Karriere einer Kackbratze

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Karriere einer Kackbratze
BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
Karriere einer Kackbratze
Angela Merkel und Matthias Platzeck haben's schon geschafft - und bald auch ich
Ich stehe kurz vor dem Durchbruch. Angela
Merkel und Matthias Platzeck haben den Anfang
gemacht. So einen Ost-West-Transfer wie in der
Politik muss es nun bald auch in anderen
Bereichen geben. Vor allem dort, wo die
Menschen Zerstreuung suchen: in der
Unterhaltung.
Statt einer Einladung zum Casting bekam ich die
Kassette zurück und eine vorgedruckte Absage.
Die, die genommen wurden, haben es
anscheinend nicht gebracht. Wenige Jahre später
wurde der Beruf des Fernsehansagers jedenfalls
abgeschafft. Ich empfand Genugtuung. Wenn im
Fernsehen nichts Gutes kommt und ich richtig
Leider ist mit den Osthanseln, die es jenseits des lachen will, schaue ich mir meine
Bewerbungskassette an.
MDR geschafft haben, nicht viel Staat zu
machen, zumal ihre Namen leider nicht nur
Schall und Rauch sind: Kai Pflaume, Karsten
Speck, Carmen Nebel. Ich könnte jetzt stöhnend
ausrufen: "Muss man denn alles selber
machen?", aber das tue ich nicht. Dafür ist die
Lage auch in der Unterhaltungsbranche zu ernst.
Wenige Monate später bewarb ich mich bei
"Spaß mit Grit", einer Sketchsendung, für die die
Boulevardschauspielerin Grit Boettcher neue
Gesichter mit schauspielerischer Erfahrung
suchte. Auf eine Kassette verzichtete ich. In der
Bewerbung betonte ich, dass man ohne
Schauspielerei im Osten gar nicht überleben
Ich habe mich schon fürs Westfernsehen
beworben, als die Zeit für Ostler noch nicht reif konnte, ich also ein Naturtalent sei und - da ich
den sächsischen Dialekt perfekt beherrsche war. 1991 suchte das öffentlich-rechtliche
überdies ein Lachgarant. Wieder erhielt ich eine
Fernsehen per Zeitungsanzeigen Ansager und
Ansagerinnen. Ich fühlte mich angesprochen und vorgedruckte Absage. Die Westler saßen noch zu
fest im Sattel. Als die Sendung nach wenigen
schrieb einige flockige Sätze zum Ankündigen
Folgen abgesetzt wurde, empfand ich wieder
der "Knoff-Hoff-Show", der Westernkomödie
Genugtuung. Ich wusste, meine Zeit würde
"Vier für Texas", des "Sportstudios" und der
kommen.
Ziehung der Lottozahlen.
Schwieriger war das Anfertigen der
Bewerbungskassette. Der Freund eines Freundes,
ein Tontechniker, bot mir an, die Aufnahmen in
seiner Kreuzberger Hinterhofwohnung zu
machen. Mit einem Koffer voller Klamotten, für
jede Ansage ein anderes Erscheinungsbild, ritt
ich bei ihm ein und tat, was ich im Osten gelernt
hatte: improvisieren. Alte Obstkisten stapelte ich
zu einem Stehtisch auf, an den ich mich mit dem
Unterarm lehnte. Aus verstaubten Strohblumen,
die ich in eine Milchflasche steckte, zauberte ich
eine Studiodekoration. Den Rest glich ich mit
meinem Charme aus.
Leider hatte der Tontechniker keinen guten Tag.
Meine tollen Texte, das gehauchte "Toi, toi, toi"
zur Ziehung der Lottozahlen, alles für die Katz.
Der Ton war so schlecht, dass das Rascheln der
Trockenblumen, verursacht von meinem
zitternden Unterarm auf dem Obstkistentisch,
meine Stimme überdeckte.
Vor einigen Monaten lud Kurt Krömer, ein
Berliner Komiker, der mittlerweile in allen
dritten Programmen des öffentlich-rechtlichen
Fernsehens läuft, zu einer CD-Liveaufzeichnung
in einen Club. Ich musste so sehr lachen, dass
ich mir fast in die Hosen machte. Als ich
unauffällig zur Toilette schleichen wollte,
unterbrach dieser Komiker sein Programm: "Wo
kommen Sie denn jetzt her?" Wahrheitsgemäß
antwortete ich: "Ich muss pullern!" - "Pullern?
Wir machen hier 'ne CD!", blökte er von der
Bühne, "Sie können doch nicht pullern gehen!
Dann halten Sie's zurück oder ziehen's hoch und
spucken es ins Glas!"
Als ich trotzdem pullern ging, hallte mir sein
"So, wir warten!" im Ohr, und ich hatte das
Gefühl, dass das ganze Publikum zuhört. Aber es
hat sich gelohnt. Ich bin auf der CD verewigt,
die unter dem Titel "Na Du alte Kackbratze!"
erschienen ist. Der Titel von Stück Nummer 5,
das 1:05 Minuten dauert, lautet: "Als Bollwahn
von der taz pullern ging."
Wer's nicht glaubt, kaufe die CD. Hab ich nicht
gesagt, dass ich kurz vor dem Durchbruch stehe?
Fragen zur Karriere?
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Morgen: Dieter Baumann über LAUFEN
Seite 14
taz Nr. 7815 vom 9.11.2005 Seite 14 134 Zeilen a0141
Kommentar BARBARA BOLLWAHN
Kolumne
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