Lehrveranstaltung Statik der Baukonstruktionen III
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Lehrveranstaltung Statik der Baukonstruktionen III
Technische Universität Berlin Fachgebiet Statik der Baukonstruktionen Prof. Dr.–Ing. Rudolf Harbord Lehrveranstaltung Statik der Baukonstruktionen III – Rechnerorientierte und nichtlineare Statik von Stabtragwerken – Berlin ⋅ März 2004 Inhaltsverzeichnis Seite Einführung Literatur 6 8 Teil 1: Verfahren der Stabsteifigkeiten 1/1 1.1 Allgemeines 1/1 1.2 Topologische und geometrische Systembeschreibung 1/1 1.3 Lokale Stab– bzw. Elementbeschreibung 1/ 9 1.3.1 Problemformulierung mit Differentialgleichungen 1/ 9 1.3.2 Problemformulierung mit Arbeitsgleichungen 1 / 16 1.3.3 Näherungsansätze und Diskretisierung 1 / 24 1.3.4 Matrizendarstellung des PvW 1 / 29 1.4 Baustatische Systembeschreibung 1 / 36 1.4.1 Systemgleichung 1 / 36 1.4.2 Berechnung der Weg– und Lagergrößen 1 / 41 1.5 Nachlaufberechnung zur Berechnung der Schnittgrößen 1 / 44 1.6 Beispiel 1 / 47 1.7 Abschätzung der Genauigkeit 1 / 59 1.8 Elastisch gebettete Stabtragwerke 1 / 66 1.9 Lastfall Temperatureinwirkungen 1 / 77 –1– Seite Teil 2: Theorie II. Ordnung 2/1 2.1 Einführung in die Problematik 2/1 2.1.1 Allgemeines 2/1 2.1.2 Einführungsbeispiel 2/3 2.1.3 Berechnung als Spannungsproblem 2/4 2.1.3.1 Iteration mit verändertem 0– Zustand 2/8 2.1.3.2 Iteration mit veränderten m– Zuständen 2 / 11 2.1.4 Kontrolle der Stabilität 2 / 15 2.1.5 Vergleichsberechnung mit einem Programm 2 / 17 2.1.6 Erkenntnisse und weitere Vorgehensweise und Literatur 2 / 19 2.2 DGL Theorie II. Ordnung 2 / 22 2.2.1 Nichtlineare Kinematik 2 / 23 2.2.2 Materialverhalten 2 / 27 2.2.3 Elastische Verträglichkeit 2 / 27 2.2.4 Gleichgewicht am verformten System 2 / 28 2.2.5 Ableitung der DGL Theorie II. Ordnung 2 / 31 2.2.6 Superposition von Lösungen 2 / 32 2.3 DWV für Theorie II. Ordnung 2 / 33 2.3.1 Lokales Tragverhalten 2 / 34 2.3.2 Globales Tragverhalten 2 / 43 2.3.3 Bewertung der unterschiedlichen Einflüsse 2 / 45 2.3.4 Zugbeanspruchte Grundstäbe 2 / 45 2.3.5 Zahlenbeispiel zum DWV 2 / 48 –2– Seite 2.4 VdS für Theorie II. Ordnung 2 / 60 2.4.1 PvW für Theorie II. Ordnung 2 / 60 2.4.2 Näherungsansätze für Theorie II. Ordnung 2 / 63 2.4.3 Vergleich zwischen DWV und VdS 2 / 66 2.4.4 Iterative Berechnung auf Systemebene 2 / 68 2.4.5 Zahlenbeispiel zum VdS 2 / 70 2.5 Stabilität von Gleichgewichtszuständen 2 / 73 2.5.1 Grundlagen der Stabilitätstheorie I. Ordnung 2 / 75 2.5.2 Bewertung der Stabilitätskontrolle 2 / 79 2.5.3 Stabilitätskontrolle beim DWV 2 / 81 2.5.3.1 Determinanten–Iteration 2 / 81 2.5.3.2 Zahlenbeispiel zur Determinanten–Iteration 2 / 82 2.5.4 Stabilitätskontrolle beim VdS 2.5.4.1 2.5.4.2 Rayleigh–Quotient und allgemeines Eigenwertproblem 2 / 84 Zahlenbeispiel zum Eigenwertproblem 2 / 85 2.6 Einfluß von Imperfektionen 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2 / 84 2 / 87 Grundlage der Berechnung von imperfekten Tragwerken 2 / 89 Erfassung von Imperfektionen mit dem DWV 2 / 92 2.6.2.1 Vorgehensweise 2 / 92 2.6.2.2 Zahlenbeispiel 2 / 95 Erfassung von Imperfektionen mit dem VdS 2 / 99 2.6.3.1 Lastspalte des Lastfalls Imperfektionen 2 / 99 2.6.3.2 Zahlenbeispiel zum VdS 2 /102 –3– Seite Teil 3: Fließgelenktheorie 3/1 3.1 Allgemeines 3/1 3.2 Voraussetzungen 3/ 7 3.3 Plastischer Erschöpfungszustand von statischen Systemen 3/ 8 3.4 Verfahren der stetigen Laststeigerung 3/ 9 3.5 Statischer Traglastsatz 3 / 13 3.6 Kinematischer Traglastsatz 3 / 13 3.7 Einschließungssatz 3 / 14 3.8 Anwendung des statischen Traglastsatzes 3 / 15 3.9 Anwendung des kinematischen Traglastsatzes 3 / 16 3.10 Vergleich zwischen Elastizitäts– und Plastizitätstheorie 3 / 17 3.11 Anwendungsbeispiel 3 / 18 3.11.1 Aufgabenstellung 3 / 18 3.11.2 Berechnungssystem 3 / 19 3.11.3 Ergebnisse und Diskussion 3 / 21 3.12 Bewertung der Verfahren 3 / 30 3.13 Schlußbemerkung 3 / 31 –4– Teil 4: Anwendungsbeispiel aus dem Konstruktiven Ingenieurbau Bei Bedarf im Institut Statik der Baukonstruktionen der TU Berlin Sekr. TIB1–B5 Gustav–Meyer–Allee 25 13 355 Berlin Tel. 030/314 72 320 Fax 030/314 72 321 E–mail statik@tu–berlin.de erhältlich. –1– Einführung Die 4–std. integrierte Lehrveranstaltung Statik der Baukonstruktionen III – kurz Statik III– beendet im Studiengang Bauingenieurwesen die Statikausbildung des Grundfachstudiums. Das Angebot richtet sich daher vorrangig an Bauingenieurstudenten. Sie müssen die Veranstaltung als Pflichtkurs absolvieren. Interessierten Studentinnen und Studenten aus verwandten Ingenieurdisziplinen können aber ebenfalls teilnehmen, um ihre Kenntnisse im Fach Statik zu vertiefen. Voraussetzung zur erfolgreichen Teilnahme sind Vorkenntnisse aus den Lehrveranstaltungen Statik I und II. Gegenstand der Betrachtung sind wie schon in Statik I und II ausschließlich ebene Stabtragwerke. Drei Ziele sollen im Verlauf der Durchführung erreicht werden. Das erste Ziel von Statik III ist eine Einführung in die Grundlagen der rechnerorientierten Stabstatik, um die Handhabung und Anwendungssicherheit von Statik–Programmen durch fundierte Theoriekenntnisse zu unterstützen. Dies geschieht im ersten Teil der Veranstaltung, der sich mit dem Verfahren der Stabsteifigkeiten beschäftigt, einem speziellen Verfahren der Methode der finiten Elemente für Stabtragwerke, das sich aus dem Weg– größenverfahren der Baustatik entwickelt hat. Es repräsentiert den Stand der Technik und ist durch eine Vielzahl von Programmvarianten in der Ingenieurpraxis vertreten. Es gilt als Standardverfahren zur rechnergestützten Bearbeitung von statisch–konstruktiven Auf– gaben und ist als unabdingbarer Bestandteil der Statikausbildung im Grundfachstudium anzusehen, zumal es auch aus theoretischer Sicht eine sinnvolle Ergänzung zu den handrechnungsorientierten Kraft– und Drehwinkelverfahren aus Statik II darstellt. Das zweite Ziel von Statik III ist eine Einführung in die Grundlagen der Theorie II. Ordnung. Dies geschieht im zweiten Teil der Veranstaltung. Die ganze bisherige Betrachtungsweise beruht auf der Annahme, daß zwischen Einwirkung und Beanspruchung von Stabtragwerken ein linearer Zusammenhang besteht. Diese Annahme begründet u.a. das Superposi– tionsprinzip. Ohne dieses Prinzip wäre z.B. der in Statik II vorgestellte methodische Aufbau des Kraftgrößen– und Drehwinkelverfahrens gar nicht vorstellbar. Aus physikalischer Sicht ist die Linearität natürlich nur als Näherung zu werten, die umso genauer zutrifft, je kleiner die Verformungen im Vergleich zu repräsentativen Stababmessungen ausfallen. Nur dann ist es zulässig, den verformten Zustand beim Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen zu vernachlässigen und die Schnittgrößen unmittelbar am unverformten System zu ermitteln. Dieses Vorgehen wird auch als Theorie I. Ordnung bezeichnet. Treten dagegen größere Verformungen auf, ist es ggf. erforderlich, den Einfluß der Verformungen zu berücksichtigen und das Gleichgewicht in physikalisch zutreffender Weise direkt am verformten System zu erfüllen. Die Verformungen sind zunächst noch unbekannt. Daher ist zwangsläufig ein iterativer Prozeß erforderlich, der als Theorie II. Ordnung bezeichnet wird. Der Übergang zwischen den Berechnungstheorien ist fließend und läßt sich i.a. nur durch eine sorgfältige ingenieurmäßige Bewertung abschätzen. Dies ist von besonderer Wichtigkeit, wenn im betrachteten Stabtragwerk große Druckkräfte auftreten und der Übergang schlagartig erfolgen kann, so daß als Sonderfall der Theorie II. Ordnung ein –6– Stabilitätsproblem vorliegt. Vor allem Maßnahmen, die dazu beitragen, Gefährdungspotentiale zu erkennen, die zum Stabilitätsverlust führen, sind Gegenstand der Betrachtung. Sie erfordern zwangsläufig eine fundierte Kenntnis der Theorie II. Ordnung und setzen zusätzlich auch eine gewisse Fähigkeit zur Anwendung von nichtlinearen Theorien voraus. Nur auf dieser Grundlage ist die Standsicherheit von Tragwerken unter allen Umständen zu gewährleisten. Zumindest eine erste Einführung in die Problematik ist daher als unabdingbarer Bestandteil der Statikausbildung im Grundfachstudium anzusehen. Eine weitergehende Beschäftigung mit der übergeordneten geometrisch nichtlinearen Berechnungstheorie von Tragwerken ist dagegen Aufgabe des Vertiefungsstudiums. Das dritte Ziel von Statik III ist eine Einführung in die Grundlagen der Fließgelenktheorie. Dies geschieht im dritten Teil der Veranstaltung. Die bisherigen Betrachtungen auf den Grundlagen der Theorien I. und II. Ordnung beruhen auf der fundamentalen Annahme, daß sich das verwendete Material uneingeschränkt elastisch verhält. Die physikalische Wirklichkeit zeigt aber, daß elastisches Materialverhalten nur bis zu einer speziellen Einwirkungsgrenze zu beobachten ist und danach inelastisches Verhalten auftritt. Die Grenze zwischen Elastizität und Inelastizität ist materialabhängig und wird z.B. bei Beton unter Zugeinwirkung durch das Reißen sehr früh erreicht, während sie sich unter Druckeinwirkung erst wesentlich später einstellt. Stahl verhält sich gegenüber Zug und Druck gleich und verfügt in der Regel über hohe inelastische Tragreserven. Will man sie nutzen, ist ein rechnerischer Nachweis erforderlich. Dies ist nur möglich, wenn die baustatische Beschreibung neben dem elastischen auch das inelastische Verhalten von Materialien erfassen kann. Mit der Fließgelenktheorie ist z.B. ein spezieller ingenieurmäßiger Ansatz bekannt, um dies für Stabtragwerke in anschaulicher Weise zu tun. Eine erste Einführung in diese Theorie ist daher als notwendiger Bestandteil der Statikausbildung im Grundfachstudium anzusehen. Vor allem auch deswegen, um abschätzen zu können, wie sich das in– elastische Materialverhalten auf das Tragvermögen von statischen Systemen auswirkt. Eine weitergehende Beschäftigung mit der übergeordneten Plastizitätstheorie ist dagegen Aufgabe des Vertiefungsstudiums. Der vierte Teil, der die Lehrveranstaltung Statik III abschließt, liegt als separates Ma– nuskript vor. Es wird die praxisnahe Bearbeitung eines Anwendungsbeispiels aus dem Konstruktiven Ingenieurbau geübt. Ziel ist es, baustatische Methoden im Zusammenhang anzuwenden. Gegenstand der Betrachtung ist eine Fußgängerbrücke. Es soll vor allem gezeigt werden, wie man aus Zeichnungen statische Systeme entwickelt und wie man vorzugehen hat, um ingenieurmäßig interpretierbare Ergebnisse zu erhalten. Die Durchführung der Berechnungen erfolgt rechnergestützt mit einem Programm. –7– Literatur /1/ Hees, G., Pohlmann, G.: Baustatik. Hütte: Bautechnik IV, Konstruktiver Ingenieurbau 1, S. 14–359. 29. Auflage, Springer Verlag (1988). /2/ Ahrens, H., Duddeck, H.: Berechnung von Stabtragwerken. Betonkalender II, S. 511–618. Ernst & Sohn Verlag (1980). /3/ Krätzig, W. B.: Tragwerke 2 – Theorie und Berechnungs– methoden statisch unbestimmter Stabtragwerke – 2. Auflage, Springer–Lehrbuch (1994). /4/ Lawo, M., Thierauf, G.: Stabtragwerke. Matrizenmethoden der Statik und Dynamik, Teil 1: Statik, Verlag Vieweg & Sohn (1980). /5/ Harbord, R.: Handbuch zum FE–Stabwerks–Programm FEMAS. TU Berlin (1996). /6/ Zurmühl, R., Falk, S.: Matrizen und ihre Anwendungen, Teil 1 und 2. Springer Verlag (1994). /7/ Rothert, H., Genischen, V.: Nichtlineare Stabstatik. Springer Verlag (1987). /8/ Duddeck, H.: Traglasttheorie der Stabtragwerke. Betonkalender II, S. 1007–1095, Ernst & Sohn Verlag (1980). –8– Teil 1: Verfahren der Stabsteifigkeiten 1.1 Allgemeines Das Verfahren der Stabsteifigkeiten (VdS) stellt die rechnerorientierte Variante des Weggrößenverfahrens für Stabtragwerke dar. Es bildet somit eine wichtige Schnittstelle zwischen der klassischen, anschauungsorientierten Baustatik und der modernen, rechnerorientierten Methode der finiten Elemente, kurz Finite–Elemente–Methode (FEM). In der heutigen Praxis des konstruktiven Ingenieurbaus ist die FEM und speziell das VdS weit verbreitet, da es Anschauung und Rechnerkomfort in idealer Weise mit– einander verknüpft, so daß man es als Standardverfahren der modernen Stab– statik bezeichnen kann. Neben der in Statik III verwendeten Bezeichnung VdS sind auch die Bezeichnungen Verschiebungsgrößenverfahren /1/, verallgemeinertes Weg– größenverfahren /2/, direkte Steifigkeitsmethode /3/, Deformationsmethode bzw. Formänderungsgrößenverfahren /3/ und Matrizenmethode /4/ bekannt. Im Rahmen der Vorlesungen und Übungen, die zum Teil 1 von Statik III stattfinden, wird die grundsätzliche Vorgehensweise mit dem VdS anhand ebener Stabtragwerke vorgestellt und als Beispiele schubstarre, aber dehn– und biegesteife Stabtragwerke berechnet. Zur Berechnung kommt speziell das Programm FEMAS (Finite–Elemente– Methode zur Analyse von Stabtragwerken /5/) zum Einsatz. Man kann natürlich auch jedes andere Stabwerks–Programm einsetzen, das die erforderlichen Optionen anbietet, um Vergleichsberechnungen durchzuführen. Weitere Anwendungen des Verfahrens und des FEMAS–Programms erfolgen im zweiten bis vierten Teil von Statik III. In den weiterführenden, jeweils 4–std. Lehrveranstaltungen Vertiefung I und II wird das VdS auf räumliche und dynamische Probleme erweitert und es werden spezielle Einwirkungen, nämlich die Lastfälle Vorspannung und Erdbeben behandelt. 1.2 Topologische und geometrische Systembeschreibung Das VdS unterscheidet zwischen zwei Betrachtungsebenen, die als System– und Stab– bzw. Elementebenen bezeichnet werden. Die Systembetrachtung ist im wesentlichen eine topologische Beschreibung und daher problemunabhängig. Sie besteht darin, ein Stabtragwerk gedanklich in Einzelstäbe oder noch weitergehend, in eine Vielzahl von finiten (endlichen) Elementen zu unterteilen. Die topologische Zuordnung zur Wiederverknüpfung ist durch die unabhängige Definition von Stab– bzw. Elementnummern einerseits und Knotennummern andererseits in eindeutiger Weise möglich. Sie kann vom Betrachter mit Hilfe einer Inzidenztafel festgelegt werden und muß als Basisinformation enthalten, welche Knotennummern zu welchem Stab bzw. Element gehören. Für das statische System eines ebenen Stabtragwerks (Bild 1.1) ist z.B. eine staborientierte oder eine elementorientierte Unterteilung möglich, ohne irgendwelchen Einschränkungen zu unterliegen. –1/1– F2 F1 p F3 Bild 1.1 : Statisches System eines ebenen Stabtragwerks Die VdS–Berechnungssysteme mit den zugehörigen Inzidenztafeln sind im (Bild 1.2) dargestellt. In dem gewählten Beispiel (Bild 1.1) ist die staborientierte Unterteilung (Bild 1.2a) mit weniger Aufwand verbunden als die elementorientierte Unterteilung (Bild 1.2b). Querschnitts– und Einwirkungsunstetigkeiten werden bereits im Stab erfaßt, so daß sich insgesamt weniger Knotennummern und damit auch Unbekannte ergeben. Allerdings ist bei dieser Vorgehensweise der Aufwand zur theoretischen Beschreibung und Datenversorgung der Einzelstäbe größer als bei der elementorientierten Unterteilung, bei der Querschnitts– und Einwirkungsunstetigkeiten unmittelbar durch die Anordnung von Systemknoten erfaßt werden. In der Ingenieurpraxis wird i.a. die elementorientierte Unterteilung bevorzugt. Die Datenverwaltung ist einfacher, wenn alle Elementkennwerte konstant vorgegeben werden können. Der damit ggf. verbundene Mehraufwand beim Lösen der Gleichungen zur Berechnung der geometrisch unbestimmten Größen ist im Zeitalter leistungsfähiger Rechner unerheblich und wird daher in Kauf genommen. Die topologische Systembeschreibung ist durch die Vorgabe von Geometriedaten zu ergänzen. Dazu zählen vor allem die Querschnitts– und Längenabmessungen der Einzelstäbe bzw. Einzelelemente. Zur geometrischen Systembeschreibung sind eben– falls entsprechende Datentafeln zu definieren. Für das betrachtete Stabtragwerk mit der staborientierten Unterteilung (Bild 1.2a) sind z.B. zwei Geometrietafeln erforderlich (Bild 1.3). Die Geometrietafel I erfaßt die geometrische Lage aller Systemknoten und die Geometrietafel II die Fläche A und das Trägheitsmoment I der einzelnen Stabquerschnitte. –1/2– Stab 2 3 Stab– knoten 1 1 2 2 3 2 3 2 4 4 4 5 5 5 6 6 5 7 Stabnummer 7 7 8 Knotennummer 8 7 9 3 1 4 2 7 4 8 6 5 7 1 8 5 9 6 a) Staborientierte Unterteilung Element Element– knoten 1 1 2 2 2 3 3 4 3 4 3 5 5 5 6 6 6 7 7 7 8 8 8 9 9 7 10 10 10 11 11 11 12 12 11 13 4 3 4 2 1 3 5 12 6 5 2 11 6 9 10 7 10 1 11 12 7 8 13 8 9 Elementnummer Knotennummer b) Elementorientierte Unterteilung Bild 1.2 : VdS–Berechnungssysteme mit zugehörigen Inzidenztafeln –1/3– 3 2 3 2 ϕ 1 (A3, I3) x,u z,w X 22 1 8 4 7 4 6 5 X 12 7 X 24 X2, w2 8 5 9 X1, ϕ w1 X 14 6 a) Globale und lokale Stabkoordinaten in einer Seitenrißebene Koordinaten Querschnittswerte Knoten X1 X2 Stab A I 1 . . 1 . . 2 X 12 X 22 2 . . 3 . . 3 A3 I3 4 X 14 X 24 4 . . 5 . . 5 . . 6 . . 6 . . 7 . . 7 . . 8 . . 8 . . 9 . . b) Geometrietafel I c) Geometrietafel II Bild 1.3 : Geometriedaten der staborientierten Unterteilung –1/4– Die Längenabmessungen sind auf das globale Koordinatensystem X = {X1, X2} und die Querschnittswerte auf das lokale Koordinatensystem x = {x, z} bezogen. Beide Systeme sind in einer Seitenrißebene definiert. Der Zusammenhang zwischen den äußeren Weggrößen vl = {u, w, ϕ} und vg = {w1, w2, ϕ}, die entweder zur lokalen (In– dex l) Stab– bzw. Element– oder zur globalen (Index g) Systemebene gehören, ist durch das Einmessen der Stäbe in globalen Koordinaten ebenfalls bekannt und kann für jeden Stab durch die Transformationsvorschrift v l + T lgvg (1.1) angegeben werden. Die Transformation Gl. (1.1) zwischen den lokalen und globalen Verschiebungen vl und vg ist im (Bild 1.4) veranschaulicht. X2 s 1 + X 14 * X 12, x sinαw2 u s 2 + X 24 * X 22, s + Ǹǒs Ǔ 1 2 ) ǒ s 2Ǔ , 2 cosαw1 w2 α 2 sin a + ss , α 1 cos a + ss . Lokale Verschiebungen: u, w w1 α X1 –w2 sinαw1 α Globale Verschiebungen: w1, w2 . –cosαw2 w z Bild 1.4 : Transformation zwischen lokalen und globalen Verschiebungen Der Transformationswinkel α ist positiv definiert, wenn er von der globalen X1–Koordinate zur lokalen x–Koordinate (Stabachse) zeigt. Die Verdrehung ϕ ist in der Ebene im lokalen und globalen Koordinatensystem gleich und die lokalen Verschiebungen u und w ergeben sich als Sinus– und Cosinus–Projektionen der globalen Verschiebungen w1 und w2. Damit ist die explizite Form von Gl. (1.1) für einen geraden Stab mit jeweils einem Knoten am Anfang und Ende des Stabs vollständig bekannt und kann als Matrizenschema dargestellt werden. –1/5– Für den Stab 3 im (Bild 1.3a) mit den Knoten 2 und 4 gilt z.B. das Schema u2 cosα3 sinα3 0 w2 sinα3 –cosα3 0 ϕ2 0 0 w12 0 w22 ϕ2 1 Knoten 2 = w4 ϕ4 lokale Verschiebungen vl sinα3 0 w14 sinα3 –cosα3 0 w24 1 ϕ4 cosα3 u4 0 0 0 Transformationsmatrix Tlg (1.2) Knoten 4 . globale Verschiebungen vg Die Definition der Matrizenelemente von Gl. (1.2) ist (Bild 1.4) zu entnehmen. Mit den speziellen Zahlenwerten der X–Koordinaten muß sich der Winkel α3 zu Null ergeben, da der Stab 3 parallel zur X1–Achse verläuft, vgl. (Bild 1.3a). Für den Stab 3 ist also cos a 3 + 1 und sin a 3 + 0. Aus der unmittelbaren Anschauung im (Bild 1.3a), aber auch aus der mathematischen Formulierung Gl. (1.2) folgt speziell für Stab 3 , daß die lokale u– mit der globalen w1–Verschiebung zusammenfällt und die lokale w–Verschiebung in negativer Richtung der globalen w2–Verschiebung zeigt. Daraus ist zu erkennen, daß die Transformationsgleichung (1.1) die Zuordnung zwischen Stab– und Systemverschiebungen in ganz allgemeiner Form regelt. Ein Vergleich mit dem Williot’schen Verschiebungsplan des handrechnerorientierten Drehwinkelverfahrens (DWV) verdeutlicht, daß die Transformationsgleichung des VdS als mathematische Formulierung des Williot’schen Verschiebungsplans aufgefaßt werden kann, der in umgekehrter Deutung eine anschauliche Lösung der Transformationsgleichung (1.1) bzw. (1.2) darstellt. Der enge Zusammenhang zwischen der Transformation beim VdS und dem Williot– Plan beim DWV soll an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden. Im (Bild 1.5) ist ein dreifach geometrisch unbestimmter Rahmen mit schiefem Stiel dargestellt. –1/6– X 2, w 2 Y=1 1 (3) (2) x,u 1 Ǹ2 z,w (1) X 1, w 1 (4) Bild 1.5 : Rahmen mit schiefem Stiel Der eingezeichnete Einheitsverschiebungszustand der Wegfessel im Knoten 3 ist mit dem Williot–Plan konstruiert worden. Im Knoten 2 des α = 45° schiefen Stiels ist das Ergebnis mit der lokal–globalen Transformationsvorschrift Gl. (1.2) u w = cos α sin α w1 sin α –cos α w2 zu überprüfen. Mit sin 45° = cos 45° = 1 Ǹ2 und der Vorgabe der globalen Verschiebun2 gen w1 = 1 und w2 = –1 erhält man durch die Matrizenmultiplikation die lokalen Verschiebungen u + cos a w 1 ) sin a w 2 + 1 Ǹ2 (1) ) 1 Ǹ2 (* 1) + 0 2 2 und w + sin a w 1 * cos a w 2 + 1 Ǹ2 (1) * 1 Ǹ2 (* 1) + Ǹ2 , 2 2 die mit den Werten des Williot–Plans übereinstimmen. Natürlich wäre es sehr umständlich, wollte man im Rahmen der Handrechnung versuchen, den Williotplan durch die Transformationsgleichung (1.1) bzw. (1.2) zu ersetzen oder umgekehrt, im Rechner anstelle der Transformation den Williotplan zu verwenden. Der Vergleich zeigt daher sehr anschaulich, daß jeweils ein spezieller methodischer Zuschnitt erforderlich ist, um optimale Verfahren zu erhalten. Das DWV ist optimal mit dem Williotplan durchzuführen und das VdS optimal mit der Transformation. Das baustatische Ziel ist aber jeweils gleich, nämlich die Ermittlung von globalen Verschiebungszuständen am Gesamtsystem, die sich auch einstellen, wenn die Durchführung fehlerfrei erfolgt. –1/7– Beim VdS wird im weiteren Verlauf der Betrachtung Gl. (1.1) bzw. Gl. (1.2) auch als Untermatrizenschema benötigt, um die Knoten eines Stabes matriziell miteinander zu verknüpfen. Das Schema für den Stab 3 mit den Knoten 2 und 4 ist in Gl. (1.3) dargestellt. vl, 2 Tlg, 22 0 vg, 2 0 Tlg, 44 vg, 4 Knoten 2 = vl, 4 . Knoten 4 (1.3) Die Vorgehensweise zur topologischen und geometrischen Systembeschreibung ist unabhängig vom speziellen Stabtragwerk, das aktuell untersucht werden soll. Sie läßt sich in allgemeingültiger Form für beliebige Stab– bzw. Elementvarianten programmieren. Aus fachlicher Sicht ist diese Aufgabenstellung der Bauinformatik zuzuordnen. Die mit komfortablen Oberflächen verbundene Freiheit der Modellbildung von statischen Systemen ist als ein entscheidender Vorteil des VdS oder ganz allgemein der FEM anzusehen. Die Bereitstellung der zugehörigen Daten ist immer als erster Schritt der Berechnung durchzuführen. Die nachfolgende rein baustatische Problembeschreibung kann sich zunächst auf die Erfassung der Stab– bzw. Elementeigenschaften beschränken, die infolge ihres lokalen Charakters viel einfacher zu übersehen sind als das komplexe Gesamtverhalten des globalen Systems. Dieser zweite Schritt bildet den theoretischen Schwerpunkt des VdS und wird daher im Rahmen der Statikausbildung vorrangig behandelt. Er ist zwar für die unmittelbare Programmanwendung entbehrlich, muß aber trotzdem voll verstanden werden. Einerseits um das Verfahren in den Gesamtrahmen der Baustatik einordnen zu können und andererseits, um die erzielten Ergebnisse bewerten zu können. Die sich daran anschließende Übertragung der speziellen Stab–bzw. Elementeigenschaften auf den gesamten Stab– bzw. Elementverband des betrachteten statischen Systems kann dann wiederum in allgemeingültiger Form erfolgen. Dieser dritte Schritt des VdS kann auch als gemischte bauinfomatische und baustatische Systembe– schreibung bezeichnet werden. Er beruht auf der konsequenten Verarbeitung der topologischen und geometrischen Informationen, um die zunächst rein lokal betrachteten Einzelstäbe bzw. Einzelelemente zu globalisieren und in das Gesamtsystem einzubinden. Dieser Berechnungsschritt ist ebenfalls problemunabhängig programmierbar und kann daher einheitlich gestaltet werden. –1/8– 1.3 Lokale Stab– bzw. Elementbeschreibung 1.3.1 Problemformulierung mit Differentialgleichungen Gegeben ist ein dehn– und biegesteifer, aber schubstarrer Stab bzw. ein endlich begrenztes Element (finites Element) aus diesem Stab, der wiederum zu einem Stabtragwerk gehört, vgl. (Bild 1.1). Das finite Stabelement ist im (Bild 1.6) dargestellt. p A ÇÇÇÇÇ ÇÇÇÇÇ n EA, EI, B x, u(x) GA Q ³ ∞. z, w(x) s Bild 1.6 : Finites Stabelement Die Knoten, die das Element am Anfang und Ende begrenzen, werden in allgemeiner Form mit den Buchstaben A und B bezeichnet. Die Vorgaben zur Erfassung der Einwirkungs– und Querschnittswerte sind vereinbarungsgemäß konstant. Im (Bild 1.6) sind (x, z) : Lokale Koordinaten, die mit den Hauptachsen des Querschnitts zu– sammenfallen. p : Konstante Streckenlast in lokaler z–Richtung ǒă zur StabachseǓ. n : Konstante Streckenlast in lokaler x–Richtung ǒ ø zur StabachseǓ. EA : Konstante Dehnsteifigkeit des Querschnitts. EI : Konstante Biegesteifigkeit des Querschnitts. GA Q ³ R : Bedingung für schubstarre Querschnitte. s : Stablänge zwischen den Elementknoten A und B. Der baustatische Zustand in jedem Punkt, der sich innerhalb des finiten Stabelements befindet, ist durch die Aufstellung der statischen (Gleichgewicht) und kinematisch–elastischen (Verträglichkeit) Gleichungen bekannt. Die zugehörigen Differentialgleichungen (DGL) wurden bereits in Statik I abgeleitet. Sie sind in Gl. (1.4) angegeben und werden zusätzlich getrennt nach Dehnung und Biegung jeweils zu einer DGL zusammengefaßt. Die reduzierten Gleichungen bilden die eigentlichen DGL der Theorie schubstarrer Stabtragwerke. Der Reduktionsweg zur Ableitung der DGL ist zusätzlich in Gl. (1.4) veranschaulicht. Er führt von der Verträglichkeit zum Gleichgewicht, so daß –1/9– die Stabgleichungen Gleichgewichtsaussagen darstellen. Dies ist u.a. auch daran zu erkennen, daß als Unbekannte nur Weggrößen auftreten. Trotzdem müssen die Lösungen von Gl. (1.4) beide, nämlich die statischen und die geometrischen, Randbedingungen erfüllen, die für ein speziell betrachtetes statisches System gelten. Reduktionsweg Gleichgewicht Verträglichkeit N(x) +0 EA Dehnung N’(x) + n = 0 uȀ(x) * Biegung M’’(x) + p = 0 wȀȀ(x) ) M(x) +0 EI DGL EA u’’(x) + n = 0 (1.4.1) EI w’’’’(x) – p = 0 (1.4.2) Die Integration der DGL (1.4) ist für den Stab noch ohne weiteres analytisch möglich. Eine zweifache Integration der Dehnungsgleichung (1.4.1) ergibt u(x) + a 0 ) a 1x ) u p(x), (1.5.1) N(x) + EA uȀ(x) (1.5.2) und eine vierfache Integration der Biegungsgleichung (1.4.2) 2 3 w(x) + b 0 ) b 1x ) b 2 x ) b 3 x ) w p(x), 6 2 (1.6.1) ö(x) + wȀ(x), (1.6.2) M(x) + * EI wȀȀ(x), (1.6.3) Q(x) + * EI wȀȀȀ(x) (1.6.4) mit den partikulären Lösungsanteilen u p(x) + * ŕǒŕ EAn dxǓdx (1.7.1) und w p(x) + ŕȡȧȢŕȡȧȢŕǒŕ EIp dxǓdxȣȧȤdxȣȧȤdx – 1 / 10 – (1.7.2) der jeweiligen Gesamtlösung. Mit Gl. (1.5, 1.6 und 1.7) sind u.a. auch alle Weg– und Kraftzustände des geometrisch bestimmten Grundstabs bekannt. Auf solchen Grundstäben beruht z.B. das DWV. Sie erfüllen per Definition die geometrischen Randbedingungen am Anfang und Ende, so daß sich aus den geometrischen Vorgaben in eindeutiger Weise die zugehörigen Kraftzustände ergeben. Die explizite Form der geometrischen Randbedingungen am geometrisch bestimmten Grundstab in den Knoten A und B ist im (Bild 1.7) angegeben. Sie sind nach Dehnung und Biegung geordnet und zusätzlich durch die Darstellung der Einspannschraffur in baustatischer Weise veranschaulicht, vgl. (Bild 1.7). Die baustatische Vorzeichendefinition der Schnittgrößen als lokaler Gleichgewichtszustand ist ebenfalls dargestellt. A(x = 0) B(x = s) M ϕ x, u Q z, w ∆s s uA 0 0 uB + 0 uA + 0 uB 0 0 wA 0 0 wB + 0 öA + 0 öB + 0 wA + 0 wB + 0 öA 0 0 öB + 0 wA + 0 wB 0 0 öA + 0 öB + 0 wA + 0 wB + 0 öA + 0 öB 0 0 Stabdehnung Stabbiegung Bild 1.7 : Randbedingungen für den geometrisch bestimmten Grundstab – 1 / 11 – N Die Auswertung der homogenen Lösungen Gl. (1.5 und 1.6) der DGL (1.4), mit den im (Bild 1.7) definierten geometrischen Randbedingungen, führt auf Schnittgrößen, die resultierende Spannungsgrößen darstellen. Am herausgeschnittenen Stabelement 0 t Ds t s bilden Schnittgrößen eine Gleichgewichtsgruppe, vgl. (Bild 1.7). Das Vorzeichen ergibt sich aus der Lage der Bezugfaser, die im Rahmen der Baustatik das lokale Koordinatensystem x = [x, z] ersetzt. Die formelmäßige Auswertung von Gl. (1.5.1) für den Fall u A + u(x + 0) 0 0 im Knoten A und u B + u(x + s) + 0 im Knoten B liefert die Gleichungen x+0 ³ u + u A + a 0 ) a 1·0 x+s ³ u + 0 + a0 ) a 1·s, und aus denen a0 + uA und a u a1 + * s0 + * sA und damit auch ǒ Ǔ x u(x) + 1 * s ·u A folgt. Eingesetzt in Gl. (1.5.2) und ausgewertet im Knoten A und B ergibt die Längskräfte N A + N(x + 0) + EA uȀ(x + 0) + * EA s ·uA und N B + N(x + s) + EA uȀ(x + s) + * EA s ·uA. Für u A 0 0 in positiver x–Richtung stellt sich also erwartungsgemäß eine konstante Druckkraft im Stab ein. Für den Fall u A + u(x + 0) + 0 im Knoten A und u B + u(x + s) 0 0 im Knoten B folgt in gleicher Weise aus Gl. (1.5.1) u(x) + xs ·u B und aus Gl. (1.5.2) N A + EA s ·u B und N B + EA s ·u B. – 1 / 12 – Für u B 0 0 in positiver x–Richtung erhält der Stab eine Zugkraft, was ebenfalls mit der Anschauung übereinstimmt. Die Schnittkräfte am Stabanfang A und Stabende B werden zusammenfassend auch als Stabendkräfte bezeichnet, vgl. z.B. /1/. Der Zu– sammenhang mit den erzeugenden Verschiebungen in den Knoten A und B ist im (Bild 1.8) dargestellt. Beim DWV ist in jeder Fessel des geometrischen Grundsystems das Kräftegleichgewicht zu erfüllen, um daraus die unbekannten Verschiebungen zu ermitteln. Dies geschieht in anschaulicher Weise unmittelbar am Gesamtsystem. Um diesen Vorgang beim VdS zu schematisieren, ist es sinnvoll, die Vorzeichen der Stabendkräfte an die Vorzeichen der Verschiebungen anzupassen, die an beiden Knoten jeweils in Richtung der x–Koordinaten zeigen. Damit werden aus den Schnittkräften Fessel– bzw. Knotenkräfte, die am Knoten B mit den Schnittkräften zusammenfallen und am Knoten A durch einen Vorzeichenwechsel aus diesen hervorgehen, vgl. (Bild 1.8). Der Zusammenhang zwischen Knotenkräften s und Knotenverschiebungen v wird beim VdS grundsätzlich durch eine Matrizengleichung ausgedrückt. Für den Einzelstab bzw. das Einzelelement gilt in allgemeiner Form s l + k llvl * s 0l. (1.8) Der Index (l) weist auf den lokalen Koordinatenbezug von Gl. (1.8) hin, vgl. (Bild 1.8). B A x uA uB z a) Knotenverschiebungen NA NB b) Stabendkräfte als Schnittkräfte NA x z NB c) Stabendkräfte als Fessel– bzw. Knotenkräfte Bild 1.8 : Weg– und Kraftzustände am geometrisch bestimmten Grundsystem für den Dehnungszustand – 1 / 13 – Die Matrix k wird als Steifigkeitsmatrix bezeichnet. Die Multiplikation der Matrix mit Verschiebungen führt auf Kräfte, so daß die Matrizenelemente aus physikalischer Sicht Steifigkeiten darstellen, womit sich auch die Namensnennung des Verfahrens erklärt. Die Lastspalte s0 enthält die partikulären Lösungsanteile, die sich aus Gl. (1.7) ergeben. Für den Dehnstab ist durch die bereits ermittelte Lösung von Gl. (1.5) der homogene Anteil von Gl. (1.8) explizit bekannt. NA sl = NB + EA s 1 –1 uA = kll vl . –1 1 uB Der zugehörige partikuläre Lösungsanteil hängt vom speziellen Belastungszustand des betrachteten Stabes bzw. Elementes ab. Für eine konstante Streckenlast n ergibt sich z.B. aus Gl. (1.7.1) ein partikulärer Verschiebungsanteil von 2 u p + * n·x 2 EA und damit aus Gl. (1.5.1) die Gesamtverschiebung der Belastung zu 2 u 0(x) + a 0 ) a 1·x * n·x . 2 EA Die Knoten des Stabes sind gefesselt, vgl. (Bild 1.7). Die Konstanten α0 und α1 können damit eindeutig bestimmt werden. Am Knoten A errechnen sie sich aus der Bedingung u A + u(x + 0) + a 0 + 0 und am Knoten B aus der Bedingung 2 u B + u(x + s) + a 0 ) a 1·s * n·s + 0. 2 EA Die Auflösung nach α0 und α1 liefert a0 + 0 und a 1 + * n·s . 2 EA Das Einsetzen der Konstanten in die allgemeine Verschiebungslösung ergibt ab– schließend die spezielle Lösung für eine konstante Streckenlast ǒ Ǔ 2 u 0(x) + n·s xs * ǒxsǓ ·s. 2 EA – 1 / 14 – Mit der Lösung selbst ist auch die Ableitung bekannt. u 0(x) + n·s ǒ1 * 2 xsǓ, 2 EA so daß sich aus Gl. (1.5.2) die zugehörigen Schnittgrößen ergeben N 0(x) + n·s ǒ1 * 2 xsǓ. 2 Die Auswertung an den Knotenpunkten A und B liefern die Stabendkräfte zunächst als Schnittgrößen. Am Knoten A gilt N 0A + N 0(x + 0) + n·s 2 und am Knoten B N 0B + N 0(x + s) + * n·s . 2 Durch das Anpassen der Vorzeichen am Knoten A, vgl. (Bild 1.8), folgen daraus wiederum die Knotenkräfte N 0A + * n·s 2 und N 0B + * n·s 2 und durch den Vergleich mit Gl. (1.8) die Lastspalte n·s 2 N 0A s 0l + = N 0B n·s 2 . Das Ergebnis ist unmittelbar plausibel. Bei konstanter Streckenlast beträgt die resultierende Kraft R + n·s , die sich je zur Hälfte auf die Knoten A und B verteilt. Das ne– gative Vorzeichen von N 0A und N 0B ist herausgezogen und erscheint unmittelbar in Gl. (1.8). Natürlich besteht die Möglichkeit, auf diesem Wege auch veränderliche Streckenlasten zu erfassen. Hiervon wird aber beim VdS kein Gebrauch gemacht, um den Vorteil einer einfachen Stab– bzw. Elementbeschreibung nicht aufzugeben. Sind in Beispielen z.B. veränderliche Streckenlasten zu berücksichtigen, so ist die Elementfolge in diesem Bereich solange zu verdichten, bis sich eine akzeptable Übereinstimmung zwischen der Vorgabe und der elementweise konstanten Approximation einstellt. – 1 / 15 – 1.3.2 Problemformulierung mit Arbeitsgleichungen Für den Biegestab kann die explizite Form der Matrizengleichung (1.8) in gleicher Art und Weise wie für den Dehnstab ermittelt werden. Dazu ist lediglich der Satz der Biegerandbedingungen im (Bild 1.7) an die allgemeine Biegelösung Gl. (1.6) anzupassen, die partikuläre Biegelösung Gl. (1.7.1) auszuwerten und die daraus resultierenden Stabendschnittgrößen in die entsprechenden Stabendknotengrößen umzuwandeln. Im Rahmen der Baustatik ist diese Vorgehensweise der gängige Weg, um das VdS abzuleiten, vgl. z.B. /2/ und /3/. Er beruht im wesentlichen auf der Betragsgleichheit von Schnitt– und Knotenkräften, die in dieser Form aber nur bei Stabtragwerken auftritt und damit den gravierenden physikalischen Unterschied zwischen Schnitt– und Knotenkräften verwischt. Knotenkräfte sind Auflagerkräfte, die als Reaktion entstehen, wenn gefesselte Knoten verschoben werden. Sie sind daher als äußere Kraftzustände anzusehen, die mit den erzeugenden Knotenverschiebungen arbeitskonforme Paare bilden, so daß sich als Ergebnis äußere Arbeitsausdrücke ergeben. Schnittkräfte sind dagegen als innere Kraftzustände definiert. Sie stellen resultierende Spannungsgrößen dar und bilden mit inneren Weggrößen, also den Verzerrungen, arbeitskonforme Paare, die daher auch als innere Arbeitsausdrücke bezeichnet werden. Bei Flächentragwerken ist die Betragsgleichheit zwischen Schnitt– und Knotenkräften nicht mehr gegeben. Daher ist die Ermittlung von Steifigkeitsmatrizen und Lastspalten unmittelbar aus der Lösung der DGL nicht mehr so einfach möglich. Dies gelingt in allgemeiner Form nur noch durch eine konsequente Anwendung der virtuellen Arbeitsprinzipien, die sich ja bereits in der klassischen Baustatik als ein sehr leistungsfähiges Werkzeug erwiesen haben. Die Anwendung von PvW und PvK in Statik I und II erfolgt in der Regel nur punktweise, um spezielle Einzelgrößen zu ermitteln. Entweder geht es darum, mit Hilfe von virtuellen Weggrößen wirkliche Kraftgrößen zu berechnen oder mit Hilfe von virtuellen Kraftgrößen wirkliche Weggrößen. Das PvW stellt eine gleichwertige Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen dar und ersetzt sie vollständig. In gleicher Weise ist das PvK als eine gleichwertige Formulierung der Verträglichkeitsbedingungen anzusehen, da es diese Bedingung ebenfalls vollständig ersetzen kann. Im Rahmen einer rechnerorientierten Baustatik müssen die Arbeitsprinzipien dagegen in einer analytischen Formulierung zur Anwendung kommen, da es nun vorrangig um Funktionsverläufe von Weg– und Kraftzuständen geht und nicht um Einzelgrößen. Ziel ist es, mit Hilfe der Arbeitsprinzipien die DGL (1.4) in ganz allgemeiner Form zu integrieren und die Lösung erst danach in speziellen Knoten von Stäben bzw. Elementen zu parametrisieren bzw. zu diskretisieren. Der Übergang zum Rechnen mit Einzelgrößen erfolgt also erst am Ende des Lösungsweges, der sich damit deutlich von den aus der klassischen Baustatik bekannten Vorgehensweisen unterscheidet. – 1 / 16 – Das VdS ist ein Weggrößenverfahren, das auf dem PvW beruht. Mit diesem Prinzip wird zunächst das lokale Gleichgewicht auf der Stab– bzw. Elementebene erfüllt. Das Ergebnis führt auf eine Steifigkeitsbeziehung zwischen den Kraft– und Wegzuständen der Stab– bzw. Elementknoten, die sich wiederum in Form einer Matrizengleichung (1.8) darstellen läßt. Ausgangspunkt der Elementbetrachtung mit dem PvW ist das finite Stabelement (Bild 1.6) und die DGL (1.4), die den Anfang der kausalen Kette: Punkt ³ Element ³ System bilden. Die Formulierung beginnt im Punkt. Durch die DGL (1.4) sind hier die wirklichen Kräftesummen bzw. Kräftedifferenzen bekannt. In Richtung der Stabachse gilt f u(x) + NȀ(x) ) n(x) + EA uȀȀ(x) ) n und senkrecht dazu f w(x) + MȀȀ(x) ) p(x) + EI wȀȀȀȀ(x) * p. Daß es sich dabei um Kräfte handeln muß, ist an den Streckenlasten n und p zu erkennen. Die Summen– bzw. Differenzbildung in fu(x) und fw(x) setzt die Dimensionsgleichheit der Ausdrücke voraus. N’(x) = EA u’’(x) und M’’(x) = –EI w’’’’(x) kön– nen daher als innere Streckenlasten des Dehn– und Biegestabs aufgefaßt werden. Sie müssen mit den äußeren Streckenlasten n und p einen Gleichgewichtszustand bilden. In den DGL (1.4) stehen daher auf der rechten Seite Nullen, um die lokale Gleichheit punktweise auszudrücken. Beim PvW sind dagegen Arbeitsausdrücke zu bilden. Dies geschieht mit Hilfe der arbeitskonformen virtuellen Verschiebungen uv(x) und wv(x), so daß sich zunächst punktweise die virtuellen Arbeitsausdrücke u v(x) f u(x) + uv(x) ( EA uȀȀ(x) ) n ) und w v(x) f w(x) + wv(x) ( EI wȀȀȀȀ(x) * p ) ergeben. Durch Summation, d.h. durch Integration über die Stablänge s zwischen den Elementknoten A und B folgen die virtuellen Arbeitsausdrücke am Element, die nach dem PvW verschwinden müssen, wenn der lokale Gleichgewichtszustand bereichsweise erfüllt sein soll. Für den Dehnstab erhält man W v( u v, u) + ŕ u (x) [ EA uȀȀ(x) ) n ] dx + 0 v (1.9.1) und für den Biegestab W v(w v, w) + ŕ w (x) [ EI wȀȀȀȀ(x) * p ] dx + 0. v – 1 / 17 – (1.9.2) Die Integralausdrücke Gl. (1.9) werden auch als schwache Form der DGL bezeichnet, da sie die DGL (1.4) im Gebiet zwischen den Knoten A und B gleichwertig ersetzen. Die virtuellen Verschiebungen sind definitionsgemäß beliebig und linear unabhängig, so daß in der Regel nicht über sie verfügt werden kann. Daher muß zwangsläufig der Klammerausdruck in den Integralen Null werden, um das PvW (1.9) zu erfüllen. Die Klammerausdrücke sind aber die DGL (1.4) selbst. Der Zusammenhang zwischen DGL (1.4) und PvW (1.9) ist damit unmittelbar erkennbar. Der Vorteil der schwachen Formen ist immer dann evident, wenn die analytische Integration einer DGL nicht gelingt und daher eine Näherungslösung angestrebt wird. Zulässige Näherungslösungen sind z.B. alle Lösungen, die zwar nicht die DGL selbst, wohl aber deren schwache Form erfüllen. Die schwachen Formen von DGL, die aus physikalischer Sicht das PvW und ggf. das PvK repräsentieren, sind daher als ein hervorragendes Instrument anzusehen, um Näherungslösungen von DGL zu konstruieren. Zusammen mit der lokalen Betrachtungsweise bilden sie die Grundlage der FEM, das modernste Berechnungsverfahren, über das Ingenieure und Mathematiker heute verfügen. Zur schwachen Form Gl. (1.9), in denen die Arbeitsausdrücke Gl. (1.9.1) und Gl. (1.9.2) durch Produkte aus Virtuellen Verschiebungen × Wirklichen Kräften gebildet werden, gehören insgesamt sechs Randbedingungen. Für den Dehnstab Gl. (1.9.1) sind das jeweils eine statische (N) und eine geometrische Bedingung (u) und für den Biegestab Gl. (1.9.2) jeweils zwei statische (Q, M) und zwei geometrische Bedingungen (w, ϕ). Die Anzahl der Randbedingungen muß mit der Anzahl der Ableitungen in den Arbeitsgleichungen korrespondieren. Beim Dehnstab Gl. (1.9.1) treten zwei und beim Biegestab Gl. (1.9.2) vier Ableitungen auf, so daß sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Anzahl der Randbedingungen und der Anzahl der Ableitungen ergibt. Hinsichtlich der Randbedingungen ist also kein Formulierungsunterschied zwischen DGL (1.4) und PvW (1.9) festzustellen. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da ja Gl. (1.9) lediglich die schwache Form von Gl. (1.4) darstellt. In Anlehnung an die Skalarproduktbildung von Vektoren werden die Arbeitsausdrücke (1.9.1) und (1.9.2) auch als orthogonale Formen bezeichnet, da die Arbeiten nur dann verschwinden, wenn die virtuellen Verschiebungsfunktionen und die wirklichen Kräftefunktionen im verallgemeinerten Sinne senkrecht zueinander stehen. Die weitere Vorgehensweise besteht nun darin, die schwachen Orthogonalformen für die numerische Berechnung in zweckmäßiger Weise aufzubereiten, um die praktische Anwendung des PvW zu erleichtern. – 1 / 18 – Die Suche nach optimalen Lösungswegen ist nicht neu. Dieses Problem tritt auch bei den handrechnungsorientierten Berechnungsvarianten der klassischen Baustatik auf und ist dort ebenfalls von zentraler Bedeutung. Vor allem die Wahl von optimalen Grundsystemen ist als ein typisches Beispiel anzusehen. Unterschiedliche, statisch oder geometrisch bestimmte Grundsysteme beeinflussen zwar nicht die Lösung, haben aber großen Einfluß auf den Lösungsweg und damit auf den numerischen Aufwand. Der ist bei günstiger Wahl gering, kann aber bei ungünstiger Wahl sehr groß werden, so daß es sich immer auszahlt, vorab über diese Zusammenhänge nachzudenken, wenn man das Kraftgrößenverfahren (KGV) oder das DWV anwendet. Das gilt natürlich auch für das VdS, wo sich die Überlegungen von der anschaulichen zur analytischen Problemformulierung verlagern. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Suche nach einer optimalen Form der Arbeitsausdrücke Gl. (1.9.1 und 1.9.2). Um sie zu finden, werden mit Hilfe der partiellen Integration [ u(x) v(x) ] R + ŕ uȀ(x) v(x)dx ) ŕ u(x) vȀ(x)dx des Produktausdrucks ( u(x) v(x) )Ȁ + uȀ(x) v(x) ) u(x) vȀ(x) Umformungen in den Ableitungen von Gl. (1.9) vorgenommen. Sie führen dazu, daß im PvW neben veränderten Gebietsausdrücken zusätzlich auch Randausdrücke auftreten. Sie sind in den Knoten R = (A, B) definiert, die das Integrationsgebiet des Produktausdrucks begrenzen. Für den Dehnstab Gl. (1.9.1) ist eine Umformung erforderlich, um eine von zwei Ableitungen, die bei den wirklichen Verschiebungen u(x) stehen, auf die virtuelle Verschiebung uv(x) zu übertragen, so daß sich eine hinsichtlich der Verschiebungsableitungen symmetrische Form des Arbeitsausdrucks (1.9.1) ergibt. ŕ u (x) EA uȀȀ(x) dx + [u (x) EA uȀ(x)] * ŕ uȀ (x) EA uȀ(x) dx. v v v R N(x) (1.10.1) N(x) Beim Biegestab sind dagegen zwei von vier Ableitungen, die bei der wirklichen Durchbiegung w(x) stehen, auf die virtuelle Durchbiegung wv(x) zu übertragen, um einen hinsichtlich der Ableitungsverteilung symmetrischen Ausdruck von Gl. (1.9.2) zu erhalten. Dazu sind zwei Umformungen erforderlich. – 1 / 19 – ŕ w (x) EI wȀȀȀȀ(x) dx + [w (x) EI wȀȀȀ(x)] * ŕ wȀ (x) EI wȀȀȀ(x) dx v v v R –Q(x) –Q(x) (1.10.2) und ŕ wȀ (x) EI wȀȀȀ(x) dx + [wȀ (x) EI wȀȀ(x)] * ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) dx. v v v R ϕv(x) –M(x) –M(x) Die Umformung Gl. (1.10.1) wird in die Ausgangsgleichung (1.9.1) eingesetzt. Nach einem Vorzeichenwechsel folgt daraus das umgeformte PvW für den Dehnstab. N(x) W v(u v, u) + ŕ uȀ (x) EA uȀ(x) dx * ŕ u (x) n dx * [ u (x) N(x) ] v v v εv(x) R + 0. (1.11.1) Wird die Umformung Gl. (1.10.2) in die Ausgangsgleichung (1.9.2) eingesetzt, ergibt sich daraus das umgeformte PvW für den Biegestab. –M(x) W v(w v, w) + ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) dx * ŕ w (x) p dx v v * k v(x) (1.11.2) * [ w v(x) Q(x) ] R ) [ ö v(x) M(x) ] R + 0. Die unterschiedlichen Formulierungen der Arbeitsausdrücke haben die baustatische Aussage des PvW nicht verändert. Sowohl Gl. (1.9) als auch Gl. (1.11) stellen Gleichgewichtsbedingungen dar. Die symmetrischen Formen der umgeformten Ausdrücke lassen aber hinsichtlich der numerischen Anwendung Vorteile erwarten, da sich durch die Absenkung der Ableitungsordnung die erforderliche Ansatzhöhe deutlich verringert. Die umgeformten Gleichungen (1.11.1 und 1.11.2) müssen in der vorliegenden Form nur noch die geometrischen Randbedingungen der virtuellen und wirklichen Weg– größen erfüllen. Die wirklichen Kraftzustände sind ableitungsfrei, so daß die statischen Randbedingungen entfallen. Die Randausdrücke R = (A, B) aus der partiellen Integration (1.10.1 und 1.10.2), die auch in den umgeformten Gleichungen (1.11.1 und 1.11.2) auftreten, sind i.a. ungleich Null. Es ist daher zunächst zu überprüfen, unter welchen Bedingungen die Randausdrücke ggf. entfallen. – 1 / 20 – An einem Rand treten entweder nur geometrische oder nur statische Randbedingungen auf oder es liegen gemischte Randbedingungen vor, die sich aus geometrischen und statischen Einzelbedingungen zusammensetzen. Die Randausdrücke sind also in den Stab– bzw. Elementknoten R = A und R = B jeweils in einen geometrischen und einen statischen Anteil aufzuspalten. R + RW ) RK (1.5.1) Auf RW = (A, B) sind mit Weggrößen (Index W) geometrische Randbedingungen zu erfüllen und auf RK mit Kraftgrößen (Index K) statische Randbedingungen. Wie dies konkret zu geschehen hat, soll am Beispiel des im (Bild 1.9) dargestellten Kragarmelements diskutiert werden. A B Feste Einspannung in A: Freier Rand in B: R = RW. R = RK. Bild 1.9 : Kragarmelement mit geometrischen und statischen Randbedingungen Die feste Einspannung fällt mit dem Knoten A zusammen, so daß auf R = A nur homogene geometrische Randbedingungen auftreten. Es gilt also speziell im Knoten A mit R = RW u = uA = 0 ³ uv = u vA + 0, ³ NA 0 0 , w = wA = 0 ³ wv = w vA + 0, ³ QA 0 0 , ϕ = ϕA = 0 ³ ϕv = ö vA + 0 ³ MA 0 0 und ganz allgemein ohne konkreten Knotenbezug für inhomogene geometrische Randbedingungen u(x) = u ³ uv(x) = 0 ³ N(x) 0 0 w(x) = w ³ wv(x) = 0 ³ Q(x) 0 0 ϕ(x) = ϕ ³ ϕv(x) = 0 ³ M(x) 0 0 – 1 / 21 – (1.12.1) auf R = RW. (1.12.2) (1.12.3) Unter diesen, und nur unter diesen Voraussetzungen sind die Ausdrücke von RW–Rändern in den Gl. (1.11.1 und 1.11.2) Null und entfallen aus der numerischen Berechnung. Das Verschwinden der RW–Randausdrücke ist also an das Verschwinden der virtuellen Randverschiebungen und der virtuellen Randverdrehungen auf den Stab– bzw. Elementrändern gekoppelt, die bei Stabtragwerken mit den diskreten Knotengrößen zusammenfallen. Für die virtuellen Wege sind dies Zwangsbedingungen, so daß die geometrischen Randbedingungen auch als wesentliche Randbedingungen des umgeformten PvW bezeichnet werden. In der Baustatik hat sich dafür die Bezeichnung zulässige virtuelle Wege etabliert. Eine anschauliche Deutung dieser Aussage ist in der Definition des geometrisch bestimmten Grundsystems des DWV zu finden, das durch Fesseln die geometrischen Randbedingungen erfüllt, vgl. z.B. (Bild 1.7). Der freie Rand fällt mit dem Knoten B zusammen, so daß auf R = B nur homogene statische Randbedingungen auftreten. Es gilt also speziell im Knoten B mit R = RK NB = 0 ³ uB 0 0 ³ u vB 0 0, QB = 0 ³ wB 0 0 ³ w vB 0 0, MB = 0 ³ ϕB 0 0 ³ ö vB 0 0 und ganz allgemein ohne konkreten Knotenbezug für inhomogene statische Randbedingungen N(x) = N ³ u(x) 0 0 ³ uv(x) 0 0 Q(x) = Q ³ w(x) 0 0 ³ wv(x) 0 0 M(x) = M ³ ö(x) 0 0 ³ ϕv(x) 0 0 (1.13.1) auf R = RK. (1.13.2) (1.13.3) Diese Bedingungen sind ohne besondere Anforderungen an die virtuellen Weggrößen von vornherein erfüllt. Die statischen Randbedingungen werden daher auch als natür– liche Randbedingungen des umgeformten PvW bezeichnet, da sie als Gleichgewichtsbedingungen unmittelbar durch die schwache Form Gl. (1.11) erfaßt werden. Im Fall von homogenen statischen Randbedingungen entfallen die Randausdrücke auf RK–Rändern und im Fall von inhomogenen Bedingungen haben sie die Qualität von Einwirkungen. Die Aufteilung in wesentliche und natürliche Randbedingungen ist mathematisch auch an der Reduzierung der Ableitungsordnung erkennbar, die sich infolge der Umformung im Dehnungsanteil von zwei auf eins und im Biegungsanteil von vier auf zwei verringern. Mit den Bedingungen Gl. (1.12.1 und 1.13.1) folgt aus Gl. (1.11.1) eine neue Arbeitsgleichung für den Dehnstab und mit den Bedingungen Gl. (1.12.2, 1.12.3 und 1.13.2, 1.13.3) aus Gl. (1.11.2) eine neue Arbeitsgleichung für den Biegestab. – 1 / 22 – N(x) Dehnstab: W v(u v, u) + ŕ(uȀ (x) EA uȀ(x) * u (x) n)dx + 0 v v (1.14.1) e v(x) und * M(x) Biegestab: W v(w v, w) + ŕ(wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) * w (x) p)dx + 0. v v (1.14.2) * k v(x) Die Schnittgrößen N(x) und M(x) in Gl. (1.14) sind ableitungsfrei. Statische Rand– bedingungen sind daher explizit nicht zu erfüllen (natürliche Randbedingungen). Ab– zuleiten sind nur die virtuellen und wirklichen Weggrößen. Für sie sind daher die geometrischen Randbedingungen explizit zu erfüllen (wesentliche Randbedingungen). Die Arbeitsausdrücke Gl. (1.14.1 und 1.14.2) des umgeformten PvW werden nun durch Produkte aus Virtuellen Verzerrungen x Wirklichen Schnittgrößen gebildet. Für den dehn– und biegesteifen aber schubstarren Stab sind das die Produkte aus der virtuellen Dehnung e v(x) mal der wirklichen Längskraft N(x) sowie der virtuellen Verkrümmung k v(x) mal dem wirklichen Schnittmoment M(x). Das Produkt aus der virtuellen Gleitung g v(x) mal der wirklichen Querkraft Q(x) entfällt für schubstarre Querschnitte, da g(x) 5 0 und damit auch g v(x) 5 0 gilt. Werden die virtuellen Ver– zerrungen e v(x) + ē ǒe K(x) + uȀ(x)Ǔ duȀ(x) + duȀ(x) + de K(x) ē uȀ(x) k v(x) + ē ǒk K(x) + * wȀȀ(x)Ǔ dwȀȀ(x) + * dwȀȀ(x) + dk K(x) ē wȀȀ(x) und speziell als Änderung der kinematischen Verzerrungen (Index K) definiert, so erhält man nach der Integration über das differentielle Änderungssysmbol δ (Differential einer Funktion) das z.B. aus der Mechanik bekannte Prinzip vom Minimum der Form– änderungsenergie P(u, w) + 1 2 ŕƪEA(uȀ(x)) ) EI(wȀȀ(x)) ƫdx * ŕ[u(x)n ) w(x)p]dx + Minimum, 2 2 (1.15) vielfach auch als Prinzip vom Minimum der potentiellen Energie bezeichnet. Aus baustatischer Sicht ist Gl. (1.15) ebenfalls als Gleichgewichtsaussage zu interpretieren. Notwendige Bedingung dafür, daß Gl. (1.15) einen minimalen Wert annimmt, ist die Erfüllung des PvW, also der Gl. (1.14.1 und 1.14.2), die ja Gleichgewichtsaussagen darstellen. – 1 / 23 – 1.3.3 Näherungsansätze und Diskretisierung Die durch die partielle Integration (1.10) entstandene Form des PvW (1.14) wird durch die enge Verwandtschaft mit Gl. (1.15) auch als energetische Form des Prinzips bezeichnet. Gegenüber dem orthogonalen Prinzip (1.9) weist das energetische Prinzip (1.14) zwei entscheidene Vorteile auf: 1. Durch die symmetrische Verteilung der Ableitungen auf virtuelle und wirkliche Weggrößenfunktionen halbiert sich die Ableitungsordnung des PvW im Dehn– und Biegeanteil. 2. Im Zusammenhang mit der Reduzierung der Ableitungsordnung verringert sich auch die Anzahl der wesentlichen Randbedingungen. Zum energetischen PvW (1.14) gehören lediglich die geometrischen Randbedingungen (1.12), während das orthogonale PvW (1.9) bzw. die DGL (1.4) zusätzlich auch die statischen Randbedingungen (1.13) als Zwangsbedingungen erfüllen muß. Diese Vorteile kommen unmittelbar zum Tragen, wenn es um die praktische Anwendung der bislang nur analytisch formulierten Arbeitsgleichungen geht. Dazu müssen die virtuellen Arbeitsgleichungen (1.14.1) und (1.14.2) oder die Formänderungsenergie (1.15) numerisch ausgewertet werden. Zur Konkurrenz sind alle Funktionen zugelassen, die u(x) und uv(x) sowie w(x) und wv(x) in der Weise erfassen, daß sie min– destens einen konstanten Arbeitsanteil pro Stab bzw. Element liefern und die geometrischen Randbedingungen Gl. (1.12.1 bis 1.12.3) auf R = RW erfüllen. In der Baustatik ist es üblich, das PvW (1.14) und nicht das Prinzip vom Minimum der Formänderungsenergie (1.15) als Berechnungsgrundlage zu verwenden. Daher ist zunächst darüber zu entscheiden, wie die virtuellen Verschiebungen in Gl. (1.14) zu konstruieren sind, um eine eindeutige Zuordnung zwischen der Anzahl der Unbekannten und der Anzahl der verfügbaren Gleichungen zu erhalten. In Gl. (1.14.1) sind uv(x) und u(x) unbekannt und in Gl. (1.14.2) wv(x) und w(x). Das Verhältnis beträgt demnach 4 : 2. Es ist also über uv(x) und wv(x) zu verfügen, um u(x) mit Gl. (1.14.1) und w(x) mit Gl. (1.14.2) berechnen zu können. Als virtuelle Größen sind sie an sich vollkommen frei wählbar. Durch die Umformung des PvW von Gl. (1.9) nach Gl. (1.14) liegen aber bereits Einschränkungen vor. Gl. (1.12) setzt nämlich voraus, daß neben den wirklichen auch die virtuellen Weggrößen die geometrischen Randbedingungen zu erfüllen haben. Dies ist im vorliegenden Fall am einfachsten zu erreichen, wenn in Gl. (1.14.1) und Gl. (1.14.2) die virtuellen und die wirklichen Verschiebungen in der Weise voneinander abhängen, daß sich die virtuellen Verschiebungen als Änderungen (Variation) der wirk– lichen Verschiebungen ergeben. Für den Dehnstab gilt 1 u v(x) + ǒu h(x) * u(x)Ǔ + h³0 ē u(x) ē u(x) – 1 / 24 – d u(x) (1.16.1) und für den Biegestab 1 w v(x) + ǒw h(x) * w(x)Ǔ + h³0 ē w(x) ē w(x) d w(x). (1.16.2) Alle benachbarten Verschiebungsfunktionen u h(x) und w h(x), die im Wertebereich des η–Parameters liegen, sind als Vergleichsfunktionen zur Konkurrenz zugelassen. Das Änderungssymbol δ drückt im Fall der Grenzwertbildung h ³ 0 mit δu(x) und δw(x) die Abweichungen zum wirklichen Verlauf der Verschiebungsfunktionen u(x) und w(x) aus. Beim DWV vermeidet man virtuelle Ansätze in der Art von Gl. (1.16). Sie führen zwangsläufig zu inneren Arbeitsanteilen, die den numerischen Aufwand im Rahmen einer Systembetrachtung deutlich erhöhen. Zur Durchführung der Handrechnung am Gesamtsystem ist es zweckmäßig, die Fesseln des geometrischen Grundsystems durch lokale kinematische Ketten starr zu bewegen, um durch diese Maßnahme die innere virtuelle Arbeit der Stäbe auszuschalten. Diese Vorgehensweise ist im (Bild 1.10) am Beispiel einer Knotendrehfessel dargestellt. ÇÇ ÇÇ a) Dehn– und biegesteifer Rahmen b) Geometrisch bestimmtes Grundsystem Yv = 1 Y=1 ÇÇ ÇÇ ÇÇ ÇÇ 0 0 c) Einheitsverdrehung Y d) Virtuelle Verdrehung Y v 0 Y Bild 1.10 : Wirkliche und virtuelle Größen beim DWV – 1 / 25 – Dagegen ist beim VdS lediglich die stab– bzw. elementbezogene Auswertung des zuvor analytisch formulierten PvW durchzuführen. Dafür erweist sich wiederum Gl. (1.16) als optimal. Der Vergleich verdeutlicht, daß virtuelle Ansätze zwar sehr unterschiedlich gestaltet werden können, daß sie letztendlich aber doch auf identische Ergebnisse führen. Beim PvW des Dehnstabs Gl. (1.14.1) sind u(x) und uv(x) jeweils einmal abzu– leiten, so daß mindestens ein linearer Verlauf zwischen den Knoten A und B erforderlich ist, um einen konstanten Arbeitsanteil pro Stab bzw. Element zu erhalten. Ein linearer Funktionsverlauf ist mit zwei Freiwerten verknüpft. Sie reichen aus, um in den Knoten A und B eines Stabs bzw. Elements die geometrischen Randbedingungen (1.12.1) zu formulieren. Für den Dehnanteil des PvW ist daher ein linearer Näherungsansatz für u(x) und uv(x) als zulässig anzusehen, da er die Minimalbedingungen erfüllt. Es erweist sich als zweckmäßig, die gewählten Näherungsansätze für u(x) und uv(x) auf die dimensionslose Koordinate c + c(x, s) zu beziehen, vgl. (Bild 1.11a) und die Ansatzfreiwerte auf die Stützwerte von u(x) und uv(x) in den Knoten A und B zu normieren, vgl. (Bild 1.11b). u(c) + 1 (1 * c)u A ) 1 (1 ) c)u B 2 2 (1.17.1) u v(c) + 1 (1 * c)u vA ) 1 (1 ) c)u vB. 2 2 (1.17.2) und Die Ansätze für die wirklichen Gl. (1.17.1) und virtuellen Verschiebungen Gl. (1.17.2) unterscheiden sich nur durch die unterschiedliche Bedeutung der Stützwerte voneinander. Der Verlauf zwischen den Knoten A und B stimmt dagegen vollständig überein. Die Verträglichkeit zwischen unmittelbar benachbarten Stäben bzw. Elementen ist beim VdS durch das Gleichsetzen der Knotenwerte in einfacher Weise zu erfüllen. Der mathematische Prozeß des Gleichsetzens von Knotenwerten zur Erzwingung einer dehnsteifen Verbindung ist beim DWV mit dem Einführen einer Fessel vergleichbar (Bild 1.10), so daß sich wiederum eine vollständige Analogie zwischen beiden Verfahren ergibt. Das Biegeproblem ist von zweiter Ordnung. Zur Auswertung von Gl. (1.14.2) sind w(x) und wv(x) jeweils zweimal abzuleiten. Es ist daher mindestens eine quadratische Näherung für beide Funktionen erforderlich, um konstante Stab– bzw. Elementarbeiten zu erhalten. Eine quadratische Funktion ist mit drei Freiwerten verknüpft. Die geometrischen Randbedingungen des Biegeproblems sind durch zwei Gleichungen definiert, nämlich Gl. (1.12.2) und Gl. (1.12.3). Da sich die wirklichen und virtuellen Verdrehungen ϕ(x) und ϕv(x) aus den Ableitungen der wirklichen und virtuellen Verschiebung w(x) und wv(x) ergeben, ist in den Knoten A und B jeweils das Gleichsetzen von wirklichen und virtuellen Verschiebungen und Verdrehungen erforderlich, um benachbarte Elemente biegesteif miteinander zu verbinden. Dazu sind aber vier und nicht drei Freiwerte in der Näherungsfunktion von w(x) und wv(x) notwendig. Es ist daher ein kubischer Ansatz erforderlich, um die Verträglichkeit zu erfüllen. – 1 / 26 – Auch beim Biegestab ist es zweckmäßig, für w(x) und wv(x) gleichwertige Näherungsansätze zu wählen, sie auf die dimensionslose Koordinate ξ = ξ(x, s) zu beziehen, vgl. (Bild 1.11a) und die Ansatzfreiwerte auf die Knotenstützwerte der wirklichen und virtuellen Verschiebungen sowie deren Ableitungen zu normieren, vgl. (Bild 1.11c). B (c + 1) A (c + * 1) ϕ u x, c w s 2 s 2 s a) Stabgeometrie ǒ Ǔ u A, u vA 1 (1 * c) 2 1 1 (1 ) c) 2 1 ǒu B, u vBǓ b) Dehnstab ǒwA, w vAǓ ǒöA, ö vA 1 (1 * c)2(2 ) c) 4 1 s (1 * c)2(1 ) c) 8 Ǔ 1 1 (1 ) c)2(2 * c) 4 1 * s (1 ) c) 2(1 * c) 8 ǒwB, w vBǓ ǒö B, ö vBǓ 1 c) Biegestab Bild 1.11 : Näherungsansätze – 1 / 27 – 2 2 w(c) + 1 (1 * c) (2 ) c) w A ) s (1 * c) (1 ) c) ö A 4 8 (1.18.1) 2 2 ) 1 (1 ) c) (2 * c) w B * s (1 ) c) (1 * c) ö B 4 8 und 2 2 w v(c) + 1 (1 * c) (2 ) c) w vA ) s (1 * c) (1 ) c) ö vA 4 8 (1.18.2) 2 2 ) 1 (1 ) c) (2 * c) w vB * s (1 ) c) (1 * c) ö vB. 4 8 Die im (Bild 1.11b und 1.11c) dargestellten und durch die Gleichungen (1.17 und 1.18) analytisch formulierten Weggrößenansätze erfüllen zwei wichtige Voraussetzungen, um das PvW praktisch anwenden zu können. 1. Zwischen den Knoten von Einzelstäben bzw. Einzelelementen erfassen sie den Verlauf der unbekannten Verschiebungsfunktionen ggf. genau, zumindest aber näherungsweise, so daß die Integration der Arbeitsausdrücke (1.14.1 und 1.14.2) explizit durchgeführt werden kann. 2. Die Freiwerte der Ansätze sind als Stütz– bzw. Ableitungswerte der Verschiebungsfunktionen direkt auf die Knoten bezogen. Es sind unbekannte Knoten– größen, die sich nach der Durchführung der Integration mit dem nun diskretisierten PvW berechnen lassen und unmittelbar baustatische Ergebnisse darstellen. Mit Hilfe der Näherungsansätze Gl. (1.17 und 1.18) wird beim VdS der Übergang vom analytischen zum diskreten und damit numerisch berechenbaren Problem vollzogen. Für die Rechneranwendung erweist sich als zweckmäßig, diesen Prozeß in Form einer Matrizengleichung darzustellen. Daher wird das VdS vielfach auch als Matrizenstatik bezeichnet. Dies ist aber höchst überflüssig und zudem auch irreführend, da die modische Namensgebung andeutet, daß eine neue und damit ggf. auch andere Statik vorliegt. Dies ist aber in keiner Weise der Fall. Das VdS beruht nach wie vor auf den gleichen theoretischen Grundlagen wie die klassischen Verfahren KGV und DWV. Lediglich die methodische Vorgehensweise ist stärker auf Rechner zugeschnitten, so daß sich als Formulierungshilfe zwangsläufig die Matrizendarstellung anbietet. Deswegen aber den eigenständigen Begriff Matrizenstatik zu bemühen, ist höchst überflüssig und ohne jeden Erkenntnisgewinn. – 1 / 28 – 1.3.4 Matrizendarstellung des PvW Die Auswertung des PvW (1.14) mit den Ansätzen (1.17 und 1.18) ist ein rein technischer Vorgang. Die Durchführung kann für den Dehn– und Biegestab in getrennter Form erfolgen, da die Berechnungstheorien durch den Hauptachsenbezug in entkop– pelter Form vorliegen. Die Ansatzkoordinate ξ hat ihren Ursprung in der Mitte eines Stabs bzw. Elements. Sie ist mit der x–Koordinate durch die halbe Elementlänge verknüpft, vgl. (Bild 1.11a). Es gilt x + s c, 2 dx + s dc 2 (1.19.1) (1.19.2) und dc +2 s. dx (1.19.3) Die Integration von Gl. (1.14.1) und Gl. (1.14.2) über den Weg dx ist mit Hilfe von Gl. (1.19.2) zwischen den Grenzen c + ) 1 (Knoten B) und c + * 1 (Knoten A) durchzuführen. Bei der Ableitung der Integranden, die sich auf die x–Koordinaten bezieht, ist mit Hilfe von Gl. (1.19.3) die Kettenregel zu beachten. Die Auswertung beginnt mit dem Arbeitsausdruck Gl. (1.14.1) des Dehnstabs. Dazu wird Gl. (1.17) einmal abgeleitet. Man erhält uȀ(x) + ǒ Ǔ ǒ Ǔ uA uB du(c) dc · + * 1 uA ) 1 uB · 2 + * s s ) s 2 2 dc dx (1.20.1) und v v uA uB du v(c) dc · + * 1 u vA ) 1 u vB · 2 + * uȀ (x) + s s ) s . 2 2 dc dx v (1.20.2) Die Verläufe der Dehnsteifigkeit EA und der Streckenlast n sind vereinbarungsgemäß als konstant anzunehmen. Nach dem Einsetzen von Gl. (1.17 und 1.20) kann daher die Integration von Gl. (1.14.1) analytisch durchgeführt werden. Diese Vorgehensweise ist für den Biegestab zu wiederholen. Zur Auswertung des Arbeitsausdrucks Gl. (1.14.2) ist Gl. (1.18) zweimal abzuleiten. Man erhält ǒ Ǔ d 2w(x) dc · wȀȀ(x) + dx dc 2 + ǒ 2 (1.21.1) Ǔ ǒ Ǔ ǒ Ǔ 6c * 1 ) 3c 6c 1 ) 3c wA ) öA ) * 2 wB ) öB 2 s s s s – 1 / 29 – und wȀȀ v(x) ǒ Ǔ d 2wv(x) dc + · dx dc 2 + 2 ǒ (1.21.2) Ǔ ǒ Ǔ ǒ Ǔ * 1 ) 3c v 1 ) 3c v 6c v 6c v wA ) ö ) * w ) ö B. A B 2 2 s s s s Da auch die Verläufe der Biegesteifigkeit EI und der Streckenlast p vereinbarungsgemäß als konstant anzunehmen sind, kann nach dem Einsetzen von Gl. (1.18 und 1.21) die Integration von Gl. (1.14.1) ebenfalls analytisch durchgeführt werden. Das PvW bilanziert virtuelle Arbeiten, die einzeln und in der Summe verschwinden, um den Gleichgewichtszustand von zunächst einem Stab bzw. Element zu erfüllen. Die Integration von Gl. (1.14.1 und 1.14.2) führt daher zwangsläufig auf skalare Größen. Dieser Sachverhalt muß sich demnach auch im Schema einer Matrizendarstellung des PvW widerspiegeln. Die Struktur der Matrizengleichung ist also eindeutig vorgeschrieben. Um skalare Größen zu erhalten, sind die inneren Arbeitsausdrücke als quadratische Formen zu gestalten und die äußeren Arbeitsausdrücke als Skalarprodukte. Dies gelingt in einfacher Weise, wenn man die virtuellen Weggrößen der Knoten A T und B in einer Matrizenzeile ǒv vlǓ und die wirklichen Weggrößen in einer Matrizenspalte vl zusammenfaßt. Obwohl sie aus physikalischer Sicht keine Vektoren darstellen, werden sie aber trotzdem vielfach als Vektoren bezeichnet. Zwischen dem Zeilen– und Spaltenvektor muß dann eine quadratische Matrix, nämlich die Steifigkeitsma– trix kll stehen, um nach der Matrizen–Produktregel eine quadratische Form aus– drücken zu können. Werden zusätzlich noch die auf die Knoten A und B reduzierten Streckenlastanteile in einer Matrizenspalte s 0l zusammengefaßt, ist die Matrizengleichung des PvW bekannt. W vǒv vl, v lǓ + ǒv vlǓ ·ǒk llv l * s 0lǓ + 0 T (1.22.1) oder in kurzer Schreibweise W vǒv vl, s lǓ + ǒv vlǓ ·s l + 0 (1.22.2) s l + k ll·vl * s 0l. (1.22.3) T mit Der Index (l) verdeutlicht den lokalen Bezug der diskretisierten Arbeitsgleichung (1.22), die das statische Verhalten eines Stabs bzw. Elements beschreibt. Die diskrete Form ist in der Kurzschreibweise Gl. (1.22.2) besonders deutlich zu erkennen. Durch die ForT derung, daß der aus virtuellen Weggrößen ǒv vlǓ und wirklichen Kraftgrößen sl gebil– 1 / 30 – dete virtuelle Arbeitsausdruck Wv in den Knoten A und B verschwinden muß, wird der lokale Gleichgewichtszustand zwischen den “inneren und äußeren Streckenlasten” erfüllt, die im Bereich des betrachteten Stabs bzw. Elements wirken. Diejenigen Knotengrößen von sl , die sich unmittelbar aus der Einwirkung von äußeren Streckenlasten ergeben, sind durch s 0l bekannt. Sie bilden den partikulären Anteil von Gl. (1.22.3). Die “inneren Streckenlasten”, die in den DGL (1.4) als Änderung der Schnittgrößen auftreten, bilden den homogenen Anteil von Gl. (1.22.3). Sie lassen sich ebenfalls durch Knotengrößen ausdrücken. Im Rahmen des VdS geschieht dies durch den Produktansatz aus Steifigkeitsmatrix kll mal wirklichen Knotenweggrößen vl , der in Gl. (1.22.3) die “inneren Knotenlastanteile” in Form einer Weggrößenformulierung erfaßt. Beim Zusammenbau der Einzelstäbe bzw. Einzelelemente zu einem statischen Berechnungssystem können in einem Systemknoten ein oder mehrere Stäbe bzw. Elemente zusammentreffen, vgl. Abschnitt 1.2. Es ist daher zweckmäßig, die Stab– bzw. Elementgleichungen (1.22.1 bis 1.22.3) in ein knotenbezogenes Untermatrizenschema aufzulösen, um beim Zusammenbau unmittelbar auf die Knotenanteile der Steifigkeitsmatrix und der Knotenbelastung zugreifen zu können. Anstelle der Gl. (1.22.1 bis 1.23.3) gelten daher auch die Matrizengleichungen W v ǒv vl, v lǓ A, B + ǒvvl, AǓ ǒvvl, BǓ T T W ǒv vl, s lǓ A, B + ǒvvl, AǓ ǒvvl, BǓ T k ll, AB v l, A k ll, BA k ll, BB v l, B s 0l, A – v k ll, AA = 0, s 0l, B s l, A T =0 s l, B (1.23.1) (1.23.2) und s l, A s l, B = k ll, AA k ll, AB v l, A k ll, BA k ll, BB v l, B – s 0l, A s 0l, B . (1.23.3) Die Matrizen k ll, AA und k ll, AB geben z.B. den Einfluß an, den die Weggrößen v l, A am Knoten A und v l, B am Knoten B auf die Kraftgröße s l, A am Knoten A ausüben. Die Untermatrizen des VdS sind mit den Zwangsgrößen Zij des DWV vergleichbar, die ebenfalls wechselseitige Einflüsse von Weg– auf Kraftgrößen erfassen, nämlich den Einfluß von Einheitsweggrößen Yj = 1 auf Kräfte und Momente in den (i)–Fesseln von geometrischen Grundsystemen. Der Einfluß von Einwirkungen, der beim DWV zu Zi0–Größen führt, wird beim VdS durch die Untermatrizen s 0l, A bzw. s 0l, B erfaßt. – 1 / 31 – Die arbeitskonforme Zuordnung der Knotengrößen aus Gl. (1.23) ist (Bild 1.12) zu entnehmen. M A, ö A, ö vA A ϕ N A, u A, u vA N B, u B, u vB x, u z, w Q A, w A, w vA M B, ö B, ö vB B Q B, w B, w vB Bild 1.12: Knotengrößen für den lokalen Dehn– und Biegestab Die Darstellung bezieht sich auf den Sonderfall des lokalen Dehn– und Biegestabs in der Ebene. Die Vorzeichen der Kraft– und Weggrößen stimmen an beiden Knoten überein. Eine nachträgliche Vorzeichenanpassung entfällt. Durch die Anwendung des PvW ergeben sich alle Kraftgrößen in s l unmittelbar als Knotengrößen, die in Richtung der virtuellen und wirklichen Weggrößen v vl und v l zeigen. Die expliziten Formen der symbolischen Matrizengleichungen (1.23.1 bis 1.23.3) sind daher in baustatischer Hinsicht unter Beachtung dieser, im (Bild 1.12) veranschaulichten Vorzeichenregelung zu bewerten. Für Gl. (1.23.2) gilt Wirkliche Kraftgrößen NA QA Knoten A MA Virtuelle Weggrößen =0 NB Wv +ǒ v vl Ǔ T sl + u vA w vA ö vA Knoten A u vB w vB ö vB Knoten B – 1 / 32 – QB MB Knoten B und für Gl. (1.23.3) Wirkliche Kraftgrößen sl Weggrößen Steifigkeitsmatrix kll vl NA EA s 0 0 * EA s 0 0 uA QA 0 12 EI3 s 6 EI2 s 0 * 12 EI3 s 6 EI2 s wA MA 0 6 EI2 s 4 EI s 0 * 6 EI2 s 2 EI s ϕA Knoten A . = NB * EA s QB 0 MB 0 0 * 12 EI3 * 6 EI2 s s 6 EI2 s 0 2 EI s EA s 0 0 uB 0 12 EI3 s * 6 EI2 s wB * 6 EI2 s 4 EI s ϕB 0 Knoten B kll ⋅ vl als homogener Lösungsanteil ns 2 Knoten A ps 2 ps 2 12 – ns 2 ps 2 Knoten B * ps 2 12 s 0l . Einwirkungsgrößen als partieller Lösungsanteil – 1 / 33 – Die knotenbezogenen Kraftgrößen im Biegeanteil von Gl. (1.23.3) stimmen betrags– mäßig mit den Stabendgrößen von geometrisch bestimmten Grundsystemen überein, die u.a. beim DWV zur Anwendung gelangen. Sie ergeben sich, wenn in den Knotendrehfesseln Einheitsverdrehungen, vgl. z.B. (Bild 1.10c), in den Knotenwegfesseln Einheitsverschiebungen und im Stabbereich zusätzlich konstante Streckenlasten wirken. Die Absolutwerte von Gl. (1.23.3) sind daher bereits aus Statik II bekannt. Es sind aber Unterschiede hinsichtlich der Vorzeichen zu beachten. Sie werden beim DWV durch die Anschauung festgelegt, beim VdS dagegen durch eine strenge arbeitskonforme Zuordnung. Dieser Unterschied ist im (Bild 1.13) verdeutlicht. (Bild 1.13a) zeigt die Stabendmomente infolge einer Einheitsverdrehung Y = 1 am linken Knoten des Stabes. Die Vorzeichen zur Ermittlung der Festhaltemomente in den Fesseln ergeben sich mit Hilfe der Bezugsfaser unmittelbar aus der Anschauung und werden jeweils durch Drehpfeilpaare gekennzeichnet. Die Knotenmomente, die sich mit ϕA = Y = 1 und (wA, wB, ϕB) ≡ 0 aus Gl. (1.23.3) ergeben, sind dagegen eindeutig auf den Drehsinn der erzeugenden Drehung bezogen. Sie sind im (Bild 1.13b) dargestellt. Interessant ist nun, daß die Richtung der Momentenpfeile, die im (Bild 1.13a) auf der jeweiligen Stabseite wirken, mit der Drehrichtung der Knotenmomente im (Bild 1.13b) übereinstimmt. Diese Gleichheit wird beim DWV vielfach genutzt, um eine einheitliche Drehrichtung der Stabendmomente zu definieren, die sich beim VdS durch die Verwendung des PvW in natürlicher Weise von allein einstellt. Nur hier ist sie deshalb auch sinnvoll. Beim DWV ist diese Vorgehensweise dagegen mehr oder weniger als künstlich anzusehen, da sie ohne Theorieverständnis erfolgt. Das Arbeiten mit lokalen Drehpfeilen erweist sich beim DWV i.a. als zweckmäßiger. U.a. auch deswegen, weil dann die Richtung der Einheitsverschiebungszustände vollkommen frei bleibt und keinen Restriktionen unterliegt. – 1 / 34 – Festhaltemoment in der linken Fessel Festhaltemoment in der rechten Fessel Y=1 – EI, s – 2 EI s – 4 EI s + a) Stabendmomente beim DWV A wA + 0 – EI, s – ϕ x, u z, w öA + 1 B wA + 0 öB + 0 M A + 4 sEI M B + 2 sEI b) Knotenmomente beim VdS Bild 1.13 : Vorzeichenvergleich zwischen DWV und VdS – 1 / 35 – 1.4 Baustatische Systembeschreibung 1.4.1 Systemgleichung Der Zusammenbau von einzelnen Stäben bzw. Elementen zu einem statischen System ist unabhängig vom speziell zu untersuchenden Tragwerk und kann daher in allgemeingültiger Form durchgeführt werden. Beim VdS wird das baustatische Verhalten durch die Summation der virtuellen Arbeitsanteile all derjenigen Stäbe bzw. Elemente erfaßt, die zum konstruktiven Bestand des betrachteten Gesamtsystems gehören, vgl. z.B. (Bild 1.2). Für n = 1, 2, 3 ... m Stäbe bzw. Elemente ergibt sich die Systemgleichung zu ȍ Wvn + 0. m W vS + (1.24) + W vn ist die virtuelle Arbeit Gl. (1.22 bzw. 1.23) des n–ten Stabs bzw. Elements und W vS die virtuelle Arbeit des Gesamtsystems (Index S). Nach den Regeln des PvW ist jeder Knoten des diskreten Gesamtsystems im Gleichgewicht, wenn W vS verschwindet. Die Durchführung der Summationsvorschrift Gl. (1.24) setzt voraus, daß sich alle beteiligten Weggrößen auf ein gemeinsames Koordinatensystem beziehen, um die Verträglichkeit zu erfüllen. Die Arbeitsanteile der einzelnen Stäbe bzw. Elemente sind daher mit Gl. (1.1) auf globale Systemkoordinaten zu transformieren. Gl. (1.1) in Gl. (1.22) eingesetzt ergibt W vǒv vg, v gǓ + ǒv vgǓ ·s g + ǒv vgǓ ǒk ggv g * s 0gǓ (1.25.1) k gg + T gl kll T lg (1.25.2) T T mit als globaler Stab– bzw. Elementsteifigkeitsmatrix und s 0g + T gl s0l (1.25.3) als globaler Stab– bzw. Elementeinwirkungsmatrix, die zusammen den globalen Kraftgrößenvektor sg eines Stabs bzw. Elements bilden. Nach der Transformation sind die Steifigkeits– und Einwirkungsmatrizen Gl. (1.25.2 und 1.25.3) immer auf globale Systemkoordinaten bezogen, so daß im weiteren Verlauf der Betrachtung die Kennzeichnung mit dem Index (g) in der Regel entfallen kann. Gl. (1.25.2) und Gl. (1.25.3) sind explizit in (Tabelle 1.1) angegeben. – 1 / 36 – a k g, AA k g, AB k gg = Symmetrisch d b e –f c –a –d –e a –d –b f d b e –f g –e f = k g, BA k g, BB c , EI EA 2 EI 2 2 2 a + EA s cos a ) 12 s 3 sin a, b + s sin a ) 12 s 3 cos a, ǒ Ǔ EA EI c + 4 EI s , d + s * 12 s 3 sin a · cos a, e + 6 EI2 sin a, f + 6 EI2 cos a, g + 2 EI s. s s a) Globale Steifigkeitsmatrix h i s 0g + s 0g, A s 0g, B j = h i –j , p·s 2 h + s (n· cos a ) p· sin a), i + s (n· sin a * p· cos a), j + . 2 2 12 b) Globale Einwirkungsmatrix Tabelle 1.1 : Globale Steifikeiten und Einwirkungen von Einzelstäben bzw. Einzelelementen – 1 / 37 – Die Durchführung der Summationsvorschrift setzt weiter voraus, daß alle Weggrößen der Systemknoten zu einer Unbekanntenmatrix bzw. einem Unbekanntenvektor V zusammengefaßt werden. Der Zusammenhang zwischen dem Stab– bzw. Elementvektor v und dem Vektor der Systemunbekannten V ist durch die Inzidenztafel bekannt, vgl. Abschnitt 1.2. Diese Information ist nun in eine Matrizenformulierung zu überführen, um sie auf Gl. (1.25) anwenden zu können. Dazu ist die Boole’sche Matrix Bn zu definieren, die für jedes der n = 1, 2, 3 ... m Elemente eine andere Besetzung aufweist. Durch sie werden die unbekannten Weggrößen in v und V, die einerseits zur Stab– bzw. Ele– mentebene und andererseits zur Systemebene gehören, multiplikativ miteinander verknüpft. v n + B nV, n + 1, 2, 3 AAA m (1.26) In (Tabelle 1.2) ist die explizite Form von Gl. (1.26) beispielhaft für den Stab n = 3 des Gesamtsystems (Bild 1.2a) dargestellt. Stäbe: n = 1, 2, 3 ... m = 8. Systemknoten : j = 1, 2, 3 ... k = 9. Stabknoten : A und B. 2 3 n= 1 3 B=4 A=2 7 4 v1 8 w 12 6 5 w 22 7 1 ö2 8 5 v3 9 Stab– bzw. Elementknoten w 24 0 0 1 ö2 v B+4 w 24 0 0 0 0 0 0 1 1 0 v5 . = 0 v4 ö4 1 v A+2 w 22 w 14 w 14 6 w 12 v2 0 1 0 0 0 0 0 v6 System– v7 knoten v8 ö4 1 v9 v3 B3 V Tabelle 1.2 : Boole’sche Matrix – 1 / 38 – Das ebene System besteht aus m = 8 Stäben und k = 9 Knoten. V enthält demnach 3 ⋅9 = 27 Weggrößen, da sich jeder der j = 1, 2, 3 ... k Systemknoten mit zwei Verschiebungen und einer Verdrehung an V beteiligt. ǒ Ǔ V + V v j + ǒw 1j, w2j, ö jǓ , j + 1, 2, 3 AAA k (1.27) Der Elementvektor v n + v nǒvL + ǒw 1L, w 2L, ö LǓǓ, L + A, B (1.28) enthält die Weggrößen der Stabknoten L = A und B, die speziell für den n = 3–ten Stab mit den Systemknoten A = 2 und B = 4 zusammenfallen, vgl. (Bild 1.2a). Immer, wenn die Nummern von Stab– bzw. Elementknoten und Systemknoten übereinstimmen, ist Bn an diesen Stellen mit Einheitsmatrizen besetzt, ansonsten mit Nullmatrizen. Wird Gl. (1.26) unter Beachtung von Gl. (1.27 und 1.28) in Gl. (1.25) eingesetzt und die Summation gemäß Gl. (1.24) gebildet, erhält man die explizite Form von Gl. (1.24). In der Matrizengleichung W vS + (V v) S + (V v) ǒKV * S 0Ǔ + 0 (1.29.1) n K + ȍ ǒB TkBǓ (1.29.2) T T wird m + als globale Systemsteifigkeitsmatrix und ȍ ǒ B Ts 0 Ǔ n m S0 + (1.29.3) + als globale Systemeinwirkungsmatrix bezeichnet. In (Tabelle 1.3) ist für den Stab n = 3 des Gesamtsystems (Bild 1.2a) der Aufbau von Gl. (1.29.2 und 1.29.3) dargestellt. Durch die Links– und Rechts– bzw. nur Links–Multiplikation mit der Boole’schen Matrix werden die Stab– bzw. Elementmatrizen k Gl. (1.25.2) und s0 Gl. (1.25.3) in Untermatrizen gemäß Gl. (1.23) bzw. (Tabelle 1.1) zerlegt und die knotenbezogenen Untermatrizen so adressiert, daß sie in den Systemmatrizen Gl. (1.29.2 und 1.29.3) den durch die topologische Beschreibung festgelegten Platz einnehmen. Die Beschreibung mit Matrizen veranschaulicht vor allem den Aufbau der Systemgleichung. Zur praktischen Durchführung im Rechner ist diese Vorgehensweise aber nicht geeignet, da Produktbildung mit Boole’schen Matrizen eine Vielzahl von Null–Operationen enthalten. Bei der Programmgestaltung sind sie daher durch geeignete Listenoperationen zu ersetzen. – 1 / 39 – k 3 3 0 1 1 1 0 1 0 (B 3 k 22 k 24 0 3 3 0 k 42 k 44 0 0 0 0 k 22 k 24 0 0 0 1 3 3 3 1 k 44 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 ǒ B Tk Ǔ )T 1 1 1 0 0 0 3 k 22 3 k 42 0 3 ǒ s 0Ǔ 3 B 3 3 k 42 0 1 1 1 0 0 0 0 0 s 02 3 0 0 0 0 0 s 04 3 k 24 3 s 02 3 3 s 04 3 k 44 Symm. Ein– wirkung Steifigkeit K S0 k ǒBTkBǓ 3 3 ǒ B Ts 0 Ǔ Tabelle 1.3 : Aufbau der Systemmatrizen Nach dem Abschluß der Summation Gl. (1.24) sind die Systemmatrizen Gl. (1.29.2 und 1.29.3) bekannt. Der Arbeitsausdruck Gl. (1.29.1) formuliert das PvW für ein diskretes Gesamtsystem. An allen j = 1, 2, 3 ... k Knoten des betrachteten Systems werden mit virtuellen Weggrößen ǒ ǓǓ ǒ V v + V v vvj + w v1j, w v2j, ö vj , j + 1, 2, 3 AAA k, (1.29.4) die dort wirkenden wirklichen Kraftgrößen ǒ ǒ ǓǓ S + S s j + f 1j, f2j, m j , j + 1, 2, 3 AAA k – 1 / 40 – (1.29.5) 3 bilanziert und durch die Forderung, daß die virtuelle Gesamtarbeiten verschwinden muß, ins Gleichgewicht gesetzt. Sowohl die Weggrößen Gl. (1.27 und 1.29.4) als auch die Kraftgrößen Gl. (1.29.5) sind auf globale Systemkoordinaten bezogen. Sie stellen daher im Sinne des PvW arbeitskonforme Knotenpaare dar, so daß Gl. (1.29.1) den Gleichgewichtszustand von geometrisch bestimmten, also verträglichen Grundsystemen ausdrückt. Die Belegung mit Steifigkeiten und Einwirkungen, die sich aus der Systemgleichung (1.24 bzw. 1.29.1) für alle Stäbe des Gesamtsystems (Bild 1.2a) ergibt, ist in (Ta– belle 1.4) dargestellt. Immer, wenn zwei und mehr Stäbe in einem Systemknoten zusammentreffen, sind die anteiligen Steifigkeiten bzw. Einwirkungen aus allen Stäben zu überlagern. Ein direkter Vergleich mit dem DWV verdeutlicht, daß die Knotengrößen Gl. (1.29.5) den Zwangsgrößen entsprechen, die sich in den Fesseln von geometrischen Grundsystemen des DWV einstellen, wenn Lasten und Einheitswegzustände am Gesamtsystem wirken. 1.4.2 Berechnung der Weg– und Lagergrößen Der Arbeitsausdruck Gl. (1.29) enthält alle erforderlichen Gleichgewichtsaussagen des diskreten Gesamtsystems, um die unbekannten Knotenweggrößen Gl. (1.27) und Knotenkraftgrößen Gl. (1.29.5) berechnen zu können. Damit keine kinematischen Verschiebungen auftreten, sind von den j = 1, 2, 3 ... k Knoten speziell (r) Knoten durch geometrische Randbedingungen ganz oder teilweise zu lagern. Die Knotengrößen beim VdS sind im (Bild 1.13) dargestellt. In allen Knoten sind zunächst die Weggrößen Vv und V und die Kraftgrößen S definiert (Bild 1.13a). Die virtuellen und wirklichen Weggrößen der ganz oder teilweise gelagerten (r) Knoten sind bekannt. Die wirklichen Weggrößen sind entweder Null (homogene Randbedingung) oder nehmen einen von Null verschiedenen, aber vorgeschriebenen Wert an (inhomogene Randbedingung). Die virtuellen Weggrößen sind in beiden Fällen Null. Sie sind durch Gl. (1.16) als Änderung der wirklichen Weggrößen definiert. Da diese bei der Lagerung durch Randbedingungen aber feste Werte annehmen und sich daher nicht verändern können, müssen die virtuellen Weggrößen zwangsläufig Null werden. – 1 / 41 – S ( V v ) TS ( V v) T ǒVv1Ǔ T s1 ǒVv1Ǔ ǒVv2Ǔ T s2 ǒVv2Ǔ ǒVv3Ǔ T s3 ǒVv3Ǔ ǒVv4Ǔ T s4 ǒVv4Ǔ T ǒVv5Ǔ T s 5 = ǒV v5Ǔ T ǒVv6Ǔ T ǒ Ǔ T T K 1 k 11 1 k 12 1 T 1 k 21 T + 3 ) k 22 2 k 32 2 k 23 3 k 24 2 k 33 3 3 k 42 4 4 k 44 k 44 – 1 / 42 – V v7 ǒVv8Ǔ T ǒVv9Ǔ T ǒVv6Ǔ s7 ǒ Ǔ V v7 4 k 54 s6 T k 45 6 ) k 55 5 k 65 6 T s9 ǒVv9Ǔ T 5 6 k 56 k 57 5 k 66 6 k 75 ǒVv8Ǔ v2 s 0, 2 v3 s 03 v4 8 ) k 77 7 8 k 79 W vs + (V v) S + (V v) ǒKV * S 0Ǔ + 0 T T 1 ) s 0, 2 2 s 0, 4 3 ) s 0, 4 4 . v5 – s 0, 5 4 ) s 0, 5 v6 s 06 v7 s 0, 7 6 ) s 0, 7 v8 s 08 v9 s 09 ) s 0, 2 3 5 ) s 0, 5 6 7 ) s 0, 7 8 7 k 77 + k 77 k 87 Tabelle 1.4 : Systemgleichung s 01 5 k 55 + k 55 T s8 v1 2 k 22 + k 22 4 W vs S0 V 7 8 k 78 k 79 7 k 88 9 k 99 für das Gesamtsystem (Bild 1.2a) ! =0 z.B. Knoten j = 4: ǒwv24, w24, f 24Ǔ ǒöv4, ö 4, m 4Ǔ 3 ǒwv14, w 14, f 14Ǔ 8 4 2 5 7 1 X 2, w v2, w 2, f 2 X 1, w v1, w 1, f 1 ö v, ö, m 9 6 a) Knotengrößen Vv, V und S in allen Knoten f 23 f 13 3 ö3 w 22 w 12 2 ö2 f 21 f 11 1 m1 f 28 w 24 4 8 w 14 ö4 w 25 w 15 5 ö5 w 27 7 ö7 w 29 m9 w 16 ö6 b) Unbekannte Knotengrößen Vu und Sr am gelagerten System Bild 1.13 : Knotengrößen beim VdS – 1 / 43 – f 18 w 17 f 26 6 m8 9 f 19 Die bekannten Weggrößen sind in den Vektoren V vr und V r zusammengefaßt, so daß als Weggrößen des gelagerten Systems die Vektoren V vu und V u verbleiben. Die Arbeitsgleichung (1.29.1) nimmt damit die Form T W vS + V vu V vr Su Sr T V vu V vr = (1.30) K uu K ur Vu K ru K rr Vr S 0u – S 0r =0 an, aus der sich die unbekannten Weggrößen V u der nicht gelagerten Knoten berechnen lassen (Bild 1.13b). Aus der ersten Blockzeile von Gl. (1.30) folgt nämlich mit beliebigen V vu 0 0 das Gleichgewicht der Knotenkräfte S u + 0 und daraus das algebraische Gleichungssystem K uuV u + S0u * K urV r , (1.31.1) das z.B. mit dem Cholesky–Verfahren nach V u aufgelöst werden kann /6/. Damit sind alle Weggrößen des Gesamtsystems bekannt. Aus der zweiten Blockzeile von Gl. (1.30) können dann mit bekannten V u und V r aus der Bedingung V vr + 0 die Kraftgrößen S vr 0 0 der gelagerten Knoten ermittelt werden, die sich dort als Reaktion auf die Lagerung als Lagergrößen ergeben (Bild 1.13b). S r + K ruVu ) K rrV r * S 0r . 1.5 (1.31.2) Nachlaufrechnung zur Berechnung der Schnittgrößen Mit V u und S r sind die globalen Weg– und Lagergrößen von beliebigen Gesamtsystemen bekannt. Im Anschluß an die Systemberechnung ist noch für jeden Stab bzw. jedes Element des Gesamtsystems eine Nachlaufrechnung durchzuführen, um mit Hilfe der bereits bekannten V u– und V r –Werte die Schnittgrößen (N, Q, M) zu ermitteln. Schnittgrößen sind als lokale Größen grundsätzlich auf die lokalen Stab– bzw. Elementkoordinaten bezogen. Sie sind durch die Verträglichkeitsbedingungen in Gl. (1.4.1 und 1.4.2) definiert. Für die Längskraft gilt N(x) + EA uȀ(x) (1.32.1) und für das Moment M(x) + * EI wȀȀ(x) . (1.32.2) – 1 / 44 – Mit dem Moment ist für schubstarre Querschnitte ǒGA Q ³ RǓ auch die Querkraft bekannt. Sie berechnet sich aus der Ableitung des Moments und folgt somit aus einer lokalen Gleichgewichtsbedingung, die einzig mögliche Bestimmungsgleichung für Q bei Schubstarrheit. Q(x) + MȀ(x) (1.33) Der Verlauf von u’(x) ist durch Gl. (1.20.1) vorgegeben und der Verlauf von w’’(x) durch Gl. (1.21.1). Beide Verläufe hängen von den lokalen Stützwerten der Verschiebungen und Verdrehungen in den Knoten (A, B) der n = 1, 2, 3 ... m Stäbe bzw. Elemente ab. Die globalen Komponenten der Stützwerte sind in Vu und Vr enthalten. Sie müssen daher mit Gl. (1.26) für alle Stäbe bzw. Elemente bereitgestellt und mit Gl. (1.1) auf die lokalen Stab– bzw. Elementkoordinaten transformiert werden, um (N, Q, M) bestimmen zu können. Die Auswertung erfolgt mit c +" 1 in den Elementknoten (A, B), also wie beim DWV an den Stabenden. Bei Stabtragwerken müssen bei analytisch exakter Berechnung die Beträge der Schnittgrößen aus der Nachlaufrechnung und die Beträge der Knotengrößen Gl. (1.22.3) übereinstimmen. Lediglich die Vorzeichen unterscheiden sich. Während die Schnittgrößen lokale Gleichgewichtsgruppen bilden, vgl. (Bild 1.7), zeigen die Knotenkräfte in Richtung der arbeitskonformen Weggrößen, vgl. (Bild 1.12). Anstelle der Verträglichkeitsbedingungen Gl. (1.32.1 und 1.32.2) sowie der Gleichgewichtsbedingung Gl. (1.33) kann daher auch unmittelbar die lokale Gleichgewichtsbedingung Gl. (1.23.3) verwendet werden, um die Schnittgrößen zu berechnen. Dazu bedarf es lediglich einer Anpassung der Vorzeichen (Bild 1.14). Im (Bild 1.14a) sind die Kräfte und Momente als Knotengrößen und im (Bild 1.14b) als Schnittgrößen dargestellt. MA NA A B ϕ MB x, u QA z, w NB QB a) Kräfte und Momente als Knotengrößen (Festhaltegrößen) MA NA A B QA QB b) Kräfte und Momente als Schnittgrößen (Gleichgewichtsgruppen) Bild 1.14 : Definition der Kraftgrößen beim VdS – 1 / 45 – MB NB Am Knoten A sind demnach die Vorzeichen der Kräfte NA und QA umzudrehen und am Knoten B das Vorzeichen des Moments MB. Für die modifizierte Nachlaufrech– nung gilt Gl. (1.34). lokale Weggrößen vl Schnittgrößen (Vorzeichen: (Bild 1.12b) lokale Steifigkeiten u NA * EA s QA 0 MA 0 0 0 EI * 12 EI3 * 6 2 s s 4 EI s 6 EI2 s EA s 0 0 uA 0 12 EI3 s * 6 EI2 s wA 0 * 6 EI2 s 2 EI s ϕA . = NB * EA s QB 0 MB Knoten A 0 0 * 12 EI3 * 6 EI2 s s * 6 EI2 s 0 * 2 EI s EA s 0 0 uB 0 12 EI3 s * 6 EI2 s wB 6 EI2 s * 4 EI s ϕB 0 Knoten B * ns 2 Knoten A ps * 2 ps 2 12 – (1.34) ns 2 ps 2 Knoten B ps 2 12 . lokale Einwirkungen s 0l – 1 / 46 – Im Rahmen des VdS wird das PvW mit zulässigen Ansätzen ausgewertet. Sie sind beim Dehnstab linear und beim Biegestab kubisch im Stab bzw. Element verteilt. Dies führt auf konstante Längs– und Querkräfte und linear verteilte Momente, wenn die Nachlaufrechnung auf Gl. (1.32 und 1.33) beruht. Die Ergebnisse von numeri– schen und analytischen Berechnungen stimmen daher nur dann überein, wenn keine Streckenlasten auftreten (n = 0, p = 0). Erfolgt die Nachlaufrechnung dagegen mit Hilfe von Gl. (1.34), werden zumindest konstante Streckenlasten bei der Berechnung der Knotenkräfte erfaßt, so daß sich auch genauere Lösungen für die zugehörigen Schnittgrößen einstellen, vgl. (Abschnitt 1.7). 1.6 Beispiel Auf die Durchführung von Programmierschritten, die anstehen, um das VdS auf Rechnern zu implementieren, wird verzichtet. Sie gehören zum Aufgabenbereich von Lehrveranstaltungen der Bauinformatik, auf die in diesem Zusammenhang verwie– sen wird. Vielmehr soll der Berechnungsablauf des VdS anhand eines einfachen Beispiels veranschaulicht und geübt werden. Zusätzlich wird mit einem Programm (Hier: FEMAS /5/) eine Vergleichsberechnung durchgeführt, um bei Anwendern das Vertrauen in eine zwangsläufig abstrakte Programmierung zu stärken. Ein weiteres Beispiel wird im Abschnitt 1.8 berechnet. Alle wesentlichen Angaben zum betrachteten Beispiel sind im (Bild 1.15) zusammengestellt. (Bild 1.15a) enthält die Aufgabenstellung und im (Bild 1.15b) ist das VdS–Berechnungssystem dargestellt. Das ebene Rahmensystem aus Stahlbeton besteht aus einem senkrecht angeordneten Stiel und einem waagerecht verlaufenden Riegel. Stiel und Riegel sind biegesteif miteinander verbunden und der Stiel am Anfang und der Riegel am Ende fest eingespannt. An der biegesteifen Verbindungsecke greift das Lastmoment M an. Dieses Moment kann sich als Einzelgröße nur linear im Stiel und Riegel verteilen. Es reicht daher aus, das Gesamtsystem (Bild 1.15a) lediglich in zwei Stäbe zu unterteilen, einen für den Stiel mit der Kennzeichnung n = 1 und einen für den Riegel mit der Kennzeichnung n = 2 . Das VdS beruht auf stab– bzw. elementweise kubischen Durchbiegungsverläufen und kann somit eine lineare Momentenverteilung stab– bzw. elementweise exakt erfassen. Eine feinere Unterteilung würde daher keine neuen Erkenntnisse ergeben. Stiel und Riegel weisen unterschiedliche lokale Koordinatensysteme auf, vgl. (Bild 1.15b). Es ist daher eine Transformation auf das globale X–Koordinatensystem erforderlich. Die topologische, geometrische und baustatische Beschreibung der Einzelstäbe 1 und 2 ist unter Beachtung der Randbedingungen in den (Bildern 1.16 bis 1.19) dargestellt. Im Stiel ist nur der Knoten B = 2 aktiv und im Riegel nur der Knoten A = 2. Die Knoten A = 1 im Stiel und B = 3 im Riegel fallen jeweils mit der Stiel– bzw. Riegeleinspannung zusammen und entfallen damit vollständig aus der Systembetrachtung. Elementeinwirkungsmatrizen s 0g treten in beiden Stäben nicht auf. Das Lastmoment M wird als Größe des Systemknotens 2 direkt der dort wirkenden arbeitskonformen virtuellen Verdrehung ö v2 zugeordnet und an entsprechender Stelle in der Systemeinwirkungsmatrix S 0 plaziert (Tabelle 1.5). – 1 / 47 – L = 15. m M Riegel 1.50 m M = 103 kNm Querschnitt Riegel E = 3⋅107 kN/m2 H = 10. m 0.50 m Stiel Gesucht: 1.) Verdrehung in der biege– steifen Rahmenecke. 0.50 m 2.) Momentenverlauf. Querschnitt Stiel 1.00 m a) Aufgabenstellung 2 ϕ 2 3 x, u 1 z, w X2, w2 ϕ x, u Das VdS–System setzt sich aus zwei Stäben mit insgesamt drei Knoten zusammen. Das z, w globale Koordinatensystem wird auf den Systemknoten 1 bezogen und um jeweils 1 5. m ϕ 5. m nach links und unten versetzt angeordnet. Die Bezugsfaser aus a) wird stabweise durch 5. m lokale Koordinatensysteme ersetzt. X1, w1 b) VdS–Berechnungssystem Bild 1.15 : Beispiel – 1 / 48 – L = 15. m B=2 3 n= 1 Inzidenztafel, vgl. (Bild 1.2a) H = 10. m x, u X2, w2 ϕ Element A B 1 1 2 z, w Koordinaten vgl. (Bild 1.3) A=1 5. m Knoten X1 (m) X2 (m) 1 5.0 5.0 2 5.0 15.0 5. m ϕ X1, w1 Querschnittswerte, vgl. (Bild 1.3) Element A (m2) I (m4) 1 A1 I1 Querschnittswerte: 3 A 1 + 0.5·1.0 + 0.5 m 2, I1 + 0.5·1 + 0.041666 m 4. 12 Geometriewerte, vgl. (Bild 1.4): X 12 + 5. m, X 22 + 15. m s 1 + X 12 * X 11 + 0, s 2 + X 22 * X 21 + 10. m, X 11 + 5. m, X 21 + 5. m s+ Ǹǒs Ǔ 1 2 ) ǒs 2Ǔ + H + 10. m, 2 2 1 sin a + ss + 1. , cos a + ss + 0. Beim Stab n = 1 ist der Knoten A = 1 vollständig gefesselt. Damit sind sowohl die lokalen als auch die globalen Knotenverschiebungen in diesem Knoten Null. Auf die Darstellung der gefesselten Knotenanteile in den Transformations– und Arbeitsgleichungen wird verzichtet. Bild 1.16 : Topologische und geometrische Beschreibung von Stab n = – 1 / 49 – 1 Knoten A = 1 0 v l, 1 0 0 Knoten B = 2 u2 v l, 2 w2 T lg, 11 0 0 Knoten A = 1 T lg, 22 0 v g, 1 0 = 0 ϕ2 vl 0 1 0 w12 Knoten B = 2 1 0 0 w22 v g, 2 0 0 1 ϕ2 T lg vg a) Transformationsmatrix Gl. (1.1 bzw. 1.2) 0 W v + ǒv vlǓ ·k ll·v l + T k ll, 11 k ll, 12 0 k ll, 22 Knoten A=1 ǒvl, 1Ǔ 0 0 Knoten B= 2 ǒvl, 2Ǔ T EA 1 H T k ll, 21 0 ǒv vlǓ k ll T 0 0 12 0 u v2 w v2 ö v2 v l, 1 0 EI EI 1 * 6 21 3 H H EI EI * 6 21 4 1 H H 0 Knoten A=1 u2 Knoten B=2 w2 v l, 2 ϕ2 vl b) Lokale Arbeitsgleichung des PvW Gl. (1.22 bzw. 1.23) T gl, 22·k ll, 22·T lg, 22 12 k gg, 22 + EI 1 H3 *6 EA 1 H 0 *6 0 EI 1 H2 0 EI 1 H2 0 4 EI 1 H c) Globale Steifigkeitsmatrix Gl. (1.25) bzw. (Tabelle 1) Bild 1.17 : Baustatische Beschreibung von Stab n = – 1 / 50 – 1 B=2 Stab n = 1 A=1 L = 15. m n= 2 A=2 B=3 x, u ϕ Inzidenztafel, vgl. (Bild 1.2a) z, w H = 10. m X2, w2 Element A B 2 2 3 Koordinaten vgl. (Bild 1.3) 5. m Knoten X1 (m) X2 (m) 2 5.0 15.0 3 20.0 15.0 5. m ϕ X1, w1 Querschnittswerte, vgl. (Bild 1.3) Element A (m2) I (m4) 2 A2 I2 Querschnittswerte: 3 A 2 + 0.5·1.5 + 0.75 m 2, I2 + 0.5·1.5 + 0.14062 m 4. 12 Geometriewerte, vgl. (Bild 1.4): X 12 + 5. m, X 22 + 15. m s 1 + X 13 * X 12 + 15. m, s 2 + X 23 * X 22 + 0, X 13 + 20. m, X 23 + 15. m s+ Ǹǒs Ǔ 1 2 ) ǒs 2Ǔ + L + 15. m, 2 2 1 sin a + ss + 0 , cos a + ss + 1. Beim Stab n = 2 ist der Knoten B = 3 vollständig gefesselt. Damit sind sowohl die lokalen als auch die globalen Knotenverschiebungen in diesem Knoten Null. Auf die Darstellung der gefesselten Knotenanteile in den Transformations– und Arbeitsgleichungen wird verzichtet. Bild 1.18 : Topologische und geometrische Beschreibung von Stab n = – 1 / 51 – 2 Knoten A = 2 u2 1 v l, 2 w2 0 –1 0 ϕ2 Knoten B = 3 0 v l, 3 0 = 0 0 0 0 0 w12 Knoten A = 2 w22 v g, 2 ϕ2 1 T lg, 22 T lg, 33 0 0 0 Knoten B = 3 0 v g, 3 0 vl T lg vg a) Transformationsmatrix Gl. (1.1 bzw. 1.2) EA 2 L W v + ǒv vlǓ ·k ll·v l + T 0 0 Knoten A=2 Knoten B= 3 ǒvl, 2Ǔ 0 EI 2 EI 2 * 6 L3 L2 EI EI * 6 22 4 2 L L k ll, 23 12 u2 Knoten A=2 w2 v l, 2 ϕ2 k ll, 22 ǒvl, 3Ǔ T 0 T k ll, 33 0 Knoten B=3 0 v l, 3 k ll, 32 u v2 w v2 ö v2 0 ǒv vlǓ 0 0 0 T k ll vl b) Lokale Arbeitsgleichung des PvW Gl. (1.22 bzw. 1.23) T gl, 22·k ll, 22·T lg, 22 EA 2 L k gg, 22 + 0 0 0 0 EI 2 L3 EI 6 22 L 12 6 EI 2 L2 4 EI 2 L c) Globale Steifigkeitsmatrix Gl. (1.25) bzw. (Tabelle 1) Bild 1.19: Baustatische Beschreibung von Stab n = – 1 / 52 – 2 A=2 B=3 Stab n = 2 S ( V v ) TS ǒv v1Ǔ T ( V v) T v v1 + 0 s1 w v12 f 12 W vs + ǒVv2Ǔ T S2 w v22 f 22 ö v2 m 2 – 1 / 53 – ǒv v3Ǔ T s3 K * w v12 = * 12 EI 1 EA 2 ) L H3 * w v22 ö v2 ǒVv2Ǔ v v3 + 0 * 1 *6 0 EI EA 1 ) 12 32 H L 0 *6 T * EI 1 H2 6 2 k 22 ) k 22 EI 2 L2 * 6 4 EI 1 H2 EI 2 L2 * EI 1 EI )4 2 H L W vs + (V v) S + (V v) ǒKV * S 0Ǔ + 0 T T S0 v1 + 0 0 w 12 0 w 22 ö2 * * : Steifigkeitswerte nicht angegeben! Tabelle 1.5 : Systemgleichung V für das Gesamtsystem (Bild 1.15) v3 + 0 – 0 M v2 0 ! = 0. Aus der Systemgleichung (Tabelle 1.5) folgt nach den Regeln des PvW das algebraische Gleichungssystem für die unbekannten Weggrößen v 2 + ƪw 12, w 22, ö 2ƫ am ungefesselten Systemknoten 2. 12 EI 1 EA 2 ) L H3 0 *6 EI 1 H2 0 EA 1 EI ) 12 32 H L 6 EI 2 L2 4 *6 EI 1 H2 w12 6 EI 2 L2 w22 EI 1 EI )4 2 H L ϕ2 0 = 0 M Mit endlichen Werten für EA1 und EA2 muß ein Gleichungssystem mit drei Unbe– kannten gelöst werden. Für die Handberechnung ist es daher sinnvoller, in Anlehnung an das DWV die Lösung für den dehnstarren Fall ǒEA 1, EA 2Ǔ ³ R zu ermitteln. Mit EI 1 ń EA 2 ³ R und EI 2 ń EA 1 ³ R berechnet sich w1 = w2 zu Null und ö 2 zu HL . ö2 + 1 M 4 EǒI ·L ) I ·HǓ 1 2 Die Auswertung mit den Eingangsdaten (Bild 1.15a) ergibt für ö 2 den Zahlenwert ö 2 + 0.0006. Damit ist die Systemberechnung abgeschlossen. Die Nachlaufrechnung zur Bestimmung des Momentenverlaufs kann mit Gl. (1.34) getrennt für jeden Stab erfolgen (Bild 1.20). Die Durchführung für den Stab 1 ist im (Bild 1.20a) dargestellt und für den Stab 2 im (Bild 1.20b). Eine Rücktransformation auf lokale Weggrößen zur Auswertung von Gl. (1.34) ist nicht erforderlich, da für den dehnstarren Fall w1 = w2 = 0 ist und die lokalen und globalen Werte von ö 2 0 0 in der Ebene zusammenfallen. – 1 / 54 – M2 + * 4 ö2 EI 1 ö +*M H 2 1 + * 307.692 kNm ǒ1 ) Ǔ I2 H I1 L B=2 – 2H 3 1 1H 3 + A=1 M1 + 2 EI 1 ö + 1M H 2 2 1 ǒ1 ) II HLǓ + 153.846 kNm. 2 1 a) Stab n = 1 M3 + * 2 EI 2 ö + * 1M 2 L 2 2L 3 1 ǒ Ǔ I 1 ) I1 HL 2 + * 346.154 kNm 1L 3 + ö2 – 2 A=2 B=3 M2 + 4 EI 2 ö +M L 2 1 ǒ1 ) II HL Ǔ + 692.308 kNm. 1 2 b) Stab n = 2 Bild 1.20 : Nachlaufrechnung zur Bestimmung der Momente – 1 / 55 – Die Vergleichsberechnung des Beispiels (Bild 1.15a) mit dem FEMAS–Programm /5/ wird mit einem Berechnungssystem durchgeführt, das ebenfalls aus zwei Stäben besteht (Bild 1.21). Im Vergleich zum (Bild 1.15b) verändert sich vor allem die Bezeichnungsweise und damit auch die Vorzeichen der Schnittgrößen. Die theoretische Vorgehensweise in der Vorlesung ist auf den ebenen Fall in einer (X1– X2)–Seitenrißebene beschränkt und verwendet als lokale Koordinatensysteme der Stäbe die Definition der klassischen Baustatik. Das Programm FEMAS erfaßt dagegen den allgemeinen Fall räumlicher Stabtragwerke in globalen (X1– X2– X3)–Koordinaten und definiert lokale Systeme als Rechtssysteme, die im Sinne einer Rechtsschraube um das globale System drehen. In FEMAS–Koordinaten ist die (X1– X2)–Ebene eine Grundrißebene. Die globale Darstellung der Stäbe erfolgt daher in der (X1– X3)–Seitenrißebene, um Anschluß an (Bild 1.15a) zu gewinnen. Qw 2 5. m v u N 2 3 Mv Qw u X3 N w M Mv 1 v X 2 5 0. , v ø X 2. w ö3 1 X2 ö2 w3 5. m w2 w1 ö1 X1 Bild 1.21 : Berechnungssystem zur Anwendung des FEMAS*–Programms *) Beim Einsatz eines anderen Programms ist das Berechnungssystem und die Eingabe an die spezielle Oberfläche des verwendeten Programms anzupassen. – 1 / 56 – Im Berechnungssystem zur Programmanwendung sind die Koordinatenwerte der globalen X2–Koordinate identisch Null, vgl. (Bild1.21). Im Vergleich zur Darstellung im (Bild 1.15b) zeigt die lokale w–Hauptachse der Stäbe nun in entgegengesetzter Richtung, so daß sich auch die Lage der Bezugsfaser von der Unter– zur Oberkante der Querschnitte verschiebt. Die senkrecht auf den ebenen (u– w)–Hauptachsen stehende v–Hauptachse verläuft parallel zur globalen X2–Koordinate. Das Lastmoment wirkt in der (X1– X3)–Ebene und dreht in positiver Richtung um die globale X2–Koordinate. Als Schnittgrößen stellen sich M = Mv–Momente, Q = Qw–Querkräfte und N–Längskräfte ein, vgl. (Bild 1.21). Die erzielten Ergebnisse der Programmberechnung werden im (Bild 1.22) grafisch ausgewertet. Der Verlauf der Verformung ist im (Bild 1.22a) und der Verlauf des Moments im (Bild 1.22b) dargestellt. Die Handberechnung wurde dehnstarr, die Programmberechnung dagegen mit den realen Flächen der Stabquerschnitte dehnsteif durchgeführt. Die Abweichungen zwischen den Ergebnissen betragen sowohl bei den Weg– als auch bei den Kraftgrößen nicht mehr als 1%. Für baupraktische Anwendungen ist der Einfluß der Dehnsteifigkeit i.a. ohne Bedeutung und kann daher zumindest im Rahmen einer Handberechnung vernachlässigt werden. Im Rahmen einer Programmanwendung ist es dagegen sinnvoll, mit den real vorliegenden Querschnittsflächen zu rechnen, da hierdurch kein Mehraufwand entsteht. Die Dehnstarrheit kann aber auch durch die Vorgabe großer Querschnittsflächen simuliert werden. Mit A1 = A2 = 1.E8 stellen sich z.B. beim vorliegenden Beispiel identische Zahlenwerte zur Handrechnung ein. Durch eine falsche Einschätzung der Größenordnung können sich aber auch vollständig verfälschte Ergebnisse ergeben, so daß es immer ratsam ist, bei Anwendung von Programmen dehnsteif zu rechnen. Der geringe Ein– fluß der Dehnsteifigkeit auf den Verformungszustand des Systems ist z.B. deutlich im (Bild 1.22a) zu erkennen. – 1 / 57 – ö 2 + 0.00062 a M v + 307.7 M v + 343.6 M v + * 692.3 M v + * 152.7 b – 1 / 58 – 1.7 Abschätzung der Genauigkeit Die gewählten Ansätze für u(x) Gl. (1.17.1) und w(x) Gl. (1.18.1) erfüllen die homogenen DGL Gl. (1.4.1 und 1.4.2) der Stabtheorie I. Ordnung. Das VdS antwortet daher analytisch exakt, wenn n(x) = 0 und p(x) = 0 gilt, also nur Einzelkräfte und Einzelmomente aber keine Streckenlasten im betrachteten System angreifen. Es ist daher zu vermuten, daß Lösungen mit n(x) ≠ 0 und p(x) ≠ 0 immer nur Näherungslösungen darstellen, deren Güte bei gleicher Elementierung abnimmt, wenn die Ordnung von n(x) bzw. p(x) anwächst. Dieses Verhalten ist ggf. durch eine Verfeinerung der Elementierung auszugleichen. Im Rahmen der hier verfolgten Strategie, alle Elementkenngrößen und Einwirkungen elementweise konstant zu erfassen, ist dies auch in einfacher Weise möglich. Das führt zwar u.U. zu einer erheblichen Aufweitung der Datenbasis und erhöht den rechnerischen Aufwand. Gemessen an den heutigen Möglichkeiten von Arbeitsplatzrechnern in Verbindung mit Vor– und Nachbereitungsprogrammen ist dieser Mehraufwand aber unerheblich und steht in keinem Verhältnis zu den Vorzügen einer einheitlichen Vorgehensweise mit elementweise konstanten Vorgaben. Die rechnerunterstützte statisch–konstruktive Bearbeitung von Tragwerken mit starken Veränderlichkeiten im System sollte daher immer mit einer groben Elementierung beginnen, um einen ersten Überblick über das Tragverhalten zu gewinnen. Im Anschluß daran sollte eine systematische Verfeinerung der Elementierung erfolgen und zwar solange, bis der Einfluß der Systemparameter abgeklungen ist, sich also ein stationärer Zustand der statischen Ergebnisse einstellt. Darüber hinaus sollten auch alle Möglichkeiten genutzt werden, die das VdS bietet, um durch systematische Parameterva– riation den Einfluß wichtiger Systemparamter aufzudecken und ggf. durch konstruktive Umgestaltung des betrachteten Bauteils das Tragverhalten zu verbessern. An einem einfachen Kragarm–Beispiel mit einem Element (Bild 1.23) soll gezeigt werden, welcher Fehler sich ggf. einstellt, wenn – im Lastfall 1 (LF1) eine Einzellast am Ende, – im Lastfall 2 (LF2) eine konstante Streckenlast und – im Lastfall 3 (LF3) eine linear veränderliche Streckenlast auf den Kragarm einwirkt. Die Berechnung der Weggrößen ist im (Bild 1.24) dargestellt und die Berechnung der Kraftgrößen im (Bild 1.25). Die Durchführung erfolgt in lokalen Koordinaten des Biegestabs. Der Dehnstab entfällt. – 1 / 59 – Wirklicher Verlauf Elementweise konstante Vorgabe p 2 p 2 p = veränderlich (LF3) p = konstant (LF2) F (LF1) ϕ x z, w EI s a) Kragarm mit drei Lastfällen 1 Element 1 A=1 B=2 2 Knoten b) Elementierung w 1 + 0, w v1 + 0 w 2 0 0, w v2 0 0 ö 1 + 0, ö v1 + 0 ö 2 0 0, ö v2 0 0 c) Randbedingungen Anmerkung: Es müssen nur die geometrischen Randbedingungen vorgegeben werden. Die statischen Randbedingungen werden vom umgeformten PvW als natürliche Bedingungen indirekt erfüllt. Bild 1.23 : Beispiel zur Abschätzung der Genauigkeit – 1 / 60 – B=2 12 EI3 s * 6 EI2 s w2 * 6 EI2 s 4 EI s ϕ2 LF1 LF2 LF3 F ps 2 ps 4 = 0 * ps 2 12 * ps 2 24 a) Gleichungssystem w 2N Fs 3 3 EI ps4 8 EI ps4 16 EI Fs 2 2 EI ps3 6 EI ps3 12 EI Fs 3 3 EI ps4 8 EI ps4 30 EI Fs 2 2 EI ps3 6 EI ps3 24 EI = ö 2N b) Numerische Lösung mit dem VdS w 2A = ö 2A c) Analytische Lösung ǒww ǒ 2N 2A Ǔ * 1 100 Ǔ ö 2N ö 2A * 1 100 0% 0% 87.5% 0% 0% 100% = d) Fehler Bild 1.24 : Berechnung der Weggrößen – 1 / 61 – Q1 A=1: = M1 12 EI3 s * 6 EI2 s w2 * 6 EI2 s 2 EI s ϕ2 * – ps 2 ps 2 12 a) Nachlaufrechnung Q 1N LF1 LF2 F ps = * Fs M 1N * ps 2 2 LF3 ps 2 * ps 2 4 b) Numerische Lösung mit dem VdS Q 1A F = * Fs M 1A ps 2 ps * ps 2 2 * ps 2 6 c) Analytische Lösung ǒ ǒ Ǔ Ǔ Q 1N * 1 100 Q 1A M 1N * 1 100 M 2A 0% 0% 0% 0% 0% 50% = d) Fehler Bild 1.25 : Berechnung der Kraftgrößen – 1 / 62 – Die numerische Lösung für die Durchbiegung w = w(x) ist beim VdS maximal von dritter Ordnung. Damit wird die analytische Lösung für die Einzellast im LF1 mit dem VdS exakt erfaßt, (Bild 1.24). Die analytischen Lösungen für die konstante und linear veränderliche Streckenlast in den Lastfällen LF2 und LF3 sind dagegen schon von vierter bzw. fünfter Ordnung. Trotzdem wird die Lösung des Lastfalls LF2 von dem VdS noch exakt erfüllt, vgl. (Bild 1.24). Die großen Abweichungen im Lastfall LF3 sind eine Folge der zu geringen Elementierung. Eine linear veränderliche Streckenlast kann von einem Element mit konstanter Approximation der Streckenlast nur unzutreffend erfaßt werden. Schon bei zwei Elementen verringert sich der Fehler erheblich, da die treppenförmige Approximation der Streckenlast die wirklichen Verhältnisse nun viel wirklichkeitsnäher abzubilden vermag (Bild 1.26). p Wirklicher Verlauf Elementweise p konstanter Verlauf Bild 1.26 : Fehlerreduzierung durch Verdichtung der Elementfolge Bei den Kraftgrößen ist ein ähnliches Verhalten zu beobachten (Bild 1.25). Die ersten beiden Lastfälle – LF1: Einzellast und LF2: Konstante Streckenlast – erfassen die analytische Lösung ebenfalls exakt. Der Fehler im dritten Lastfall – LF3: Linear veränderliche Streckenlast – ist dagegen wie schon bei den Weggrößen deutlich ausgeprägter und beträgt 50%. Durch die Verdichtung der Elementfolge (Bild 1.26) ist aber auch bei den Kraftgrößen eine rasche Fehlerreduzierung zu erwarten. Allgemeiner als speziell betrachtete Beispiele ist eine theoretisch begründete Abschätzung der Genauigkeit. Die analytischen Lösungen des Dehn– und Biegestabs sind durch u(x) + u h(x) ) u p(x) ³ u v(x) + u vh(x) und w(x) + w h(x) ) w p(x) ³ w v(x) + w vh(x) gegeben. Der Index (h) kennzeichnet den systemabhängigen homogenen Anteil und – 1 / 63 – der Index (p) den lastabhängigen partikulären Anteil der Lösung. In den virtuellen Größen entfallen wegen der Festlegung, daß sie als Änderungen der wirklichen Größen definiert sind, die lastabhängigen partikulären Anteile (Lasten sind Vorgaben und keine veränderlichen Größen). Wird die analytische Lösung in das PvW (Gl. 1.14) eingesetzt, erhält man für den Dehn– und Biegestab die Ausdrücke Wv + ŕǒuȀ (x) EA uȀ (x) * u (x) n ) uȀ (x) EA uȀ (x)Ǔdx + 0 Wv + ŕǒwȀȀ (x) EI wȀȀ (x) * w (x) p ) wȀȀ (x) EI wȀȀ (x)Ǔdx + 0. v h v h h v h p und v h v h h v h p Die gewählten Ansätze Gl. (1.17) und Gl. (1.18) zur Auswertung der Arbeitsausdrücke stimmen mit den homogenen Lösungsanteilen der analytischen Lösung überein. Unterschiede zwischen analytischer und numerischer Lösung sind daher auf die unterstrichenen partikulären Lösungsanteile zurückzuführen, die beim VdS fehlen. Mit den Bezeichnungen N vh(x) + uȀ vh(x)EA und M vh(x) + * wȀȀ vh(x)EI kann man sie auch in der Form ŕ uȀ (x) EA uȀ (x)dx + ŕ N (x) uȀ (x)dx v h v h p p und ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ (x)dx + * ŕ M (x) wȀȀ (x)dx v h v h p p schreiben. Formt man sie mit Hilfe der partiellen Integration um, so erhält man die Ausdrücke ŕ N (x) uȀ (x)dx + ǒN (x) u (x)Ǔ * ŕ NȀ (x)u (x)dx v h v h p p v h R p und * ŕ M (x) wȀȀ (x)dx + ) ǒQ (x) w (x)Ǔ v h p v h p R * ǒM vh(x)ö p(x)Ǔ * – 1 / 64 – R ŕ MȀȀ (x)w (x) dx. v h p Auf den Rändern R = Rw + Rk der Stäbe bzw. Elemente ist die Gesamtlösung durch die homogene Lösung eindeutig bestimmt, weil die Konstanten zum Anpassen der Randbedingungen nur in der homogenen Lösung auftreten. Die partikulären Lösungsanteile der Gesamtverschiebung sind deshalb auf den Rändern Null. Es gilt: up(x) ≡ 0 und wp(x) ≡ 0. Es sei in diesem Zusammenhang auch auf das DWV verwiesen. Dort sind beim 0–Zustand, der die Einwirkungen erfaßt, die geometrischen Unbestimmten in den Fesseln ebenfalls Null (angespannte Fesseln). Im Inneren der Stäbe bzw. Elemente erfüllen die virtuellen Schnittgrößen N vh(x) und M vh(x) wegen der exakten homogenen Ansätze die homogenen Gleichgewichtsbedingungen NȀ vp(x) + 0 und MȀȀ v + 0. Damit entfallen die partikulären Lösungsanteile vollständig im PvW. Die Systemantwort des VdS in den Knoten von diskretisierten statischen Systemen ist also bereits exakt, wenn man nur die homogene Lösung der DGL als Ansatz zur Auswertung des PvW heranzieht. Dies setzt aber voraus, daß man die Streckenlasten n und p durch die Integrale ŕ u (x) n dx + ŕ u (x) n dx v v h und ŕ w (x) p dx + ŕ w (x) p dx v v h statisch gleichwertig als Einzelgrößen in die Knoten überträgt. Durch die Vorgabe, n und p elementweise nur konstant zuzulassen, ist dies für konstante Streckenlasten noch exakt erfüllt, so daß das VdS in diesem Fall noch exakt antwortet, vgl. (Bilder 1.24 und 1.25, LF2). Im LF3: Linear veränderliche Streckenlast ist dies wegen der Vorgabe elementweise konstanter Streckenlasten nicht mehr der Fall. Die Reduzierung der Streckenlasten auf äquivalenten Knotengrößen ist falsch gewichtet und stellt ledig– lich eine Näherung dar. Das VdS muß daher zwangsläufig falsch antworten, vgl. (Bilder 1.24 und 1.25, LF3). Würde man das Integral ŕ w (x) p dx + ŕ w (x) p dx v v h anstelle des konstanten mit einem linearen p–Ansatz auswerten, so würde man ebenfalls eine exakte VdS–Antwort in den Knoten erhalten. Da man dies nicht tut, sondern die Auswertung aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf konstante p–Ansätze beschränkt, stellen sich Fehler ein, die man dann durch eine Erhöhung der Elementanzahl kompensieren muß. – 1 / 65 – 1.8 Elastisch gebettete Stabtragwerke Die Steifigkeitsmatrix von ungebetteten Stabtragwerken ist um elastische Bettungsanteile zu erweitern, um mit dem VdS auch elastisch gebettete Stabtragwerke berechnen zu können. Dies ist infolge der lokalen Stab– bzw. Elementbetrachtung in sehr einfacher Weise möglich, und zwar im direkten Gegensatz zu den handrechnungsorientierten Varianten der Baustatik, dem KGV und DWV, bei denen sich die Erweiterung um Bettungsanteile infolge der Systembetrachtung vor allem beim KGV sehr aufwendig gestaltet. Im (Bild 1.27) ist ein dehn– und biegesteifer, aber schubstarrer Stab bzw. ein end– lich begrenztes Element aus diesem Stab dargestellt. Zusätzlich zur Darstellung im (Bild 1.6) soll nun noch eine elastische Bettung in Richtung der Stabachse und quer dazu wirken, wobei wieder angenommen wird, daß die Kennziffern Ku und Kw der Dehn– und Biegebettung elementweise konstant sein sollen. Streckenlasten x p x~ n B A Ku Kw u(x) z, w(x) K ww(x) K uu(x) Bettungskräfte – EA, EI, s – Bild 1.27 : Elastisch gebetteter Stab Es gilt: K u(x) + K u + konst. K w(x) + K w + konst. mit 0 v m + Ku v 1. Kw Damit kann K w + K und K u + mK gesetzt werden. Als Daten sind die Balkenbettung K und die Verhältniszahl µ vorzugeben, die ausdrückt, welcher Anteil der Balkenbettung in Richtung der Stabachse wirkt. – 1 / 66 – Die elastische Bettung beeinflußt den Gleichgewichtszustand von Stäben. Wie aus (Bild 1.27) zu ersehen ist, wirken die Kräfte in der Bettung den äußeren Streckenlasten entgegen. Das einfachste statische Modell, um sie zu erfassen, ist das Bettungsmodulverfahren, vgl. z.B. Statik II. Es beruht auf der Annahme, daß sich die Bettungskräfte proportional zu den Verschiebungen des elastisch gebetteten Stabs einstellen. Proportionalfaktoren sind die Kennziffern der Dehn– und Biegebettung. Die DGL (1.4.1 und 1.4.2) von ungebetteten Stäben sind daher lediglich um diese Bettungskräfte zu erweitern. Für den gebetteten Dehnstab gilt EA uȀȀ(x) ) ǒn * mK·u(x)Ǔ + 0 (1.35.1) und für den gebetteten Biegestab EI wȀȀȀȀ(x) * ǒp * K·w(x)Ǔ + 0. (1.35.2) Die Ergänzungen in den DGL (1.35.1 und 1.35.2) sind unterstrichen und zusätzlich im (Bild 1.27) dargestellt. Charakteristische Kennwerte für die Wirkung der Bettung sind die Abklingzahlen lu + s Ǹ2mKEA (1.36.1) lw + s Ǹ4KEI , (1.36.2) und 4 Gl. (1.36.1) bezieht sich auf die Dehnbettung und Gl. (1.36.2) auf die Biegebettung von Stäben. Sie geben an, wie stark und wie schnell die Lösungen der Bettung in Richtung der Stabachse und quer dazu abklingen. Die analytischen Lösungen der DGL (1.35.1 und 1.35.2) von gebetteten Stäben sind bekannt, vgl. z.B. Statik II. Für den Biegeanteil Gl. (1.35.2) ergibt sich mit p = 0 als homogene Lösung eine Funktion mit zwei abklingenden Teillösungen, die jeweils am Anfang und Ende eines Stabes bzw. Elementes beginnen. ǒ Ǔ wǒx, x~ Ǔ + e * sl x C1 cos sl x ) C 2 sin sl x ǒ Ǔ (1.37) ) e * sl x~ C 3 cos sl x~ ) C 4 sin ls x~ . Grundsätzlich besteht natürlich die Möglichkeit, das PvW Gl. (1.14) und die zusätz– lichen Arbeitsanteile der Dehnbettung B ŕ u (x) (mK) u(x) dx v (1.38.1) – 1 / 67 – und der Biegebettung B ŕ w (x) K w(x) dx, v (1.38.2) mit analytischen Lösungsfunktionen auszuwerten. Eine Auswertung mit analytisch exakten Lösungen, z.B. Gl. (1.37) ist aber viel zu kompliziert und steht auch nicht im Kontext mit der Vorgehensweise des VdS, die ja gerade darauf beruht, analytisch komplizierte Schritte zu vermeiden und durch eine Verdichtung der Elementfolge zu ersetzen. Es ist daher konsequent, die Arbeitsanteile der Bettung ebenfalls mit den Ansätzen Gl. (1.17) und Gl. (1.18) auszuwerten, obwohl bekannt ist, daß sie analytisch exakt nur für den ungebetteten Stab unter Einzeleinwirkungen gelten. In dieser Annahme ist der Näherungscharakter des VdS daher besonders deutlich zu erkennen. Die positiven Vorzeichen der Gl. (1.38.1 und 1.38.2) sind eine Folge der Umformung durch partielle Integration, vgl. Gl. (1.11.1 und 1.11.2), die im Fall der Dehnbettung Gl. (1.38.1) eine einfache und im Fall der Biegebettung Gl. (1.38.2) eine doppelte Vorzeichenumkehr bewirkt. Die Auswertung der zusätzlichen Arbeitsanteile ist problemlos und lediglich ein technischer Vorgang. Es ist u(x) Gl. (1.17.1) und uv(x) Gl. (1.17.2) in Gl. (1.38.1) sowie w(x) Gl. (1.18.1) und wv(x) Gl. (1.18.2) in Gl. (1.38.2) einzusetzen, die Integration zwischen den Grenzen A und B der Stab– bzw. Elementränder durchzuführen und die virtuelle Bettungsarbeit mit W vBettung als quadratische Form darzustellen W vBettung + ǒv vlǓ k ll(K)v l. T (1.39) Im Arbeitsausdruck Gl. (1.39) ist 140 k ll(K) + Ks 3 420 m s2 0 0 156 s2 22 s 0 54 s2 * 13 s 0 22 s 4 0 13 s –3 0 0 m 140 2 s 0 0 54 s2 13 s 0 156 s2 0 * 13 s –3 0 * 22 s m 70 2 s die lokale Steifigkeitsmatrix der Stabbettung. – 1 / 68 – 70 m s2 0 0 0 (1.39.1) 0 * 22 s 4 Zusammen mit der lokalen Steifigkeitsmatrix von ungebetteten Stäben ist dann auch die Gesamtsteifigkeitsmatrix von elastisch gebetteten Stäben bzw. Elementen bekannt k ll + k ll(EA, EI) ) k ll(K). Ungebetteter Balken (1.40) Elastische Bettung Mit Gl. (1.39.1) können lediglich mehr oder weniger gute Näherungen der analytisch exakten Lösung von gebetteten Stäben berechnet werden, wie sie z.B. mit Gl. (1.37) vorliegt. Es ist daher eine Abschätzung der Näherungsgüte erforderlich, um die Anwendungssicherheit von Gl. (1.39) zu gewährleisten. Dies soll am Beispiel des im (Bild 1.28) dargestellten geometrischen Grundstabs für gebettete Biegestäbe erfolgen. – EI – A B K s a) Grundstab für gebettete Biegestäbe wB = 0 wA = 1 MA ϕA = 0 ϕB = 0 b) Einheitsverschiebung Bild 1.28 : Vergleich von analytischer und numerischer Lösung am gebetteten Grundstab Die analytisch exakte Lösung für den Lastfall Einheitsverschiebung wA = 1 ist bekannt und u.a. in den Arbeitsblättern zum DWV vertafelt, vgl. z.B. Statik II. Die Lösung für das Stabendmoment am Knoten A kann z.B. in Abhängigkeit von der Abklingzahl l w Gl. (1.36.2) angegeben werden. ǒ M A + * 2 l 2w Ǔ sEI w sin 2 l w ) sin h 2l w sin 2 l w * sin h 2l w 2 – 1 / 69 – A + f EI2 w A. s Aus der Näherung nach dem VdS Gl. (1.40) ergibt sich die Lösung QA wA MA 0 = k ll(EI) ) k ll(K) . QB 0 MB 0 N Speziell für MA gilt ǒ Ǔ ǒ Ǔ 4 M A + 6 ) 22 Ks EI2 w A + 6 ) 22 l 4w EI2 w A + f N EI2 w A. N 105 4 EI s 105 s s Im direkten Vergleich zur analytisch exakten Lösung tritt die numerische Lösung (In– dex N) in stark vereinfachter Form auf. Es ist daher zu untersuchen, bis zu welchem λw–Wert eine akzeptable Übereinstimmung zwischen beiden Lösungen besteht, um den Gültigkeitsbereich der Näherung einzugrenzen. Dazu sind lediglich die Vorfaktoren f = f (λw) und fN = fN (λw) der analytischen und numerischen Lösung von MA auszu– werten und miteinander zu vergleichen. Der Zahlenvergleich ist in (Tabelle 1.5) angegeben. lw f + * 2l 2w sin 2 l w ) sin h 2 l w f N + 6 ) 22 l 4w Fehler: 2 2 105 sin l w * sin h l w ǒ Ǔ fN * 1 ·100 f 0 6.00000 6.00000 0.00 % 1 6.20326 6.20952 0.10 % 2 9.07320 9.35238 3.08 % 3 18.00718 22.97142 27.57 % 4 32.04925 59.63809 86.08 % 5 50.01675 136.95200 173.81 % Tabelle 1.5 : Zahlenvergleich der Vorfaktoren aus analytischer und numerischer Lösung Danach ist bei gebetteten Systemen die Näherungslösung des VdS nur bis zur Abklingzahl lw + s Ǹ4KEI v 2.0 4 (1.41) zulässig. Die Stab– bzw. Elementlänge s ist daher in Abhängigkeit von K und EI so zu begrenzen, daß die Bedingung λw ≤ 2.0 eingehalten werden kann. – 1 / 70 – Die Vergleichslänge s Vgl. + Ǹ4KEI 4 (Maßeinheit nach Vorgabe von EI und K) (1.42) drückt das Verhältnis zwischen Biege– und Bettungssteifigkeit aus. Mit Gl. (1.41) ist dann auch die maximale geometrische Stab– bzw. Elementlänge bekannt. s v 2·s Vgl. (1.43) Bei konstanter Biegesteifigkeit EI wächst mit abnehmender Bettungssteifigkeit K die Vergleichslänge sVgl. und damit auch die zulässige geometrische Länge s der Stäbe bzw. Elemente an. Mit zunehmender Bettungssteifigkeit K verkürzt sie sich. So ist z.B. für K = 4 EI eine Stab– bzw. Elementlänge von s = 2 zulässig und für K = EI eine Länge von s = 2.83, wobei sich die Dimension aus den verwendeten Maßeinheiten ergibt. Die Begrenzung der Stab– bzw. Elementlänge Gl. (1.43) gilt streng genommen nur für die Biegebettung von Stabtragwerken. Sie kann aber voll auf die Dehnbettung übertragen werden, die mit Gl. (1.36.1) i.a. langwelligere Lösungsanteile aufweist als die Biegebettung mit Gl. (1.36.2), so daß auch für die Dehnbettung Gl. (1.43) gilt. Mit der Erfassung der Bettung auf Stab– bzw. Elementebene ist das Problem gebetteter Stabtragwerke vollständig gelöst. Auf Systemebene sind keine grundsätzlich neuen Überlegungen wie beim KGV oder DWV erforderlich, da der Zusammenbau von elastisch gebetteten Stäben bzw. Elementen in gleicher Weise erfolgt wie für ungebettete Stäbe bzw. Elemente. In Bereichen mit Bettung ist lediglich eine feinere Elementierung vorzusehen, um Gl. (1.43) zu erfüllen und zusätzlich die Bettungsmatrix Gl. (1.39) auszuwerten. Wegen Gl. (1.43) ist von einer staborientierten Unterteilung elastisch gebetteter Stäbe abzuraten und immer die elementorientierte Vorgehensweise anzuwenden, vgl. auch (Bild 1.2). Dabei ist die Anzahl der erforderlichen Elemente pro Stab durch Gl. (1.43) bekannt. Wird allerdings beim Elementieren von gebetteten Stäben gegen diese ein– fache Grundregel verstoßen, ist zu erwarten, daß sich mit dem VdS falsche Ergebnisse ergeben. Daß dies auch wirklich so ist, soll an einem Beispiel aus der Baupraxis verdeutlicht werden. Im (Bild 1.29) ist ein Tunnelbauwerk dargestellt, um zwei Bahntrassen kreuzungsfrei trassieren zu können. Der sehr lange Tunnel aus Stahlbeton ist im Endzustand vollständig im Baugrund eingebunden (Bild 1.29a). Für den rechnerischen Nachweis der Tunnelkonstruktion ist es ausreichend, nur die Querrichtung des Tunnels in der (X1– X3)–Ebene anhand eines B = 1.00 m breiten Ausschnitts der X2–Längsrichtung zu betrachten, so daß als statisches System in der (X1, X3)–Ebene eine biegesteife Rahmenzelle vorliegt (Bild 1.29b). Im Bauzustand liegt der Tunnel frei. Im statischen System ist daher nur die Bodenplatte als elastisch gebettet anzunehmen. Nach der Verfüllung sind zwar auch die Seitenwände im Baugrund eingebettet. Der Bettungseffekt ist aber gering, so daß es ausreicht, die seitliche Verfüllung als Lastfall Erddruck auf die rechte und linke Seitenwand zu erfassen. – 1 / 71 – Tunnel: Stahlbeton B35 , E + 3·10 7 kNńm 2 . Oberkante Baugrund Firstplatte ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ Linke Seitenwand Rechte Seitenwand H = 8. m d = 0.80 m X3 X2 Bodenplatte X1 Baugrund: Bettungsmodul k = 15000 kN/m3. B = 1. m L = 8. m a) Tunnel als Kreuzungsbauwerk zwischen zwei Bahntrassen : Stabteilung 8. m w (1) : Systemknoten v (2) u 1 0.80 Lastfall Eigengewicht: g + 25 kNńm 3 . ϕ3 2 8. m Mv Qw 4 w3 w2 w1 ϕ2 (3) N 3 (4) Balkenbettung: ϕ1 K = k⋅B = 15000 kN/m2. b) Statisches System: Biegesteife, elastisch gebettete Rahmenzelle Bild 1.29 : Anwendungsbeispiel Tunnelbauwerk – 1 / 72 – Aus der Vielzahl von Lastfällen soll hier nur der Lastfall Eigengewicht betrachtet werden. Die Grobelementierung sieht zunächst nur vier Stabelemente vor: 2 ³ rechte Seitenwand, 3 ³ Bodenplatte und 4 1 ³ Firstplatte, ³ linke Seitenwand. Die verti- kalen Seitenwände erhalten beim Lastfall Eigengewicht eine Einwirkung in Richtung der Stabachsen. Die Momente aus der Einspannung in die First– und Bodenplatte verlaufen linear, so daß die Elementierung mit einem Stabelement ausreicht. Auf die waagerechte First– und die waagerechte Bodenplatte wirkt als Eigengewicht die konstante Streckenlast g = γ⋅d⋅B ein, vgl. (Bild 1.29). Das VdS erfaßt diesen Zustand mit einem Element noch ausreichend genau, vgl. Abschnitt 1.7, so daß auch bei diesen Bauteilen die Elementierung mit jeweils einem Stabelement ausreicht, wenn die Bodenplatte nicht gebettet wäre. Es ist daher zu überprüfen, ob Gl. (1.43) ggf. eine zusätzliche Zwischenteilung der Bodenplatte erfordert. Das Bodengutachten gibt als Bettungsmodul den Wert k =15000 kN/m3 an. Daraus errechnet sich die Balkenbettung zu K =15000 kN/m2, vgl. (Bild 1.29b). Die Länge der Bettungselemente ist daher auf s Bettung 4·3·10 · v 2 Ǹ4 EI + 2 Ǹ K 1.5·10 4 4 7 1·0.8 3 12 4 + 8.60 m zu begrenzen. Die Stablänge aller Tunnelbauteile beträgt dagegen nur 8.00 m , vgl. (Bild 1.29b). Die Elementierung mit einem Stabelement ist demnach als ausreichend anzusehen. Trotzdem werden für die First– und Bodenplatte jeweils 10 Zwischenteilungen vorgegeben. Nicht aus Gründen der numerischen Genauigkeit, sondern um die grafische Ausgabe der Momentenverläufe zu ermöglichen, da das hier verwendete Programm nur eine lineare Darstellung pro Element erlaubt. Der Verschiebungs– und Momentenverlauf, der sich aus einer Berechnung mit der Balkenbettung K = 15000 kN/m2 ergibt, ist in den (Bildern 1.30a und b) dargestellt. Der Tunnel ist im Vergleich zum Baugrund sehr steif (E/K = 2 ⋅ 103). Die Verschiebungen der Bodenplatte werden dem Baugrund aufgezwungen (Bild 1.30a). Der Sohldruck unter der Bodenplatte ist daher wie eine mehr oder weniger konstante Streckenlast verteilt, so daß sich aus baustatischer Sicht ein plausibler Momentenverlauf (Bild 1.30b) einstellt. Eine Kontrollberechnung mit nur zwei Elementen in der First– und Bodenplatte ergibt die gleichen Feld– und Eckmomente und bestätigt damit die vorgenommene Abschätzung der Elementierung. Der Tragwerksplaner, der die Planungsunterlagen zum Bau des Tunnelbauwerks (Bild 1.29) erstellt hat, hat zur Durchführung von statischen Berechnungen ein Programm benutzt, das die Eingabe der Balkenbettung in der Dimension kN/cm2 verlangt. Demnach hätte man K = 1.5 kN/cm2 eingeben müssen. Eingegeben wurde aber unmittelbar der Zahlenwert aus dem Bodengutachten, nämlich K = 15000, nun aber in der Dimension kN/cm2 , so daß die Eingabe der Bettung wegen der fehlenden Umrechnung der Dimension um den Faktor 104 zu groß erfolgte. Statt des wirklich vorliegenden relativ weichen Baugrunds wurde im statischen System mit (E/K = 2 ⋅ 10–1) nun ein sehr steifer Baugrund abgebildet. Daraus ergeben sich Folgen, die das baustatische und numerische Verhalten des statischen Systems stark beeinflussen. – 1 / 73 – 6.2 mm 6.8 mm 4.9 mm 6.1 mm a 28.6 28.6 131.4 275.2 177.6 177.6 b – 1 / 74 – – Die baustatische Folge ist, daß sich die Bodenplatte wegen des steifen Baugrunds fast starr verhält und dadurch die Seitenwände voll einspannt. – Die numerische Folge ist, daß Gl. (1.43) verletzt wird, da sich die zulässige Elementlänge in der gebetteten Bodenplatte durch die falsche Eingabe auf 4 s Bettung v 8.6 Ǹ10*4 + 0.86 m verringert. Beide Folgen wurden nicht erkannt. Für den Lastfall Eigengewicht wurde z.B. der Momentenverlauf im (Bild 1.30c) ermittelt, der sich aus einer Berechnung mit vier Elementen in der First– und nur zwei Elementen in der Bodenplatte ergibt. Die Verteilung in der Bodenplatte ist als reines Zufallsprodukt zu werten, da die Mißachtung von Gl. (1.43) zumindest im Bereich der Bodenplatte auf völlig willkürliche Ergebnisse führt. Der Momentenverlauf aus einer Kontrollberechnung mit richtiger Elementteilung, aber falscher Balkenbettung ist im (Bild 1.30d) dargestellt. Im Vergleich zum (Bild 1.30c) ändern sich die Momente in der Firstplatte kaum, dagegen aber völlig in der Bodenplatte, in der erwartungsgemäß nur noch die Einspannmomente der Seitenwände auftreten, während der Innenbereich wegen der großen Steife des Baugrunds momentenfrei bleibt. Mit der falschen Eingabe wurden eine Vielzahl von Lastfällen bzw. Lastfallkombinationen berechnet, die zugehörige Bewehrung ermittelt, Bewehrungspläne erstellt und Listenauszüge zur Herstellung der Bewehrung angefertigt. Der Fehler wurde erst im Rahmen der statischen Prüfung der Planungsunterlagen vom Prüfstatiker bemerkt. Welches Fazit ist aus diesem Fall zu ziehen? Aus baustatischer Sicht zwei, nämlich 1., daß man immer die Rahmenbedingungen der Berechnungstheorie beachten muß, auch dann, wenn man mit ihr nur praktisch arbeiten will und 2., daß man Ergebnisse, vor allem solche, die aus Berechnungen mit Programmen stammen, immer duch anschauliches Verständnis kontrollieren muß, um die Qualität des Produkts Baustatik zu sichern. Baustatik ist eben mehr als nur reine Zahlenberechnungen. Es sind vor allem sehr gute theoretische Kenntnisse der Methodik und großes baustatisches Verständnis erforderlich, um Fehler zu vermeiden, wie sie z.B. im Anwendungsbeispiel (Bild 1.29) auftraten. Sie zu erwerben ist das vorrangige Ausbildungsziel der Lehrveranstaltungen Statik der Baukonstruktionen im Grundfachstudium. – 1 / 75 – 70. 70. 90. 61. 30.3 30.3 c 68.3 68.3 91.7 22.1 22.1 d – 1 / 76 – 1.9 Lastfall Temperatureinwirkung Temperaturen sind Einwirkungen, die in Tragwerken Verformungen hervorrufen, die zu Zwängungen führen, wenn sie sich nicht frei einstellen können. Bei statisch unbestimmten Systemen ist dies die Regel, so daß diesem Lastfall besondere Bedeutung zukommt, da Zwängungen zu großen Beanspruchungen führen können. Im Querschnitt eines Stabes (Bild 1.31) ist in Anlehnung an die Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte von einer geradlinig verteilten Temperaturbeaufschlagung auszugehen, die sich in einen konstanten und einen linearen Anteil aufspalten läßt. Oben h TO = S Unten TU + DT S DT h z, w Bild 1.31 : Temperaturbeaufschlagung im Stabquerschnitt Der auf den Schwerpunkt S bezogene konstante Temperaturanteil (Index S) ist durch DT S + ǒT U ) T OǓ 2 * TE (1.44.1) gegeben und der über die Querschnittshöhe h linear veränderliche Temperaturanteil (Index h) durch DT h + T U * T O , (1.44.2) wenn TU = TU(x) die Temperatur an der unteren Balkenfaser (Index U), TO = TO(x) die Temperatur an der oberen Balkenfaser (Index O) und TE = TE(x) die aktuelle Einbautemperatur (Index E) ausdrückt. Der Temperaturverlauf kann sich entlang der Stabachse verändern. Im Rahmen einer einheitlichen Datenvorgabe für DT S Gl. (1.44.1) und DT h Gl. (1.44.2) wird aber wiederum von einem stab– bzw. elementweise konstanten Verlauf ausgegangen. Durch die Temperatureinwirkung stellen sich im freien Querschnitt zusätzlich zu den lastbedingten Verformungen die Dehnung e T + a T DTS (1.45.1) – 1 / 77 – und die Krümmung kT + aT DT h h (1.45.2) ein. Der Temperaturausdehnungskoeffizient a T ist ein Werkstoffkennwert und damit bekannt. Der Index (T) kennzeichnet den Einwirkungsfall Temperatur. Temperaturbedingte Verformungen beeinflussen das statische Verhalten eines Stabes durch die Verträglichkeitsaussage. Für die Dehnung in Richtung der Stabachse gilt die erweiterte Aussage e K + e E ) e T. (1.46) Danach muß die kinematische Dehnung (Index K), also die tragwerksabhängige Gesamtdehnung e K + uȀ(x) nicht nur wie gehabt mit der elastischen Dehnung (Index E) e E + N(x) ń EA des verwendeten Materials verträglich sein, sondern nun auch noch, bedingt durch die zusätzliche Temperatureinwirkung mit der Dehnung e T . Mit Gl. (1.45.1) ergibt sich daraus als Bestimmungsgleichung für die Längskraft der Ausdruck N(x) + EAǒuȀ(x) * a T DT SǓ. (1.47) Lediglich die Differenz zwischen kinematischen und temperaturbedingten Dehnungsanteilen e E + e K * e T führt demnach zu einer elastischen Reaktion des verwendeten Materials, die bei gleichzeitiger Einwirkung von Lasten und Temperaturen die Schnittkraft Gl. (1.47) hervorruft. Für die Krümmung der Stabachse ist die Verträglichkeitsaussage ebenfalls zu erweitern. kK + kE ) kT (1.48) Mit k K + * wȀȀ(x), k E + M(x) ń EI und Gl. (1.45.2) ergibt sich daraus als Bestimmungsgleichung für das Biegemoment der Ausdruck ǒ M(x) + * EI wȀȀ(x) ) a T DT h h Ǔ (1.49) Auch im Fall der Krümmung gilt, daß lediglich die Differenz zwischen kinematischen und temperaturbedingten Krümmungsanteilen k E + k K * k T eine elastische Reaktion des verwendeten Materials hervorruft, aus der das Moment Gl. (1.49) resultiert. – 1 / 78 – Das Einsetzen der Bestimmungsgleichungen (1.47 und 1.49) in das bereits umgeformte PvW (Gl. 1.14.1 und 1.14.2) führt unmittelbar auf die zusätzlichen Arbeitsanteile NT B * ŕ uȀ (x) EAǒa v T DT SǓdx (1.50.1) A e v(x) und MT ŕ wȀȀ (x) EIǒa B * v T Ǔ DT h dx. h (1.50.2) A * k v(x) Sie sind zusätzlich auszuwerten, um mit dem VdS den Lastfall Temperatureinwirkung erfassen zu können. Die virtuellen Temperaturarbeiten Gl. (1.50.1 und 1.50.2) werden durch Produkte aus virtuellen Verzerrungen und wirklichen Schnittgrößen gebildet und sind daher den inneren Arbeiten zuzurechnen. Sie überführen die temperaturbedingte Dehnung und Krümmung in äquivalente Kraftgrößen, nämlich die Längskraft NT und das Biegemoment MT, die als bekannte Größen zur rechten Seite des Gleichungs– systems Gl. (1.31.1) gehören, aus dem sich die unbekannten Weggrößen berechnen. Zur numerischen Auswertung von Gl. (1.50) muß wiederum der Verlauf der Integranden zwischen den Grenzen A und B der Stab– bzw. Elementränder bekannt sein. Die Kennwerte EA, EI, αT, ∆TS, und ∆Th sind vereinbarungsgemäß konstant. Sie können daher vor das Integral gezogen werden, während die Abschätzung des Verlaufs der virtuellen Verzerrungen, nämlich der Dehnung e v(x) + uȀ v(x) und der Krümmung * k v(x) + wȀȀ v(x) mit den Ansätzen nach Gl. (1.20.2 und 1.21.2) erfolgt. Die Durch– führung der Integration und die Einordnung der Ergebnisse in die lokale Matrizengleichung (1.22 bzw. 1.23) ergibt dann zusätzlich die Matrix der Knotenbelastung T s 0l infolge der Temperatureinwirkung DT S und DT h. – 1 / 79 – Zusätzliche Knotenbe– lastung infolge Temperatur– einwirkungen * NT 0 Bereits vorhanden Virtuelle Knoten– T verschiebungen ǒv vlǓ Wv = k llv l * s 0l – MT = 0. N T 0 u vA w vA ö vA u vB w vB ö vB * MT (1.51) T 0 sl In Gl. (1.51) ist N T + EA a T DTS (1.52.1) DT h . h (1.52.2) und M T + EI a T Ein Vergleich mit Gl. (1.50) verdeutlicht, daß sich die Eingangsgrößen durch die Integration nicht verändern. Um diese Ergebnisse zu bestätigen, soll nun an zwei einfachen Beispielen die Wirkung von DT S und DT h auf Plausibilität untersucht werden. Als erstes Beispiel wird ein links und rechts fest eingespannter Stab gewählt, der in zwei Elemente unterteilt wird, um einen Mittelknoten zu erhalten (Bild 1.32). Die Berechnung mit dem VdS wird in lokalen Koordinaten durchgeführt und ist in den (Bildern 1.33 und 1.34) dargestellt. DT S ist dem Lastfall LF1 und DT h dem Lastfall LF2 zugeordnet. – 1 / 80 – Oben DT S, DT h, a T h x, u EA, EI s Unten z, w a) System: Geometrisch bestimmter Grundstab Links Rechts = 0, uv = 0 w = 0, wv = 0 ϕ = 0, ϕv = 0 = 0, uv = 0 w = 0, wv = 0 ϕ = 0, ϕv = 0 u u Links Rechts b) Randbedingungen A=1 B=2 1 A=2 B=3 2 3 * EA 1, EI 1 * * EA 2, EI 2 * * s1 * * s2 * Knotennummern Elementnummern c) Elementierung Bild 1.32: Beispiel zum Lastfall Temperatur Der linke Knoten 1 und der rechte Knoten 3 sind vollständig gefesselt. Damit entfallen dort die Gleichungen für die Weggrößen, so daß nur die Unbekannten des Mittelkno– tens 2 im Gleichungssystem auftreten. Die aktiven Steifigkeiten und Einwirkungen ergeben sich aus dem B = 2 Knoten des ersten und aus dem A = 2 Knoten des zwei– ten Elements. Das algebraische Gleichungssystem und die zugehörige Lösung der Systemberechnung sind im (Bild 1.33) angegeben. – 1 / 81 – (LF1) EA 1 EA 2 s1 ) s2 0 ȡEI EI ȣ 12ȧ 31 ) 32ȧ Ȣ s1 s2 Ȥ 0 ȡ Ȣ 6ȧ* 0 0 ȡ Ȣ 6ȧ* N T1 * N T2 0 w2 = 0 0 ϕ2 0 u2 EI 1 EI 2ȣ ) 2ȧ s 21 s2 Ȥ ǒ EI 1 EI 2ȣ EI 1 EI 2 4 ) ȧ s1 ) s2 s 21 s 22 Ȥ Ǔ (LF2) * M T1 ) M T2 a) Algebraisches Gleichungssystem Mit Gl. (1.52) und A 1 + A 2 + A, I1 + I 2 + I und s 1 + s 2 + s 2 K 4 EI s 0 192 EI s 0 0 0 V folgt aus a) S0 0 u2 0 0 0 w2 = 0 0 ϕ2 0 0 16 EA s b) Algebraisches Gleichungssystem nach Datenanpassung an (Bild 1.32a) u2 = 0 V = w2 = 0 ϕ2 = 0 c) Weggrößen–Lösung Bild 1.33 : Durchführung der Systemberechnung 1. Beispiel – 1 / 82 – Der beidseitig eingespannte Stab verformt sich also nicht, wenn er unter Temperatureinwirkung gerät. Die temperaturbedingten Verformungen am freien Stab werden durch die Einspannung vollständig behindert, so daß als Reaktion auf die Zwängung aber Schnittgrößen auftreten müssen. Unter Beachtung der Vorzeichenanpassung für die Temperaturlastspalte T s 01 in Gl. (1.51) gemäß (Bild 1.13) können sie elementweise nach Gl. (1.34) bestimmt werden. Da der homogene Anteil mit V = 0 entfällt, ver– bleibt nur die Temperaturlastspalte, die nach der Vorzeichenanpassung unmittelbar die Schnittgrößen infolge Temperatureinwirkung enthält. Längskraft und Moment sind im (Bild 1.34) angegeben. A=1 M N N 1 N + * N T2 + * EA a T DT S, M + * M T2 + * EI a T N + * N T1 + * EA a T DT S, B=2 DT h . h M M + * M T1 + * EI a T A=1 N M DT h . h B=2 2 N M Bild 1.34 : Schnittgrößen am geometrisch bestimmten Grundstab durch Temperatureinwirkung Durch die Verformungsbehinderung der Einspannung wird der Stab bei positiven DT S auf Druck beansprucht; ein Ergebnis, das unmittelbar mit der Anschauung im Einklang steht, da die verhinderte Temperaturlängung des freien Stabes zwangsläufig zu einer verschiebungsneutralen Stauchung im eingespannten Stab führen muß. Ein positives DT h bedeutet, daß Tu größer als To ist, am freien Stab die Bezugsfaser also gedehnt würde. Durch die Einspannung kann sich die nach unten gerichtete Durchbiegung aber nicht einstellen, was zwangsläufig zu einer durchbiegungsneutralen Verkrümmung im eingespannten Stab führen muß, die entlang der Stabachse konstante negative Momente hervorruft, vgl. (Bild 1.34). Das behandelte 1. Beispiel entspricht einem echten geometrisch bestimmten Grundstab, der z.B. im Grundsystem des DWV zur Anwendung kommt. Durch Tempe– ratureinwirkungen ergeben sich nur Kraft– aber keine Weggrößen. Daraus ist zu schließen, daß sich beim statisch bestimmten Grundstab, der z.B. im Grundsystem des KGV zur Anwendung kommt, genau die umgekehrten Verhältnisse einstellen müssen, also nur Weg– aber keine Kraftgrößen auftreten. Dies soll nun ebenfalls anhand eines zweiten Beispiels nachgewiesen werden. Dazu reicht es aus, einen links und rechts gelenkig gelagerten Stab zu betrachten und mit einem Element zu diskretisieren (Bild 1.35). Die Berechnung mit dem VdS wird für die Lastfälle LF1: DT S und LF2: DT h in lokalen Koordinaten durchgeführt und ist in den (Bildern 1.36 und 1.37) dargestellt. – 1 / 83 – Oben DT S, DT h, a T h x, u EA, EI s Unten z, w a) System: Statisch bestimmter Grundstab Links u Rechts = 0, uv = 0 w = 0, wv = 0 w = 0, wv = 0 Links Rechts b) Randbedingungen A=1 B=2 1 Knotennummern Elementnummern – EA, EI – –s– c) Elementierung Bild 1.35: 2. Beispiel zum Lastfall Temperatur Die Verschiebung u1 und Durchbiegung w1 am linken Knoten 1 und die Durchbiegung w2 am rechten Knoten 2 sind durch die Randbedingungen bekannt. Als unbekannte Weggrößen der Einelement–Diskretisierung sind daher am Knoten A = 1 die Verdrehung ϕ1 und am Knoten B = 2 die Verschiebung u2 und die Verdrehung ϕ2 zu berechnen. Das algebraische Gleichungssystem und die zugehörige Lösung der Systemberechnung sind im (Bild 1.36) angegeben. – 1 / 84 – (LF2) (LF1) K V 4 EI s 0 2 EI s 0 EA s 0 2 EI s 0 4 EI s S0 ϕ1 0 MT u2 = NT 0 ϕ2 * MT a) Algebraisches Gleichungssystem V = ϕ1 = 1 M Ts 2 EI u2 = N Ts EA ϕ2 = * 1M s 2 EI T c) Weggrößen–Lösung Bild 1.36 : Durchführung der Systemberechnung 2. Beispiel Der beidseitig gelenkig gelagerte Stab verformt sich also wie erwartet unter Tempera– tureinwirkungen. Die Verformungsfigur ist im (Bild 1.37) dargestellt. s u2 A=1 B=1 ö1 ö2 Bild 1.37 : Verformungen am statisch bestimmten Grundstab durch Temperatureinwirkungen – 1 / 85 – Nun ist noch zu überprüfen, ob sich auch keine Schnittgrößen einstellen. Unter Beachtung der Vorzeichenanpassung für die Temperaturlastspalte T s 01 in Gl. (1.51) gemäß (Bild 1.13) folgt nach Gl. (1.34) der Ausdruck N1 0 EA s 1 M Ts 2 EI 0 Q1 * 6 EI2 s 0 * 6 EI2 s M1 4 EI s 0 2 EI s 0 EA s N Ts EA = N2 T * 1M s 2 EI NT 0 0 0 MT 0 – 0 = NT 0 Q2 * 6 EI s 0 * 6 EI s 0 0 M2 * 2 EI s 0 * 4 EI s MT 0 , so daß auch diese Vorhersage stimmt. Schnittgrößen treten erst dann auf, wenn die temperaturbedingten Verformungen behindert werden. Dies kommt, wie bereits erwähnt nur bei statisch unbestimmten Systemen vor. – 1 / 86 – Teil 2 : Theorie II. Ordnung 2.1 Einführung in die Problematik 2.1.1 Allgemeines Der prinzipielle Ablauf einer statischen Berechnung von Tragwerken auf der Grundlage der Theorie II. Ordnung wird am Beispiel eines kombinierten Spannungs– und Stabili– tätsproblems vorgestellt. Im Mittelpunkt des Interesses steht nicht die Durchführung der Zahlenrechnung, sondern die Einführung in eine neue Methodik, die es erlaubt, den verformten Zustand des Tragwerks in die Berechnung mit einzubeziehen. Vor der eigent– lichen Zahlenrechnung sind zunächst die wichtigsten Begriffe zur Definition von Spannungs– und Stabilitätsproblemen in allgemeiner Form zu erläutern. Dies ist erforderlich, um Ergebnisse beurteilen zu können, die sich ergeben, wenn man das Gleichgewicht am verformten System erfüllt. Ein Spannungsproblem liegt vor, wenn zu jedem bekannten Kraftzustand ein eindeutiger Wegzustand gehört. Dies ist z.B. bei den Kraft–Weg–Diagrammen bzw. Last–Verschiebungs–Kurven (LVK) A und B im (Bild 2.1) der Fall. Zum Lastfaktor ρ1 gehört die Verschiebung v1 bzw. v~ 1 , zum Lastfaktor ρ2 die Verschiebung v2 bzw. v~ 2 , u.s.w. Alle Kurvenpunkte sind durch eindeutige Schnitte von Kräften und Wegen definiert. òk Lastfaktoren ò C A B ò ⋅ FZ v, v~ ò ⋅ FX ò2 ϕ X, vx Z, vz ò1 v1 Spannungs– problem C: Verzweigung, FX = 0. Stabilitäts– problem v~ 2 ~ v1 A: Theorie I. Ordnung B: Theorie II. Ordnung Verschiebungen v und v~ v2 Bild 2.1 : Last–Verschiebungs–Kurven –2/1– Spezielle Lastfaktoren sind technischen Regelwerken zu entnehmen, z.B. DIN 18 800, Teil 1. Dort sind sie als Teilsicherheitsbeiwerte der Einwirkungen definiert und werden mit γF bezeichnet. Die charakteristischen Einwirkungen eines Tragwerks sind durch Multiplikation mit γF zu erhöhen, um Einwirkungen zu erhalten, die als Grundlage der Bemessung dienen. Die LVK A mit den Verschiebungen v resultiert aus einer Berechnung nach der Spannungstheorie I. Ordnung, bei der Kräfte und Wege linear voneinander abhängen. Bei der LVK B mit den Verschiebungen v~ , die auf einer Berechnung nach der Spannungstheorie II. Ordnung beruht, stellt sich dagegen ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen Kräften und Wegen ein. Das Kräftegleichgewicht wird nun in physikalisch zutreffender Weise für den verformten Zustand des Tragwerks ermittelt und nicht wie bei der Theorie I. Ordnung, näherungsweise am unverformten Tragwerk. Je größer die Verschiebungsunterschiede zwischen v und v~ ausfallen, um so stärker weichen die LVK A und B voneinander ab. Im Ursprung des Diagramms ist die LVK A Tangente der LVK B. Sie kann daher nur im Bereich kleiner Verschiebungen mit dieser übereinstimmen, die das Tragverhalten genauer erfaßt. Die Abweichung zwischen beiden Kurven ist demnach als ein Maß zu werten, welches den Anwendungsbereich der Spannungstheorie I. Ordnung begrenzt und damit den Näherungscharakter dieser Theorie verdeutlicht. Die LVK C ist dagegen einem Stabilitätsproblem zugeordnet, da sich nun Mehrdeutigkeiten zwischen Kräften und Wegen ergeben. Der im (Bild 2.1) dargestellte Verlauf gehört zu einem Verzweigungsproblem. Von einer Gleichgewichtslage, die zu einem reinen Dehnungszustand ohne Verschiebungen v gehört, kann bei Erreichen eines kritischen Lastniveaus (Index k) schlagartig ein Biegezustand mit großen Verschie– bungen v~ abzweigen. Dieser als Knicken bezeichnete Übergang darf bei realen Tragwerken natürlich nicht auftreten, da er unmittelbar zum Einsturz von Teilen eines Bauwerks oder sogar des Gesamtbauwerks führt. Die Kenntnis des kritischen Last– faktors ρk , in der DIN 18 800, Teil 2 z.B. als Verzweigungslastfaktor ηKi bezeichnet, ist daher von elementarer Bedeutung, um die Stabilität eines Tragwerks zu beurteilen. Liegen die Lastfaktoren ρ1 und ρ2 unter dem kritischen Lastfaktor ρk der Knicklast, kann der erforderliche Stabilitätsnachweis mit dem Spannungsproblem nach Theorie II. Ordnung erfolgen. Als Ergebnis erhält man Kräfte und Wege, z.B. die Schnittgrößen N, Q und M sowie die Verschiebungen vx und vz und die Verdrehung ϕ. Diese Vor– gehensweise ist durch technische Regelwerke u.a. der DIN 1045, Abschnitt 17.4.4 oder der DIN 18 800, Teil 2 vorgeschrieben. Sie ist aber nur erlaubt, wenn eindeutig feststeht, daß das nachzuweisende Lastniveau unter der Knicklast des betrachteten Tragwerks liegt, wobei das nachzuweisende Lastniveau und das angestrebte Sicherheitsniveau i.a. zusammenfallen. Ist die Eingangslast des Spannungsnachweises nach Theorie II. Ordnung dagegen größer als die Knicklast, geht der Nachweis der Stabilität nach dieser Methode völlig fehl. Zum vollständigen Nachweis sollte daher auch immer die Bestimmung der Knicklast und Knickform gehören, um die Ergebnisse der Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung abzusichern. –2/2– Dies kann z.B. durch die Formulierung eines Eigenwertproblems erfolgen. Das Knickeigenwertproblem beschreibt das Gleichgewicht von Spannungen bzw. Schnittgrößen, die zu einem unverformten Grundzustand nach Theorie I. Ordnung gehören, in endlich entfernter Nachbarschaft vom bekannten Grundzustand, also in verformter Lage nach den Gesetzen der Theorie II. Ordnung. Der im rechnerischen Vorgehen geringe, aber methodisch sehr wichtige Unterschied zwischen Stabilitäts– und Spannungsproblem besteht demnach lediglich darin, daß Kräfte und Wege beim Stabilitätsproblem aus unterschiedlichen Zuständen resultieren, nämlich die Kräfte aus dem Grund– (Theorie I. Ordnung) und die Wege aus dem Nachbarzustand (Theorie II. Ordnung), während sie beim Spannungsproblem aus einem Zustand folgen, nämlich dem nach Theorie II. Ordnung. Als Ergebnis von Eigenwertproblemen erhält man Eigenwerte und Eigenformen. Der kleinste Eigenwert gibt an, um wieviel die Schnittgrößen des Grundzustands zu erhöhen sind, damit das betrachtete Tragwerk ausknickt. Die Schnittgrößen des Grundzustands folgen aus einer Berechnung nach Theorie I. Ordnung. Dadurch erhöhen sich die Einwirkungen in gleicher Weise wie die Schnittgrößen. Mit dem kleinsten Eigenwert ist daher auch die Knicklast der Einwirkungen unmittelbar bekannt. Die zugehörige Eigenform zeigt an, wie das Tragwerk ausknickt. Die Größenordnung der Wegamplituden bleibt dagegen unbestimmt. Dies ist aber ohne Bedeutung, da das Ausknicken bei realen Tragwerken nicht eintreten darf. Die Ergebnisse der Stabilitäts– analyse haben ausschließlich begleitenden Charakter, um die Ergebnisse aus einer Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung eingrenzen und dadurch bewerten zu können. 2.1.2 Einführungsbeispiel Das statische System des Einführungsbeispiels ist im (Bild 2.2) dargestellt. Es ist ein einhüftiger Stahl–Rahmen, der aus einem Stiel mit dem Profil I PBL 400 und aus einem Riegel mit dem Profil I PBL 500 besteht. Die Profilwerte sind in (Tabelle 2.1) angegeben. In der Rahmenecke greifen zwei Einzelkräfte an: Eine horizontale Kraft ρ ⋅ FX2, FX2 = 100. kN und eine vertikale Kraft ρ ⋅ FZ2, FZ2 = 1000. kN. Gesucht ist der Ver– lauf der Momente nach der Spannungstheorie II. Ordnung. Die Berechnung soll für den ρ = γF = 1.5–fachen Lastzustand erfolgen, um eine 1.5–fache Sicherheit gegenüber Stabilitätsversagen zu erreichen. Dies ist durch eine Stabilitätskontrolle des Gleichgewichts nachzuweisen. Bezeichnung Riegel Stiel Einheit Länge 10.0 8.0 m Profil I PBL 400 I PBL 500 – EA → ∞ ∞ kN EI 94.6 ⋅ 103 182.6 ⋅ 103 kNm2 GAQ → ∞ ∞ kN Tabelle 2.1 : Kennwerte Einführungsbeispiel –2/3– Riegel: I PBL 400 (1) (2) ò ⋅ F Z2 , F Z2 + 1000. kN ò ⋅ F X2 , F X2 + 100. kN ϕ X, vx H = 8. Stiel: I PBL 500 Z, vz (3) L = 10. m Bild 2.2 : Einführungsbeispiel Das System im (Bild 2.2) ist n = 1–fach statisch und m = 2–fach geometrisch Unbestimmt. Das GGS des WGV weist damit mehr Unbekannte auf als das SGS des KGV. Trotzdem ist es sinnvoll, die Berechnung mit dem WGV statt mit dem KGV durchzuführen. Der Gleichgewichtszustand ist nämlich am verformten System zu untersuchen. Dazu müssen die Verschiebungen und Verdrehungen der einzelnen Stäbe bekannt sein, um die verformte Lage zu beschreiben. Beim WGV sind sie unmittelbar als Berechnungsgrößen definiert, während beim KGV zusätzlich eine Nachlaufrechnung erforderlich ist, um sie zu ermitteln. Da die Berechnung zudem iterativ abläuft, bis Gleichgewicht und verformte Lage ohne Widerspruch übereinstimmen, ist der rechnerische Gesamtaufwand beim WGV insgesamt erheblich geringer als beim KGV. Aus metho– discher Sicht erweist sich das WGV daher als optimale Variante, um statische Berechnungen nach Theorie II. Ordnung durchzuführen. Dies kann sowohl mit dem DWV als auch mit dem VdS erfolgen. 2.1.3 Berechnung als Spannungsproblem Im Rahmen der Einführung kommt lediglich das DWV zur Anwendung. Die Berechnung des Spannungsproblems nach Theorie II. Ordnung beginnt in gleicher Weise wie eine Berechnung nach Theorie I. Ordnung. Das GGS mit einer Dreh– und einer Wegfessel ist im (Bild 2.3) dargestellt. –2/4– Y1, Z1 (1) Y2, Z2 (2) (3) Bild 2.3 : GGS des Einführungsbeispiels Es sind zunächst die Zwangsgrößen in den Fesseln für die 0– und m = 1, 2– Zustände zu ermitteln. Sie sind im (Bild 2.4) dargestellt. Das Entspannen der Fesseln zur Erfüllung des Gleichgewichts führt auf das Gleichungssystem 119 680. –17 118.75 –17 118.75 4 279.7 Y1 Y2 = 0. –150. , aus dem sich die geometrischen Unbestimmten zu Y 1 + * 0.01172 und Y 2 + * 0.08192 m berechnen. Der Verlauf der Momente, der sich aus der Superposition der 0– und m = 1, 2– Zustände ergibt und die daraus folgenden weiteren statischen Größen sind damit ebenfalls bekannt. Sie sind im (Bild 2.5) dargestellt. (Bild 2.5a) zeigt den Verlauf der Tragwerksverformung, (Bild 2.5b) den Verlauf des Moments und (Bild 2.5c) den Verlauf der Längskraft. Die Verformungen gemäß (Bild 2.5a) sind bislang nicht in die Berechnung eingegangen. Die Ergebnisse im (Bild 2.5) müssen demnach mit den Ergebnissen der Spannungstheorie I. Ordnung übereinstimmen, da sie für das unverformte System gelten. Es sind also noch zusätzlich Überlegungen erforderlich, um den Verformungszustand gemäß der Spannungstheorie II. Ordnung in die Berechnung einzubeziehen. –2/5– Y1 = 0, Z10 ρ ⋅ FZ2 (1) ρ ⋅ FX2 Y2 = 0, Z20 (2) Z 10 + 0. H Z 20 + ò ⋅ F X2 + 1.5 ⋅ 100. kN + 150. kN (3) L a) 0– Zustand: Z10 und Z20 EI R + 28 380. kNm L EI M 23,1 + 4 S + 91 300. kNm H EI M 32,1 + 2 S + 45 650. kNm H M 21,1 + 3 Y1 = 1, Z11 M 21,1 Y2 = 0, Z21 M 23,1 Z 11 + M 21,1 ) M 23,1 + 119 680. kNm Z 21 + * M 32,1 + * 17 118.75 kN b) m = 1– Zustand: Z11 und Z21 1 M 23,1 ) M 32,1 H 1 Y1 = 0, Z12 Y2 = 1, Z22 M 23,2 M 23,2 + 6 EI S H2 + 17 118.75 kNm M 32,2 + M 23,2 Y 23 M 32,2 Z 12 + * M 23,2 + * 17 118.75 kNm Z 22 + c) m = 2– Zustand: Z12 und Z22 M 23,2 ) M 32,2 + 4 279.7 kN H Bild 2.4 : Zwangsgrößen der 0– und m = 1, 2– Zustände des Einführungsbeispiels –2/6– Schiefstellung des Stiels Y2 Laststellung Theorie II. Ordnung ò ⋅ F Z2 , F Z2 + 1000. kN (1) ò ⋅ F X2 , F X2 + 100. kN (2) Y1 H Laststellung Theorie I. Ordnung Versatzmoment durch Schiefstellung des Stiels: ∆M = N23 ⋅ Y2 AZ1 v (m) AX3 (3) AM3 AZ3 L a) Verformung (1) (2) + 332.6 M 21 + M 21,1 ⋅Y1 + 332.6 kNm M 23 + M 23,1 ⋅ Y1 ) M 23,2 ⋅ Y 2 + M 21 M 32 + M 32,1 ⋅ Y1 ) M 32,2 ⋅ Y 2 M (kNm) – (3) + * 867.4 kNm 867.4 b) Moment (2) (1) 1 466.7 N 12 + N 21 + 0. – N 23 + N 32 + * ò ⋅ F Z2 ) N (kN) M 21 L + * 1 466.7 kN (3) c) Normalkraft Bild 2.5 : Ergebnisse nach Theorie I. Ordnung für ρ = 1.5 am unverformten System –2/7– Im (Bild 2.5a) ist zu erkennen, daß sich durch die Verschiebung des Tragwerks der Angriffspunkt (2) der Einwirkungen in horizontaler Richtung um das Maß Y2 = –0.082 m verschiebt. Die Einleitung der Vertikalkraft (–ρ ⋅ FZ2 + AZ1) = AZ3 = N23 = N32 = – 1 466.7 kN in das fest eingespannte Lager des Stiels erfolgt durch die Schiefstellung des Stiels auf gegeneinander versetzten Wirkungslinien, so daß auf dem Stiel zusätzlich das Versatzmoment ∆M = N23 ⋅ Y2 = 1 466.7 ⋅ 0.082 = 120.3 kNm einwirkt. Dieses Moment ist bei einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung zu berücksichtigen, während es bei einer Berechnung am unverformten System nach Theorie I. Ordnung entfällt. Die Wirkung des Versatzmoments hängt von zwei Einflußgrößen ab: 1. Größe und Richtung der Normalkraft im Stiel. 2. Größe und Richtung der Schiefstellung des Stiels. Bei großen Normalkräften reichen schon relativ kleine Schiefstellungen aus, um große Versatzmomente zu erzeugen. Diese Konstellation ist als baustatischer Regelfall zu betrachten. Im entgegengesetzten Fall kann es bei relativ kleinen Normalkräften durch große Schiefstellungen ebenfalls zu großen Versatzmomenten kommen. Diese Konstellation ist aber aus baupraktischer Sicht von geringer Bedeutung. Treten die Normalkräfte wie im Einführungsbeispiel als Druckkräfte auf, verstärkt das Versatzmoment die Wirkung der äußeren Lasten (Bild 2.5a). Zugkräfte müssen dagegen zu einer Verringerung führen, da Versatzmomente und äußere Lasten dann in entgegengesetzter Richtung wirken. 2.1.3.1 Iteration mit verändertem 0– Zustand Die be– oder entlastende Wirkung des Versatzmoments nach Theorie II. Ordnung wird besonders deutlich, wenn man das Versatzmoment durch ein statisch gleichwertiges Kräftepaar ersetzt, das sich auf die unverformte Tragwerkkonfiguration bezieht. Die Kräfte des Kräftepaares werden als fiktive Kräfte bezeichnet, um eine Verwechselung mit vorgegebenen Einwirkungen zu vermeiden. Die Umsetzung des Versatzmoments in ein Kräftepaar mit fiktiven Kräften ist im (Bild 2.6) dargestellt. Die obere fiktive Kraft greift im Systempunkt (2) in Richtung der dort wirkenden horizontalen Last ρ ⋅ FX2 an. Das hat zur Folge, daß sich die Wirkung der äußeren Last um das Maß der fiktiven Kraft Ffiktiv = ∆M / H = 120.3 kNm / 8. m = 15. kN erhöht. Die untere fiktive Kraft spielt dagegen keine Rolle, da sie unmittelbar im Fest– lager (3) des Stiels angreift. Da die fiktiven Kräfte definitionsgemäß am unverformten –2/8– System wirken, ist die Berechnung nach Theorie I. Ordnung gemäß (Bild 2.4) lediglich mit modifiziertem 0– Zustand (Bild 2.4a) zu wiederholen, um ein erstes Ergebnis nach Theorie II. Ordnung zu erhalten. ρ ⋅ FZ2 (1) (2) H ρ ⋅ FX2 Ffiktiv = ∆M/H = 15. kN Entweder Unverformte Tragwerk– konfiguration oder Versatzmoment ∆M = 120.3 kNm, vgl. (Bild 2.5a) (3) à Fiktive Kräfte Ffiktiv = ∆M/H = 15. kN L Bild 2.6 : Versatzmoment oder fiktive Kräfte Nach (Bild 2.6 und Bild 2.4a) berechnet sich die modifizierte Zwangsgröße der Wegfessel zu Z20 = ρ ⋅ FX2 + ∆M / H = 150. + 15. = 165. kN. Der Erhöhungsfaktor gegenüber der Ausgangslösung beträgt f1 = 165. / 150. = 1.1. Dadurch ergibt sich für die Verformung (Bild 2.5a) und das Moment (Bild 2.5b) ein Zuwachs von jeweils 10%. Y 1 + * 0.01172⋅1.1 + * 0.01289 und Y 2 + * 0.08192⋅1.1 + * 0.09011 m, sowie M 21 + M 23 + 332.6⋅1.1 + 365.9 kNm und M 32 + * 867.4⋅1.1 + * 954.2 kNm. Die Normalkraft nimmt dagegen geringfügig ab N 23 + N 32 + * 1 500. ) 365.9 + * 1 463.4 kN. 10. –2/9– Damit ist die erste Iteration im Rahmen einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung abgeschlossen. Der zweite Schritt beginnt wiederum mit der Berechnung des Versatzmoments DM + | 1 463.4 · 0.090 | + 131.7 kN und der daraus resultierenden fiktiven Kraft F fiktiv + DM + 131.7 + 16.5 kN . 8. H Die modifizierte Zwangsgröße der Wegfessel berechnet sich damit zu Z 20 + 150. ) 16.5 + 166.5 kN . Der gesamte Erhöhungsfaktor in Bezug auf die Ausgangsgröße nach Theorie I. Ordnung ist dann durch f 2 + 166.5 + 1.11 150. bekannt, so daß der Zuwachs zwischen dem ersten und zweiten Iterationsschritt nur noch 1% beträgt. Ein weiterer Iterationsschritt ist daher nicht erforderlich. Die Ergebnisse nach Abschluß des 2–ten Iterationsschritts sind durch Y 1 + * 0.01172⋅1.11 + * 0.01301 und Y 2 + * 0.08192⋅1.11 + * 0.09093 m, sowie M 21 + M 23 + 332.6⋅1.11 + 369.2 kNm und M 32 + * 867.4⋅1.11 + * 962.8 kNm gegeben. Der Verlauf dieser Größen stimmt mit dem Verlauf der Größen nach Theorie I. Ordnung in den (Bildern 2.5a und b) überein. Lediglich die Zahlenwerte sind um 11% größer als die Werte nach Theorie I. Ordnung. Der Anstieg um 11% stellt auch aus baupraktischer Sicht eine nicht mehr zu vernachlässigende Größenordnung dar, so daß die Ergebnisse aus der Berechnung nach Theorie I. Ordnung in diesem Fall auf der un– sicheren Seite liegen. Die Normalkraft im (Bild 2.5c) nimmt dagegen ab N 23 + N 32 + * 1 500. ) 369.2 + * 1 463.1 kN. 10. Der nicht proportionale Zusammenhang zwischen den Größen ist ein Hinweis auf das nichtlineare Tragverhalten. Die Iteration mit verändertem 0– Zustand über die rechte Seite des Gleichungssystems ist die elementarste Form, um eine Berechnung nach Theorie II. Ordnung durchzuführen. Effektiver ist dagegen eine Iteration über die linke Seite des Gleichungssystems, die auf einer Veränderung der m– Zustände beruht. Vor allem dann, wenn man die – 2 / 10 – Iteration mit vorgeschätzten Normalkräften startet. Im Rahmen dieser Methode ist i.a. nur ein Berechnungsschritt erforderlich, um hinreichend genaue Ergebnisse nach Theorie II. Ordnung zu erhalten. Zusätzlich bietet diese Methode die Möglichkeit, auch das Stabilitätsproblem zu lösen. 2.1.3.2 Iteration mit veränderlichen m– Zuständen Ausgangspunkt der Betrachtung sind die m = 1– und m = 2– Zustände im (Bild 2.4). Der m = 1– Zustand (Bild 2.4b) spielt keine Rolle. Schiefstellungen der Stäbe treten bei der Einheitsverdrehung der Drehfessel nicht auf und damit auch keine globalen, auf die jeweiligen Stäbe bezogenen Versatzmomente. Die lokalen Verschiebungsdifferenzen innerhalb der Stäbe führen zwar ebenfalls zu Versatzmomenten, wenn in den Stäben Normalkräfte wirken. Sie sind aber, wenn überhaupt, den lokalen Stabendmomenten zuzuschlagen und werden bei der Berechnung des Einführungsbeispiels ersatzlos vernachlässigt. Der m = 2– Zustand (Bild 2.4c) ist dagegen im Rahmen einer Theorie II. Ordnung–Berechnung von grundsätzlicher Bedeutung. Die Einheitsverschiebung der Wegfessel führt zu einer Schiefstellung des Stiels und damit zu einem Versatzmoment, das direkt vom bekannten Weg der Einheitsverschiebung Y2 = 1 abhängt, wenn man die Normalkraft N23 im Stiel vorschätzt. Die Zusammenhänge sind im (Bild 2.7) dargestellt. Ziel ist es, eine Iteration mit veränderlichen Z22– Zwangsgrößen aufzubauen. Das Versatzmoment der Schiefstellung ist durch ∆M = N23 ⋅ Y2 bekannt. Es kann bei der Berechnung von Z22 entweder unmittelbar als Moment oder wiederum als fiktive Kraft berücksichtigt werden. Der virtuelle Zustand zur Berechnung von Z22 ist durch die Schlußlinie des m = 2– Zustands (Bild 2.4c oder Bild 2.7) gegeben. Die Schlußlinie stimmt mit der kinematischen Verschiebung einer Rahmenkette überein, die vom unverformten System aus erfolgt. Im ersten Fall gilt Y v2 Z 22 * Y v23 ǒM 23, 2 ) M 32, 2Ǔ ) Y v23 ⋅ DM + 0 und im zweiten Fall Y v2 Z 22 * Y v23 ǒM 23, 2 ) M 32, 2Ǔ ) Y v2 ⋅ F fiktiv + 0. Mit Y 2 + 1 und Y v2 + 1, Y Y 23 + 2 H und Y v23 + Y v2 H , – 2 / 11 – F fiktiv + DM + H Ť N 23· Y2 H Ť + Ť N 23·Y 23 Ť sowie der Schätzung N 23 X * ò ⋅ F Z2 + * 1 500. kN folgt in beiden Fällen Z 22 + 1 ǒM 23,2 ) M 32,2Ǔ * 1 ǒŤN 23 ⋅ Y2ŤǓ + 4 279.7 * 1 500. + 4 092.2 kN. 8. H H Y2 H Schiefstellung des Stiels durch Einheitsverschiebung Y 23 + Y2 = 1 ò ⋅ F Z2 Y2 = 1 Z22 (1) (2) H F fiktiv + DM + Ť N 23·Y 23 Ť H M 23,2 Geschätzte Normalkraft im Stiel: N 23 + N 23 ^ * ò ⋅ F Z2 Versatzmoment: DM + ŤN 23⋅Y 2Ť M 32,2 (3) Fiktive Kräfte F fiktiv + DM + Ť N 23·Y 23 Ť H AZ3 L Bild 2.7 : Iteration mit verändertem Z22 Ein Vergleich mit dem Wert nach Theorie I. Ordnung im (Bild 2.4c) verdeutlicht, daß die Zwangskraft der Wegfessel um das Maß der fiktiven Kraft abnimmt, das System also weicher wird, wenn der Verformungszustand in die Berechnung eingeht. Diese Erkenntnis korrespondiert mit dem Ergebnis aus der Berechnung mit veränderlicher rechter Seite, aus der sich größere Tragwerksverformungen ergeben, da die fiktiven Kräfte die Wirkung der äußeren Lasten erhöhen. Das Gleichgewicht zur Berechnung der geometrischen Unbekannten mit modifizierter linker Seite 119 680. –17 118.75 –17 118.75 4 092.2 Y1 Y2 – 2 / 12 – = 0. –150. ist nun zu lösen, um die Zahlenwerte von Y1 und Y2 nach Theorie II. Ordnung zu erhalten Y1 = –0.01305 und Y2 = –0.09127 m. Zur Kontrolle der geschätzten Normalkraft im Stiel ist zunächst das Moment M21 = M23 in der biegesteifen Ecke zwischen Riegel und Stiel zu ermitteln. M21 = M21,1 ⋅ Y1 = 370.4 kNm. Die Normalkraft N23 = N32 errechnet sich dann zu N 23 + * ò ⋅ F Z2 ) M 21 + * 1 500. ) 370.4 + * 1 463.0 kN. 10. L Der Einfluß der genauer ermittelten Normalkraft auf die Zwangskraft der Wegfessel Z 22 + 4 279.7 * 1 463. + 4 096.8 kN 8. ist gering, so daß die Berechnung beendet werden kann. Die Übereinstimmung mit den Werten aus der Iteration über die rechte Seite des Gleichungssystems ist sehr gut. Das zeigt auch der Vergleich mit dem Einspannmoment des Stiels, das sich zu M32 = M32,1 ⋅ Y1 + M32,2 ⋅ Y2 = –966.7 kNm berechnet. Die Iteration über die linke Seite gilt als Standardverfahren der Baustatik, wenn Unter– suchungen zur Spannungstheorie II. Ordnung anstehen. Es ist Bestandteil vieler praxisrelevanter Programme, die auf dem VdS beruhen. Liegt dagegen eine Programm– version mit der Option nach Theorie II. Ordnung nicht vor und soll trotzdem eine Untersuchung mit Einschluß der Tragwerksverformungen durchgeführt werden, empfiehlt es sich, die Iteration über die rechte Seite anzuwenden. Sie ist in einfacher Weise von außen durch den Benutzer zu steuern, ohne in den internen Programmablauf eingreifen zu müssen. Größe und Verlauf der Schnittgrößen (N, Q, M), die sich aus der Iteration über die linke Seite ergeben, sind im (Bild 2.8) dargestellt. Sie repräsentieren den Gleichgewichts– zustand nach der Spannungstheorie II. Ordnung. Der Einfluß der Tragwerksverformungen gemäß (Bild 2.5a) ist durch die Iteration voll erfaßt. Die Richtungen von Normalkraft (Bild 2.8a) und Querkraft (Bild 2.8b) am verformten System sind noch auf die unverformten Stabachsen bezogen. Es wäre also noch eine zusätzliche Transformation in Richtung der verformten Stabachsen erforderlich, um physikalisch zutreffende Kräfte zu erhalten. Der Einfluß des Richtungsunterschieds ist allerdings gering, so daß die Umrechnung in der Regel entfallen kann. Das Moment ist dagegen auch richtungsmäßig auf die verformten Stabachsen bezogen. Im (Bild 2.8) ist der Verlauf der Schnittgrößen vereinfachend am unverformten Tragwerk dargestellt. – 2 / 13 – 1 463. (2) (1) – N (kN) (3) a) Normalkräfte (in Richtung der unverformten Stabachse) (2) (1) + Q23 + * ǒM 32 ) M 23 * DMǓ H 37. +* – Q (kN) (966.7 ) 370.4 * 1463·0.091) 8 + * 150.4 . (3) b) Querkräfte (quer zur unverformten Stabachse) (1) (2) + M (kNm) (3) 370.4 – 966.7 c) Momente Bild 2.8 : Ergebnisse nach Theorie II. Ordnung für ρ = 1.5 am verformten System – 2 / 14 – 2.1.4 Kontrolle der Stabilität Die Ergebnisse der Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung lassen nicht unmittelbar erkennen, ob ein stabiler oder ein instabiler Gleichgewichtszustand vorliegt. Eine eindeutige Entscheidung ist nur möglich, wenn der innere Spannungszustand bekannt ist, bei dem das Tragwerk versagt. Einflußparameter ist die Normalkraft N23 = N32 des Stiels. Im Grundzustand nach Theorie I. Ordnung ist sie durch N 23 + * ò ⋅ F Z2 ) M 21ǒò ⋅ F X2Ǔ L gegeben. Im Rahmen von Spannungsproblemen ist ρ als fest vorzugebender Lastfaktor definiert und damit bekannt. Ein üblicher Richtwert ist das angestrebte Sicherheits– niveau, so daß ρ = γF gilt. Im Rahmen einer Stabilitätskontrolle ist dagegen zu ermitteln, um welchen Faktor λ die Normalkraft N23 anwachsen muß, bis sich durch Ausknicken ein endlich benachbarter Gleichgewichtszustand nach Theorie II. Ordnung einstellt, der zum Versagen des Tragwerks führt. Der Übergang zum Nachbarzustand erfolgt ohne Einwirkungen. Dies soll allein durch die Steigerung der Normalkraft N23 des Grundzustands erreicht werden. Um λ zu bestimmen, ist ein homogenes Gleichungssystem zu lösen, zu dem die Zwangskraft der Wegfessel Z 22 + 1 ǒM 23,2 ) M 32,2Ǔ * 1 ǒ Ť l N 23 Y2 Ť Ǔ H H gehört. Im Grundzustand nach Theorie I. Ordnung hängen N23 und ρ linear vonein– ander ab. λ ist der lineare Steigerungsfaktor von N23 bis zum Nachbarzustand nach Theorie II. Ordnung. Mit λ ist daher auch ρ bekannt, wenn N23 für ρ = 1 ermittelt wird und dieser Wert in die Stabilitätsuntersuchung eingeht. Es gilt l + ò. Für ρ = 1. nimmt die Normalkraft im Stiel den Wert N 23 (ò + 1) + * 1 000. ) 332.6 1.5 10. + * 977.8 kN an und die durch Y2 = 1 ausgelöste Zwangskraft in der Wegfessel den Wert Z 22 + 4 279.7 * l 977.8 + 4 279.7 * 122.3 ⋅ l. 8. – 2 / 15 – Damit ist auch das homogene Gleichungssystem zur Berechnung von λ bekannt. 119 680. –17 118.75 –17 118.75 Y1 (4 279.7 – 122.3 ⋅ λ) Y2 = 0. Es ist die Determinantenbedingung det + 119 680. (4 279.7 * 122.3 ⋅ l) * 17 118.75 2 + 0 zu erfüllen, um eine eindeutige Lösung für λ zu erhalten, die mit dem kritischen Lastfaktor ρk zusammenfällt. Die Auflösung ergibt den Zahlenwert l + 219 142 894.4 + 15. + ò k. 14 636 864.0 Gefordert war eine 1.5– fache Sicherheit gegenüber Stabilitätsversagen. Das kritische Lastniveau des Tragwerks wird also bei weitem nicht erreicht, so daß ein stabiler und damit zulässiger Gleichgewichtszustand nach Theorie II. Ordnung vorliegt. Mit λ ist auch die Knickform bekannt, in die das Tragwerk im Fall des Versagens ausweicht. Aus beiden Zeilen des Gleichungssystems folgt jeweils der Zusammenhang Y 1 + 0.1431 ⋅ Y 2. Es handelt sich um die Lösung eines homogen Gleichungssystems. Daher ist ein Wert der Lösung frei verfügbar. Mit Y2 = 1 folgt z.B. Y1 = 0.1431. Die Knickform ist im (Bild 2.9) dargestellt. Y2 = 1 Y2 = 1 Y1 = 0.1431 (1) (2) (3) Bild 2.9 : Knickform – 2 / 16 – 2.1.5 Vergleichsberechnung mit einem Programm Die in den Abschnitten 2.1.3 und 2.1.4 ermittelten Ergebnisse sollen mit dem Programm FEMAS überprüft werden, das Optionen zur Berechnung von Spannungs– und Stabilitätsproblemen enthält /5/. Berechnungsgrundlage von FEMAS ist das VdS, vgl. Abschnitt 2.4. Das an die Vorzeichenkonvention von FEMAS angepaßte Berechnungssystem ist im (Bild 2.10) dargestellt. Mv X3 v N Qw w v || X 2 ò ⋅ F X3 2 ò ⋅ F X1 (1) 2 u (2) Riegel: 1 v || X 2 Stiel: 2 8. Mv w u ϕ3 Qw X ≡ 0. 2 N ϕ2 w3 w2 w1 (3) ϕ1 X1 10. m Bild 2.10 : FEMAS Berechnungssystem des Einführungsbeispiels Programmgestützte Berechnungen nach Theorie II. Ordnung sollten immer mit der Ermittlung des kritischen Lastniveaus beginnen, um überhöhte Lastvorgaben zu vermeiden. Daher wird zuerst in der Berechnung 2.1.5_1 das Stabilitätsproblem nach Abschnitt 2.1.4 betrachtet und erst danach in der Berechnung 2.1.5_2 das Spannungsproblem nach Abschnitt 2.1.3. Die Ergebnisse der Berechnung 2.1.5_1 zur Bestimmung des kritischen Lastfaktors sind im (Bild 2.11) dargestellt. (Bild 2.11a) zeigt die Normalkraft im Grundzustand und (Bild 2.11b) die Knickform im Nachbarzustand. – 2 / 17 – 977.8 – a w1 = 1. w1 = 1. ö 2 + 0.1493 b – 2 / 18 – Die Berechnung 2.1.5_1 umfaßt die sukzessive Lösung von zwei Teilaufgaben. Zunächst erfolgt die Berechnung des Grundzustands nach Theorie I. Ordnung für den Lastfaktor ρ = 1 und danach die Berechnung des Nachbarzustands als Eigenwertproblem der Theorie II. Ordnung. Diese Vorgehensweise wird als Stabilitätstheorie I. Ordnung bezeichnet. Die Art der Bezeichnung ist also auf den Grundzustand bezogen. Eine Stabilitätstheorie II. Ordnung ist in diesem Kontext demnach eine nichtlineare Theorie, weil sie auf einen Grundzustand nach Theorie II. Ordnung beruht. Die Normalkraft im (Bild 2.5c) stimmt, wenn sie auf den Lastfaktor ρ = 1 bezogen wird, vollständig mit der Normalkraft der Programmberechnung nach Theorie I. Ordnung im (Bild 2.11a) überein. Abweichungen treten dagegen beim Stabilitätsproblem auf. Die Knickformen in den (Bildern 2.9 und 2.11b) stimmen zwar noch vollständig über– ein, deutliche Abweichungen ergeben sich aber beim kritischen Lastfaktor bzw. Knickfaktor des Tragwerks. Die Handrechnung im Abschnitt 2.1.4 weist als kritischen Fak– tor den Wert 15. aus, während die Vergleichsberechnung mit dem Programm nur den Wert 13. ergibt, der um 15% niedriger liegt. Die Berechnung 2.1.5_2 umfaßt die Lösung des Spannungsproblems nach Theorie II. Ordnung. Die Vorgehensweise beruht auf der iterativen Berechnung über die linke Seite des Gleichungssystems. Die Ergebnisse sind in den (Bildern 2.12a bis d) dargestellt. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der Handberechnung in den (Bildern 2.8a bis c) verdeutlicht, daß auch beim Spannungsproblem nach Theorie II. Ordnung Abweichungen zwischen den Ergebnissen auftreten. Die Unterschiede fallen allerdings deutlich geringer aus als beim Stabilitätsproblem, da sie maximal lediglich 1% betragen. 2.1.6 Erkenntnisse, weitere Vorgehensweise und Literatur Eine qualitative Bewertung der Abweichungen setzt die volle Kenntnis der Grundlagen der Theorie II. Ordnung und deren Umsetzung in Berechnungsalgorithmen voraus. Sie sind daher in Kombination mit begleitenden Zahlenberechnungen zu erarbeiten. Dies geschieht in den Abschnitten 2.2 bis 2.6. Im Abschnitt 2.2. wird das geometrisch nichtlineare Tragverhalten eines Einzelstabs betrachtet und die DGL der Theorie II. Ordnung abgeleitet. Die Durchführung der Integration im Geltungsbereich von statisch unbestimmten Stabtragwerken mit Hilfe des DWV wird im Abschnitt 2.3 vorgestellt und mit Hilfe des VdS im Abschnitt 2.4. Abschnitt 2.5 beschäftigt sich mit der Stabili– tätstheorie, um die Zulässigkeit von Gleichgewichtszuständen beurteilen zu können und Abschnitt 2.6 mit der Einbeziehung von Imperfektion, um Abweichungen von der geometrischen Sollform und den Materialeigenschaften erfassen zu können. Als begleitende Lektüre sind die Abhandlungen /1/, /2/, /4/ und /7/ geeignet. Vor allem das Lehrbuch /7/ ist sehr zu empfehlen. Es präsentiert die Grundlagen und Anwendungen der nichtlinearen Stabstatik in voller Breite und zeichnet sich besonders durch eine anschauliche Methodik aus. – 2 / 19 – w1 = –0.0925 w1 = –0.0925 ö 2 + * 0.0133 a 1462.3 – b – 2 / 20 – 150. 37.7 – + c – 377.3 + 957.9 d – 2 / 21 – 2.2 DGL Theorie II. Ordnung Bei der Ableitung der DGL Theorie II. Ordnung ist in gleicher Weise vorzugehen wie bei der Ableitung der DGL Theorie I. Ordnung, vgl. u.a. Statik I. Dies kann z.B. am statisch bestimmt gelagerten Balken geschehen (Bild 2.13). ϕ x, u z, w ∆x Differentieller Ausschnitt ò ⋅ FZ ò ⋅ FX EI 0, EA 0, GA Q ∞. ò g F Verformte Endlage ò 0 Verformte Zwischenlage ò 0 Unverformte Ausgangslage Bild 2.13 : Statisch bestimmt gelagerte Balken Auf den Balken wirken die horizontale und die vertikale Einzellast FX und FZ ein, die vom Lastfaktor ρ abhängen. Sie zeigen in Richtung der lokalen (x– z)– Koordinaten, die mit der unverformten Ausgangslage der Balken ρ = 0 zusammenfallen. Für ρ ≠ 0 stellt sich eine verformte Zwischenlage ein und für ρ = γF eine speziell gesuchte Endlage. Die Verschiebungen u und w zur Einmessung der verformten Lagen sind richtungsmäßig immer auf die (x– z)– Koordinaten der unverformten Ausgangslage bezogen. Der Winkel ϕ ist in der (x– z)–Ebene definiert. Alle Größen werden in Abhängigkeit der x–Koordinate der unverformten Stabachse ausgedrückt. Der betrachtete Balken ist dehn– und biegesteif, aber schubstarr. Zur Ableitung der DGL sind an einem differentiellen Ausschnitt ∆x des Balkens (Bild 2.13) Gleichgewicht und Verträglichkeit zu formulieren und danach der Grenz– übergang ∆x → dx durchzuführen. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung soll das geometrisch nichtlineare Tragverhalten genauer erfaßt werden. Gleichgewicht und Kinematik sind daher am verformten System abzuleiten. Das Material soll sich dagegen weiter uneingeschränkt elastisch verhalten. Die geometrisch nichtlinearen Einfluß– größen zur Beschreibung der verformten Lagen sind im Hinblick auf baupraktische Gegebenheiten zu bewerten. Sie können entfallen, wenn sie den Verformungszustand nur geringfügig beeinflussen. Ziel ist es, eine einfache, aber physikalisch zutreffende Formulierung der Theorie II. Ordnung zu erhalten. – 2 / 22 – 2.2.1 Nichtlineare Kinematik Die Berechnungsgrößen der Kinematik werden durch den Index (K) gekennzeichnet. Der differentielle Balkenausschnitt zur Ableitung der kinematischen Dehnung ist im (Bild 2.14) dargestellt. Linker Schnitt Rechter Schnitt ∆x Unverformte Stabachse (ρ = 0) ∆u wL x, u wR ϕ ∆w ∆s Verformte Stabachse (ρ 0) z, w Bild 2.14 : Ableitung der kinematischen Dehnung Das Quadrat der Ausschnittlänge der verformten Stabachse (ρ 0) ist gemäß (Bild 2.14) durch 2 Ds 2 (Dx Du) Dw 2 gegeben. Durch Bezug auf das Quadrat der Ausschnittslänge der unverformten Stabachse (ρ = 0) folgt Ds Dx 2 1 Du Dx 2 2 Dw . Dx Damit ist nach dem Grenzübergang ∆x → dx das Verhältnis der Bogenlängen zwischen verformter und unverformter Stabachse bekannt. ds (1 u(x)) 2 w(x) 2 . dx (2.1) Kinematische Dehnungen sind ganz allgemein als Differenz skalierter Wege definiert. Speziell ist die Differenz zwischen den Bogenlängen ds und dx der verformten und unverformten Stabachse zu bilden und auf die Bogenlänge dx der unverformten Stabachse zu beziehen, um die kinematische Stabdehnung εK zu erhalten. Es gilt e K ds dx ds 1. dx dx (2.2) – 2 / 23 – Gl. (2.1) in Gl. (2.2) eingesetzt, ergibt als explizite Form e K (1 u(x)) w(x) 2 1. 2 (2.3) Gl. (2.3) hängt von den Quadraten der Verschiebungsableitungen ab. Die kinematische Stabdehnung εK ist damit eine hochgradig nichtlineare Funktion des aktuellen Verschiebungszustands. Der differentielle Balkenausschnitt zur Ableitung der kinematischen Verkrümmung ist im (Bild 2.15) dargestellt. ∆ϕ R Linker Schnitt Rechter Schnitt ∆x + ∆u Unverformte Stabachse (ρ = 0) x, u ϕ wL z, w R ϕL ∆s wR Verformte Stabachse (ρ 0) ∆ϕ ϕR Dö(x) ö R(x) ö L(x) Bild 2.15 : Ableitung der kinematischen Verkrümmung Durch den lokalen Radius R = R(x) der verformten Stabachse ist die kinematische Verkrümmung k K eindeutig definiert. Der reziproke Wert des Radius ist unmittelbar die Verkrümmung. k K(x) 1 R(x) (2.4) Zwischen dem Radius und der Verdrehung der verformten Stabachse gilt gemäß (Bild 2.15) der Zusammenhang R(x) · ö R(x) ö L(x) R(x) Dö(x) Ds . – 2 / 24 – Die Durchführung des Grenzübergangs ∆s → ds ergibt 1 dϕ(x) dϕ(x) ⋅ dx , R(x) ds dx ds so daß Gl. (2.4) mit Gl. (2.1) die Form kK 1 (1 u(x)) 2 w(x) 2 ⋅ dϕ(x) dx (2.5) annimmt. Der Tangens der Verdrehung ist gemäß (Bild 2.14) durch tan ϕ Dw Dx Du Dxdx w(x) 1 u(x) definiert. Damit ist auch die explizite Form von ϕ bekannt, für die sich ebenfalls ein hochgradig nichtlinearer Ausdruck ergibt ϕ arctan 1 w(x)u(x). (2.6) Mit Gl. (2.6) kann die Ableitung dö(x) w(x)(1 u(x)) w(x)u(x) dx (1 u(x)) 2 w(x) 2 gebildet und in Gl. (2.5) eingesetzt werden. Als Ergebnis erhält man die explizite Form der kinematischen Stabverkrümmung zu kK w(x) (1 u(x)) w(x) u(x) (1 u(x))2 w(x)23 , (2.7) ein Ausdruck, der ebenfalls hochgradig nichtlinear vom aktuellen Verschiebungszustand abhängt. Mit den Gl. (2.3, 2.6 und 2.7) ist die nichtlineare Kinematik ebener und schubstarrer Stabtragwerke vollständig beschrieben. Alle Ausdrücke hängen hochgradig nichtlinear von den Ableitungen der Verschiebungen ab. Eine exakte Lösung im Rahmen von praxisorientierten baustatischen Methoden erweist sich daher als nicht durchführbar bzw. als zu aufwendig. Es ist also zunächst abzuklären, ob und wenn ja, welche Möglichkeiten bestehen, um im Rahmen einer Theorie II. Ordnung geeignete Vereinfachungen einzuführen. – 2 / 25 – In den Tragwerken der Baupraxis treten in der Regel Verschiebungsableitungen in der Größenordnung von u(x) 10 3 (2.8.1) w(x) 10 2 (2.8.2) und auf. Die Abschätzung Gl. (2.8.1) bedeutet z.B., daß durch die Vorgabe von u’(x) = 10–3 ein 5. m langer Stab in Richtung der Stabachse um 5. mm gestaucht bzw. gedehnt werden kann, ein Fall, der sich real wohl kaum einstellen dürfte. Auch Gl. (2.8.2) ist als eine Abschätzung zu interpretieren, die alle unwahrscheinlichen Fälle ausgrenzt. Bedeutet sie doch, daß z.B. am Ende eines 5. m langen Stabes senkrecht zur Stabachse eine 50. mm große Verschiebung auftreten müßte, wenn sich der Stab mit dem Maß w’(x) = 10–2 starr um den Anfang dreht. Dies ist genausowenig real wie eine 5. mm große Stauchung bzw. Dehnung. Gl. (2.8) ist daher als eine Abschätzung zur sicheren Seite zu betrachten. Mit Gl. (2.8.2) kann man in Gl. (2.3) den Vergleich (1 u(x)) 2 w(x) 2 vornehmen. Gl. (2.3) vereinfacht sich dadurch erheblich. Es gilt e K u(x). (2.9) Gl. (2.9) nimmt eine Form an, die vollständig mit der kinematischen Stabdehnung nach Theorie I. Ordnung übereinstimmt. Mit der Gl. (2.8) gelten in Gl. (2.6) die Abschätzungen u’(x) << 1 und tan ϕ ϕ. Das hat zur Folge, daß sich Gl. (2.6) zu ϕ(x) w(x) (2.10) vereinfacht und nun vollständig mit der Bestimmungsgleichung der Verdrehung nach Theorie I. Ordnung übereinstimmt. Mit Gl. (2.9) geht die Näherung ds dx einher. Aus den Gl. (2.5 und 2.10) folgt daher unmittelbar die vereinfachte Bestimmungsgleichung der kinematischen Stabverkrümmung zu k K w(x), (2.11) die nun ebenfalls mit der Stabverkrümmung nach Theorie I. Ordnung übereinstimmt. Alternativ läßt sich Gl. (2.11) auch direkt aus Gl. (2.7) entwickeln, wenn man die Größenordnungen der Verschiebungsableitungen mit Hilfe von Gl. (2.8) abschätzt. – 2 / 26 – Wie auch immer, als Resümee ist ein wichtiger Sachverhalt festzuhalten: Im Rahmen einer anwendungsorientierten Theorie II. Ordnung kann die nichtlineare Kinematik insgesamt durch die lineare Kinematik nach Theorie I. Ordnung ersetzt werden, ohne daß sich Defizite im Hinblick auf eine vollständige Formulierung ergeben. 2.2.2 Materialverhalten Es wird, wie bereits erwähnt, vereinbart, daß sich das Material in den nach Theorie II. Ordnung zu berechnenden Tragwerken weiterhin uneingeschränkt elastisch verhält. Es gelten daher die gleichen Stoffgesetze wie bei der Theorie I. Ordnung. Die Berechnungsgrößen des Materials werden mit dem Index (M) gekennzeichnet. Für einen durch ein Normal– bzw. Längskraftpaar N auf Zug beanspruchten stabförmigen Prüfkörper ist die Materialdehnung durch eM N EA (2.12) gegeben. E ist der Elastizitätsmodul und A die Querschnittsfläche des Prüfkörpers. Bei einer Beanspruchung durch ein Momentenpaar stellt sich entlang der Höhe des Prüfkörpers eine Dehnungsänderung des Materials ein, die als Verkrümmung der Stabachse gemessen werden kann kM M . EI (2.13) E ist wiederum der Elastizitätsmodul des Prüfkörpers und I das Flächenträgheitsmoment des Querschnitts. Die Formulierung eines Stoffgesetzes für die Querkraft Q entfällt. Es gilt die grundsätzliche Annahme der Schubstarrheit. Die Querkraft ist daher mit Hilfe einer Gleichgewichtsbedingung zu ermitteln. Ein elastisches Gesetz ist nicht definiert. 2.2.3 Elastische Verträglichkeit Mit den Formulierungen für die Kinematik, Abschnitt 2.2.1 und das Materialverhalten, Abschnitt 2.2.2 ist auch die elastische Verträglichkeit bekannt. eK eM (2.14.1) k K k M. (2.14.2) und – 2 / 27 – In jedem Punkt eines Tragwerks müssen die kinematischen und die materiellen Dehnungen und Verkrümmungen übereinstimmen. Mit Gl. (2.9) und Gl. (2.12) folgt aus Gl. (2.14.1) die Bestimmungsgleichung für die Normalkraft N(x) EA u(x) (2.15.1) und mit Gl. (2.11) und Gl. (2.13) aus Gl. (2.14.2) die Bestimmungsgleichung für das Moment M(x) EI w(x). (2.15.2) Aus Gl. (2.15) ist zu erkennen, daß die baustatische Formulierung der elastischen Verträglichkeit für die Berechnungstheorien I. und II. Ordnung vollständig übereinstimmen. 2.2.4 Gleichgewicht am verformten System Dehnungen und Krümmungen von Stäben in Tragwerken der Baupraxis sind i.a. sehr klein. Wie in Abschnitt 2.2.2 nachgewiesen, kann man sie in der Regel in lineari– sierter und damit stark vereinfachter Form angeben. Für das Material gilt gemäß Abschnitt 2.2.3 uneingeschränkt elastisches Verhalten. Es ist daher vorrangig der Einfluß von endlich großen Verschiebungen zu untersuchen, die auch bei kleinen Dehnungen und Krümmungen auftreten. Es sind vor allem die Anteile der Starrkörperbewegungen im Verschiebungsfeld von Interesse, die sich bei eindeutig gelagerten Stabverbänden auch zwischen den Lagern einstellen können. Dies kann zu großen Hebelarmen der Schnittkräfte führen, so daß ggf. große Versatzmomente auftreten, die das Tragwerk zusätzlich beanspruchen oder entlasten. Die Auswertung von Gl. (2.8) ergibt die Abschätzung Du Dw . 10 (2.16) Die Verschiebung in Richtung der Stabachse ist im Vergleich zur Verschiebung senkrecht zur Stabachse von untergeordneter Bedeutung. Sie kann daher im weiteren Verlauf der Betrachtung ersatzlos entfallen. Weiter ist zu beachten, daß bei kleinen Stabdehnungen die Näherung ∆s ∆x gilt. Der differentielle Balkenausschnitt zur Aufstellung des Gleichgewichts am verformten System ist im (Bild 2.16) dargestellt. Die Wahl der Bezugsrichtung der Schnittkräfte ist freigestellt. Sie kann durch die unverformte (Bild 2.16a) oder durch die verformte Lage (Bild 2.16b) gegeben sein. Die Drehrichtung der Momente ist in beiden Fällen gleich. – 2 / 28 – ∆x ϕ x, u Unverformte Lage (ρ = 0) z, w n(x) V p(x) H M ∆w H + ∆H Verformte Lage (ρ 0) M + ∆M V + ∆V ϕ a) Richtungsbezug der Schnittkräfte auf die unverformte Lage (ρ = 0) ∆x ϕ x, u Unverformte Lage (ρ = 0) Q z, w n(x) p(x) N M ∆w N + ∆N Verformte Lage (ρ 0) M + ∆M Q + ∆Q ϕ b) Richtungsbezug der Schnittkräfte auf die verformte Lage (ρ > 0) –sin ϕ H cos ϕ V cos ϕ H –H ϕ H ϕ x ϕ V (Verformte Stabachse) N V ϕ Q z c) Zusammenhang zwischen den Schnittkräften Bild 2.16 : Gleichgewicht am verformten System – 2 / 29 – sin ϕ V (Unverformte Stabachse) Die physikalischen Schnittkräfte N und Q sind durch (Bild 2.16b) definiert, da sie in Richtung und senkrecht zur Richtung der verformten Stabachse wirken. Trotzdem erweist es sich als zweckmäßig, die im (Bild 2.16a) definierten rechnerischen Schnittkräfte H und V zu verwenden, um das Gleichgewicht am verformten System aufzustellen. Zwischen den Schnittkräften besteht mit cos ϕ 1 und sin ϕ ϕ w gemäß (Bild 2.16c) der Zusammenhang N cos ϕ H sin ϕ V H w V (2.17.1) Q sin ϕ H cos ϕ V Hw V. (2.17.2) und Eine ggf. erforderliche Umrechnung ist daher bei bekanntem Verformungszustand in eindeutiger Weise möglich. Der Vorteil der (H– V)–Formulierung liegt im Richtungsbezug der Kräfte auf die unverformte Ausgangslage. Sie ist durch die Geometrie der betrachteten Tragwerke bekannt, so daß sich die praktische Durchführung von Berechnungen sehr einfach gestaltet, vgl. Einführungsbeispiel Abschnitt 2.1. Die Bildung des Gleichgewichts gemäß (Bild 2.16a) in Richtung der horizontalen und vertikalen Kräfte und für das Moment ergibt unter Beachtung des Mittelwertansatzes der Integralrechnung: H (H DH) H n(x) Dx DH n(x) H(x) n(x) 0, Dx Dxdx (2.18.1) V (V DV) V p(x) Dx DV p(x) V(x) p(x) 0 Dx Dxdx (2.18.2) und Klein von 2–ter Ordnung M (M DM) M V Dx H Dw 12 p(x) Dx2 DM V H Dw Dx Dx Dxdx M(x) V(x) H(x) w(x) 0. (2.18.3) Lediglich das Versatzmoment H ⋅ ∆w in Gl. (2.18.3) tritt zusätzlich auf. Ansonsten sind bis auf die Bezeichnung der Kräfte keine Abweichungen zu den Gleichgewichtsbedingungen nach Theorie I. Ordnung festzustellen. Mit Gl. (2.17.2) folgt aus Gl. (2.18.3) die Momentengleichgewichtsbedingung M M(x) Q(x) 0, (2.18.4) – 2 / 30 – die nun ebenfalls vollständig mit der Bedingung nach Theorie I. Ordnung übereinstimmt. Die formale Gleichheit darf aber nicht über die unterschiedliche physikalische Be– deutung hinwegtäuschen. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung beschreibt Gl. (2.18.4) den Momentengleichgewichtszustand am verformten System. Der Verformungszustand gemäß (Bild 2.16b) ist implizit in der Querkraft Gl. (2.17.2) enthalten. Im Rahmen der Theorie I. Ordnung gilt Gl. (2.18.4) dagegen nur unter Vernachlässigung der Verformungen, ist also als Näherung der wirklichen Gegebenheiten aufzufassen. Die drei unabhängigen Gleichgewichtsbedingungen Gl. (2.18.1 bis 3) können zu einer Gleichung zusammengefaßt werden. Dazu ist Gl. (2.18.3) nach der x–Koordinate abzuleiten und zusammen mit Gl. (2.18.1) in Gl. (2.18.2) einzusetzen. Als Ergebnis erhält man eine Gleichgewichtsbedingung in Richtung der Vertikalkraft, die das Gleichgewicht in Richtung der Horizontalkraft und für das Moment in impliziter Form enthält V M(x) H(x) w(x) n(x) w(x) p(x) 0. 2.2.5 (2.19) Ableitung der DGL Theorie II. Ordnung Mit der Verträglichkeitsbedingung Gl. (2.15.2) und der Gleichgewichtsbedingung Gl. (2.19) ist die differentielle Formulierung der Theorie II. Ordnung vollständig bekannt. Für den baustatischen Regelfall erweist es sich als sinnvoll, weitere Vereinfachungen einzuführen, indem man den Verlauf der Biegesteifigkeit EI, der Stabkraft H und der Streckenlast p als stabweise konstant annimmt. Damit vereinfacht sich Gl. (2.19) zu M(x) H w(x) p 0 (2.20) und das zweimalige Ableiten von Gl. (2.15.2) ergibt M(x) EI w(x). (2.21) Aus Gl. (2.20) läßt sich nun durch Einsetzen von Gl. (2.21) die DGL der Theorie II. Ordnung ableiten EI w(x) H w(x) p 0. (2.22) Für die weitere Betrachtung ist vor allem der Druckfall H < 0 von Interesse. Mit dem negativen Vorzeichen von H und der Abkürzung es 2 |H| EI ergibt sich die DGL für druckbeanspruchte Stäbe in der Form – 2 / 31 – w(x) se w(x) P . EI 2 (2.23) Die Größe es |EIH| (2.24) wird als Stabkennzahl bezeichnet. Sie ist von entscheidender Bedeutung, um die analytische Lösung der DGL (2.23) bewerten zu können. In Gl. (2.24) ist s die Stablänge, EI die Biegesteifigkeit des Stabes und H der Betrag der Druckkraft, die im Stab wirkt. Die Lösung der DGL (2.23) setzt sich aus einem homogenen und einem partikulären Anteil zusammen. w(x) w h(x) w p(x) (2.25.1) w h(x) C 1 C 2 x C 3 sin se x C 4 cos es x (2.25.2) 2 w p(x) 1 P se x 2. 2 EI (2.25.3) mit und Der homogene Anteil Gl. (2.25.2) enthält vier freie Konstanten. Sie dienen zur Anpassung der Lösung an die statischen und geometrischen Randbedingungen, die am Anfang und Ende von Stäben auftreten. Der partikuläre Anteil Gl. (2.25.3) erfaßt speziell den Lastfall konstante Streckenlast im Stab. 2.2.6 Superposition von Lösungen Die DGL (2.23) beschreibt zwar eine geometrisch nichtlineare Theorie, ist selbst aber linear, da die Verschiebungsableitungen nur in linearer Form auftreten. Dies ist auf die starken Vereinfachungen zurückzuführen, die sich in natürlicher Weise ergeben, wenn man die geometrisch nichtlinearen Zusammenhänge an die praktischen Gegeben– heiten einer anwendungsorientierten Theorie II. Ordnung anpaßt. Homogene Lösungsanteile nach Gl. (2.25.2) lassen sich wegen der Linearität der DGL (2.23) in beliebiger Weise superponieren, wenn für alle Anteile gleiche Stabkennzahlen Gl. (2.24) gelten. Dies bedeutet, daß u.a. auch die Einheitszustände der klassischen baustatischen Verfahren (KGV, DWV) superponierbar bleiben, da sich während eines Iterationsschritts die Normalkräfte in den Stäben des betrachteten Tragwerks nicht ändern. Dies ist nur zwischen den Iterationsschritten der Fall, so daß man z.B. das DWV uneingeschränkt verwenden darf, solange ein fester Einwirkungszustand vorliegt. – 2 / 32 – Unterschiedliche Einwirkungszustände führen dagegen in der Regel zu unterschied– lichen Normalkräften und damit zu unterschiedlichen Stabkennzahlen. Eine Superpo– sition von partikulären Lösungsanteilen nach Gl. (2.25.3) ist daher nicht mehr möglich. Dies muß vorab auf der Ebene der Lastfälle geschehen, indem man aus beliebig vielen Einzellastfällen durch Überlagerung geeignete Bemessungslastfälle bildet und diese einzeln nach der Methodik der Theorie II. Ordnung untersucht. 2.3 DWV für Theorie II. Ordnung Das DWV ist besonders gut geeignet, wenn es darum geht, Tragwerke per Hand nach Theorie II. Ordnung zu berechnen. Dem Einführungsbeispiel im Abschnitt 2.1 ist zu entnehmen, daß die Schiefstellung der Stäbe das geometrisch nichtlineare Tragverhalten besonders stark beeinflußt. Aus der Schiefstellung resultieren nämlich Versatz– momente, die bei Druckbeanspruchung zu einer Vergrößerung des Beanspruchungszustandes führen. Der Zusammenhang zwischen Schiefstellung und Anwachsen der Beanspruchung ist unmittelbar durch baustatische Anschauung zu erkennen, ohne daß es besonderer Kenntnisse hinsichtlich der Theorie bedarf, vgl. Abschnitt 2.1. Ableitung und Lösung der DGL im Abschnitt 2.2 verdeutlichen aber, daß die analytische Lösung zur Theorie II. Ordnung erheblich komplizierter ausfällt als die analytische Lösung zur Theorie I. Ordnung. Anstelle von einfachen Polynomfunktionen sind nun tranzendente Funktionen auszuwerten. Im Rahmen des DWV ist dies erforderlich, um Tabellenwerte bereitstellen zu können, die es erlauben, Kraftzustände am Anfang und Ende von geometrischen Grundstäben zu ermitteln, die speziell zur Berechnung von Tragwerken nach Theorie II. Ordnung gelten. Beim Einführungsbeispiel wurde ohne großes Nachdenken ganz einfach auf die bekannten Stabendgrößen der Theorie I. Ordnung zurückgegriffen. Erkennbare Defizite in der Qualität der Lösung haben sich dadurch nicht ergeben. Von entscheidender Bedeutung ist zumindest im Einführungsbeispiel das anschaulich eingeführte Versatz– moment, das sich aus der globalen Schiefstellung des Stiels ergibt. Der lokale Einfluß der Stabendgrößen spielt in diesem Fall ganz offensichtlich keine große Rolle. Die DGL enthält natürlich die volle Information über beide Anteile. Das DWV ist ein spezielles Verfahren zur Integration dieser Differentialgleichung im Geltungs– bereich von statisch unbestimmten Stabtragwerken. Die Vorgehensweise zur Durchführung von Berechnungen nach Theorie I. Ordnung (ε = 0 in Gl. 2.23) ist aus Statik II bekannt. Die Anpassung an die Gegebenheiten der Theorie II. Ordnung (ε ≠ 0 in Gl. 2.23) soll in der Weise erfolgen, daß man das lokale und globale Tragver– halten unabhängig voneinander erfaßt, ohne die grundsätzliche Methodik des DWV zu verändern. – 2 / 33 – 2.3.1 Lokales Tragverhalten Die Stabendgrößen der Theorie II. Ordnung für den druckbeanspruchten 1–ten und 2–ten Grundstab sind in den (Bildern 2.17 bis 2.20) dargestellt. Die Berechnung dieser Größen orientiert sich an der Vorgehensweise der Theorie I. Ordnung. Sie ist im Abschnitt 3.2, von Statik II ausführlich beschrieben. Ausgangspunkt der Betrachtung sind die Lösungen (Gl. 2.51 bis 2.53). Da die Durchführung ohne besonderen Erkenntniswert ist, reicht es aus, nur die Ergebnisse mitzuteilen. In den (Bildern 2.17 und 2.18) sind die Stabendmomente infolge von Knoten– und Stabdrehungen dargestellt. Mit der Stabdrehung ist die Schiefstellung der Grundstäbe bekannt und damit auch der globale Versatz der Wirkungslinie der Druckkraft H, die an den Grundstäben angreift (Bilder 2.17a1 und 2.18a1). Die Knotendrehungen sind auf diese Schiefstellung zu beziehen, da nur durch die Verformungsdifferenz zwischen Knoten– und Stabdrehungen (Bilder 2.17a2 und 2.18a2) elastische Stabendmomente auftreten, die im Rahmen der Theorie II. Ordnung am verformten System angreifen. Für das Stabendmoment im Knoten (K) des 1–ten Grundstabs (Bild 2.17a3) gilt M KL A EI s (ϕ K y KL) B EI s (ϕ L y KL) (2.26.1) und für das Stabendmoment im Knoten (L) EI M LK B EI s (ϕ K yKL) A s (ϕ L yKL). (2.26.2) Für das Stabendmoment im Knoten (K) des 2–ten Grundstabs (Bild 2.18a3) gilt M KL C EI s (ϕ K y KL). (2.27.1) Das Moment MLK im Knoten (L) entfällt. Hier ist ein Momentengelenk angeordnet, das die Bedingung M LK 0 (2.27.2) erfüllt. Der Momentenverlauf zwischen den Stabendmomenten Gl. (2.26 und 2.27) ist wegen der tranzendenten Lösung Gl. (2.25.2) nicht mehr geradlinig sondern gekrümmt. Die Abweichungen vom geraden Verlauf sind allerdings gering. Es ist daher aus– reichend genau, von einer geradlinigen Verbindung auszugehen, wenn keine Lasten zwischen den Stabendmomenten angreifen. – 2 / 34 – ϕ (K) x (L) (EA, GAQ) → ∞ z, w H EI ≠ 0 H es s a1) System |EIH| ϕK ψKL H (wL – wK) H ϕL Schiefstellung a2) Knoten– und Stabdrehungen H MKL H MLK M KL A EI s ϕ K y KL Schiefstellung B EI s ϕ L y KL EI M LK B EI s ϕ K yKL A s ϕ L yKL a3) Stabendmomente am verformten System A, B, A B 6 (A B) 5.975 5.899 5.772 5.345 5.588 5.035 5 4.935 A 4 3.967 3.436 3.865 3.088 3.691 2.624 3 2.467 B 2 2.008 2.257 2.152 2.081 2.034 2.411 1 0 0.5 A 1.0 1.5 e sin e e 2 cos e 2(1 cos e) e sin e 2.0 ; B 2.5 3.0 p e e 2 e sin e 2(1 cos e) e sin e a4) Vorfaktoren der Stabendmomente Bild 2.17 : Stabendmomente für Knoten– und Stabdrehungen am 1–ten Grundstab – 2 / 35 – ϕ (K) x (L) (EA, GAQ) → ∞ H z, w EI ≠ 0 H es s |EIH| a1) System ϕK ψKL H (wL – wK) H Schiefstellung a2) Knoten– und Stabdrehungen H MKL H M KL C EI s (ϕ K y KL) Schiefstellung M LK 0 a3) Stabendmomente am verformten System C 3 2.950 2.794 2.518 2 2.088 1.438 1 0.408 0 0.5 C 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 p e e 2 sin e sin e e cos e a4) Vorfaktoren der Stabendmomente Bild 2.18 : Stabendmoment für Knoten– und Stabdrehungen am 2–ten Grundstab – 2 / 36 – Durch den Versatz der Wirkungslinie der Druckkraft H stellt sich in den Grundstäben zusätzlich das Versatzmoment ∆M ein. Der Skizzenauszug (K) ϕK ∆M ψKL H ∆wglobal H MKL Unverformte Lage Schiefstellung ∆wlokal (ϕK – ψKL) ∆Mglobal ∆Mlokal Verformte Lage H aus den (Bildern 2.17a2, a3 und 2.18a2, a3) verdeutlicht, daß man ∆M in zwei Anteile zerlegen kann: In den globalen Anteil ∆Mglobal aus der Schiefstellung ∆wglobal = ∆w (ψKL) und in den lokalen Anteil ∆Mlokal aus der Relativverformung ∆wlokal = ∆w (ϕK – ψKL), die zwischen Schiefstellung und verformter Stabachse auftritt. Beim Wirken von Druckkräften reduziert der lokale Anteil des Versatzmomentes ∆Mlokal das elastische Stabendmoment MKL, das sich nach Theorie I. Ordnung aus den Relativverformungen ergibt. Die Stabendmomente der Theorie II. Ordnung müssen daher immer kleiner ausfallen als die Stabendmomente nach Theorie I. Ordnung, bei der das Versatzmoment wegen des Bezugs auf die unverformte Lage ersatzlos entfällt. Die Lösung der DGL nach Theorie II. Ordnung bestätigt die anschauliche Erklärung des lokalen Tragverhaltens. Die Vorfaktoren A und B der Stabendmomente des 1–ten Grundstabs sind in Abhängigkeit der Stabkennzahl ε im (Bild 2.17a4) dargestellt. Für ε = 0 ergeben sich die Vorfaktoren A = 4. und B = 2. der Theorie I. Ordnung. Mit zunehmendem ε wird A kleiner und B größer. Die Summe A + B ist aber immer kleiner als der Wert 6. der Theorie I. Ordnung, da die Stabendmomente der Theorie II. Ordnung durch die Wirkung des lokalen Versatzmoments ∆Mlokal abnehmen. Das A kleiner und B größer werden muß, kann man den Skizzenauszügen (K) (L) ϕK H ∆wlokal H M KL M(A) ∆Mlokal ∆Mlokal und H ϕL ∆wlokal (K) M KL M(B) – 2 / 37 – H (L) aus dem (Bild 2.17a2, a3) für den Sonderfall ψKL = 0 entnehmen. Allerdings ist dieser Effekt bis zur Stabkennzahl ε = 1 gering. Die Abweichungen sind kleiner als 10%. Im Gültigkeitsbereich 0 ≤ ε ≤ 1 gilt daher die Näherung, statt der veränderlichen Vorfaktoren der Theorie II. Ordnung die festen Vorfaktoren der Theorie I. Ordnung zu verwenden. Der Vorfaktor C des 2–ten Grundstabs ist in Abhängigkeit der Stabkennzahl ε im (Bild 2.18a4) dargestellt. Für ε = 0 ergibt sich mit C = 3. der Vorfaktor der Theorie I. Ordnung, der mit zunehmendem ε ebenfalls abnimmt. Bis zur Stabkennzahl ε = 1 gilt wiederum die Näherung C = 3., da die Abweichung zum genauen Wert unter 10% liegt. Zur praktischen Anwendung des DWV sind zwei wichtige Lastfälle vertafelt: Konstante Streckenlast p und Einzellast F. Die Angaben im (Bild 2.19) gelten für den 1–ten Grundstab. Die Stabendmomente in den Knoten (K) und (L) berechnen sich für den Lastfall konstante Streckenlast p (Bild 2.19a2) zu p s2 M KL 1 2 (A B) (2.28.1) M LK M KL (2.28.2) und und für den Lastfall Einzellast F (Bild 2.19a3) zu M KL F 2s e M LK F 2s e sin(be) b sin e A sin(ae) a B sin e (2.28.3) und sin(ae) sin(be) a A b B . sin e sin e (2.28.4) Die Angaben im (Bild 2.20) gelten für den 2–ten Grundstab. Die Stabendmomente in den Knoten (K) und (L) berechnen sich für den Lastfall konstante Streckenlast p (Bild 2.20a2) zu p s2 M KL 1 2 A (2.29.1) M LK 0 (2.29.2) und – 2 / 38 – ϕ (K) (L) x z, w (EA, GAQ) → ∞ H H a EI ≠ 0 es b s a1) System p = konstant H H M KL M LK p s2 M KL 1 2 (A B) M LK M KL a2) Streckenlast (A, B: vgl. Bild 2.17) bb s aa s F H H M KL M KL F 2s e M LK sin(be) sin(ae) b A a B sin e sin e M LK F 2s e sin(ae) sin(be) a A b B sin e sin e a3) Einzellast (A, B: vgl. Bild 2.17) Bild 2.19 : Stabendmomente für Einwirkungen am 1–ten Grundstab – 2 / 39 – |EIH| ϕ (K) x z, w (L) (EA, GAQ) → ∞ H H a EI ≠ 0 es b s a1) System p = konstant H H M KL M KL 1 2 p s2 A M LK 0 a2) Streckenlast (A: vgl. Bild 2.17) bb s aa s F H H M KL M KL F 2s e sin(be) b C sin e M LK 0 a3) Einzellast (C: vgl. Bild 2.18) Bild 2.20 : Stabendmomente für Einwirkungen am 2–ten Grundstab – 2 / 40 – |EIH| und für den Lastfall Einzellast F (Bild 2.20a3) zu M KL F 2s e sin(be) b C sin e (2.29.3) und M LK 0. (2.29.4) Ggf. benötigte Stabendmomente für weitere Lastfälle sind der gängigen Literatur, z.B. /1/, /2/ oder /6/ zu entnehmen. Im GGS werden die Einspannungen der Grundstäbe durch Drehfesseln erfaßt. Die Zwangsmomente (ZM), die sich in den Drehfesseln durch die Zwangsfesselung einstellen, sind aus den Stabendmomenten zu berechnen (Bild 2.21). Dies kann mit dem PvW geschehen, indem man die betrachteten Drehfesseln mit Hilfe von Knotenketten virtuell verdreht und die Arbeiten bilanziert. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung wirken die Stabendmomente am verformten System. Die Knotenketten sind daher ebenfalls am verformten System anzubringen. Im (Bild 2.21a1) ist dies beispielhaft für den Knoten (L) des 1–ten Grundstabs (Bild 2.17a1) veranschaulicht. Die virtuelle Verdrehung der Knotenkette (L) am verformten System ist im (Bild 2.21a2) dargestellt. Die Anwendung des PvW ergibt mit W vi 0 W va ϕ vL ZM ϕ vL M LK 0, (2.30.1) woraus sich das Zwangsmoment ZM M LK (2.30.2) berechnet. Das Ergebnis ist unmittelbar einsichtig und läßt sich in einfacher Weise durch einen Knotenschnitt am verformten System bestätigen. Die Druckkraft H hat keinen direkten Einfluß auf die Zwangsmomente der Drehfesseln, da die virtuelle Verdrehung des Knotens am verformten System ohne Verschiebung von H erfolgt, vgl. (Bild 2.21a2). Der Einfluß von H auf die Zwangsmomente der Drehfesseln ist ausschließlich in den Stabendmomenten enthalten, und der ist durch die Berechnung der Zahlenwerte gemäß den (Bildern 2.17 bis 2.20) bereits voll erfaßt. Die Knotenketten zur Ermittlung der Zwangsmomente in den Drehfesseln können daher ohne Verlust an Information wie bei der Theorie I. Ordnung am unverformten System angebracht werden, da sich für diese, im (Bild 2.21a3), dargestellte Konfiguration ebenfalls Gl. (2.30) ergibt. – 2 / 41 – ϕ x ϕK z, w (K) (L) Unverformte Lage ψKL H ϕL, ZM MKL ∆w = wL – wK H Verformte Lage MLK a1) Knotenkette am Knoten (L) ϕK (K) (L) ψKL H Unverformte Lage ϕL MKL ϕ vL, ZM MLK H ∆w Verformte Lage a2) Virtuelle Verdrehung der Knotenkette (L) am verformten System ϕ vL, ZM Unverformte Lage MLK MKL a3) Virtuelle Verdrehung der Knotenkette (L) am unverformten System Bild 2.21 : Zwangsmomente (ZM) in Drehfesseln – 2 / 42 – 2.3.2 Globales Tragverhalten Die unverformte Lage von statischen Systemen ist durch die Geometrievorgabe eindeutig bekannt. Der Rückbezug auf diese Lage stellt im Rahmen der Theorie I. Ordnung eine physikalische Näherung dar, im Rahmen der Theorie II. Ordnung dagegen eine sinnvolle Vereinfachung einer genauer durchzuführenden Berechnung, die das Ziel hat, das Gleichgewicht an der verformten, also noch unbekannten Lage zu erfüllen. Die Stabendmomente sind freie Momente. Die Knotenketten sind mit diesen Momenten behaftet. Das Verschieben der Knotenketten von der verformten zur unverformten Lage ist daher problemlos möglich. Das Verschieben von kräftebehafteten Rahmenketten ist dagegen wegen der Linienflüchtigkeit von Kräften mit dem Auftreten von Versatzmomenten verbunden, die als fiktive Kräfte in die Berechnung eingehen (Bild 2.22). Rahmenketten sind erforderlich, um Zwangskräfte (ZK) in Wegfesseln von GGS mit dem PvW zu berechnen (Bild 2.22). Im (Bild 2.22a1) ist die Rahmenkette der Grundstäbe (Bilder 2.17a1 und 2.18a1) dargestellt. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung ist die virtuelle Verschiebung zwischen den Knoten (K) und (L) am verformten System anzubringen (Bild 2.22a2). Die geometrischen Zusammenhänge sind durch die Polplankinematik bekannt. Die Anwendung des PvW ergibt mit W vi 0 W va Dw v ZK Dw v y KL H Dw s M KL M LK 0, v (2.31.1) woraus sich die Zwangskraft ZK M KL M LK 1 s H y KL (2.31.2) berechnet. Der erste Term von Gl. (2.31.2) ist bekannt. Er tritt auch bei Berechnungen auf, die nach dem Schema der Theorie I. Ordnung ablaufen, die das Gleichgewicht also näherungsweise am unverformten System erfüllen. Der zweite Term von Gl. (2.31.2) ist dagegen neu. Er kommt nur bei Berechnungen vor, die nach dem Schema der Theorie II. Ordnung ablaufen. Ursache für das Auftreten sind virtuelle Verschiebungsanteile, die sich in Richtung der Druckkraft H einstellen, wenn man, wie bei Theorie II. Ordnung erforderlich, den virtuellen Wegzustand am verformten System entwickelt. Dies gestaltet sich in der Regel schon bei einfachen Systemen relativ kompliziert. Zur Durchführung der praktischen Berechnung ist es daher sinnvoll, die virtuellen Verschiebungen von der unverformten Lage aus vorzugeben. Dazu ist die Rahmenkette (K, L) von der verformten zur unverformten Lage zu verschieben (Bild 2.22a3). Durch die Verschiebung entsteht das Versatzmoment ∆M = H ∆w, das man entlang der Stablänge s in ein Kräftepaar auflösen kann. Die fiktiven Kräfte H Dw F fiktiv DM KL s s H y KL (2.32) greifen senkrecht zur unverformten Stabachse an. Bei der Auswertung des PvW am unverformten System sind sie zusätzlich zu berücksichtigen, so daß man auch am unverformten System die Arbeitsgleichung (2.31.1) erhält, aus der wiederum die gesuchte Zwangskraft Gl. (2.31.2) folgt. – 2 / 43 – s x ϕ (K) (L) Unverformte Lage z, w H M KL ZK y KL Dw s ∆w = wL – wK M LK H Verformte Lage ZK a1) Rahmenkette zwischen Knoten (K) und (L) s cos y KL s Unverformte Lage M KL y KL H ZK y vKL ∆w M LK v Dw s H ZK Verformte Lage y KL ∆wv Dw v cos y KL Virtuelle Verschiebung Dw v y KL a2) Virtuelle Verschiebung der Rahmenkette (K, L) am verformten System s F fiktiv H ⋅sDw H⋅y KL KL (K) M KL M LK F fiktiv KL (L) H Unverformte Lage H ZK v y vKL Dw s ZK ∆wv Virtuelle Verschiebung a3) Virtuelle Verschiebung der Rahmenkette (K, L) am unverformten System Bild 2.22 : Fiktive Kräfte und Zwangskräfte (ZK) in Wegfesseln – 2 / 44 – In Gl. (2.31) treten die Anteile aus den Stabendmomenten und dem Versatzmoment vorzeichengleich auf. Dies ist eine Folge der kombinierten Darstellung mit Knoten– und Stabdrehungen. Im konkreten Fall von Wegfesseln gilt dagegen ϕK und ggf. auch ϕL gleich Null. Die Stabendmomenten für den homogenen Fall ergeben sich dann allein aus den Stabdrehungen. Dadurch drehen sich in den Gl. (2.26 und 2.27) und damit auch in Gl. (2.31) die Vorzeichen der Stabendmomente um. Ganz allgemein gilt, daß die fik– tiven Kräfte des Versatzmoments bei Druck die Zwangskräfte in Wegfesseln vermindern, so daß im Vergleich zur Theorie I. Ordnung die Steifigkeit des statischen Systems abnimmt. 2.3.3 Bewertung der unterschiedlichen Einflüsse Der Zugang zur Theorie II. Ordnung über die globale Wirkung der fiktiven Kräfte am unverformten System ist sehr elementar und unübertroffen einprägsam, wenn es darum geht, den grundsätzlichen Unterschied zwischen Theorie I. und II. Ordnung zu verdeutlichen. Dies bestätigt u.a. auch die Berechnung des Einführungsbeispiels im Abschnitt 2.1. Sie erfolgte ohne vertiefte Kenntnisse der Theorie. Es zeigte sich, daß die baustatische Anschauung ausreicht, um den Haupteinfluß der Theorie II. Ordnung zu erfassen, indem man die fiktiven Kräfte von druckbeanspruchten Stäben in die Berechnung einbezieht. Die Diskussion der Theorie hat diese Vorgehensweise abgesichert. Die Anpassung der Stabendmomente an die Gegebenheiten der Theorie II. Ordnung ist dagegen nur mit Hilfe genauer theoretischer Betrachtungen möglich, die auf der strengen Lösung Gl. (2.25) der DGL (2.23) der Theorie II. Ordnung beruhen. Dieser Einfluß ist für die meisten baupraktischen Anwendungen aber von untergeordneter Bedeutung und kann ab der Stabkennzahl ε ≤ 1 ganz vernachlässigt werden. 2.3.4 Zugbeanspruchte Grundstäbe Druck verstärkt und Zug verringert die Beanspruchung. Die Anwendung der Theorie II. Ordnung ist daher aus Gründen der Sicherheit zwingend notwendig, wenn in den Stäben von Tragwerken überwiegend Druck auftritt. Das Niveau der maßgeblichen Bemessungsgrößen kann in diesem Fall deutlich über dem Niveau der Berechnungsgrößen der Theorie I. Ordnung liegen. Tritt dagegen in den Stäben überwiegend Zug auf, werden die Berechnungsgrößen der Theorie I. Ordnung in der Regel unterschritten. Es stellt sich daher die Frage, ob man den positiven Effekt der Zugentlastung nutzen will, oder ob man die Ergebnisse aus einer Berechnung nach Theorie I. Ordnung als untere Grenze ansetzt, die grundsätzlich nicht unterschritten werden soll. Wenn ja, dann sind die Zugentlastungen in den betroffenen Stäben zu vernachlässigen und die Ansätze der Theorie I. Ordnung zu verwenden. – 2 / 45 – Bei den üblicherweise im Hochbau vorkommenden Stabtragwerken wäre eine solche Vorgehensweise durchaus vorstellbar, um zu erreichen, daß die Ergebnisse immer auf der sicheren Seite liegen. Bei seilverspannten Bauwerken führt diese Art der Berechnung dagegen auf unwirtschaftliche, vielfach sogar auf technisch nicht mehr zu realisierende Lösungen. Seilnetze zur Überdachung von großen Hallengrundrissen, Schrägseilbrücken oder Hängebrücken sind ohne Nutzung der Zugkraftentlastung nicht zu errichten. Die Berechnung solcher Systeme erfolgt in der Regel mit Programmen, die auf der Methodik des VdS beruhen, vgl. Abschnitt 2.4. Trotzdem ist es sinnvoll auch das DWV für diesen Anwendungsfall zumindest so weit zu entwickeln, um ggf. einfache Überschlags– bzw. Kontrollberechnungen elementar ’per Hand’ durchführen zu können. Maßgeblicher Effekt der Theorie II. Ordnung ist die Schiefstellung der Stäbe. Dies gilt auch dann, wenn in den Stäben Zug H > 0 auftritt. Im (Bild 2.22a3) ist daher lediglich die Richtung der fiktiven Kräfte umzudrehen, um die entlastende Wirkung der Zugkräfte zu erfassen. Die Zwangskraft Gl. (2.31.2) in den Wegfesseln von GGS wird dadurch größer, so daß die Steifigkeit des betrachteten statischen Systems zu– und nicht wie bei Druck abnimmt. Der Einfluß der Stabendmomente ist wie bei Druck gering. Bis ε ≤ 1 gelten näherungsweise die Werte der Theorie I. Ordnung. Sollen sie dagegen genauer erfaßt werden, ist anstelle von Gl. (2.23) die DGL 2 p w se w(x) EI (2.33) zu lösen, die sich nur durch ein Vorzeichen von der Druckgleichung (2.23) unterscheidet. Die Gesamtlösung von Gl. (2.33) setzt sich nach Gl. (2.25.1) aus einem homogenen und einen partikulären Anteil zusammen. Anstelle von Gl. (2.25.2) gilt für Zug die homogene Lösung w h(x) C 1 C 2x C 3 sinh se x C 4 cosh es x (2.34.1) und anstelle von Gl. (2.25.3) die partikuläre Lösung p s 2 2 x. w p(x) 1 2 EI e (2.34.2) Für die Stabendmomente Gl. (2.26 und 2.27) der Grundstäbe (Bilder 2.17 und 2.18) ergeben sich durch die homogene Lösung Gl. (2.34.1) lediglich neue Werte für die Vorfaktoren A, B und C. Sie sind im (Bild 2.23) dargestellt. Im Vergleich zum Druckfall sind nun umgekehrte Modalitäten zu beachten: A und C steigen an, wenn ε zunimmt, während B abnimmt. (A + B) und C sind aber immer größer als die festen Werte nach Theorie I. Ordnung (ε = 0). – 2 / 46 – A, B, A B, C 8 6.847 7 6.599 (A B) 6.389 6.222 6.099 6.025 6 5.081 4.773 4.508 5 A 4.292 4.132 4.033 4.467 4 4.075 C 3.722 3.424 3 B 2 3.050 3.195 1.992 1.968 1.930 1.882 1.826 1.767 1 0 0.5 1.0 A e sinh e e 2 cosh e 2(cosh e 1) e sinh e C e 2 sinh e e cosh e sinh e Bild 2.23 : 1.5 ; B 2.0 2.5 e 3.0 e 2 e sinh e 2(cosh e 1) e sinh e ; Vorfaktoren der Stabendmomente für Knoten– und Stabdrehungen bei Zugeinwirkung im 1–ten und 2–ten Grundstab Durch den Wechsel von Druck nach Zug ändern sich auch die Stabendmomente der Einwirkungen Gl. (2.28 und 2.29). Für den Lastfall konstante Streckenlast p (Bilder 2.19a2 und 2.20a2) ist anstelle von Gl. (2.25.3) nun Gl. (2.34.2) auszuwerten. In den Formeln der Stabendmomente Gl. (2.28.1 und 2 sowie 2.29.1 und 2) sind lediglich die Vorfaktoren gemäß (Bild 2.23) zu verwenden, um dies zu erreichen. Beim Lastfall Einzelkraft F (Bilder 2.19a3 und 2.20a3) gestaltet sich der Druck–Zug–Wechsel ebenfalls sehr einfach. Dazu sind in den Formeln der Stabendmomente Gl. (2.28.3 und 4 sowie 2.29.3 und 4) lediglich die einfachen durch die hyperbolischen Sinus– und Co– sinuswerte zu ersetzen und die Vorfaktoren gemäß (Bild 2.23) zu verwenden. – 2 / 47 – 2.3.5 Zahlenbeispiel zum DWV Die Berechnung von Stabtragwerken nach Theorie II. Ordnung mit dem DWV soll abschließend an einem Beispiel geübt werden. Das statische System ist im (Bild 2.24a) und das zugehörige GGS im (Bild 2.24b) dargestellt. Gesucht sind der Verformungszustand v = v (vx, vz, ϕ) und die Schnittgrößen s = s (NH, QV, M). Die Berechnung beginnt mit der Abschätzung der Normal– bzw. Längskräfte in den einzelnen Stäben des statischen Systems (Bild 2.24a). Die Ermittlung der Stabkräfte nach Theorie I. Ordnung wäre zwar sehr genau, ist aber i.a. für eine Berechnung per Hand zu aufwendig. Die Ermittlung am statisch bestimmten Gelenkwerk des GGS (Bild 2.24b) ist dagegen sehr viel einfacher. Sie erfordert lediglich eine Betrachtung des Kräftegleichgewichts an den Knoten. Die Durchführung am Knoten (2) ist im (Bild 2.25a) und die Durchführung am Knoten (3) im (Bild 2.25b) dargestellt. Die Kräftezerlegung ergibt Druck in allen Stäben. Ob sich dieser Zustand wirklich einstellt, hängt maßgeblich von der statisch unbestimmten Verschiebung der Feder im Knoten (5) ab. Verschiebt sie sich stark, nimmt der Widerstand des Systems gegenüber Druckkräften ab. Dann sind die wirklichen Kräfte kleiner als die am Gelenkwerk ermittelten, das anstelle der Feder eine feste Lagerung in Richtung der Feder enthält, vgl. (Bild 2.24b). Zu große Druckkräfte sind aber als eine ungünstige Annahme zu betrachten, weil dadurch die Steifigkeit des statischen Systems (Bild 2.24a) abnimmt. Aus Sicherheitsgründen ist diese Vorgehensweise daher zweckmäßig. Am Ende eines Berechnungsschrittes ist sowieso zu prüfen, ob die geschätzten mit den berechneten Längskräften übereinstimmen. Mit den geschätzten H– Stabkräften sind auch die Stabkennzahlen ε bekannt. Sie werden als Eingangsgrößen zur Auswertung der (Bilder 2.17a4 und 2.18a4) benötigt, um die Vorfaktoren A, B und C der Stabendmomente zu berechnen. Die ermittelten Werte sind im (Bild 2.25c) angegeben. Sie weichen nur geringfügig von den festen Werten A = 4., B = 2. und C = 3. der Theorie I. Ordnung ab. Die Zwangsgrößen in den Fesseln des GGS (Bild 2.24b) sind im (Bild 2.26) angegeben. Im (Bild 2.26a) sind die Gegebenheiten der Drehfessel dargestellt. Da die Einzelkräfte in den Knoten (2) und (3) angreifen, entfällt der 0–Zustand. Es gilt Z 10 0. Aus der Einheitsverdrehung Y1 = 1 resultieren dagegen Stabendmomente. Die Wirkungsrichtung der Momente ist durch Pfeile gekennzeichnet. Sie aktivieren in der Drehfessel das Zwangsmoment Z 11 M 21, 1 M 23, 1 33 289.3 kNm und in der Wegfessel die Zwangskraft Z 21 M 21, 1 M 12, 1 1 M 23, 1 1 10 400.3 kN. 3 2 – 2 / 48 – ϕ X,vX Z,vZ FZ2 (1) (2) EI1 3. FZ3 EI1 (5) (3) EI2 CN EI1 3. (4) 4. m EA, GAQ 3. 4. , EI 1 2⋅10 4 kNm 2 , EI 2 4⋅10 4kNm 2 , C N 104 kNm , F Z2 F Z3 500. kN , ò 1. a) Statisches System ÇÇÇ ÇÇÇ ÇÇÇ Y1, Z1 = Z (Z10, Z11, Z12) Y2, Z2 = Z (Z20, Z21, Z22) b) GGS Bild 2.24 : Statisches System und GGS – 2 / 49 – 500. FZ2 = 500. kN 2 ⋅ 500. H 23 2 ⋅ 500. kN (Druck) H12 = 500. kN (Druck) 45° 500. a) Kräftegleichgewicht am Knoten (2) 500. FZ3 = 500. kN 2 ⋅ 1 000. H23 H35 = 1 500. kN (Druck) 2 ⋅ 500. 500. 1 000. H 34 2 ⋅ 1 000. kN (Druck) 500. 45° 1 000. 500. 1 500. b) Kräftegleichgewicht am Knoten (3) |EIH| B C 0.60 3.952 2.012 2.927 2 ⋅ 500. (Druck) 0.80 3.914 2.022 2.870 2 ⋅ 1 000. (Druck) 1.30 3.769 2.059 2.644 1.10 3.836 2.042 2.749 H (kN) (1, 2) 500. (Druck) (2, 3) (3, 4) (3, 5) es A Stab 1 500. (Druck) c) Vorfaktoren der Stabendmomente Bild 2.25 : Geschätzte H– Stabkräfte und Vorfaktoren der Stabendmomente – 2 / 50 – FZ2 Y 1 1, Z 10, Z 11 M21,1 M12,1 ÇÇÇ ÇÇÇ ÇÇÇ M23,1 (2) (1) 2⋅104 M 12,1 B EI s 2.012 4 10 060.0 kNm 2⋅104 M 21,1 A EI s 3.952 4 19 760.0 kNm 2⋅104 M 23,1 C EI s 2.870 3⋅ 2 13 529.3 kNm FZ3 Z21 (3) (5) (4) a) Zwangsgrößen m = 0– und 1– Zustand 2⋅104 1 M 12,2 (A B) EI s y 12 5.964 4 2 14 910. kNm M 21,2 M 12,2 F fiktiv 12,2 1⋅ 2 (1) F fiktiv 12,2 M 23,2 C EI s y23 FZ2 M 43,2 C EI s y34 ÇÇÇ ÇÇÇ ÇÇÇ ÇÇÇ ÇÇÇ F fiktiv 23,2 y 12 (2) 2. M12,2 M21,2 y 12 1 2 y 23 1 3 4 2.644 2⋅10 1 4 154.6 kNm 3⋅ 2 3 4 N F CN ⋅ Y 2 10 kN F fiktiv 35,2 F fiktiv 35,2 Z12 Y2 = 1 1⋅ 2 FZ3 y 23 F fiktiv 23,2 Z20, Z22 (5) (3) M23,2 NF 1. y 35 M43,2 y 34 1 3 y 35 1 4 4 2.870 2⋅10 1 4 509.8 kNm 3⋅ 2 3 (4) F fiktiv 34,2 y 34 F fiktiv 34,2 1 250.0 kN F fiktiv 12,2 H 12 ⋅ y 12 500. 2 1 471.4 kN F fiktiv 34,2 H 34 ⋅ y 34 2 ⋅ 1 000. 3 1 235.7 kN , , F fiktiv 23,2 H 23 ⋅ y 23 2 ⋅ 500. 3 1 fiktiv , F 35,2 H35 ⋅ y 35 1 500. 375.0. kN. 4 b) Zwangsgrößen m = 0– und 2– Zustand Bild 2.26 : Zwangsgrößen in den Fesseln – 2 / 51 – Das Zwangsmoment Z11 folgt unmittelbar aus einem Knotenschnitt um die Drehfessel. Zur Berechnung der Zwangskraft Z21 kommt dagegen das PvW zur Anwendung, wobei der virtuelle Verschiebungszustand mit der Schlußlinie des Einheitsverschiebungszustands der Wegfessel übereinstimmt. Die Arbeitsgleichung, aus der sich Z21 berechnet, ist daher durch die Bilanzierung der äußeren Arbeiten W va Z 211v M 12,1 M 21,1 y v12 M 23,1 y v23 0 gegeben. Der Verlauf der Einheitsverschiebung Y2 = 1 ist im (Bild 2.26b) dargestellt. Die Verschiebungswege sind durch den Williotplan und die Stabdrehwinkel durch die Polplan– kinematik bekannt. Die Einwirkungen, die aus den Verformungen resultierenden Stabendmomente und die durch die Verschiebung der Feder auftretende Federkraft sind ebenfalls angegeben. Zusätzlich sind noch die fiktiven Kräfte der einzelnen Stäbe eingetragen, die sich aus der Schiefstellung der Stäbe ergeben. Sie sind erforderlich, um die Berechnung mit Bezug auf die unverformte Ausgangslage durchführen zu können. Für den 0– Zustand gilt nach dem PvW die Arbeitsgleichung W va Z 20⋅1v F Z2⋅2 v F Z3⋅1 v 0, aus der sich Z20 zu Z 20 F Z2⋅2 F Z3 1 500. kN berechnet. Die Arbeitsgleichung zur Ermittlung der Zwangskraft Z22 ist durch die Bilanzierung der äußeren Arbeiten v W va Z 22⋅1v M 12,2 M 21,2 y v12 F fiktiv 12,2 ⋅2 M 23,2 y v23 F fiktiv ⋅ 2 23,2 v M 43,2 y v34 F fiktiv ⋅ 2 34,2 v v F fiktiv 35,2 ⋅1 N F ⋅1 v 0 gegeben, aus der sich Z22 zu Z 22 M 12,2 M 21,2 1 M 23,2 1 M 43,2 1 3 3 2 fiktiv fiktiv fiktiv F fiktiv 12,2 ⋅2 F 23,2 ⋅ 2 F 34,2 ⋅ 2 F 35,2 ⋅1 N F 17 798.1 1 875. 10 000. 25 923.1 kN berechnet. Das Zwangsmoment Z12 in der Drehfessel muß betragsmäßig mit der Zwangskraft Z21 in der Wegfessel übereinstimmen. Der Knotenschnitt um die Drehfessel ergibt Z 12 M 21,2 M 23,2 10 400.2 kNm und bestätigt damit den Wert der Zwangskraft Z21 . – 2 / 52 – Die Entspannung der Fesseln führt auf das Gleichungssystem Z1 33 289.30 0 Z2 10 400.25 Y1 25 923.10 Y2 10 400.25 0. 1 500. . Durch die Lösung sind unmittelbar die Verdrehung der biegesteifen Ecke im Knoten (2) und die horizontale Verschiebung der Feder im Knoten (5) bekannt. ϕ2 = Y1 = 0.0207 (1) vX5 = Y2 = 0.0662 (m). und Durch diese Größen ist auch der verformte Zustand eindeutig bekannt. Der Verlauf ist im (Bild 2.27a) dargestellt. Die Schnittmomente an den Stabenden folgen mit bekannten Y1 und Y2 aus den Überlagerungen M12 = M12,1 Y1 M21 = M23 = M43 = + (–M12,2) Y2 = –778.8 kNm, (–M21,1) Y1 + M21,2 Y2 = 578.0 kNm, M23,1 Y1 M23,2 Y2 = 578.6 kNm (–M43,2) Y2 = –275.0 kNm. + 578.3 kNm und Die Vorzeichen der Schnittmomente sind auf die Bezugsfaser des statischen Systems (Bild 2.24a) bezogen. Streng genommen ist der Verlauf zwischen den Endwerten nicht~ linear. Die Abweichungen zum geradlinigen Verlauf sind aber sehr gering e 1 . Die Endwerte können daher weiterhin linear verbunden werden. Der Momentenverlauf ist im (Bild 2.27b) dargestellt. Von den Schnittkräften H und V kann die Querkraft V eindeutig aus dem Momentengleichgewicht ermittelt werden. Dazu ist lediglich Gl. (2.18.3) stabweise auszuwerten. Am verformten System gilt: V(x) = M’(x) + Hw’(x). Man kann die Auswertung aber auch am unverformten System vornehmen. Dann sind zusätzlich aber die fiktiven Kräfte zu beachten, weil sie die Wirkung der Versatz– momente am unverformten System erfassen. Die fiktiven Kräfte, die zum wirklichen Verformungszustand (Bild 2.27a) gehören, erhält man, wenn man die fiktiven Kräfte, die zum Einheitsverschiebungszustand Y2 = 1 (Bild 2.26b) gehören, mit dem Faktor Y2 = 0.0622 multipliziert. – 2 / 53 – Unverformte Ausgangslage (1) ϕ2 = Y1 = 0.0207 (1) (2) WP vX5 = Y2 = 0.0662 m (2’) 0.132 m (3) 0.0662 m (5) (3’) y 35 0.0166 (1) 0.0662 m (4) a) Verformter Zustand M12 = – 778.8 kNm – M=0 (2) (1) + M21 = M23 = 578.3 kNm (3) M43 = – 275.0 kNm – (4) b) Momentenverlauf Bild 2.27 : Verformter Zustand und Momentenverlauf – 2 / 54 – (5’) (5) Die zahlenmäßige Auswertung ergibt im Stab (1, 2) 16.6 16.6 (1) V 21 V 12 778.8 578.3 16.6 4 (2) V12 778.8 578.3 322.7 kN, 4 im Stab (2, 3) 15.6 15.6 (2) V23 V 32 V 23 578.3 15.6 3 2 (3) 578.3 120.7 kN, 3 2 im Stab (3, 4) 31.2 31.2 (4) V 34 V 43 275. 31.2 3 2 (3) V43 275. 33.6 kN 3 2 und im Stab (3, 5) 24.8 24.8 (3) (5) V 53 V 35 24.8 kN. V35 4 Zwischen Moment– und Längskraft besteht kein differentieller Zusammenhang. Die Längskräfte H der Stäbe sind daher nur durch Gleichgewichtsbetrachtungen am Gesamtsystem zu ermitteln. Dies kann wiederum mit Bezug auf das unverformte System geschehen, da V und H in dieser Richtung zeigen, obwohl beide Kräfte das Gleichgewicht für den verformten Zustand erfüllen. – 2 / 55 – Das Gleichgewicht der Kräfte im Knoten (2) 120.7 FZ2 = 500 kN 45° (2) H21 X 322.7 kN 120.7 2 2 45° Z 120.7 2 2 45° 120.7 kN H23 Zerlegung H 23 2 2 45° H 23 2 45° 2 H23 ergibt in X–Richtung 2 H 23 2 0 X H21 120.7 2 2 und in Z– Richtung 2 H 23 2 0. Z 322.7 500 120.7 2 2 Damit sind H23 und H21 bekannt. H 23 130. kN und H 21 6.6 kN. Die Längskraft H35 stimmt mit der Federkraft überein. H35 (5) NF Es gilt H 35 N F C N ⋅Y 2 10 4⋅0.0662 662. kN. – 2 / 56 – Die noch fehlende Längskraft H34 ist aus dem Kräftegleichgewicht am Knoten (3) zu berechnen. 130. kN 120.7 kN a 662. – a FZ3 = 500 kN 45° 45° 662. (3) 662. kN 45° Zerlegung 24.8 kN 524.8 33.6 kN H34 45° 33.6 H34 130. b 120.7 Aufgrund der 45°– Geometrie ist dies in einfacher Weise möglich. Zunächst ist der Hilfswert a zu berechnen. a (130. 33.6) cos 45° 68.2 kN. Damit ist auch der Hilfswert b bekannt. b 662. a 839.8 kN. cos 45° Mit b erhält man für die Längskraft H35 den Wert H 35 (b 120.7) 960.5 kN. Der Verlauf der Querkräfte V ist im (Bild 2.28a) und der Verlauf der Längskräfte H im (Bild 2.28b) dargestellt. Die Eingangsgrößen der Berechnung im (Bild 2.25) weichen durch die große Federverschiebung relativ stark von den Ausgangsgrößen der Berechnung im (Bild 2.28b) ab. Um eine bessere Anpassung der Längskräfte zu erreichen, ist die Berechnung mit den Längskräften gemäß (Bild 2.28b) zu wiederholen. Die geschätzten H– Kräfte sind aber größer als die in Wirklichkeit auftretenden. Dadurch ergeben sich größere Momente, so daß die erzielten Ergebnisse auf der sicheren Seite liegen. Auf eine Neuberechnung wird daher verzichtet. – 2 / 57 – V23 = – 120.7 kN (1) (2) + – V12 = 327.7 kN (5) (3) + V35 = 24.8 kN + (4) V34 = 33.6 kN a) Verlauf der Querkräfte V H23 = – 130. kN H12 = – 6.6 kN H35 = – 662. kN – (1) (2) – – (3) H34 = – 960.5 kN – (5) (4) b) Verlauf der Längskräfte H Bild 2.28 : Verlauf der Quer– und Längskräfte – 2 / 58 – Auf die Umrechnung in physikalische (N– Q)– Schnittgrößen, die in Richtung der verformten Stabachse zeigen, wird ebenfalls verzichtet, da sich wegen der kleinen Drehwinkel (Y1 = 0.0207 1.2°) kaum Unterschiede durch die Richtungsänderung ergeben. Dies gilt aber nicht für den momentenfreien Pendelstab zwischen den Knoten (3) und (5). Die Zerlegung von H und V in Richtung von N und Q ergibt nach Gl. (2.17) N 35 H 35 662. kN und Q 35 0, wenn man bei der Berechnung von N35 den Ausdruck y 235 0.0166 2 0 vernachlässigt. Dieses Ergebnis läßt sich durch die Skizze H 35⋅ cos y 35 y 35 H 35⋅ sin y 35 H35 NF (5) y 35 Q35 AZ5 H35 N35 V35 N 35 H 35⋅cos y35 V 35⋅sin y 35 , Q 35 H 35⋅sin y 35 V 35⋅cos y 35 , V 35⋅ cos y 35 V35 y 35 V 35⋅ sin y 35 Mit cos y 35 1, sin y 35 y35 und V 35 H 35 ⋅ y35 folgt 1 N 35 H 35 1 y 235 H 35 , Q 35 H 35 y 35 H 35 y 35 0. veranschaulichen. Die Umrechnung ist besonders dann von Interesse, wenn das statische System anstelle von biegesteifen Pendelstäben biegeweiche Zugseile enthält, die keine Querkraft übertragen können. Es ist also von Fall zu Fall zu entscheiden, ob man die Umrechnung in physikalische Schnittkräfte vornimmt oder nicht. Sie ist zwar zahlenmäßig immer von geringer Bedeutung, nicht aber methodisch, wie der Hinweis auf das Beispiel biegeweicher Seile verdeutlicht. – 2 / 59 – 2.4 VdS für Theorie II. Ordnung Beim VdS ist nur die lokale Situation der Elemente bzw. Stäbe neu zu betrachten, wenn es darum geht, die Theorie II. Ordnung in das Verfahren einzubeziehen. Die globale Situation des Tragwerks wird weiterhin durch eine baustatische Systembeschreibung erfaßt, die vollständig mit der Vorgehensweise der Theorie I. Ordnung übereinstimmt. Es ist lediglich eine Iterationsschleife zusätzlich zu konzipieren, um die geschätzten Berechnungseingänge an die aktuell ermittelten Berechnungsausgänge anzupassen. Dies bedeutet aber nur, daß die Systemberechnung mehrmals zu durchlaufen ist, ohne daß sich methodische Änderungen in der Art der Durchführung ergeben. Die Implementierung der Iteration ist programmtechnisch sehr einfach zu verwirklichen, so daß sich das VdS als ein ideales Verfahren erweist, um die Theorie II. Ordnung praxisgerecht anwenden zu können, ohne am rechnerischen Aufwand zu scheitern. Die lokale Formulierung des VdS im Teil 1, Abschnitt 1.3 beruht auf der DGL (1.4), die das Tragverhalten von dehn– und biegesteifen Stäben auf der Grundlage der Theorie I. Ordnung beschreibt. Die DGL (1.4.1), die den Anteil von Dehnstäben erfaßt, gilt für beide Theorien. Die DGL (1.4.2), die den Anteil von Biegestäben erfaßt, ist dagegen durch die DGL (2.22) zu ersetzen, um den Einfluß der Theorie II. Ordnung zu berücksichtigen. Die Einbindung dieser DGL in die Methodik des VdS erfolgt in Anlehnung an die Abschnitte 1.3.2, 1.3.3 und 1.3.4. Im einzelnen ist die Arbeitsgleichung des PvW neu zu formulieren und zu diskretisieren, um eine Matrizenformulierung zu erhalten, die mit Stabsteifigkeiten das Tragverhalten von Elementen bzw. Stäben mit Einschluß der Theorie II. Ordnung beschreibt. Die Stabsteifigkeiten setzen sich aus zwei Anteilen zusammen: 1. Den elastischen Stabsteifigkeiten nach Theorie I. Ordnung. 2. Den geometrischen Stabsteifigkeiten nach Theorie II. Ordnung. Die elastischen Stabsteifigkeiten sind bereits bekannt und in einer Steifigkeitsmatrix zusammengefaßt. Die weitere Betrachtung kann sich daher auf die Ermittlung der geometrischen Stabsteifigkeiten beschränken, die in zusammengefaßter Form eine geome– trische Steifigkeitsmatrix bilden. 2.4.1 PvW für Theorie II. Ordnung Aus dem Balken (Bild 2.13) wird ein endlich begrenztes (finites) Stabelement herausgeschnitten. Es ist in verformter Lage zu betrachten, um die Arbeitsgleichung des PvW für den Fall der Theorie II. Ordnung abzuleiten. Der betrachtete Ausschnitt ist im (Bild 2.29) dargestellt. – 2 / 60 – s EI 0, ϕ EA 0, x, u GA Q ∞. Unverformte Lage (ρ = 0) z, w s n p M Verformte Lage (ρ > 0) H V Bild 2.29 : Endlich begrenztes (finites) Stabelement Wegen Gl. (2.8) gilt die Näherung, daß die Stablängen s der unverformten (ρ = 0) und verformten Lage (ρ > 0) übereinstimmen. Für den Dehnstab ist im Rahmen der Theorie I. Ordnung die Arbeitsgleichung (1.11.1) zu verwenden. Sie ist mit dem PvW aus der DGL (1.4.1) abgeleitet, die das Gleichgewicht der unverformten Lage (ρ = 0) in x– Richtung beschreibt. Die DGL (2.18.1) beschreibt das Gleichgewicht in x– Richtung für die verformte Lage (ρ > 0), vgl. (Bild 2.29). Die Struktur der Differentialgleichungen stimmt überein, so daß auch die Arbeitsgleichungen übereinstimmen müssen. In Gl. (1.11.1) ist lediglich die Bezeichnung N durch die Bezeichnung H zu ersetzen, um die Arbeitsgleichung des Dehnstabs zu erhalten, die das Gleichgewicht der verformten Lage (ρ > 0) in x– Richtung beschreibt. Es gilt W v( u v, u) u (x) EA u(x) dX u (x) n dX [u (x) H(x)] v v v R 0 (2.35) Für die analytische Lösung ist die Vereinfachung, daß H stabweise konstant verlaufen soll, durchaus sinnvoll, für die numerische Lösung im Rahmen des VdS dagegen nicht, weil sich dadurch keine Vorteile ergeben. In Gl. (2.35) ist daher die Streckenlast n enthalten, die beim DWV entfällt. Die Arbeitsgleichung für den Biegestab ist aus der DGL (2.22) neu abzuleiten. Die Anwendung des PvW führt auf den Arbeitsausdruck W v(w v, w) w (x) (EI w(x) ( H(x) w(x)) p ) dX 0. v – 2 / 61 – (2.36) Die DGL (2.22) beschreibt das Gleichgewicht in z– Richtung für die verformte Lage (ρ > 0), vgl. (Bild 2.29). Das PvW wird aber wie bei Gl. (2.35) mit Bezug auf die un– verformte Lage (ρ = 0) formuliert. Es ist also auch beim VdS streng zwischen baustatischem Bezug (unverformte Lage) und baustatischem Zustand (Gleichgewicht der verformten Lage) zu unterscheiden, vgl. DWV Abschnitt 2.3.2. Im Unterschied zu Gl. (2.22) ist in Gl. (2.36) die Veränderlichkeit von H = H(x) wieder berücksichtigt. Die Umformung des ersten Terms von Gl. (2.36) durch partielle Integration ergibt w (x) EI w(x) dX w (x) EI w(x) dX v v [ w v(x) M(x) ] R [ ϕ v(x) M(x) ] R. (2.37) Gl. (2.37) stimmt bis auf den Randausdruck – [ wv(x) M’(x) ]R mit Gl. (1.10.2) überein. In Gl. (1.10.2) steht anstelle von M’(x) die Querkraft Q(x). Sie ist im Rahmen der Theorie I. Ordnung durch die erste Ableitung des Moments definiert, so daß sich die Zuordnung als richtig erweist. Sie ist aber nicht auf die Theorie II. Ordnung übertragbar, da Gl. (2.18.3) und nicht Gl. (2.18.4) gilt, wenn die Formulierung in H– und V– Schnitt– größen erfolgt. Die Ergänzung von M’(x) um H(x) ⋅ w’(x), damit sich gemäß Gl. (2.18.3) V(x) ergibt, resultiert aus der Umformung des zweiten Terms von Gl. (2.36). Es gilt w (x) ( H(x) w(x) ) dX v (2.38) [ w v(x) H(x) w(x) ] R w H(x) w(x) dX. v Die Umformungen Gl. (2.37) und Gl. (2.38) sind in Gl. (2.36) einzusetzen, um die Arbeitsgleichung des Biegestabs zu erhalten, die mit der Arbeitsgleichung (2.35) des Dehnstabs korrespondiert. W v(w v, w) w (x) EI w(x) dX w H(x) w(x) dX w p dX v v v [ w v(x) V(x) ] R [ ϕ v(x) M(x) ] R 0. (2.39) Die statischen Randbedingungen für H, V und M sind als natürliche Bedingungen immer erfüllt. Daher entfallen die Randausdrücke in Gl. (2.35) und Gl. (2.39), wenn die virtuellen Verschiebungen uv und wv und die virtuelle Verdrehung ϕv die geometrischen Randbedingungen erfüllen. Es verbleiben die Arbeitsausdrücke W v(u v, u) u (x) EA u(x) dX u n dX 0 v v (2.40.1) und W v(w v, w) w (x) EI w(x) dX w v v (X) H(x) w(x) dX w p dX 0. v (2.40.2) – 2 / 62 – Die Arbeitsgleichung (2.40) ist als Diskretisierungsgrundlage zu verwenden, um das VdS an die Bedingungen der Theorie II. Ordnung anzupassen. Die Ausdrücke Gl. (2.40.1) und Gl. (2.40.2) stimmen bis auf den unterstrichenen Term mit den Aus– drücken Gl. (1.14.1) und Gl. (1.14.2) überein, die für den Fall der Theorie I. Ordnung gelten. Der Unterschied zwischen beiden Theorien besteht also lediglich in der zusätz– lichen Auswertung des Arbeitsausdrucks W vTheorie II. Ordnung w (x) H(x) w(x) dX. v (2.41) Gl. (2.41) ergänzt die elastischen Stabsteifigkeiten der Theorie I. Ordnung durch geometrische Stabsteifigkeiten, um im Rahmen der Theorie II. Ordnung das Gleichgewicht am verformten System zu erfüllen. 2.4.2 Näherungsansätze für Theorie II. Ordnung Die Näherungsansätze Gl. (1.17) und Gl. (1.18), die bei der Auswertung der Theorie I. Ordnung–Arbeitsgleichungen (1.14.1) und Gl. (1.14.2) zur Anwendung kommen, erfassen die homogenen Lösungen der zugehörigen DGL (1.41 und 1.42) in analytisch exakter Form. Zur Auswertung von Gl. (2.40.1) gilt daher uneingeschränkt Gl. (1.17). Bei der Auswertung von Gl. (2.40.2) sind dagegen Abweichungen von der analytischen Lösung zu beachten. Abweichungen von der DGL–Lösung können beim VdS aber in einfacher Weise durch eine Verfeinerung der Elementunterteilung egalisiert werden. Dieses Prinzip hat sich bereits bei gebetteten Stäben sehr gut bewährt, vgl. Abschnitt 1.8. Obwohl erhebliche Unterschiede zwischen der tranzendenten Lösung von gebetteten Stäben und der algebraischen Näherungslösung Gl. (1.17) und Gl. (1.18) bestehen, sind mit dem VdS sehr genaue Ergebnisse zu erzielen, wenn man die Beschränkung der Elementlänge Gl. (1.43) beachtet. Die homogene Biegelösung der Theorie II. Ordnung setzt sich aus algebraischen und tranzendenten Anteilen zusammen. Bei Druck Gl. (2.25.2) treten als tranzendenter Anteil einfache und bei Zug Gl. (2.34.1) hyperbolische Sinus– und Cosinusterme auf. Beide Lösungen werden einheitlich durch die algebraische Funktion Gl. (1.18) ange– nähert, um den Arbeitsausdruck Gl. (2.41) auszuwerten. Die Durchführung der Integration und das Einordnen in ein Matrizenschema ergibt W vTheorie II. Ordnung v vl k ll(H) v l . T – 2 / 63 – (2.42) Im diskretisierten Arbeitsausdruck (2.42) ist k ll(H) H 30 0 0 0 0 0 0 36 s 3 0 36 s 0 3 4s 0 –3 0 3 –s (2.42.1) 0 0 0 0 0 0 0 36 s –3 0 36 s –3 0 3 –s 0 –3 4s die geometrische Steifigkeitsmatrix der Theorie II. Ordnung. In Gl. (2.42.1) ist die Längskraft H als Zugkraft positiv und als Druckkraft negativ definiert. Die Dateneingabe des VdS erfaßt Streckenlasten element– bzw. stabweise konstant. Die H– Kraft kann sich, wenn überhaupt, nur linear verändern. Die Integration von Gl. (2.42.1) erfolgt daher mit dem Mittelwert der H– Kräfte zwischen Anfang und Ende der betrachteten Elemente bzw. Stäbe. Mit Gl. (2.42.1) und den elastischen Steifigkeitsmatrizen von ungebetteten Gl. (1.23.3) und gebetteten Stäben (Gl. 1.39.1) ist dann die Gesamtsteifigkeitsmatrix der Theorie II. Ordnung durch k ll k ll(EA, EI) k ll(K) k ll(H) (2.43) bekannt. Die Güte der Näherung von Gl. (2.42.1) ist durch einen Vergleich mit den analytischen Lösungen der DGL (2.22) zu überprüfen. Dies soll am Beispiel des im (Bild 2.30) dargestellten dehnstarren Druckstabs erfolgen. ϕ x, u z, w wk = 0 ϕk = 1 (K) (L) (EA, GAQ) → ∞ H H EI ≠ 0 es M KL wL = 0 ϕL = 0 s Bild 2.30 : Vergleich von analytischer und numerischer Lösung – 2 / 64 – |EIH| Die analytische Lösung ist (Bild 2.17) zu entnehmen. 2 M analytisch A EI ⋅ ϕ K , A e sine e cose . s KL 2(1 cose) e sine Die numerische Lösung ist aus der Matrizengleichung . MKL 0. ϕK k ll(EI) k ll(H) = . 0. . 0. zu entwickeln. 1 2 A N EI M numerisch KL s ⋅ ϕ K , A N 4 1 30 e . Die zahlenmäßige Auswertung in Abhängigkeit von ε ist in (Tabelle 2.2) angegeben. e A e sin e e 2 cos e AN 4 1 1 e2 2 (1 cos e) e sin e 30 Fehler : AN 1 100% A 0. 4. 4. 0.00% 1. 3.865 3.867 % 2. 3.436 3.467 0.90% 2.5 3.088 3.167 2.56% 3. 2.624 2.800 6.70% Tabelle 2.2 : Zahlenvergleich der Vorfaktoren Nach Tabelle (2.2) ist die Näherungslösung des VdS bis zur Stabkennzahl ε ≤ 2.5 zulässig. Die Fehlerquote liegt dann unter 3%. Dies ist für die praktische Anwendung als ausreichend genau anzusehen. Als Vergleichslänge bietet sich der Ausdruck s vgl. |EIH| (Maßeinheit nach Vorgabe) (2.44) an, der sich aus der Stabkennzahl Gl. (2.24) ableitet. Mit der Vergleichslänge Gl. (2.44) und der Begrenzung von ε durch (Tabelle 2.2) läßt sich eine maximale Element– bzw. Stablänge angeben. s 2.5 s vgl. (2.45) – 2 / 65 – Bei der Element– bzw. Stabunterteilung von statischen Systemen ist Gl. (2.45) zu beachten, um mit der Näherungslösung des VdS hinreichend genau Ergebnisse zu er– zielen, wenn die Berechnung auf der Grundlage der Theorie II. Ordnung erfolgt. 2.4.3 Vergleich zwischen DWV und VdS Die Stabendmomente von beiden Verfahren stimmen im Rahmen einer vorgegebenen Genauigkeitsgrenze überein, vgl. (Tabelle 2.2). Damit ergeben sich nach Gl. (2.30) auch gleiche Zwangsmomente (ZM) in den Drehfesseln bzw. Knoten der Berechnungs– systeme. Das lokale Tragverhalten wird also von beiden Verfahren in gleichwertiger Weise erfaßt. Beim DWV beeinflussen die fiktiven Kräfte maßgeblich das globale Tragverhalten, da sie in den Zwangskräften (ZK) der Wegfesseln auftreten. Beim VdS werden keine fiktiven Kräfte definiert. Die gesamte Information zur Theorie II. Ordnung ist in der geometrischen Steifigkeitsmatrix Gl. (2.42.1) enthalten. Die Zwangskräfte in den Wegfesseln müssen demnach mit den Querkräften der Gesamtsteifigkeitsmatrix Gl. (2.43) übereinstimmen. Die Zwangskraft in den Wegfesseln von Grundstäben ist durch Gl. (2.31) definiert. In der speziellen Wegfessel am Knoten (L) des 1–ten Grundstabs tritt z.B. die Zwangskraft ZK 1 s (M KL M LK) H y KL auf, wenn der druckbeanspruchte Grundstab, wie im (Bild 2.31) dargestellt, mit gesperrten Drehfesseln um das Maß ψKL verdreht wird. F fiktiv F fiktiv H y KL (K) (L) ψKL H MLK H ZK MKL ZK s Bild 2.31 : Zwangskraft im verdrehten 1–ten Grundstab – 2 / 66 – Diese Zwangskraft muß mit der Querkraft VLK übereinstimmen, die sich aus der Matrizengleichung VKL MKL 0. = 0. k ll(EA) k ll(H) VLK wL MLK 0. des dehnstarren VdS– Elements (Bild 2.32) ergibt, wenn man den Knoten (L) mit wL = ψKL ⋅ s verschiebt und die Weggrößen ϕK, ϕL und wK gleich Null setzt. ϕ H MKL x z, w MLK (K) H (L) VKL VLK s Bild 2.32 : Querkraft am VdS– Element Mit Gl. (1.23.3), Gl. (2.42.1) und negativer H– Kraft gilt 3 M KL M LK 6 EI s ⋅ y KL 30 Hs y KL und V LK 12 EI2 ⋅ y KL 36 H y KL . 30 s Wird MKL = MLK unter Anpassung der Vorzeichen – es gelten die inneren Momentenpfeile von Bild 2.31 – in ZK 1 s M KL M LK H y KL – 2 / 67 – eingesetzt, erhält man 6 EI ZK 1 s 12 s y KL 30 Hs y KL H y KL 12 EI2 y KL 36 H y KL V LK . 30 s Das DWV und das VdS stimmen also trotz unterschiedlicher Methodik vollständig überein, wenn man von gleichen Voraussetzungen ausgeht. Methodische Unterschiede sind in zwei Punkten zu beachten: 1. Das VdS erfaßt in allgemeiner Form dehnsteife, das DWV dagegen nur den Sonderfall dehnstarrer Tragwerke. 2. Das VdS beruht auf einer Näherungslösung, das DWV dagegen auf einer analytisch exakten Lösung. Im konstruktiven Ingenieurbau ist der Sonderfall dehnstarrer Tragwerke die Regel und die Güte der VdS– Lösung läßt sich durch die Elementunterteilung bis zur analytisch exakten Lösung steigern. Im Hinblick auf die praktische Anwendung haben die Unterschiede daher keine Bedeutung. In der Praxis dominiert wegen der Rechnerunterstützung das VdS. Das DWV kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn es um Kontrollen von VdS– Ergebnissen geht oder wenn Vorbemessungen im Rahmen der Entwurfsgestaltung anstehen. 2.4.4 Iterative Berechnung auf Systemebene Beim DWV begnügt man sich in der Regel mit einem Iterationsschritt, um den rechnerischen Aufwand der Handberechnung in Grenzen zu halten. Eingangsgrößen der Berechnung sind die Längskräfte der Stäbe, die vorab zur ungünstigen Seite hin abgeschätzt werden. Diese rein manuelle Beschränkung entfällt beim VdS durch den Rechnereinsatz. Die Berechnung wird erst dann beendet, wenn Eingangs– und Ausgangsgrößen übereinstimmen. Die Anpassung erfolgt mit Hilfe einer Iterationsschleife. Sie ist auf der Systemebene des VdS zu durchlaufen. Die Systemgleichung der Theorie II. Ordnung, auf der die Iteration beruht, ergibt sich in gleicher Weise wie Gl. (1.29) bzw. Gl. (1.30) der Theorie I. Ordnung. Beim Aufbau ist in der Arbeitsgleichung (1.25) der Elemente bzw. Stäbe lediglich Gl. (2.42.1) zusätzlich zu berücksichtigen. Als Ergebnis erhält man das Gleichungs– system (K K(H)) V S 0(ò), (2.46) das von zwei Parametern abhängt, nämlich den Stabkräften H und dem Lastfaktor ρ. – 2 / 68 – Die Vorgabe des Lastfaktors ρ erfolgt durch die Dateneingabe. In der Regel wird nur ein fester Wert gewählt. Es besteht aber auch die Möglichkeit, durch sukzessive Steigerung von ρ diejenige Last zu ermitteln, bei der das System versagt. Dies ist der Fall, wenn sich die LVK asymthotisch der kritischen Last nähert, die das Lastniveau nach oben begrenzt, vgl. (Bild 2.1). Zu Beginn der Berechnung sind die Längskräfte H unbekannt. Sie werden daher zu Null gesetzt. Damit entfällt in Gl. (2.46) die geometrische Steifigkeitsmatrix K(H). Im Rahmen des VdS beginnt demnach jede Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit der elastischen Steifigkeitsmatrix K = K(EA, EI, K). Dadurch ergibt sich für die Längskräfte H zunächst eine Lösung nach Theorie I. Ordnung. Sie dient als Ausgangslösung der Iteration und wird daher als Grundschritt bezeichnet. Die Iteration für einen speziellen Lastfaktor ρ ist beendet, wenn die Ein– und Ausgänge der Berechnung übereinstimmen. Der Ablauf ist in (Tabelle 2.3) veranschaulicht. Vorgang Durchführung Beginn Lastfaktor ρ wählen und alle Längskräfte H = 0 setzen. Grundschritt Berechnung nach Theorie I. Ordnung (Index I): K VI = S0 → HI bekannt. Iteration Berechnung nach Theorie II. Ordnung (Index II): 1. Schritt K K(HI) VII1 S0 H II1 bekannt. 2. Schritt K K(HII1) VII2 S0 H II2 bekannt. 3. Schritt K K(HII2) VII3 S0 H II3 bekannt. . . . . Fortsetzung Die Iteration ist nach (i) Schritten beendet, wenn sich die Gleichheit von H IIi H IIi 1 einstellt ! Ggf. ρ neu wählen, den Grundschritt und die Iterationen wiederholen, bis Ergebnisse für alle gewünschten Lastfaktoren vorliegen. Tabelle 2.3 : Flußdiagramm der Iteration – 2 / 69 – 2.4.5 Zahlenbeispiel zum VdS Die Berechnung von Stabtragwerken nach Theorie II. Ordnung mit dem VdS soll abschließend an einem Beispiel demonstriert werden. Die Durchführung erfolgt am statischen System (Bild 2.24a), um eine Vergleichsberechnung zum DWV zu erhalten, vgl. Abschnitt 2.3.5. Zur Anwendung kommt das Programm FEMAS mit den Optionen Spannungsberechnung nach Theorie I. und II. Ordnung /5/. Das FEMAS– Berechnungssystem ist im (Bild 2.33) dargestellt. X3 500 kN 1 Qw = V 2 1 Mv = M N=H 3. 2 500 kN X2 ≡ 0. 5 6 3 7 ϕ3 w3 104 kN/m ϕ2 3. w2 w1 4 3 4 X1 ϕ1 4. m 3. 4. Bild 2.33 : FEMAS– Berechnungssystem des statischen Systems (Bild 2.24a) Im Vergleich zum statischen System (Bild 2.24a) sind drei Änderungen zu beachten: 1. Die Vorzeichenkonvention im FEMAS– Berechnungssystem (Bild 2.33) bezieht sich auf die oben liegende Bezugsfaser. Beim statischen System (Bild 2.24a) ist die Bezugsfaser dagegen unten angeordnet. – 2 / 70 – 2. Die Schnittkräfte in den FEMAS–Ergebnissen sind mit N und Q bezeichnet. Be– rechnet und angegeben werden aber die (H und V)– Schnittkräfte der Theorie II. Ordnung und nicht die physikalischen (N und Q)– Schnittkräfte. 3. Vom Momentengelenk im Knoten (3) des statischen Systems (Bild 2.24a) zweigen drei Stäbe ab. Im FEMAS–Berechnungssystem (Bild 2.33) ist an dieser Stelle eine 3–fache Knotennummerierung erforderlich, um das Gelenk als Vollgelenk ausbilden zu können. Die Knotennummern 6 und 7 sind daher zusätzlich zu beachten. Die Knoten 3, 6 und 7 bezeichnen aber ein und denselben geometrischen Ort, nämlich den Knoten (3) des statischen Systems (Bild 2.24a). Es werden drei Berechnungsläufe mit FEMAS durchgeführt. In der ersten Programmberechnung erfolgt eine Kontrolle der am statisch bestimmten Gelenkwerk ermittelten H–Kräfte, die als Eingangsgrößen dienen, um die Handberechnung mit dem DWV zu starten. Die Ergebnisse der Programmberechnung stimmen vollständig mit der Kräftezerlegung im (Bild 2.25a und b) überein. Die zweite Programmberechnung erfolgt auf der Grundlage der Theorie I. Ordnung. Ein Vergleich der Ergebnisse zwischen erster und zweiter Berechnung verdeutlicht, daß die Längskräfte nach Theorie I. Ordnung deutlich von den Längskräften der Schätzung am Gelenkwerk abweichen. Daher gelten beim Start der Berechnung nach Theorie II. Ordnung beim VdS andere Eingangsbedingungen als beim DWV. In der Regel unterbleibt die iterative Anpassung der Längskräfte beim DWV, wenn die Eingangsgrößen auf der sicheren Seite liegen. Zwischen den Verfahren müssen sich daher zwangsläufig Unterschiede ergeben, wenn man die Ergebnisse nach Theorie II. Ordnung vergleicht. Die dritte Programmberechnung nach Theorie II. Ordnung ist nach fünf Iterationsschritten beendet. Wie ein Vergleich der Ergebnisse aus den VdS–Berechnungen mit dem System (Bild 2.33) sowie der Berechnung mit dem DWV (Bild 2.24) zeigt, ist der Einfluß der Verformungen auf das Gleichgewicht gering. Für die horizontale Verschiebung der Feder im Knoten (5) (Bild 2.27a) erhält man die Werte Y2 = vX5 = w15 = 0.0599 (m) → Theorie I. Ordnung VdS, = 0.0618 (m) → Theorie II. Ordnung VdS, = 0.0662 (m) → Theorie II. Ordnung DWV. Für die Verdrehung in der biegesteifen Ecke des Knotens (2) (Bild 2.27a) ergeben sich die Werte Y1 = ϕ2 = ϕ22 = 0.0181 (1) → Theorie I. Ordnung VdS, = 0.0187 (1) → Theorie II. Ordnung VdS, = 0.0221 (1) → Theorie II. Ordnung DWV. Der Unterschied zwischen Theorie I. und II. Ordnung beträgt lediglich 3%. Die Werte nach dem DWV fallen erwartungsgemäß größer aus als die Werte nach dem VdS. – 2 / 71 – Die Beträge der Schnittgrößen sind in (Tabelle 2.4) gegenübergestellt. Theorie und Verfahren Stab 1 Beträge der Schnittgrößen II. Ordnung II. Ordnung VdS VdS DWV 3.7 (Zug) 6.6 H(N) (kN) 6.9 V(QW) (kN) 313.9 323.1 327.7 M(MV)1 (kNm) 718.0 739.8 778.8 M(MV)2 (kNm) 537.4 552.3 578.3 H(N) 136.5 122.5 130.0 126.7 127.7 120.7 537.4 552.3 578.3 0. 0. 903.8 925.0 960.5 66.6 45.8 33.6 282.4 275.0 275.0 0. 0. 618.0 662.0 0. 9.6 24.8 M(MV)3 (kNm) 0. 0. 0. M(MV)5 (kNm) 0. 0. 0. = (1, 2) (kN) 2 = (2, 3) V(QW) (kN) bzw. M(MV)2 (kNm) (2, 6) M(MV)3(6)(kNm) H(N) (kN) 3 = (4, 3) V(QW) (kN) bzw. M(MV)4 (kNm) (4, 7) M(MV)3(7)(kNm) 4 I. Ordnung H(N) (kN) V(QW) (kN) 0. 0. 598.9 = (3, 5) Tabelle 2.4 : Vergleich der Schnittgrößen Auch bei den Schnittgrößen treten nur geringe Unterschiede zwischen den Werten der einzelnen Berechnungen auf. Der Stab 1 zwischen den Knoten (1) und (2) erhält im Endzustand der Theorie II. Ordnung sogar Zug und versteift das System. Dadurch wird das Einspannmoment im Knoten (4) des Stabes 3 nach Theorie II. Ordnung geringfügig kleiner als nach Theorie I. Ordnung. – 2 / 72 – Die Elementierung des VdS–Berechnungssystems (Bild 2.33) besteht aus einem Element pro Stab. Eine Überprüfung der Elementlänge im Stab 3 , der mit |H| + 925. kN die größte Längskraft aufweist, ergibt eine minimale Elementlänge, die mit s + 2.5 000. + 11.65 m Ǹ|EIH| + 2.5 Ǹ20925. deutlich größer ausfällt als die wirkliche Elementlänge, die lediglich s + 3 Ǹ2 + 4.25 m beträgt. Die Elementierung ist also ausreichend fein gewählt, um der Genauigkeitsanforderung nach Gl. (2.45) zu genügen. Eine Kontrollberechnung mit 20 Unterteilungen pro Stab bestätigt die Ergebnisse der Berechnung ohne Unterteilung. Der Momentenverlauf aus den Berechnungen mit unterschiedlichen Elementunterteilungen ist im (Bild 2.34) dargestellt. (Bild 2.34a) zeigt den Verlauf mit einem Element pro Stab und (Bild 2.34b) den Verlauf mit 20 Elementen. 2.5 Stabilität von Gleichgewichtszuständen Der Nachweis der Standsicherheit von Tragwerken des konstruktiven Ingenieurbaus ist nach den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik zu führen. Sie sind in Abhängigkeit von der speziellen Problemstellung in technischen Regelwerken zusammengefaßt. Details zur Stabilität sind z.B. DIN 1045, DIN 18 800 oder vergleichbaren Werken zu entnehmen. Für druckbeanspruchte Tragwerke ist der Nachweis der Standsicherheit erbracht, wenn sich das tragende System im stabilen Gleichgewicht befindet. Das Adjektiv stabil ist dabei von besonderer Bedeutung. Erfolgt der Nachweis durch eine Spannungsberechnung auf der Grundlage der Theorie II. Ordnung, ist zusätzlich die Stabilität des Gleichgewichts zu überprüfen. Es reicht nicht aus, lediglich die Weg– und Kraftgrößen der verformten Gleichgewichtslage zu berechnen und mit Grenzwerten der Regelwerke zu vergleichen. Diese Lage ist nämlich nur dann als uneingeschränkt stabil anzusehen, wenn eindeutig bekannt ist, daß das Lastniveau, für das der Spannungsnachweis erbracht wird, unterhalb des kritischen Lastniveaus des speziell betrachteten Tragwerks liegt. Der vollständige Nachweis der Standsicherheit von druckbeanspruchten Tragwerken besteht daher immer aus zwei voneinander unabhängigen Berechnungsschritten: 1. Der Berechnung von Weg– und Kraftgrößen der verformten Gleichgewichtslage durch die Lösung des Spannungsproblems nach Theorie II. Ordnung. 2. Die Überprüfung der Stabilität durch die Lösung des begleitenden Stabilitäts– problems. – 2 / 73 – 739.8 + – – 552.3 275.0 + a 739.8 552.3 274.8 b – 2 / 74 – Die Anwendung dieses Konzepts ist bei Stabtragwerken stets zulässig, vgl. z.B. DIN 18 800, Teil 2. Um die Stabilität von Gleichgewichtszuständen überprüfen zu können, ist es erforderlich, eine Stabilitätstheorie zu formulieren. Dazu ist die DGL des Problems abzuleiten und zu lösen. Die Lösung der Stabilitätsgleichung im Bereich von statisch unbestimmten Stabtragwerken kann wiederum mit dem DWV oder mit dem VdS erfolgen. Als Ergebnis erhält man eine Aussage über das kritische Lastniveau des speziell betrachteten Tragwerks. 2.5.1 Grundlagen der Stabilitätstheorie I. Ordnung Instabilität kann durch unterschiedliche Versagensarten auftreten. Bei Stabtragwerken ist zwischen Biegeknicken und Biegedrillknicken zu unterscheiden. Biegedrillknicken ist immer mit einer Verdrehung der Stabachse verbunden, so daß ein räumlicher Ver– sagenszustand vorliegt. Hierzu gehört z.B. auch der Fall der doppelten Biegung. Räumliches Versagen ist im Rahmen einer ebenen Stabstatik nicht zu erfassen. Biegedrillknicken wird daher nicht behandelt. Beim Biegeknicken von ebenen Stabwerken kann das Ausknicken in der Lastebene oder senkrecht dazu erfolgen. Dies hängt von den aktuellen Steifigkeiten der jeweiligen Richtungen ab. Im Rahmen der speziell hier betrachteten ebenen Stabstatik kann man nur das Ausknicken in der Lastebene untersuchen. Die Zustände, die ein Stabausschnitt ∆x dabei durchläuft, sind im (Bild 2.35) dargestellt. ∆x ϕ x, u z, w n(x) p(x) a) Ausgangszustand (ρ = 0) b) Grundzustand (ρ > 0) nach Theorie I. Ordnung mit vernachlässigten Biegegrößen c) Nachbarzustand zum Grundzustand b) nach Theorie II. Ordnung NG ∆M = H ∆w ϕ ∆w M V H = λ NG Bild 2.35 : Biegeknicken in der Lastebene Zur Beschreibung des Knickvorgangs sind drei unterschiedliche Zustände bzw. Lagen des Stabs zu betrachten. Der Ausgangszustand (Bild 2.35a) stimmt mit der unverformten Lage ρ = 0 überein. Er dient, da bekannt, als Bezugszustand. Der Grundzustand (Bild 2.35b) ist identisch mit einer Gleichgewichtslage. Sie ist durch eine Spannungsberechnung für eine spezielle Einwirkung ρ > 0 zu ermitteln. Größen, die zu diesem Vorknickzustand gehören, sind durch den hochgestellten Index (G) gekennzeichnet. – 2 / 75 – Ziel der Stabilitätsbetrachtung ist es, zur Überprüfung der Stabilität von Gleichge– wichtszuständen ein deterministisches Kriterium zu entwickeln. Dazu ist die Gleichgewichtslage des Grundzustands noch genauer zu definieren. Sie kann sich aus einer Berechnung nach Theorie I. oder nach Theorie II. Ordnung ergeben. Da der Tragfähigkeitsnachweis aber bereits nach Theorie II. Ordnung erfolgt, reicht es aus, als Grundzustand der Stabilitätstheorie den Gleichgewichtszustand ρ = 1 nach Theorie I. Ordnung zu wählen, um mit dem so definierten Spannungszustand die Knicklast zu berechnen. Ist das kritische Lastniveau bekannt, läßt sich das tatsächliche Lastniveau, daß der Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung zugrunde liegt, in einfacher Weise nach oben begrenzen. Es gilt F Theorie II. Ordnung t F Knicken. (2.47) Das tatsächliche Lastniveau ist als Vorgabe der Berechnung bekannt. In Anlehnung an technische Regelwerke sind Bemessungslastfälle zu bilden, die aus Kombinationen von Einwirkungen bestehen. Bei der Zusammenstellung der Lastkombinationen sind die Einwirkungen um spezielle Teilsicherheitsfaktoren zu erhöhen, um im Hinblick auf die Sicherheit das ungünstigste Verhalten jeder Einwirkungsart zu erfassen. Das kritische Lastniveau hängt dagegen vom Verhalten des Tragwerks ab. Die Knicklast ist diejenige Einwirkung, bei der ein Tragwerk in eine zum Grundzustand benachbarte Gleichgewichtslage ausknickt. Das Knicken ist demnach als ein Verzweigen von Gleichgewichtszuständen zu interpretieren. Die ausgeknickte Lage wird als Nachbarzustand bezeichnet (Bild 2.35c). Das Ausknicken erfolgt schlagartig, wenn die Druckkraft NG des Grundzustands den Wert λ NG erreicht. Beim Grundzustand nach Theorie I. Ordnung besteht zwischen der Druckkraft NG und der erzeugenden Einwirkung FG = ρ F, ρ = 1 ein linearer Zusammenhang. Mit dem Steigerungsfaktor λ der Druckkraft NG ist daher auch der Steigerungsfaktor ρ der Einwirkung FG bekannt. Dieser Faktor wird als kritischer Lastfaktor bezeichnet. Er ist durch den Index (k) markiert, so daß òk + l (2.48) gilt. Mit Gl. (2.48) berechnet sich die in Gl. (2.47) eingeführte Knicklast zu F Knicken + ò k FG + ò k F + l F . (2.49) Mit der Kenntnis von λ ist das durch Gl. (2.47) eingeführte Kontrollkriterium eindeutig definiert. Die DGL der Stabilitätstheorie ist daher als Bestimmungsgleichung für λ zu konzipieren, um λ als Zahlenwert berechnen zu können. Druckkräfte in Stäben von Tragwerken können in unterschiedlicher Form ohne und mit Biegung auftreten (Bild 2.36). Die Lastkonfiguration des Grundzustands im (Bild 2.36a) wird vielfach als Stabilitätsproblem bezeichnet, weil keine Biege– sondern eine reine Druckkraftbeanspruchung vorliegt (Bilder 2.36a1 bis a3). Für diesen Fall ergibt eine – 2 / 76 – F/2 F/2 F H H L/2 L a1) Einwirkung und Verformung L/2 b1) Einwirkung und Verformung – 0 – – + M – Mm 0 0 a2) Momente b2) Momente M/H F/2 0 F/2 – F/2 F/2 – – – – a3) Druckkräfte b3) Druckkräfte a4) Knickform b4) Knickform a) Druckkräfte ohne Biegung b) Druckkräfte mit Biegung Bild 2.36 : Druckkräfte ohne und mit Biegung – 2 / 77 – Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung keinen Sinn. Das zulässige Last– niveau hängt ausschließlich von der Ausknickgefahr ab. Infolge der Steifigkeitsverhältnisse stellt sich eine antimetrische Knickform ein (Bild 2.36a4), da ein Tragwerk immer in Richtung der geringsten Steifigkeit ausknickt. Nach Gl. (2.47) ist die Knicklast, die zu dieser Form gehört, als Grenzzustand der Einwirkungen zu beachten. Die Lastkonfiguration im (Bild 2.36b) führt dagegen zu einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung und Druckkräften (Bilder 2.36b1 bis b3). Durch die Biegung treten nun auch im Riegel Druckkräfte auf. Im Vergleich zur Lastkonfiguration (Bild 2.36a) muß die Knicklast daher geringfügig abnehmen. Da sich die Steifigkeitsverhältnisse des Systems aber nicht geändert haben, muß wiederum eine antimetrische Knickform auftreten (Bild 2.36b4). Ein Tragfähigkeitsnachweis nach Theorie II. Ordnung folgt aber der symmetrischen Verschiebungsform im (Bild 2.36b1). Er würde damit die antimetrische Knickform (Bild 2.36b4) überlaufen, wenn eine Kontrolle des Lastniveaus durch die Knicklast nach Gl. (2.47) und Gl. (2.49) unterbleibt. Der Nachbarzustand (Bild 2.35c) ist ein Biegezustand nach Theorie II. Ordnung. Bei der Aufstellung der Gleichgewichtsbedingung ist daher zusätzlich das Versatzmoment ∆M = H ⋅ ∆w zu berücksichtigen, das sich im Augenblick des Ausknickens durch die Wirkung der um λ erhöhten Druckkraft H + l ⋅ NG (2.50) des Grundzustands einstellt. Die Biegegrößen (wG, ϕG, QG und MG) des Grundzustands beeinflussen das Ausknicken dagegen kaum und werden ersatzlos vernach– lässigt. Das Spannungsniveau unmittelbar vor dem Ausknicken ist durch Gl. (2.50) fixiert. Damit ist nach Gl. (2.48) auch das zugehörige Lastniveau bekannt. Der Übergang in den ausgeknickten Zustand erfolgt ohne zusätzliche Laststeigerung. Es ist daher lediglich der homogene Anteil ǒ Ǔ e wȀȀȀȀ(x) ) sl 2 wȀȀ(x) + 0 (2.51) der DGL (2.23) zu lösen, um den Knickfaktor λ zu erhalten. Die zugehörige analytische Lösung Gl. (2.25.2) läßt sich in Abhängigkeit von der Stabkennzahl el + s ǸŤl EIN Ť G (2.52) auswerten, die nun ihrerseits vom Knickfaktor λ abhängt. Die Berechnung mit dem DWV beruht auf der im Abschnitt 2.3 entwickelten Vorgehensweise. Änderungen gegenüber der Vorgehensweise beim Spannungsproblem ergeben sich nicht. Es ist die Determinantenbedingung el 2 ȡ ȣ detȧwȀȀȀȀ(x) ) ǒ s Ǔ wȀȀ(x)ȧ+ det (l) + 0 Ȣ Ȥ (2.53) zu erfüllen, um λ als kleinsten Wert der DGL (2.51) explizit berechnen zu können. Dies ist nur auf iterativem Weg möglich. Einzelheiten werden im Abschnitt 2.5.3 angegeben. – 2 / 78 – Die Berechnung mit dem VdS beruht auf der im Abschnitt 2.4 entwickelten Vorgehensweise. Der homogene Anteil des PvW Gl. (2.40) ersetzt in statisch gleichwertiger Weise die DGL (2.51). Die Arbeitsgleichung (2.40.2) ist mit der Druckkraft Gl. (2.50) auszuwerten und als Eigenwertproblem für λ zu formulieren. Es ist der Rayleigh–Quotient ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) dx l+ ŕ wȀ (x) N wȀ(x) dx v v (2.54) G zu erfüllen, um λ als kleinsten Wert der DGL (2.51) explizit berechnen zu können. Dies ist auf iterativem Weg oder durch die Lösung eines allgemeinen Eigenwertproblems möglich. Einzelheiten werden im Abschnitt 2.5.4 angegeben. 2.5.2 Bewertung der Stabilitätskontrolle Die Determinantenbedingung Gl. (2.53) bzw. der Rayleigh–Quotient Gl. (2.54) beschreiben das Verhalten am Verzweigungspunkt (Bild 2.37). Durch diesen Punkt ist der Beginn des Ausknickens festgelegt. Für Einzelstäbe und Stabtragwerke ist damit ein hinreichendes Kriterium bekannt, um die Stabilität von Gleichgewichtszuständen zu kontrollieren. Der gesamte Nachknickbereich wird nach Gl. (2.47) durch die Angabe der Knicklast begrenzt. Auch wenn die Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung über diesen Wert hinausführt, greift die Kontrolle durch Gl. (2.47). Im (Bild 2.37a) ist dieser Fall am Beispiel der Lastkonfiguration (Bild 2.36b) dargestellt. Die Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung konvergiert gegen eine zur Verformungsfigur affine Knickform. Dies ist aber eine höhere Knickform, im vorliegenden Fall eine symmetrische, nämlich die zweite, zu der eine wesentlich höhere Verzweigungslast als die Knicklast gehört. Diese Last kann in Wirklichkeit nicht erreicht werden, da das System schon beim Erreichen des kritischen Lastniveaus versagt, nämlich der Knicklast, die zur antimetrischen ersten und damit kritischen Knickform gehört, vgl. (Bild 2.37a). Der Tragfähigkeitsnachweis nach Thorie II. Ordnung geht fehl, da er aus dem stabilen Tragbereich hinaus in den labilen Tragbereich führt, vgl. (Bild 2.37a). Die Kontrolle nach Gl. (2.47) ist daher unabdingbar, um diesen Sachverhalt zu erkennen. Knicklasten begrenzen mit ρ = ρk das Tragvermögen von Einzelstäben und Stabtragwerken. Diese Aussage läßt sich aber nicht uneingeschränkt auf Flächentragwerke übertragen (Bild 2.37b). Das Tragvermögen von Platten ist bei weitem noch nicht erschöpft, wenn die Platte ausknickt; ein Vorgang, der bei Flächentragwerken ausbeulen heißt. Platten verfügen mit ρ > ρk über einen hohen überkritischen Tragbereich, während bei Schalen mit ρ < ρk das Tragvermögen nach dem Ausbeulen stark abnimmt. Beullasten sind daher ungeeignet, um Gleichgewichtszustände von Flächentrag– werken im Grenzbereich der Stabilität in eindeutiger Weise kontrollieren zu können. – 2 / 79 – Zur Verformungs– figur affine Knickform Einwirkung Höhere Verzweigungslast F Symmetrische Verformungsfigur Spannungs– berechnung nach Theorie II. Ordnung labil òk + l Knicklast System knickt aus ! Antimetrische Knickform stabil Verformung a) Kontrolle der Spannungsberechnung durch die Knicklast Einwirkung Platten mit ò u ò K Einzelstäbe und Stabtragwerke mit ò + ò K Verzweigungspunkt òk + l Schalen mit ò t ò K Verformung b) Vergleich zwischen Stab– und Flächentragwerk Bild 2.37 : Verhalten am Verzweigungspunkt – 2 / 80 – 2.5.3 Stabilitätskontrolle beim DWV 2.5.3.1 Determinanten– Iteration Bei Anwendung des DWV ist speziell die Determinante des Gleichungssystems zur Berechnung der geometrischen Unbekannten zu verwenden, um Gl. (2.53) zu erfüllen. Es gilt det (l) + det ( Z nm(l) ) + 0. (2.55) Die Zwangsgrößen Znm der (m)– Einheitswegzustände in den (n) = (m) Dreh– und Wegfesseln sind am GGS zu bestimmen. Sie berechnen sich aus der Vorgabe von Einheitswegen, wenn gleichzeitig die um λ erhöhten Druckkräfte NG des Grundzustands auf das GGS einwirken. Neben den Stabendmomenten sind daher auch die fiktiven Kräfte zu berücksichtigen. Die Stabendmomente hängen durch die Stabkennzahl Gl. (2.31) indirekt und die fiktiven Kräfte durch die Stabkraft Gl. (2.50) direkt vom gesuchten Knickfaktor λ ab. Gl. (2.55) kann daher nur iterativ gelöst werden. Dazu sind in Reihenfolge der Aufzählung drei Schritte erforderlich. Zunächst ist der NG– Verlauf des Grundzustands zu ermitteln. Dann sind zwei oder mehrere λi – Werte i = 1, 2 ... vorzuschätzen und dafür die Determinantenwerte deti = det (λi), i = 1, 2 ... zu berechnen. Dies ist ggf. solange fortzusetzen, bis sich ein Vorzeichenwechsel in den Werten der Determinanten ergibt. Ist dieser Fall eingetreten, kann durch eine lineare oder höhere Einschrankung der Nullwert der Determinante ermittelt werden. Im Nulldurchgang ist Gl. (2.55) erfüllt und der Knickfaktor l + l min (2.56) als minimaler λ–Wert gefunden. Die Determinanten– Iteration ist im (Bild 2.38) dargestellt. det (λ) λ = λmin = Knickfaktor Theorie I. Ordnung Näherung Höhere Verzweigungslasten λ2 λ λ1 Determinantenverlauf Lineare Einschrankung Bild 2.38 : Determinanten– Iteration – 2 / 81 – Besondere Vorsicht ist bei der Schätzung der λ– Eingangswerte geboten, um die Berechnung von Determinanten– Nulldurchgängen bei λ > λmin zu vermeiden, die zu höheren Verzweigungslasten gehören. 2.5.3.2 Zahlenbeispiel zur Determinanten– Iteration Die praktische Durchführung der Determinanten– Iteration erfolgt am Zahlenbeispiel des Abschnitts 2.3.5. Für das GGS (Bild 2.24b) nimmt Gl. (2.55) die Form ȡȱ Z 11ǒliǓ detȧȧ ȢȲ Z 21ǒliǓ Z 12ǒl iǓ ȳȣ ȧȧ+ Z 11ǒliǓ Z 22ǒliǓ * Z 212ǒliǓ + 0, Ȥ Z 22ǒl iǓ ȴ i + 1, 2 ... an. Die expliziten Ausdrücke der Zwangsgrößen sind unter Beachtung von Gl. (2.50) und Gl. (2.52) durch Z 11 + M 21,1ǒeliǓ ) M 23,1ǒe liǓ , Z 12 + * M 21,2ǒe liǓ ) M 23,2ǒe liǓ + Z 21 und Z 22 + ǒM 12,2ǒeliǓ ) M 21,2ǒe liǓǓ 1 ) M 23,2ǒe liǓ 1 ) M43,2ǒe liǓ 1 3 3 2 1 G 1 Ǹ G 1 Ǹ G 1 * li NG 12⋅ 2 ⋅2 ) N 23⋅ 3 ⋅ 2 ) N 34⋅ 3 ⋅ 2 ) N 35⋅ 4 ) 10 000. ǒ Ǔ gegeben. Die geschätzten Stabkräfte im (Bild 2.25b) sind für eine Knickberechnung zu ungenau. Die NG– Druckkräfte des Grundzustands sind daher durch eine Vorberechnung nach Theorie I. Ordnung zu ermitteln. Als Ergebnis erhält man die Beträge ŤNG12Ť + 7. kN, ŤNG23Ť + 137. kN, ŤNG34Ť + 904. kN Ť und ŤN G 35 + 600. kN, vgl. auch VdS– Berechnung _2.4.5_2 im Abschnitt 2.4.5. Die lineare Einschrankung gemäß (Bild 2.38) wird mit den Schätzwerten λ1 = 21.5 und λ2 = 23. vorgenommen. Die zugehörigen Stabkennwerte sind in (Tabelle 2.5) zusammengestellt. l 1 + 21.5 Stab l 2 + 23. e l1 A B C e l2 A B C (1, 2) 0.35 4 2 3 0.36 4 2 3 (2, 3) 1.63 3.63 2.10 2.42 1.68 3.61 2.10 2.38 (3, 4) 4.18 0.80 3.18 –11.95 4.33 0.44 3.37 –25.29 (3, 5) 3.21 2.39 2.50 –0.22 3.32 2.50 2.55 –0.63 Tabelle 2.5 : Stabkennwerte – 2 / 82 – Die Berechnung der Determinanten ist in (Tabelle 2.6) angegeben l 1 + 21.5 l 2 + 23. M21,1 20 000.0 20 000.0 M23,1 11 408.0 11 219.4 M12,2 = M21,2 15 000.0 15 000.0 M23,2 3 802.7 3 739.8 M43,2 –18 777.6 –39 755.1 31 408.0 31 219.4 –11 197.3 –11 260.2 Z22 6 082.1 –1 902.9 det 0.66 ⋅ 108 –1.86 ⋅ 108 Berechnungsgrößen Z11 Z12 = Z21 Tabelle 2.6 : Berechnung der Determinanten Zwischen den Schätzwerten λ1 = 21.5 und λ2 = 23. liegt der gesuchte Nulldurchgang, zu dem λ = λmin gehört. Die lineare Einschrankung l + l min det1 = 0.66 ⋅ 108 l 1 + 21.5 l 2 + 23. l + l min + 23. * 1.5 ⋅ 1.86 + 21.89 X 22. 0.66 ) 1.86 det2 = –1.86 ⋅ 108 ergibt in erster Näherung einen Knickfaktor vom 22–fachen Wert der Eingangslast. Die Sicherheit gegen Ausknicken ist daher uneingeschränkt gewährleistet. Die explizite Berechnung von Knicklasten mit dem DWV ist sehr aufwendig. Vor allem dann, wenn die Anzahl der geometrischen Unbestimmten zunimmt. Knicklastberechnungen sind daher nur dann zu empfehlen, wenn zur Durchführung Rechnerunterstützung bereitsteht, um VdS– Programme anwenden zu können. – 2 / 83 – Beim DWV reicht es dagegen aus, die Stabilität von Gleichgewichtszuständen, die sich aus Berechnungen nach Theorie II. Ordnung ergeben, durch die im Vergleich zu Gl. (2.55) abgeschwächte Bedingung det (Z nm(l + ò)) u 0 (2.57) zu kontrollieren. Mit Gl. (2.57) ist in der Regel sichergestellt, daß der speziell betrachtete Einwirkungszustand (ρ) im stabilen Tragbereich liegt. Auf das Zahlenbeispiel im Abschnitt 2.35 angewandt, ergibt Gl. (2.57) einen Determinantenwert von det + (33 289.3) (25 923.1) * (10 400.25) 2 + 7.6 ⋅10 8 . Dieser Wert liegt im positiven Bereich. Er bestätigt damit die Kontrolle durch die Knicklast, nach der das System erst beim 22–fachen Wert von (ρ) ausknickt. Zusätzlich ist das Stabknicken im Pendelstab (3)–(5) zu kontrollieren. Es ist im Systemknicken nicht enthalten. Im vorliegenden Fall fällt der Knickfaktor aber größer aus. Das Systemknicken ist also maßgebend. 2.5.4 Stabilitätskontrolle beim VdS 2.5.4.1 Rayleigh–Quotient und allgemeines Eigenwertproblem Im Rahmen der nichtlinearen Stabstatik ist der Einsatz von VdS– Programmen die Regel. Durch die Rechnerunterstützung entfallen alle rechentechnischen Beschränkungen. Bei VdS– Anwendungen ist daher immer eine umfangreiche Stabilitätskontrolle anzustreben. Ausgangspunkt der Betrachtung ist der Rayleigh–Quotient Gl. (2.54), der als Systemgleichung von diskretisierten Tragwerken die Matrizenform l+ ( V v) T K V (2.58) (V v) T K ǒNGǓ V annimmt, vgl. Abschnitt 2.4. Im Zähler steht die elastische und im Nenner die von NG abhängige geometrische Steifigkeit des betrachteten Tragwerks. Der Eigenwert λ erfaßt das Größenverhältnis zwischen den Steifigkeiten. Das Tragwerk knickt aus, wenn nach Gl. (2.58) die λ–fache geometrische Steifigkeit speziell beim minimalen Wert λmin mit der elastischen Steifigkeit übereinstimmt. Den Knickfaktor l + l min (2.56) kann man in besonders einfacher Art und Weise mit der Mises– Vektoriteration ermit– teln /6/. – 2 / 84 – Manchmal ist es sinnvoll, neben der Knickform auch höhere Verzweigungslasten zu ermitteln. Ein solcher Fall liegt z.B. vor, wenn es darum geht, Einzelstab– und System– knicken gemeinsam zu erfassen, zu denen unterschiedliche minimale λ–Werte gehören. Dies läßt sich in einfacher Weise erreichen, wenn man den Rayleigh–Quotient Gl. (2.58) in das allgemeine Eigenwertproblem ǒK * lj KǒNGǓ ǓVj + 0 (2.59) überführt und dann j = 1, 2, 3, 4 ... Eigenwerte λj und Eigenformen Vj in aufsteigen– der Reihe berechnet. Zur numerischen Lösung von Gl. (2.59) hat sich besonders der Lancoz–Algorithmus bewährt /6/. Im Programm FEMAS /5/ sind z.B. beide Varianten implementiert: Die Mises–Iteration zur Lösung von Gl. (2.58) und der Lancoz–Algorithmus zur Lösung von Gl. (2.59). 2.5.4.2 Zahlenbeispiel zum Eigenwertproblem Für das Zahlenbeispiel im Abschnitt 2.4.5 ist das kritische Lastniveau zu ermitteln. Die FEMAS– Berechnung beruht auf der Lösung des Eigenwertproblems Gl. (2.59). Der Grundzustand ist nach Theorie I. Ordnung definiert. Die NG– Druckkräfte werden für die Einwirkung ρ = 1 ermittelt. Kritischer Faktor und Knickform der Biegeknick– Berechnung sind im (Bild 2.39.1) dargestellt. Der minimale Knickfaktor, der sich zu l + l 1 + l min + 22.07 berechnet, stimmt vollständig mit dem Knickfaktor überein, der sich aus der Be– rechnung mit dem DWV ergibt, vgl. Abschnitt 2.5.3.2. Das Niveau der Knicklast liegt deutlich über dem Niveau der Bemessungslast. Die Ergebnisse aus der Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung sind daher als uneingeschränkt stabil einzustufen. Eine erneute Eigenwertanalyse, nun im Anschluß an die Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung mit der verformten Gleichgewichtslage als Grundzustand, bestätigt diesen Sachverhalt. Die Ergebnisse der Stabilitätstheorie II. Ordnung sind im (Bild 2.39.2) dargestellt. Der Knickfaktor fällt mit l + l 1 + l min + 21.69 nur geringfügig kleiner aus als der Knicklastfaktor aus der ersten Berechnung, weil sich die Längskräfte der Grundzustände nach Theorie I. und II. Ordnung kaum voneinander unterscheiden. Die zugehörige Knickform im (Bild 2.39.2) stimmt sogar vollständig mit der Knickform im (Bild 2.39.1) überein. Der Vorzeichenwechsel ist bei homogenen Problemen wegen der zufallsbedingten freien Wahl des Anfangswertes belanglos. – 2 / 85 – .1 .2 – 2 / 86 – 2.6 Einfluß von Imperfektionen Die bisherigen baustatischen Betrachtungen beruhen ausnahmslos auf der Vorstellung, daß die Geometrie und das Material von Tragwerken im Entwurf und im Bauwerk vollständig übereinstimmen. Durch den Prozess des Bauens sind aber Abweichungen von den perfekten Planungsvorgaben nicht zu vermeiden. Daher ist es erforderlich, im Rahmen der baustatischen Bearbeitung eine Bewertung dieser Abweichungen vorzunehmen. Es ist also zu hinterfragen, ob und wenn ja, wie sich die imperfekten Daten auf das Tragverhalten auswirken. Dies hat selbstverständlich bereits im Planungsstadium zu geschehen. Da zu diesem Zeitpunkt das Bauwerk aber noch gar nicht existiert, sind natürlich auch die Abweichungen von den Geometrie– und Materialvorgaben noch unbekannt, die sich nach dem Zufallsprinzip ja erst beim Bauen ergeben. Die baustatische Modellbildung ist daher um den Ansatz von Imperfektionen zu erweitern, um die zufallsbedingten Geometrie– und Materialabweichungen in geeigneter Weise zu berücksichtigen. Unter dem Begriff Imperfektionen sind demnach all dieje– nigen Einflüsse zusammengefaßt, die dazu beitragen, daß sich die Beanspruchungsgrößen von perfekten Tragwerken in ungünstigster Weise vergrößern, um damit die wirklichen Zustände in imperfekten Tragwerken zur sicheren Seite hin abzuschätzen. Mit geometrischen Imperfektionen werden Abweichungen von der Sollgeometrie erfaßt. Dies sind u.a. ungewollte Schiefstellungen von Stäben, z.B. Lotabweichungen von Stützen, Lastaußermittigkeiten oder Vorkrümmungen von Stäben. Strukturelle Imperfektionen berücksichtigen Abweichungen von den definierten Materialeigenschaften. Dies können z.B. Streuungen in den Kennwerten sein. Aber auch Eigenspannungen, die sich durch die Bearbeitung während des Bauens ergeben, zählen dazu. Baustatische Berechnungen mit voneinander unabhängigen geometrischen und strukturellen Imperfektionen sind sehr aufwendig. Die Regelwerke erlauben daher den Ansatz von geometrischen Ersatzimperfektionen, die neben den rein geometrischen, also spannungsfreien Imperfektionen auch den ungünstigen Einfluß von strukturellen, also spannungsbehafteten Imperfektionen durch spannungsfreie Ersatzimperfektionen abdekken. Geometrische Ersatzimperfektionen sind immer in Richtung der ungünstigsten Tragwirkung anzusetzen. Dies ist am einfachsten dadurch zu erreichen, indem man die Eigenform der Knicklast als Imperfektionsform verwendet. Daß die Knickform das Tragver– halten am ungünstigsten beeinflußt, ergibt sich unmittelbar aus der Anschauung. Im (Bild 2.37a) ist dargestellt, daß die Theorie II. Ordnung– Berechnung eines perfekten Tragwerks die Knicklastgrenze ignoriert, wenn die Verformungsfigur der Einwirkung keine Anteile aus der Knickform enthält. Das Verhalten eines imperfekten Tragwerks unter sonst gleichen Voraussetzungen ist im (Bild 2.40) dargestellt. Die Ausgangsverformung der Theorie II. Ordnung– Berechnung ist nun durch die Knickform vorgegeben. Im Verlauf der Spannungsberechnung kommt es zur Überlagerung mit der Verschiebungsfigur der Einwirkung. In der resultierenden Verschiebungsfigur sind daher immer Anteile der Knickform enthalten. Die Spannungsberechnung konvergiert nun gegen die Knickform und nicht mehr wie beim perfekten Tragwerk gegen die höhere Verzweigungslast, vgl. (Bild 2.40). – 2 / 87 – Einwirkung Knickform labil Knicklast òk + l F stabil Ausgangs– verformung affin zur Knickform F b) Imperfektes Tragwerk a) Perfektes Tragwerk Verformung Imperfektion Bild 2.40 : Verhalten eines imperfekten Tragwerks Die Regelwerke weisen zwar auch auf den ungünstigen Einfluß der Knickform hin, schreiben sie aber als Imperfektionsform nicht verbindlich vor. Nach DIN 18 800, Teil 2 reicht es z.B. aus, eine Imperfektionsform zu wählen, die sich der Knickform möglichst anpaßt. Neben der Form ist auch die absolute Größenordnung von Imperfek– tionen festzulegen. Vorgaben sind den einschlägigen Regelwerken zu entnehmen. Zur Berechnung von imperfekten Tragwerken sind das DWV und das VdS in geeigneter Weise zu modifizieren. Dazu ist die DGL des Problems abzuleiten und die um Imperfektionen erweiterte Lösung in die Methodik der Berechnungsverfahren einzuarbeiten. Die modifizierten Verfahren werden jeweils anhand eines einfachen Beispiels erprobt. – 2 / 88 – 2.6.1 Grundlage der Berechnung von imperfekten Tragwerken Die Ableitung der DGL der Theorie II. Ordnung erfolgte am differentiellen Ausschnitt des statisch bestimmten Balkens (Bild 2.13). Die unverformte Ausgangslage des perfekten Balkens ist beim Auftreten von Imperfektionen durch die spannungsfrei vorverformte Ausgangslage des imperfekten Balkens (Bild 2.41) zu ersetzen. ϕ x, u z, w Differentieller Ausschnitt ò ⋅ FZ ò ⋅ FX w wr EI 0 0, EA 0 0, GA Q ³ ∞. w ò u 0 ³ Verformte Lage ò + 0 ³ Spannungsfrei vorverformte Ausgangslage Perfekte Balkengeometrie Bild 2.41 : Imperfekter Balken Im (Bild 2.41) bezeichnet wr die resultierende Durchbiegung, die sich aus der Durchbiegung w der spannungsfrei vorverformten Ausgangslage und der elastischen Durchbiegung w zusammensetzt. Die linearisierte Kinematik (Abschnitt 2.2.1) und das elastische Materialverhalten (Abschnitt 2.2.2) gelten uneingeschränkt auch für imperfekte Tragwerke. Die baustatische Formulierung der elastischen Verträglichkeit (Abschnitt 2.2.3) bleibt damit in vollem Umfang erhalten. Am differentiellen Ausschnitt des imperfekten Balkens (Bild 2.41) ist lediglich die verformte Gleichgewichtslage (Bild 2.42) neu zu betrachten. Der im Bereich des Ausschnitts ∆x durch die Imperfektion bedingte Zuwachs der Durchbiegung ∆w hat keinen Einfluß auf das Kräftegleichgewicht. Die DGL (2.18.1 und 2.18.2) gelten daher auch für imperfekte Tragwerke. Der Zuwachs ∆w beeinflußt aber das Momentengleichgewicht, da sich durch H ⋅ ∆w der Anteil des Versatzmoments aus der Schiefstellung verändert, während der elastische Anteil M gleich bleibt. Anstelle von Gl. (2.18.3) ist nun die Bedingung Anteil Versatzmoment MȀ(x) * V(x) ) H(x) ( wȀ(x) ) wȀ(x) ) + 0 Elastischer Anteil – 2 / 89 – (2.60) ∆x ϕ x, u Perfekte Balkengeometrie w Spannungsfrei vorver– formte Ausgangslage (ρ = 0) z, w w + ∆w wr wr + ∆wr w n(x) V p(x) H ∆wr = ∆w + ∆w M w + ∆w H + ∆H M + ∆M Verformte Lage (ρ u 0) V + ∆V Bild 2.42 : Verformte Gleichgewichtslage am imperfekten System zu verwenden, die das Momentengleichgewicht am imperfekten System erfaßt. Mit den im Abschnitt 2.2.5 eingeführten Vereinfachungen und mit Gl. (2.60) erhält man die um Imperfektionen erweiterte DGL der Balkenbiegung zu EI wȀȀȀȀ(x) * H wȀȀ(x) + p ) H wȀȀ(x). (2.61) Sie ist anstelle von Gl. (2.22) zu lösen, wenn es darum geht, den Einfluß von Imperfektionen auf das Tragverhalten von Stabtragwerken deterministisch abzuschätzen. Neu im Vergleich zu Gl. (2.22) ist der Term H ⋅ w’’(x), der sich mit H = konstant aus (H(x) w’(x))’ ergibt. Die Auswertung ist mit unbekannten Längskräften und bekannten Imperfektionen vorzunehmen. Da jede Berechnung nach Theorie II. Ordnung aber mit vorgeschätzten, also bekannten H– Kräften beginnt, ist der Ausdruck H w’’(x) vollständig bekannt und steht daher als spezieller Lastfall Imperfektionen auf der rechten Seite der DGL (2.61). Die Lösung von Gl. (2.61) stimmt vollständig mit der Lösung von Gl. (2.22) überein, wenn keine Imperfektionen auftreten, weil dann mit w ≡ 0 der Ausdruck H w’’(x) in Gl. (2.61) entfällt. Die weitere Betrachtung kann sich daher auf die Lösung des Lastfalls Imperfektionen beschränken. Durch die Trennung der Lastfälle entfällt p, so daß sich die DGL (2.61) zu EI wȀȀȀȀ(x) * H wȀȀ(x) + H wȀȀ(x) (2.61) – 2 / 90 – vereinfacht. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung sind Überlagerungen nur bei gleichen H– Kräften zulässig. Aus Gl. (2.61) ist aber abzulesen, daß spannungsfreie Imperfek– tionen nur in Kombination mit spannungserzeugenden Lasten erfaßt werden können. Imperfektionslastfälle sind daher immer in das Lastkollektiv der Bemessungslastfälle zu integrieren, so daß bei der Überlagerung auch immer die gleichen H– Kräfte vorliegen. Die Berechnung von imperfekten Tragwerken mit dem DWV setzt analytische Lösungen der DGL (2.61) im Bereich der Grundstäbe voraus. Mit der Stabkennzahl Gl. (2.24) nimmt Gl. (2.61) die Form wȀȀȀȀ(x) " ǒesǓ wȀȀ(x) +# ǒseǓ wȀȀ(x) 2 2 (2.62) an. Die oberen Vorzeichen gelten für Druck, die unteren für Zug. Die homogenen Lösungen der DGL (2.62) sind bekannt. Für Druck gilt Gl. (2.25.2) und für Zug Gl. (2.34.1). Die partikulären Lösungen hängen dagegen vom Verlauf der Imperfektionsfunk– tion w(x) ab. Spezielle Vorgaben sind den einschlägigen Regelwerken zu entnehmen (Bild 2.43). Üblich ist es, pro Stab eine Stabdrehung ψ0 vorzugeben, zu der ein linearer Verlauf von w(x) gehört (Bild 2.43a). Dieser Vorverdrehung ist ggf. noch eine Vorverkrümmung zu überlagern, zu der ein quadratischer Verlauf von w(x) mit der Mittenamplitude w0 gehört (Bild 2.43b). Die spezielle partikuläre Lösung der DGL (2.62), die zur Imperfektionsvorgabe im (Bild 2.43) gehört, ist durch ǒ Ǔ 2 w p(x) +# y 0x # ϕ 0 22 ) ǒxsǓ * ǒxsǓ s e (2.63) gegeben. s y0 w x w(x) + y 0 x a) Vorverdrehung s/2 ϕ 0 + 4w s s/2 0 * ϕ0 x w w 0 b) Vorverkrümmung Bild 2.43 : Vorgabe von Imperfektionen – 2 / 91 – w(x) + ϕ 0 ǒǒ Ǔ Ǔ x * ǒxǓ 2 s s s Zur Berechnung von imperfekten Tragwerken mit dem VdS ist die Arbeitsgleichung (2.40) um den Anteil der Imperfektionen zu erweitern. Dazu ist der Term (H(x) w’(x))’, der in der DGL (2.61) bei veränderlicher Längskraft auftritt, im PvW Gl. (2.36) zu berücksichtigen und gemäß Gl. (2.38) umzuformen. Mit Gl. (2.60) folgt daraus wiederum Gl. (2.39), in der nun zusätzlich der Arbeitsausdruck W vImperfektionen + ŕ wȀ (x) H(x) w(x) dx v (2.64) auftritt, der als Lastterm des Lastfalls Imperfektionen mit positiven Vorzeichen in die Arbeitsgleichung (2.40) eingeht. 2.6.2 Erfassung von Imperfektionen mit dem DWV 2.6.2.1 Vorgehensweise Die Berechnung von imperfekten Tragwerken läuft beim DWV in gleicher Weise ab wie eine Berechnung von perfekten Tragwerken. Bei der Berechnung der Zn0– Zwangs– größen der 0– Einwirkungszustände in den (n) Dreh– und Wegfesseln von GGS ist lediglich der Lastfall Imperfektionen zusätzlich zu berücksichtigen, während die Znm– Zwangsgrößen der m– Einheitswegzustände sich durch das Auftreten von Imperfektionen nicht verändern. Zur Durchführung von Zahlenberechnungen sind für den 1–ten und 2–ten Grundstab die Stabendmomente infolge der partikulären Lösung Gl. (2.63) bereitzustellen. Dabei ist zu beachten, daß die Anpassung der homogenen Druck– und Zuglösungen Gl. (2.25.2 und 2.34.1) an die geometrischen Fesselbedingungen der Grundstäbe nur für die elastischen Verschiebungs– und Verdrehungsanteile gilt. Die Knotendrehungen aus der Vorkrümmung (Bild 2.43b) und die Stabdrehung aus der Vorverdrehung (Bild 2.43a) sind beliebig, da sie als Lastfallgrößen keine Systemrandbedingungen erfüllen müssen. Die Stabendmomente des Lastfalls Imperfektionen sind im (Bild 2.44) dargestellt. Am 1–ten und 2–ten Grundstab (Bild 2.44a1) sind jeweils die imperfekten Knoten– und Stabdrehungen (Bild 2.44a2) vorzugeben. Zwischen den Relativdrehungen der Knoten (K) und (L) besteht wegen des quadratischen Verlaufs der Vorverkrümmung (Bild 2.43b) die Beziehung ǒϕ0L * y0KLǓ + * ǒϕ0K * y0KLǓ. (2.65) Mit Gl. (2.65) vereinfachen sich die Bestimmungsgleichungen für die Stabendmomente erheblich. Für die Stabendmomente der Knoten (K) und (L) des 1–ten Grundstabs (Bild 2.44a3) gilt 0 Ǔ ǒ 0 M KL,0 + M LK,0 + (A * B * 2) EI s ϕ K * y KL . – 2 / 92 – (2.66) ϕ x 1–ter Grundstab (L) (K) z, w H H (Druck) (EA, GAQ) → ∞ H (Zug) e+s EI ≠ 0 Ǹ|EIH| (L) 2–ter Grundstab s a1) System ϕ 0K y 0KL H ǒϕ0K * y0KLǓ H * ǒϕ 0K * y 0KLǓ Schiefstellung a2) Imperfekte Knoten– und Stabdrehungen H M KL,0 M LK,0 H 0 Ǔ ǒ 0 M KL,0 + M LK,0 + (A * B * 2) EI s ϕ K * y KL a3) Stabendmomente am 1–ten Grundstab ( A, B: vgl. Bild 2.17a4 (Druck) und Bild 2.23 (Zug) ) H ǒ M KL,0 ǒ H ǓǓ EIs ǒϕ0K * y0KLǓ M KL,0 + C * 2 1 ) B A a4) Stabendmoment am 2–ten Grundstab ( A, B, C: vgl. Bild 2.17a4 bzw. 2.18a4 (Druck) und Bild 2.23 (Zug) ) Bild 2.44 : Stabendmomente für den Lastfall Imperfektionen – 2 / 93 – Für den Knoten (K) des 2–ten Grundstabs (Bild 2.44a4) gilt ǒ ǓǓ EIs ǒϕ0K * y0KLǓ. ǒ M KL,0 + C * 2 1 ) B A (2.67) Im Knoten (L) des 2–ten Grundstabs (Bild 2.44a1) ist ein Momentengelenk angeord– net, so daß hier kein Moment auftritt. Die Faktoren A, B und C sind für Druck den (Bildern 2.17a4 und 2.18a4) zu entnehmen. Für Zug gelten die Faktoren aus (Bild 2.23). Bei den Stabendmomenten Gl. (2.66 und 2.67) sind zwei Sonderfälle zu beachten, bei denen Nullwerte auftreten. Nullwerte stellen sich ein, wenn mit ϕ 0K + y 0KL eine reine Schiefstellung der Stäbe gemäß (Bild 2.43a) vorliegt, oder wenn H = 0 und damit auch ε = 0 wird. Im ersten Fall ist die Relativverdrehung ǒϕ 0K * y 0KLǓ identisch Null. Im zweiten Fall nehmen die Faktoren A, B und C die Werte 4, 2 und 3 an, so daß sich nun die Vorfaktoren (A – B – 2) und C * 2 1 ) B zu Null errechnen. Der zweite Fall A bestätigt die Erkenntnis, daß sich Imperfektionen nur dann bemerkbar machen, wenn sie im Zusammenhang mit spannungserzeugenden Lastfällen auftreten. ǒ ǒ ǓǓ Mit ansteigenden ε , also ansteigenden H, fallen die Faktoren A und C ab, während B ansteigt. Dadurch ergeben sich negative Stabendmomente, wenn nach der Ver– einbarung im (Bild 2.44a2) die Vorgabe der imperfekten Relativverdrehung positiv erfolgt. Das Zwangsmoment ZM, das sich dadurch in Drehfesseln von GGS einstellt, ist im (Bild 2.45) dargestellt. Es resultiert ausschließlich aus der Vorverkrümmung (Bild 2.43b). Der Einfluß auf das Verhalten von Tragwerken ist i.a. gering. Nur bei relativ großen Relativverdrehungen, also großen Vorverkrümmungen sind die daraus resultierenden Stabendmomente von Interesse. (K) M KL,0 ϕ 0K ZM Perfekte Tragwerksform Elastische Durchbiegung Vorverkrümmung ǒy 0KL + 0Ǔ Bild 2.45 : Zwangsmoment in Drehfesseln von vorverkrümmten Stäben Von wesentlich größerer Bedeutung ist dagegen der Einfluß der fiktiven Kräfte, die sich aus der Schiefstellung der Stäbe durch die Vorverdrehung (Bild 2.43a) ergeben. Sie sind an den Enden der vorverdrehten Stäbe anzusetzen, um die Berechnung von imperfekten Tragwerken mit Bezug auf die perfekte Tragwerksform durchführen zu können. – 2 / 94 – 2.6.2.2 Zahlenbeispiel DWV Das Zahlenbeispiel zum DWV im Abschnitt 2.3.5 ist um den Lastfall Imperfektionen zu erweitern. Für jeden Stab sind in Richtung der ungünstigsten Wirkung Vorverdrehungen und Vorverkrümmungen gemäß (Bild 2.43) anzusetzen. Die Winkel der Vorverdrehungen und die Mittendurchbiegungen der Vorverkrümmungen sind in allen Stäben als gleich groß anzunehmen. Nach DIN 18 800, Teil 2, Abschnitt 2 betragen sie y0 + 1 200. und w 0 + s . 200. Die ungünstigste Wirkung stellt sich ein, wenn die Imperfektionen zur Vergrößerung der elastischen Verformungen (Bild 2.27a) beitragen. Dies wird i.a. erreicht, wenn die Vorgabe in Richtung der Knickform (Bild 2.38) erfolgt. Die Vorverdrehungen der Stäbe des Lastfalls Imperfektionen sind im (Bild 2.46) dargestellt. Sie sind nicht verträglich mit den geometrischen Randbedingungen des Systems (Bild 2.46a). Die fiktiven Kräfte, die sich aus den angenommenen Schiefstellungen und den H– Kräften der Schätzung (Bild 2.25) ergeben, sind (Bild 2.46b) zu entnehmen. Die Vorverkrümmungen der Stäbe des Lastfalls Imperfektionen sind im (Bild 2.47) dargestellt. Sie sind ebenfalls unverträglich mit den geometrischen Randbedingungen des Systems (Bild 2.47a). Die Stabendmomente, die sich aus den angenommenen Vorverkrümmungen und den H– Kräften der Schätzung (Bild 2.25) ergeben, sind (Bild 2.47b) zu entnehmen. Die globale Wirkungsrichtung der Kräfte und Momente ist durch Pfeile gekennzeichnet. Sie sind bei der Berechnung der Zwangsgrößen des 0– Zustands des Lastfalls Imperfektionen zu beachten. Für das Zwangsmoment Z10 der Drehfessel ergibt ein Knotenschnitt um die Drehfessel den Wert Z10 = M21,0 – M23,0 = 6. – 15.4 = –9.4 kNm. Die Zwangskraft Z20 der Wegfessel wird dagegen mit dem PvW berechnet. Dies hat mit Bezug auf die perfekte Tragwerksgeometrie zu geschehen. Der virtuelle Verschiebungszustand der Wegfessel an der zugehörigen Rahmenkette stimmt daher mit der Schlußlinie des 2– Zustands (Bild 2.26b) überein. Die Bilanzierung der äußeren Arbeiten ergibt den Wert Z 20 + ǒM 12,0 ) M 21,0Ǔ ⋅ 1 * M 23,0 ⋅ 1 * M 23,0 ⋅ 1 3 3 2 fiktiv Ǹ fiktiv Ǹ fiktiv * F fiktiv 12,0 ⋅ 2 * F 23,0 ⋅ 2 * F 23,0 ⋅ 2 * F 35,0 ⋅ 1 + 0 ⋅ 2 * 15.4 ⋅ 1 * 42.3 ⋅ 1 3 3 * 2.5 ⋅ 2 * 3.4 ⋅ Ǹ2 * 7.07 ⋅ Ǹ2 * 7.5 ⋅ 1 + * 46.7 kN. – 2 / 95 – (1) y 012 + 1 + 0.005 200 (2) y 023 + 1 200 3. y 035 + 1 200 (5) (3) y 034 + 1 200 3. (4) 4. 4. 3. a) Vorverdrehungen als Imperfektionen F fiktiv 12,0 (1) Y 1, Z 10 F fiktiv 23,0 (2) F fiktiv 35,0 F fiktiv 21,0 F fiktiv 35,0 F fiktiv 23,0 (5) (3) F fiktiv 34,0 (4) F fiktiv 34,0 F fiktiv + ŤH 12⋅y012Ť + 500⋅ 1 + 2.5 kN, 12,0 200 F fiktiv + ŤH 23⋅y023Ť + Ǹ2 ⋅500⋅ 1 + 3.54 kN, 23,0 200 F fiktiv + ŤH 34⋅y034Ť + Ǹ2 ⋅1000⋅ 1 + 7.07 kN, F fiktiv + ŤH 35⋅y035Ť + 1500⋅ 1 + 7.5 kN. 34,0 35,0 200 200 b) Fiktive Kräfte am GGS Bild 2.46 : Lastfall Imperfektionen. Vorverdrehungen der Stäbe – 2 / 96 – (1) w 012 + s 200 ϕ 01 + 0.02 (2) w 023 + s 200 ϕ 02 + 0.02 3. (3) 3. w 034 + s 200 ϕ 04 + * 0.02 ÉÉÉÉ ÉÉÉÉ (5) (4) 4. 4. 3. a) Vorverkrümmungen als Imperfektionen Y 1, Z 10 M 12,0 (1) M 21,0 (2) M 23,0 (5) Y 2, Z 20 (3) (4) Ť 0 M 12,0 + (A * B * 2) EI s ⋅ϕ 1 M 21,0 + M 12,0, M 23,0 + M 43,0 + Ťǒ Ťǒ ǒ Ť M 43,0 Ť Ť + (3.952 * 2.012 * 2) 20000 ⋅0.02 + 6. kNm, 4 ǓǓ EIs ⋅ϕ01Ť + Ťǒ2.870 * 2ǒ1 ) 2.022 ǓǓ 20000 ⋅0.02Ť + 1.54 kNm, Ǹ 3.914 C*2 1)B A ǒ 3 2 ǓǓ EIs ⋅ϕ04Ť + Ťǒ2.644 * 2ǒ1 ) 2.059 ǓǓ 20000 ⋅(* 0.02)Ť Ǹ 3.769 C*2 1)B A 3 2 + 42.3 kNm. b) Stabendmomente am GGS Bild 2.47 : Lastfall Imperfektionen. Vorverkrümmung der Stäbe – 2 / 97 – Die Zwangsgrößen des Lastfalls Imperfektionen sind mit den Zwangsgrößen des spannungserzeugenden Lastfalls Einzellasten zu überlagern. b+* Z10 = 0. + 9.4 = 9.4 Z20 = 1 500. + 46.7 = 1 546.7 . Die linke Seite des Gleichungssystems bleibt unverändert. 33 289.3 Y1 – 10 400.25 – 10 400.25 25 923.1 Y2 9.4 = 1 546.7 . Als Lösung erhält man für Y1 und Y2 die Werte Y1 = ϕ2 Y2 = vX5 = = 0.0216 (1) und 0.0683 (m). Sie sind 4.3% bzw. 3.1% größer als die Werte ohne Einfluß von Imperfektionen. Bei der Überlagerung zur Ermittlung der Schnittmomente an den Stabenden sind nun zusätzlich die Stabendmomente der Imperfektionen zu berücksichtigen. Es gelten die lokalen Vorzeichen der Bezugsfaser. M12 = (–M12,0) + M12,1 Y1 + (–M12,2) Y2 = –807.0 kNm, M21 = (–M21,0) + (–M21,1) Y1 + M21,2 Y2 = M23 = (–M23,0) + M23,1 Y1 + M23,2 Y2 = 584.9 kNm M43 = M12,0 + (–M43,2) Y2 = –241.5 kNm. 585.5 kNm, 585.2 kNm und Die Momente in den Knoten (1) und (2) nehmen zwar zu, das Moment im Knoten (4) nimmt dagegen aber deutlich ab. Die im (Bild 2.47a) angesetzte Vorverkrümmung im Stab (3, 4) stellt daher noch nicht den ungünstigsten Fall dar. Es sind in der Regel eine Vielzahl von Variationen zu untersuchen, um Imperfektionen zu finden, die das Tragverhalten am ungünstigsten beeinflussen. Im vorliegenden Fall geschieht dies mit Rechnerunterstützung, also im Rahmen der Anwendung des VdS. – 2 / 98 – 2.6.3 Erfassung von Imperfektionen mit dem VdS 2.6.3.1 Lastspalte des Lastfalls Imperfektionen Die lokale Einwirkungsmatrix s 0l aus Last– und Temperatureinwirkungen Gl. (1.52) ist 0 um eine Lastspalte s l zur Erfassung von Imperfektionen zu erweitern, um imperfekte Tragwerke mit dem VdS berechnen zu können. s 0l + L s0l (Lasteinwirkungen, Index L) ) T s 0l (Temperatureinwirkungen, Index T) ) s0 (Imperfektionen). (2.68) Es ist der Arbeitsausdruck Gl. (2.64) auszuwerten, um die explizite Form von s 0l zu erhalten. Dies kann unter Verwendung des bereits integrierten Arbeitsausdrucks Gl. (2.41) erfolgen. Wegen der Gleichheit der Ausdrücke ist lediglich die unbekannte Verschiebungsfunktion w(x) in Gl. (2.41) durch den bekannten Verlauf w(x) der Imperfektionen in Gl. (2.64) auszutauschen. Der Verlauf der unbekannten Verschiebungsfunktion w(x) wird durch Gl. (1.18) in jedem Stab bzw. Element kubisch approximiert. Die vorzugebenden Imperfektionen verlaufen dagegen gemäß (Bild 2.43) maximal nur quadratisch. Sie sind demnach vollständig im kubischen Verschiebungsansatz der Stäbe bzw. Elemente enthalten. Es sind daher lediglich die Freiwerte vl im diskretisierten Arbeitsausdruck Gl. (2.42) an die bekannten Freiwerte vl der Imperfektionen anzupassen, um durch Multiplikation mit der geometrischen Steifigkeitsmatrix kll (H) Gl. (2.42.1) die lokale Lastspalte s 0l des Lastfalls Imperfektion zu erhalten. Die diskretisierte Form von Gl. (2.64) ist dann durch W vImperfektion + ǒv vl Ǔ k ll(H) v l + ǒv vl Ǔ ǒ* s 0l Ǔ T T (2.69) gegeben. In Gl. (2.69) ist s 0l + * k (H) v (2.70.1) die gesuchte Lastspalte, deren explizite Form sich aus der Matrizenmultiplikation s 0l = 0 0 0 0 0 0 0 0 VA 0 36 s 3 0 * 36 s 3 wA 0 3 4s 0 –3 –s ϕA MA 0 =* H 30. (2.70.2) 0 0 0 0 0 0 0 VB 0 * 36 s –3 0 36 s –3 wB MB 0 –s 0 –3 4s ϕB 3 – 2 / 99 – ergibt. Der Vorzeichenwechsel in Gl. (2.69) berücksichtigt, daß s 0l in Gl. (2.68) positiv und nicht, wie nach Gl. (2.40) erforderlich, negativ eingeht. Der Zusammenhang zwischen den Imperfektionsvorgaben v l und den daraus resultierenden Einwirkungsgrößen s 0l ist im (Bild 2.48) dargestellt. ϕ H (EA, GAQ) → ∞ B A H EI ≠ 0 x ϕA , MA ϕB , MB wA, VA z, w e+s Ǹ|EIH| wB, VB s Bild 2.48 : Imperfektionsbedingte Einwirkungen Die Längskraft H ist als Zug positiv und als Druck negativ in Gl. (2.70.2) einzusetzen. Die Einwirkungsgrößen, die zur Vorverdrehung (Bild 2.43a) gehören, errechnen sich mit den speziellen Vorgaben 0 s H wA = 0 A ϕA = ψ0 B y ϕA vl = 0 ϕB wA = 0 0 wB H (Druck) Schiefstellung durch Vorverdrehung ψ0 wB = ψ0 ⋅ s ϕB = ψ0 durch Auswertung der Matrizenmultiplikation Gl. (2.70.2) zu 0 VA = –H ⋅ ψ0 MA = 0 MB = 0 B A VA = –H ⋅ s 0l + ψ0 VB = H ⋅ MA = 0 . 0 ψ0 VB = H ⋅ ψ0 MB = 0 – 2 / 100 – Als Ergebnis erhält man wie beim DWV fiktive Kräfte, die sich aus der Schiefstellung durch die Vorverdrehung ergeben. Die Einwirkungsgrößen, die zur Vorverkrümmung (Bild 2.43b) gehören, errechnen sich mit den speziellen Vorgaben 0 s wA = 0 H A ϕA = ϕ0 B vl = wA = 0 w0 0 H (Druck) wB = 0 ϕB = –ϕ0 ϕA = ϕ0 ϕB = –ϕ0 durch Auswertung der Matrizenmultiplikation Gl. (2.70.2) zu 0 M A + 1 e 2 EI s ϕ0 6 VA = 0 M B + * 1 e 2 EI s ϕ0 6 B A VA = 0 VB = 0 s 0l + M A + 1 e 2 EI ϕ 6 s 0 . 0 VB = 0 M B + * 1 e 2 EI ϕ 6 s 0 Als Ergebnis erhält man wie beim DWV Stabendmomente, die sich wegen der elastischen Fesselbedingung vl = 0 der Knoten als Reaktion auf die Vorverkrümmung einstellen. Bis zur Stabkennzahl ε = 2.0 ist die Übereinstimmung mit der analytischen Lösung Gl. (2.66) als ausreichend genau anzusehen. Es gilt Ť(A * B * 2) e+2.0Ť + 0.72 X 1 e 2 + 0.67 ³ 7% Abweichung. 6 Bei imperfektionsbehafteten Stäben bzw. Elementen von statischen Systemen ist beim Aufbau der Systemgleichung (2.46) lediglich die Lastspalte Gl. (2.70) in der lokalen Einwirkungsmatrix Gl. (2.68) zusätzlich zu berücksichtigen, um zu erreichen, daß die globale Systemeinwirkungsmatrix S0(ρ) auch den Lastfall Imperfektionen enthält. Der Algorithmus dieser Option ist durch die VdS–Methodik festgelegt und wird daher als bekannt vorausgesetzt. – 2 / 101 – 2.6.3.2 Zahlenbeispiel zum VdS Mit dem Programm FEMAS /5/ sind Vergleichsberechnungen zum Zahlenbeispiel im Abschnitt 2.6.2.2 durchzuführen. FEMAS bietet zwei Optionen an, um im Rahmen von Theorie II. Ordnung–Berechnungen Imperfektionen zu erfassen. Die erste Option sieht die Vorgabe von beliebigen Imperfektionen vor, die sich in beliebig zu definierenden Imperfektionsbereichen aus Vorverdrehungen und Vorverkrümmungen gemäß (Bild 2.43) zusammensetzen. Die zweite Option verwendet als Imperfektionsform unmittelbar die Knickform des betrachteten Systems, ggf. Formen von höheren Verzweigungslasten oder Schwingungseigenformen. Sie sind vorab durch eine unabhängige Berechnung zu ermitteln und programmintern zu übergeben. Der Normierungsfaktor zur Anpassung der Größenordnung ist aus den Vorgaben für ψ0 und w0 abzuleiten. Die erste Programmberechnung mit der Elementierung (Bild 2.33) wird mit den Vorverdrehungen (Bild 2.46a) und den Vorverkrümmungen (Bild 2.47a) durchgeführt. Der Verlauf des Moments aus dieser Berechnung ist im (Bild 2.49a) dargestellt. Zur Kontrolle wird eine Berechnung mit einer 20er Zwischenteilung pro Stab durchgeführt. Der Verlauf des Moments aus dieser Berechnung ist im (Bild 2.49b) dargestellt. Die Abweichungen zwischen beiden Lösungen sind gering, so daß alle weiteren Berechnungen mit der Elementierung gemäß (Bild 2.33) erfolgen, die jeden Stab mit einem Element erfaßt. In der zweiten Programmberechnung wird ein Vorzeichenwechsel in der Vorverkrüm– mung des 3 –ten Stabs vorgenommen. Die dritte und vierte Programmberechnung verwenden die Knickform (Bild 2.39.1) als Imperfektionsform. Die Normierung mit ψ0 ⋅ s = (1 / 200) ⋅ 4 = 0.02 ist in der dritten Berechnung negativ und in der vierten Berechnung positiv angesetzt. In (Tabelle 2.7) sind Momentenwerte gegenübergestellt, die sich aus sieben durchgeführten Berechnungen mit unterschiedlichen Verfahren ohne und mit Imperfektionen ergeben. Die Unterschiede zwischen den Berechnungen (1) und (3) des perfekten Systems wurden bereits diskutiert. Die Ergebnisse beim VdS (3) sind ausiteriert, die beim DWV (1) nicht. Diese Unterschiede sind auch beim Vergleich der Berechnungen (2) und (4) des imperfekten Systems zu beachten. Sie stimmen in der Tendenz überein, weichen aber in den Zahlenwerten voneinander ab. Der Vorzeichenwechsel in der Vorverkrümmung des 3–ten Stabs beim imperfekten System (5) führt zur Vergrößerung des Einspannmoments im Knoten (4). Er verringert aber die Momente der anderen Stäbe. Da diese Werte aber nur wenig größer ausfallen als die Werte des perfekten Systems (1), ist der Fall (5) insgesamt auch nicht ungünstiger einzustufen als der Fall (4). Nimmt man dagegen die Vergrößerung des größten Momentenwerts als Maßstab, ist der Fall (4) als ungünstigster Fall anzusehen. – 2 / 102 – 748.2 + – – 557.8 + 258.2 a 748.2 557.9 257.7 b – 2 / 103 – Berechnung Beträge der Momente in (kNm) in den Stäben Kenn– Imper– 1 = (1,2) Lfd. Ver– Nr. fahren zeich– fektio– ŤM 1Ť ŤM 2Ť nung nen 1 2 = (2,3) bzw. (2,6) 3 = (4,3) bzw. (4,7) ŤM 2 Ť ŤM 3(6)Ť ŤM 4Ť ŤM 3(7)Ť 2.35 ohne 778.8 578.0 578.6 0. 275.0 0. 2.6.2 Bilder 2.46 807.0 585.5 und 2.47 584.9 0. 241.5 0. 739.8 552.3 552.3 0. 275.0 0. 4 Bilder 2.46 2.6.3.2 748.2 557.8 und _1 2.47 557.8 0. 258.2 0. 5 wie 4), Varia– tion 2.6.3.2 741.7 552.9 Stab _2 3 552.9 0. 296.0 0. 555.3 0. 268.5 0. 549.3 0. 281.5 0. DWV 2 3 2.4.5_3 ohne VdS 6 7 Nega– tive Knick– 2.6.3.2 form 744.1 555.3 _3 Bild 2.39.1 Posi– tive Knick– 2.6.3.2 form 735.4 549.3 _4 Bild 2.39.1 Tabelle 2.7 : Vergleich von Momentenwerten aus sieben Berechnungen – 2 / 104 – Der direkte Ansatz der Knickform (Bild 2.39.1) als Imperfektionsform läßt ebenfalls keine eindeutige Tendenzen in Richtung der ungünstigsten Wirkung erkennen. Die Normierung in der 6–ten Berechnung mit dem negativen Faktor –ψ0⋅s = –4/200 = –0.02 (m) ist vergleichbar mit der Vorgabe in der 4–ten Berechnung, so daß sich fast die gleichen Ergebnisse ergeben. Dies trifft auch für die 7–te Berechnung mit positivem Normierungsfaktor ψ0 ⋅ s = 4 / 200 = 0.02 (m) zu, die zumindest in der Tendenz mit der 5–ten Berechnung übereinstimmt. Der Vergleich in (Tabelle 2.7) verdeutlicht die Schwierigkeit, Imperfektionen in der Weise anzusetzen, daß sie sich lokal und global gleich ungünstig auswirken. Es ist daher eine ingenieurmäßige Entscheidung zu treffen, um den ungünstigsten Fall zu definieren. Für den globalen Tragfähigkeitsnachweis gibt es nur eine Möglichkeit, um dies zu erreichen, nämlich die Verwendung der Knickform. Die Bemessung an diskreten Punkten kann dagegen zusätzliche Kombinationen erfordern, um am betrachteten Ort den ungünstigsten Einfluß zu erfassen. Der Lastfall Imperfektionen ist daher immer als Wechsellastfall zu behandeln. Der quadratische Verlauf der angesetzten Vorverkrümmungen (Bild 2.47a) ergibt Stabendmomente (Bild 2.47b), die zwischen den Stabenden ebenfalls quadratisch verlaufen. Dieser Einfluß ist am quadratischen Verlauf der Schnittmomente (Bild 2.49b) erkennbar. Die Abweichung vom linearen Verlauf (Bild 2.49a) ist zwar insgesamt nur schwach ausgebildet, tritt aber deutlich hervor. Dies gilt besonders für den 3–ten Stab. Hier ist der Einfluß der Vorverkrümmungen auf die Momente am größten, vgl. (Tabelle 2.7). Es ist daher von Fall zu Fall zu entscheiden, mit welcher Elementteilung die Berechnungen nach Theorie II. Ordnung durchzuführen sind, um alle wesentlichen Effekte zu erfassen. Die Unterteilungen nach Theorie I. und II. Ordnung stimmen zwar i.a. überein, aber eben nicht immer. – 2 / 105 – Teil 3 : Fließgelenktheorie 3.1 Allgemeines Die Fließgelenktheorie ist eine baustatische Theorie, die es erlaubt, in einfacher und anschaulicher Art und Weise inelastisches Materialverhalten bei Stabtragwerken zu erfassen. Dazu sind in einem beliebigen statischen System drei unterschiedliche Modellierungsebenen zu betrachten: a) Die Materialpunktebene. b) Die Querschnittsebene. c) Die Systemebene. Für ein spezielles statisches System sind sie im (Bild 3.1) dargestellt. c) System ϕ b) Querschnitt F⋅ρ x Stabachse e Faser a) Materialpunkt z,w s/2 s/2 Bild 3.1 : Modellierungsebenen eines statischen Systems Das Verhalten in einem Materialpunkt (Bild 3.1a), der im Querschnitt (Bild 3.1b) auf einer Faser im Abstand e von der Stabachse des Systems (Bild 3.1c) liegt, ist durch Versuche zu ermitteln. In idealisierter Form ist der Zusammenhang zwischen Spannung σ und Dehnung ε durch das im (Bild 3.2) dargestellte Diagramm gegeben. Spannung σ Ideal plastisch σs σs = Spannung der Streckgrenze. εs = Dehnung der Streckgrenze. arctan E Elastischer Bereich εs Dehnung ε Plastischer Bereich Bild 3.2 : Spannungs–Dehnungs–Diagramm –3/1– Die bisherige baustatische Beschreibung setzt uneingeschränktes elastisches Verhalten voraus. Der elastische Bereich ist durch die Angabe des Elastizitätsmoduls E eindeutig definiert und endet, wenn das Material die Streckgrenze erreicht. Diese Grenze ist entweder durch die Spannung σs oder die Dehnung εs definiert. Danach beginnt der plastische Bereich. Er ist dadurch gekennzeichnet, das die Spannung nur noch sehr wenig oder gar nicht, die Dehnung dagegen sehr stark zunimmt. Im Rahmen der Fließgelenktheorie erfolgt die Beschreibung des plastischen Bereichs in der Regel durch die Spannung der Streckgrenze σs. Sie wird vielfach auch als Fließspannung σF bezeichnet. Ggf. kann aber auch eine Dehnung vorgegeben werden, um den Beginn des plastischen Bereichs festzulegen. Der in den einzelnen Materialpunkten auftretende Wechsel des Materialverhaltens von elastisch nach plastisch ist bei Stabwerken zunächst in integraler Form für den gesamten Querschnitt zu modellieren. Für einen Rechteckquerschnitt sind die Zusammenhänge im (Bild 3.3) dargestellt. A, I Stabachse Faser e Q Geometrische Querschnittsgrößen: M A = Fläche. I N τ σ = Trägheitsmoment. x z Bild 3.3 : Spannungen und Schnittgrößen im Querschnitt Die Schnittgrößen ergeben sich durch die Querschnittsintegration der Spannungen. N+ ŕ s dA, Q+ ŕ t dA, M+ ŕ s z dA. (3.1.1) (3.1.2) (3.1.3) Von der Längskraft N und der Querkraft Q wird angenommen, daß sie das plastische Verhalten nur wenig oder gar nicht beeinflussen. Dann verbleibt als wesentliche Querschnittsgröße das Moment, zu dem als arbeitskonforme Größe die Verkrümmung der Stabachse gehört, die in physikalischer Hinsicht die Dehnungsänderung im Querschnitt erfaßt. –3/2– Im elastischen Bereich ist die Integration der Spannungen zu Schnittgrößen analytisch durchführbar. Durch die Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte ist ein eindeu– tiger Zusammenhang zwischen diesen Größen gegeben. Die Längsspannung ist durch den linearen Verlauf s+ N" M ⋅z A I (3.2.1) und die mittlere Schubspannung durch t+ Q A (3.2.2) bekannt. Im plastischen Bereich gilt die Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte ebenfalls. Es stellt sich aber wegen der Inelastizität des Materials eine nichtlineare Spannungsverteilung ein. In der Regel ist dann eine numerische Integration erforderlich, um aus Spannungen Schnittgrößen zu ermitteln. Nur wenn man die Spannungsverteilung in vereinfachter Form vorgibt, ist auch weiterhin eine analytische Integration möglich. Der Zusammenhang zwischen Moment und Verkrümmung ist im (Bild 3.4) dargestellt. Moment M σF Bilineare Näherung MP Plastische Spannungs– verteilung σF ME σ ≤ σF σF σF Elastisch–plastische Spannungsverteilung Elastische Spannungs– verteilung Verkrümmung k Bild 3.4 : Momenten–Verkrümmungs–Diagramm Im Momenten–Verkrümmungs–Diagramm sind grundsätzlich drei Bereiche zu unter– scheiden, die sich aus den aktuellen Spannungszuständen in den einzelnen Materialpunkten des betrachteten Querschnitts ergeben. Zunächst tritt ein Bereich mit elastischer, also linearer Spannungsverteilung auf. Dieser Bereich ist nach oben durch das elastische Moment ME begrenzt. Es tritt auf, wenn die maximal beanspruchte Faser des betrachteten Querschnitts gerade die Fließspannung σF erreicht. Der sich daran anschließende Bereich weist eine elastisch–plastische Spannungsverteilung auf. Zu–3/3– nehmend mehr Fasern im maximal beanspruchten Bereich des Querschnitts erreichen die Fließspannung σF , während die Fasern im weniger beanspruchten Bereich noch voll elastisch reagieren, weil sie mit σ < σF noch unter der Fließspannung liegen. Er– reichen alle Fasern im Querschnitt die Fließspannung σF , ist der gesamte Querschnitt plastisch und damit voll ausgenutzt. Dieser Zustand wird durch das plastische Moment MP gekennzeichnet. Ein größeres Moment als MP kann ein Querschnitt nicht aufnehmen. Bei Rechteckquerschnitten sind die Grenzmomente besonders einfach zu ermitteln, wenn man nach (Bild 3.2) elastisch–ideal plastisches Verhalten annimmt. Die Zusammenhänge sind im (Bild 3.5) dargestellt. D h/2 S h s + sF s + sF b – h/6 D 2/3h ME MP h/2 Z + Z h/6 s + sF a) Abmessungen – h/4 h/2 + h/4 s + sF b) Elastisches Grenzmoment c) Plastisches Grenzmoment Bild 3.5 : Grenzmomente im Rechteckquerschnitt Die Auswertung mit den Abmessungen (Bild 3.5a) ergibt für das elastische Moment (Bild 3.5b) den Grenzwert ǒ Ǔ M E + s F h b 1 2 h + 1 s Fbh 2 6 2 2 3 (3.3.1) und für das plastische Moment (Bild 3.5c) den Grenzwert ǒ Ǔ M P + s F h b h + 1 s Fbh 2. 4 2 2 (3.3.2) Für das Verhältnis der Werte gilt MP / ME = 1.5. Im plastischen Zustand kann der Querschnitt damit 50% stärker beansprucht werden als im elastischen Zustand. Im Rahmen der Fließgelenktheorie wird das sukzessive Plastizieren der Querschnitte vom Rand zur Mitte vernachlässigt und das Momenten–Verkrümmungs–Diagramm damit bilinear approximiert, vgl. (Bild 3.4). Bis zum Erreichen von MP soll sich der Querschnitt voll elastisch und danach voll plastisch verhalten. Mit bekanntem plastischen Moment MP eines Querschnitts weiß man zwar, wann dieser spezielle Querschnitt erschöpft ist, es bleibt aber zunächst noch offen, wieviel Querschnitte in einem statischen System diesen Zustand erreichen müssen, bevor das –3/4– System versagt. Der Erschöpfungszustand eines statischen Systems läßt sich daher nur im Rahmen eines iterativen Vorgehens ermitteln, indem man die Einwirkung mit dem Lastfaktor ρ so lange steigert, bis der Versagenszustand eintritt. Das Systemverhalten des aktuell betrachteten statischen Systems (Bild 3.1) ist im (Bild 3.6) in Form einer Last–Verschiebungs–Kurve (LVK) dargestellt. Lastfaktor ò MP MP Plastisch òP vereinfacht genau Elastisch MP ò 2E ò 1E Plastisch Elastisch òF f Elastisch Verschiebung f Bild 3.6 : Last–Verschiebungs–Kurve Bei einer Laststeigerung reagiert das System in allen Querschnitten zunächst elastisch. Im Rahmen der Theorie I. Ordnung verläuft die LVK dann linear. Dieser Bereich endet, wenn der am höchsten beanspruchte Querschnitt – hier in der Einspannung – zu plastifizieren beginnt oder in vereinfachter Form, wenn der Plastifizierungsvorgang im Querschnitt bereits abgeschlossen ist und M = MP vorliegt. In der LVK ist dieser Zustand durch die Lastfaktoren ò 1E (genau) oder ò 2E (vereinfacht) gekennzeichnet. –3/5– Mit dem Erreichen von MP ist der Querschnitt in der Einspannung voll ausgenutzt. Er kann daher bei einer weiteren Laststeigerung kein zusätzliches Moment aufnehmen, weil an dieser Stelle des Systems kein Biegewiderstand mehr besteht. Im statischen System ist somit eine Modifizierung erforderlich, um die durch das Plastifizieren eingetretene Änderung im Tragverhalten zu erfassen. Dies ist in sehr einfacher Weise durch das Einfügen eines Momentengelenks zu er– reichen. Im Unterschied zu einem konstruktiven Gelenk, in dem immer M = 0 und ∆ϕ ≠ 0 gilt, ist in dem durch Plastifizieren oder Fließen entstandenen Momentengelenk die Bedingung M = MP + ∆M mit ∆M = 0 und ∆ϕ → k P 0 0 (3.4) zu erfüllen. In dem durch Gl. (3.4) definierten Gelenk kann zwar ein Moment, näm– lich MP , auftreten. Nach dem Erreichen von MP ist aber ein weiterer Zuwachs nicht möglich. Es kann dann nur noch die plastische Verkrümmung k P anwachsen, die sich im statischen System durch das Auftreten eines Winkelsprungs ∆ϕ bemerkbar macht. Gelenke mit diesen Eigenschaften werden als Fließgelenke bezeichnet, was unmittelbar den Namen der Fließgelenktheorie erklärt. Sie werden durch das Symbol ( ) gekennzeichnet. Die Konzentration der plastischen Bereiche in Fließgelenken Gl. (3.4) ist zwar eine sehr einfache, aber nicht die einzige Möglichkeit, um die Wirkung von plastischen Materialpunkten zu erfassen. Natürlich kann man auch unmittelbar die flächige Ausbreitung der plastischen Bereiche bzw. Zonen, in denen die Materialpunkte liegen, in ein bausta– tisches Modell einbeziehen. Diese Vorgehensweise, auch Fließzonentheorie genannt, ist grundsätzlich genauer, aber auch sehr viel aufwendiger. In der Baustatik kommt sie daher kaum zur Anwendung. Hier dominiert ganz eindeutig die Fließgelenktheorie. Das statische Ausgangssystem (Bild 3.1) ist n = 1–fach unbestimmt. Dieser Zustand gilt im Bereich der Laststeigerungen zwischen ò + 0 und ò + ò 2E. Nach der Modifizierung durch ein Fließgelenk in der Einspannung ist das System statisch bestimmt. An diesem System kann die Last weiter gesteigert werden, bis der Querschnitt in der Mitte durchplastifiziert ist und ein zweites Fließgelenk entsteht. Mit zwei Fließgelenken ist das System kinematisch. Bei einer weiteren Laststeigerung versagt es, weil nun auch das zweite Fließgelenk anfängt, sich plastisch zu verdrehen. In der LVK ist der Erschöpfungszustand durch den Lastfaktor ρP gekennzeichnet. Er definiert, bezogen auf die Ausgangslast, die plastische Grenzlast eines Systems. In der praktischen Anwendung stimmt die Ausgangslast mit der Gebrauchslast überein. Die Entwicklung der Verformungen bis zur Kinematik des Systems hängt davon ab, ob man das stetige Durchplastifizieren des Querschnitts und die stetige Ausbreitung der plastifizierten Querschnitte in Richtung der Stabachse erfaßt oder vernachlässigt. Im ersten Fall ist die Fließzonentheorie anzuwenden, im zweiten Fall reicht es aus, die Berechnung mit der Fließgelenktheorie durchzuführen. Die Verformungen, die man durch die Anwendung der Fließgelenktheorie erhält, fallen zwar kleiner aus, sind in der Regel aber noch genau genug, um das Verformungsverhalten von Tragwerken mit plastischem Materialverhalten abschätzen zu können. Die plastische Grenzlast stimmt dagegen in beiden Fällen weitgehend überein. –3/6– 3.2 Vorausetzungen 1. Das Gleichgewicht wird im Rahmen einer Theorie I. Ordnung näherungsweise am unverformten System erfüllt. Gängig ist daher auch die Bezeichnung Fließgelenktheorie I. Ordnung, vgl. /7/ und /8/. 2. Die Querschnitte sind entweder elastisch oder plastisch. Elasto–plastische Zwischenzustände werden vernachlässigt. Ebenso Interaktionen zwischen den (N, Q, M)– Schnittgrößen. Ein einzelner Querschnitt ist mit dem Erreichen von MP erschöpft. 3. Im statischen System gibt es entweder konzentrierte plastische Bereiche, nämlich Fließgelenke oder rein elastische Bereiche. Zwischenzustände werden vernachlässigt. 4. Fließgelenke sind nur dann als Fließgelenke anzusehen, wenn sie Formänderungsenergie (negative innere Arbeit) dissipieren. In jedem Fließgelenk muß daher die Bedingung MP * Dö + k P * W i + M Pk P u 0 (3.5) erfüllt sein. Die plastische Verkrümmung k P tritt als unstetige Materialverkrümmung im Fließgelenk auf. Geometrisch ist sie als negativer Winkelsprung zu deuten. Dies folgt unmittelbar aus der kinematischen Verkrümmung k K(x) + * öȀ(x). Dann ist der Winkelsprung durch * Dö + k K(x)Dx + k P definiert. Die stetige kinematische Verkrümmung wird zur unstetigen kinematischen Verkrümmung zusammengefaßt, die im Fließgelenk mit der dort auftretenden plastischen Materialverkrümmung übereinstimmen muß, um die inelastische Verträglichkeit zu erfüllen. 5. Die Anwendung der Fließgelenktheorie ist nur dann erlaubt, wenn eine aus– reichende plastische Drehfähigkeit der Querschnitte vorliegt. Dies ist immer dann der Fall, wenn nach dem Erreichen von MP die plastische Verkrümmung k P weiter anwachsen kann. Bei Tragwerken aus Stahl werden wegen der großen Material– und Systemduktilität die Grenzwerte der plastischen Drehfähigkeit in der Regel kaum ausgenutzt. Dagegen ist bei Tragwerken aus Stahlbeton die Material– und Systemduktilität und damit auch die plastische Drehfähigkeit deutlich geringer. Sie wird i.a. durch die Vorgabe von Berechnungswerten begrenzt. Dies kann z.B. die Grenzstauchung der Betondruckzone oder die Grenzdehnung der Bewehrung sein. –3/7– 3.3 Plastischer Erschöpfungszustand von statischen Systemen Der plastische Erschöpfungszustand eines statischen Systems ist durch vier Bedingungen definiert. Davon gehören zwei zum Gleichgewicht und zwei zur Verträglichkeit. a) Gleichgewicht 1. Bedingung : Es muß ein statisch zulässiger Kraftzustand vorliegen, der das Gleichgewicht erfüllt. Die elastische Verträglichkeit kann, muß aber nicht erfüllt sein. 3. Bedingung : Der Kräftezustand (1. Bedingung) muß die statische Plastizitäts– bedingung M ≤ MP an jedem Ort im System erfüllen. b) Verträglichkeit 2. Bedingung : Es muß ein kinematisch zulässiger Wegzustand vorliegen, der mit einer kinematischen Kette übereinstimmt, die den Grenz– zustand des Tragvermögens erfaßt. 4. Bedingung : Der Wegzustand (2. Bedingung) muß die kinematische Plastizi– tätsbedingung (M Pk P) u 0 in jedem Fließgelenk des Systems erfüllen. c) Erschöpfungszustand Sind alle vier Bedingungen erfüllt, ist die plastische Grenzlast FP + òP F (3.6.1) eines statischen Systems erreicht. ρP ist der Laststeigerungsfaktor, der die Gebrauchslast F auf die plastische Grenzlast anhebt. Die zulässige Bemessungslast Fd, die unterhalb der plastischen Grenzlast Gl. (3.6.1) liegen muß, ergibt sich aus der mit Teilsicherheitsfaktoren γF erhöhten Gebrauchslast. Für die Bemessung im Grenzzustand der Tragfähigkeit gilt Fd + gF F v FP . (3.6.2) Zur plastischen Grenzlast ist zusätzlich die Verteilung der Schnittgrößen und Verformungen zu ermitteln. Fallen einzelne Verformungen δP sehr groß aus, ist die Bemessungslast ggf. durch die Vorgabe einer Grenzverformung δd festzulegen, um neben der Tragfähigkeit auch die Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten. Für die Bemessung im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit gilt dP v dd . d) (3.6.3) Berechnungsverfahren Es sind drei baustatische Verfahren bekannt, um die Grenzlast, Schnittgrößen und Verformungen des plastischen Erschöpfungszustands zu ermitteln : S Das Verfahren der stetigen Laststeigerung. S Der statische Traglastsatz. S Der kinematische Traglastsatz. –3/8– Das Verfahren der stetigen bzw. sukzessiven Laststeigerung gilt für beliebige ebene und räumliche Stabtragwerke. Mit diesem Verfahren kann die Grenzlast, die Schnitt– größenverteilung und der Verformungszustand des plastischen Erschöpfungszu– standes in direkter und eindeutiger Form berechnet werden. Dies kann z.B. auch rechnerunterstützt erfolgen, und zwar mit Programmen, die als Option lediglich linear–elastische Berechnungstheorien anbieten. Die Anwendung dieser Programme setzt aber voraus, daß man die erforderliche Iteration von Außen steuert, was wiederum die volle Kenntnis der Fließgelenktheorie voraussetzt. Die Traglastsätze sind dagegen nur zur Untersuchung von einfachen ebenen Stabtragwerken geeignet. Als Ergebnis erhält man die plastische Grenzlast. Die zugehörigen Schnittgrößen und Verformungen können zwar ebenfalls berechnet werden. Alle Größen sind aber nur im Probierverfahren zu ermitteln, das im Vergleich zum Verfahren der stetigen Laststeigerung sehr umständlich abläuft. 3.4 Verfahren der stetigen Laststeigerung Dieses Verfahren soll an einem einfachen Beispiel demonstriert werden. EI = 105 kNm2 F (1) (3) (2) F = 100 kN f2 5.0 MP = 400 kNm 5.0 m Bild 3.7 : Beispiel zum Verfahren der stetigen Laststeigerung Es sind – die plastische Grenzlast F P + ò P F und – die zugehörige Verformung f P2 + f 2(FP) in der Mitte des Systems zu berechnen. Das Ausgangssystem (Bild 3.7) ist 1–fach statisch unbestimmt. Es können sich maximal zwei Fließgelenke ausbilden, um eine kinematische Kette und damit den Erschöpfungszustand zu erreichen. –3/9– Im ersten Schritt ist am Ausgangssystem ohne Fließgelenke für ò + 1 der Durchbiegungs– und Momentenverlauf z.B. mit dem KGV zu ermitteln. F = 100 kN (1) (3) (2) Durchbiegungsverlauf f2 = 0.91 cm M1 = –187.5 kNm – Momentenverlauf + M2 = 156.25 kNm Das erste Fließgelenk mit M = MP ist im Systempunkt (1) zu erwarten, weil hier der größte Momentenwert unter der Einwirkung ò + 1 auftritt. Dazu ist die Einwirkung um den Faktor M ò 1 + Ť PŤ + 400. + 2.133 187.5. M1 zu steigern. Die zugehörige Durchbiegung in der Mitte am Systempunkt (2) beträgt f 21 + f 2ò1 + 0.91·2.133 + 1.94 cm . Das Moment an dieser Stelle erreicht den Wert M 21 + M 2ò1 + 156.25·2.133 + 333.33 kNm . Damit ist der erste Berechnungsschritt abgeschlossen. Zur weiteren Laststeigerung ist im zweiten Schritt das statische System zu modifizieren, um den Einfluß des ersten Fließgelenks zu erfassen. An diesem System, in dem sich das erste Fließgelenk wie ein konstruktives Gelenk verhält, ist für ò + 1 der Durchbiegungs– und Momentenverlauf zu ermitteln. – 3 / 10 – F = 100 kN (1) (3) (2) Durchbiegungsverlauf f2 = 2.08 cm M2 = 250. kNm Momentenverlauf + Das zweite Fließgelenk ist im Systempunkt (2) zu erwarten. Erstens, weil sich hier der größte Momentenzuwachs am modifizierten System einstellt und zweitens, weil hier bereits der größte Momentenwert aus dem ersten Berechnungsschritt auftritt. Dazu ist die Einwirkung um den Faktor M P + ŤM 21Ť ) Dò 2ŤM 2Ť ³ Dò 2 + 400. * 333.33 + 0.267 250. zu steigern. Die zugehörige Durchbiegung in der Mitte beträgt f 22 + f 2Dò2 + 2.08·0.267 + 0.56 cm . Mit dem Einfallen des zweiten Fließgelenks befindet sich das ursprünglich 1–fach statisch unbestimmte System an der Grenze zur Kinematik. Eine weitere Laststeigerung wird daher unmittelbar zum Versagen führen. Das System ist erschöpft und der Grenzzustand der Tragfähigkeit erreicht. Für diesen Zustand gelten die Werte ò P + ò 1 ) Dò 2 + 2.133 ) 0.267 + 2.4 , F P + ò PF + 2.4·100. + 240. kN und f P2 + f 21 ) f 22 + 1.94 ) 0.56 + 2.5 cm . – 3 / 11 – Das Ergebnis ist mit der statischen und kinematischen Plastizitätsbedingung zu kontrollieren. Statische Plastizitätsbedingung: Gleichgewicht. 2. Fließgelenk – MP Momentenverlauf – MP + 1. Fließgelenk Im Momentenverlauf ist M v M P erfüllt. Kinematische Plastizitätskontrolle: Verträglichkeit. Kinematische Kette * k P1 + k P2 In der kinematischen Kette ist in jedem Fließgelenk (M Pk P) u 0 erfüllt. Der Durchbiegungsvergleich zwischen dem plastischen Erschöpfungszustand und dem uneingeschränkt elastischen Zustand des Ausgangssystems ergibt bei gleichem Lastniveau mit f e2 + f 2(FP) + 0.91·2.4 + 2.18 cm den Wert 2.5 / 2.18 = 1.145. Der durch das inelastische Materialverhalten bedingte Anstieg der Verformung in der Systemmitte beträgt 14.5%. – 3 / 12 – 3.5 Statischer Traglastsatz Mit dem statischen Traglastsatz wird der plastische Erschöpfungszustand im Probierverfahren erreicht. Es gilt die spezielle Annahme, daß der Gleichgewichtszustand bekannt und der Verträglichkeitszustand unbekannt ist. Ziel der Probiererei ist es, beide Zustände in Übereinstimmung zu bringen. Mit dieser Vorgehensweise kann vorrangig die plastische Grenzlast ermittelt werden. a) Bekannter Gleichgewichtszustand Es wird ein statisch zulässiger Kraftzustand gewählt, der das Gleichgewicht und die statische Plastizitätsbedingung (M Pk P) u 0 erfüllt. b) Unbekannter Verträglichkeitszustand Zum gewählten Kraftzustand ist die zugehörige kinematische Kette zu ermitteln, die in jedem Fließgelenk die kinematische Plastizitätsbedingung (M Pk P) u 0 erfüllt. Anmerkung : c) Die wirkliche kinematische Kette ist durch probieren zu ermitteln. Die Kontrolle erfolgt durch (M Pk P) u 0 in allen Fließgelenken. Der Kraftzustand ist solange zu verändern, bis sich kein Wider– spruch mehr ergibt. Statische Grenzlast Ergibt die Kontrolle in mindestens einem Fließgelenk (M Pk P) t 0, ist die wirkliche kinematische Kette noch nicht gefunden. Das System enthält noch plastische Reserven, so daß die statische Grenzlast kleiner als die plastische Grenzlast ausfällt. Die Annäherung erfolgt also von unten und liegt demnach immer auf der sicheren Seite. Fstat ≤ FP . 3.6 (3.7.1) Kinematischer Traglastsatz Mit dem kinematischen Traglastsatz wird der plastische Erschöpfungszustand im Probierverfahren erreicht. Es gilt die spezielle Annahme, daß der Verträglichkeitszustand bekannt und der Gleichgewichtszustand unbekannt ist. Ziel der Probiererei ist es, beide Zustände in Übereinstimmung zu bringen. Mit dieser Vorgehensweise kann vorrangig die plastische Grenzlast ermittelt werden. – 3 / 13 – a) Bekannter Verträglichkeitszustand Es wird eine zulässige kinematische Kette gewählt, die die inelastische Verträglichkeit und die kinematische Plastizitätskontrolle (M Pk P) u 0 erfüllt. b) Unbekannter Gleichgewichtszustand Zur gewählten kinematischen Kette ist der zugehörige Gleichgewichtszustand zu ermitteln, der an jedem Ort die statische Plastizitätsbedingung M ≤ MP erfüllt. Anmerkung : c) Der wirkliche Gleichgewichtszustand ist ebenfalls durch probie– ren zu ermitteln. Die zugehörige plastische Grenzlast kann jedoch mit dem PvW berechnet werden. Die Kontrolle erfolgt durch M ≤ MP an jedem Ort. Die kinematische Kette ist so lange zu ver– ändern, bis sich kein Widerspruch mehr ergibt. Kinematische Grenzlast Ergibt die Kontrolle an mindestens einem Ort M > MP , ist der wirkliche Gleichgewichtszustand noch nicht gefunden. Die Tragfähigkeit wird durch den Gleichgewichtsfehler M > MP überschätzt, so daß die kinematische Grenzlast immer größer als die plastische Grenzlast ausfällt. Die Annäherung erfolgt also von oben und liegt damit auf der unsicheren Seite. Fkin ≥ FP . 3.7 (3.7.2) Einschließungssatz Die plastische Grenzlast wird durch die statische Grenzlast nach unten und durch die kinematische Grenzlast nach oben begrenzt. Fstat ≤ FP ≤ Fkin . (3.7.3) Gl. (3.7.3) beschreibt den Zustand eines statischen Systems an der Grenze zur Kinematik. Alle möglichen Fließgelenke sind voll ausgebildet. Von diesen erfüllt aber eins, nämlich das zuletzt eingefallene, weiterhin die elastische Verträglichkeit, weil es sich unter FP noch nicht plastisch verdreht hat. Dies kann erst bei einer Einwirkung > FP geschehen, was dann aber unmittelbar zum Versagen führt. Bei Anwendung der Traglastsätze ist nicht bekannt, in welcher Reihenfolge die Fließgelenke einfallen. Die zu– gehörigen Schnittgrößen und Verformungen lassen sich daher nur im Rahmen eines aufwendigen Probierverfahrens ermitteln. – 3 / 14 – 3.8 Anwendung des statischen Traglastsatzes Das Beispiel im (Bild 3.7) soll mit dem statischen Traglastsatz berechnet werden. 1. Schritt : Es wird ein zulässiger Kraftzustand gewählt, der M ≤ MP erfüllt. Anmerkung: Zulässig sind alle Kraftzustände, die das Gleichgewicht erfüllen. Fstat 1 2 3 L 2 L 2 1F ³ Verteilung der Auflagerkräfte gewählt. 3 stat 2F 3 stat M1 MP = 400. kNm ǒ Ǔ ǒ Ǔ M 1 + 1 F stat L * ǒF statǓ 1 + * 1 F statL . 6 3 2 – M 2 + 1 F stat L + 1 F statL . 6 3 2 + M2 2. Schritt : F stat + 3. Schritt : – Annahme M1 = M2 = MP . Daraus folgt 6M P + 6⋅400 + 240. kN . 10 L Kontrolle der kinematischen Plastizitätsbedingung. MP Momentenverlauf –MP + M Pk P u 0 erfüllt, vgl. Kinematische Kette * kP kP – 3 / 15 – Abschnitt 3.9 ! 3.9 Anwendung des kinematischer Traglastsatzes Das Beispiel im (Bild 3.7) soll mit dem kinematischen Traglastsatz berechnet werden. 1. Schritt : Es wird eine kinematische Kette gewählt, die in allen Fließ– gelenken (M Pk P) u 0 erfüllt. Anmerkung: k P ist eine unstetige (Index U), im Fließgelenk konzentrierte Krümmung k U , die sich aus der kinematischen (Index K) Krümmung k K ableitet: k U + k KDX + * Dö + k P . M 1 = – MP MP = 400. kNm M2 = + MP Fkin 1. Fließgelenk 2. Fließgelenk L 2 Dϕ v1 + 1 Dϕ v2 + * 2 kU 1 + kP + * 1 kU 2 + kP + ) 2 L 2 L 2 PvW anwenden → W va + * W vi. 2. Schritt : W va + F kin @ L , 2 + ȍ M Pi @ k Pi + (* M P) (* 1) ) (M P) () 2) + 3M P , 2 * W vi i+1 F kin + 3. Schritt : 6 @ MP + 6 @ 400 + 240 kN . 10 L Kontrolle der statischen Plastizitätsbedingung. Im Momentenverlauf ist M ≤ MP erfüllt, vgl. Abschnitt 3.8 ! – 3 / 16 – 3.10 Vergleich zwischen Elastizitäts– und Plastizitätstheorie Die Elastizitätstheorie I. Ordnung ist konsequent linear. Die Weg– und Kraftzustände verhalten sich daher proportional zur Einwirkung. Das hat den Vorteil, daß man Lastfälle einzeln berechnen kann. Erst danach ist eine Superposition erforderlich, um Bemessungslastfälle zu bilden. Die Bemessung erfolgt gegen zulässige Spannungen (Elastisch–Elastisch) oder plastische Querschnittsgrößen (Elastisch–Plastisch). Im Fall der Elastizitätstheorie II. Ordnung ist der Zusammenhang zwischen Einwirkungen und Verformungen zwar nichtlinear, das Materialverhalten aber uneingeschränkt elastisch. Die Möglichkeit der Superposition entfällt. Bemessungslastfälle sind mit Teilsicherheitsfaktoren vor der Berechnung zu bilden. Die Bemessung erfolgt gegen zulässige Spannungen oder plastische Querschnittsgrößen unter besonderer Beachtung der Stabilität. Die Elastizitätstheorie vernachlässigt den Einfluß des inelastischen Materialverhaltens. Die auf dieser Grundlage ermittelte Schnittgrößenverteilung ist daher vor allem in der Nähe der Belastbarkeitsgrenze allenfalls ein möglicher, keineswegs aber der tatsäch– liche Gleichgewichtszustand / 8 /. Trotzdem wird sie bevorzugt in der Baupraxis angewandt. Zum einen, weil sich damit der rechnerische Aufwand stark verringern läßt. Zum anderen, weil die erfolgreiche Anwendung der nichtlinearen Plastizitätstheorie ein deutlich größeres theoretisches Hintergrundwissen voraussetzt als die Anwendung der linearen Elastizitätstheorie. Die Fließgelenktheorie ist als ein erster Schritt zu werten, um den Theoriesprung zwischen Elastizitäts– und Plastizitätstheorie zu überbrücken. Sie vereinigt in optimaler Form zwei Vorteile: Die Einfachheit der baustatischen Anwendung mit der wirklichkeitsnahen Erfassung des Materialverhaltens. Wegen der materiellen Nichtlinearität entfällt die Möglichkeit der Superposition. Bemessungslastfälle sind mit Teilsicherheitsfaktoren vor der Berechnung zu bilden. Die Bemessung erfolgt entweder gegen die plastische Grenzlast, die sich aus der Berechnung mit der Fließgelenktheorie ergibt oder gegen einzelne Schnitt– oder Verformungsgrößen aus dieser Berechnung, die vorgegebene Grenzwerte nicht überschreiten dürfen (Plastisch–Plastisch). Die Plastizitätstheorie ist im Regelwerk DIN 18 800 gleichberechtigt zur Elastizi– tätstheorie eingeführt, das weitgehend mit dem Eurocode 3 übereinstimmt. Stahl– bauten dürfen daher mit der Fließgelenktheorie berechnet werden. Für Stahlbeton– bauten war dies zumindest in Deutschland lange nicht zulässig, weil die DIN 1045 die Anwendung einer inelastischen Theorie auf Systemebene ausdrücklich ausschloß. Im Eurocode 2, dem europäischen Regelwerk für Stahlbetonbauten, ist die Plastizi– tätstheorie gleichberechtigt zur Elastizitätstheorie eingeführt. Die Fließgelenktheorie wird daher stark an Bedeutung gewinnen, wenn es um den Nachweis der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit von Stahlbetonbauten geht. Mit der neuen DIN 1045–1 ist dies ab dem Jahr 2002 auch in Deutschland der Fall. – 3 / 17 – 3.11 Anwendungsbeispiel Die bisherigen Beispiele dienten zur Einführung in die grundsätzliche Vorgehensweise der Fließgelenktheorie. Sie waren daher sehr einfach. Mit der abschließenden Behandlung eines Anwendungsbeispiels ist beabsichtigt, die Durchführung der Berechnung intensiver zu üben und zu diskutieren. 3.11.1 Aufgabenstellung Im (Bild 3.8) ist das statisch unbestimmte System einer biegesteifen Rahmenkonstruktion dargestellt. Für den Gebrauchslastfall Einzellasten ist derjenige Laststeigerungsfaktor ρ = ρP zu berechnen, der die Grenzlast des Systems im plastischen Erschöpfungszustand angibt. Für diesen Zustand unmittelbar vor dem Versagen sind zusätzlich der Momenten– und Verformungsverlauf zu ermitteln. Zur Anwendung kommt das Verfahren der stetigen bzw. sukzessiven Laststeigerung. Die Durchführung soll mit dem FEMAS*– Programm erfolgen. Dazu ist das statische System (Bild 3.8) in Abhängigkeit der verfügbaren Programmbedingungen zu ana– lysieren und die Dateneingabe vorzubereiten. Dies geschieht im Abschnitt 3.11.2. Abschnitt 3.11.3 enthält Angaben zur Durchführung der Berechnung, Bilder der grafischen Auswertung, eine Diskussion der Ergebnisse und eine Kontrollberechnung mit dem kinematischen Traglastsatz. 2Fρ Fρ 3.00 (EA, GAQ) → ∞ , EI = 7⋅104 kNm2 , MP = 300 kNm, F = 100 kN. 3.00 m 3.00 4.00 3.00 Bild 3.8 : Statisches System einer biegesteifen Rahmenkonstruktion *) Jedes verfügbare ebene oder räumliche Statik–Programm, das die Theorie I. Ordnung als Berechnungsoption für Stabtragwerke anbietet, ist ebenfalls geeignet, um die Berechnung durchzuführen. – 3 / 18 – 3.11.2 Berechnungssystem System und Einwirkung des Beispiels (Bild 3.8) weisen keine Symmetrieeigenschaften auf. Daher ist von vornherein das gesamte Stabwerk zu elementieren. Das System selbst ist dreifach statisch unbestimmt. Der Erschöpfungszustand ist erreicht, wenn sich im Grenzfall vier Fließgelenke einstellen und dadurch ein kinematisches System entsteht. Fließgelenke bilden sich in der Regel in markanten Orten des statischen Systems aus, z.B. in biegesteifen Ecken, Randeinspannungen und unter Einzellasten. Unbekannt ist, an welchen speziellen System– und Lastunstetigkeiten sie auftreten und in welcher Reihenfolge sie einfallen. Beim Verfahren der stetigen Laststeigerung wird daher die Last schrittweise gesteigert bis sich in allen markanten Orten, die M = Mmax = MP erfüllen, Fließgelenke ausbilden. Fällt im Verlauf der Berechnung ein spezielles Fließgelenk ein, kann in diesem Querschnitt das Moment nicht weiter anwachsen. Eine Fortsetzung der Laststeigerung ist nur mit einem modifizierten System möglich, das die Bedingung Gl. (3.4) durch das Einfügen eines Momentengelenks erfüllt. Nach dem Einfallen des vierten Fließgelenks befindet sich das statische System (Bild 3.8) an der Grenze zur Kinematik und der gesuchte Erschöpfungszustand ist erreicht. Es sind daher vier Berechnungen mit vier unterschiedlichen Systemen durchzuführen. Die Laststeigerungsfaktoren, die sich an den einzelnen Systemen ergeben, sind zu addieren, um den Laststeigerungsfaktor ρ = ρP zu erhalten, der zum Erschöpfungszustand gehört. Die Elementierung des Ausgangssystems (Bild 3.8) ist so vorzunehmen, daß das schrittweise Einfügen von Momentengelenken zwangslos erfolgen kann. Bei den Randeinspannungen ist dies in einfacher Weise durch die Änderung der Randbedingungen möglich. In den biegesteifen Ecken und unter den Einzellasten ist es dagegen zweckmäßig, von vornherein Federelemente vorzusehen. Die Federsteifigkeit dieser Elemente kann dann bei Bedarf in geeigneter Weise geschwächt werden, um die Wirkung von Momentengelenken zu simulieren. Die Grobelementierung des an FEMAS orientierten Berechnungssystems ist im (Bild 3.9) dargestellt. Der Stiel und die Schräge werden jeweils durch ein biegesteifes Makroelement und der Riegel durch zwei biegesteife Makroelemente erfaßt. Eine Zwischenteilung der Makroelemente ist nicht erforderlich, da nur Einzelkräfte angreifen. Der lineare Momentenverlauf wird mit dem VDS stabweise exakt erfaßt. Die Anpassung der Vorzeichen zwischen klassischer und rechnerorientierter Statik erfolgt durch die Verlegung der Bezugsfaser von innen nach außen. Von den räumlichen Stabgrößen treten im ebenen Fall nur die Schnittgrößen (N, Q = Qw, M = Mv) und die äußeren Weggrößen (w1, w3, ϕ2) auf. – 3 / 19 – X3 Gebrauchslastfall ρ = 1 2F F 6 4 ϕ3 4 5 6 5 w 2 ξ3 = w 8 3 3 ξ1 = u 7 3.00 w3 2 7 Mw v Mv u X2 1 N Qv ξ2 = v MT Qw Positive Schnittgrößen w2 1 Globale Weggrößen w1 ϕ2 4.00 ϕ1 3.00 m X1 3.00 3.00 : Makroelemente : Kennzeichnung von Federelementen : Hauptachsen (ξ1 = u, ξ2 = v, ξ3 = w) / : Biegesteife Knoten, die in Gelenkknoten zu überführen sind, wenn sich dort Fließgelenke einstellen. a) Grobelementierung Bild 3.9 : Berechnungssystem – 3 / 20 – Die vertikale Lastgruppe aus F im Knoten 5 und 2F im Knoten 7 ist als Gebrauchslastfall zu definieren. Maximale Momentenwerte, die sich aus der Wirkung dieser Lasten an den unterschiedlichen Systemen ergeben, sind über Lastfaktoren an den Grenzfall MP anzupassen. Es ist daher zweckmäßig, den Gebrauchslastfall als Überlagerungslastfall einzuführen, um diese Anpassung in einfacher Weise vornehmen zu können. Der Datensatz zur 1. Berechnung bezieht sich auf das Ausgangssystem ohne Fließgelenke. In den Knoten 1 und 8 ist die Randeinspannung voll wirksam und alle Stäbe sind über Federelemente dehn– und biegesteif miteinander verbunden, vgl. (Bild 3.9). Der Datensatz zur 2. Berechnung folgt aus dem 1. Datensatz, der Datensatz zur 3. Berechnung aus dem 2. Datensatz und der Datensatz zur 4. Berechnung aus dem 3. Datensatz. Die speziell erforderlichen Modifizierungen zwischen den einzelnen Datensätzen ergeben sich aus dem Fortschritt der Berechnung, da sie vom Einfall der Fließgelenke abhängen. In jedem Schritt sind zwei Berechnungen erforderlich: Zunächst eine Vergleichsberechnung mit dem Lastfaktor ρ = 1, um den speziellen Lastfaktor zu bestimmen, der den Grenzzustand für das Einfallen eines Fließgelenks definiert und danach mit bekanntem Lastfaktor die Berechnung der Zustandsgrößen dieses Grenzzustands. Die sukzessive Addition der Teilzustände des Ausgangssystems und der modifizierten Systeme ergibt aktuelle Grenzzustände, die das Einfallen der einzelnen Fließgelenke charakterisieren. Der Grenzzustand, der sich beim Einfallen des letzten Fließgelenks einstellt, stimmt mit dem Erschöpfungszustand des Systems überein. Ergebnisangaben erfolgen nur für Grenzzustände. Auf die Darstellung der Vergleichszustände wird verzichtet. 3.11.3 Ergebnisse und Diskussion 1. Schritt : Die Berechnung mit dem Gebrauchslastfall ergibt im Knoten 8 ein Moment von M8 = 288.243 kNm. Der Abstand zum Grenzfall MP = 300. kNm beträgt damit ρ1 = 1.041, so daß bei diesem Laststeigerungsfaktor das 1. Fließgelenk am Knoten 8 einfällt. Der zugehörige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.10.1) und der zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.10.2) dargestellt. 2. Schritt : Nach der Freigabe der Momenteneinspannung am Knoten 8 wird die Berechnung zunächst wieder mit dem Gebrauchslastfall durchgeführt. Das maximale Moment für diese Konfiguration beträgt M6 = M7 = 310.204 kNm und stellt sich unter der Einzellast 2F im Doppelknoten 6 / 7 ein. Aus dem 1. Schritt ist an dieser Stelle ein Momentenwert von M6 = M7 = 188.472 kNm vorhanden. Die obere Grenze ist durch Mpl = 300. kNm gegeben. Der Zuwachs der Laststeigerung für das modifizierte System im 2. Schritt ist damit durch die Bedingung – 3 / 21 – 300. = 188.472 + ∆ρ2 ⋅ 310.204 bekannt und beträgt ∆ρ2 = 0.36, so daß im Doppelknoten 6 / 7 beim Laststeigerungsfaktor ρ2 = ρ1 + ∆ρ2 = 1.041 + 0.36 = 1.401 das 2. Fließgelenk einfällt. Der zugehörige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.11.1) und der zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.11.2) dargestellt. 3. Schritt : Das 2. Fließgelenk im modifizierten System des 3. Schritts wird durch das Löschen der zugeordneten Biegesteifigkeit im Federelement zwischen den Knoten 6 und 7 erreicht. Unter dem Gebrauchslastfall stellt sich für diese Konfiguration das maximale Moment in der Einspannung am Knoten 1 ein. Der Wert beträgt M1 = 731.564 kNm. Aus dem 2. Schritt ist hier ein Wert von M1 = 255.332 kNm bekannt. Die obere Grenze ist durch MP = 300. kNm gegeben. Der Zuwachs der Laststeigerung für das modifizierte System des 3. Schritts bestimmt sich damit aus der Bedingung 300. = 255.332 + ∆ρ3 ⋅ 731.564 und beträgt ∆ρ3 = 0.061, so daß im Knoten 1 beim Laststeigerungsfaktor ρ3 = ρ2 + ∆ρ3 = 1.401 + 0.061 = 1.462 das 3. Fließgelenk einfällt. Der zugehörige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.12.1) und der zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.12.2) dargestellt. 4. Schritt : Nach dem Lösen der Einspannung am Knoten 1 kann die äußere Iteration zur Bestimmung des Erschöpfungszustandes mit dem modifizierten System des 4. Schritts fort– gesetzt werden, das bereits drei von vier möglichen Fließgelenken enthält. Die Wir– kung des Gebrauchslastfalls ergibt im Doppelknoten 2 / 3 ein maximales Moment. Der Wert beträgt M2 = M3 = 857.200 kNm. Aus dem 3. Schritt ist hier ein Wert von M2 = M3 = 267.139 kNm bekannt. Die obere Grenze ist durch MP = 300. kNm gegeben. Der Zuwachs der Laststeigerung für das modifizierte System des 4. Schritts bestimmt sich damit aus der Bedingung 300. = 267.139 + ∆ρ4 ⋅ 857.200 und beträgt ∆ρ4 = 0.038, so daß im Doppelknoten 2 / 3 beim Laststeigerungsfaktor ρ4 = ρ3 + ∆ρ4 = 1.462 + 0.038 = 1.5 das 4. Fließgelenk einfällt. Der zulässige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.13.1) und der zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.13.2) dargestellt. – 3 / 22 – 1. FG fällt ein 6.8 mm 6.8 mm T .1 Mp = 300. + – 52.4 1. FG fällt ein – 188.5 + 154.9 + – 166.6 T .2 – 3 / 23 – 1. FG 10.5 mm 2. FG fällt ein 10.5 mm .1 2. FG fällt ein – 59.7 – + Mp = 300. 1. FG Mp = 300. + 234. + – 255.3 .2 – 3 / 24 – 24.6 mm 1. FG 12.7 mm 2. FG 12.7 mm 3. FG fällt ein .1 2. FG – 23.1 – Mp = 300. + 1. FG Mp = 300. + 267.1 + – Mp = 300. 3. FG fällt ein .2 – 3 / 25 – 33.1 mm 1. FG 15.3 mm 2. FG 15.3 mm 4. FG fällt ein 3. FG .1 2. FG – – Mp = 300. + 1. FG Mp = 300. + Mp = 300. 4. FG fällt ein + – Mp = 300. 3. FG .2 – 3 / 26 – Mit dem Einfallen des 4. Fließgelenks im Doppelknoten 2 / 3 wird das statische System (Bild 3.8) kinematisch. Der dadurch definierte Erschöpfungszustand ist abschließend auf seine statische und kinematische Zulässigkeit zu überprüfen. Geeignete Kontrolldaten sind Momente und plastische Verdrehungen bzw. plastische Verkrümmungen. Ihre Entwicklung in Abhängigkeit von der Laststeigerung ist in (Tabelle 3.1) zusammengestellt. Die Summation der Zuwüchse der Laststeigerungen aus den vier Einzelberechnun– gen ergibt den Laststeigerungsfaktor der plastischen Grenzlast. Er beträgt ρP = 1.5. Eine unabhängige Vergleichsberechnung mit dem kinematischen Traglastsatz ist im (Bild 3.14) angegeben. Sie bestätigt den erreichten Wert. Die statische Plastizitätsbedingung ist in einfacher Weise durch die Bedingung M ≤ Mpl zu kontrollieren. Sie ist für das gesamte System erfüllt, wenn man von kleinen Fehlern in der Zahlenberechnung absieht. Der Momentenverlauf im Erschöpfungszu– stand stimmt mit dem Momentenverlauf des 4. Berechnungsschritts überein, der im (Bild 3.13.2) dargestellt ist, vgl. auch (Bild 3.14c). Die Verschiebungsamplituden im Grenzübergang zur Kinematik fallen insgesamt moderat aus. Im Doppelknoten 6 / 7 in der Riegelmitte erreicht die Durchbiegung mit w = w3 = 3.3 cm einen Wert, der noch im Bereich von L / 200. liegt. Von einer Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit durch unzulässig große inelastische Verformungsanteile ist daher nicht auszugehen, so daß sich eine Bemessung gegen die plastische Grenzlast nach Gl. (3.6.2) anbietet. Mit dem Einfallen der Fließgelenke ändert sich der Verlauf der Verschiebung. In den (Bildern 3.10.1 und 3.11.1) mit keinem bzw. einem aktiven Fließgelenk ist der Einfluß der elastischen Steifigkeit noch deutlich zu erkennen. Ab dem zweiten Fließ– gelenk überwiegt dagegen der kinematische Verschiebungsanteil, der sich durch die plastische Verdrehung der Fließgelenke einstellt. Die Verkrümmung, die sich in den (Bildern 3.12.1 und 3.13.1) zwischen aktiven Fließgelenken einstellt, ist auf die lokale Wirkung von MP zurückzuführen. Die Verschiebungsfigur des erreichten Erschöpfungszustands stimmt mit dem Verlauf im (Bild 3.13.1) überein. Die plastischen Verdrehungen bzw. Verkrümmungen der Fließgelenke sind in (Tabelle 3.1) angegeben. Der maximale Wert der plastischen Verdrehung im Grenzzustand zur Kinematik beträgt 10.6 o/oo. Er tritt im 2. Fließgelenk auf, das im Doppelknoten 6 / 7 in der Riegelmitte einfällt. Die Größenordnung liegt im Bereich zulässiger plastischer Verdrehungen von Stahl– und Stahlbetonquerschnitten /8/. Die Vorzeichen der plastischen Verkrümmungen und Momente lassen erkennen, daß in allen aktiven Fließgelenken eine positive Dissipation auftritt. Damit ist auch die ki– nematische Plastizitätsbedingung erfüllt. Der erreichte Erschöpfungszustand ist als zulässiger und damit als wirklicher zu betrachten. Eine weitere Laststeigerung ist nicht möglich, weil das System unmittelbar versagt, wenn sich das vierte Fließgelenk im Doppelknoten 2 / 3 plastisch verdreht. – 3 / 27 – Schritt Nr. 1 Systemvarianten mit einfallenden Fließgelenken 5 Gelenkknoten Laststeigerungs– faktoren 4/5 2/3 2 3 1. 1. ρ1 = 1.041 1. 4. 2. 3. ∆ρ2 = 0.360 ∆ρ3 = 0.061 ∆ρ4 = 0.038 ρ2 = 1.401 ρ3 = 1.462 ρ4 = 1.500 Momente (kNm) 6/7 M = Mv ≤ ±MP 1 –166.602 –255.332 –299.955 –299.955 2/3 154.873 233.978 267.139 299.709 4/5 –52.395 59.740 –23.139 –0.340 6/7 –188.472 –300.144 –300.144 –300.144 300.052 300.052 300.052 300.052 8 Plastische Drehungen (o/oo) 8 6/7 1 System– knoten, vgl. (Bild 3.9) 2. 3. 8 System– knoten, vgl. (Bild 3.9) 2/3 1. 2. 1 4/5 4 –ϕlinks Dö + ö rechts * ö links + * k P ϕrechts 1 0.000 0.000 0.000 –0.957 2/3 0.000 0.000 0.000 0.000 4/5 0.000 0.000 0.000 0.000 6/7 0.000 0.000 –5.592 –10.573 8 0.000 3.044 6.065 8.905 Tabelle 3.1 : Kontrolldaten – 3 / 28 – 1 3 FρP 2FρP 1 1 3 2 2 3 2 3 1 3 1 3 3.00 1 : Fließgelenk mit MP 1 4 MP F 1 4 3.00 m MP + 3. F = 300. kNm = 100. kN 3.00 3.00 a) Kinematische Kette W va + ò P⋅F⋅1 ) ò P⋅2F⋅2 + 5ò P⋅F * W vi + M P 1 ) 1 ) 1 ) 1 ) 2 ) 2 + 5 MP 3 4 4 3 3 3 2 M W v + W va ) W vi + 0 ³ 5ò P⋅F + 5 M P ³ ò P + 1 P + 1.5 2 2 F ǒ ǒ Ǔ ǒ Ǔ Ǔ b) Anwendung des PvW MP – + + MP – MP Momentenverlauf im Erschöpfungszustand – + MP c) Kontrolle durch statische Plastizitätskontrolle Bild 3.14 : Vergleichsberechnung mit dem kinematischen Traglastsatz – 3 / 29 – 4.00 Der Versagenszustand ist besonders deutlich in einer LVK zu erkennen. Im (Bild 3.15) ist speziell der Zusammenhang zwischen dem Lastfaktor ρ und der maximalen Verschiebung w = w3 dargestellt, die im 2. Fließgelenk in vertikaler Richtung auftritt, vgl. (Bild 3.13.1). ρ 1.50 1.462 1.401 1.041 4. 3. 2. Fρ É É É 2Fρ 1. 1. 2. 4. ÉÉ 3. w w (cm) 0.89 1.6 2.5 3.3 Bild 3.15 : LVK Anwendungsbeispiel Besonders mit dem Aktivwerden des 2. Fließgelenks nimmt die elastische Steifigkeit des Systems stark ab. Dies geschieht beim 1.462–fachen der Gebrauchslast. Danach reicht bereits eine Steigerung der Gebrauchslast um das 0.038–fache aus, um die Horizontale in der LVK zu erreichen, die den Versagenszustand anzeigt. Die Neigungsänderungen in der LVK (Bild 3.15) korrespondieren mit dem Einfallen der Fließgelenke. Dazwischen verhält sich das System elastisch, so daß die LVK linear verläuft. 3.12 Bewertung der Verfahren Lösungen nach der Fließgelenktheorie I. Ordnung auf der Grundlage der Traglastsätze beruhen auf Probierberechnungen. Bei einfachen Systemen ist diese Vorgehensweise konkurenzfähig, da man mit wenigen Schritten ans Ziel gelangt. Bei praxisrelevanten Systemen ist dies in der Regel aber nicht zu erwarten. Dann ist das Verfahren der stetigen Laststeigerung anzuwenden, wenn es darum geht, das inelastische Materialverhalten von Baukonstruktionen zu erfassen. – 3 / 30 – Ablauf und Auswertung der Berechnung ist im Abschnitt 3.11: Anwendungsbeispiel vorgestellt. Die Durchführung der einzelnen Berechnungsschritte kann natürlich auch mit den Verfahren der klassischen Baustatik erfolgen. Als optimale Variante bietet sich das KGV an. Bei der Annäherung an den Erschöpfungszustand nimmt die Anzahl der Fließgelenke zu und dadurch der Grad der statischen Unbestimmtheit ab. Mit jedem Berechnungsschritt verringert sich daher die Anzahl der unbekannten Berechnungsgrößen. Im Rahmen einer Handrechnung stellt dies einen deutlichen Vorteil gegenüber dem DWV dar, bei dem die Anzahl der geometrischen Unbestimmten durch das Anwachsen der Gelenke ständig zunimmt. In der Baupraxis dominiert die Anwendung von Programmen. Es gibt z.B. nichtlineare Programme, die die Fließgelenktheorie in vollständiger Form intern abarbeiten. Bei einem von außen gesteuerten Iterationsablauf, der z.B. in Anlehnung an die Bearbeitung des Anwendungsbeispiels im Abschnitt 3.11 erfolgen kann, genügt dagegen der Einsatz einer in der Regel immer verfügbaren linearen Programmvariante. Aus der Sicht des konstruktiv tätigen Bauingenieurs ist das in Eigenregie von außen zu steuernde Verfahren der stetigen Laststeigerung zu bevorzugen. Drei Vorteile sind zu nennen: 1. Das Tragverhalten von inelastischen Systemen ist durch das schrittweise Vorgehen einfacher zu überschauen. 2. Vielfach ist nicht der Erschöpfungszustand gesucht, sondern lediglich derjenige Zustand, der zur Bemessungslast oder zu einer Grenzverformung gehört. Ist er erreicht, kann die Berechnung beendet werden. 3. Die sichere Handhabung von nichtlinearen Programmen erfordert vertiefte Theoriekenntnisse, die in der Ingenieurpraxis vielfach nicht vorliegen. Die sichere Handhabung von linearen Programmen ist dagegen als Stand der Technik anzusehen. 3.13 Schlußbemerkung Die Fließgelenktheorie ist als eine erste Einführung in die Berechnung inelastischer Systeme zu betrachten. Die Einführung ist auf die Theorie I. Ordnung beschränkt. Eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema sollte u.a. Verfahren der Fließgelenktheorie II. Ordnung und der Fließzonentheorie einschließen. Dies ist aber nur im Rahmen von vertieften Lehrveranstaltungen sinnvoll. – 3 / 31 –