récréatIonS
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Serie | Pause Récréations Spiel und Ernst auf dem Pausenplatz In einer Serie von vier Beiträgen umkreist ph akzente das Thema «Pause». Im vorliegenden ersten Beitrag wird der Dokumentarfilm Récréations von Claire Simon vorgestellt, der subtile Einblicke in das Pausengeschehen eines Kindergartens gewährt. | Susan Gürber Céline: Tu me donnes un bâton? Alexandre: Non! Je t’en donnerai jamais! De toute la vie! Céline: Qu’est ce que tu fais, Alexandre? Alexandre: Je joue à, je joue à, à .. Je suis un humain qui est dans une maison. Céline: Est-ce que tu veux que j’aille chercher des bâtons pour toi? Hein? Tu veux ou pas? Alexandre: Oui, des pas mouillés! Céline: D’accord! Alexandre schützt die von ihm gesammelten Stäbe wie sein eigenes Leben vor fremdem Zugriff, denn er braucht sie, die kurzen Äste des Marronibaums auf dem Pausenhof eines Pariser Kindergartens, um sein Haus fertig zu bauen. Für sein Haus hat er das geeignete Territorium im kleinen Graben, rund um das Rohr der Dachrinne, gefunden. Nachdem ihre Bitte um ein paar der kost- baren Stäbe nicht gefruchtet hat, anerbietet sich Céline als Alexandres Assistentin, um Zutritt zu Alexandres Spiel zu erhalten. Die beiden etwa 5-Jährigen gehen sodann eine Bande ein, in der die Rollen klar verteilt sind. Céline erfüllt ihre Rolle und sammelt zusätzliche zu Boden gefallene Hölzchen. Sie bringt ihren Ertrag Alexandre, der sie instruiert, wie sie Ehepaar spielen werden, wo sie sich im halbfertigen Haus nun zum Schlafen hinlegen soll. Während einer nächsten Pause hat sich diese Haus- und Spielgemeinschaft bereits wieder aufgelöst. Doch Alexandre wird nicht lange alleine gelassen. Immer wieder wehrt er sich mehr oder weniger erfolgreich gegen Attacken auf sein «Stabhaus». Dann anerbietet sich Eric, mit ihm gemeinsam das Haus zu bauen. Wiederum definiert Alexandre die Regeln des Spiels und die häuslichen Zuständigkeiten zwischen dem sich im Spiel neu formierenden Freundespaar. 28 ph I a kzente 1 /2 009 Alexandre: Tu viendras dans ma maison, quand j’aurai fini ma maison! J’ai pas encore construit! Eric: Je vais la construire avec toi, comme ça, comme ça ça sera génial et comme ça on pourra jouer tranquillement avec plus personne et si quelqu’un nous embête je peux L’attaquer parce que moi j’ai 6 ans et demi. Et t’es le plus gentil, je suis ton meilleur copain, je t’invite. Alexandre: Non mais à condition que, que tu, que tu vas, tu vas aller faire des courses. Eric: D’accord, d’accord. Faut prendre des bâtons. Alexandre: Non, non moi je fais la maison et toi tu vas faire les courses. Comme ça on aura une maison et on aura à manger. Auf ihrer Website beschreibt die Dokumentarfilmerin Claire Simon die Motivation zu ihrem Film Récréations: Die Idee, einen Film über Pausenaktivitäten und Pausenspiele von Vorschulkindern zu machen, hatte sie, als sie ihre eigene Tochter am ersten Kindergartentag begleitete. Wenn ihre Tochter hier lebend herauskommt, wird sie später im Leben überall bestehen können, dachte Simon. Denn auf dem Pausenplatz sehen sich die Kinder das erste Mal ihren (gleichaltrigen) Mitmenschen gegenüber ohne erwachsene Bezugspersonen, die ihnen sagen, was sie tun oder lassen sollen. Auf sich allein gestellt, sind sie gezwungen, sich im Spiel im sozialen Miteinander und Gegeneinander auszuprobieren. Es gilt, Spielregeln auszuhandeln, Allianzen zu schmie- den und den eigenen Platz zu verteidigen. (Geschlechts-)Rollen wollen erkundet werden, Mutproben sind zu bestehen. Die kleinen Pausenplatzbewohner werden drangsaliert und sie drangsalieren andere; sie erfahren Macht- und Ohnmachtgefühle im täglichen Zusammenleben. Ethnografische Zugänge Der amerikanische Soziologe William Corsaro hat das Spielverhalten von 3- bis 6- jährigen Vorschulkindern in den USA und Italien ethnografisch erforscht. In seinem Buch The Sociology of Childhood beschreibt er, wie wichtig für die Zugehörigkeit zur Gleichaltrigengruppe die Erfahrung des gemeinsamen Teilens und die Kontrolle über das eigene Territorium und die eigenen Besitztümer sind. Corsaro machte sich bei seiner Feldforschung mit den Kindern vertraut, indem er über längere Zeit mit ihnen zusammen spielte, sich mit ihnen in den Sandkasten setzte, an ihren Gesprächen teilnahm und so ein akzeptiertes Mitglied der Spielgruppe wurde. Im Verlauf seiner teilnehmenden Beobachtung stellte er fest, welch grosse Herausforderung das Aufbauen und Bewahren von Beziehungen im Spiel darstellt, wie anspruchsvoll es ist, sich Zutritt zu einer angepeilten Spielgruppe zu verschaffen. Corsaros kleine Mitspieler unternahmen ständig Anstrengungen, ihr erlangtes Territorium zu besetzen und vor unliebsamen Eindringlingen zu verteidigen. Die Kinder, denen es gelungen ist, zu einer Spielgemeinschaft zusammenzufinden, wollten diese temporäre Zugehörigkeit aufrechterhalten und betrachteten Nicht-Mitglieder als lauernde Gefahr. Blieben Bemühungen, in einen bestimmten Kreis aufgenommen zu werden, erfolglos, entwickelten die Kinder immer komplexere, subtilere Zugangsstrategien. Für Corsaro sind diese im Spiel erlernten Strategien die eindeutigen Vorläufer der sozialen Kunstfertigkeiten, mit denen sich Erwachsene Zutritt zu bestimmten Gesellschaftskreisen verschaffen. Auf Augenhöhe der Kinder Die von Corsaro beschriebenen Mechanismen werden im Film von Claire Simon eindrücklich beobachtbar. Doch im Unterschied zur Methode des amerikanischen Feldforschers betont die Regisseurin, wie wichtig es für ihren filmischen Zugang war, die Kinder auf dem Pariser Pausenhof nicht zu kennen, nichts über sie zu wissen. Zu Beginn ihrer Filmarbeit erklärte sie den Kindern, dass sie sich auf dem Pausenplatz nicht als ihre Spielkameradin und nicht als Lehrerin aufhielt, sondern dass sie als «grosses Kind» ihr Spiel filmen wollte und sich für die Geschichten interessierte, die sie erfinden, da diese Wichtiges über die kleinen und die «grossen Kinder» erzählten. Nach anfänglicher Neugier nahmen die in ihre Pausenaktivitäten versunkenen Kinder bald kaum mehr Notiz von der Filmemacherin. Auf Augenhöhe der Kinder verfolgte Simon mit der portablen Videokamera einzelne Geschichten, die aus dem anfangs chaotisch anmutenden Durcheinander auf dem Pausenplatz um einzelne Grüppchen und Orte herum sich herauszukristallisieren begannen. Auf diese Weise fing sie von den Kindern erschaffene kleine Welten ein, die Erwachsenen im Alltag meist verborgen bleiben. Dank ihrer Haltung der Nicht-Intervention und ihrer Aufmerksamkeit, ihres Gespürs für sich aus dem Moment heraus entwickelnde Geschichten, gelangen der Dokumtarfilmerin Aufnahmen von eindringlicher Intensität. Es sind Dramen, die sich in den verschiedenen Winkeln des Pausenhofs abspielen. Szenen wie diejenige, in der ein paar ältere Mädchen die kleine Nathalie dazu ermutigen, endlich auch über die Sitzbank zu hüpfen und dabei subtil Druck auf die Kleine ausüben, indem sie wiederholt anmahnen, dass das in ihrem Alter doch ein Kinderspiel sein sollte, sind an Spannung kaum zu überbieten. Die innere Zerrissenheit Nathalies, die springen will, sich aber nicht getraut, ihre Ohnmacht und Wut, sind an ihrem Gesicht ablesbar. Es ist ergreifend, Nathalie dabei zuzusehen, wie sie, mit sich ringend, sich zögerlich der Sitzbank nähert. Ob sie den Sprung schaffen wird? Adela: T’as vu? Et toi tu sais pas le faire? Myriam elle est plus petite que toi et elle sait le faire! A ton âge! Non allez! Mets toi debout! Je te donne la main! Tiens! Tu sais le faire? Nathalie: Non mais j’ai peur! Adela: Essaye! Nathalie: J’arrive pas moi! Adela: Tout le monde le fait sauf toi qu’arrives pas! Julie: Moi j’arrive, regarde, regarde! Adela: Tout le monde arrive! Julie: Regarde Adela! Axelle: Moi aussi j’y arrive! Nathalie: Je suis trop petite! Vielleicht fiebern wir so stark mit Nathalie mit, weil wir Erwachsene auch einmal an ihrer Stelle standen, vor der einen oder anderen schier unüberwindbaren Hürde. Oder in Claire Simons Worten: «Pour nous, les adultes, la récréation c’est du vacarme, un vacarme joyeux. De loin. Mais si l’on s’approche et qu’on regarde les enfants jouer d’un peu plus près on se souvient très vaguement. On se souvient qu’heureusement depuis on a grandi. On chasse vite les souvenirs. […] Parfois on a vraiment tout oublié, et ça ne fait rien puisque tout ça, c’est fini maintenant. Vraiment fini? Pas sûr. Les histoires des enfants dans la cour ressemblent aux nôtres, et pas seulement à celles de notre en- fance oubliée. Elles ressemblent à celles que nous vivons chaque jour, nous les adultes, c‘est à dire ces histoires, ces drames que nous éssayons sans cesse d’éviter, eux, les enfants, n’y coupent pas. Ils ne savent pas encore très bien biaiser. Ils apprennent.» Récréations Regie: Claire Simon. Les Films d’ici / La Sept – Arte, 1992, 54 Min. Sprache: Französisch; Untertitel: Englisch, Spanisch. Zu beziehen bei: www.artfilm.ch; CHF 37.00 www.clairesimon.fr William Corsaro: The Sociology of Childhood, Pine Forge Press, Thousand Oaks, 2005. Susan Gürber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Zürich und Redaktorin bei ph akzente. [email protected] ph I a kzente 1 /2009 29