte Hosseini mit seinem ersten Roman „Drachenläufer“, erschienen 2003. Die Protagonisten sind zwei afghanische Kindheitsfreunde, Amir und Hassan, die aus verschiedenen sozialen Schichten stammen. Übersetzt in 34 Sprachen und 2007 verfilmt, ist es Hosseinis erfolgreichstes Werk 10. 2.4.2 Traumsammler (original: And the Mountains Echoed) In Hosseinis drittem und bisher letztem Roman, erschienen 2013, schildert er in einem Zeitrahmen von über sechzig Jahren die verstrickte und komplexe Entwicklungsgeschichte der afghanischen Geschwister Pari und Abdullah. In den ersten fünf Monaten nach dem Erscheinen wurde das Buch bereits über drei Millionen Mal verkauft 11. 9 Vgl. „Khaled Hosseini Foundation“, http://khaledhosseinifoundation.org/ [05. 01. 2015, 16:00] Vgl. „The Kite Runner“, http://khaledhosseini.com/ [04. 01. 2015, 16:30] 11 Vgl. „And the Mountains Echoed“, http://khaledhosseini.com/ [04. 01. 2015, 16:30] 7 10 3 Buch 3.1 Inhaltsangabe Der Schauplatz von „Tausend strahlende Sonnen“ befindet sich primär in Afghanistan. Der Roman erzählt die Geschichte der beiden Hauptcharaktere Mariam und Laila vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Situation des Landes, vor allem im 20. Jahrhundert. Mariam ist ein uneheliches Kind, das zusammen mit ihrer Mutter nahe Herat aber weit weg von der restlichen Welt ihre ersten 15 Lebensjahre verbringt. An ihrem 15. Geburtstag ändert sich ihr Leben jedoch schlagartig. Mariam beschließt loszuziehen, um ihren Vater Jalil in Herat aufzusuchen und sein richtiges Leben kennen zu lernen. Sie erhält jedoch keinen Zutritt zu seinem Haus und muss feststellen, dass sie ihrem Vater peinlich ist und dass ihre Mutter Nana mit all ihren Äußerungen über ihren „falschen“ Vater Recht hatte. Zu Hause wartet das nächste schreckliche, unerwartete Ereignis auf sie: Ihre Mutter hat sich an einem Baum erhängt. Für Mariam bricht eine Welt zusammen. Jalil kümmert sich um seine Tochter, eine Woche lang. Dann wird er von seinen restlichen Ehefrauen dazu gedrängt, das Mädchen Raschid, dem 30 Jahre älteren Schuster aus Kabul, zur Frau zu geben. Mariam heiratet gegen ihren Willen den stämmigen, unattraktiven Mann. Sie zieht mit ihm nach Kabul und geht ihren Pflichten als Hausfrau nach, denn Raschid legt gleich fest, wer das Sagen hat und dass es die Pflicht einer Frau sei, ihm zu gehorchen. Er zwingt sie auch, eine Burka12 zu tragen. Raschid wünscht sich nichts sehnlicher als einen Sohn. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit Mariam. Sie verliert das ungeborene Kind schon nach ein paar Wochen. Raschid gibt Mariam die Schuld dafür und beginnt sie zu misshandeln, verprügelt sie mit bloßen Händen oder mit seinem Gürtel. Der zweite Teil des Buches erzählt die Kindheit der zweiten Protagonistin, Laila. Das wunderschöne Mädchen, Tochter von Fariba – Feministin und Anhängerin der Mudschaheddin13 – und Hakim, dem gebildeten Lehrer. Für die liberalen Eltern steht nach ihrem Wohlergehen Bildung an zweiter Stelle. Lailas bester Freund ist Tarik, der Nachbarjunge. Außerdem hat Laila zwei Brüder, Noor und Ahmed, die 1981 gegen die 12 Burka = eine Bekleidung für muslimische Frauen, bei welcher der gesamte Körper verdeckt ist 13 Mudschaheddin = „jemand, der den „Heiligen Krieg“ zu seiner eigenen Sache macht und damit den Islam verbreitet oder stützt. Auch die Taliban [bezeichnen] ihre Kämpfer immer wieder als „Mudschaheddin“ […] “ (Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 66) 8 Besatzungsmacht UdSSR in den Dschihad14 ziehen. Jahre vergehen. 1992 beginnen sich die einst Verbündeten Mudschaheddin unter dem Namen Warlords gegenseitig zu bekämpfen. Laila, mittlerweile 14 Jahre alt, und Tarik haben sich ineinander verliebt, doch Tariks Familie beschließt, Afghanistan wegen des andauernden Krieges zu verlassen. Zuvor verbringen die beiden noch eine gemeinsame Nacht miteinander. Einige Wochen später sieht auch Fariba ein, dass die Familie wenigstens zum Schutz ihres noch verbleibenden Kindes das Land verlassen muss. Als eine Rakete in ihr Haus einschlägt, wird Laila von der Wucht des Einschlages weggeschleudert und verliert das Bewusstsein. Laila wird von ihren Nachbarn Mariam und Raschid aus den Trümmern geborgen und bei ihnen aufgenommen, denn ihre Eltern haben den Anschlag nicht überlebt. Eines Tages berichtet ein Mann von Tariks Tod. Verständlicherweise ist Laila völlig am Ende, nachdem sie alle verloren hat, die ihr etwas bedeutet haben. Raschid spielt sich als äußerst großzügig auf. Insgeheim hat er aber längst den Entschluss gefasst, Laila zu seiner zweiten Frau zu nehmen. Die 14-jährige Laila gibt überraschenderweise ihr Einverständnis und will so schnell wie möglich heiraten, denn – was sie ihrem zukünftigen Gatten natürlich nicht verrät – sie ist schwanger von Tarik. Mariam wirft dem jungen Mädchen vor, ihr den Ehemann ausgespannt zu haben und befindet sich seitdem auf Kriegsfuß mit der neuen Geliebten. Laila gebärt ein Mädchen namens Aziza. Die Feindschaft der beiden Leidensgenossinnen endet erst, als Laila Mariam eines Tages vor Raschids Gewalttaten schützt. Der Anfang einer wunderbaren Freundschaft ist besiegelt und die beiden feilen nun gemeinsam an einem Fluchtplan, der aber im Frühjahr 1994 scheitert. Zwei Jahre später endet der Krieg zwischen den Mudschaheddin, aber ein neuer Feind versetzt das Land in Angst und Schrecken – die Taliban. Kaum dass die neuen Machthaber ihr Amt bekleidet haben, führen sie auch eine ganze Reihe neuer Gesetzte ein. Wenig später bringt Laila einen Jungen zur Welt. Da Raschid seine 5-köpfige Familie nicht mehr ernähren kann, bringen die Frauen schweren Herzens Aziza in ein Waisenheim. 14 Dschihad = „wichtiges Prinzip des Islams […] Der „große Dschihad“ meint […] ein gottgefälliges Leben zu führen und den islamischen Glauben […] zu verbreiten. Der „kleine Dschihad“ verlangt von den Gläubigen, das Gebiet des Islams zu verteidigen und auszudehnen. (Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 80) Obwohl die eigentliche Bedeutung des Wortes „Bemühung“ oder „Anstrengung“ ist, wird es von extremistischen Gruppierungen als „Kampf“ übersetzt und somit als Erlaubnis, gegen den Westen mit völlig anderen ethnischen Vorstellungen zu kämpfen, verstanden. Daher wird Dschihad in westlichen Gebieten meist als „Heiliger Krieg“ übersetzt. (Vgl. „Dschihad - der "Heilige Krieg"?“, http://www.islam-info.ch/ [15. 01. 2015] 9 Als eines Tages der totgeglaubte Tarik vor der Tür steht, stürzt sich Raschid auf Laila und würgt sie. Die seit vielen Jahren gedemütigte Mariam übt nun Rache und erschlägt Raschid mit einer Schaufel. Sie kommt ins Gefängnis und wird zum Tode durch Erschießung verurteilt. Laila heiratet Tarik und beginnt mit ihm und ihren Kindern ein neues Leben. Durch den Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 gerät Afghanistan überall in den Schlagzeilen. Als die Taliban gestürzt werden und der Wiederaufbau des Landes beginnt, bauen Laila und Tarik das Waisenhaus, in dem Aziza so lange Zeit hat leben müssen, wieder auf. Zur allgemeinen Freude erwartet Laila ein weiteres Kind. Beim täglichen Abendessen diskutieren alle, wie das Neugeborene heißen soll. „In dem Spiel geht es ausschließlich um Jungennamen. Denn falls es ein Mädchen wird, steht für Laila der Name längst fest. [Mariam]“15 3.2 Titelgebung des Buches Der Titel des Romans lautet „Tausend strahlende Sonnen“. Khaled Hosseini stieß während des Schreibens auf das Gedicht „Kabul“, verfasst vom persischen Dichter Saib-e-Tabrizi im 17. Jahrhundert. Damit war ihm der Titel seines Buches in den Schoß gelegt16. Die Bedeutsamkeit dieses Gedichtes kommt zur Geltung, als Laila – zurück in Kabul – Mariam stets an ihrer Seite spürt: „Vor allem aber ist Mariam in ihrem eigenen Herzen, wo sie so hell wie tausend Sonnen leuchtet.“17 Ein weiterer Deutungsversuch der beiden Zeilen könnte der folgende sein: Die tausend strahlenden Sonnen könnten für die unzähligen Frauen stehen, die sich hinter den Wänden ihrer Häuser verstecken müssen, da sie der Autorität ihrer Männer unterliegen18. 15 Hosseini, Khaled, 2013, S. 382 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 389 17 Hosseini, Khaled, 2013, S. 381 18 Vgl. “From A Thounsand Splendid Suns, discuss the thematic significance of the phrase listed”, http://www.enotes.com/ [17. 09. 2014,12:26] 16 10 3.3 Charakterisierung der ProtagonistInnen 3.3.1 Mariam Mariam wird im Jahr 1959 in Herat, als Kind des reichen Kinobesitzers Jalil und dessen „Ausrutscher“, einer Angestellten seines Hauses, Nana, geboren. Mariams Äußeres ist trotz ihres spröden Haares und des langen Gesichtes nicht zu verachten. Sie besitzt einerseits ein enormes Aushaltevermögen, da sie sich nicht ein einziges Mal über ihr aufopferndes Leben als Ehefrau Raschids beschwert. Andererseits ist sie aber auch von ständiger Angst ihrem Gatten und dessen Gürtelriemen gegenüber geplagt. Nachdem Laila in ihr Leben getreten ist, erfährt sie nie dagewesenes Glück und Liebe in der Gestalt von Aziza, Lailas Tochter. Laila beschreibt ihre Freundin, „Schwester“ und „Mutter“ folgendermaßen: „[…] eine Frau […], die eigene bescheidene Ansprüche an das Leben stellt, ohne irgendeinem Menschen zur Last zu fallen. Sie wird niemanden mit ihren Sorgen, Nöten und Enttäuschungen behelligen. Sie wird eine Frau sein, die klaglos duldet und gleich einem Fels im Flussbett den Turbulenzen, die über sie hinweggehen, standhält und Gestalt annimmt.“19 Am Ende ist Mariam sogar bereit, sich für das Wohl ihrer neuen Familie zu opfern. Sie bewältigt ihre Angst gegenüber ihrem Ehemann und tötet Raschid ohne zu zögern, damit Laila mit ihren zwei Kindern und Tarik zusammenleben kann. 3.3.2 Laila Laila (=Nachtschönheit) kommt in der Nacht der Saurrevolution vom 27. auf den 28. April 1978 auf die Welt. Sie hat deswegen auch den Spitznamen Revolutionsmädchen, inqilabi. Laila ist eine wahre Schönheit, mit Augen wie Edelsteinen und „[…] schulterlangen blonden Locken […] türkisgrünen Augen mit dichten Wimpern […] und die volle Unterlippe“20. Laila ist gescheit und will unter allen Umständen einmal studieren. Trotz des Verlustes ihrer Eltern mit nur 14 Jahren, verliert sie nie das Wesentliche aus den Augen. Sie lässt sich von Raschid nicht unterkriegen und bietet ihm - so gut es geht - die Stirn, hilft Mariam, egal wie sehr diese sie hasst. Zudem lässt sie sich nicht kleinkriegen, als sie bei den Besuchen Azizas ins Waisenhaus fast täglich Prügel von den Taliban kassiert. Außerdem beweist sie viel Charakterstärke, als sie von Pakistan nach Hause zurückkehren will, um gemeinsam mit Millionen anderer Menschen ihr 19 20 Hosseini, Khaled, 2013, S. 369f Hosseini, Khaled, 2013, S. 102 11 Heimatland wieder aufzubauen. Sie führt am Ende ein glückliches und unbeschwertes Leben als dreifache Mutter und Lehrerin in einem Waisenhaus. 3.3.3 Raschid Raschid ist ein konservativer, paschtunischer Schumacher aus Kabul. Er wirbt um Mariams Hand, als er schon in seinen Vierzigern ist. Beschrieben wird er als: „kleine[r] Mann mit rundem Bauch […] das kantig, grobschlächtige Gesicht, die gebogene Nase, gerötete Wangen, die den Eindruck durchtriebener Heiterkeit vermittelten; wässrige, gerötete Augen; Schneidezähne, die wie ein Dachgiebel gespreizt waren; der unglaublich tiefe Haaransatz, kaum zwei Fingerbreit über den buschigen Augenbrauen;; das dichte, krause, graumelierte Haar.“ 21 Raschid erweist sich als grausamer, herrschsüchtiger Patriarch, dem Begriffe wie „Gleichberechtigung“ und „Emanzipation“ Fremdwörter sind. Als Herr des Hauses hat er das Sagen, seine Frauen aber auch seine Tochter gelten als minderwertig, wie es bei Paschtunen üblich ist. Wenn eine seiner Frauen etwas sagt oder tut, was ihm missfällt, macht er kurzen Prozess und misshandelt diese. 3.4 Literarische Analyse Das Werk ist in vier Teile gegliedert. Der erste erzählt Mariams Geschichte, der zweite Lailas. Im dritten Teil leben die beiden Frauen zusammen bei Raschid. Im letzten Kapitel ist Mariam bereits tot. Lailas Geschichte, befreit von Raschid, mit ihrer neuen kleinen Familie, wird fertig erzählt. Neben den persönlichen Schicksalen der Protagonistinnen Laila und Mariam werden das ganze Buch hindurch Querverweise auf die afghanische Geschichte und Tagespolitik gemacht. Das Leben der Frauen hängt unmittelbar mit den Kriegen und Verwüstungen in ihrem Land zusammen. Hosseini berichtet sowohl von der Besatzungszeit der Sowjets, als auch von der gegenseitigen Bekämpfung der Mudschaheddin. Er versteht es, die Machtergreifung der Taliban geschickt einzubauen, wobei er zwischen dem ersten und dem zweiten Teil einen Zeitsprung von neun Jahren, vom 1978 auf 1987, macht und somit den Großteil der Sowjetischen Besatzung nur in Rückblenden erzählt. In den einzelnen Teilen wird eine Spannungskurve aufgebaut, die am Ende des jeweiligen Teilabschnittes ihren Höhepunkt erreicht. Es gibt zahlreiche Wendepunkte, an denen sich die Erzählung grundlegend verändert. Das erste Mal, als Mariams Mutter 21 Hosseini, Khaled, 2013, S. 51ff 12 stirbt und das Mädchen ein unbeschwertes Leben gegen das einer Ehefrau tauschen muss. Des Weiteren, als Lailas Eltern bei einem Raketenanschlag ums Leben kommen und das junge Mädchen sich gezwungen sieht, Raschid zu heiraten und zu guter Letzt, als Tarik nach Kabul zurückkehrt, Mariam Raschid umbringt, sich selbst ausliefert und Laila ein neues Leben in Pakistan beginnt. Khaled Hosseini schreibt aus der personalen Perspektive und zwar kapitelweise abwechselnd aus der Sicht der beiden Protagonistinnen. Die Erzählzeit ist in diesem Werk viel kürzer als die erzählte Zeit. Das Buch hat im Deutschen 382 Seiten, die Handlung erstreckt sich jedoch vom Jahre 1974 bis 2003, wobei auch Verweise auf die Vergangenheit, teilweise um Jahrhunderte zurück gemacht werden, zum Beispiel:“ Babi erzählte, dass Bamiyan einst ein blühendes buddhistisches Zentrum gewesen sei, bevor es im 9. Jahrhundert unter die Herrschaft islamischer Araber geriet.“ 22 Die Teile eins bis drei sind im Präteritum verfasst, nur der letzte Teil im Präsens. Sprachlich gesehen fällt auf, dass Hosseini sich einer sehr bildhaften Sprache bedient, er schmückt die Sätze mit vielen Beschreibungen aus: „Fariba, diese Leute kennen nur ein, und das ist der Krieg […] Schon beim Laufenlernen hatten sie in der einen Hand eine Milchflasche und in der anderen eine Waffe.“ (Babi zu Fariba) 23 Der Autor schreibt in einer leicht verständlichen Sprache, verwendet jedoch immer wieder persische Wörter, von denen er manche erklärt, andere hingegen nicht, wie beispielsweise tabla. Jedoch ist deren Bedeutung nicht essentiell für das Verständnis der Handlung. 22 23 Hosseini, Khaled, 2013, S. 138 Hosseini, Khaled, 2013, S. 164 13 3.5 Rezensionen Das Buch erschien am 22. Mai 2007 unter dem Originaltitel „A Thousand Splendid Suns“. Im selben Jahr wurde es auf Deutsch übersetzt. Der Roman war viermal in Folge auf Platz eins der New York Times Bestsellerliste. Bereits in der ersten Woche nach der Veröffentlichung wurden in den USA über 1,2 Millionen Exemplare verkauft. „Drachenläufer“ und „Tausend strahlende Sonnen“ wurden allein in den USA über 10 Millionen Mal verkauft, und weltweit über 38 Millionen Mal. “Spectacular. . . . Hosseini’s writing makes our hearts ache, our stomachs clench and our emotions reel. . . . Hosseini mixes the experiences of these women with imagined scenarios to create a fascinating microcosm of Afghan family life. […] Hosseini writes in gorgeous and stirring language of the natural beauty and colorful cultural heritage of his native —USA Today24 24 Vgl.„Book Facts“, http://khaledhosseini.com/ [20. 09. 2014, 17:08] 14 Afghanistan[…].” 4 Das Land Afghanistan 4.1 Allgemeine Daten zu Afghanistan Afghanistan ist ein Binnenstaat im Süden Zentralasiens. Im Norden grenzt er an Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (von Westen nach Osten), im Osten an Indien, Pakistan und ein kleiner Teil auch an China, und im Westen an den Iran, wie man in Abbildung 2 erkennen kann. Die Hauptstadt Kabul liegt im Westen des Landes. Weitere bedeutende Städte sind außerdem Kandahar im Süden und Herat im Westen – (vgl. Abbildung 3). Afghanistan ist seit 1992 eine islamische Republik mit Präsidialsystem. Das Staatsoberhaupt ist seit dem Sommer 2014 der sunnitische Paschtune Aschraf Ghani Ahmadsai. Es gibt zwei Amtssprachen, zum einen Persisch, das auch als Dari oder Farsi bezeichnet und von circa der Hälfte aller Afghanen gesprochen wird, zum größten Teil von Tadschiken. Zum anderen wird Paschto, die Sprache der Paschtunen, von über 35 Prozent der Bevölkerung und vor allem im Süden gesprochen. Auf einer Fläche von 652.225 km2 leben heute ungefähr 30.552.000 Menschen. Der Nationalfeiertag ist der 19. August, der Tag, an dem Afghanistan im Jahr 1919 seine vollständige Unabhängigkeit von Großbritannien erreicht hat25. Abb.1: Landkarte Afghanistan26 25 Abb. 2: Afghanistans Nachbarländer27 Vgl. “Afghanistan”, http://www.weltalmanach.de/ [01. 02. 2015, 16:00] Vgl. http://upload.wikimedia.org/ [01. 01. 2015, 14:00] 27 Vgl. http://www.stepmap.de/ [01. 01. 2015;; 14:00] 15 26 Abb.3: Afghanistan – wichtige Städte28 4.2 Ethnien Abb. 4: Volksgruppen Afghanistans 2008 Zu allererst muss gesagt werden, dass es in Afghanistan eine große kulturelle Vielfalt gibt, und weitaus mehr Gruppierungen als auf dieser Karte ersichtlich sind. Wie aber erkennbar, sind die Paschtunen mit 40-50% Bevölkerungsanteil die größte Volksgruppe. Sie sprechen Paschto und gehören den sunnitischen Muslimen an. Die Begriffe „Paschtunen“ und „Afghanen“ werden oft gleichgesetzt, denn Afghanistan bedeutet auf Paschto „Land der Paschtunen“. Diese Volksgruppierung besitzt einen eigenen 28 Vgl. http://upload.wikimedia.org/ [01. 01. 2015, 14:00] 16 ungeschriebenen Ehrenkodex, das „Paschtunwali“: Jeder männliche Paschtune muss die Ehre des Volkes, seine eigene Ehre und die der weiblichen Familienmitglieder wahren, wobei Frauen eine ganz klar untergeordnete Stellung innehaben, die jedoch auf rein paschtunischen und nicht auf islamischen Moralvorstellungen basiert 29. Zu dieser Gruppe gehört neben dem konservativen Raschid - der einen typischen patriarchalischen Paschtunen darstellt - auch Tariks Familie, die aber sehr liberal ist. Die zahlenmäßig nächstgrößte Gruppe sind die Tadschiken: Als Tadschiken werden im Allgemeinen persisch sprechende Sunniten bezeichnet, in Afghanistan zudem auch all jene, die keiner Gruppe – den Paschtunen, Hazaras und so weiter – angehören30. Sie machen ungefähr 20 – 35 Prozent der Bevölkerung aus und leben eher liberal. Zu dieser Ethnie gehören auch Laila und ihre Eltern. Als nächstes kommen die sunnitischen Usbeken mit circa acht bis fünfzehn Prozent und viele weitere kleine Gruppen 31. 29 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 126ff Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 128f 31 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 124 30 17 5 Die historisch-politische Entwicklung Afghanistans und deren Darstellung im Roman 5.1 Historische Vorgeschichte Afghanistans Die Geschichte Afghanistans reicht in eine Zeit lange vor Beginn unserer Zeitrechnung zurück. Bereits zwei Jahrtausende vor Christus besiedelten die ersten Menschen das heutige Staatsgebiet von Afghanistan. Zahlreiche verschiedene Völker aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt ließen sich im Laufe der Jahrhunderte in Afghanistan nieder. Daher wird das Land auch oft als „Durchgangsland“ bezeichnet.32 Eine genaue Auflistung dieser Völker wäre an dieser Stelle zu umfangreich. Entscheidend für die weitere Entwicklung des Landes war eine sehr starke Rivalität zwischen der UdSSR und den Briten im 19. Jahrhundert. Dieser Konflikt wird als „Great Game“ bezeichnet. Afghanistan fungierte zu dieser Zeit als völlig neutraler Staat mit offenen Grenzen. Russland und auch Großbritannien sahen ihre Aufgabe darin, das – ihrer Meinung nach – „verwahrloste“ Afghanistan zu zivilisieren. Der Versuch der Briten, Afghanistan unter ihre Kontrolle zu bringen, mündete 1838 im 1. AngloAfghanischen Krieg. Auf Grund ihres Scheiterns folgte im Jahr 1878 ein weiterer Kriegszug der Briten, der Afghanistan zum „halbautonomen Protektorat „BritischIndiens“ machte. Der dritte Anglo-Afghanische-Krieg im Jahr 1919 führte schließlich zur Autonomie des Staates. Fortan musste das Land immer wieder mit innenpolitischen Schwierigkeiten kämpfen, auch als 1926 das „Königreich Afghanistan“ ausgerufen wurde. 1973 schließlich wurde Afghanistan zur Republik. 5.2 Geschichtliche und politische Situation Afghanistans im 20. Jahrhundert Das Buch konzentriert sich auf die Zeitspanne zwischen dem Ende der Monarchie 1973 und dem Wiederaufbau Afghanistans bis 2003 - nach dem Anschlag in New York am 11. September 2001. Im Wesentlichen kann man diese Zeitspanne in fünf verschiedene Abschnitte unterteilen: 1. Republik Afghanistan unter Daoud Khan: 1973 bis 1979 2. Besatzungszeit der Sowjets: 1979 bis 1989 (Demokratische Republik Afghanistan: 1979 bis 1992) 3. Islamische Republik Afghanistan und die Kämpfe der Warlords: 1992 bis 1996 4. Islamisches Emirat Afghanistan und Besatzung der Taliban: 1996 bis 2001 5. Islamische Republik Afghanistan und „Operation Enduring Freedom“ 33: 2001 bis heute 32 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S.21 „Operation Enduring Freedom“ = militärische Operation gegen den Terrorismus in Afghanistan (Vgl. „Operation Enduring Freedom Fast Facts“, http://edition.cnn.com/ [29. 12. 2014, 11:00]) 18 33 5.2.1 Republik Afghanistan Zu Beginn, 1973, schildert Jalil, dass König Zahir Schah von seinem Cousin Daoud Khan mit Hilfe der Demokratischen Volkspartei Afghanistan (kurz DVPA im Deutschen, beziehungsweise PDPA = People's Democratic Party of Afghanistan) gestürzt worden sei. Afghanistan habe sich daraufhin von einer Monarchie in eine Republik gewandelt und das Land trage von nun an den Namen Republik Afghanistan mit dem Hauptakteur Daoud als neuen Präsidenten34. Wenige Jahre später, am 17. April 1978, wurde Mir Akbar Khyber, ein Mitglied der PDPA, ermordet. Zuvor hatte sich die Partei, auf Grund von Rivalitäten zwischen dem Präsidenten Noor Mohammad Taraki und seinem ersten Sekretär Babrak Karmal, in zwei Flügel aufgespaltet: die PDPAKhalq (=Volk) unter der Führung von Taraki auf der einen und die PDPA-Parcham (=Flagge) unter Karmal auf der anderen Seite. 1977 vereinten sich die beiden Parteien wieder. Hafizullah Amin, ein Mitglied der Khalq- Fraktion, plante - um den verhassten Präsidenten Daoud anzuschwärzen - den Anschlag auf seinen Feind Khyber, der von zwei maskierten Paschtunen erschossen wurde35. Im Roman werden nach den Schilderungen dieser realen Ereignisse Großdemonstrationen und Vorwürfe seitens der Kommunisten gegen Daoud angeführt36. Diese fanden auch tatsächlich statt, Khyber wurde mit einer riesengroßen Prozession durch Kabul gewürdigt, es blieb jedoch bei mündlichen Anschuldigungen gegen Daoud.37 Circa einen Monat später, am 27. April 1978, wurde der amtierende Präsident Daoud von den Kommunisten gestürzt und ermordet. Im Roman wird eine durchaus grausame Weise des Mordens beschrieben: „[…] andere beteuern, man habe ihn gezwungen, das Massaker an seiner Familie mit anzusehen, und habe ihn danach erschossen.“ 38 Fakt ist nur, dass Daoud und ein Großteil seiner Familie am 28. April ermordet wurden. Dieser Putsch wird auch als „Saur-Revolution“ bezeichnet. Taraki, ein Gründungsmitglied der PDPA, wurde daraufhin neuer Staatschef der Demokratischen Republik Afghanistan und kündigte in der Folge ein friedvolles Miteinander39 an. Jedoch wurde dieses Vorhaben bereits im Oktober 1979 von Hafizullah Amin boykottiert, indem er seinen Rivalen ermorden ließ und ihm als Regierungschef nachfolgte, was jedoch im Roman nicht erwähnt wird. 34 Hosseini, Khaled, 2013, S. 25f Vgl. Brechna, Habibo, 2005, S. 275ff 36 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 92 37 Vgl. Brechna, Habibo, 2005, S. 278 38 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 95 39 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 95f 35 19 5.2.2 Besatzungszeit der Sowjets Daraufhin nahmen die Sowjets das Land ein: „Darum sind unsere sowjetischen Brüder 1979 in unser Land gekommen. Um ihren Nachbarn zu Hilfe zu eilen und den inneren Feind zurückzudrängen, dem daran gelegen ist, dass unser Land eine rückständige, primitive Nation bleibt.“ 40 (Lailas Lehrerin Shanzai, eine Befürworterin und Anhängerin des Kommunismus). Tatsächlich waren die Gründe für den Einmarsch am 26. Dezember 1979, womit auch die Regierungszeit Amins beendet worden war und Babrak Kamal neuer Präsident wurde, vielseitig. Die UdSSR wollte zuerst gar nicht in Afghanistan einmarschieren, sondern nur der kommunistischen Führung ihre Hilfe anbieten. Doch als im März desselben Jahres in Herat starke Aufstände begannen und die Machtkämpfe innerhalb der PDPA stetig zunahmen, sah sich die UdSSR zum Handeln gezwungen. Einerseits wollte man den unpopulären Präsidenten Amin absetzen41, andererseits auch die Breschnew-Doktrin erfüllen, in der das Recht einzugreifen, wenn in einem sozialistischen Staat der Sozialismus bedroht ist, festgelegt ist. 42 Hosseini schildert auch die Unterstützung der Mudschaheddin, insbesondere Hekmatyars durch die USA, Saudi-Arabien, Ägypten und Pakistan, die sie mit Waffen belieferten43. Auch in Afghanistan wurde der Kalte Krieg ausgetragen: die UdSSR, die das Land besetzte, auf der einen Seite, die USA, welche Waffen gegen die Sowjets lieferten, auf der anderen. Da die Kommunisten in den Augen der Einheimischen ungläubig waren und sich nicht mit den sehr religiösen islamischen Vorstellungen der Afghanen vereinbaren ließen, zogen viele Männer in den Krieg gegen die Sowjets, den sie als „Heiligen Krieg“ verstanden44. Auch Lailas Brüder Ahmad und Noor zogen ins Pandschir-Tal, um als Mudschaheddin 45 gegen die Besatzungsmacht zu kämpfen. Während die Sowjets zuerst die Städte und die Verkehrsverbindungen und Kommunikationslinien einnahmen, bildete sich bereits nach wenigen Monaten Widerstand. Trotz schlechterer Ausrüstung besaßen die Mudschaheddin im Gegensatz zu den Gegnern gute Ortskenntnisse. Allerdings muss man auch anmerken, dass es sehr wohl Bemühungen zu einer friedlichen Lösung gab, welche im Roman jedoch keineswegs erwähnt werden. Die Mudschaheddin verhandelten sowohl mit den afghanischen Kommunisten als auch mit der Spitze der UdSSR. 40 Hosseini, Khaled, 2013, S. 105 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 65f 42 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 46 43 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 106 44 Vgl. „Afghanistan im 19. und 20. Jahrhundert“, http://www.bpb.de/ [20. 11. 2014, 17:06] 45 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S.103 20 41 Den entscheidenden Rückschlag erfuhren die Sowjets 1986, im selben Jahr, in dem auch Nadschibullah Präsident wurde. Michail Sergejewitsch Gorbatschow, seit März 1985 Generalsekretär der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion), ließ deutlich Aufbruchsstimmung in der UdSSR spüren46. Am 14. April 1988 war es dann aus afghanischer Sicht endlich soweit. In Genf wurde ein Abkommen unterzeichnet, das den Abzug der sowjetischen Truppen in maximal neun Monaten garantierte und die Heimkehr von über fünf Millionen Flüchtlingen sicherte. Fariba, die die Sowjets über alles hasst und für den Tod ihrer zwei Söhne verantwortlich macht, will nicht feiern, ehe nicht auch der kommunistische Präsident gestürzt worden sei47. Sie behält Recht, das kommunistische Regime konnte sich bis 1992 halten. Nadschibullah und seine Anhänger wurden nach wie vor mit Waffen versorgt. Aber auch die Amerikaner unterstützten die Mudschaheddin weiter mit Kriegsausrüstung. Im April 1992, nachdem die UdSSR aufgelöst worden war, trat Nadschibullah als Präsident zurück. Das Land wurde ab April 1992 von den Mudschaheddin geführt und in der Folge in „Islamischer Staat von Afghanistan“ umbenannt.48. 5.2.3 Kämpfe der Warlords Der Plan für den neuen Staat hat in der Realität ausgesehen wie er im Roman beschrieben wird: „Ein von den verschiedenen Fraktionen der Mudschaheddin in Peschawar gebildeter Rat […]sollte nach zwei Monaten abgelöst werden von einem Führungsrat unter Rabbani […] Im Laufe dieses sechs Monate sollte eine Loya Dschirga49 einberufen werden […] mit dem Ziel, eine auf zwei Jahre begrenzte Übergangsregierung zu bilden, die unter anderem die Aufgabe habe, demokratische Wahlen vorzubereiten.“ 50 Jedoch führte die Tatsache, dass Rabbani, ein Tadschike, neuer Präsident wurde, unter den anderen Ethnien zu erneutem Unmut. „In Ermangelung eines gemeinsamen Feindes bekämpften sich die bis an die Zähne bewaffneten Mudschaheddin untereinander.“ 51 In Wirklichkeit, war es etwas komplizierter. Die Verhandlungen in Pakistan über die neue 46 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 68f Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 143 48 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 154 47 49 Loya Dschirga = „Große Ratsversammlung […] wichtige staatliche Organisation […] zur Bereinigung von Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten“ (Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 133) 50 Hosseini, Khaled, 2013, S. 154 51 Hosseini, Khaled, 2013, S. 160 21 Machtverteilung war nicht für alle Seiten zufriedenstellend, da der Usbekenführer Dostum beispielsweise gar nicht an diesen teilnahm. An dieser Stelle ist anzumerken, dass es immer schon große Spannungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen in Afghanistan gegeben hat. Hakim erklärt Laila, dass es eine starke Feindseligkeit zwischen der größten Gruppe der Paschtunen und der Minderheit der Tadschiken gibt 52. „[…] wenn der eine betont, Tadschike zu sein, und der andere stolz darauf ist, den Paschtunen, Hazaras oder Usbeken anzugehören. Wir sind alle Afghanen, und darauf sollte es ankommen. Aber wenn eine Volksgruppe so lange Zeit über eine andere herrscht, ja, dann entsteht böses Blut, dann kommt’s zu Hass und Feindschaft. So ist es immer gewesen.“53(Hazim zu Laila) Hazim liegt mit seiner Aussage leider nicht falsch. Im Roman wird von besonders blutigen Kämpfen zwischen den Truppen Hekmatyars, einem Paschtunenführer, und Massouds, einem tadschikischen Führer, berichtet. Unzählige Opfer waren zu beklagen, es war gefährlich das Haus zu verlassen, die Menschen lebten in Angst und Schrecken54. Besonders Zivilisten wurden, im Gegensatz zur Besatzungszeit, zu dieser Zeit grundlos umgebracht, Experten gehen beispielswiese in Kabul von 80 000 Toten aus55. Ein Bürgerkrieg brach aus, bei dem unter anderem Kabul völlig zerstört wurde. Tarik schildert, dass sich die Grenzen innerhalb von Kabul immer wieder verschoben hätten56, zumal Kabul als Hauptstadt eine sehr wichtige Bedeutung hatte: Durch ihre Einnahme sicherte sich der „Sieger“ zugleich die Macht über das ganze Land57. Tatsächlich zerfiel Afghanistan während des Bürgerkrieges in viele Kleinreiche, geführt von den Warlords. Die Folge dessen waren erneut riesige Flüchtlingswellen nach Pakistan. Die Kämpfe nahmen erst ein Ende, als die Taliban 1994 begannen, von Kandahar aus Afghanistan einzunehmen. Die verfeindeten Warlords mussten sich erneut verbünden und bildeten daher die „Nordallianz“ mit ihrem Obersten Ahmed Schah Massoud58. 52 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 121f Hosseini, Khaled, 2013, S. 122 54 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 164f 55 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 79 56 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S.163 57 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 79 58 Vgl. „Afghanistan im 19. und 20. Jahrhundert“, http://www.bpb.de/ [20. 11. 2014, 17:06] 22 53 5.2.4 Talibanherrschaft Zunächst möchte ich auf die Entwicklung und Ideologie der Taliban eingehen: Gegründet wurde diese paschtunische Organisation Anfang der 90er Jahre von afghanischen Flüchtlingen in Pakistan. Taliban bedeutet auf Paschto „Studenten“. Den Schülern wurden an Koranschulen die islamischen Gesetze beigebracht. Die pakistanische Regierung wollte sich nach dem Abzug der Sowjets selbst einen Machtanteil im Nachbarland sichern. Die Mudschaheddin taugten nicht als Verbündete, so griff man auf die afghanischen Koranschüler zurück. Angeführt wird die Organisation nach wie vor vom Paschtunen Mohammad Omar, der zwischen 1997 und 2001 auch Staatsoberhaupt Afghanistans war 59. Beschrieben wird dieser als: „mysteriöser einäugiger Analphabet, der sehr zurückgezogen lebe und sich selbst Amir al-Mumin nenne, Führer der Gläubigen.“60 Ziel dieser neuen Organisation war und ist es immer noch, einen Gottesstaat zu gründen. Die Taliban berufen sich dabei auf die Scharia, das islamische Gesetz, und bestrafen alle Verstöße gegen ihre Regeln mit unmenschlichsten Strafen, wie zum Beispiel Enthauptung, Abhacken der Hände oder Auspeitschungen 61. Die Taliban stießen – aus heutiger Sicht unverständlich – anfänglich auf großes Wohlwollen. „Die Taliban dagegen sind immerhin sauber und unbestechlich. Anständige Muslime. […] wenn sie kommen, wird aufgeräumt. Sie werden für Frieden und Ordnung sorgen.“ (Rashid zu Laila) 62. Tatsächlich erhoffte sich genau dies ein Großteil der Bevölkerung: Frieden. Durch die strikten Regeln und auch die Bestrafungen bei Verstößen gegen die Regeln wurde in einem von Krieg geschüttelten Land wieder ein wenig Ordnung hergestellt 63. Jedoch wurde bereits nach kurzer Zeit klar, mit welch brutalen Mitteln die Bewegung ihre Ziele durchsetzen wollte. Die Taliban benannten den Staat in „Islamisches Emirat Afghanistan“ um. Regeln waren beispielsweise folgende: Alle mussten die Gebetszeit einhalten, Männer mussten sich einen Bart wachsen lassen, Frauen durften das Haus nicht ohne Burka verlassen, es war zu dieser Zeit strengstens untersagt zu tanzen, zu singen, zu malen, Filme anzusehen und vieles mehr 64. Ehebruch wurde sogar mit Steinigung geahndet 65. Das Brutale dabei ist jedoch, dass all diese Strafen auch tatsächlich vollzogen wurden. Mariams 59 Vgl. Steinberg, Guido: „Taliban“, http://www.bpb.de/ [11. 09. 2014, 16:41] Hosseini, Khaled, 2013, S. 253 61 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S.84 62 Hosseini, Khaled, 2013, S. 254 63 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S.84 64 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 257f 65 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 84 23 60 Steinigung gegen Ende des Romans ist keine reine Fiktion. Ähnliche Fälle werden von Ahmed Raschid in seinem Roman „Taliban - Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch“ beschrieben, zum Beispiel wie öffentliche Hinrichtungen auf einem Fußballfeld stattfanden66. Besonders bekannt ist unter anderem die Zerstörung der über 1500 Jahre alten gigantischen Buddah-Statuen von Bamiyan. Obwohl sie ein Weltkulturerbe waren, ließ Omar sie einfach vernichten67. „Unsere wahren Herren […] Pakistani und arabische Islamisten. Die Taliban sind nur deren Handlanger. Das da sind die eigentlichen Spieler, und Afghanistan ist ihr Spielfeld.“68 Diese Aussage ist darauf zurückzuführen, dass sich der pakistanische Geheimdienst ISI (=Inter-Services-Intelligence) einst die afghanischen Flüchtlinge zu Nutzen gemacht und die Taliban ins Leben gerufen hat 69. Doch im Roman werden auch ganz klar die USA und Europa an den Pranger gestellt. Hosseini wirft dem Westen vor, tatenlos zugesehen zu haben, als Afghanistan dem Terror der Taliban unterlag. Erst als die Problematik auch auf Amerika selbst übergriff, reagierte Präsident Bush mit der Kriegserklärung gegenüber Afghanistan. Der Autor schildert, dass Massoud Bush um Hilfe gebeten habe, diese doch ausblieb70. Im April 2001 flog Massoud nach Paris, um alle Länder eingehend vor der Gefahr der Taliban zu warnen. Er argumentierte: „Denn der Sieg der Taliban sei auch eine Niederlage für die ganze Welt. “71 Massouds Worte erwiesen sich leider als richtig. Am 9. September 2001 wurde Ahmed Schah Massoud, der „Löwe von Pandschir“, der vor allem durch den Kampf gegen die Taliban im Volk große Beliebtheit erlangt hatte - von zwei Al-Qaeda Mitgliedern, die sich als Journalisten ausgaben, ermordet 72, was der Realität entspricht. Zwei Tage später passierte eine weitere Tragödie, der Anschlag auf das World Trade Center durch die Al-Qaeda, Verbündete der Taliban. Bush erklärte daraufhin Afghanistan den Krieg, da die Paschtunen darauf beharrten, es verstoße gegen das Paschtunwali, Osama Bin Laden auszuliefern. Am 7. Oktober begannen die USAmerikaner, das Land zu bombardieren, die „Operation Enduring Freedom“ zur Bekämpfung des Terrorismus war ins Leben gerufen worden. Auch die Nordallianz versuchte, diese so gut wie möglich zu unterstützen. Am 8. Dezember desselben Jahres mussten die Taliban Afghanistan zwar endgültig verlassen, aber geschlagen gaben und 66 Vgl. Rashid, Ahmed, 2010, S. 17 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009 S. 85f 68 Hosseini, Khaled, 2013, S. 284 69 Vgl. Steinberg, Guido: „Taliban“, http://www.bpb.de/ [11. 09. 2014, 16:41] 70 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 288 71 Chiari, Bernhard, 2009, S. 210 72 Hosseini, Khaled, 2013, S. 353f 24 67 geben sie sich noch lange nicht 73. In der Tat weigerte sich Omar, Bin Laden und weitere Al-Qaeda Mitglieder auszuliefern. Die USA sicherten sich sogleich nicht nur die Unterstützung aller NATO-Staaten, sondern auch Pakistans zu. Omar floh, tausende Verwundete seitens der Taliban waren zu beklagen, 20 Prozent der 60 000 Anhänger kamen dabei ums Leben74. 5.3 Rolle der Frau Wie viele Autoren beginnt auch Khaled Hosseini seinen zweiten Roman mit einer Widmung: „Dieses Buch ist Haris und Farah [seine beiden Kinder], meinen beiden Augensternen, gewidmet und allen Frauen Afghanistans.“75 Das Leben der Frauen steht im Mittelpunkt des Romans. Der Autor schildert anhand von Mariam und Laila die zwei unterschiedlichen Positionen, die eine Frau in Afghanistan haben kann. Zum einen Mariam, die traditionell und in einfachen Verhältnissen aufwächst und von ihrer Mutter eingeredet bekommt, sie sei als Mädchen weniger wert. Auf der anderen Seite steht Laila, die aus einer gebildeten Familie stammt und deren Vater sich nichts sehnlicher wünscht, als dass seine Tochter einmal studiert. Um die Rolle der Frau in diesem Buch verstehen zu können, muss man zu allererst einmal die Gesellschaftsstruktur an sich und die Machtverteilung im Lande kurz erklären. Bereits vor 100 Jahren hat König Amanullah versucht, mit vielversprechenden Reformen die Stellung der Frauen in seinem Land zu revolutionieren. So schaffte er die Zwangs-und Kinderheirat und den Blutpreis76 ab, die Vielehe wurde begrenzt und das Wegsperren von Frauen verboten. Doch stießen all diese Bemühungen auf starken Widerstand und der moderne König musste 1929 abdanken77. Alle Reformen wurden rückgängig gemacht und eine Gleichstellung von Frauen gegenüber Männern abgelehnt78. Mit der Berufung auf den Islam wird Frauen in Afghanistan auch heute noch eine untergeordnete Rolle zugesprochen. Dabei muss auch darauf hingewiesen werden, dass es einen großen Unterschied zwischen dem Land und großen Städten – in denen Frauen 73 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 354f Vgl. Rashid, Ahmed, 2010, S. 338ff 75 Hosseini, Khaled: Tausend Strahlende Sonnen. Berlin, 2013, S. 4 76 Blutrache = Form der Selbstjustiz, bei der ein getöteter Sippenangehöriger an dem Mörder oder einem Mitglied von dessen Sippe gerächt wird (vgl. „Blutrache“, http://www.duden.de/ [16.12.2014, 15:04] 77 Vgl. Chiari, Bernhard: Wegweiser zur Geschichte Afghanistans. Paderborn, 2009, S. 213 78 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 214 25 74 bei weitem mehr Rechte haben – gibt. In abgelegenen Provinzen ist es vielen Mädchen zum Beispiel nach wie vor nicht gestattet, die Schule zu besuchen 79. Diese Vorstellungen finden sich auch im Roman: „ Es gibt nur eines, was Frauen in diesem Leben können müssen, und das bekommt man nicht in der Schule beigebracht.“[…] Nur eines muss sie können. Und das ist tahamul. Aushalten.“80 (Nana zu Mariam) Man merkt den gesamten Roman hindurch besonders stark wie tief die Geschlechterstereotype und die Arbeitsteilung im afghanischen Volk verwurzelt sind. In traditionellen Haushalten sind Frauen dem Mann untergeordnet und müssen sämtliche Aufgaben im Haushalt erfüllen, sich um die Erziehung der Kinder kümmern und auch ihren sexuellen Pflichten als Ehefrau nachgehen81. Hosseini beschreibt, dass Mariam, in Kabul angekommen, von den modernen, geschminkten Frauen, die teilweise sogar ohne Burka in die Öffentlichkeit gehen, begeistert ist82. Zudem tragen auch auf dem Land viele Frauen, auch Paschtuninnen, keine Burka, da sie die Burka beim Verrichten ihrer Arbeiten nur unnütz belästigt. Wenn sie jedoch getragen wird, dann einerseits wegen der sogenannten „Purda“ - die die Isolierung der Frauen vorsieht, oder um Frauen vor fremden Blicken zu schützen. Auch Mariam schützt sie vor ungewollten Blicken und hat somit auch ihre Vorteile 83. Auf der anderen Seite ist sie für viele aber schlichtweg Teil ihrer Tradition und wird daher nicht als Pflicht oder Zeichen der Unterdrückung gesehen. Ein schockierendes Musterbeispiel für die Gewalt an Frauen findet sich am Ende des ersten Teiles. Raschid bemängelt, dass der von Mariam gekochte Reis nicht durch ist. Daraufhin zwingt Raschid Mariam, eine ganze Hand voll Kieselsteinen zu essen, zu kauen, da ihr Reis angeblich genauso hart sei, wie diese Kieselsteine. Die Tatsache, dass Mariam dabei Blut spuckt, Tränen weint und sich zahlreiche Zähne kaputt macht, interessiert ihn keineswegs. Nana sagt einmal zu ihrer Tochter:“ jede einzelne Schneeflocke ist das Seufzen einer gekränkten Frau irgendwo auf der Welt […] Zur Erinnerung daran, wie sehr wir Frauen leiden.“84 79 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 212 Hosseini, Khaled, 2013, S. 22 81 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 218 82 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 71 83 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 217f 84 Hosseini, Khaled, 2013, S. 86 80 26 5.3.1 Frauen unter den Sowjets Eine Verbesserung der Rolle der Frauen brachte erst die prosowjetische Regierung ab dem Jahre 1978. Im Roman wird diese Zeit wie folgt beschrieben: „Frauen hatten es immer schwer in diesem Land, Laila. Jetzt, unter den Kommunisten, sind sie womöglich freier als je zuvor, jedenfalls haben sie mehr Rechte“ (Babi zu Laila)85. Die PDPA versuchte auch durch Gewalt, die Frauen zu emanzipieren. Doch wie zu erwarten, stieß sie dabei auch auf Widerstand, denn diese frauenfreundliche Politik war mit ein Grund, warum die UdSSR in Afghanistan dermaßen verhasst war. „Leider ist dies, die Freiheit der Frauen, einer der Gründe, warum die Leute da draußen zu den Waffen greifen.“ 86 Die neue Regierung hatte die Zwangsehe verboten, Mädchen durften erst im Alter von über 16 Jahren verheiratet werden. Außerdem verfolgten die Sowjets ein sehr ambitioniertes, aber unrealistisches Ziel: Sie wollten die gesamte erwachsene Bevölkerung in einem Jahr schreiben und lesen lehren. Analphabetismus war und ist auch heute noch ein großes Problem in Afghanistan87, circa 60 Prozent aller Afghanen können weder lesen noch schreiben88. In moderneren Städten wie Kabul oder auch Herat dürfen Frauen sehr wohl Bildung erfahren. Dies unterstützt auch Jalil. Im liberalen Kabul war es bereits damals üblich, dass Frauen auch Ämter in der Politik besaßen und an Schulen unterrichteten wie Lailas Lehrerin. Die Afghanen argwöhnten – mit Recht –, dass ihre Kinder in der Schule prowestliche, in ihrem Sinne „unmoralische“ Denkmuster eingetrichtert bekommen89. Denn Shanzai versucht den Schülern und Schülerinnen zu vermitteln, dass Frauen in keinerlei Hinsicht schlechter oder dem Mann unterlegen seien90. „Frauen und Männer seien in jeder Hinsicht ebenbürtig und es gäbe keinen Grund warum Frauen sich verschleiern sollten, wenn Männer dies nicht täten“ 91 5.3.2 Frauen unter der Talibanherrschaft Der Stellenwert und die Rolle der Frauen haben sich mit dem Einmarsch der Taliban extrem verschlechtert. Frauen durften nicht mehr alleine außer Haus gehen, mussten immer die Burka tragen, durfte nur noch sprechen, wenn sie von einem Mann dazu aufgefordert wurden, in der Öffentlichkeit durften sie nicht lachen, weder einen Beruf 85 Hosseini, Khaled, 2013, S. 126 Hosseini, Khaled, 2013, S. 125f 87 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 215 88 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 97 89 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 215 90 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 105 91 Hosseini, Khaled, 2013, S. 105 86 27 ausüben noch zur Schule zu gehen - und dies alles im Namen Gottes Allah-u-akbar. [Gott ist am Größten]. Denn wer nicht gehorchte, wurde mit Prügel gestraft. 92 Auch Laila wird geschlagen, wenn sie von den Taliban allein auf der Straße, bei dem Versuch ihre Tochter zu besuchen, erwischt wird. Was Hosseini jedoch nicht erwähnt – bei ihm sind diese Männer einfach Talibanmänner – ist, dass es zu Zeiten der Taliban eine Religionspolizei mit Mohammed Qalamuddin als Chef gab. In der Originalsprache hieß sie „amr bil maroof wa nahi anil munkar“, Qalamuddin übersetzt dies mit „Abteilung für das Einhalten religiöser Regeln“ 93. Ihre Aufgabe bestand darin, mit Peitschen und Stöcken in den Straßen herumzugehen und all jene zu bestrafen, die sich nicht an die Regeln der Taliban hielten. In extremen Fällen wurden Frauen auch ins Gefängnis gesteckt94. Obwohl sich die Taliban stets auf die Scharia beriefen, befolgten sie eigentlich die Grundsätze des Paschtunwali, in dem vorgesehen ist, dass die Frau sich aus jeglichem öffentlichen Leben zurückzieht95. Außerdem legten die Taliban die Aussage, Mann und Frau wären von Gott verschieden geschaffen, auf eine radikale Weise aus: „Nach Gottes Willen sind Mann und Frau verschieden. Unsere Gehirne funktionieren anders. Ihr Frauen könnt unseren Gedanken nicht folgen. Das ist von westlichen Ärzten und Wissenschaftlern nachgewiesen worden. Darum hat für uns die Aussage eines Mannes ebenso viel Gewicht wie die von zwei Frauen.“ 96 Was im Roman nicht erwähnt wird, sind die Aufstände von Seiten der Frauen, die es sehr wohl gab. Beispielsweise gingen Frauen bereits einen knappen Monat, nachdem die Taliban neue Gesetze verordnet hatten, auf die Straßen, um dagegen zu protestieren, dass alle Badehäuser geschlossen worden waren97. 5.3.3 Situation heute Leider hat sich die Situation der Frauen in Afghanistan bis heute noch nicht sehr gebessert. Obwohl das Mindestalter zum Heiraten nach der Talibanherrschaft wieder auf 16 Jahre festgelegt wurde, müssen rund 60 Prozent aller Mädchen bereits vor diesem Geburtstag heiraten. UNO-Schätzungen zu Folge werden 70 Prozent aller afghanischen Frauen zwangsverheiratet und Gewalt ist in vielen Ehen ständiger Begleiter;; so wird 92 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 257f Vgl. Rashid, Ahmed, 2010, S. 168 94 Vgl. Rashid, Ahmed, 2010, S. 168 95 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 216 96 Hosseini, Khaled, 2013, S. 337 97 Vgl. Rashid, Ahmed, 2010, S. 180 93 28 die Zahl der Frauen, denen von ihren Ehemännern schon einmal Gewalt widerfahren ist, auf rund 90 Prozent geschätzt. Theoretisch gäbe es ein allgemein gültiges Gesetz, nach dem Frauen vor häuslicher Gewalt geschützt werden sollen, doch kommt dieses so gut wie nicht zum Tragen. Allerdings muss man auf der anderen Seite auch bemerken, dass seit dem Sieg der Taliban beinahe drei Millionen Mädchen die Schule besuchen. Auch in der Politik kann eine leichte Verbesserung ausgemacht werden: von 249 AbgeordnetInnenplätzen im Parlament sind ungefähr 28 Prozent von Frauen belegt 98. Bis zur vollkommenen Gleichstellung von Mann und Frau steht noch ein langer und steiniger Weg bevor. Denn die patriarchalisch orientierte ländliche Bevölkerung fasst das Streben der Frauen nach Gleichberechtigung nach wie vor als das Aufoktroyieren von westlichen und christlichen Vorstellungen auf und steht der Emanzipation entgegen99. Dies konnte man auch kürzlich wieder sehen, als am 16. November die politisch engagierte Frauenrechtlerin Schukria Baraksai in Kabul einem Selbstmordattentat zum Opfer fiel100. 5.4 Gesellschaftliche Aspekte Im folgenden Kapitel sollen nun noch kurz einige weitere essentielle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens hervorgehoben werden. 5.4.1 Familienverhältnisse Mariam erfährt bereits als kleines Mädchen, dass sie als uneheliches Kind – harami – weniger wert ist als andere Kinder und sie leidet ihr gesamtes Leben lang unter dieser Tatsache101. Tatsächlich ist im Islam Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe verboten und daher werden nicht nur die Mütter, sondern auch ihre unehelichen Kinder von der Gesellschaft verurteilt und verhöhnt 102. Mariam selbst denkt“, dass sie als uneheliches Kind nie einen Anspruch auf das haben würde, was für andere ganz selbstverständlich war, Dinge wie Liebe, Familie, ein Zuhause und Anerkennung.“ 103 Weiters ist die Polygamie, Vielehe, ein zentrales Thema im Roman. Jalil hat drei Frauen und auch Raschid schreckt nicht davor zurück, noch ein zweites Mal zu heiraten. Vielehen gibt es in Afghanistan zwar nach wie vor und sie sind rechtlich auch nicht verboten, jedoch werden heutzutage polygame Männer von der Gesellschaft stark 98 Vgl. Petersmann, Sandra: „Ein weiter Weg bis zur Gleichstellung“, in http://www.tagesschau.de/ [14. 12. 2014, 16:15] 99 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 219 100 Vgl. „Drei Tote bei Anschlag auf Frauenrechtlerin“, in http://www.nzz.ch/ [19.11. 2014, 17:17] 101 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 8 102 Vgl. „Bastarde - Uneheliche Kinder im Islam“, http://tv.orf.at/orf3/ [16. 10. 2014, 10:00] 103 Hosseini, Khaled, 2013, S. 8 29 verachtet. Die Anzahl an Frauen wurde außerdem von König Amanullah auf vier eingeschränkt104. Die Lebenserwartung zur Zeit des Bürgerkrieges und der Talibanherrschaft war katastrophal. Im Sommer 1993 hört Raschid im Radio, dass in seinem Land eines von vier Kindern sein fünftes Lebensjahr nicht erlebt 105. Diese reale Zahl ist erschreckend hoch und liegt in anderen Entwicklungsländern bei „nur“ etwa sieben Prozent. Hinzugefügt werden muss, das die durchschnittliche Lebenserwartung heute für Frauen und für Männer in Afghanistan lediglich bei 44 Jahren liegt, und somit um 15 Jahre niedriger ist als in anderen Entwicklungsländern106. 5.4.2 Religion Einen sehr wichtigen Stellenwert in Afghanistan hat die Religion, wobei 99 Prozent Muslime und davon über 84 Prozent Sunniten sind. Die Charaktere in Hosseinis Roman gehören alle der sunnitischen Glaubensrichtung an. Besonders an Mariams Lebensweise lässt sich der tiefe Glaube vieler Afghanen erkennen. Beispielsweise richtet sie sich tatsächlich fünf Mal täglich gegen Mekka aus um zu beten. Auch in ihrer besonders schwierigen Zeit hält sie an Gott und dem Islam fest 107. Allerdings wird die Religion auch oft missbraucht, wie man am Beispiel der Taliban sehr gut erkennen kann, da diese die Scharia als Rechtfertigung für ihre Untaten nützen. Schockierend ist, dass die Taliban im Namen des Islam Menschen umbringen. Ein Beispiel findet man am Ende des Romans, als Mariam Raschid umbringt. Sie wird daraufhin von einem Taliban mit der Begründung „Sein Wort zur erfüllen. So schmerzlich es auch sein mag.“108 zum Tode verurteilt. 5.4.3 Flüchtlingsproblematik Auf dieses Thema wird besonders dramatisch eingegangen. Angefangen in der Besatzungszeit der Sowjets, während des Bürgerkriegs der Warlords und auch während der Kämpfe der Taliban beschlossen Millionen Afghanen, ihr Heimatland zu verlassen. Die meisten flohen und fliehen nach Pakistan wo sie: „[…] in Pappkartons [hausen]. Tuberkulose, Ruhr, Hunger, Verbrechen sind an der Tagesordnung. Und das alles schon vor dem Winter. Dann kommt der Frost. 104 Vgl. Chiari, Bernhard, 2009, S. 213 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 221 106 Vgl. Rashid, Ahmed, 2010, S. 171 107 Vgl. Hosseini, Khaled, 2013, S. 60 108 Hosseini, Khaled, 2013, S. 338 105 30 Lungenentzündung. Die Leute erstarren zu Eiszapfen. Diese Lager verwandeln sich in Friedhöfe.“109 Leider ist es nichts Neues, dass jene Länder, in denen viele Flüchtlinge ankommen, mit der Situation vollkommen überfordert sind. In der Zeitspanne von 1979 bis 1996 sind bereits einige Millionen Afghanen geflohen110. Grund für die miserablen Verhältnisse ist unter anderem die Tatsache, dass, nachdem die UdSSR abgezogen war, die USamerikanische Hilfe ausblieb. 109 110 Hosseini, Khaled, 2013, S. 198 Vgl. Brechna, Habibo, 2005, S. 329f 31 6 Afghanistan 2001 bis 2015 Es wäre an dieser Stelle wünschenswert, behaupten zu können, dass sich die Lage in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban 2001 drastisch geändert hat, dass die Frauen gleichberechtigt sind, alle Zugang zu Bildung genießen dürfen und es keinen Krieg mehr gibt. Doch dieser Wunsch ist nach wie vor utopisch. Die Realität sieht folgendermaßen aus: Afghanistan war im Jahr 2014 das Land mit der höchsten Flüchtlingsrate weltweit, über 2,5 Millionen Menschen haben ihr Heimatland verlassen. Auch die Präsenz der Taliban ist nach wie vor deutlich zu spüren. Eine instabile Regierung, die von Korruption und leeren Versprechungen geprägt ist, bietet den Taliban immer wieder eine große Angriffsfläche für neuerliche Anschläge und Eroberungsversuche, vor allem im labilen Süden111. Das Land muss nach wie vor mit zahlreichen Problemen kämpfen: Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, es gibt viele konkurrierende Ethnien. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Bevölkerung, trotz der Kriege, fast verdoppelt, aber auf Grund der topographischen Lage fällt es schwer, alle zu ernähren. Diese Liste könnte noch leider noch ewig fortgeführt werden. Die „Operation Enduring Freedom“ hat mit Sicherheit eine Verbesserung der Lage gebracht. Die USA hat ihre Truppen nach jahrelangem Einsatz aus dem Land abgezogen, eine Tatsache, die laut Experten Afghanistan mehr schaden als nützen könnte. Immerhin werden langsam kleine Schritte in die richtige Richtung gemacht. Die demokratischen Wahlen im Frühling letzten Jahres, bei denen der Paschtune Ashraf Ghani zum neuen Präsidenten ernannt wurde, waren ein solcher Schritt. Für Abdullah Abdullah, Paschtune väterlicherseits und Tadschike mütterlicherseits, wurde eine neue Position im Staat erfunden, die Stelle des Premierministers112. Wie sich Afghanistan entwickelt, bleibt ungewiss, fest steht jedoch, dass es noch ein weiter und steiniger Weg bis zu einem freien demokratischen Staat ist. 111 112 Vgl. Steinberg, Guido: „Taliban“, http://www.bpb.de/ [11. 09. 2014, 16:41] Vgl. Möllhoff, Chrstine: „Abdullah Abdullah soll Afghanistans Regierungsgeschäfte führen“, http://derstandard.at/ [30. 09.2014, 17:00] 32 7 Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem Autor mit diesem Roman eine informative Schilderung der geschichtlichen und sozialen Ereignisse in seinem ehemaligen Heimatland gelungen ist. Hosseini baut die geschichtlichen Fakten der letzten Jahrzehnte geschickt in den Kontext der Erzählung ein, ohne dabei schulmeisterhaft zu wirken. Der Leser/die Leserin erhält einen guten Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse eines – für die westliche Bevölkerung – völlig fremden Landes. Auch wenn als zentrales Motiv des Romans die Geschichte der beiden Protagonistinnen Mariam und Laila erzählt wird, fließen im Hintergrund viele politische, gesellschaftliche und religiöse Aspekte ein, die für den geschichtlichen und politischen Laien nicht unbedingt leicht verständlich sind, zumal es sich dabei teilweise um essentielle, komplexe Aspekte handelt. Man spürt als Leser/Leserin, dass Hosseini sehr an Afghanistan hängt, und daher die Geschehnisse in diesem Land genauestens mitverfolgt hat. Aus der Distanz – der Autor lebt seit 1981 in den USA – gelingt ihm auch eine weitgehend neutrale und realistische Sicht auf die grausamen Geschehnisse in seiner Heimat. Obwohl der Verfasser die wichtigsten Ereignisse prägnant schildert, vernachlässigt er meiner Meinung neben dem wirtschaftlichen Aspekt, dass Frauen sehr wohl versuchten, sich gegen das Terrorregime der Taliban zur Wehr zu setzten. Auch die Friedensverhandlungen der Mudschaheddin mit den Sowjets bleiben unerwähnt. Das Verhältnis zwischen Fiktion und historischer Wirklichkeit stellt Hosseini, wie in den einzelnen Kapiteln bereits erwähnt, unterschiedlich dar. Ich bin daher zu dem Schluss gekommen, dass Hosseini, zwar keine falschen Fakten vermittelt, andererseits aber entscheidende Details nicht nennt. Im Grunde jedoch eignet sich der Roman sehr gut zur Wissenserweiterung für geschichtlich interessierte Menschen, die ihren Blick auf Afghanistan fokussieren und dabei eine fesselnde Beziehungsgeschichte erleben wollen. Auch wenn Hosseini seinen Roman zeitlich mit dem Jahr 2003 und den Wiederaufbautätigkeiten durch die USA beendet, hat er doch schon viele Seiten vorher eine ernüchternde Aussage über die Zukunft seines Landes getroffen. Inwieweit sich diese, nämlich: 33 „…der einzige Feind, den ein Afghane niemals wird bezwingen können, ist niemand anders als er selbst.“ 113 eines Tages als falsch herausstellt, sei dahingestellt, jedoch wäre dies auf jeden Fall wünschenswert. Dem Land möge nach jahrzehntelangem Krieg eine friedvolle Zukunft bevorstehen! 113 Hosseini, Khaled, 2013, S. 127 34 8 Anhang 8.1 Literaturverzeichnis Primärliteratur Hosseini, Khaled: Tausend strahlende Sonnen. Berlin Verlag in der Piper Verlg GmbH: München, 2013 Sekundärliteratur Printmedien Selbständig erschienene Werke (Monographien) Brechna, Habibo: Die Geschichte Afghanistans. Das historische Umfeld Afghanistans über 1500 Jahre. vdf. Hochschulverlag AG an der ETH Zürich: Zürich, 2005 Rashid, Ahmed: Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch. Verlag C. H. Beck: München, 2010 Schetter, Conrad: Kleine Geschichte Afghanistans. Verlag C. H. Beck: München, 2004 Unselbständig erschienene Werke Aufsatz in einem Sammelband Chiari, Bernhard: „Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan und die Besatzung von 1979 bis 1989“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 61-74) Huber, Judith: „Eine Frage der Ehre: Rollenbilder von Frauen und Männern in Afghanistan“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 213-220) Mielke, Katja: „Der afghanische Bürgerkrieg“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 75-82) 35 Nölle-Karimi, Christine: „Die Tradition der „Loya Dschirga“: Herrschaftsstrukturen und Staatlichkeit“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 133-138) Schetter, Conrad: „Die Anfänge Afghanistans“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 19-26) Schetter, Conrad: „Die Taliban und die Neuordnung Afghanistans“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 83-100) Schetter, Conrad: „Stammesstrukturen und ethnische Gruppen“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 123-132) Schlagintweit, Reinhard: „Afghanistan als Staat im 20. Jahrhundert“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 37-48) Strachwitz, Graf, Karl Ernst: „Charismatischer Führer oder Kriegsverbrecher? Achmad Schah Massud“, in: Chiari, Bernhard (Hg.): Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. Kg: Paderborn 2009 (S. 203-212) 36 Online zur Verfügung gestellte Quellen Website „And the Mountains Echoed“, in: http://khaledhosseini.com/books/and-the-mountains-echoed/synopsis/ [04. 01. 2015, 16:30] „Bastarde - Uneheliche Kinder im Islam“, in: http://tv.orf.at/orf3/stories/2668121/ [16. 10. 2014, 10:00] “Biography”, in: http://khaledhosseini.com/biography/ [09. 2014, 14:59] „Book Facts”, in: http://khaledhosseini.com/media-pages/book-facts/ [20. 09. 2014, 17:08] CNN: „Operation Enduring Freedom Fast Facts“, in: http://edition.cnn.com/2013/10/28/world/operation-enduring-freedom-fast-facts/ [29. 12. 2014, 11:00] „Dschihad - der "Heilige Krieg"?“ in: http://www.islam-info.ch/de/Dschihad.htm [15. 01. 2015, 16:00] Esten, Hugh (Hg.): „Khaled Hosseini Biography“, in: http://www.achievement.org/autodoc/page/hos0bio-1 [03. 09. 2014, 14:59] „From A Thounsand Splendid Suns, discuss the thematic significance of the phrase listed...”, in: http://www.enotes.com/homework-help/discuss-thematic-significancephrase-quot-one-17689 [17. 09. 2014, 12:26] Hosseini, Sandra (Hg.): "Khaled Hosseini Foundation“, in: http://khaledhosseinifoundation.org/ [05. 01. 2015, 16:00] 37 Möllhoff, Chrstine: „Abdullah Abdullah soll Afghanistans Regierungsgeschäfte führen“, in: http://derstandard.at/2000006200079/Abdullah-Abdullahsoll-AfghanistansRegierungsgeschaefte-fuehren [30. 09.2014, 17:00] Petersmann, Sandra: „Ein weiter Weg bis zur Gleichstellung“, in: http://www.tagesschau.de/ausland/frauentag196.html [14. 12. 2014, 16:15] Reuters: „Drei Tote bei Anschlag auf Frauenrechtlerin“, in: http://www.nzz.ch/newsticker/drei-tote-bei-anschlag-auf-frauenrechtlerin-inafghanistan-1.18426006 [19.11. 2014, 17:17] Schetter, Conrad : „Afghanistan im 19. und 20. Jahrhundert“, in: http://www.bpb.de/internationales/asien/afghanistan/138381/afghanistan-im-19-und-20jahrhundert [20. 11. 2014, 17:06] Schoeller, Monika. Bong, Dr. Jörg. Justus, Michael. Rosenfeld, Dr. Uwe (Hg.): “Afghanistan”, in: http://www.weltalmanach.de/staaten/details/afghanistan/ [01. 02. 2015, 16:00] Steinberg, Guido: „Taliban“, in: http://www.bpb.de/internationales/asien/afghanistan/75048/taliban?=1 [11. 09. 2014, 16:41] „The Kite Runner“, in: http://khaledhosseini.com/books/the-kite-runner/synopsis/ [04. 01. 2015, 16:30] Winkenbach, Monika. Feldmann, Wolf-Rüdiger (Hg.): „Blutrache“, in: http://www.duden.de/rechtschreibung/Blutrache [16. 12.2014] 38 8.1 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 aus: Wikimedia. http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/19/Afghanista n_%28orthographic_projection%29.svg/553pxAfghanistan_%28orthographic_projection%29.svg.png [20. 01. 2015, 16:06] Abbildung 2 aus: Stepmap. http://www.stepmap.de/landkarte/afghanistan-und-nachbarlaender1114388.png [20. 01. 2015, 16:07] Abbildung 3 aus: Wikimedia. http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/3/31/Afghanista n_-_Location_Map_%282013%29_-_AFG_-_UNOCHA.svg/254pxAfghanistan_-_Location_Map_%282013%29_-_AFG__UNOCHA.svg.png [20. 01. 2015, 17:10] Abbildung 4 aus: bpb.de. http://www.bpb.de/cache/images/8/48658-3x2-galerie.jpg?AAEC1 [20. 01. 2015] 8. 2 Selbstständigkeitserklärung Name: Johanna Kofler Selbstständigkeitserklärung Ich erkläre, dass ich diese vorwissenschaftliche Arbeit eigenständig angefertigt und nur die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Ort, Datum Sistrans, 16. 02. 2015 Unterschrift 39