Gelenkerkrankungen beim Pferd erkennen und behandeln Bau und

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Gelenkerkrankungen beim Pferd erkennen und behandeln Bau und
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in Gelenk ist die bewegliche
Verbindung zweier Skelettabschnitte. Benachbarte Knochenenden sind zu einer
Gelenkwalze und einer Gelenkpfanne ausgeformt. Die meisten
Gelenke der Gliedmaßen funktionieren beim Pferd als Wechselgelenke in einer Ebene, d.h.
die Hauptbewegungsrichtung
ist Beugen und Strecken. Drehbewegungen sind in den unteren Gelenken nur eingeschränkt
möglich. Diese anatomische
Grundlage spielt in der Entstehung und Rehabilitation bei Gelenkerkrankungen u.a. eine bedeutende Rolle.
Da es sich bei den Gelenken um
Teile des passiven, stützenden
Bewegungsapparates handelt,
sind die Knochenenden zur
Stoßdämpfung mit Gelenkknorpel überzogen (Abb. 1). Der Gelenkknorpel ist ein Überbleibsel
des Knorpelskelettes während
der Entwicklung des Fohlens in
der Gebärmutter. Er ist beim
ausgewachsenen Pferd weder
mit Nerven noch mit Gefäßen
versorgt und hat nur eine eingeschränkte Fähigkeit zur Regeneration.
Abb. 1: Knorpelschäden und
knöcherne Zubildungen an der
Gelenkpfanne des Fesselbeines
und an der Gelenkwalze des
Röhrbeines bei einer Fesselgelenkarthrose.
Die Gelenkschmiere in der Gelenkhöhle (Synovia) wird von
der Innenauskleidung der die
beiden Knochenenden verbindenden Gelenkkapsel gebildet.
Sie ist ein Ultrafiltrat des Blutes.
Der zusätzliche Gehalt an einer
Grundsubstanz des Bindegewebes (Hyaluronsäure) bedingt die
besonderen physikalischen Eigenschaften der Gelenkschmiere als viskoelastische Flüssigkeit,
d.h. in Ruheposition ist die
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Tierarztserie
SERIE: Aus der Tierarztpraxis
Gelenkerkrankungen bei Pferden
Gelenkerkrankungen beim Pferd
sind ernstzunehmende Erkrankungen des Bewegungsapparates,
da sie in entscheidender Weise die
Nutzung des Pferdes beeinflussen
können. Deshalb ist die früh-
zeitige tiermedizinische Diagnostik und die logische Konsequenz
zur Therapie unumgänglich für
die Ausheilung von Gelenkerkrankungen.
Dr. Stefanie Höppner
Nach dem Studium der Tiermedizin an der Ludwig-Maximilian-Universität in München Dissertation über Druckmessung im Hufgelenk zur Differenzierung des Podotrocholse-Syndroms an der
Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Seit 1994
arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin
und Assistentin zur Habilitation an der Klinik für
Pferde, Allgemeine Chirurgie und Radiologie der
Freien Universität Berlin. Seit 1997 ist sie als Fachtierärztin für Pferde
tätig.
● Eine undeutliche Lahmheit ist
beim Vorführen auf festem, ebenem Untergrund im Trab kaum
zu erkennen.
● Die geringgradige Lahmheit
ist im Trab zu erkennen, im
Schritt ist das Pferd lahmfrei.
● Ein mittelgradig lahmes Pferd
zeigt dagegen schon eine Lahmheit im Schritt und noch deutlicher im Trab.
● Beim hochgradig lahmen
Pferd verbietet sich das Vorführen dadurch, dass im Stand
schon nicht alle Gliedmaßen
gleichmäßig belastet werden und
bei wenigen Schritten die lahme
Gliedmaße nur kurz und oft
nicht mit planer Fußung aufgesetzt wird. Eine derartige plötzlich aufgetretene, akute hochgradige Lahmheit muss u.a. immer
auch zum Frakutrverdacht
Gelenkerkrankungen beim Pferd
erkennen und behandeln
Bau und Funktion der Gelenke
gesunde Gelenkschmiere zähflüssig und wird nicht aus dem
haarfeinen Gelenkspalt herausgepresst. Der Gelenkknorpel ist
immer benetzt. Knorpelzellen
können zur Stoßdämpfung Flüssigkeit aufnehmen und im
Längsschnitt dicker werden.
Wird das Gelenk bewegt, funktioniert die Gelenkschmiere als
Gleitmittel und umspült, flüssiger werdend, die Skelettanteile
und alle Aussackungen der Gelenkhöhle. Diese regelmäßige
Druck- und Gleitbewegung in
den Gelenken ist ein wichtiger
Faktor zur Ernährung des Gelenkknorpels. Für die Rehabilitation von Gelenkerkrankungen
mit Knorpelschäden oder bei
Arthrosen ergibt sich daraus,
dass die kontrollierte, biomechanisch, z.B. durch einen orthopädischen Hufbeschlag, optimierte
Bewegung des Patienten als therapieflankierende Maßnahme
von entscheidender Bedeutung
ist.
Der stabile Zusammenhalt der
Gelenkflächen erfolgt neben der
bereits erwähnten Gelenkkapsel
auch durch die Gelenkbänder
und den umgebenden Weich-
teilmantel aus Muskeln und Sehnen. Die Ausdehnung der „sehnigen“ Gelenkkapsel und die
Lokalisation der Gelenkbänder
bestimmen neben der erwähnten Form der Gelenkflächen
ebenfalls die Bewegungsmöglichkeiten in einem Gelenk. Den
Gelenken mit Bewegungsmöglichkeiten in einer oder mehreren Richtungen stehen die straffen Gelenke, wie z. B. das
Krongelenk oder die unteren
Sprunggelenkabteilungen
gegenüber. Diese straffen Gelenke
haben fast keine Bewegungsmöglichkeit und sind für Schäden am stoßdämpfenden Knorpel und an den stabilisierenden
Bändern besonders anfällig.
Diagnostik
Erste Hinweise auf eine Erkrankung des Bewegungsapparates
erhält der Reiter bei seinem
Pferd aus einer Störung im regelmäßigen Gebrauch der Gliedmaßen. Je nach Ausmaß dieser
Störung werden Lahmheiten in
unterschiedliche Grade eingeteilt. Gelenkerkrankungen können alle Lahmheitsgrade verursachen :
führen und sofort tierärztlich entsprechend untersucht werden.
Der Tierarzt verfolgt bei der
Lahmheitsuntersuchung folgende Ziele:
● Erkennen der Funktionsstörung.
● Feststellen der lahmen Gliedmaße durch Abtasten der Gliedmaßen, durch Beurteilung der
Funktion beim Vorführen des
Pferdes und Durchführung von
Schmerztests.
● Lokalisation der Lahmheitsursache an der betroffenen
Gliedmaße ebenfalls durch Aufsuchen sicht- und fühlbarer Veränderungen und Durchführung
von Beuge- und Drehproben in
den Gelenken. Bei chronischen
Lahmheiten ohne sicht- und
fühlbare Veränderungen kann
der Tierarzt durch örtliche
Betäubungen (diagnostische Injektionen) vom Huf Richtung
Rumpf dem Schmerz lokalisieren.
● Nachweis der veränderten
anatomischen Gewebestrukturen durch Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen und evtl.
durch Gelenkspiegelung (Arthroskopie).
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Spezielle
Gelenkerkrankungen
Die meisten Gelenkerkrankungen sind auf traumatische Gewalteinwirkungen
zurückzuführen. Ist die Haut verletzt und
besteht eine direkte Verbindung
der Gelenkköhle durch den
Weichteilmantel nach außen
spricht man von einer offenen
Gelenkverletzung. Das Risiko einer Infektion und Entstehung einer eitrigen Gelenkentzündung
ist dabei immer gegeben. Besonders beim Fohlen können aber
auch Allgemeininfektionen über
den Nabel, den Atmungs- und
den Verdauungstrakt zur Infektion eines oder mehrerer Gelenke
führen.
Bei gedeckten Gelenkverletzungen ist zumindest die vor Infektion schützende Haut noch
intakt. Zu den gedeckten Gelenkverletzungen gehören die
Quetschung, die Verstauchung
und die Verrenkung. Im Anschluss an ein Trauma, das einmalig oder wiederholt einwirken
kann, entsteht eine sterile Gelenkentzündung (aseptische Arthritis), die die Strukturen innerhalb der Gelenkkapsel oder
auch angrenzende Gewebeanteile betreffen kann. In chronischen Fällen kann eine Arthrose
entstehen. Das Gelenk verliert
seine Stabilität, Gelenkknorpel
geht zugrunde und knöcherne
Anteile verformen sich als Knochenzubildungen entlang der
Kapsel- und Bandansatzstellen
oder des Randes der Gelenkpfanne. Letztendlich kann das
betroffene Gelenk seine Beweglichkeit ganz verlieren und steif
werden.
1. Offene Gelenkverletzung
Eine offene Gelenkverletzung ist
in jedem Fall ein Notfall, der sofort durch den Tierarzt beurteilt
werden sollte. Derartige Verletzungen entstehen durch scharfe
Stich- und Schnittverletzungen
im Bereich der Gliedmaßengelenke besonders häufig als Weideunfälle (Abb. 2).
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Abb. 2: Gelenkspülung bei einer
eitrigenEntzündung des Rollgelenkes am Sprunggelenk.
Die Infektion der Gelenkhöhle
kann unmittelbar bei der Eröffnung des Gelenkes erfolgen, wie
z.B. beim Nageltritt in das Hufgelenk oder beim Stich in das
Fesselgelenk. Ist der Verletzungskanal weit genug, kann ein
Teil der Erreger durch das Abfließen der Gelenkschmiere ausgespült werden. Wird der Synoviaabfluss nicht rechtzeitig z.B.
durch einen Schutzverband als
Notversorgung abgestellt, verändert sich die Zusammensetzung
der Gelenkschmiere zu einer
entzündlichen Flüssigkeit und
die Infektionsbereitschaft der
Gelenkeinrichtungen
erhöht
sich deutlich. Die Bakterien finden bald geeignete Ansiedlungsbedingungen und können das
Gelenk total zerstören.
Ein weiterer Infektionsweg ist
das Einsaugen von Luft über die
Wunde während der Entlastung
des Gelenkes bei jeder Bewegung der verletzten Gliedmaße.
Ein Notverband sollte folglich
nicht nur die Wunde sauber abdecken, sondern auch so dick
gepolstert sein, dass das verletz-
te Gelenk möglichst ruhiggestellt ist.
Klinisch ist eine offene Gelenkverletzung, sofern keine weiteren Weichteilverletzungen vorliegen, zunächst nicht oder nur
wenig schmerzhaft. Der sofort
konsultierte Tierarzt kann oft
nur anhand der Wundflüssigkeit den Verdacht auf eine
Gelenkverletzung äußern und
entsprechende Notmaßnamen
ergreifen. Zunehmend stärker
werdende Schmerzen setzen
erst nach einigen Stunden durch
die mechanische Gewebezerstörung und die bakterielle Besiedlung ein. Der Patient zeigt eine mittel- bis hochgradige
Lahmheit. Die Umgebung des
Gelenkes ist vermehrt warm
und
entzündlich
verdickt.
Schon die passive Bewegung
durch die Untersuchung des
Tierarztes ist schmerzhaft. Die
Qualität der Wundflüssigkeit ist
schon nicht mehr eindeutig als
Gelenkschmiere zu identifizieren. Eine Röntgenuntersuchung
ergibt Hinweise auf eine Gelenkeröffnung (eingesaugte Luft),
verbliebene
Fremdkörper
(schattengebende Metall- und
Schmutzanteile) und auf weitere
knöcherne Schäden (abgebrochene Knochenstücke). Eine Erhöhung der Körpertemperatur,
ein reduziertes Allgemeinbefinden und Veränderungen im
Blutbild sind weitere Hinweise
auf eine festsitzende Infektion.
In Anbetracht des geschilderten
Verlaufes einer offenen Gelenkverletzung ergibt sich als Konsequenz für die Therapie immer
die stationäre Einweisung in eine Klinik zur Röntgenuntersuchung und ggf. zur operativen
Versorgung der Wunde. Die
Notversorgung vor Ort erfolgt
als schonende mechanische
Wundsanierung, sterile Wundabdeckung und Wundverschluss und Ruhigstellung
durch einen entsprechenden
dicken Verband (Abb. 3) und
Tetanus- und Infektionsprophylaxe. Entzündungshemmende
Abb. 3: Dick gepolsterter Notverband zur Wundabdeckung und
Ruhigstellung der Zehengelenke.
Schmerzmittel sollten in keinem
Fall die noch wechselnde, diagnostisch bedeutungsvolle Symptomatik überdecken und nur
bei sicherer Diagnose und strenger, ausgewählter Indikation angewandt werden.
In der Klinik wird der Patient
nach der Röntgenuntersuchung
zur endgültigen Wundversorgung in Vollnarkose gelegt. Das
Gelenk wird verletzungsfern
punktiert und mit einer nichtreizenden Flüssigkeit zur Wundöffnung hin durchgespült (Abb. 4).
Die Wunde wird soweit erforderlich chirurgisch saniert und
Weichteil- und Knochenschäden
soweit möglich anatomisch rekonstruiert und die Haut durch
Naht verschlossen. Ein fixierender Verband stellt das Gelenk ruhig und unterstützt eine primäre
Wundheilung.
Die Aussicht auf vollständige
Ausheilung einer offenen Gelenkverletzung wird zwar von
vielen Faktoren bestimmt, ist jedoch gut bei frühzeitiger, richtiger und konsequenter Behandlung.
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Abb. 4: Alte, offene Fesselgelenkverletzung mit eitriger Infektion,
die nach Nahtversuch wieder
aufgeplatzt ist und letztendlich
sekundär heilen muss.
2. Sterile Gelenkentzündung
nach gedeckten Verletzungen
(Arthritis)
Eine gedeckte Gelenkverletzung
ereignet sich als einmaliges oder
wiederholtes Trauma und kann
je nach Ausmaß der Gelenkschädigung alle beschriebenen
Lahmheitsgrade verursachen.
Eine Quetschung (Kontusion)
wird durch Stoß, Schlag, Aufprall oder Verkantung ausgelöst.
Die Verstauchung (Distorsion)
ist dadurch gekennzeichnet,
dass die Gelenkflächen durch eine Gewalteinwirkung (übermäßige Beugung, Streckung,
Drehung oder Verkantung bei
Fehltritt, Sturz, Wendung oder
Hängenbleiben) ihre Lage zueinander kurzfristig ändern. Die
Verrenkung (Luxation) dagegen
ist eine anhaltende Lageveränderung der Gelenkflächen.
Je nach Stärke und Einwirkung
des die Gelenkentzündung verursachenden Traumas beginnt
die Entzündung akut an der Innenauskleidung der Gelenkkapsel. Klinisch fällt eine vermehrte
Füllung des Gelenksackes auf
Lahmheitsgrad und Schmerzreaktionen bei der Untersuchung
sind abhängig von der durch
den Druckanstieg im Gelenk
verursachten,
schmerzhaften
Dehnung der Gelenkkapsel. Bei
einer Quetschung oder Überdehnung der Gelenkkapsel, der bänder und des umliegenden
Weichteilmantels entsteht eine
warme schmerzhafte Schwellung der Gelenkregion durch
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Blutungen und Flüssigkeitsansammlung in den geschädigten
Gewebeanteilen. Im weiteren
Verlauf entstehen durch die entzündlich oder blutig veränderte
Gelenkschmiere auch Schäden
am Gelenkknorpel als Aufrauhung
und
vermehrter
Abrieb. Die akuten Entzündungserscheinungen im Weichteilgewebe des Gelenkes gehen
oft in eine chronische Verlaufsform mit einer sogenannten Gelenkgalle über. Gequetschte und
verstauchte Gelenke bleiben für
nachfolgende Traumatisierungen anfällig. Aus einer akuten
Arthritis kann eine chronische
Arthrose mit röntgenologischen
Veränderungen entstehen, insbesondere wenn die Behandlung nicht konsequent durchgeführt wurde.
Die Diagnose einer akuten Gelenkentzündung stützt sich auf
die Befunde der klinischen Untersuchung. In einzelnen Fällen
kann mit einer Ultraschalluntersuchung die Gewebeschädigung
dokumentiert werden. Die Röntgenuntersuchung ist mit Ausnahme bei Verrenkungen und
Gelenkfrakturen in den meisten
Fällen einer akuten Gelenkentzündung ohne besonderen Befund.
Die Therapie der sterilen Gelenkentzündung erfolgt als lokale
Verbandsbehandlung. Ein dicker
Verband soll Nachblutungen und
Flüssigkeitsansammlungen vermeiden, Schmerzen lindern und
durch Bewegungseinschränkung
günstige Heilungsbedingungen
schaffen. Bei komplizierten Verstauchungen und Verrenkungen
ist eine Klinikeinweisung empfehlenswert. Ein blutiger Gelenkerguss sollte im Verlauf der
Behandlung bei unveränderter
Schmerzhaftigkeit abpunktiert
werden und die korrekte Gelenkstellung und eine anatomische
Rekonstruktion der Gelenkweichteile muss evtl. chirurgisch
in Vollnarkose wieder hergestellt
werden. Bis 48 Stunden nach
der akuten Traumatisierung
wirkt Kühlung der Entzündung
entgehen. Danach fördern
feuchtwarme Verbände und
durchblutungsfördernde Einreibungen die Rückbildung von
Schwellungen. Bei gesicherter
Diagnose und röntgenologisch
ausgeschlossenen Komplikationen kann der Tierarzt zusätzlich
in den ersten Tagen der Behand-
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lung entzündungshemmende
Schmerzmittel zur oralen Verabreichung verordnen. Unabhängig von der örtlichen und allgemeinen Medikation hängt das
Behandlungsergebnis in erster
Linie davon ab, dass das Gelenk
je nach Ausmaß der Schädigung
1 – 2 Wochen geschont wird. In
den meisten Fällen heißt das Boxenruhe. Danach darf das Pferd
aufbauend im Schritt, Trab und
Galopp nur kontrolliert unter
dem Reiter bewegt werden. Unkontrolliertes Longieren, Laufenlassen oder Weidegang sind
schon bei einer „harmlosen“
akuten Gelenkentzündung in jedem Fall zu vermeiden.
Abb. 5: Hufgelenk im Längsschnitt
mit Gelenkwalze des Kronbeines
und Gelenkpfanne des Huf- und
Strahlbeines. Gelenkknorpel
überzieht die Kontaktflächen der
Knochenenden.
3. Chronische Gelenkentzündung mit Gewebeveränderungen (Arthrose)
Die beschriebenen Entzündungsformen
können
als
selbständige
Kranheitsbilder
vorkommen oder als aufeinanderfolgende Stadien einer sich
verschlimmernden Gelenkerkrankung zu einer Arthrose
führen (Abb. 5). Wiederholte
Fehl- oder Überbelastung eines
Gelenkes können aber auch
schleichend zu Ernährungsstörungen des Gelenkknorpels,
zu Instabilität im Gelenk und
zur Entstehung von knöchernen Zubildungen oder Verformungen führen. Ursachen
der Fehl- und Überbelastung
sind beispielsweise angeborene
und erworbene Fehlstellungen,
Wachstums- und Entwicklungstörungen am Skelett, Fehlbelastung und Entlastung in
Gelenken bei mittel- und hochgradigen Lahmheiten, Überbeanspruchung
bei
unsachgemäßer Haltung, Nutzung und
Hufpflege u.a.m.
Eine Arthrose wird meist erst im
fortgeschrittenen Stadium dem
Tierarzt als chronische, oft immer wiederkehrende, entweder
undeutliche bis gering- oder mittelgradige oder wechselhaft starke Lahmheit zur Untersuchung
vorgestellt. In vielen Fällen sind
keine sicht- oder fühlbaren
Veränderungen an den Gelenken
feststellbar und es muss eine
zeitaufwendige Lahmheitsuntersuchung mit verschiedenen
Provokationsproben, Belastungsuntersuchungen
(Longieren,
Vorreiten, Vorfahren), diagnostischen Injektionen, Gelenkdruckmessungen und über den
Standard erweiterte Röntgenund Ultraschalluntersuchungen
durchgeführt werden. In therapieresistenten Fällen ergibt oft
erst eine Inspektion des Gelenkes mit Hilfe der Arthroskopie
(Gelenkspiegelung) in Vollnarkose Aufschluss über Qualität
und Ausmaß einer Gelenkzerstörung. Diese Technik hat dann
letztendlich neben der diagnostischen auch eine therapeutische
Bedeutung.
Bei exakter Diagnose zielt die
Therapie auf eine biomechanisch optimierte, der Stellung
des Pferdes angepaßte Bewegung und auf die Regeneration
des Gelenkstoffwechsels. Manifeste
Gewebeveränderungen,
insbesondere knöcherne Veränderungen (Abb. 6), sind unheil-
Abb. 6: In der seitlichen Röntgenaufnahme dokumentierte, arthrotische Knochenzubildung an
der Vorderseite des Krongelenkes, die bei von außen sichtbarer und knochenhart tastbarer
Umfangsvermehrung als Krongelenkschale bezeichnet wird.
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bar und therapeutische Maßnahmen führen im günstigsten
Fall zu einer funktionellen Anpassung des Bewegungsapparates für eine lahmfreie Nutzung
des Pferdes. Wichtig sind die
Aufklärung und Sensibilisierung
des Besitzers des Pferdes für die
Art und Entwicklungsmöglichkeiten dieser speziellen Gelenkerkrankung.
Zur Regeneration des Gelenkstoffwechsels ist die direkte Gelenkbehandlung durch Injektion von Hyaluronsäure eine
bewährte Methode. Therapieflankierend sind ein orthopädischer Beschlag, ein kontrolliertes Bewegungstraining (Reiten)
in der noch lahmfreien Gangart
(meist Schritt) und physikalische Verbandsbehandlungen
als Kühle- und Wärmeapplikation während des Stallaufenthaltes nach dem „Reha-Training“
Abb. 7: Knochenpräparat eines
Spatpatienten. Die straffen
Sprunggelenksabteilungen sind
„blumenkohlartig“ knöchern
überwuchert und durchbaut.
Auch Pferde brauchen Schlaf
Zum Ruheverhalten des Pferdes
Pferde ruhen im Stehen und im
Liegen. Etwa ein Drittel eines Tages, meist sechs bis acht Stunden, werden zum Ausruhen
benötigt. Fohlen haben längere
Ruhezeiten, sie liegen oft bis zu
zehn Stunden. Nicht artgerechte
Haltung kann das Ruheverhalten
unserer Hauspferde nachhaltig
beeinflussen. Als Folge können
nicht nur vermehrt Gesundheitsschäden, sondern auch Verhaltensanomalien auftreten.
Ausgewachsene Pferde verbringen gut die Hälfte ihrer Ruhezeiten im Liegen, der andere Teil
wird im Stehen „verdöst“. Dösen
ist ein Zwischenstadium zwischen Wachen und Schlafen.
Die Tiere zeigen hier bereits
leicht herabgesetzte Atemfrequenz, geschlossene Augenlider
und entspannte Muskulatur.
Das Pferd belastet beim Dösen
regelmäßig nur eines seiner bei-
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den Hinterbeine, indem ein Huf
nur mit der Vorderkannte aufgesetzt wird. Nach etwa vier Minuten wird die charakteristische
Stellung dann gewechselt. Vor
allem ältere Pferde, welche beim
Hinlegen und Aufstehen schon
Schwierigkeiten haben, dösen
bevorzugt im Stehen.
Tiefschlafphasen aber kann das
Pferd nur im Liegen ausführen.
Hinlegen und Aufstehen erfolgt
beim Hauspferd in sehr charakteristischer Weise. Beim Hinlegen werden die Beine unter
dem Körper versammelt, dann
zunächst die Vorderfußwurzelgelenke leicht und anschließend
alle vier Beine fast gleichzeitig
gebeugt. Das Aufstehen beginnt
immer mit einer Streckung der
Vorderbeine und einer Aufrichtung des Vorderkörpers. Pferde
schlafen in Brustlage oder in
ausgestreckter Seitenlage. Der
Tiefschlaf selbst wird in zwei
verschiedene Intensitätsstufen
unterteilt. In Brustlage wird
von entscheidender Bedeutung.
Der Einsatz von entzündungshemmenden
Schmerzmitteln
oder Kortisonhaltigen Präparaten
sollte vom Tierarzt entsprechend
des klinischen Stadiums der Erkrankung wohl überlegt angeordnet und kontrolliert werden.
Entzündungshemmende
Schmerzmittel haben ernstzunehmende Nebenwirkungen bei
langdauernder Anwendung und
führen entweder zur schonungslosen Belastung und damit zur
weiteren Zerstörung des Gelenkes oder sind in fortgeschrittenen Fällen wirkungslos.
Ab einem gewissen Stadium
der Gelenkzerstörung führen
die Gewebereaktionen besonders in straffen Gelenken zu
einer Versteifung und knöchernen Durchbauung, wie z.B. bei
der Entwicklung einer sogenannten Schale an den Zehen-
gelenken oder bei der Spaterkrankung an den straffen Abteilungen des Sprunggelenkes
(Abb. 7). Operative Maßnahmen zur Wiederherstellung einer lahmfreien Funktion sind
bei einer Schale der Zehengelenke dann als „ultima ratio“
der Nervenschnitt oder bei der
Spaterkrankung die chirurgische Beschleunigung der Versteifungsreaktionen durch Aufbohren der Gelenkspalten und
Transplantation von Knochenmaterial aus der Hüfte des
Patienten. Bei vollständiger
Durchbauung sind die straffen
Sprunggelenksabteilungen nicht
mehr schmerzhaft und das
Pferd kann lahmfrei genutzt
■
werden.
der sogenannte „Slow-WaveSchlaf“ ausgeführt. Herz- und
Atemfrequenz sind deutlich reduziert, das Pferd schläft ruhig
und tief. Nur in ausgestreckter
Seitenlage wird außerdem ein
„Rapid-Eye-Movement-Schlaf“
ausgeführt. Hier zeigt das Pferd
ausgeprägte kurze Tiefschlafphasen, die mit einer schnellen
Bewegung der Augen und auch
mit unwillkürlichen Muskelzuckungen an den Gliedmaßen
verbunden sind. Entzieht man
Pferden diese Tiefschlafphase,
dann können ganz erhebliche
Gesundheitsschäden
folgen.
Fohlen und jüngere Pferde liegen oft und lange in Seitenlage.
Ältere Pferde können die Seitenlage aber meist nur über 15 bis
25 Minuten einnehmen, da es
hier leicht zu einer Beeinträchtigung der Atemfunktion kommen kann.
Über den ganzen Tag verteilt
zeigt das Pferd charakteristische
Ruhephasen. Diese sind bei
Dunkelheit deutlich länger ausgeprägt. Allgemein werden Tiefschlafphasen nur in vertrauter
Umgebung durchgeführt. So legen sich Pferde in einer neuen
noch unbekannten Umgebung,
zum Beispiel nach Weideauftrieb, zunächst wenig hin. Hier
wird das Tiefschlafverhalten
meist erst nach vier Wochen
normalisiert. Reichliches Futterangebot, auch energiereiches
Stallfutter, verlängert die Ruhephasen. Grundsätzlich müssen
sich Pferde wohl fühlen, um ausreichende Ruhezeiten einzuhalten. So reduzieren Absatzfohlen
ihre Schlafzeiten bei der nicht
artgerechten Einzelhaltung um
fast 25 Prozent. Für eine optimale Erholung müssen Pferde auch
die Seitenlage mit voll ausgestreckten Beinen einnehmen.
Dies ist bei der Planung von
Stand- und Liegeflächen unbedingt zu beachten. Auch zu kurz
angebundene Pferde können
sich nicht in der ausgestreckten
Seitenlage hinlegen. So ist zu beachten, dass den Pferden auch
hier genügend Raum angeboten
wird.
■
Ein besonderer Dank an
Prof. Hertsch für die Überlassung
des Bildmaterials.
Dr. Ines von Butler-Wemken
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