Lehrveranstaltung Statik der Baukonstruktionen III

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Lehrveranstaltung Statik der Baukonstruktionen III
Technische Universität Berlin
Fachgebiet Statik der Baukonstruktionen
Prof. Dr.–Ing. Rudolf Harbord
Lehrveranstaltung
Statik der Baukonstruktionen III
– Rechnerorientierte und nichtlineare
Statik von Stabtragwerken –
Berlin ⋅ März 2004
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einführung
Literatur
6
8
Teil 1: Verfahren der Stabsteifigkeiten
1/1
1.1 Allgemeines
1/1
1.2 Topologische und geometrische Systembeschreibung
1/1
1.3 Lokale Stab– bzw. Elementbeschreibung
1/ 9
1.3.1
Problemformulierung mit Differentialgleichungen
1/ 9
1.3.2
Problemformulierung mit Arbeitsgleichungen
1 / 16
1.3.3
Näherungsansätze und Diskretisierung
1 / 24
1.3.4
Matrizendarstellung des PvW
1 / 29
1.4 Baustatische Systembeschreibung
1 / 36
1.4.1
Systemgleichung
1 / 36
1.4.2
Berechnung der Weg– und Lagergrößen
1 / 41
1.5 Nachlaufberechnung zur Berechnung der Schnittgrößen
1 / 44
1.6 Beispiel
1 / 47
1.7 Abschätzung der Genauigkeit
1 / 59
1.8 Elastisch gebettete Stabtragwerke
1 / 66
1.9 Lastfall Temperatureinwirkungen
1 / 77
–1–
Seite
Teil 2: Theorie II. Ordnung
2/1
2.1 Einführung in die Problematik
2/1
2.1.1
Allgemeines
2/1
2.1.2
Einführungsbeispiel
2/3
2.1.3
Berechnung als Spannungsproblem
2/4
2.1.3.1
Iteration mit verändertem 0– Zustand
2/8
2.1.3.2
Iteration mit veränderten m– Zuständen
2 / 11
2.1.4
Kontrolle der Stabilität
2 / 15
2.1.5
Vergleichsberechnung mit einem Programm
2 / 17
2.1.6
Erkenntnisse und weitere Vorgehensweise
und Literatur
2 / 19
2.2 DGL Theorie II. Ordnung
2 / 22
2.2.1
Nichtlineare Kinematik
2 / 23
2.2.2
Materialverhalten
2 / 27
2.2.3
Elastische Verträglichkeit
2 / 27
2.2.4
Gleichgewicht am verformten System
2 / 28
2.2.5
Ableitung der DGL Theorie II. Ordnung
2 / 31
2.2.6
Superposition von Lösungen
2 / 32
2.3 DWV für Theorie II. Ordnung
2 / 33
2.3.1
Lokales Tragverhalten
2 / 34
2.3.2
Globales Tragverhalten
2 / 43
2.3.3
Bewertung der unterschiedlichen Einflüsse
2 / 45
2.3.4
Zugbeanspruchte Grundstäbe
2 / 45
2.3.5
Zahlenbeispiel zum DWV
2 / 48
–2–
Seite
2.4 VdS für Theorie II. Ordnung
2 / 60
2.4.1
PvW für Theorie II. Ordnung
2 / 60
2.4.2
Näherungsansätze für Theorie II. Ordnung
2 / 63
2.4.3
Vergleich zwischen DWV und VdS
2 / 66
2.4.4
Iterative Berechnung auf Systemebene
2 / 68
2.4.5
Zahlenbeispiel zum VdS
2 / 70
2.5 Stabilität von Gleichgewichtszuständen
2 / 73
2.5.1
Grundlagen der Stabilitätstheorie I. Ordnung
2 / 75
2.5.2
Bewertung der Stabilitätskontrolle
2 / 79
2.5.3
Stabilitätskontrolle beim DWV
2 / 81
2.5.3.1
Determinanten–Iteration
2 / 81
2.5.3.2
Zahlenbeispiel zur Determinanten–Iteration
2 / 82
2.5.4
Stabilitätskontrolle beim VdS
2.5.4.1
2.5.4.2
Rayleigh–Quotient und allgemeines
Eigenwertproblem
2 / 84
Zahlenbeispiel zum Eigenwertproblem
2 / 85
2.6 Einfluß von Imperfektionen
2.6.1
2.6.2
2.6.3
2 / 84
2 / 87
Grundlage der Berechnung von imperfekten
Tragwerken
2 / 89
Erfassung von Imperfektionen mit dem DWV
2 / 92
2.6.2.1
Vorgehensweise
2 / 92
2.6.2.2
Zahlenbeispiel
2 / 95
Erfassung von Imperfektionen mit dem VdS
2 / 99
2.6.3.1
Lastspalte des Lastfalls Imperfektionen
2 / 99
2.6.3.2
Zahlenbeispiel zum VdS
2 /102
–3–
Seite
Teil 3: Fließgelenktheorie
3/1
3.1
Allgemeines
3/1
3.2
Voraussetzungen
3/ 7
3.3
Plastischer Erschöpfungszustand von statischen Systemen
3/ 8
3.4
Verfahren der stetigen Laststeigerung
3/ 9
3.5
Statischer Traglastsatz
3 / 13
3.6
Kinematischer Traglastsatz
3 / 13
3.7
Einschließungssatz
3 / 14
3.8
Anwendung des statischen Traglastsatzes
3 / 15
3.9
Anwendung des kinematischen Traglastsatzes
3 / 16
3.10 Vergleich zwischen Elastizitäts– und Plastizitätstheorie
3 / 17
3.11 Anwendungsbeispiel
3 / 18
3.11.1
Aufgabenstellung
3 / 18
3.11.2
Berechnungssystem
3 / 19
3.11.3
Ergebnisse und Diskussion
3 / 21
3.12 Bewertung der Verfahren
3 / 30
3.13 Schlußbemerkung
3 / 31
–4–
Teil 4: Anwendungsbeispiel aus dem
Konstruktiven Ingenieurbau
Bei Bedarf im
Institut Statik der Baukonstruktionen der TU Berlin
Sekr. TIB1–B5
Gustav–Meyer–Allee 25
13 355 Berlin
Tel. 030/314 72 320
Fax 030/314 72 321
E–mail statik@tu–berlin.de
erhältlich.
–1–
Einführung
Die 4–std. integrierte Lehrveranstaltung Statik der Baukonstruktionen III – kurz Statik III–
beendet im Studiengang Bauingenieurwesen die Statikausbildung des Grundfachstudiums. Das Angebot richtet sich daher vorrangig an Bauingenieurstudenten. Sie müssen die
Veranstaltung als Pflichtkurs absolvieren. Interessierten Studentinnen und Studenten aus
verwandten Ingenieurdisziplinen können aber ebenfalls teilnehmen, um ihre Kenntnisse
im Fach Statik zu vertiefen.
Voraussetzung zur erfolgreichen Teilnahme sind Vorkenntnisse aus den Lehrveranstaltungen Statik I und II. Gegenstand der Betrachtung sind wie schon in Statik I und II ausschließlich ebene Stabtragwerke. Drei Ziele sollen im Verlauf der Durchführung erreicht
werden.
Das erste Ziel von Statik III ist eine Einführung in die Grundlagen der rechnerorientierten
Stabstatik, um die Handhabung und Anwendungssicherheit von Statik–Programmen
durch fundierte Theoriekenntnisse zu unterstützen. Dies geschieht im ersten Teil der Veranstaltung, der sich mit dem Verfahren der Stabsteifigkeiten beschäftigt, einem speziellen
Verfahren der Methode der finiten Elemente für Stabtragwerke, das sich aus dem Weg–
größenverfahren der Baustatik entwickelt hat. Es repräsentiert den Stand der Technik und
ist durch eine Vielzahl von Programmvarianten in der Ingenieurpraxis vertreten. Es gilt als
Standardverfahren zur rechnergestützten Bearbeitung von statisch–konstruktiven Auf–
gaben und ist als unabdingbarer Bestandteil der Statikausbildung im Grundfachstudium
anzusehen, zumal es auch aus theoretischer Sicht eine sinnvolle Ergänzung zu den
handrechnungsorientierten Kraft– und Drehwinkelverfahren aus Statik II darstellt.
Das zweite Ziel von Statik III ist eine Einführung in die Grundlagen der Theorie II. Ordnung.
Dies geschieht im zweiten Teil der Veranstaltung. Die ganze bisherige Betrachtungsweise
beruht auf der Annahme, daß zwischen Einwirkung und Beanspruchung von Stabtragwerken ein linearer Zusammenhang besteht. Diese Annahme begründet u.a. das Superposi–
tionsprinzip. Ohne dieses Prinzip wäre z.B. der in Statik II vorgestellte methodische Aufbau des Kraftgrößen– und Drehwinkelverfahrens gar nicht vorstellbar. Aus physikalischer
Sicht ist die Linearität natürlich nur als Näherung zu werten, die umso genauer zutrifft, je
kleiner die Verformungen im Vergleich zu repräsentativen Stababmessungen ausfallen.
Nur dann ist es zulässig, den verformten Zustand beim Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen zu vernachlässigen und die Schnittgrößen unmittelbar am unverformten System zu ermitteln. Dieses Vorgehen wird auch als Theorie I. Ordnung bezeichnet. Treten
dagegen größere Verformungen auf, ist es ggf. erforderlich, den Einfluß der Verformungen
zu berücksichtigen und das Gleichgewicht in physikalisch zutreffender Weise direkt am
verformten System zu erfüllen. Die Verformungen sind zunächst noch unbekannt. Daher
ist zwangsläufig ein iterativer Prozeß erforderlich, der als Theorie II. Ordnung bezeichnet
wird. Der Übergang zwischen den Berechnungstheorien ist fließend und läßt sich i.a. nur
durch eine sorgfältige ingenieurmäßige Bewertung abschätzen. Dies ist von besonderer
Wichtigkeit, wenn im betrachteten Stabtragwerk große Druckkräfte auftreten und der
Übergang schlagartig erfolgen kann, so daß als Sonderfall der Theorie II. Ordnung ein
–6–
Stabilitätsproblem vorliegt. Vor allem Maßnahmen, die dazu beitragen, Gefährdungspotentiale zu erkennen, die zum Stabilitätsverlust führen, sind Gegenstand der Betrachtung.
Sie erfordern zwangsläufig eine fundierte Kenntnis der Theorie II. Ordnung und setzen zusätzlich auch eine gewisse Fähigkeit zur Anwendung von nichtlinearen Theorien voraus.
Nur auf dieser Grundlage ist die Standsicherheit von Tragwerken unter allen Umständen
zu gewährleisten. Zumindest eine erste Einführung in die Problematik ist daher als
unabdingbarer Bestandteil der Statikausbildung im Grundfachstudium anzusehen. Eine
weitergehende Beschäftigung mit der übergeordneten geometrisch nichtlinearen Berechnungstheorie von Tragwerken ist dagegen Aufgabe des Vertiefungsstudiums.
Das dritte Ziel von Statik III ist eine Einführung in die Grundlagen der Fließgelenktheorie.
Dies geschieht im dritten Teil der Veranstaltung. Die bisherigen Betrachtungen auf den
Grundlagen der Theorien I. und II. Ordnung beruhen auf der fundamentalen Annahme,
daß sich das verwendete Material uneingeschränkt elastisch verhält. Die physikalische
Wirklichkeit zeigt aber, daß elastisches Materialverhalten nur bis zu einer speziellen Einwirkungsgrenze zu beobachten ist und danach inelastisches Verhalten auftritt. Die Grenze
zwischen Elastizität und Inelastizität ist materialabhängig und wird z.B. bei Beton unter
Zugeinwirkung durch das Reißen sehr früh erreicht, während sie sich unter Druckeinwirkung erst wesentlich später einstellt. Stahl verhält sich gegenüber Zug und Druck gleich
und verfügt in der Regel über hohe inelastische Tragreserven. Will man sie nutzen, ist ein
rechnerischer Nachweis erforderlich. Dies ist nur möglich, wenn die baustatische Beschreibung neben dem elastischen auch das inelastische Verhalten von Materialien erfassen kann. Mit der Fließgelenktheorie ist z.B. ein spezieller ingenieurmäßiger Ansatz bekannt, um dies für Stabtragwerke in anschaulicher Weise zu tun. Eine erste Einführung in
diese Theorie ist daher als notwendiger Bestandteil der Statikausbildung im Grundfachstudium anzusehen. Vor allem auch deswegen, um abschätzen zu können, wie sich das in–
elastische Materialverhalten auf das Tragvermögen von statischen Systemen auswirkt.
Eine weitergehende Beschäftigung mit der übergeordneten Plastizitätstheorie ist dagegen
Aufgabe des Vertiefungsstudiums.
Der vierte Teil, der die Lehrveranstaltung Statik III abschließt, liegt als separates Ma–
nuskript vor. Es wird die praxisnahe Bearbeitung eines Anwendungsbeispiels aus dem
Konstruktiven Ingenieurbau geübt. Ziel ist es, baustatische Methoden im Zusammenhang
anzuwenden. Gegenstand der Betrachtung ist eine Fußgängerbrücke. Es soll vor allem
gezeigt werden, wie man aus Zeichnungen statische Systeme entwickelt und wie man vorzugehen hat, um ingenieurmäßig interpretierbare Ergebnisse zu erhalten. Die Durchführung der Berechnungen erfolgt rechnergestützt mit einem Programm.
–7–
Literatur
/1/
Hees, G., Pohlmann, G.:
Baustatik. Hütte: Bautechnik IV,
Konstruktiver Ingenieurbau 1, S. 14–359.
29. Auflage, Springer Verlag (1988).
/2/
Ahrens, H., Duddeck, H.:
Berechnung von Stabtragwerken.
Betonkalender II, S. 511–618.
Ernst & Sohn Verlag (1980).
/3/
Krätzig, W. B.:
Tragwerke 2 – Theorie und Berechnungs–
methoden statisch unbestimmter Stabtragwerke –
2. Auflage, Springer–Lehrbuch (1994).
/4/
Lawo, M., Thierauf, G.:
Stabtragwerke.
Matrizenmethoden der Statik und Dynamik,
Teil 1: Statik,
Verlag Vieweg & Sohn (1980).
/5/
Harbord, R.:
Handbuch zum FE–Stabwerks–Programm
FEMAS.
TU Berlin (1996).
/6/
Zurmühl, R., Falk, S.:
Matrizen und ihre Anwendungen, Teil 1 und 2.
Springer Verlag (1994).
/7/
Rothert, H., Genischen, V.:
Nichtlineare Stabstatik.
Springer Verlag (1987).
/8/
Duddeck, H.:
Traglasttheorie der Stabtragwerke.
Betonkalender II, S. 1007–1095,
Ernst & Sohn Verlag (1980).
–8–
Teil 1:
Verfahren der Stabsteifigkeiten
1.1
Allgemeines
Das Verfahren der Stabsteifigkeiten (VdS) stellt die rechnerorientierte Variante des
Weggrößenverfahrens für Stabtragwerke dar. Es bildet somit eine wichtige Schnittstelle
zwischen der klassischen, anschauungsorientierten Baustatik und der modernen, rechnerorientierten Methode der finiten Elemente, kurz Finite–Elemente–Methode (FEM).
In der heutigen Praxis des konstruktiven Ingenieurbaus ist die FEM und speziell das
VdS weit verbreitet, da es Anschauung und Rechnerkomfort in idealer Weise mit–
einander verknüpft, so daß man es als Standardverfahren der modernen Stab–
statik bezeichnen kann. Neben der in Statik III verwendeten Bezeichnung VdS sind
auch die Bezeichnungen Verschiebungsgrößenverfahren /1/, verallgemeinertes Weg–
größenverfahren /2/, direkte Steifigkeitsmethode /3/, Deformationsmethode bzw.
Formänderungsgrößenverfahren /3/ und Matrizenmethode /4/ bekannt.
Im Rahmen der Vorlesungen und Übungen, die zum Teil 1 von Statik III stattfinden, wird
die grundsätzliche Vorgehensweise mit dem VdS anhand ebener Stabtragwerke vorgestellt und als Beispiele schubstarre, aber dehn– und biegesteife Stabtragwerke berechnet. Zur Berechnung kommt speziell das Programm FEMAS (Finite–Elemente–
Methode zur Analyse von Stabtragwerken /5/) zum Einsatz. Man kann natürlich auch
jedes andere Stabwerks–Programm einsetzen, das die erforderlichen Optionen anbietet, um Vergleichsberechnungen durchzuführen. Weitere Anwendungen des Verfahrens und des FEMAS–Programms erfolgen im zweiten bis vierten Teil von Statik III.
In den weiterführenden, jeweils 4–std. Lehrveranstaltungen Vertiefung I und II wird das
VdS auf räumliche und dynamische Probleme erweitert und es werden spezielle Einwirkungen, nämlich die Lastfälle Vorspannung und Erdbeben behandelt.
1.2
Topologische und geometrische Systembeschreibung
Das VdS unterscheidet zwischen zwei Betrachtungsebenen, die als System– und
Stab– bzw. Elementebenen bezeichnet werden. Die Systembetrachtung ist im wesentlichen eine topologische Beschreibung und daher problemunabhängig. Sie besteht
darin, ein Stabtragwerk gedanklich in Einzelstäbe oder noch weitergehend, in eine Vielzahl von finiten (endlichen) Elementen zu unterteilen. Die topologische Zuordnung zur
Wiederverknüpfung ist durch die unabhängige Definition von Stab– bzw. Elementnummern einerseits und Knotennummern andererseits in eindeutiger Weise möglich. Sie
kann vom Betrachter mit Hilfe einer Inzidenztafel festgelegt werden und muß als
Basisinformation enthalten, welche Knotennummern zu welchem Stab bzw. Element
gehören. Für das statische System eines ebenen Stabtragwerks (Bild 1.1) ist z.B. eine
staborientierte oder eine elementorientierte Unterteilung möglich, ohne irgendwelchen
Einschränkungen zu unterliegen.
–1/1–
F2
F1
p
F3
Bild 1.1 : Statisches System eines ebenen Stabtragwerks
Die VdS–Berechnungssysteme mit den zugehörigen Inzidenztafeln sind im (Bild 1.2)
dargestellt. In dem gewählten Beispiel (Bild 1.1) ist die staborientierte Unterteilung
(Bild 1.2a) mit weniger Aufwand verbunden als die elementorientierte Unterteilung
(Bild 1.2b). Querschnitts– und Einwirkungsunstetigkeiten werden bereits im Stab erfaßt, so daß sich insgesamt weniger Knotennummern und damit auch Unbekannte
ergeben. Allerdings ist bei dieser Vorgehensweise der Aufwand zur theoretischen
Beschreibung und Datenversorgung der Einzelstäbe größer als bei der elementorientierten Unterteilung, bei der Querschnitts– und Einwirkungsunstetigkeiten unmittelbar
durch die Anordnung von Systemknoten erfaßt werden. In der Ingenieurpraxis wird i.a.
die elementorientierte Unterteilung bevorzugt. Die Datenverwaltung ist einfacher, wenn
alle Elementkennwerte konstant vorgegeben werden können. Der damit ggf. verbundene Mehraufwand beim Lösen der Gleichungen zur Berechnung der geometrisch unbestimmten Größen ist im Zeitalter leistungsfähiger Rechner unerheblich und wird daher in Kauf genommen.
Die topologische Systembeschreibung ist durch die Vorgabe von Geometriedaten zu
ergänzen. Dazu zählen vor allem die Querschnitts– und Längenabmessungen der Einzelstäbe bzw. Einzelelemente. Zur geometrischen Systembeschreibung sind eben–
falls entsprechende Datentafeln zu definieren. Für das betrachtete Stabtragwerk mit
der staborientierten Unterteilung (Bild 1.2a) sind z.B. zwei Geometrietafeln erforderlich
(Bild 1.3). Die Geometrietafel I erfaßt die geometrische Lage aller Systemknoten und
die Geometrietafel II die Fläche A und das Trägheitsmoment I der einzelnen Stabquerschnitte.
–1/2–
Stab
2
3
Stab–
knoten
1
1
2
2
3
2
3
2
4
4
4
5
5
5
6
6
5
7
Stabnummer
7
7
8
Knotennummer
8
7
9
3
1
4
2
7
4
8
6
5
7
1
8
5
9
6
a) Staborientierte Unterteilung
Element
Element–
knoten
1
1
2
2
2
3
3
4
3
4
3
5
5
5
6
6
6
7
7
7
8
8
8
9
9
7
10
10
10
11
11
11
12
12
11
13
4
3
4
2
1
3
5
12
6
5
2
11
6
9
10
7
10
1
11
12
7
8
13
8
9
Elementnummer
Knotennummer
b) Elementorientierte Unterteilung
Bild 1.2 : VdS–Berechnungssysteme mit zugehörigen Inzidenztafeln
–1/3–
3
2
3
2
ϕ
1
(A3, I3)
x,u
z,w
X 22
1
8
4
7
4
6
5
X 12
7
X 24
X2, w2
8
5
9
X1,
ϕ
w1
X 14
6
a) Globale und lokale Stabkoordinaten in einer Seitenrißebene
Koordinaten
Querschnittswerte
Knoten
X1
X2
Stab
A
I
1
.
.
1
.
.
2
X 12
X 22
2
.
.
3
.
.
3
A3
I3
4
X 14
X 24
4
.
.
5
.
.
5
.
.
6
.
.
6
.
.
7
.
.
7
.
.
8
.
.
8
.
.
9
.
.
b) Geometrietafel I
c) Geometrietafel II
Bild 1.3 : Geometriedaten der staborientierten Unterteilung
–1/4–
Die Längenabmessungen sind auf das globale Koordinatensystem X = {X1, X2} und
die Querschnittswerte auf das lokale Koordinatensystem x = {x, z} bezogen. Beide
Systeme sind in einer Seitenrißebene definiert. Der Zusammenhang zwischen den
äußeren Weggrößen vl = {u, w, ϕ} und vg = {w1, w2, ϕ}, die entweder zur lokalen (In–
dex l) Stab– bzw. Element– oder zur globalen (Index g) Systemebene gehören, ist
durch das Einmessen der Stäbe in globalen Koordinaten ebenfalls bekannt und kann
für jeden Stab durch die Transformationsvorschrift
v l + T lgvg
(1.1)
angegeben werden. Die Transformation Gl. (1.1) zwischen den lokalen und globalen
Verschiebungen vl und vg ist im (Bild 1.4) veranschaulicht.
X2
s 1 + X 14 * X 12,
x
sinαw2
u
s 2 + X 24 * X 22,
s +
Ǹǒs Ǔ
1
2
) ǒ s 2Ǔ ,
2
cosαw1
w2
α
2
sin a + ss ,
α
1
cos a + ss .
Lokale Verschiebungen: u, w
w1
α
X1
–w2
sinαw1
α
Globale Verschiebungen: w1, w2 .
–cosαw2
w
z
Bild 1.4 : Transformation zwischen lokalen und globalen Verschiebungen
Der Transformationswinkel α ist positiv definiert, wenn er von der globalen X1–Koordinate zur lokalen x–Koordinate (Stabachse) zeigt. Die Verdrehung ϕ ist in der Ebene
im lokalen und globalen Koordinatensystem gleich und die lokalen Verschiebungen u
und w ergeben sich als Sinus– und Cosinus–Projektionen der globalen Verschiebungen w1 und w2. Damit ist die explizite Form von Gl. (1.1) für einen geraden Stab mit
jeweils einem Knoten am Anfang und Ende des Stabs vollständig bekannt und kann als
Matrizenschema dargestellt werden.
–1/5–
Für den Stab
3
im (Bild 1.3a) mit den Knoten 2 und 4 gilt z.B. das Schema
u2
cosα3
sinα3
0
w2
sinα3 –cosα3
0
ϕ2
0
0
w12
0
w22
ϕ2
1
Knoten 2
=
w4
ϕ4
lokale
Verschiebungen vl
sinα3
0
w14
sinα3 –cosα3
0
w24
1
ϕ4
cosα3
u4
0
0
0
Transformationsmatrix Tlg
(1.2)
Knoten 4
.
globale
Verschiebungen vg
Die Definition der Matrizenelemente von Gl. (1.2) ist (Bild 1.4) zu entnehmen. Mit den
speziellen Zahlenwerten der X–Koordinaten muß sich der Winkel α3 zu Null ergeben,
da der Stab 3 parallel zur X1–Achse verläuft, vgl. (Bild 1.3a). Für den Stab 3 ist
also cos a 3 + 1 und sin a 3 + 0.
Aus der unmittelbaren Anschauung im (Bild 1.3a), aber auch aus der mathematischen
Formulierung Gl. (1.2) folgt speziell für Stab 3 , daß die lokale u– mit der globalen
w1–Verschiebung zusammenfällt und die lokale w–Verschiebung in negativer Richtung
der globalen w2–Verschiebung zeigt. Daraus ist zu erkennen, daß die Transformationsgleichung (1.1) die Zuordnung zwischen Stab– und Systemverschiebungen in ganz
allgemeiner Form regelt.
Ein Vergleich mit dem Williot’schen Verschiebungsplan des handrechnerorientierten
Drehwinkelverfahrens (DWV) verdeutlicht, daß die Transformationsgleichung des VdS
als mathematische Formulierung des Williot’schen Verschiebungsplans aufgefaßt werden kann, der in umgekehrter Deutung eine anschauliche Lösung der Transformationsgleichung (1.1) bzw. (1.2) darstellt.
Der enge Zusammenhang zwischen der Transformation beim VdS und dem Williot–
Plan beim DWV soll an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden. Im (Bild 1.5) ist
ein dreifach geometrisch unbestimmter Rahmen mit schiefem Stiel dargestellt.
–1/6–
X 2, w 2
Y=1
1
(3)
(2)
x,u
1
Ǹ2
z,w
(1)
X 1, w 1
(4)
Bild 1.5 : Rahmen mit schiefem Stiel
Der eingezeichnete Einheitsverschiebungszustand der Wegfessel im Knoten 3 ist mit
dem Williot–Plan konstruiert worden. Im Knoten 2 des α = 45° schiefen Stiels ist das
Ergebnis mit der lokal–globalen Transformationsvorschrift Gl. (1.2)
u
w
=
cos α
sin α
w1
sin α
–cos α
w2
zu überprüfen. Mit sin 45° = cos 45° = 1 Ǹ2 und der Vorgabe der globalen Verschiebun2
gen w1 = 1 und w2 = –1 erhält man durch die Matrizenmultiplikation die lokalen Verschiebungen
u + cos a w 1 ) sin a w 2 + 1 Ǹ2 (1) ) 1 Ǹ2 (* 1) + 0
2
2
und
w + sin a w 1 * cos a w 2 + 1 Ǹ2 (1) * 1 Ǹ2 (* 1) + Ǹ2 ,
2
2
die mit den Werten des Williot–Plans übereinstimmen.
Natürlich wäre es sehr umständlich, wollte man im Rahmen der Handrechnung versuchen, den Williotplan durch die Transformationsgleichung (1.1) bzw. (1.2) zu ersetzen
oder umgekehrt, im Rechner anstelle der Transformation den Williotplan zu verwenden.
Der Vergleich zeigt daher sehr anschaulich, daß jeweils ein spezieller methodischer Zuschnitt erforderlich ist, um optimale Verfahren zu erhalten. Das DWV ist optimal mit dem
Williotplan durchzuführen und das VdS optimal mit der Transformation. Das baustatische Ziel ist aber jeweils gleich, nämlich die Ermittlung von globalen Verschiebungszuständen am Gesamtsystem, die sich auch einstellen, wenn die Durchführung fehlerfrei
erfolgt.
–1/7–
Beim VdS wird im weiteren Verlauf der Betrachtung Gl. (1.1) bzw. Gl. (1.2) auch als
Untermatrizenschema benötigt, um die Knoten eines Stabes matriziell miteinander zu
verknüpfen. Das Schema für den Stab 3 mit den Knoten 2 und 4 ist in Gl. (1.3)
dargestellt.
vl, 2
Tlg, 22
0
vg, 2
0
Tlg, 44
vg, 4
Knoten 2
=
vl, 4
.
Knoten 4
(1.3)
Die Vorgehensweise zur topologischen und geometrischen Systembeschreibung ist
unabhängig vom speziellen Stabtragwerk, das aktuell untersucht werden soll. Sie läßt
sich in allgemeingültiger Form für beliebige Stab– bzw. Elementvarianten programmieren. Aus fachlicher Sicht ist diese Aufgabenstellung der Bauinformatik zuzuordnen. Die
mit komfortablen Oberflächen verbundene Freiheit der Modellbildung von statischen
Systemen ist als ein entscheidender Vorteil des VdS oder ganz allgemein der FEM
anzusehen. Die Bereitstellung der zugehörigen Daten ist immer als erster Schritt der
Berechnung durchzuführen.
Die nachfolgende rein baustatische Problembeschreibung kann sich zunächst auf die
Erfassung der Stab– bzw. Elementeigenschaften beschränken, die infolge ihres lokalen
Charakters viel einfacher zu übersehen sind als das komplexe Gesamtverhalten des
globalen Systems. Dieser zweite Schritt bildet den theoretischen Schwerpunkt des VdS
und wird daher im Rahmen der Statikausbildung vorrangig behandelt. Er ist zwar für die
unmittelbare Programmanwendung entbehrlich, muß aber trotzdem voll verstanden
werden. Einerseits um das Verfahren in den Gesamtrahmen der Baustatik einordnen
zu können und andererseits, um die erzielten Ergebnisse bewerten zu können.
Die sich daran anschließende Übertragung der speziellen Stab–bzw. Elementeigenschaften auf den gesamten Stab– bzw. Elementverband des betrachteten statischen
Systems kann dann wiederum in allgemeingültiger Form erfolgen. Dieser dritte Schritt
des VdS kann auch als gemischte bauinfomatische und baustatische Systembe–
schreibung bezeichnet werden. Er beruht auf der konsequenten Verarbeitung der topologischen und geometrischen Informationen, um die zunächst rein lokal betrachteten
Einzelstäbe bzw. Einzelelemente zu globalisieren und in das Gesamtsystem einzubinden. Dieser Berechnungsschritt ist ebenfalls problemunabhängig programmierbar und
kann daher einheitlich gestaltet werden.
–1/8–
1.3
Lokale Stab– bzw. Elementbeschreibung
1.3.1
Problemformulierung mit Differentialgleichungen
Gegeben ist ein dehn– und biegesteifer, aber schubstarrer Stab bzw. ein endlich begrenztes Element (finites Element) aus diesem Stab, der wiederum zu einem Stabtragwerk gehört, vgl. (Bild 1.1). Das finite Stabelement ist im (Bild 1.6) dargestellt.
p
A
ÇÇÇÇÇ
ÇÇÇÇÇ
n
EA, EI,
B
x, u(x)
GA Q ³ ∞.
z, w(x)
s
Bild 1.6 : Finites Stabelement
Die Knoten, die das Element am Anfang und Ende begrenzen, werden in allgemeiner
Form mit den Buchstaben A und B bezeichnet. Die Vorgaben zur Erfassung der Einwirkungs– und Querschnittswerte sind vereinbarungsgemäß konstant.
Im (Bild 1.6) sind
(x, z)
: Lokale Koordinaten, die mit den Hauptachsen des Querschnitts zu–
sammenfallen.
p
: Konstante Streckenlast in lokaler z–Richtung ǒă zur StabachseǓ.
n
: Konstante Streckenlast in lokaler x–Richtung ǒ ø zur StabachseǓ.
EA
: Konstante Dehnsteifigkeit des Querschnitts.
EI
: Konstante Biegesteifigkeit des Querschnitts.
GA Q ³ R
: Bedingung für schubstarre Querschnitte.
s
: Stablänge zwischen den Elementknoten A und B.
Der baustatische Zustand in jedem Punkt, der sich innerhalb des finiten Stabelements
befindet, ist durch die Aufstellung der statischen (Gleichgewicht) und kinematisch–elastischen (Verträglichkeit) Gleichungen bekannt. Die zugehörigen Differentialgleichungen (DGL) wurden bereits in Statik I abgeleitet. Sie sind in Gl. (1.4) angegeben und
werden zusätzlich getrennt nach Dehnung und Biegung jeweils zu einer DGL zusammengefaßt. Die reduzierten Gleichungen bilden die eigentlichen DGL der Theorie
schubstarrer Stabtragwerke. Der Reduktionsweg zur Ableitung der DGL ist zusätzlich
in Gl. (1.4) veranschaulicht. Er führt von der Verträglichkeit zum Gleichgewicht, so daß
–1/9–
die Stabgleichungen Gleichgewichtsaussagen darstellen. Dies ist u.a. auch daran zu
erkennen, daß als Unbekannte nur Weggrößen auftreten. Trotzdem müssen die Lösungen von Gl. (1.4) beide, nämlich die statischen und die geometrischen, Randbedingungen erfüllen, die für ein speziell betrachtetes statisches System gelten.
Reduktionsweg
Gleichgewicht
Verträglichkeit
N(x)
+0
EA
Dehnung
N’(x) + n = 0
uȀ(x) *
Biegung
M’’(x) + p = 0
wȀȀ(x) )
M(x)
+0
EI
DGL
EA u’’(x) + n = 0
(1.4.1)
EI w’’’’(x) – p = 0
(1.4.2)
Die Integration der DGL (1.4) ist für den Stab noch ohne weiteres analytisch möglich.
Eine zweifache Integration der Dehnungsgleichung (1.4.1) ergibt
u(x) + a 0 ) a 1x ) u p(x),
(1.5.1)
N(x) + EA uȀ(x)
(1.5.2)
und eine vierfache Integration der Biegungsgleichung (1.4.2)
2
3
w(x) + b 0 ) b 1x ) b 2 x ) b 3 x ) w p(x),
6
2
(1.6.1)
ö(x) + wȀ(x),
(1.6.2)
M(x) + * EI wȀȀ(x),
(1.6.3)
Q(x) + * EI wȀȀȀ(x)
(1.6.4)
mit den partikulären Lösungsanteilen
u p(x) + *
ŕǒŕ EAn dxǓdx
(1.7.1)
und
w p(x) +
ŕȡȧȢŕȡȧȢŕǒŕ EIp dxǓdxȣȧȤdxȣȧȤdx
– 1 / 10 –
(1.7.2)
der jeweiligen Gesamtlösung. Mit Gl. (1.5, 1.6 und 1.7) sind u.a. auch alle Weg–
und Kraftzustände des geometrisch bestimmten Grundstabs bekannt. Auf solchen
Grundstäben beruht z.B. das DWV. Sie erfüllen per Definition die geometrischen
Randbedingungen am Anfang und Ende, so daß sich aus den geometrischen Vorgaben
in eindeutiger Weise die zugehörigen Kraftzustände ergeben. Die explizite Form der
geometrischen Randbedingungen am geometrisch bestimmten Grundstab in den Knoten A und B ist im (Bild 1.7) angegeben. Sie sind nach Dehnung und Biegung geordnet
und zusätzlich durch die Darstellung der Einspannschraffur in baustatischer Weise veranschaulicht, vgl. (Bild 1.7). Die baustatische Vorzeichendefinition der Schnittgrößen
als lokaler Gleichgewichtszustand ist ebenfalls dargestellt.
A(x = 0)
B(x = s)
M
ϕ
x, u
Q
z, w
∆s
s
uA 0 0
uB + 0
uA + 0
uB 0 0
wA 0 0
wB + 0
öA + 0
öB + 0
wA + 0
wB + 0
öA 0 0
öB + 0
wA + 0
wB 0 0
öA + 0
öB + 0
wA + 0
wB + 0
öA + 0
öB 0 0
Stabdehnung
Stabbiegung
Bild 1.7 : Randbedingungen für den geometrisch bestimmten Grundstab
– 1 / 11 –
N
Die Auswertung der homogenen Lösungen Gl. (1.5 und 1.6) der DGL (1.4), mit den
im (Bild 1.7) definierten geometrischen Randbedingungen, führt auf Schnittgrößen, die
resultierende Spannungsgrößen darstellen. Am herausgeschnittenen Stabelement
0 t Ds t s bilden Schnittgrößen eine Gleichgewichtsgruppe, vgl. (Bild 1.7). Das Vorzeichen ergibt sich aus der Lage der Bezugfaser, die im Rahmen der Baustatik das lokale Koordinatensystem x = [x, z] ersetzt. Die formelmäßige Auswertung von Gl. (1.5.1)
für den Fall u A + u(x + 0) 0 0 im Knoten A und u B + u(x + s) + 0 im Knoten B
liefert die Gleichungen
x+0
³
u + u A + a 0 ) a 1·0
x+s
³
u + 0 + a0 ) a 1·s,
und
aus denen
a0 + uA
und
a
u
a1 + * s0 + * sA
und damit auch
ǒ
Ǔ
x
u(x) + 1 *
s ·u A
folgt. Eingesetzt in Gl. (1.5.2) und ausgewertet im Knoten A und B ergibt die Längskräfte
N A + N(x + 0) + EA uȀ(x + 0) + * EA
s ·uA
und
N B + N(x + s) + EA uȀ(x + s) + * EA
s ·uA.
Für u A 0 0 in positiver x–Richtung stellt sich also erwartungsgemäß eine konstante
Druckkraft im Stab ein. Für den Fall u A + u(x + 0) + 0 im Knoten A und
u B + u(x + s) 0 0 im Knoten B folgt in gleicher Weise aus Gl. (1.5.1)
u(x) + xs ·u B
und aus Gl. (1.5.2)
N A + EA
s ·u B
und
N B + EA
s ·u B.
– 1 / 12 –
Für u B 0 0 in positiver x–Richtung erhält der Stab eine Zugkraft, was ebenfalls mit
der Anschauung übereinstimmt. Die Schnittkräfte am Stabanfang A und Stabende B
werden zusammenfassend auch als Stabendkräfte bezeichnet, vgl. z.B. /1/. Der Zu–
sammenhang mit den erzeugenden Verschiebungen in den Knoten A und B ist im
(Bild 1.8) dargestellt.
Beim DWV ist in jeder Fessel des geometrischen Grundsystems das Kräftegleichgewicht zu erfüllen, um daraus die unbekannten Verschiebungen zu ermitteln. Dies geschieht in anschaulicher Weise unmittelbar am Gesamtsystem. Um diesen Vorgang
beim VdS zu schematisieren, ist es sinnvoll, die Vorzeichen der Stabendkräfte an die
Vorzeichen der Verschiebungen anzupassen, die an beiden Knoten jeweils in Richtung
der x–Koordinaten zeigen. Damit werden aus den Schnittkräften Fessel– bzw. Knotenkräfte, die am Knoten B mit den Schnittkräften zusammenfallen und am Knoten A
durch einen Vorzeichenwechsel aus diesen hervorgehen, vgl. (Bild 1.8).
Der Zusammenhang zwischen Knotenkräften s und Knotenverschiebungen v wird
beim VdS grundsätzlich durch eine Matrizengleichung ausgedrückt. Für den Einzelstab bzw. das Einzelelement gilt in allgemeiner Form
s l + k llvl * s 0l.
(1.8)
Der Index (l) weist auf den lokalen Koordinatenbezug von Gl. (1.8) hin, vgl. (Bild 1.8).
B
A
x
uA
uB
z
a) Knotenverschiebungen
NA
NB
b) Stabendkräfte als Schnittkräfte
NA
x
z
NB
c) Stabendkräfte als Fessel– bzw. Knotenkräfte
Bild 1.8 : Weg– und Kraftzustände am geometrisch bestimmten Grundsystem
für den Dehnungszustand
– 1 / 13 –
Die Matrix k wird als Steifigkeitsmatrix bezeichnet. Die Multiplikation der Matrix mit
Verschiebungen führt auf Kräfte, so daß die Matrizenelemente aus physikalischer Sicht
Steifigkeiten darstellen, womit sich auch die Namensnennung des Verfahrens erklärt.
Die Lastspalte s0 enthält die partikulären Lösungsanteile, die sich aus Gl. (1.7) ergeben.
Für den Dehnstab ist durch die bereits ermittelte Lösung von Gl. (1.5) der homogene
Anteil von Gl. (1.8) explizit bekannt.
NA
sl =
NB
+ EA
s
1
–1
uA
= kll vl .
–1
1
uB
Der zugehörige partikuläre Lösungsanteil hängt vom speziellen Belastungszustand des
betrachteten Stabes bzw. Elementes ab. Für eine konstante Streckenlast n ergibt sich
z.B. aus Gl. (1.7.1) ein partikulärer Verschiebungsanteil von
2
u p + * n·x
2 EA
und damit aus Gl. (1.5.1) die Gesamtverschiebung der Belastung zu
2
u 0(x) + a 0 ) a 1·x * n·x .
2 EA
Die Knoten des Stabes sind gefesselt, vgl. (Bild 1.7). Die Konstanten α0 und α1 können
damit eindeutig bestimmt werden. Am Knoten A errechnen sie sich aus der Bedingung
u A + u(x + 0) + a 0 + 0
und am Knoten B aus der Bedingung
2
u B + u(x + s) + a 0 ) a 1·s * n·s + 0.
2 EA
Die Auflösung nach α0 und α1 liefert
a0 + 0
und
a 1 + * n·s .
2 EA
Das Einsetzen der Konstanten in die allgemeine Verschiebungslösung ergibt ab–
schließend die spezielle Lösung für eine konstante Streckenlast
ǒ
Ǔ
2
u 0(x) + n·s xs * ǒxsǓ ·s.
2 EA
– 1 / 14 –
Mit der Lösung selbst ist auch die Ableitung bekannt.
u 0(x) + n·s ǒ1 * 2 xsǓ,
2 EA
so daß sich aus Gl. (1.5.2) die zugehörigen Schnittgrößen ergeben
N 0(x) + n·s ǒ1 * 2 xsǓ.
2
Die Auswertung an den Knotenpunkten A und B liefern die Stabendkräfte zunächst
als Schnittgrößen. Am Knoten A gilt
N 0A + N 0(x + 0) + n·s
2
und am Knoten B
N 0B + N 0(x + s) + * n·s .
2
Durch das Anpassen der Vorzeichen am Knoten A, vgl. (Bild 1.8), folgen daraus wiederum die Knotenkräfte
N 0A + * n·s
2
und
N 0B + * n·s
2
und durch den Vergleich mit Gl. (1.8) die Lastspalte
n·s
2
N 0A
s 0l +
=
N 0B
n·s
2
.
Das Ergebnis ist unmittelbar plausibel. Bei konstanter Streckenlast beträgt die resultierende Kraft R + n·s , die sich je zur Hälfte auf die Knoten A und B verteilt. Das ne–
gative Vorzeichen von N 0A und N 0B ist herausgezogen und erscheint unmittelbar in
Gl. (1.8). Natürlich besteht die Möglichkeit, auf diesem Wege auch veränderliche
Streckenlasten zu erfassen. Hiervon wird aber beim VdS kein Gebrauch gemacht, um
den Vorteil einer einfachen Stab– bzw. Elementbeschreibung nicht aufzugeben. Sind
in Beispielen z.B. veränderliche Streckenlasten zu berücksichtigen, so ist die Elementfolge in diesem Bereich solange zu verdichten, bis sich eine akzeptable Übereinstimmung zwischen der Vorgabe und der elementweise konstanten Approximation einstellt.
– 1 / 15 –
1.3.2
Problemformulierung mit Arbeitsgleichungen
Für den Biegestab kann die explizite Form der Matrizengleichung (1.8) in gleicher Art
und Weise wie für den Dehnstab ermittelt werden. Dazu ist lediglich der Satz der Biegerandbedingungen im (Bild 1.7) an die allgemeine Biegelösung Gl. (1.6) anzupassen,
die partikuläre Biegelösung Gl. (1.7.1) auszuwerten und die daraus resultierenden
Stabendschnittgrößen in die entsprechenden Stabendknotengrößen umzuwandeln. Im
Rahmen der Baustatik ist diese Vorgehensweise der gängige Weg, um das VdS abzuleiten, vgl. z.B. /2/ und /3/. Er beruht im wesentlichen auf der Betragsgleichheit von
Schnitt– und Knotenkräften, die in dieser Form aber nur bei Stabtragwerken auftritt und
damit den gravierenden physikalischen Unterschied zwischen Schnitt– und Knotenkräften verwischt.
Knotenkräfte sind Auflagerkräfte, die als Reaktion entstehen, wenn gefesselte Knoten
verschoben werden. Sie sind daher als äußere Kraftzustände anzusehen, die mit den
erzeugenden Knotenverschiebungen arbeitskonforme Paare bilden, so daß sich als Ergebnis äußere Arbeitsausdrücke ergeben. Schnittkräfte sind dagegen als innere Kraftzustände definiert. Sie stellen resultierende Spannungsgrößen dar und bilden mit inneren Weggrößen, also den Verzerrungen, arbeitskonforme Paare, die daher auch als
innere Arbeitsausdrücke bezeichnet werden.
Bei Flächentragwerken ist die Betragsgleichheit zwischen Schnitt– und Knotenkräften
nicht mehr gegeben. Daher ist die Ermittlung von Steifigkeitsmatrizen und Lastspalten
unmittelbar aus der Lösung der DGL nicht mehr so einfach möglich. Dies gelingt in allgemeiner Form nur noch durch eine konsequente Anwendung der virtuellen Arbeitsprinzipien, die sich ja bereits in der klassischen Baustatik als ein sehr leistungsfähiges
Werkzeug erwiesen haben. Die Anwendung von PvW und PvK in Statik I und II erfolgt
in der Regel nur punktweise, um spezielle Einzelgrößen zu ermitteln. Entweder geht es
darum, mit Hilfe von virtuellen Weggrößen wirkliche Kraftgrößen zu berechnen oder mit
Hilfe von virtuellen Kraftgrößen wirkliche Weggrößen. Das PvW stellt eine gleichwertige Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen dar und ersetzt sie vollständig. In
gleicher Weise ist das PvK als eine gleichwertige Formulierung der Verträglichkeitsbedingungen anzusehen, da es diese Bedingung ebenfalls vollständig ersetzen kann.
Im Rahmen einer rechnerorientierten Baustatik müssen die Arbeitsprinzipien dagegen
in einer analytischen Formulierung zur Anwendung kommen, da es nun vorrangig um
Funktionsverläufe von Weg– und Kraftzuständen geht und nicht um Einzelgrößen. Ziel
ist es, mit Hilfe der Arbeitsprinzipien die DGL (1.4) in ganz allgemeiner Form zu integrieren und die Lösung erst danach in speziellen Knoten von Stäben bzw. Elementen zu
parametrisieren bzw. zu diskretisieren. Der Übergang zum Rechnen mit Einzelgrößen
erfolgt also erst am Ende des Lösungsweges, der sich damit deutlich von den aus der
klassischen Baustatik bekannten Vorgehensweisen unterscheidet.
– 1 / 16 –
Das VdS ist ein Weggrößenverfahren, das auf dem PvW beruht. Mit diesem Prinzip
wird zunächst das lokale Gleichgewicht auf der Stab– bzw. Elementebene erfüllt. Das
Ergebnis führt auf eine Steifigkeitsbeziehung zwischen den Kraft– und Wegzuständen
der Stab– bzw. Elementknoten, die sich wiederum in Form einer Matrizengleichung
(1.8) darstellen läßt.
Ausgangspunkt der Elementbetrachtung mit dem PvW ist das finite Stabelement
(Bild 1.6) und die DGL (1.4), die den Anfang der kausalen Kette: Punkt ³ Element
³ System bilden. Die Formulierung beginnt im Punkt. Durch die DGL (1.4) sind hier
die wirklichen Kräftesummen bzw. Kräftedifferenzen bekannt. In Richtung der Stabachse gilt
f u(x) + NȀ(x) ) n(x) + EA uȀȀ(x) ) n
und senkrecht dazu
f w(x) + MȀȀ(x) ) p(x) + EI wȀȀȀȀ(x) * p.
Daß es sich dabei um Kräfte handeln muß, ist an den Streckenlasten n und p zu
erkennen. Die Summen– bzw. Differenzbildung in fu(x) und fw(x) setzt die Dimensionsgleichheit der Ausdrücke voraus. N’(x) = EA u’’(x) und M’’(x) = –EI w’’’’(x) kön–
nen daher als innere Streckenlasten des Dehn– und Biegestabs aufgefaßt werden. Sie
müssen mit den äußeren Streckenlasten n und p einen Gleichgewichtszustand bilden. In den DGL (1.4) stehen daher auf der rechten Seite Nullen, um die lokale Gleichheit punktweise auszudrücken. Beim PvW sind dagegen Arbeitsausdrücke zu bilden.
Dies geschieht mit Hilfe der arbeitskonformen virtuellen Verschiebungen uv(x) und
wv(x), so daß sich zunächst punktweise die virtuellen Arbeitsausdrücke
u v(x) f u(x) + uv(x) ( EA uȀȀ(x) ) n )
und
w v(x) f w(x) + wv(x) ( EI wȀȀȀȀ(x) * p )
ergeben. Durch Summation, d.h. durch Integration über die Stablänge s zwischen den
Elementknoten A und B folgen die virtuellen Arbeitsausdrücke am Element, die nach
dem PvW verschwinden müssen, wenn der lokale Gleichgewichtszustand bereichsweise erfüllt sein soll.
Für den Dehnstab erhält man
W v( u v, u) +
ŕ u (x) [ EA uȀȀ(x) ) n ] dx + 0
v
(1.9.1)
und für den Biegestab
W v(w v, w) +
ŕ w (x) [ EI wȀȀȀȀ(x) * p ] dx + 0.
v
– 1 / 17 –
(1.9.2)
Die Integralausdrücke Gl. (1.9) werden auch als schwache Form der DGL bezeichnet,
da sie die DGL (1.4) im Gebiet zwischen den Knoten A und B gleichwertig ersetzen.
Die virtuellen Verschiebungen sind definitionsgemäß beliebig und linear unabhängig,
so daß in der Regel nicht über sie verfügt werden kann. Daher muß zwangsläufig der
Klammerausdruck in den Integralen Null werden, um das PvW (1.9) zu erfüllen. Die
Klammerausdrücke sind aber die DGL (1.4) selbst. Der Zusammenhang zwischen
DGL (1.4) und PvW (1.9) ist damit unmittelbar erkennbar.
Der Vorteil der schwachen Formen ist immer dann evident, wenn die analytische Integration einer DGL nicht gelingt und daher eine Näherungslösung angestrebt wird. Zulässige Näherungslösungen sind z.B. alle Lösungen, die zwar nicht die DGL selbst,
wohl aber deren schwache Form erfüllen. Die schwachen Formen von DGL, die aus
physikalischer Sicht das PvW und ggf. das PvK repräsentieren, sind daher als ein
hervorragendes Instrument anzusehen, um Näherungslösungen von DGL zu konstruieren. Zusammen mit der lokalen Betrachtungsweise bilden sie die Grundlage der FEM,
das modernste Berechnungsverfahren, über das Ingenieure und Mathematiker heute
verfügen.
Zur schwachen Form Gl. (1.9), in denen die Arbeitsausdrücke Gl. (1.9.1) und Gl. (1.9.2)
durch Produkte aus
Virtuellen Verschiebungen × Wirklichen Kräften
gebildet werden, gehören insgesamt sechs Randbedingungen. Für den Dehnstab
Gl. (1.9.1) sind das jeweils eine statische (N) und eine geometrische Bedingung (u)
und für den Biegestab Gl. (1.9.2) jeweils zwei statische (Q, M) und zwei geometrische
Bedingungen (w, ϕ). Die Anzahl der Randbedingungen muß mit der Anzahl der Ableitungen in den Arbeitsgleichungen korrespondieren. Beim Dehnstab Gl. (1.9.1) treten
zwei und beim Biegestab Gl. (1.9.2) vier Ableitungen auf, so daß sich ein eindeutiger
Zusammenhang zwischen der Anzahl der Randbedingungen und der Anzahl der Ableitungen ergibt. Hinsichtlich der Randbedingungen ist also kein Formulierungsunterschied zwischen DGL (1.4) und PvW (1.9) festzustellen. Dies ist auch nicht weiter
verwunderlich, da ja Gl. (1.9) lediglich die schwache Form von Gl. (1.4) darstellt.
In Anlehnung an die Skalarproduktbildung von Vektoren werden die Arbeitsausdrücke
(1.9.1) und (1.9.2) auch als orthogonale Formen bezeichnet, da die Arbeiten nur dann
verschwinden, wenn die virtuellen Verschiebungsfunktionen und die wirklichen Kräftefunktionen im verallgemeinerten Sinne senkrecht zueinander stehen. Die weitere Vorgehensweise besteht nun darin, die schwachen Orthogonalformen für die numerische
Berechnung in zweckmäßiger Weise aufzubereiten, um die praktische Anwendung des
PvW zu erleichtern.
– 1 / 18 –
Die Suche nach optimalen Lösungswegen ist nicht neu. Dieses Problem tritt auch bei
den handrechnungsorientierten Berechnungsvarianten der klassischen Baustatik auf
und ist dort ebenfalls von zentraler Bedeutung. Vor allem die Wahl von optimalen Grundsystemen ist als ein typisches Beispiel anzusehen. Unterschiedliche, statisch oder geometrisch bestimmte Grundsysteme beeinflussen zwar nicht die Lösung, haben aber
großen Einfluß auf den Lösungsweg und damit auf den numerischen Aufwand. Der ist
bei günstiger Wahl gering, kann aber bei ungünstiger Wahl sehr groß werden, so daß
es sich immer auszahlt, vorab über diese Zusammenhänge nachzudenken, wenn man
das Kraftgrößenverfahren (KGV) oder das DWV anwendet.
Das gilt natürlich auch für das VdS, wo sich die Überlegungen von der anschaulichen
zur analytischen Problemformulierung verlagern. Im Mittelpunkt des Interesses steht
die Suche nach einer optimalen Form der Arbeitsausdrücke Gl. (1.9.1 und 1.9.2). Um
sie zu finden, werden mit Hilfe der partiellen Integration
[ u(x) v(x) ] R +
ŕ uȀ(x) v(x)dx ) ŕ u(x) vȀ(x)dx
des Produktausdrucks
( u(x) v(x) )Ȁ + uȀ(x) v(x) ) u(x) vȀ(x)
Umformungen in den Ableitungen von Gl. (1.9) vorgenommen. Sie führen dazu, daß
im PvW neben veränderten Gebietsausdrücken zusätzlich auch Randausdrücke auftreten. Sie sind in den Knoten R = (A, B) definiert, die das Integrationsgebiet des Produktausdrucks begrenzen.
Für den Dehnstab Gl. (1.9.1) ist eine Umformung erforderlich, um eine von zwei Ableitungen, die bei den wirklichen Verschiebungen u(x) stehen, auf die virtuelle Verschiebung uv(x) zu übertragen, so daß sich eine hinsichtlich der Verschiebungsableitungen
symmetrische Form des Arbeitsausdrucks (1.9.1) ergibt.
ŕ u (x) EA uȀȀ(x) dx + [u (x) EA uȀ(x)] * ŕ uȀ (x) EA uȀ(x) dx.
v
v
v
R
N(x)
(1.10.1)
N(x)
Beim Biegestab sind dagegen zwei von vier Ableitungen, die bei der wirklichen Durchbiegung w(x) stehen, auf die virtuelle Durchbiegung wv(x) zu übertragen, um einen
hinsichtlich der Ableitungsverteilung symmetrischen Ausdruck von Gl. (1.9.2) zu erhalten. Dazu sind zwei Umformungen erforderlich.
– 1 / 19 –
ŕ w (x) EI wȀȀȀȀ(x) dx + [w (x) EI wȀȀȀ(x)] * ŕ wȀ (x) EI wȀȀȀ(x) dx
v
v
v
R
–Q(x)
–Q(x)
(1.10.2)
und
ŕ wȀ (x) EI wȀȀȀ(x) dx + [wȀ (x) EI wȀȀ(x)] * ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) dx.
v
v
v
R
ϕv(x)
–M(x)
–M(x)
Die Umformung Gl. (1.10.1) wird in die Ausgangsgleichung (1.9.1) eingesetzt. Nach einem Vorzeichenwechsel folgt daraus das umgeformte PvW für den Dehnstab.
N(x)
W v(u v, u) +
ŕ uȀ (x) EA uȀ(x) dx * ŕ u (x) n dx * [ u (x) N(x) ]
v
v
v
εv(x)
R
+ 0.
(1.11.1)
Wird die Umformung Gl. (1.10.2) in die Ausgangsgleichung (1.9.2) eingesetzt, ergibt
sich daraus das umgeformte PvW für den Biegestab.
–M(x)
W v(w v, w) +
ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) dx * ŕ w (x) p dx
v
v
* k v(x)
(1.11.2)
* [ w v(x) Q(x) ] R ) [ ö v(x) M(x) ] R + 0.
Die unterschiedlichen Formulierungen der Arbeitsausdrücke haben die baustatische
Aussage des PvW nicht verändert. Sowohl Gl. (1.9) als auch Gl. (1.11) stellen Gleichgewichtsbedingungen dar. Die symmetrischen Formen der umgeformten Ausdrücke
lassen aber hinsichtlich der numerischen Anwendung Vorteile erwarten, da sich durch
die Absenkung der Ableitungsordnung die erforderliche Ansatzhöhe deutlich verringert.
Die umgeformten Gleichungen (1.11.1 und 1.11.2) müssen in der vorliegenden Form
nur noch die geometrischen Randbedingungen der virtuellen und wirklichen Weg–
größen erfüllen. Die wirklichen Kraftzustände sind ableitungsfrei, so daß die statischen
Randbedingungen entfallen. Die Randausdrücke R = (A, B) aus der partiellen Integration (1.10.1 und 1.10.2), die auch in den umgeformten Gleichungen (1.11.1 und 1.11.2)
auftreten, sind i.a. ungleich Null. Es ist daher zunächst zu überprüfen, unter welchen
Bedingungen die Randausdrücke ggf. entfallen.
– 1 / 20 –
An einem Rand treten entweder nur geometrische oder nur statische Randbedingungen auf oder es liegen gemischte Randbedingungen vor, die sich aus geometrischen
und statischen Einzelbedingungen zusammensetzen. Die Randausdrücke sind also in
den Stab– bzw. Elementknoten R = A und R = B jeweils in einen geometrischen und
einen statischen Anteil aufzuspalten.
R + RW ) RK
(1.5.1)
Auf RW = (A, B) sind mit Weggrößen (Index W) geometrische Randbedingungen zu
erfüllen und auf RK mit Kraftgrößen (Index K) statische Randbedingungen.
Wie dies konkret zu geschehen hat, soll am Beispiel des im (Bild 1.9) dargestellten
Kragarmelements diskutiert werden.
A
B
Feste Einspannung in A:
Freier Rand in B:
R = RW.
R = RK.
Bild 1.9 : Kragarmelement mit geometrischen und statischen Randbedingungen
Die feste Einspannung fällt mit dem Knoten A zusammen, so daß auf R = A nur homogene geometrische Randbedingungen auftreten. Es gilt also speziell im Knoten A mit
R = RW
u = uA = 0
³
uv
=
u vA + 0,
³
NA 0 0 ,
w = wA = 0
³
wv
=
w vA + 0,
³
QA 0 0 ,
ϕ = ϕA = 0
³
ϕv
=
ö vA + 0
³
MA 0 0
und ganz allgemein ohne konkreten Knotenbezug für inhomogene geometrische Randbedingungen
u(x) = u
³
uv(x) = 0
³
N(x) 0 0
w(x) = w
³
wv(x) = 0
³
Q(x) 0 0
ϕ(x) = ϕ
³
ϕv(x) = 0
³
M(x) 0 0
– 1 / 21 –
(1.12.1)
auf R = RW.
(1.12.2)
(1.12.3)
Unter diesen, und nur unter diesen Voraussetzungen sind die Ausdrücke von RW–Rändern in den Gl. (1.11.1 und 1.11.2) Null und entfallen aus der numerischen Berechnung.
Das Verschwinden der RW–Randausdrücke ist also an das Verschwinden der virtuellen
Randverschiebungen und der virtuellen Randverdrehungen auf den Stab– bzw.
Elementrändern gekoppelt, die bei Stabtragwerken mit den diskreten Knotengrößen
zusammenfallen. Für die virtuellen Wege sind dies Zwangsbedingungen, so daß die
geometrischen Randbedingungen auch als wesentliche Randbedingungen des umgeformten PvW bezeichnet werden. In der Baustatik hat sich dafür die Bezeichnung zulässige virtuelle Wege etabliert. Eine anschauliche Deutung dieser Aussage ist in der
Definition des geometrisch bestimmten Grundsystems des DWV zu finden, das durch
Fesseln die geometrischen Randbedingungen erfüllt, vgl. z.B. (Bild 1.7).
Der freie Rand fällt mit dem Knoten B zusammen, so daß auf R = B nur homogene
statische Randbedingungen auftreten. Es gilt also speziell im Knoten B mit R = RK
NB = 0
³
uB 0 0
³
u vB 0 0,
QB = 0
³
wB 0 0
³
w vB 0 0,
MB = 0
³
ϕB 0 0
³
ö vB 0 0
und ganz allgemein ohne konkreten Knotenbezug für inhomogene statische Randbedingungen
N(x) = N ³
u(x) 0 0
³
uv(x) 0 0
Q(x) = Q ³
w(x) 0 0
³
wv(x) 0 0
M(x) = M ³
ö(x) 0 0
³
ϕv(x) 0 0
(1.13.1)
auf R = RK.
(1.13.2)
(1.13.3)
Diese Bedingungen sind ohne besondere Anforderungen an die virtuellen Weggrößen
von vornherein erfüllt. Die statischen Randbedingungen werden daher auch als natür–
liche Randbedingungen des umgeformten PvW bezeichnet, da sie als Gleichgewichtsbedingungen unmittelbar durch die schwache Form Gl. (1.11) erfaßt werden. Im Fall von
homogenen statischen Randbedingungen entfallen die Randausdrücke auf RK–Rändern und im Fall von inhomogenen Bedingungen haben sie die Qualität von Einwirkungen.
Die Aufteilung in wesentliche und natürliche Randbedingungen ist mathematisch auch
an der Reduzierung der Ableitungsordnung erkennbar, die sich infolge der Umformung
im Dehnungsanteil von zwei auf eins und im Biegungsanteil von vier auf zwei verringern.
Mit den Bedingungen Gl. (1.12.1 und 1.13.1) folgt aus Gl. (1.11.1) eine neue Arbeitsgleichung für den Dehnstab und mit den Bedingungen Gl. (1.12.2, 1.12.3 und 1.13.2,
1.13.3) aus Gl. (1.11.2) eine neue Arbeitsgleichung für den Biegestab.
– 1 / 22 –
N(x)
Dehnstab: W v(u v, u) +
ŕ(uȀ (x) EA uȀ(x) * u (x) n)dx + 0
v
v
(1.14.1)
e v(x)
und
* M(x)
Biegestab: W v(w v, w) +
ŕ(wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) * w (x) p)dx + 0.
v
v
(1.14.2)
* k v(x)
Die Schnittgrößen N(x) und M(x) in Gl. (1.14) sind ableitungsfrei. Statische Rand–
bedingungen sind daher explizit nicht zu erfüllen (natürliche Randbedingungen). Ab–
zuleiten sind nur die virtuellen und wirklichen Weggrößen. Für sie sind daher die geometrischen Randbedingungen explizit zu erfüllen (wesentliche Randbedingungen). Die
Arbeitsausdrücke Gl. (1.14.1 und 1.14.2) des umgeformten PvW werden nun durch
Produkte aus
Virtuellen Verzerrungen x Wirklichen Schnittgrößen
gebildet. Für den dehn– und biegesteifen aber schubstarren Stab sind das die Produkte
aus der virtuellen Dehnung e v(x) mal der wirklichen Längskraft N(x) sowie der virtuellen Verkrümmung k v(x) mal dem wirklichen Schnittmoment M(x). Das Produkt aus der
virtuellen Gleitung g v(x) mal der wirklichen Querkraft Q(x) entfällt für schubstarre
Querschnitte, da g(x) 5 0 und damit auch g v(x) 5 0 gilt. Werden die virtuellen Ver–
zerrungen
e v(x) +
ē ǒe K(x) + uȀ(x)Ǔ
duȀ(x) + duȀ(x) + de K(x)
ē uȀ(x)
k v(x) +
ē ǒk K(x) + * wȀȀ(x)Ǔ
dwȀȀ(x) + * dwȀȀ(x) + dk K(x)
ē wȀȀ(x)
und
speziell als Änderung der kinematischen Verzerrungen (Index K) definiert, so erhält
man nach der Integration über das differentielle Änderungssysmbol δ (Differential
einer Funktion) das z.B. aus der Mechanik bekannte Prinzip vom Minimum der Form–
änderungsenergie
P(u, w) + 1
2
ŕƪEA(uȀ(x)) ) EI(wȀȀ(x)) ƫdx * ŕ[u(x)n ) w(x)p]dx + Minimum,
2
2
(1.15)
vielfach auch als Prinzip vom Minimum der potentiellen Energie bezeichnet. Aus baustatischer Sicht ist Gl. (1.15) ebenfalls als Gleichgewichtsaussage zu interpretieren.
Notwendige Bedingung dafür, daß Gl. (1.15) einen minimalen Wert annimmt, ist die Erfüllung des PvW, also der Gl. (1.14.1 und 1.14.2), die ja Gleichgewichtsaussagen darstellen.
– 1 / 23 –
1.3.3
Näherungsansätze und Diskretisierung
Die durch die partielle Integration (1.10) entstandene Form des PvW (1.14) wird durch
die enge Verwandtschaft mit Gl. (1.15) auch als energetische Form des Prinzips bezeichnet. Gegenüber dem orthogonalen Prinzip (1.9) weist das energetische Prinzip
(1.14) zwei entscheidene Vorteile auf:
1.
Durch die symmetrische Verteilung der Ableitungen auf virtuelle und wirkliche
Weggrößenfunktionen halbiert sich die Ableitungsordnung des PvW im Dehn–
und Biegeanteil.
2.
Im Zusammenhang mit der Reduzierung der Ableitungsordnung verringert sich
auch die Anzahl der wesentlichen Randbedingungen. Zum energetischen PvW
(1.14) gehören lediglich die geometrischen Randbedingungen (1.12), während
das orthogonale PvW (1.9) bzw. die DGL (1.4) zusätzlich auch die statischen
Randbedingungen (1.13) als Zwangsbedingungen erfüllen muß.
Diese Vorteile kommen unmittelbar zum Tragen, wenn es um die praktische Anwendung der bislang nur analytisch formulierten Arbeitsgleichungen geht. Dazu müssen die
virtuellen Arbeitsgleichungen (1.14.1) und (1.14.2) oder die Formänderungsenergie
(1.15) numerisch ausgewertet werden. Zur Konkurrenz sind alle Funktionen zugelassen, die u(x) und uv(x) sowie w(x) und wv(x) in der Weise erfassen, daß sie min–
destens einen konstanten Arbeitsanteil pro Stab bzw. Element liefern und die geometrischen Randbedingungen Gl. (1.12.1 bis 1.12.3) auf R = RW erfüllen.
In der Baustatik ist es üblich, das PvW (1.14) und nicht das Prinzip vom Minimum der
Formänderungsenergie (1.15) als Berechnungsgrundlage zu verwenden. Daher ist zunächst darüber zu entscheiden, wie die virtuellen Verschiebungen in Gl. (1.14) zu konstruieren sind, um eine eindeutige Zuordnung zwischen der Anzahl der Unbekannten
und der Anzahl der verfügbaren Gleichungen zu erhalten. In Gl. (1.14.1) sind uv(x) und
u(x) unbekannt und in Gl. (1.14.2) wv(x) und w(x). Das Verhältnis beträgt demnach
4 : 2. Es ist also über uv(x) und wv(x) zu verfügen, um u(x) mit Gl. (1.14.1) und w(x)
mit Gl. (1.14.2) berechnen zu können. Als virtuelle Größen sind sie an sich vollkommen
frei wählbar. Durch die Umformung des PvW von Gl. (1.9) nach Gl. (1.14) liegen aber
bereits Einschränkungen vor. Gl. (1.12) setzt nämlich voraus, daß neben den wirklichen
auch die virtuellen Weggrößen die geometrischen Randbedingungen zu erfüllen haben. Dies ist im vorliegenden Fall am einfachsten zu erreichen, wenn in Gl. (1.14.1) und
Gl. (1.14.2) die virtuellen und die wirklichen Verschiebungen in der Weise voneinander
abhängen, daß sich die virtuellen Verschiebungen als Änderungen (Variation) der wirk–
lichen Verschiebungen ergeben.
Für den Dehnstab gilt
1
u v(x) + ǒu h(x) * u(x)Ǔ
+
h³0
ē u(x)
ē u(x)
– 1 / 24 –
d u(x)
(1.16.1)
und für den Biegestab
1
w v(x) + ǒw h(x) * w(x)Ǔ
+
h³0
ē w(x)
ē w(x)
d w(x).
(1.16.2)
Alle benachbarten Verschiebungsfunktionen u h(x) und w h(x), die im Wertebereich des
η–Parameters liegen, sind als Vergleichsfunktionen zur Konkurrenz zugelassen. Das
Änderungssymbol δ drückt im Fall der Grenzwertbildung h ³ 0 mit δu(x) und δw(x)
die Abweichungen zum wirklichen Verlauf der Verschiebungsfunktionen u(x) und w(x)
aus.
Beim DWV vermeidet man virtuelle Ansätze in der Art von Gl. (1.16). Sie führen
zwangsläufig zu inneren Arbeitsanteilen, die den numerischen Aufwand im Rahmen einer Systembetrachtung deutlich erhöhen. Zur Durchführung der Handrechnung am Gesamtsystem ist es zweckmäßig, die Fesseln des geometrischen Grundsystems durch
lokale kinematische Ketten starr zu bewegen, um durch diese Maßnahme die innere
virtuelle Arbeit der Stäbe auszuschalten. Diese Vorgehensweise ist im (Bild 1.10) am
Beispiel einer Knotendrehfessel dargestellt.
ÇÇ
ÇÇ
a) Dehn– und biegesteifer Rahmen
b) Geometrisch bestimmtes Grundsystem
Yv = 1
Y=1
ÇÇ
ÇÇ
ÇÇ
ÇÇ
0
0
c) Einheitsverdrehung Y
d) Virtuelle Verdrehung Y v 0 Y
Bild 1.10 : Wirkliche und virtuelle Größen beim DWV
– 1 / 25 –
Dagegen ist beim VdS lediglich die stab– bzw. elementbezogene Auswertung des
zuvor analytisch formulierten PvW durchzuführen. Dafür erweist sich wiederum
Gl. (1.16) als optimal. Der Vergleich verdeutlicht, daß virtuelle Ansätze zwar sehr unterschiedlich gestaltet werden können, daß sie letztendlich aber doch auf identische Ergebnisse führen.
Beim PvW des Dehnstabs Gl. (1.14.1) sind u(x) und uv(x) jeweils einmal abzu–
leiten, so daß mindestens ein linearer Verlauf zwischen den Knoten A und B erforderlich ist, um einen konstanten Arbeitsanteil pro Stab bzw. Element zu erhalten. Ein linearer Funktionsverlauf ist mit zwei Freiwerten verknüpft. Sie reichen aus, um in den Knoten A und B eines Stabs bzw. Elements die geometrischen Randbedingungen (1.12.1)
zu formulieren. Für den Dehnanteil des PvW ist daher ein linearer Näherungsansatz
für u(x) und uv(x) als zulässig anzusehen, da er die Minimalbedingungen erfüllt.
Es erweist sich als zweckmäßig, die gewählten Näherungsansätze für u(x) und uv(x)
auf die dimensionslose Koordinate c + c(x, s) zu beziehen, vgl. (Bild 1.11a) und die
Ansatzfreiwerte auf die Stützwerte von u(x) und uv(x) in den Knoten A und B zu
normieren, vgl. (Bild 1.11b).
u(c) + 1 (1 * c)u A ) 1 (1 ) c)u B
2
2
(1.17.1)
u v(c) + 1 (1 * c)u vA ) 1 (1 ) c)u vB.
2
2
(1.17.2)
und
Die Ansätze für die wirklichen Gl. (1.17.1) und virtuellen Verschiebungen Gl. (1.17.2)
unterscheiden sich nur durch die unterschiedliche Bedeutung der Stützwerte voneinander. Der Verlauf zwischen den Knoten A und B stimmt dagegen vollständig überein.
Die Verträglichkeit zwischen unmittelbar benachbarten Stäben bzw. Elementen ist beim
VdS durch das Gleichsetzen der Knotenwerte in einfacher Weise zu erfüllen. Der
mathematische Prozeß des Gleichsetzens von Knotenwerten zur Erzwingung einer
dehnsteifen Verbindung ist beim DWV mit dem Einführen einer Fessel vergleichbar
(Bild 1.10), so daß sich wiederum eine vollständige Analogie zwischen beiden Verfahren ergibt.
Das Biegeproblem ist von zweiter Ordnung. Zur Auswertung von Gl. (1.14.2) sind w(x)
und wv(x) jeweils zweimal abzuleiten. Es ist daher mindestens eine quadratische Näherung für beide Funktionen erforderlich, um konstante Stab– bzw. Elementarbeiten zu
erhalten. Eine quadratische Funktion ist mit drei Freiwerten verknüpft. Die geometrischen Randbedingungen des Biegeproblems sind durch zwei Gleichungen definiert,
nämlich Gl. (1.12.2) und Gl. (1.12.3). Da sich die wirklichen und virtuellen Verdrehungen
ϕ(x) und ϕv(x) aus den Ableitungen der wirklichen und virtuellen Verschiebung w(x)
und wv(x) ergeben, ist in den Knoten A und B jeweils das Gleichsetzen von wirklichen
und virtuellen Verschiebungen und Verdrehungen erforderlich, um benachbarte Elemente biegesteif miteinander zu verbinden. Dazu sind aber vier und nicht drei Freiwerte
in der Näherungsfunktion von w(x) und wv(x) notwendig. Es ist daher ein kubischer
Ansatz erforderlich, um die Verträglichkeit zu erfüllen.
– 1 / 26 –
Auch beim Biegestab ist es zweckmäßig, für w(x) und wv(x) gleichwertige Näherungsansätze zu wählen, sie auf die dimensionslose Koordinate ξ = ξ(x, s) zu beziehen, vgl.
(Bild 1.11a) und die Ansatzfreiwerte auf die Knotenstützwerte der wirklichen und virtuellen Verschiebungen sowie deren Ableitungen zu normieren, vgl. (Bild 1.11c).
B (c + 1)
A (c + * 1)
ϕ
u
x, c
w
s
2
s
2
s
a) Stabgeometrie
ǒ
Ǔ
u A, u vA
1 (1 * c)
2
1
1 (1 ) c)
2
1
ǒu B,
u vBǓ
b) Dehnstab
ǒwA,
w vAǓ
ǒöA,
ö vA
1 (1 * c)2(2 ) c)
4
1
s (1 * c)2(1 ) c)
8
Ǔ
1
1 (1 ) c)2(2 * c)
4
1
* s (1 ) c) 2(1 * c)
8
ǒwB,
w vBǓ
ǒö B,
ö vBǓ
1
c) Biegestab
Bild 1.11 : Näherungsansätze
– 1 / 27 –
2
2
w(c) + 1 (1 * c) (2 ) c) w A ) s (1 * c) (1 ) c) ö A
4
8
(1.18.1)
2
2
) 1 (1 ) c) (2 * c) w B * s (1 ) c) (1 * c) ö B
4
8
und
2
2
w v(c) + 1 (1 * c) (2 ) c) w vA ) s (1 * c) (1 ) c) ö vA
4
8
(1.18.2)
2
2
) 1 (1 ) c) (2 * c) w vB * s (1 ) c) (1 * c) ö vB.
4
8
Die im (Bild 1.11b und 1.11c) dargestellten und durch die Gleichungen (1.17 und 1.18)
analytisch formulierten Weggrößenansätze erfüllen zwei wichtige Voraussetzungen,
um das PvW praktisch anwenden zu können.
1.
Zwischen den Knoten von Einzelstäben bzw. Einzelelementen erfassen sie den
Verlauf der unbekannten Verschiebungsfunktionen ggf. genau, zumindest aber
näherungsweise, so daß die Integration der Arbeitsausdrücke (1.14.1 und 1.14.2)
explizit durchgeführt werden kann.
2.
Die Freiwerte der Ansätze sind als Stütz– bzw. Ableitungswerte der Verschiebungsfunktionen direkt auf die Knoten bezogen. Es sind unbekannte Knoten–
größen, die sich nach der Durchführung der Integration mit dem nun diskretisierten PvW berechnen lassen und unmittelbar baustatische Ergebnisse darstellen.
Mit Hilfe der Näherungsansätze Gl. (1.17 und 1.18) wird beim VdS der Übergang vom
analytischen zum diskreten und damit numerisch berechenbaren Problem vollzogen.
Für die Rechneranwendung erweist sich als zweckmäßig, diesen Prozeß in Form einer
Matrizengleichung darzustellen. Daher wird das VdS vielfach auch als Matrizenstatik
bezeichnet. Dies ist aber höchst überflüssig und zudem auch irreführend, da die modische Namensgebung andeutet, daß eine neue und damit ggf. auch andere Statik vorliegt. Dies ist aber in keiner Weise der Fall. Das VdS beruht nach wie vor auf den gleichen theoretischen Grundlagen wie die klassischen Verfahren KGV und DWV.
Lediglich die methodische Vorgehensweise ist stärker auf Rechner zugeschnitten, so
daß sich als Formulierungshilfe zwangsläufig die Matrizendarstellung anbietet. Deswegen aber den eigenständigen Begriff Matrizenstatik zu bemühen, ist höchst überflüssig und ohne jeden Erkenntnisgewinn.
– 1 / 28 –
1.3.4
Matrizendarstellung des PvW
Die Auswertung des PvW (1.14) mit den Ansätzen (1.17 und 1.18) ist ein rein technischer Vorgang. Die Durchführung kann für den Dehn– und Biegestab in getrennter
Form erfolgen, da die Berechnungstheorien durch den Hauptachsenbezug in entkop–
pelter Form vorliegen. Die Ansatzkoordinate ξ hat ihren Ursprung in der Mitte eines
Stabs bzw. Elements. Sie ist mit der x–Koordinate durch die halbe Elementlänge verknüpft, vgl. (Bild 1.11a). Es gilt
x + s c,
2
dx + s dc
2
(1.19.1)
(1.19.2)
und
dc
+2
s.
dx
(1.19.3)
Die Integration von Gl. (1.14.1) und Gl. (1.14.2) über den Weg dx ist mit Hilfe von
Gl. (1.19.2) zwischen den Grenzen c + ) 1 (Knoten B) und c + * 1 (Knoten A)
durchzuführen. Bei der Ableitung der Integranden, die sich auf die x–Koordinaten bezieht, ist mit Hilfe von Gl. (1.19.3) die Kettenregel zu beachten.
Die Auswertung beginnt mit dem Arbeitsausdruck Gl. (1.14.1) des Dehnstabs. Dazu
wird Gl. (1.17) einmal abgeleitet. Man erhält
uȀ(x) +
ǒ
Ǔ
ǒ
Ǔ
uA uB
du(c) dc
·
+ * 1 uA ) 1 uB · 2
+
*
s
s ) s
2
2
dc dx
(1.20.1)
und
v
v
uA uB
du v(c) dc
·
+ * 1 u vA ) 1 u vB · 2
+
*
uȀ (x) +
s
s ) s .
2
2
dc dx
v
(1.20.2)
Die Verläufe der Dehnsteifigkeit EA und der Streckenlast n sind vereinbarungsgemäß
als konstant anzunehmen. Nach dem Einsetzen von Gl. (1.17 und 1.20) kann daher
die Integration von Gl. (1.14.1) analytisch durchgeführt werden.
Diese Vorgehensweise ist für den Biegestab zu wiederholen. Zur Auswertung des Arbeitsausdrucks Gl. (1.14.2) ist Gl. (1.18) zweimal abzuleiten. Man erhält
ǒ Ǔ
d 2w(x) dc
·
wȀȀ(x) +
dx
dc 2
+
ǒ
2
(1.21.1)
Ǔ
ǒ Ǔ
ǒ
Ǔ
6c
* 1 ) 3c
6c
1 ) 3c
wA )
öA ) * 2 wB )
öB
2
s
s
s
s
– 1 / 29 –
und
wȀȀ v(x)
ǒ Ǔ
d 2wv(x) dc
+
·
dx
dc 2
+
2
ǒ
(1.21.2)
Ǔ
ǒ Ǔ
ǒ
Ǔ
* 1 ) 3c v
1 ) 3c v
6c v
6c v
wA )
ö
)
*
w
)
ö B.
A
B
2
2
s
s
s
s
Da auch die Verläufe der Biegesteifigkeit EI und der Streckenlast p vereinbarungsgemäß als konstant anzunehmen sind, kann nach dem Einsetzen von Gl. (1.18 und 1.21)
die Integration von Gl. (1.14.1) ebenfalls analytisch durchgeführt werden.
Das PvW bilanziert virtuelle Arbeiten, die einzeln und in der Summe verschwinden, um
den Gleichgewichtszustand von zunächst einem Stab bzw. Element zu erfüllen. Die Integration von Gl. (1.14.1 und 1.14.2) führt daher zwangsläufig auf skalare Größen. Dieser Sachverhalt muß sich demnach auch im Schema einer Matrizendarstellung des
PvW widerspiegeln. Die Struktur der Matrizengleichung ist also eindeutig vorgeschrieben. Um skalare Größen zu erhalten, sind die inneren Arbeitsausdrücke als quadratische Formen zu gestalten und die äußeren Arbeitsausdrücke als Skalarprodukte.
Dies gelingt in einfacher Weise, wenn man die virtuellen Weggrößen der Knoten A
T
und B in einer Matrizenzeile ǒv vlǓ und die wirklichen Weggrößen in einer Matrizenspalte vl zusammenfaßt. Obwohl sie aus physikalischer Sicht keine Vektoren darstellen, werden sie aber trotzdem vielfach als Vektoren bezeichnet. Zwischen dem Zeilen–
und Spaltenvektor muß dann eine quadratische Matrix, nämlich die Steifigkeitsma–
trix kll stehen, um nach der Matrizen–Produktregel eine quadratische Form aus–
drücken zu können. Werden zusätzlich noch die auf die Knoten A und B reduzierten
Streckenlastanteile in einer Matrizenspalte s 0l zusammengefaßt, ist die Matrizengleichung des PvW bekannt.
W vǒv vl, v lǓ + ǒv vlǓ ·ǒk llv l * s 0lǓ + 0
T
(1.22.1)
oder in kurzer Schreibweise
W vǒv vl, s lǓ + ǒv vlǓ ·s l + 0
(1.22.2)
s l + k ll·vl * s 0l.
(1.22.3)
T
mit
Der Index (l) verdeutlicht den lokalen Bezug der diskretisierten Arbeitsgleichung (1.22),
die das statische Verhalten eines Stabs bzw. Elements beschreibt. Die diskrete Form
ist in der Kurzschreibweise Gl. (1.22.2) besonders deutlich zu erkennen. Durch die ForT
derung, daß der aus virtuellen Weggrößen ǒv vlǓ und wirklichen Kraftgrößen sl gebil– 1 / 30 –
dete virtuelle Arbeitsausdruck Wv in den Knoten A und B verschwinden muß, wird
der lokale Gleichgewichtszustand zwischen den “inneren und äußeren Streckenlasten”
erfüllt, die im Bereich des betrachteten Stabs bzw. Elements wirken. Diejenigen Knotengrößen von sl , die sich unmittelbar aus der Einwirkung von äußeren Streckenlasten
ergeben, sind durch s 0l bekannt. Sie bilden den partikulären Anteil von Gl. (1.22.3). Die
“inneren Streckenlasten”, die in den DGL (1.4) als Änderung der Schnittgrößen auftreten, bilden den homogenen Anteil von Gl. (1.22.3). Sie lassen sich ebenfalls durch Knotengrößen ausdrücken. Im Rahmen des VdS geschieht dies durch den Produktansatz
aus Steifigkeitsmatrix kll mal wirklichen Knotenweggrößen vl , der in Gl. (1.22.3) die
“inneren Knotenlastanteile” in Form einer Weggrößenformulierung erfaßt.
Beim Zusammenbau der Einzelstäbe bzw. Einzelelemente zu einem statischen Berechnungssystem können in einem Systemknoten ein oder mehrere Stäbe bzw. Elemente
zusammentreffen, vgl. Abschnitt 1.2. Es ist daher zweckmäßig, die Stab– bzw. Elementgleichungen (1.22.1 bis 1.22.3) in ein knotenbezogenes Untermatrizenschema aufzulösen, um beim Zusammenbau unmittelbar auf die Knotenanteile der Steifigkeitsmatrix
und der Knotenbelastung zugreifen zu können. Anstelle der Gl. (1.22.1 bis 1.23.3) gelten daher auch die Matrizengleichungen
W
v
ǒv vl, v lǓ
A, B
+
ǒvvl, AǓ ǒvvl, BǓ
T
T
W
ǒv vl, s lǓ
A, B
+
ǒvvl, AǓ ǒvvl, BǓ
T
k ll, AB
v l, A
k ll, BA
k ll, BB
v l, B
s 0l, A
–
v
k ll, AA
= 0,
s 0l, B
s l, A
T
=0
s l, B
(1.23.1)
(1.23.2)
und
s l, A
s l, B
=
k ll, AA
k ll, AB
v l, A
k ll, BA
k ll, BB
v l, B
–
s 0l, A
s 0l, B
.
(1.23.3)
Die Matrizen k ll, AA und k ll, AB geben z.B. den Einfluß an, den die Weggrößen v l, A
am Knoten A und v l, B am Knoten B auf die Kraftgröße s l, A am Knoten A ausüben.
Die Untermatrizen des VdS sind mit den Zwangsgrößen Zij des DWV vergleichbar,
die ebenfalls wechselseitige Einflüsse von Weg– auf Kraftgrößen erfassen, nämlich den
Einfluß von Einheitsweggrößen Yj = 1 auf Kräfte und Momente in den (i)–Fesseln von
geometrischen Grundsystemen. Der Einfluß von Einwirkungen, der beim DWV zu
Zi0–Größen führt, wird beim VdS durch die Untermatrizen s 0l, A bzw. s 0l, B erfaßt.
– 1 / 31 –
Die arbeitskonforme Zuordnung der Knotengrößen aus Gl. (1.23) ist (Bild 1.12) zu entnehmen.
M A, ö A, ö vA
A
ϕ
N A, u A, u vA
N B, u B, u vB
x, u
z, w
Q A, w A, w vA
M B, ö B, ö vB
B
Q B, w B, w vB
Bild 1.12: Knotengrößen für den lokalen Dehn– und Biegestab
Die Darstellung bezieht sich auf den Sonderfall des lokalen Dehn– und Biegestabs in
der Ebene. Die Vorzeichen der Kraft– und Weggrößen stimmen an beiden Knoten überein. Eine nachträgliche Vorzeichenanpassung entfällt. Durch die Anwendung des PvW
ergeben sich alle Kraftgrößen in s l unmittelbar als Knotengrößen, die in Richtung der
virtuellen und wirklichen Weggrößen v vl und v l zeigen. Die expliziten Formen der symbolischen Matrizengleichungen (1.23.1 bis 1.23.3) sind daher in baustatischer Hinsicht
unter Beachtung dieser, im (Bild 1.12) veranschaulichten Vorzeichenregelung zu bewerten. Für Gl. (1.23.2) gilt
Wirkliche Kraftgrößen
NA
QA
Knoten A
MA
Virtuelle Weggrößen
=0
NB
Wv
+ǒ
v vl
Ǔ
T
sl +
u vA
w vA
ö vA
Knoten A
u vB
w vB
ö vB
Knoten B
– 1 / 32 –
QB
MB
Knoten B
und für Gl. (1.23.3)
Wirkliche
Kraftgrößen
sl
Weggrößen
Steifigkeitsmatrix kll
vl
NA
EA
s
0
0
* EA
s
0
0
uA
QA
0
12 EI3
s
6 EI2
s
0
* 12 EI3
s
6 EI2
s
wA
MA
0
6 EI2
s
4 EI
s
0
* 6 EI2
s
2 EI
s
ϕA
Knoten A
.
=
NB
* EA
s
QB
0
MB
0
0
* 12 EI3 * 6 EI2
s
s
6 EI2
s
0
2 EI
s
EA
s
0
0
uB
0
12 EI3
s
* 6 EI2
s
wB
* 6 EI2
s
4 EI
s
ϕB
0
Knoten B
kll ⋅ vl als homogener Lösungsanteil
ns
2
Knoten A
ps
2
ps 2
12
–
ns
2
ps
2
Knoten B
*
ps 2
12
s 0l
.
Einwirkungsgrößen als partieller Lösungsanteil
– 1 / 33 –
Die knotenbezogenen Kraftgrößen im Biegeanteil von Gl. (1.23.3) stimmen betrags–
mäßig mit den Stabendgrößen von geometrisch bestimmten Grundsystemen überein,
die u.a. beim DWV zur Anwendung gelangen. Sie ergeben sich, wenn in den Knotendrehfesseln Einheitsverdrehungen, vgl. z.B. (Bild 1.10c), in den Knotenwegfesseln Einheitsverschiebungen und im Stabbereich zusätzlich konstante Streckenlasten wirken.
Die Absolutwerte von Gl. (1.23.3) sind daher bereits aus Statik II bekannt. Es sind aber
Unterschiede hinsichtlich der Vorzeichen zu beachten. Sie werden beim DWV durch
die Anschauung festgelegt, beim VdS dagegen durch eine strenge arbeitskonforme
Zuordnung.
Dieser Unterschied ist im (Bild 1.13) verdeutlicht. (Bild 1.13a) zeigt die Stabendmomente infolge einer Einheitsverdrehung Y = 1 am linken Knoten des Stabes. Die Vorzeichen zur Ermittlung der Festhaltemomente in den Fesseln ergeben sich mit Hilfe der
Bezugsfaser unmittelbar aus der Anschauung und werden jeweils durch Drehpfeilpaare
gekennzeichnet. Die Knotenmomente, die sich mit ϕA = Y = 1 und (wA, wB, ϕB) ≡ 0
aus Gl. (1.23.3) ergeben, sind dagegen eindeutig auf den Drehsinn der erzeugenden
Drehung bezogen. Sie sind im (Bild 1.13b) dargestellt.
Interessant ist nun, daß die Richtung der Momentenpfeile, die im (Bild 1.13a) auf der
jeweiligen Stabseite wirken, mit der Drehrichtung der Knotenmomente im (Bild 1.13b)
übereinstimmt. Diese Gleichheit wird beim DWV vielfach genutzt, um eine einheitliche
Drehrichtung der Stabendmomente zu definieren, die sich beim VdS durch die Verwendung des PvW in natürlicher Weise von allein einstellt. Nur hier ist sie deshalb auch
sinnvoll. Beim DWV ist diese Vorgehensweise dagegen mehr oder weniger als künstlich anzusehen, da sie ohne Theorieverständnis erfolgt. Das Arbeiten mit lokalen Drehpfeilen erweist sich beim DWV i.a. als zweckmäßiger. U.a. auch deswegen, weil dann
die Richtung der Einheitsverschiebungszustände vollkommen frei bleibt und keinen
Restriktionen unterliegt.
– 1 / 34 –
Festhaltemoment
in der linken
Fessel
Festhaltemoment
in der rechten
Fessel
Y=1
– EI, s –
2 EI
s
–
4 EI
s
+
a) Stabendmomente beim DWV
A
wA + 0
– EI, s –
ϕ
x, u
z, w
öA + 1
B
wA + 0
öB + 0
M A + 4 sEI
M B + 2 sEI
b) Knotenmomente beim VdS
Bild 1.13 : Vorzeichenvergleich zwischen DWV und VdS
– 1 / 35 –
1.4
Baustatische Systembeschreibung
1.4.1
Systemgleichung
Der Zusammenbau von einzelnen Stäben bzw. Elementen zu einem statischen System
ist unabhängig vom speziell zu untersuchenden Tragwerk und kann daher in allgemeingültiger Form durchgeführt werden.
Beim VdS wird das baustatische Verhalten durch die Summation der virtuellen Arbeitsanteile all derjenigen Stäbe bzw. Elemente erfaßt, die zum konstruktiven Bestand des
betrachteten Gesamtsystems gehören, vgl. z.B. (Bild 1.2). Für n = 1, 2, 3 ... m Stäbe
bzw. Elemente ergibt sich die Systemgleichung zu
ȍ Wvn + 0.
m
W vS
+
(1.24)
+
W vn ist die virtuelle Arbeit Gl. (1.22 bzw. 1.23) des n–ten Stabs bzw. Elements und
W vS die virtuelle Arbeit des Gesamtsystems (Index S). Nach den Regeln des PvW ist
jeder Knoten des diskreten Gesamtsystems im Gleichgewicht, wenn W vS verschwindet.
Die Durchführung der Summationsvorschrift Gl. (1.24) setzt voraus, daß sich alle beteiligten Weggrößen auf ein gemeinsames Koordinatensystem beziehen, um die Verträglichkeit zu erfüllen. Die Arbeitsanteile der einzelnen Stäbe bzw. Elemente sind daher mit
Gl. (1.1) auf globale Systemkoordinaten zu transformieren. Gl. (1.1) in Gl. (1.22) eingesetzt ergibt
W vǒv vg, v gǓ + ǒv vgǓ ·s g + ǒv vgǓ ǒk ggv g * s 0gǓ
(1.25.1)
k gg + T gl kll T lg
(1.25.2)
T
T
mit
als globaler Stab– bzw. Elementsteifigkeitsmatrix und
s 0g + T gl s0l
(1.25.3)
als globaler Stab– bzw. Elementeinwirkungsmatrix, die zusammen den globalen Kraftgrößenvektor sg eines Stabs bzw. Elements bilden. Nach der Transformation sind die
Steifigkeits– und Einwirkungsmatrizen Gl. (1.25.2 und 1.25.3) immer auf globale
Systemkoordinaten bezogen, so daß im weiteren Verlauf der Betrachtung die Kennzeichnung mit dem Index (g) in der Regel entfallen kann. Gl. (1.25.2) und Gl. (1.25.3)
sind explizit in (Tabelle 1.1) angegeben.
– 1 / 36 –
a
k g, AA
k g, AB
k gg =
Symmetrisch
d
b
e
–f
c
–a
–d
–e
a
–d
–b
f
d
b
e
–f
g
–e
f
=
k g, BA
k g, BB
c
,
EI
EA 2
EI
2
2
2
a + EA
s cos a ) 12 s 3 sin a, b + s sin a ) 12 s 3 cos a,
ǒ
Ǔ
EA
EI
c + 4 EI
s , d + s * 12 s 3 sin a · cos a,
e + 6 EI2 sin a, f + 6 EI2 cos a, g + 2 EI
s.
s
s
a) Globale Steifigkeitsmatrix
h
i
s 0g
+
s 0g, A
s 0g, B
j
=
h
i
–j
,
p·s 2
h + s (n· cos a ) p· sin a), i + s (n· sin a * p· cos a), j +
.
2
2
12
b) Globale Einwirkungsmatrix
Tabelle 1.1 : Globale Steifikeiten und Einwirkungen von Einzelstäben bzw.
Einzelelementen
– 1 / 37 –
Die Durchführung der Summationsvorschrift setzt weiter voraus, daß alle Weggrößen
der Systemknoten zu einer Unbekanntenmatrix bzw. einem Unbekanntenvektor V zusammengefaßt werden. Der Zusammenhang zwischen dem Stab– bzw. Elementvektor
v und dem Vektor der Systemunbekannten V ist durch die Inzidenztafel bekannt, vgl.
Abschnitt 1.2. Diese Information ist nun in eine Matrizenformulierung zu überführen, um
sie auf Gl. (1.25) anwenden zu können. Dazu ist die Boole’sche Matrix Bn zu definieren,
die für jedes der n = 1, 2, 3 ... m Elemente eine andere Besetzung aufweist. Durch sie
werden die unbekannten Weggrößen in v und V, die einerseits zur Stab– bzw. Ele–
mentebene und andererseits zur Systemebene gehören, multiplikativ miteinander verknüpft.
v n + B nV, n + 1, 2, 3 AAA m
(1.26)
In (Tabelle 1.2) ist die explizite Form von Gl. (1.26) beispielhaft für den Stab n = 3 des
Gesamtsystems (Bild 1.2a) dargestellt.
Stäbe: n = 1, 2, 3 ... m = 8.
Systemknoten : j = 1, 2, 3 ... k = 9.
Stabknoten : A und B.
2
3
n=
1
3
B=4
A=2
7
4
v1
8
w 12
6
5
w 22
7
1
ö2
8
5
v3
9
Stab– bzw.
Elementknoten
w 24
0
0
1
ö2
v B+4 w 24
0
0
0
0
0
0
1
1
0
v5
.
=
0
v4
ö4
1
v A+2 w 22
w 14
w 14
6
w 12
v2
0
1
0
0
0
0
0
v6
System–
v7
knoten
v8
ö4
1
v9
v3
B3
V
Tabelle 1.2 : Boole’sche Matrix
– 1 / 38 –
Das ebene System besteht aus m = 8 Stäben und k = 9 Knoten. V enthält demnach
3 ⋅9 = 27 Weggrößen, da sich jeder der j = 1, 2, 3 ... k Systemknoten mit zwei Verschiebungen und einer Verdrehung an V beteiligt.
ǒ
Ǔ
V + V v j + ǒw 1j, w2j, ö jǓ , j + 1, 2, 3 AAA k
(1.27)
Der Elementvektor
v n + v nǒvL + ǒw 1L, w 2L, ö LǓǓ, L + A, B
(1.28)
enthält die Weggrößen der Stabknoten L = A und B, die speziell für den n = 3–ten Stab
mit den Systemknoten A = 2 und B = 4 zusammenfallen, vgl. (Bild 1.2a). Immer, wenn
die Nummern von Stab– bzw. Elementknoten und Systemknoten übereinstimmen, ist
Bn an diesen Stellen mit Einheitsmatrizen besetzt, ansonsten mit Nullmatrizen.
Wird Gl. (1.26) unter Beachtung von Gl. (1.27 und 1.28) in Gl. (1.25) eingesetzt und
die Summation gemäß Gl. (1.24) gebildet, erhält man die explizite Form von Gl. (1.24).
In der Matrizengleichung
W vS + (V v) S + (V v) ǒKV * S 0Ǔ + 0
(1.29.1)
n
K + ȍ ǒB TkBǓ
(1.29.2)
T
T
wird
m
+
als globale Systemsteifigkeitsmatrix und
ȍ ǒ B Ts 0 Ǔ n
m
S0 +
(1.29.3)
+
als globale Systemeinwirkungsmatrix bezeichnet.
In (Tabelle 1.3) ist für den Stab n = 3 des Gesamtsystems (Bild 1.2a) der Aufbau von
Gl. (1.29.2 und 1.29.3) dargestellt. Durch die Links– und Rechts– bzw. nur Links–Multiplikation mit der Boole’schen Matrix werden die Stab– bzw. Elementmatrizen k
Gl. (1.25.2) und s0 Gl. (1.25.3) in Untermatrizen gemäß Gl. (1.23) bzw. (Tabelle 1.1)
zerlegt und die knotenbezogenen Untermatrizen so adressiert, daß sie in den Systemmatrizen Gl. (1.29.2 und 1.29.3) den durch die topologische Beschreibung festgelegten
Platz einnehmen. Die Beschreibung mit Matrizen veranschaulicht vor allem den Aufbau
der Systemgleichung. Zur praktischen Durchführung im Rechner ist diese Vorgehensweise aber nicht geeignet, da Produktbildung mit Boole’schen Matrizen eine Vielzahl
von Null–Operationen enthalten. Bei der Programmgestaltung sind sie daher durch geeignete Listenoperationen zu ersetzen.
– 1 / 39 –
k 3
3
0
1
1
1
0
1
0
(B
3
k 22
k 24
0
3
3
0
k 42
k 44
0
0
0
0
k 22
k 24
0
0
0
1
3
3
3
1
k 44
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
ǒ B Tk Ǔ
)T
1
1
1
0
0
0
3
k 22
3
k 42
0
3
ǒ s 0Ǔ 3
B 3
3
k 42
0
1
1
1
0
0
0
0
0
s 02 3
0
0
0
0
0
s 04 3
k 24
3
s 02 3
3
s 04 3
k 44
Symm.
Ein–
wirkung
Steifigkeit
K
S0
k
ǒBTkBǓ
3
3
ǒ B Ts 0 Ǔ
Tabelle 1.3 : Aufbau der Systemmatrizen
Nach dem Abschluß der Summation Gl. (1.24) sind die Systemmatrizen Gl. (1.29.2 und
1.29.3) bekannt. Der Arbeitsausdruck Gl. (1.29.1) formuliert das PvW für ein diskretes
Gesamtsystem. An allen j = 1, 2, 3 ... k Knoten des betrachteten Systems werden mit
virtuellen Weggrößen
ǒ
ǓǓ
ǒ
V v + V v vvj + w v1j, w v2j, ö vj , j + 1, 2, 3 AAA k,
(1.29.4)
die dort wirkenden wirklichen Kraftgrößen
ǒ
ǒ
ǓǓ
S + S s j + f 1j, f2j, m j , j + 1, 2, 3 AAA k
– 1 / 40 –
(1.29.5)
3
bilanziert und durch die Forderung, daß die virtuelle Gesamtarbeiten verschwinden
muß, ins Gleichgewicht gesetzt. Sowohl die Weggrößen Gl. (1.27 und 1.29.4) als auch
die Kraftgrößen Gl. (1.29.5) sind auf globale Systemkoordinaten bezogen. Sie stellen
daher im Sinne des PvW arbeitskonforme Knotenpaare dar, so daß Gl. (1.29.1) den
Gleichgewichtszustand von geometrisch bestimmten, also verträglichen Grundsystemen ausdrückt.
Die Belegung mit Steifigkeiten und Einwirkungen, die sich aus der Systemgleichung
(1.24 bzw. 1.29.1) für alle Stäbe des Gesamtsystems (Bild 1.2a) ergibt, ist in (Ta–
belle 1.4) dargestellt. Immer, wenn zwei und mehr Stäbe in einem Systemknoten zusammentreffen, sind die anteiligen Steifigkeiten bzw. Einwirkungen aus allen Stäben zu
überlagern. Ein direkter Vergleich mit dem DWV verdeutlicht, daß die Knotengrößen
Gl. (1.29.5) den Zwangsgrößen entsprechen, die sich in den Fesseln von geometrischen Grundsystemen des DWV einstellen, wenn Lasten und Einheitswegzustände
am Gesamtsystem wirken.
1.4.2
Berechnung der Weg– und Lagergrößen
Der Arbeitsausdruck Gl. (1.29) enthält alle erforderlichen Gleichgewichtsaussagen des
diskreten Gesamtsystems, um die unbekannten Knotenweggrößen Gl. (1.27) und Knotenkraftgrößen Gl. (1.29.5) berechnen zu können. Damit keine kinematischen Verschiebungen auftreten, sind von den j = 1, 2, 3 ... k Knoten speziell (r) Knoten durch geometrische Randbedingungen ganz oder teilweise zu lagern.
Die Knotengrößen beim VdS sind im (Bild 1.13) dargestellt. In allen Knoten sind zunächst die Weggrößen Vv und V und die Kraftgrößen S definiert (Bild 1.13a). Die
virtuellen und wirklichen Weggrößen der ganz oder teilweise gelagerten (r) Knoten sind
bekannt. Die wirklichen Weggrößen sind entweder Null (homogene Randbedingung)
oder nehmen einen von Null verschiedenen, aber vorgeschriebenen Wert an (inhomogene Randbedingung). Die virtuellen Weggrößen sind in beiden Fällen Null. Sie sind
durch Gl. (1.16) als Änderung der wirklichen Weggrößen definiert. Da diese bei der
Lagerung durch Randbedingungen aber feste Werte annehmen und sich daher nicht
verändern können, müssen die virtuellen Weggrößen zwangsläufig Null werden.
– 1 / 41 –
S
( V v ) TS
( V v) T
ǒVv1Ǔ
T
s1
ǒVv1Ǔ
ǒVv2Ǔ
T
s2
ǒVv2Ǔ
ǒVv3Ǔ
T
s3
ǒVv3Ǔ
ǒVv4Ǔ
T
s4
ǒVv4Ǔ
T
ǒVv5Ǔ
T
s 5 = ǒV v5Ǔ
T
ǒVv6Ǔ
T
ǒ Ǔ
T
T
K
1
k 11
1
k 12
1
T
1
k 21
T
+
3
) k 22
2
k 32
2
k 23
3
k 24
2
k 33
3
3
k 42
4
4
k 44 k 44
– 1 / 42 –
V v7
ǒVv8Ǔ
T
ǒVv9Ǔ
T
ǒVv6Ǔ
s7
ǒ Ǔ
V v7
4
k 54
s6
T
k 45
6
) k 55
5
k 65
6
T
s9
ǒVv9Ǔ
T
5
6
k 56
k 57
5
k 66
6
k 75
ǒVv8Ǔ
v2
s 0,
2
v3
s 03
v4
8
) k 77
7
8
k 79
W vs + (V v) S + (V v) ǒKV * S 0Ǔ + 0
T
T
1
) s 0,
2
2
s 0,
4
3
) s 0,
4
4
. v5 –
s 0,
5
4
) s 0,
5
v6
s 06
v7
s 0,
7
6
) s 0,
7
v8
s 08
v9
s 09
) s 0,
2
3
5
) s 0,
5
6
7
) s 0,
7
8
7
k 77 + k 77
k 87
Tabelle 1.4 : Systemgleichung
s 01
5
k 55 + k 55
T
s8
v1
2
k 22 + k 22
4
W vs
S0
V
7
8
k 78 k 79
7
k 88
9
k 99
für das Gesamtsystem (Bild 1.2a)
!
=0
z.B. Knoten j = 4:
ǒwv24, w24, f 24Ǔ
ǒöv4, ö 4, m 4Ǔ
3
ǒwv14,
w 14, f 14Ǔ
8
4
2
5
7
1
X 2, w v2, w 2, f 2
X 1, w v1, w 1, f 1
ö v, ö, m
9
6
a) Knotengrößen Vv, V und S in allen Knoten
f 23
f 13
3
ö3
w 22
w 12
2
ö2
f 21
f 11
1
m1
f 28
w 24
4
8
w 14
ö4
w 25
w 15
5
ö5
w 27
7
ö7
w 29
m9
w 16
ö6
b) Unbekannte Knotengrößen Vu und Sr am gelagerten System
Bild 1.13 : Knotengrößen beim VdS
– 1 / 43 –
f 18
w 17
f 26
6
m8
9
f 19
Die bekannten Weggrößen sind in den Vektoren V vr und V r zusammengefaßt, so daß
als Weggrößen des gelagerten Systems die Vektoren V vu und V u verbleiben. Die Arbeitsgleichung (1.29.1) nimmt damit die Form
T
W vS +
V vu
V vr
Su
Sr
T
V vu
V vr
=
(1.30)
K uu K ur
Vu
K ru K rr
Vr
S 0u
–
S 0r
=0
an, aus der sich die unbekannten Weggrößen V u der nicht gelagerten Knoten berechnen lassen (Bild 1.13b). Aus der ersten Blockzeile von Gl. (1.30) folgt nämlich mit beliebigen V vu 0 0 das Gleichgewicht der Knotenkräfte S u + 0 und daraus das algebraische Gleichungssystem
K uuV u + S0u * K urV r ,
(1.31.1)
das z.B. mit dem Cholesky–Verfahren nach V u aufgelöst werden kann /6/. Damit sind
alle Weggrößen des Gesamtsystems bekannt. Aus der zweiten Blockzeile von
Gl. (1.30) können dann mit bekannten V u und V r aus der Bedingung V vr + 0 die Kraftgrößen S vr 0 0 der gelagerten Knoten ermittelt werden, die sich dort als Reaktion auf
die Lagerung als Lagergrößen ergeben (Bild 1.13b).
S r + K ruVu ) K rrV r * S 0r .
1.5
(1.31.2)
Nachlaufrechnung zur Berechnung der Schnittgrößen
Mit V u und S r sind die globalen Weg– und Lagergrößen von beliebigen Gesamtsystemen bekannt. Im Anschluß an die Systemberechnung ist noch für jeden Stab bzw. jedes
Element des Gesamtsystems eine Nachlaufrechnung durchzuführen, um mit Hilfe der
bereits bekannten V u– und V r –Werte die Schnittgrößen (N, Q, M) zu ermitteln.
Schnittgrößen sind als lokale Größen grundsätzlich auf die lokalen Stab– bzw. Elementkoordinaten bezogen. Sie sind durch die Verträglichkeitsbedingungen in Gl. (1.4.1 und
1.4.2) definiert. Für die Längskraft gilt
N(x) + EA uȀ(x)
(1.32.1)
und für das Moment
M(x) + * EI wȀȀ(x) .
(1.32.2)
– 1 / 44 –
Mit dem Moment ist für schubstarre Querschnitte ǒGA Q ³ RǓ auch die Querkraft bekannt. Sie berechnet sich aus der Ableitung des Moments und folgt somit aus einer lokalen Gleichgewichtsbedingung, die einzig mögliche Bestimmungsgleichung für Q bei
Schubstarrheit.
Q(x) + MȀ(x)
(1.33)
Der Verlauf von u’(x) ist durch Gl. (1.20.1) vorgegeben und der Verlauf von w’’(x) durch
Gl. (1.21.1). Beide Verläufe hängen von den lokalen Stützwerten der Verschiebungen
und Verdrehungen in den Knoten (A, B) der n = 1, 2, 3 ... m Stäbe bzw. Elemente ab.
Die globalen Komponenten der Stützwerte sind in Vu und Vr enthalten. Sie müssen
daher mit Gl. (1.26) für alle Stäbe bzw. Elemente bereitgestellt und mit Gl. (1.1) auf die
lokalen Stab– bzw. Elementkoordinaten transformiert werden, um (N, Q, M) bestimmen
zu können. Die Auswertung erfolgt mit c +" 1 in den Elementknoten (A, B), also wie
beim DWV an den Stabenden.
Bei Stabtragwerken müssen bei analytisch exakter Berechnung die Beträge der
Schnittgrößen aus der Nachlaufrechnung und die Beträge der Knotengrößen
Gl. (1.22.3) übereinstimmen. Lediglich die Vorzeichen unterscheiden sich. Während die
Schnittgrößen lokale Gleichgewichtsgruppen bilden, vgl. (Bild 1.7), zeigen die Knotenkräfte in Richtung der arbeitskonformen Weggrößen, vgl. (Bild 1.12). Anstelle der Verträglichkeitsbedingungen Gl. (1.32.1 und 1.32.2) sowie der Gleichgewichtsbedingung
Gl. (1.33) kann daher auch unmittelbar die lokale Gleichgewichtsbedingung Gl. (1.23.3)
verwendet werden, um die Schnittgrößen zu berechnen. Dazu bedarf es lediglich einer
Anpassung der Vorzeichen (Bild 1.14). Im (Bild 1.14a) sind die Kräfte und Momente als
Knotengrößen und im (Bild 1.14b) als Schnittgrößen dargestellt.
MA
NA
A
B
ϕ
MB
x, u
QA
z, w
NB
QB
a) Kräfte und Momente als Knotengrößen (Festhaltegrößen)
MA
NA
A
B
QA
QB
b) Kräfte und Momente als Schnittgrößen (Gleichgewichtsgruppen)
Bild 1.14 : Definition der Kraftgrößen beim VdS
– 1 / 45 –
MB
NB
Am Knoten A sind demnach die Vorzeichen der Kräfte NA und QA umzudrehen und
am Knoten B das Vorzeichen des Moments MB. Für die modifizierte Nachlaufrech–
nung gilt Gl. (1.34).
lokale Weggrößen vl
Schnittgrößen (Vorzeichen: (Bild 1.12b)
lokale Steifigkeiten u
NA
* EA
s
QA
0
MA
0
0
0
EI
* 12 EI3 * 6 2
s
s
4 EI
s
6 EI2
s
EA
s
0
0
uA
0
12 EI3
s
* 6 EI2
s
wA
0
* 6 EI2
s
2 EI
s
ϕA
.
=
NB
* EA
s
QB
0
MB
Knoten A
0
0
* 12 EI3 * 6 EI2
s
s
* 6 EI2
s
0
* 2 EI
s
EA
s
0
0
uB
0
12 EI3
s
* 6 EI2
s
wB
6 EI2
s
* 4 EI
s
ϕB
0
Knoten B
* ns
2
Knoten A
ps
*
2
ps 2
12
–
(1.34)
ns
2
ps
2
Knoten B
ps 2
12
.
lokale Einwirkungen
s 0l
– 1 / 46 –
Im Rahmen des VdS wird das PvW mit zulässigen Ansätzen ausgewertet. Sie sind
beim Dehnstab linear und beim Biegestab kubisch im Stab bzw. Element verteilt.
Dies führt auf konstante Längs– und Querkräfte und linear verteilte Momente, wenn
die Nachlaufrechnung auf Gl. (1.32 und 1.33) beruht. Die Ergebnisse von numeri–
schen und analytischen Berechnungen stimmen daher nur dann überein, wenn keine
Streckenlasten auftreten (n = 0, p = 0). Erfolgt die Nachlaufrechnung dagegen mit Hilfe
von Gl. (1.34), werden zumindest konstante Streckenlasten bei der Berechnung der
Knotenkräfte erfaßt, so daß sich auch genauere Lösungen für die zugehörigen Schnittgrößen einstellen, vgl. (Abschnitt 1.7).
1.6
Beispiel
Auf die Durchführung von Programmierschritten, die anstehen, um das VdS auf Rechnern zu implementieren, wird verzichtet. Sie gehören zum Aufgabenbereich von
Lehrveranstaltungen der Bauinformatik, auf die in diesem Zusammenhang verwie–
sen wird. Vielmehr soll der Berechnungsablauf des VdS anhand eines einfachen
Beispiels veranschaulicht und geübt werden. Zusätzlich wird mit einem Programm
(Hier: FEMAS /5/) eine Vergleichsberechnung durchgeführt, um bei Anwendern das
Vertrauen in eine zwangsläufig abstrakte Programmierung zu stärken. Ein weiteres Beispiel wird im Abschnitt 1.8 berechnet.
Alle wesentlichen Angaben zum betrachteten Beispiel sind im (Bild 1.15) zusammengestellt. (Bild 1.15a) enthält die Aufgabenstellung und im (Bild 1.15b) ist das VdS–Berechnungssystem dargestellt. Das ebene Rahmensystem aus Stahlbeton besteht aus einem senkrecht angeordneten Stiel und einem waagerecht verlaufenden Riegel. Stiel
und Riegel sind biegesteif miteinander verbunden und der Stiel am Anfang und der Riegel am Ende fest eingespannt. An der biegesteifen Verbindungsecke greift das Lastmoment M an. Dieses Moment kann sich als Einzelgröße nur linear im Stiel und Riegel
verteilen. Es reicht daher aus, das Gesamtsystem (Bild 1.15a) lediglich in zwei Stäbe
zu unterteilen, einen für den Stiel mit der Kennzeichnung n = 1 und einen für den Riegel mit der Kennzeichnung n = 2 . Das VdS beruht auf stab– bzw. elementweise kubischen Durchbiegungsverläufen und kann somit eine lineare Momentenverteilung stab–
bzw. elementweise exakt erfassen. Eine feinere Unterteilung würde daher keine neuen
Erkenntnisse ergeben.
Stiel und Riegel weisen unterschiedliche lokale Koordinatensysteme auf, vgl.
(Bild 1.15b). Es ist daher eine Transformation auf das globale X–Koordinatensystem
erforderlich. Die topologische, geometrische und baustatische Beschreibung der Einzelstäbe 1 und 2 ist unter Beachtung der Randbedingungen in den (Bildern 1.16 bis
1.19) dargestellt. Im Stiel ist nur der Knoten B = 2 aktiv und im Riegel nur der Knoten
A = 2. Die Knoten A = 1 im Stiel und B = 3 im Riegel fallen jeweils mit der Stiel– bzw.
Riegeleinspannung zusammen und entfallen damit vollständig aus der Systembetrachtung. Elementeinwirkungsmatrizen s 0g treten in beiden Stäben nicht auf. Das Lastmoment M wird als Größe des Systemknotens 2 direkt der dort wirkenden arbeitskonformen virtuellen Verdrehung ö v2 zugeordnet und an entsprechender Stelle in der
Systemeinwirkungsmatrix S 0 plaziert (Tabelle 1.5).
– 1 / 47 –
L = 15. m
M
Riegel
1.50 m
M = 103 kNm
Querschnitt Riegel
E = 3⋅107 kN/m2
H = 10. m
0.50 m
Stiel
Gesucht:
1.) Verdrehung in der biege–
steifen Rahmenecke.
0.50 m
2.) Momentenverlauf.
Querschnitt Stiel
1.00 m
a) Aufgabenstellung
2
ϕ
2
3
x, u
1
z, w
X2,
w2
ϕ
x, u
Das VdS–System setzt sich aus zwei Stäben
mit insgesamt drei Knoten zusammen. Das
z, w
globale Koordinatensystem wird auf den
Systemknoten 1 bezogen und um jeweils
1
5. m
ϕ
5. m nach links und unten versetzt angeordnet.
Die Bezugsfaser aus a) wird stabweise durch
5. m
lokale Koordinatensysteme ersetzt.
X1, w1
b) VdS–Berechnungssystem
Bild 1.15 : Beispiel
– 1 / 48 –
L = 15. m
B=2
3
n= 1
Inzidenztafel, vgl. (Bild 1.2a)
H = 10. m
x, u
X2, w2
ϕ
Element
A
B
1
1
2
z, w
Koordinaten vgl. (Bild 1.3)
A=1
5. m
Knoten
X1 (m)
X2 (m)
1
5.0
5.0
2
5.0
15.0
5. m
ϕ
X1, w1
Querschnittswerte, vgl. (Bild 1.3)
Element
A (m2)
I (m4)
1
A1
I1
Querschnittswerte:
3
A 1 + 0.5·1.0 + 0.5 m 2, I1 + 0.5·1 + 0.041666 m 4.
12
Geometriewerte, vgl. (Bild 1.4):
X 12 + 5. m, X 22 + 15. m
s 1 + X 12 * X 11 + 0,
s 2 + X 22 * X 21 + 10. m,
X 11 + 5. m, X 21 + 5. m
s+
Ǹǒs Ǔ
1
2
) ǒs 2Ǔ + H + 10. m,
2
2
1
sin a + ss + 1. , cos a + ss + 0.
Beim Stab n = 1
ist der Knoten A = 1 vollständig gefesselt. Damit sind sowohl
die lokalen als auch die globalen Knotenverschiebungen in diesem Knoten Null.
Auf die Darstellung der gefesselten Knotenanteile in den Transformations– und
Arbeitsgleichungen wird verzichtet.
Bild 1.16 : Topologische und geometrische Beschreibung von Stab n =
– 1 / 49 –
1
Knoten A = 1
0
v l, 1
0
0
Knoten B = 2
u2
v l, 2
w2
T lg, 11
0
0
Knoten A = 1
T lg, 22
0
v g, 1
0
=
0
ϕ2
vl
0
1
0
w12
Knoten B = 2
1
0
0
w22
v g, 2
0
0
1
ϕ2
T lg
vg
a) Transformationsmatrix Gl. (1.1 bzw. 1.2)
0
W v + ǒv vlǓ ·k ll·v l +
T
k ll, 11
k ll, 12
0
k ll, 22
Knoten
A=1
ǒvl, 1Ǔ
0
0
Knoten
B= 2
ǒvl, 2Ǔ
T
EA 1
H
T
k ll, 21
0
ǒv vlǓ
k ll
T
0
0
12
0 u v2 w v2 ö v2
v l, 1
0
EI
EI 1
* 6 21
3
H
H
EI
EI
* 6 21
4 1
H
H
0
Knoten
A=1
u2
Knoten
B=2
w2
v l, 2
ϕ2
vl
b) Lokale Arbeitsgleichung des PvW Gl. (1.22 bzw. 1.23)
T gl, 22·k ll, 22·T lg, 22
12
k gg, 22 +
EI 1
H3
*6
EA 1
H
0
*6
0
EI 1
H2
0
EI 1
H2
0
4
EI 1
H
c) Globale Steifigkeitsmatrix Gl. (1.25) bzw. (Tabelle 1)
Bild 1.17 : Baustatische Beschreibung von Stab n =
– 1 / 50 –
1
B=2
Stab n = 1
A=1
L = 15. m
n= 2
A=2
B=3
x, u
ϕ
Inzidenztafel, vgl. (Bild 1.2a)
z, w
H = 10. m
X2, w2
Element
A
B
2
2
3
Koordinaten vgl. (Bild 1.3)
5. m
Knoten
X1 (m)
X2 (m)
2
5.0
15.0
3
20.0
15.0
5. m
ϕ
X1, w1
Querschnittswerte, vgl. (Bild 1.3)
Element
A (m2)
I (m4)
2
A2
I2
Querschnittswerte:
3
A 2 + 0.5·1.5 + 0.75 m 2, I2 + 0.5·1.5 + 0.14062 m 4.
12
Geometriewerte, vgl. (Bild 1.4):
X 12 + 5. m, X 22 + 15. m
s 1 + X 13 * X 12 + 15. m,
s 2 + X 23 * X 22 + 0,
X 13 + 20. m, X 23 + 15. m
s+
Ǹǒs Ǔ
1
2
) ǒs 2Ǔ + L + 15. m,
2
2
1
sin a + ss + 0 , cos a + ss + 1.
Beim Stab n = 2
ist der Knoten B = 3 vollständig gefesselt. Damit sind sowohl
die lokalen als auch die globalen Knotenverschiebungen in diesem Knoten Null.
Auf die Darstellung der gefesselten Knotenanteile in den Transformations– und
Arbeitsgleichungen wird verzichtet.
Bild 1.18 : Topologische und geometrische Beschreibung von Stab n =
– 1 / 51 –
2
Knoten A = 2
u2
1
v l, 2
w2
0 –1 0
ϕ2
Knoten B = 3
0
v l, 3
0
=
0
0
0
0
0
w12
Knoten A = 2
w22
v g, 2
ϕ2
1
T lg, 22
T lg, 33
0
0
0
Knoten B = 3
0
v g, 3
0
vl
T lg
vg
a) Transformationsmatrix Gl. (1.1 bzw. 1.2)
EA 2
L
W v + ǒv vlǓ ·k ll·v l +
T
0
0
Knoten
A=2
Knoten
B= 3
ǒvl, 2Ǔ
0
EI 2
EI 2
*
6
L3
L2
EI
EI
* 6 22
4 2
L
L
k ll, 23
12
u2
Knoten
A=2
w2
v l, 2
ϕ2
k ll, 22
ǒvl, 3Ǔ
T
0
T
k ll, 33
0
Knoten
B=3
0
v l, 3
k ll, 32
u v2
w v2
ö v2
0
ǒv vlǓ
0
0
0
T
k ll
vl
b) Lokale Arbeitsgleichung des PvW Gl. (1.22 bzw. 1.23)
T gl, 22·k ll, 22·T lg, 22
EA 2
L
k gg, 22 +
0
0
0
0
EI 2
L3
EI
6 22
L
12
6
EI 2
L2
4
EI 2
L
c) Globale Steifigkeitsmatrix Gl. (1.25) bzw. (Tabelle 1)
Bild 1.19: Baustatische Beschreibung von Stab n =
– 1 / 52 –
2
A=2
B=3
Stab n = 2
S
( V v ) TS
ǒv v1Ǔ
T
( V v) T
v v1 + 0
s1
w v12 f 12
W vs +
ǒVv2Ǔ
T
S2
w v22 f 22
ö v2 m 2
– 1 / 53 –
ǒv v3Ǔ
T
s3
K
*
w v12
=
*
12
EI 1 EA 2
)
L
H3
*
w v22
ö v2
ǒVv2Ǔ
v v3 + 0
*
1
*6
0
EI
EA 1
) 12 32
H
L
0
*6
T
*
EI 1
H2
6
2
k 22 ) k 22
EI 2
L2
*
6
4
EI 1
H2
EI 2
L2
*
EI 1
EI
)4 2
H
L
W vs + (V v) S + (V v) ǒKV * S 0Ǔ + 0
T
T
S0
v1 + 0
0
w 12
0
w 22
ö2
*
* : Steifigkeitswerte nicht angegeben!
Tabelle 1.5 : Systemgleichung
V
für das Gesamtsystem (Bild 1.15)
v3 + 0
–
0
M
v2
0
!
= 0.
Aus der Systemgleichung (Tabelle 1.5) folgt nach den Regeln des PvW das algebraische Gleichungssystem für die unbekannten Weggrößen v 2 + ƪw 12, w 22, ö 2ƫ am ungefesselten Systemknoten 2.
12
EI 1 EA 2
)
L
H3
0
*6
EI 1
H2
0
EA 1
EI
) 12 32
H
L
6
EI 2
L2
4
*6
EI 1
H2
w12
6
EI 2
L2
w22
EI 1
EI
)4 2
H
L
ϕ2
0
=
0
M
Mit endlichen Werten für EA1 und EA2 muß ein Gleichungssystem mit drei Unbe–
kannten gelöst werden. Für die Handberechnung ist es daher sinnvoller, in Anlehnung
an das DWV die Lösung für den dehnstarren Fall ǒEA 1, EA 2Ǔ ³ R zu ermitteln. Mit
EI 1 ń EA 2 ³ R und EI 2 ń EA 1 ³ R berechnet sich w1 = w2 zu Null und ö 2 zu
HL
.
ö2 + 1 M
4 EǒI ·L ) I ·HǓ
1
2
Die Auswertung mit den Eingangsdaten (Bild 1.15a) ergibt für ö 2 den Zahlenwert
ö 2 + 0.0006.
Damit ist die Systemberechnung abgeschlossen.
Die Nachlaufrechnung zur Bestimmung des Momentenverlaufs kann mit Gl. (1.34)
getrennt für jeden Stab erfolgen (Bild 1.20). Die Durchführung für den Stab 1 ist im
(Bild 1.20a) dargestellt und für den Stab 2 im (Bild 1.20b). Eine Rücktransformation
auf lokale Weggrößen zur Auswertung von Gl. (1.34) ist nicht erforderlich, da für den
dehnstarren Fall w1 = w2 = 0 ist und die lokalen und globalen Werte von ö 2 0 0 in
der Ebene zusammenfallen.
– 1 / 54 –
M2 + * 4
ö2
EI 1
ö +*M
H 2
1
+ * 307.692 kNm
ǒ1 ) Ǔ
I2 H
I1 L
B=2
–
2H
3
1
1H
3
+
A=1
M1 + 2
EI 1
ö + 1M
H 2
2
1
ǒ1 ) II HLǓ
+ 153.846 kNm.
2
1
a) Stab n =
1
M3 + * 2
EI 2
ö + * 1M
2
L 2
2L
3
1
ǒ
Ǔ
I
1 ) I1 HL
2
+ * 346.154 kNm
1L
3
+
ö2
–
2
A=2
B=3
M2 + 4
EI 2
ö +M
L 2
1
ǒ1 ) II HL Ǔ
+ 692.308 kNm.
1
2
b) Stab n = 2
Bild 1.20 : Nachlaufrechnung zur Bestimmung der Momente
– 1 / 55 –
Die Vergleichsberechnung des Beispiels (Bild 1.15a) mit dem FEMAS–Programm /5/
wird mit einem Berechnungssystem durchgeführt, das ebenfalls aus zwei Stäben besteht (Bild 1.21). Im Vergleich zum (Bild 1.15b) verändert sich vor allem die Bezeichnungsweise und damit auch die Vorzeichen der Schnittgrößen.
Die theoretische Vorgehensweise in der Vorlesung ist auf den ebenen Fall in einer (X1–
X2)–Seitenrißebene beschränkt und verwendet als lokale Koordinatensysteme der
Stäbe die Definition der klassischen Baustatik. Das Programm FEMAS erfaßt dagegen
den allgemeinen Fall räumlicher Stabtragwerke in globalen (X1– X2– X3)–Koordinaten
und definiert lokale Systeme als Rechtssysteme, die im Sinne einer Rechtsschraube
um das globale System drehen. In FEMAS–Koordinaten ist die (X1– X2)–Ebene eine
Grundrißebene. Die globale Darstellung der Stäbe erfolgt daher in der (X1– X3)–Seitenrißebene, um Anschluß an (Bild 1.15a) zu gewinnen.
Qw
2
5. m
v
u
N
2
3
Mv
Qw
u
X3
N
w
M
Mv
1
v
X 2 5 0. , v ø X 2.
w
ö3
1
X2
ö2
w3
5. m
w2
w1
ö1
X1
Bild 1.21 : Berechnungssystem zur Anwendung des FEMAS*–Programms
*)
Beim Einsatz eines anderen Programms ist das Berechnungssystem und die Eingabe an die spezielle Oberfläche des verwendeten Programms anzupassen.
– 1 / 56 –
Im Berechnungssystem zur Programmanwendung sind die Koordinatenwerte der
globalen X2–Koordinate identisch Null, vgl. (Bild1.21). Im Vergleich zur Darstellung im
(Bild 1.15b) zeigt die lokale w–Hauptachse der Stäbe nun in entgegengesetzter Richtung, so daß sich auch die Lage der Bezugsfaser von der Unter– zur Oberkante der
Querschnitte verschiebt. Die senkrecht auf den ebenen (u– w)–Hauptachsen stehende
v–Hauptachse verläuft parallel zur globalen X2–Koordinate. Das Lastmoment wirkt in
der (X1– X3)–Ebene und dreht in positiver Richtung um die globale X2–Koordinate. Als
Schnittgrößen stellen sich M = Mv–Momente, Q = Qw–Querkräfte und N–Längskräfte
ein, vgl. (Bild 1.21).
Die erzielten Ergebnisse der Programmberechnung werden im (Bild 1.22) grafisch ausgewertet. Der Verlauf der Verformung ist im (Bild 1.22a) und der Verlauf des Moments
im (Bild 1.22b) dargestellt.
Die Handberechnung wurde dehnstarr, die Programmberechnung dagegen mit den
realen Flächen der Stabquerschnitte dehnsteif durchgeführt. Die Abweichungen zwischen den Ergebnissen betragen sowohl bei den Weg– als auch bei den Kraftgrößen
nicht mehr als 1%. Für baupraktische Anwendungen ist der Einfluß der Dehnsteifigkeit
i.a. ohne Bedeutung und kann daher zumindest im Rahmen einer Handberechnung vernachlässigt werden.
Im Rahmen einer Programmanwendung ist es dagegen sinnvoll, mit den real vorliegenden Querschnittsflächen zu rechnen, da hierdurch kein Mehraufwand entsteht. Die
Dehnstarrheit kann aber auch durch die Vorgabe großer Querschnittsflächen simuliert
werden. Mit A1 = A2 = 1.E8 stellen sich z.B. beim vorliegenden Beispiel identische Zahlenwerte zur Handrechnung ein. Durch eine falsche Einschätzung der Größenordnung
können sich aber auch vollständig verfälschte Ergebnisse ergeben, so daß es immer
ratsam ist, bei Anwendung von Programmen dehnsteif zu rechnen. Der geringe Ein–
fluß der Dehnsteifigkeit auf den Verformungszustand des Systems ist z.B. deutlich im
(Bild 1.22a) zu erkennen.
– 1 / 57 –
ö 2 + 0.00062
a
M v + 307.7
M v + 343.6
M v + * 692.3
M v + * 152.7
b
– 1 / 58 –
1.7
Abschätzung der Genauigkeit
Die gewählten Ansätze für u(x) Gl. (1.17.1) und w(x) Gl. (1.18.1) erfüllen die homogenen DGL Gl. (1.4.1 und 1.4.2) der Stabtheorie I. Ordnung. Das VdS antwortet daher
analytisch exakt, wenn n(x) = 0 und p(x) = 0 gilt, also nur Einzelkräfte und Einzelmomente aber keine Streckenlasten im betrachteten System angreifen. Es ist daher zu vermuten, daß Lösungen mit n(x) ≠ 0 und p(x) ≠ 0 immer nur Näherungslösungen darstellen, deren Güte bei gleicher Elementierung abnimmt, wenn die Ordnung von n(x) bzw.
p(x) anwächst. Dieses Verhalten ist ggf. durch eine Verfeinerung der Elementierung
auszugleichen.
Im Rahmen der hier verfolgten Strategie, alle Elementkenngrößen und Einwirkungen
elementweise konstant zu erfassen, ist dies auch in einfacher Weise möglich. Das führt
zwar u.U. zu einer erheblichen Aufweitung der Datenbasis und erhöht den rechnerischen Aufwand. Gemessen an den heutigen Möglichkeiten von Arbeitsplatzrechnern
in Verbindung mit Vor– und Nachbereitungsprogrammen ist dieser Mehraufwand aber
unerheblich und steht in keinem Verhältnis zu den Vorzügen einer einheitlichen Vorgehensweise mit elementweise konstanten Vorgaben.
Die rechnerunterstützte statisch–konstruktive Bearbeitung von Tragwerken mit starken
Veränderlichkeiten im System sollte daher immer mit einer groben Elementierung beginnen, um einen ersten Überblick über das Tragverhalten zu gewinnen. Im Anschluß
daran sollte eine systematische Verfeinerung der Elementierung erfolgen und zwar solange, bis der Einfluß der Systemparameter abgeklungen ist, sich also ein stationärer
Zustand der statischen Ergebnisse einstellt. Darüber hinaus sollten auch alle Möglichkeiten genutzt werden, die das VdS bietet, um durch systematische Parameterva–
riation den Einfluß wichtiger Systemparamter aufzudecken und ggf. durch konstruktive
Umgestaltung des betrachteten Bauteils das Tragverhalten zu verbessern.
An einem einfachen Kragarm–Beispiel mit einem Element (Bild 1.23) soll gezeigt werden, welcher Fehler sich ggf. einstellt, wenn
–
im Lastfall 1 (LF1) eine Einzellast am Ende,
–
im Lastfall 2 (LF2) eine konstante Streckenlast und
–
im Lastfall 3 (LF3) eine linear veränderliche Streckenlast
auf den Kragarm einwirkt. Die Berechnung der Weggrößen ist im (Bild 1.24) dargestellt
und die Berechnung der Kraftgrößen im (Bild 1.25). Die Durchführung erfolgt in lokalen
Koordinaten des Biegestabs. Der Dehnstab entfällt.
– 1 / 59 –
Wirklicher Verlauf
Elementweise konstante Vorgabe
p
2
p
2
p = veränderlich (LF3)
p = konstant (LF2)
F (LF1)
ϕ
x
z, w
EI
s
a) Kragarm mit drei Lastfällen
1 Element
1
A=1
B=2
2 Knoten
b) Elementierung
w 1 + 0,
w v1 + 0
w 2 0 0,
w v2 0 0
ö 1 + 0,
ö v1 + 0
ö 2 0 0,
ö v2 0 0
c) Randbedingungen
Anmerkung: Es müssen nur die geometrischen Randbedingungen vorgegeben
werden. Die statischen Randbedingungen werden vom umgeformten
PvW als natürliche Bedingungen indirekt erfüllt.
Bild 1.23 : Beispiel zur Abschätzung der Genauigkeit
– 1 / 60 –
B=2
12 EI3
s
* 6 EI2
s
w2
* 6 EI2
s
4 EI
s
ϕ2
LF1
LF2
LF3
F
ps
2
ps
4
=
0
*
ps 2
12
*
ps 2
24
a) Gleichungssystem
w 2N
Fs 3
3 EI
ps4
8 EI
ps4
16 EI
Fs 2
2 EI
ps3
6 EI
ps3
12 EI
Fs 3
3 EI
ps4
8 EI
ps4
30 EI
Fs 2
2 EI
ps3
6 EI
ps3
24 EI
=
ö 2N
b) Numerische Lösung mit dem VdS
w 2A
=
ö 2A
c) Analytische Lösung
ǒww
ǒ
2N
2A
Ǔ
* 1 100
Ǔ
ö 2N
ö 2A * 1 100
0%
0%
87.5%
0%
0%
100%
=
d) Fehler
Bild 1.24 : Berechnung der Weggrößen
– 1 / 61 –
Q1
A=1:
=
M1
12 EI3
s
* 6 EI2
s
w2
* 6 EI2
s
2 EI
s
ϕ2
*
–
ps
2
ps 2
12
a) Nachlaufrechnung
Q 1N
LF1
LF2
F
ps
=
* Fs
M 1N
*
ps 2
2
LF3
ps
2
*
ps 2
4
b) Numerische Lösung mit dem VdS
Q 1A
F
=
* Fs
M 1A
ps
2
ps
*
ps 2
2
*
ps 2
6
c) Analytische Lösung
ǒ
ǒ
Ǔ
Ǔ
Q 1N
* 1 100
Q 1A
M 1N
* 1 100
M 2A
0%
0%
0%
0%
0%
50%
=
d) Fehler
Bild 1.25 : Berechnung der Kraftgrößen
– 1 / 62 –
Die numerische Lösung für die Durchbiegung w = w(x) ist beim VdS maximal von dritter Ordnung. Damit wird die analytische Lösung für die Einzellast im LF1 mit dem VdS
exakt erfaßt, (Bild 1.24). Die analytischen Lösungen für die konstante und linear veränderliche Streckenlast in den Lastfällen LF2 und LF3 sind dagegen schon von vierter
bzw. fünfter Ordnung. Trotzdem wird die Lösung des Lastfalls LF2 von dem VdS noch
exakt erfüllt, vgl. (Bild 1.24). Die großen Abweichungen im Lastfall LF3 sind eine Folge
der zu geringen Elementierung. Eine linear veränderliche Streckenlast kann von einem
Element mit konstanter Approximation der Streckenlast nur unzutreffend erfaßt werden. Schon bei zwei Elementen verringert sich der Fehler erheblich, da die treppenförmige Approximation der Streckenlast die wirklichen Verhältnisse nun viel wirklichkeitsnäher abzubilden vermag (Bild 1.26).
p
Wirklicher Verlauf
Elementweise
p
konstanter Verlauf
Bild 1.26 : Fehlerreduzierung durch Verdichtung der Elementfolge
Bei den Kraftgrößen ist ein ähnliches Verhalten zu beobachten (Bild 1.25). Die ersten
beiden Lastfälle – LF1: Einzellast und LF2: Konstante Streckenlast – erfassen die
analytische Lösung ebenfalls exakt. Der Fehler im dritten Lastfall – LF3: Linear veränderliche Streckenlast – ist dagegen wie schon bei den Weggrößen deutlich ausgeprägter und beträgt 50%. Durch die Verdichtung der Elementfolge (Bild 1.26) ist aber auch
bei den Kraftgrößen eine rasche Fehlerreduzierung zu erwarten.
Allgemeiner als speziell betrachtete Beispiele ist eine theoretisch begründete Abschätzung der Genauigkeit. Die analytischen Lösungen des Dehn– und Biegestabs sind
durch
u(x) + u h(x) ) u p(x) ³ u v(x) + u vh(x)
und
w(x) + w h(x) ) w p(x) ³ w v(x) + w vh(x)
gegeben. Der Index (h) kennzeichnet den systemabhängigen homogenen Anteil und
– 1 / 63 –
der Index (p) den lastabhängigen partikulären Anteil der Lösung. In den virtuellen
Größen entfallen wegen der Festlegung, daß sie als Änderungen der wirklichen Größen
definiert sind, die lastabhängigen partikulären Anteile (Lasten sind Vorgaben und keine
veränderlichen Größen). Wird die analytische Lösung in das PvW (Gl. 1.14) eingesetzt,
erhält man für den Dehn– und Biegestab die Ausdrücke
Wv +
ŕǒuȀ (x) EA uȀ (x) * u (x) n ) uȀ (x) EA uȀ (x)Ǔdx + 0
Wv +
ŕǒwȀȀ (x) EI wȀȀ (x) * w (x) p ) wȀȀ (x) EI wȀȀ (x)Ǔdx + 0.
v
h
v
h
h
v
h
p
und
v
h
v
h
h
v
h
p
Die gewählten Ansätze Gl. (1.17) und Gl. (1.18) zur Auswertung der Arbeitsausdrücke
stimmen mit den homogenen Lösungsanteilen der analytischen Lösung überein. Unterschiede zwischen analytischer und numerischer Lösung sind daher auf die unterstrichenen partikulären Lösungsanteile zurückzuführen, die beim VdS fehlen. Mit den Bezeichnungen
N vh(x) + uȀ vh(x)EA
und
M vh(x) + * wȀȀ vh(x)EI
kann man sie auch in der Form
ŕ uȀ (x) EA uȀ (x)dx + ŕ N (x) uȀ (x)dx
v
h
v
h
p
p
und
ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ (x)dx + * ŕ M (x) wȀȀ (x)dx
v
h
v
h
p
p
schreiben. Formt man sie mit Hilfe der partiellen Integration um, so erhält man die Ausdrücke
ŕ N (x) uȀ (x)dx + ǒN (x) u (x)Ǔ * ŕ NȀ (x)u (x)dx
v
h
v
h
p
p
v
h
R
p
und
*
ŕ M (x) wȀȀ (x)dx + ) ǒQ (x) w (x)Ǔ
v
h
p
v
h
p
R
* ǒM vh(x)ö p(x)Ǔ *
– 1 / 64 –
R
ŕ MȀȀ (x)w (x) dx.
v
h
p
Auf den Rändern R = Rw + Rk der Stäbe bzw. Elemente ist die Gesamtlösung durch
die homogene Lösung eindeutig bestimmt, weil die Konstanten zum Anpassen der
Randbedingungen nur in der homogenen Lösung auftreten. Die partikulären Lösungsanteile der Gesamtverschiebung sind deshalb auf den Rändern Null. Es gilt: up(x) ≡ 0
und wp(x) ≡ 0. Es sei in diesem Zusammenhang auch auf das DWV verwiesen. Dort
sind beim 0–Zustand, der die Einwirkungen erfaßt, die geometrischen Unbestimmten
in den Fesseln ebenfalls Null (angespannte Fesseln). Im Inneren der Stäbe bzw. Elemente erfüllen die virtuellen Schnittgrößen N vh(x) und M vh(x) wegen der exakten homogenen Ansätze die homogenen Gleichgewichtsbedingungen
NȀ vp(x) + 0
und
MȀȀ v + 0.
Damit entfallen die partikulären Lösungsanteile vollständig im PvW. Die Systemantwort
des VdS in den Knoten von diskretisierten statischen Systemen ist also bereits exakt,
wenn man nur die homogene Lösung der DGL als Ansatz zur Auswertung des PvW
heranzieht. Dies setzt aber voraus, daß man die Streckenlasten n und p durch die
Integrale
ŕ u (x) n dx + ŕ u (x) n dx
v
v
h
und
ŕ w (x) p dx + ŕ w (x) p dx
v
v
h
statisch gleichwertig als Einzelgrößen in die Knoten überträgt. Durch die Vorgabe,
n und p elementweise nur konstant zuzulassen, ist dies für konstante Streckenlasten
noch exakt erfüllt, so daß das VdS in diesem Fall noch exakt antwortet, vgl. (Bilder 1.24
und 1.25, LF2). Im LF3: Linear veränderliche Streckenlast ist dies wegen der Vorgabe
elementweise konstanter Streckenlasten nicht mehr der Fall. Die Reduzierung der
Streckenlasten auf äquivalenten Knotengrößen ist falsch gewichtet und stellt ledig–
lich eine Näherung dar. Das VdS muß daher zwangsläufig falsch antworten, vgl.
(Bilder 1.24 und 1.25, LF3). Würde man das Integral
ŕ w (x) p dx + ŕ w (x) p dx
v
v
h
anstelle des konstanten mit einem linearen p–Ansatz auswerten, so würde man ebenfalls eine exakte VdS–Antwort in den Knoten erhalten. Da man dies nicht tut, sondern
die Auswertung aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf konstante p–Ansätze beschränkt, stellen sich Fehler ein, die man dann durch eine Erhöhung der Elementanzahl
kompensieren muß.
– 1 / 65 –
1.8
Elastisch gebettete Stabtragwerke
Die Steifigkeitsmatrix von ungebetteten Stabtragwerken ist um elastische Bettungsanteile zu erweitern, um mit dem VdS auch elastisch gebettete Stabtragwerke berechnen
zu können. Dies ist infolge der lokalen Stab– bzw. Elementbetrachtung in sehr einfacher
Weise möglich, und zwar im direkten Gegensatz zu den handrechnungsorientierten Varianten der Baustatik, dem KGV und DWV, bei denen sich die Erweiterung um Bettungsanteile infolge der Systembetrachtung vor allem beim KGV sehr aufwendig gestaltet.
Im (Bild 1.27) ist ein dehn– und biegesteifer, aber schubstarrer Stab bzw. ein end–
lich begrenztes Element aus diesem Stab dargestellt. Zusätzlich zur Darstellung im
(Bild 1.6) soll nun noch eine elastische Bettung in Richtung der Stabachse und quer
dazu wirken, wobei wieder angenommen wird, daß die Kennziffern Ku und Kw der
Dehn– und Biegebettung elementweise konstant sein sollen.
Streckenlasten
x
p
x~
n
B
A
Ku
Kw
u(x)
z, w(x)
K ww(x)
K uu(x)
Bettungskräfte
– EA, EI, s –
Bild 1.27 : Elastisch gebetteter Stab
Es gilt:
K u(x) + K u + konst.
K w(x) + K w + konst.
mit 0 v m +
Ku
v 1.
Kw
Damit kann
K w + K und K u + mK
gesetzt werden. Als Daten sind die Balkenbettung K und die Verhältniszahl µ vorzugeben, die ausdrückt, welcher Anteil der Balkenbettung in Richtung der Stabachse wirkt.
– 1 / 66 –
Die elastische Bettung beeinflußt den Gleichgewichtszustand von Stäben. Wie aus
(Bild 1.27) zu ersehen ist, wirken die Kräfte in der Bettung den äußeren Streckenlasten
entgegen. Das einfachste statische Modell, um sie zu erfassen, ist das Bettungsmodulverfahren, vgl. z.B. Statik II. Es beruht auf der Annahme, daß sich die Bettungskräfte
proportional zu den Verschiebungen des elastisch gebetteten Stabs einstellen. Proportionalfaktoren sind die Kennziffern der Dehn– und Biegebettung. Die DGL (1.4.1 und
1.4.2) von ungebetteten Stäben sind daher lediglich um diese Bettungskräfte zu erweitern. Für den gebetteten Dehnstab gilt
EA uȀȀ(x) ) ǒn * mK·u(x)Ǔ + 0
(1.35.1)
und für den gebetteten Biegestab
EI wȀȀȀȀ(x) * ǒp * K·w(x)Ǔ + 0.
(1.35.2)
Die Ergänzungen in den DGL (1.35.1 und 1.35.2) sind unterstrichen und zusätzlich
im (Bild 1.27) dargestellt. Charakteristische Kennwerte für die Wirkung der Bettung sind
die Abklingzahlen
lu + s
Ǹ2mKEA
(1.36.1)
lw + s
Ǹ4KEI ,
(1.36.2)
und
4
Gl. (1.36.1) bezieht sich auf die Dehnbettung und Gl. (1.36.2) auf die Biegebettung von
Stäben. Sie geben an, wie stark und wie schnell die Lösungen der Bettung in Richtung
der Stabachse und quer dazu abklingen.
Die analytischen Lösungen der DGL (1.35.1 und 1.35.2) von gebetteten Stäben sind
bekannt, vgl. z.B. Statik II. Für den Biegeanteil Gl. (1.35.2) ergibt sich mit p = 0 als homogene Lösung eine Funktion mit zwei abklingenden Teillösungen, die jeweils am Anfang und Ende eines Stabes bzw. Elementes beginnen.
ǒ
Ǔ
wǒx, x~ Ǔ + e * sl x C1 cos sl x ) C 2 sin sl x
ǒ
Ǔ
(1.37)
) e * sl x~ C 3 cos sl x~ ) C 4 sin ls x~ .
Grundsätzlich besteht natürlich die Möglichkeit, das PvW Gl. (1.14) und die zusätz–
lichen Arbeitsanteile der Dehnbettung
B
ŕ u (x) (mK) u(x) dx
v
(1.38.1)
– 1 / 67 –
und der Biegebettung
B
ŕ w (x) K w(x) dx,
v
(1.38.2)
mit analytischen Lösungsfunktionen auszuwerten. Eine Auswertung mit analytisch
exakten Lösungen, z.B. Gl. (1.37) ist aber viel zu kompliziert und steht auch nicht im
Kontext mit der Vorgehensweise des VdS, die ja gerade darauf beruht, analytisch komplizierte Schritte zu vermeiden und durch eine Verdichtung der Elementfolge zu ersetzen. Es ist daher konsequent, die Arbeitsanteile der Bettung ebenfalls mit den Ansätzen
Gl. (1.17) und Gl. (1.18) auszuwerten, obwohl bekannt ist, daß sie analytisch exakt nur
für den ungebetteten Stab unter Einzeleinwirkungen gelten. In dieser Annahme ist der
Näherungscharakter des VdS daher besonders deutlich zu erkennen.
Die positiven Vorzeichen der Gl. (1.38.1 und 1.38.2) sind eine Folge der Umformung
durch partielle Integration, vgl. Gl. (1.11.1 und 1.11.2), die im Fall der Dehnbettung
Gl. (1.38.1) eine einfache und im Fall der Biegebettung Gl. (1.38.2) eine doppelte Vorzeichenumkehr bewirkt.
Die Auswertung der zusätzlichen Arbeitsanteile ist problemlos und lediglich ein technischer Vorgang. Es ist u(x) Gl. (1.17.1) und uv(x) Gl. (1.17.2) in Gl. (1.38.1) sowie w(x)
Gl. (1.18.1) und wv(x) Gl. (1.18.2) in Gl. (1.38.2) einzusetzen, die Integration zwischen
den Grenzen A und B der Stab– bzw. Elementränder durchzuführen und die virtuelle
Bettungsarbeit mit W vBettung als quadratische Form darzustellen
W vBettung + ǒv vlǓ k ll(K)v l.
T
(1.39)
Im Arbeitsausdruck Gl. (1.39) ist
140
k ll(K) +
Ks 3
420
m
s2
0
0
156
s2
22
s
0
54
s2
* 13
s
0
22
s
4
0
13
s
–3
0
0
m
140 2
s
0
0
54
s2
13
s
0
156
s2
0
* 13
s
–3
0
* 22
s
m
70 2
s
die lokale Steifigkeitsmatrix der Stabbettung.
– 1 / 68 –
70
m
s2
0
0
0
(1.39.1)
0
* 22
s
4
Zusammen mit der lokalen Steifigkeitsmatrix von ungebetteten Stäben ist dann auch die
Gesamtsteifigkeitsmatrix von elastisch gebetteten Stäben bzw. Elementen bekannt
k ll + k ll(EA, EI) ) k ll(K).
Ungebetteter
Balken
(1.40)
Elastische
Bettung
Mit Gl. (1.39.1) können lediglich mehr oder weniger gute Näherungen der analytisch
exakten Lösung von gebetteten Stäben berechnet werden, wie sie z.B. mit Gl. (1.37)
vorliegt. Es ist daher eine Abschätzung der Näherungsgüte erforderlich, um die Anwendungssicherheit von Gl. (1.39) zu gewährleisten. Dies soll am Beispiel des im (Bild 1.28)
dargestellten geometrischen Grundstabs für gebettete Biegestäbe erfolgen.
– EI –
A
B
K
s
a) Grundstab für gebettete Biegestäbe
wB = 0
wA = 1
MA
ϕA = 0
ϕB = 0
b) Einheitsverschiebung
Bild 1.28 : Vergleich von analytischer und numerischer Lösung am gebetteten
Grundstab
Die analytisch exakte Lösung für den Lastfall Einheitsverschiebung wA = 1 ist bekannt
und u.a. in den Arbeitsblättern zum DWV vertafelt, vgl. z.B. Statik II. Die Lösung für
das Stabendmoment am Knoten A kann z.B. in Abhängigkeit von der Abklingzahl l w
Gl. (1.36.2) angegeben werden.
ǒ
M A + * 2 l 2w
Ǔ sEI w
sin 2 l w ) sin h 2l w
sin 2 l w * sin h 2l w
2
– 1 / 69 –
A
+ f EI2 w A.
s
Aus der Näherung nach dem VdS Gl. (1.40) ergibt sich die Lösung
QA
wA
MA
0
=
k ll(EI) ) k ll(K)
.
QB
0
MB
0
N
Speziell für MA gilt
ǒ
Ǔ
ǒ
Ǔ
4
M A + 6 ) 22 Ks EI2 w A + 6 ) 22 l 4w EI2 w A + f N EI2 w A.
N
105 4 EI s
105
s
s
Im direkten Vergleich zur analytisch exakten Lösung tritt die numerische Lösung (In–
dex N) in stark vereinfachter Form auf. Es ist daher zu untersuchen, bis zu welchem
λw–Wert eine akzeptable Übereinstimmung zwischen beiden Lösungen besteht, um
den Gültigkeitsbereich der Näherung einzugrenzen. Dazu sind lediglich die Vorfaktoren
f = f (λw) und fN = fN (λw) der analytischen und numerischen Lösung von MA auszu–
werten und miteinander zu vergleichen.
Der Zahlenvergleich ist in (Tabelle 1.5) angegeben.
lw
f + * 2l 2w
sin 2 l w ) sin h 2 l w
f N + 6 ) 22 l 4w Fehler:
2
2
105
sin l w * sin h l w
ǒ
Ǔ
fN
* 1 ·100
f
0
6.00000
6.00000
0.00 %
1
6.20326
6.20952
0.10 %
2
9.07320
9.35238
3.08 %
3
18.00718
22.97142
27.57 %
4
32.04925
59.63809
86.08 %
5
50.01675
136.95200
173.81 %
Tabelle 1.5 : Zahlenvergleich der Vorfaktoren aus analytischer und
numerischer Lösung
Danach ist bei gebetteten Systemen die Näherungslösung des VdS nur bis zur Abklingzahl
lw + s
Ǹ4KEI v 2.0
4
(1.41)
zulässig. Die Stab– bzw. Elementlänge s ist daher in Abhängigkeit von K und EI so
zu begrenzen, daß die Bedingung λw ≤ 2.0 eingehalten werden kann.
– 1 / 70 –
Die Vergleichslänge
s Vgl. +
Ǹ4KEI
4
(Maßeinheit nach Vorgabe von EI und K)
(1.42)
drückt das Verhältnis zwischen Biege– und Bettungssteifigkeit aus. Mit Gl. (1.41) ist
dann auch die maximale geometrische Stab– bzw. Elementlänge bekannt.
s v 2·s Vgl.
(1.43)
Bei konstanter Biegesteifigkeit EI wächst mit abnehmender Bettungssteifigkeit K die
Vergleichslänge sVgl. und damit auch die zulässige geometrische Länge s der Stäbe
bzw. Elemente an. Mit zunehmender Bettungssteifigkeit K verkürzt sie sich. So ist z.B.
für K = 4 EI eine Stab– bzw. Elementlänge von s = 2 zulässig und für K = EI eine Länge
von s = 2.83, wobei sich die Dimension aus den verwendeten Maßeinheiten ergibt.
Die Begrenzung der Stab– bzw. Elementlänge Gl. (1.43) gilt streng genommen nur für
die Biegebettung von Stabtragwerken. Sie kann aber voll auf die Dehnbettung übertragen werden, die mit Gl. (1.36.1) i.a. langwelligere Lösungsanteile aufweist als die Biegebettung mit Gl. (1.36.2), so daß auch für die Dehnbettung Gl. (1.43) gilt.
Mit der Erfassung der Bettung auf Stab– bzw. Elementebene ist das Problem gebetteter
Stabtragwerke vollständig gelöst. Auf Systemebene sind keine grundsätzlich neuen
Überlegungen wie beim KGV oder DWV erforderlich, da der Zusammenbau von
elastisch gebetteten Stäben bzw. Elementen in gleicher Weise erfolgt wie für ungebettete Stäbe bzw. Elemente. In Bereichen mit Bettung ist lediglich eine feinere Elementierung vorzusehen, um Gl. (1.43) zu erfüllen und zusätzlich die Bettungsmatrix Gl. (1.39)
auszuwerten.
Wegen Gl. (1.43) ist von einer staborientierten Unterteilung elastisch gebetteter Stäbe
abzuraten und immer die elementorientierte Vorgehensweise anzuwenden, vgl. auch
(Bild 1.2). Dabei ist die Anzahl der erforderlichen Elemente pro Stab durch Gl. (1.43)
bekannt. Wird allerdings beim Elementieren von gebetteten Stäben gegen diese ein–
fache Grundregel verstoßen, ist zu erwarten, daß sich mit dem VdS falsche Ergebnisse
ergeben.
Daß dies auch wirklich so ist, soll an einem Beispiel aus der Baupraxis verdeutlicht werden. Im (Bild 1.29) ist ein Tunnelbauwerk dargestellt, um zwei Bahntrassen kreuzungsfrei trassieren zu können. Der sehr lange Tunnel aus Stahlbeton ist im Endzustand vollständig im Baugrund eingebunden (Bild 1.29a). Für den rechnerischen Nachweis der
Tunnelkonstruktion ist es ausreichend, nur die Querrichtung des Tunnels in der (X1–
X3)–Ebene anhand eines B = 1.00 m breiten Ausschnitts der X2–Längsrichtung zu betrachten, so daß als statisches System in der (X1, X3)–Ebene eine biegesteife Rahmenzelle vorliegt (Bild 1.29b). Im Bauzustand liegt der Tunnel frei. Im statischen System ist
daher nur die Bodenplatte als elastisch gebettet anzunehmen. Nach der Verfüllung sind
zwar auch die Seitenwände im Baugrund eingebettet. Der Bettungseffekt ist aber gering, so daß es ausreicht, die seitliche Verfüllung als Lastfall Erddruck auf die rechte und
linke Seitenwand zu erfassen.
– 1 / 71 –
Tunnel: Stahlbeton B35 , E + 3·10 7 kNńm 2 .
Oberkante
Baugrund
Firstplatte
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ
Linke
Seitenwand
Rechte
Seitenwand
H = 8. m
d = 0.80 m
X3
X2
Bodenplatte
X1
Baugrund: Bettungsmodul k = 15000 kN/m3.
B = 1. m
L = 8. m
a) Tunnel als Kreuzungsbauwerk zwischen zwei Bahntrassen
: Stabteilung
8. m
w
(1)
: Systemknoten
v
(2)
u
1
0.80
Lastfall Eigengewicht:
g + 25 kNńm 3 .
ϕ3
2
8. m
Mv
Qw
4
w3
w2
w1
ϕ2
(3)
N
3
(4)
Balkenbettung:
ϕ1
K = k⋅B = 15000 kN/m2.
b) Statisches System: Biegesteife, elastisch gebettete Rahmenzelle
Bild 1.29 : Anwendungsbeispiel Tunnelbauwerk
– 1 / 72 –
Aus der Vielzahl von Lastfällen soll hier nur der Lastfall Eigengewicht betrachtet werden.
Die Grobelementierung sieht zunächst nur vier Stabelemente vor:
2
³ rechte Seitenwand, 3 ³ Bodenplatte und
4
1
³ Firstplatte,
³ linke Seitenwand. Die verti-
kalen Seitenwände erhalten beim Lastfall Eigengewicht eine Einwirkung in Richtung der
Stabachsen. Die Momente aus der Einspannung in die First– und Bodenplatte verlaufen
linear, so daß die Elementierung mit einem Stabelement ausreicht. Auf die waagerechte
First– und die waagerechte Bodenplatte wirkt als Eigengewicht die konstante Streckenlast g = γ⋅d⋅B ein, vgl. (Bild 1.29). Das VdS erfaßt diesen Zustand mit einem Element
noch ausreichend genau, vgl. Abschnitt 1.7, so daß auch bei diesen Bauteilen die
Elementierung mit jeweils einem Stabelement ausreicht, wenn die Bodenplatte nicht
gebettet wäre. Es ist daher zu überprüfen, ob Gl. (1.43) ggf. eine zusätzliche Zwischenteilung der Bodenplatte erfordert. Das Bodengutachten gibt als Bettungsmodul den
Wert k =15000 kN/m3 an. Daraus errechnet sich die Balkenbettung zu K =15000 kN/m2,
vgl. (Bild 1.29b). Die Länge der Bettungselemente ist daher auf
s Bettung
4·3·10 ·
v 2 Ǹ4 EI + 2 Ǹ
K
1.5·10
4
4
7
1·0.8 3
12
4
+ 8.60 m
zu begrenzen. Die Stablänge aller Tunnelbauteile beträgt dagegen nur 8.00 m , vgl.
(Bild 1.29b). Die Elementierung mit einem Stabelement ist demnach als ausreichend
anzusehen. Trotzdem werden für die First– und Bodenplatte jeweils 10 Zwischenteilungen vorgegeben. Nicht aus Gründen der numerischen Genauigkeit, sondern um die
grafische Ausgabe der Momentenverläufe zu ermöglichen, da das hier verwendete Programm nur eine lineare Darstellung pro Element erlaubt.
Der Verschiebungs– und Momentenverlauf, der sich aus einer Berechnung mit der Balkenbettung K = 15000 kN/m2 ergibt, ist in den (Bildern 1.30a und b) dargestellt. Der
Tunnel ist im Vergleich zum Baugrund sehr steif (E/K = 2 ⋅ 103). Die Verschiebungen
der Bodenplatte werden dem Baugrund aufgezwungen (Bild 1.30a). Der Sohldruck unter der Bodenplatte ist daher wie eine mehr oder weniger konstante Streckenlast verteilt, so daß sich aus baustatischer Sicht ein plausibler Momentenverlauf (Bild 1.30b)
einstellt. Eine Kontrollberechnung mit nur zwei Elementen in der First– und Bodenplatte
ergibt die gleichen Feld– und Eckmomente und bestätigt damit die vorgenommene Abschätzung der Elementierung.
Der Tragwerksplaner, der die Planungsunterlagen zum Bau des Tunnelbauwerks
(Bild 1.29) erstellt hat, hat zur Durchführung von statischen Berechnungen ein Programm benutzt, das die Eingabe der Balkenbettung in der Dimension kN/cm2 verlangt.
Demnach hätte man K = 1.5 kN/cm2 eingeben müssen. Eingegeben wurde aber unmittelbar der Zahlenwert aus dem Bodengutachten, nämlich K = 15000, nun aber in der
Dimension kN/cm2 , so daß die Eingabe der Bettung wegen der fehlenden Umrechnung
der Dimension um den Faktor 104 zu groß erfolgte. Statt des wirklich vorliegenden relativ weichen Baugrunds wurde im statischen System mit (E/K = 2 ⋅ 10–1) nun ein sehr
steifer Baugrund abgebildet. Daraus ergeben sich Folgen, die das baustatische und numerische Verhalten des statischen Systems stark beeinflussen.
– 1 / 73 –
6.2 mm
6.8 mm
4.9 mm
6.1 mm
a
28.6
28.6
131.4
275.2
177.6
177.6
b
– 1 / 74 –
–
Die baustatische Folge ist, daß sich die Bodenplatte wegen des steifen Baugrunds
fast starr verhält und dadurch die Seitenwände voll einspannt.
–
Die numerische Folge ist, daß Gl. (1.43) verletzt wird, da sich die zulässige Elementlänge in der gebetteten Bodenplatte durch die falsche Eingabe auf
4
s Bettung v 8.6 Ǹ10*4 + 0.86 m
verringert.
Beide Folgen wurden nicht erkannt. Für den Lastfall Eigengewicht wurde z.B. der Momentenverlauf im (Bild 1.30c) ermittelt, der sich aus einer Berechnung mit vier Elementen in der First– und nur zwei Elementen in der Bodenplatte ergibt. Die Verteilung in der
Bodenplatte ist als reines Zufallsprodukt zu werten, da die Mißachtung von Gl. (1.43)
zumindest im Bereich der Bodenplatte auf völlig willkürliche Ergebnisse führt.
Der Momentenverlauf aus einer Kontrollberechnung mit richtiger Elementteilung, aber
falscher Balkenbettung ist im (Bild 1.30d) dargestellt. Im Vergleich zum (Bild 1.30c) ändern sich die Momente in der Firstplatte kaum, dagegen aber völlig in der Bodenplatte,
in der erwartungsgemäß nur noch die Einspannmomente der Seitenwände auftreten,
während der Innenbereich wegen der großen Steife des Baugrunds momentenfrei
bleibt.
Mit der falschen Eingabe wurden eine Vielzahl von Lastfällen bzw. Lastfallkombinationen berechnet, die zugehörige Bewehrung ermittelt, Bewehrungspläne erstellt und
Listenauszüge zur Herstellung der Bewehrung angefertigt. Der Fehler wurde erst im
Rahmen der statischen Prüfung der Planungsunterlagen vom Prüfstatiker bemerkt.
Welches Fazit ist aus diesem Fall zu ziehen? Aus baustatischer Sicht zwei, nämlich
1.,
daß man immer die Rahmenbedingungen der Berechnungstheorie beachten
muß, auch dann, wenn man mit ihr nur praktisch arbeiten will
und
2.,
daß man Ergebnisse, vor allem solche, die aus Berechnungen mit Programmen
stammen, immer duch anschauliches Verständnis kontrollieren muß, um die Qualität des Produkts Baustatik zu sichern.
Baustatik ist eben mehr als nur reine Zahlenberechnungen. Es sind vor allem sehr gute
theoretische Kenntnisse der Methodik und großes baustatisches Verständnis erforderlich, um Fehler zu vermeiden, wie sie z.B. im Anwendungsbeispiel (Bild 1.29) auftraten.
Sie zu erwerben ist das vorrangige Ausbildungsziel der Lehrveranstaltungen Statik der
Baukonstruktionen im Grundfachstudium.
– 1 / 75 –
70.
70.
90.
61.
30.3
30.3
c
68.3
68.3
91.7
22.1
22.1
d
– 1 / 76 –
1.9
Lastfall Temperatureinwirkung
Temperaturen sind Einwirkungen, die in Tragwerken Verformungen hervorrufen, die zu
Zwängungen führen, wenn sie sich nicht frei einstellen können. Bei statisch unbestimmten Systemen ist dies die Regel, so daß diesem Lastfall besondere Bedeutung zukommt, da Zwängungen zu großen Beanspruchungen führen können.
Im Querschnitt eines Stabes (Bild 1.31) ist in Anlehnung an die Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte von einer geradlinig verteilten Temperaturbeaufschlagung
auszugehen, die sich in einen konstanten und einen linearen Anteil aufspalten läßt.
Oben
h
TO
=
S
Unten
TU
+
DT S
DT h
z, w
Bild 1.31 : Temperaturbeaufschlagung im Stabquerschnitt
Der auf den Schwerpunkt S bezogene konstante Temperaturanteil (Index S) ist durch
DT S +
ǒT U ) T OǓ
2
* TE
(1.44.1)
gegeben und der über die Querschnittshöhe h linear veränderliche Temperaturanteil
(Index h) durch
DT h + T U * T O ,
(1.44.2)
wenn TU = TU(x) die Temperatur an der unteren Balkenfaser (Index U), TO = TO(x)
die Temperatur an der oberen Balkenfaser (Index O) und TE = TE(x) die aktuelle Einbautemperatur (Index E) ausdrückt.
Der Temperaturverlauf kann sich entlang der Stabachse verändern. Im Rahmen einer
einheitlichen Datenvorgabe für DT S Gl. (1.44.1) und DT h Gl. (1.44.2) wird aber wiederum von einem stab– bzw. elementweise konstanten Verlauf ausgegangen.
Durch die Temperatureinwirkung stellen sich im freien Querschnitt zusätzlich zu den
lastbedingten Verformungen die Dehnung
e T + a T DTS
(1.45.1)
– 1 / 77 –
und die Krümmung
kT + aT
DT h
h
(1.45.2)
ein. Der Temperaturausdehnungskoeffizient a T ist ein Werkstoffkennwert und damit
bekannt. Der Index (T) kennzeichnet den Einwirkungsfall Temperatur.
Temperaturbedingte Verformungen beeinflussen das statische Verhalten eines Stabes
durch die Verträglichkeitsaussage. Für die Dehnung in Richtung der Stabachse gilt die
erweiterte Aussage
e K + e E ) e T.
(1.46)
Danach muß die kinematische Dehnung (Index K), also die tragwerksabhängige Gesamtdehnung e K + uȀ(x) nicht nur wie gehabt mit der elastischen Dehnung (Index E)
e E + N(x) ń EA des verwendeten Materials verträglich sein, sondern nun auch
noch, bedingt durch die zusätzliche Temperatureinwirkung mit der Dehnung e T . Mit
Gl. (1.45.1) ergibt sich daraus als Bestimmungsgleichung für die Längskraft der Ausdruck
N(x) + EAǒuȀ(x) * a T DT SǓ.
(1.47)
Lediglich die Differenz zwischen kinematischen und temperaturbedingten Dehnungsanteilen e E + e K * e T führt demnach zu einer elastischen Reaktion des verwendeten
Materials, die bei gleichzeitiger Einwirkung von Lasten und Temperaturen die Schnittkraft Gl. (1.47) hervorruft.
Für die Krümmung der Stabachse ist die Verträglichkeitsaussage ebenfalls zu erweitern.
kK + kE ) kT
(1.48)
Mit k K + * wȀȀ(x), k E + M(x) ń EI und Gl. (1.45.2) ergibt sich daraus als Bestimmungsgleichung für das Biegemoment der Ausdruck
ǒ
M(x) + * EI wȀȀ(x) ) a T
DT h
h
Ǔ
(1.49)
Auch im Fall der Krümmung gilt, daß lediglich die Differenz zwischen kinematischen und
temperaturbedingten Krümmungsanteilen k E + k K * k T eine elastische Reaktion des
verwendeten Materials hervorruft, aus der das Moment Gl. (1.49) resultiert.
– 1 / 78 –
Das Einsetzen der Bestimmungsgleichungen (1.47 und 1.49) in das bereits umgeformte PvW (Gl. 1.14.1 und 1.14.2) führt unmittelbar auf die zusätzlichen Arbeitsanteile
NT
B
*
ŕ uȀ (x) EAǒa
v
T
DT SǓdx
(1.50.1)
A
e v(x)
und
MT
ŕ wȀȀ (x) EIǒa
B
*
v
T
Ǔ
DT h
dx.
h
(1.50.2)
A
* k v(x)
Sie sind zusätzlich auszuwerten, um mit dem VdS den Lastfall Temperatureinwirkung
erfassen zu können. Die virtuellen Temperaturarbeiten Gl. (1.50.1 und 1.50.2) werden
durch Produkte aus virtuellen Verzerrungen und wirklichen Schnittgrößen gebildet und
sind daher den inneren Arbeiten zuzurechnen. Sie überführen die temperaturbedingte
Dehnung und Krümmung in äquivalente Kraftgrößen, nämlich die Längskraft NT und
das Biegemoment MT, die als bekannte Größen zur rechten Seite des Gleichungs–
systems Gl. (1.31.1) gehören, aus dem sich die unbekannten Weggrößen berechnen.
Zur numerischen Auswertung von Gl. (1.50) muß wiederum der Verlauf der Integranden
zwischen den Grenzen A und B der Stab– bzw. Elementränder bekannt sein. Die
Kennwerte EA, EI, αT, ∆TS, und ∆Th sind vereinbarungsgemäß konstant. Sie können
daher vor das Integral gezogen werden, während die Abschätzung des Verlaufs der virtuellen Verzerrungen, nämlich der Dehnung e v(x) + uȀ v(x) und der Krümmung
* k v(x) + wȀȀ v(x) mit den Ansätzen nach Gl. (1.20.2 und 1.21.2) erfolgt. Die Durch–
führung der Integration und die Einordnung der Ergebnisse in die lokale Matrizengleichung (1.22 bzw. 1.23) ergibt dann zusätzlich die Matrix der Knotenbelastung T s 0l
infolge der Temperatureinwirkung DT S und DT h.
– 1 / 79 –
Zusätzliche
Knotenbe–
lastung
infolge
Temperatur–
einwirkungen
* NT
0
Bereits
vorhanden
Virtuelle Knoten–
T
verschiebungen ǒv vlǓ
Wv =
k llv l * s 0l –
MT
= 0.
N
T
0
u vA w vA ö vA u vB w vB ö vB
* MT
(1.51)
T 0
sl
In Gl. (1.51) ist
N T + EA a T DTS
(1.52.1)
DT h
.
h
(1.52.2)
und
M T + EI a T
Ein Vergleich mit Gl. (1.50) verdeutlicht, daß sich die Eingangsgrößen durch die Integration nicht verändern. Um diese Ergebnisse zu bestätigen, soll nun an zwei einfachen
Beispielen die Wirkung von DT S und DT h auf Plausibilität untersucht werden. Als
erstes Beispiel wird ein links und rechts fest eingespannter Stab gewählt, der in zwei
Elemente unterteilt wird, um einen Mittelknoten zu erhalten (Bild 1.32). Die Berechnung
mit dem VdS wird in lokalen Koordinaten durchgeführt und ist in den (Bildern 1.33 und
1.34) dargestellt. DT S ist dem Lastfall LF1 und DT h dem Lastfall LF2 zugeordnet.
– 1 / 80 –
Oben
DT S, DT h, a T
h
x, u
EA, EI
s
Unten
z, w
a) System: Geometrisch bestimmter Grundstab
Links
Rechts
= 0, uv = 0
w = 0, wv = 0
ϕ = 0, ϕv = 0
= 0, uv = 0
w = 0, wv = 0
ϕ = 0, ϕv = 0
u
u
Links
Rechts
b) Randbedingungen
A=1
B=2
1
A=2
B=3
2
3
* EA 1, EI 1 *
* EA 2, EI 2 *
* s1 *
* s2 *
Knotennummern
Elementnummern
c) Elementierung
Bild 1.32: Beispiel zum Lastfall Temperatur
Der linke Knoten 1 und der rechte Knoten 3 sind vollständig gefesselt. Damit entfallen
dort die Gleichungen für die Weggrößen, so daß nur die Unbekannten des Mittelkno–
tens 2 im Gleichungssystem auftreten. Die aktiven Steifigkeiten und Einwirkungen ergeben sich aus dem B = 2 Knoten des ersten und aus dem A = 2 Knoten des zwei–
ten Elements. Das algebraische Gleichungssystem und die zugehörige Lösung der
Systemberechnung sind im (Bild 1.33) angegeben.
– 1 / 81 –
(LF1)
EA 1 EA 2
s1 ) s2
0
ȡEI EI ȣ
12ȧ 31 ) 32ȧ
Ȣ s1 s2 Ȥ
0
ȡ
Ȣ
6ȧ*
0
0
ȡ
Ȣ
6ȧ*
N T1 * N T2
0
w2 =
0
0
ϕ2
0
u2
EI 1 EI 2ȣ
) 2ȧ
s 21
s2 Ȥ
ǒ
EI 1 EI 2ȣ
EI 1 EI 2
4
)
ȧ
s1 ) s2
s 21
s 22 Ȥ
Ǔ
(LF2)
* M T1 ) M T2
a) Algebraisches Gleichungssystem
Mit Gl. (1.52) und A 1 + A 2 + A, I1 + I 2 + I und s 1 + s 2 + s
2
K
4 EI
s
0
192 EI
s
0
0
0
V
folgt aus a)
S0
0
u2
0
0
0
w2 =
0
0
ϕ2
0
0
16 EA
s
b) Algebraisches Gleichungssystem nach Datenanpassung an (Bild 1.32a)
u2 = 0
V =
w2 = 0
ϕ2 = 0
c) Weggrößen–Lösung
Bild 1.33 : Durchführung der Systemberechnung 1. Beispiel
– 1 / 82 –
Der beidseitig eingespannte Stab verformt sich also nicht, wenn er unter Temperatureinwirkung gerät. Die temperaturbedingten Verformungen am freien Stab werden durch
die Einspannung vollständig behindert, so daß als Reaktion auf die Zwängung aber
Schnittgrößen auftreten müssen. Unter Beachtung der Vorzeichenanpassung für die
Temperaturlastspalte T s 01 in Gl. (1.51) gemäß (Bild 1.13) können sie elementweise
nach Gl. (1.34) bestimmt werden. Da der homogene Anteil mit V = 0 entfällt, ver–
bleibt nur die Temperaturlastspalte, die nach der Vorzeichenanpassung unmittelbar die
Schnittgrößen infolge Temperatureinwirkung enthält. Längskraft und Moment sind im
(Bild 1.34) angegeben.
A=1
M
N
N
1
N + * N T2 + * EA a T DT S,
M + * M T2 + * EI a T
N + * N T1 + * EA a T DT S,
B=2
DT h
.
h
M
M + * M T1 + * EI a T
A=1
N
M
DT h
.
h
B=2
2
N
M
Bild 1.34 : Schnittgrößen am geometrisch bestimmten Grundstab durch
Temperatureinwirkung
Durch die Verformungsbehinderung der Einspannung wird der Stab bei positiven DT S
auf Druck beansprucht; ein Ergebnis, das unmittelbar mit der Anschauung im Einklang
steht, da die verhinderte Temperaturlängung des freien Stabes zwangsläufig zu einer
verschiebungsneutralen Stauchung im eingespannten Stab führen muß. Ein positives
DT h bedeutet, daß Tu größer als To ist, am freien Stab die Bezugsfaser also gedehnt
würde. Durch die Einspannung kann sich die nach unten gerichtete Durchbiegung aber
nicht einstellen, was zwangsläufig zu einer durchbiegungsneutralen Verkrümmung im
eingespannten Stab führen muß, die entlang der Stabachse konstante negative Momente hervorruft, vgl. (Bild 1.34).
Das behandelte 1. Beispiel entspricht einem echten geometrisch bestimmten Grundstab, der z.B. im Grundsystem des DWV zur Anwendung kommt. Durch Tempe–
ratureinwirkungen ergeben sich nur Kraft– aber keine Weggrößen. Daraus ist zu
schließen, daß sich beim statisch bestimmten Grundstab, der z.B. im Grundsystem des
KGV zur Anwendung kommt, genau die umgekehrten Verhältnisse einstellen müssen,
also nur Weg– aber keine Kraftgrößen auftreten. Dies soll nun ebenfalls anhand eines
zweiten Beispiels nachgewiesen werden. Dazu reicht es aus, einen links und rechts
gelenkig gelagerten Stab zu betrachten und mit einem Element zu diskretisieren
(Bild 1.35). Die Berechnung mit dem VdS wird für die Lastfälle LF1: DT S und LF2:
DT h in lokalen Koordinaten durchgeführt und ist in den (Bildern 1.36 und 1.37) dargestellt.
– 1 / 83 –
Oben
DT S, DT h, a T
h
x, u
EA, EI
s
Unten
z, w
a) System: Statisch bestimmter Grundstab
Links
u
Rechts
= 0, uv = 0
w = 0, wv = 0
w = 0, wv = 0
Links
Rechts
b) Randbedingungen
A=1
B=2
1
Knotennummern
Elementnummern
– EA, EI –
–s–
c) Elementierung
Bild 1.35: 2. Beispiel zum Lastfall Temperatur
Die Verschiebung u1 und Durchbiegung w1 am linken Knoten 1 und die Durchbiegung
w2 am rechten Knoten 2 sind durch die Randbedingungen bekannt. Als unbekannte
Weggrößen der Einelement–Diskretisierung sind daher am Knoten A = 1 die Verdrehung ϕ1 und am Knoten B = 2 die Verschiebung u2 und die Verdrehung ϕ2 zu berechnen. Das algebraische Gleichungssystem und die zugehörige Lösung der Systemberechnung sind im (Bild 1.36) angegeben.
– 1 / 84 –
(LF2)
(LF1)
K
V
4 EI
s
0
2 EI
s
0
EA
s
0
2 EI
s
0
4 EI
s
S0
ϕ1
0
MT
u2 =
NT
0
ϕ2
* MT
a) Algebraisches Gleichungssystem
V =
ϕ1
=
1 M Ts
2 EI
u2
=
N Ts
EA
ϕ2
=
* 1M s
2 EI
T
c) Weggrößen–Lösung
Bild 1.36 : Durchführung der Systemberechnung 2. Beispiel
Der beidseitig gelenkig gelagerte Stab verformt sich also wie erwartet unter Tempera–
tureinwirkungen. Die Verformungsfigur ist im (Bild 1.37) dargestellt.
s
u2
A=1
B=1
ö1
ö2
Bild 1.37 : Verformungen am statisch bestimmten Grundstab durch
Temperatureinwirkungen
– 1 / 85 –
Nun ist noch zu überprüfen, ob sich auch keine Schnittgrößen einstellen. Unter Beachtung der Vorzeichenanpassung für die Temperaturlastspalte T s 01 in Gl. (1.51) gemäß
(Bild 1.13) folgt nach Gl. (1.34) der Ausdruck
N1
0
EA
s
1 M Ts
2 EI
0
Q1
* 6 EI2
s
0
* 6 EI2
s
M1
4 EI
s
0
2 EI
s
0
EA
s
N Ts
EA
=
N2
T
* 1M s
2 EI
NT
0
0
0
MT
0
–
0
=
NT
0
Q2
* 6 EI
s
0
* 6 EI
s
0
0
M2
* 2 EI
s
0
* 4 EI
s
MT
0
,
so daß auch diese Vorhersage stimmt. Schnittgrößen treten erst dann auf, wenn die
temperaturbedingten Verformungen behindert werden. Dies kommt, wie bereits erwähnt nur bei statisch unbestimmten Systemen vor.
– 1 / 86 –
Teil 2 : Theorie II. Ordnung
2.1
Einführung in die Problematik
2.1.1
Allgemeines
Der prinzipielle Ablauf einer statischen Berechnung von Tragwerken auf der Grundlage
der Theorie II. Ordnung wird am Beispiel eines kombinierten Spannungs– und Stabili–
tätsproblems vorgestellt. Im Mittelpunkt des Interesses steht nicht die Durchführung der
Zahlenrechnung, sondern die Einführung in eine neue Methodik, die es erlaubt, den verformten Zustand des Tragwerks in die Berechnung mit einzubeziehen. Vor der eigent–
lichen Zahlenrechnung sind zunächst die wichtigsten Begriffe zur Definition von Spannungs– und Stabilitätsproblemen in allgemeiner Form zu erläutern. Dies ist erforderlich,
um Ergebnisse beurteilen zu können, die sich ergeben, wenn man das Gleichgewicht
am verformten System erfüllt.
Ein Spannungsproblem liegt vor, wenn zu jedem bekannten Kraftzustand ein eindeutiger Wegzustand gehört. Dies ist z.B. bei den Kraft–Weg–Diagrammen bzw. Last–Verschiebungs–Kurven (LVK) A und B im (Bild 2.1) der Fall. Zum Lastfaktor ρ1 gehört
die Verschiebung v1 bzw. v~ 1 , zum Lastfaktor ρ2 die Verschiebung v2 bzw. v~ 2 , u.s.w.
Alle Kurvenpunkte sind durch eindeutige Schnitte von Kräften und Wegen definiert.
òk
Lastfaktoren ò
C
A
B
ò ⋅ FZ
v, v~
ò ⋅ FX
ò2
ϕ
X, vx
Z, vz
ò1
v1
Spannungs–
problem
C: Verzweigung, FX = 0.
Stabilitäts–
problem
v~ 2
~
v1
A: Theorie I. Ordnung
B: Theorie II. Ordnung
Verschiebungen v und v~
v2
Bild 2.1 : Last–Verschiebungs–Kurven
–2/1–
Spezielle Lastfaktoren sind technischen Regelwerken zu entnehmen, z.B. DIN 18 800,
Teil 1. Dort sind sie als Teilsicherheitsbeiwerte der Einwirkungen definiert und werden
mit γF bezeichnet. Die charakteristischen Einwirkungen eines Tragwerks sind durch
Multiplikation mit γF zu erhöhen, um Einwirkungen zu erhalten, die als Grundlage der
Bemessung dienen.
Die LVK A mit den Verschiebungen v resultiert aus einer Berechnung nach der Spannungstheorie I. Ordnung, bei der Kräfte und Wege linear voneinander abhängen. Bei
der LVK B mit den Verschiebungen v~ , die auf einer Berechnung nach der Spannungstheorie II. Ordnung beruht, stellt sich dagegen ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen Kräften und Wegen ein. Das Kräftegleichgewicht wird nun in physikalisch zutreffender Weise für den verformten Zustand des Tragwerks ermittelt und nicht wie bei der
Theorie I. Ordnung, näherungsweise am unverformten Tragwerk. Je größer die Verschiebungsunterschiede zwischen v und v~ ausfallen, um so stärker weichen die LVK
A und B voneinander ab. Im Ursprung des Diagramms ist die LVK A Tangente der
LVK B. Sie kann daher nur im Bereich kleiner Verschiebungen mit dieser übereinstimmen, die das Tragverhalten genauer erfaßt. Die Abweichung zwischen beiden Kurven
ist demnach als ein Maß zu werten, welches den Anwendungsbereich der Spannungstheorie I. Ordnung begrenzt und damit den Näherungscharakter dieser Theorie verdeutlicht.
Die LVK C ist dagegen einem Stabilitätsproblem zugeordnet, da sich nun Mehrdeutigkeiten zwischen Kräften und Wegen ergeben. Der im (Bild 2.1) dargestellte Verlauf
gehört zu einem Verzweigungsproblem. Von einer Gleichgewichtslage, die zu einem
reinen Dehnungszustand ohne Verschiebungen v gehört, kann bei Erreichen eines
kritischen Lastniveaus (Index k) schlagartig ein Biegezustand mit großen Verschie–
bungen v~ abzweigen. Dieser als Knicken bezeichnete Übergang darf bei realen
Tragwerken natürlich nicht auftreten, da er unmittelbar zum Einsturz von Teilen eines
Bauwerks oder sogar des Gesamtbauwerks führt. Die Kenntnis des kritischen Last–
faktors ρk , in der DIN 18 800, Teil 2 z.B. als Verzweigungslastfaktor ηKi bezeichnet,
ist daher von elementarer Bedeutung, um die Stabilität eines Tragwerks zu beurteilen.
Liegen die Lastfaktoren ρ1 und ρ2 unter dem kritischen Lastfaktor ρk der Knicklast,
kann der erforderliche Stabilitätsnachweis mit dem Spannungsproblem nach Theorie
II. Ordnung erfolgen. Als Ergebnis erhält man Kräfte und Wege, z.B. die Schnittgrößen
N, Q und M sowie die Verschiebungen vx und vz und die Verdrehung ϕ. Diese Vor–
gehensweise ist durch technische Regelwerke u.a. der DIN 1045, Abschnitt 17.4.4
oder der DIN 18 800, Teil 2 vorgeschrieben.
Sie ist aber nur erlaubt, wenn eindeutig feststeht, daß das nachzuweisende Lastniveau
unter der Knicklast des betrachteten Tragwerks liegt, wobei das nachzuweisende Lastniveau und das angestrebte Sicherheitsniveau i.a. zusammenfallen. Ist die Eingangslast des Spannungsnachweises nach Theorie II. Ordnung dagegen größer als die
Knicklast, geht der Nachweis der Stabilität nach dieser Methode völlig fehl. Zum vollständigen Nachweis sollte daher auch immer die Bestimmung der Knicklast und Knickform gehören, um die Ergebnisse der Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung
abzusichern.
–2/2–
Dies kann z.B. durch die Formulierung eines Eigenwertproblems erfolgen. Das Knickeigenwertproblem beschreibt das Gleichgewicht von Spannungen bzw. Schnittgrößen,
die zu einem unverformten Grundzustand nach Theorie I. Ordnung gehören, in endlich
entfernter Nachbarschaft vom bekannten Grundzustand, also in verformter Lage nach
den Gesetzen der Theorie II. Ordnung. Der im rechnerischen Vorgehen geringe, aber
methodisch sehr wichtige Unterschied zwischen Stabilitäts– und Spannungsproblem
besteht demnach lediglich darin, daß Kräfte und Wege beim Stabilitätsproblem aus
unterschiedlichen Zuständen resultieren, nämlich die Kräfte aus dem Grund– (Theorie
I. Ordnung) und die Wege aus dem Nachbarzustand (Theorie II. Ordnung), während sie
beim Spannungsproblem aus einem Zustand folgen, nämlich dem nach Theorie II. Ordnung.
Als Ergebnis von Eigenwertproblemen erhält man Eigenwerte und Eigenformen. Der
kleinste Eigenwert gibt an, um wieviel die Schnittgrößen des Grundzustands zu erhöhen sind, damit das betrachtete Tragwerk ausknickt. Die Schnittgrößen des Grundzustands folgen aus einer Berechnung nach Theorie I. Ordnung. Dadurch erhöhen sich
die Einwirkungen in gleicher Weise wie die Schnittgrößen. Mit dem kleinsten Eigenwert
ist daher auch die Knicklast der Einwirkungen unmittelbar bekannt.
Die zugehörige Eigenform zeigt an, wie das Tragwerk ausknickt. Die Größenordnung
der Wegamplituden bleibt dagegen unbestimmt. Dies ist aber ohne Bedeutung, da das
Ausknicken bei realen Tragwerken nicht eintreten darf. Die Ergebnisse der Stabilitäts–
analyse haben ausschließlich begleitenden Charakter, um die Ergebnisse aus einer
Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung eingrenzen und dadurch bewerten zu
können.
2.1.2
Einführungsbeispiel
Das statische System des Einführungsbeispiels ist im (Bild 2.2) dargestellt. Es ist ein
einhüftiger Stahl–Rahmen, der aus einem Stiel mit dem Profil I PBL 400 und aus einem
Riegel mit dem Profil I PBL 500 besteht. Die Profilwerte sind in (Tabelle 2.1) angegeben. In der Rahmenecke greifen zwei Einzelkräfte an: Eine horizontale Kraft ρ ⋅ FX2,
FX2 = 100. kN und eine vertikale Kraft ρ ⋅ FZ2, FZ2 = 1000. kN. Gesucht ist der Ver–
lauf der Momente nach der Spannungstheorie II. Ordnung. Die Berechnung soll für den
ρ = γF = 1.5–fachen Lastzustand erfolgen, um eine 1.5–fache Sicherheit gegenüber
Stabilitätsversagen zu erreichen. Dies ist durch eine Stabilitätskontrolle des Gleichgewichts nachzuweisen.
Bezeichnung
Riegel
Stiel
Einheit
Länge
10.0
8.0
m
Profil
I PBL 400
I PBL 500
–
EA →
∞
∞
kN
EI
94.6 ⋅ 103
182.6 ⋅ 103
kNm2
GAQ →
∞
∞
kN
Tabelle 2.1 : Kennwerte Einführungsbeispiel
–2/3–
Riegel: I PBL 400
(1)
(2)
ò ⋅ F Z2 ,
F Z2 + 1000. kN
ò ⋅ F X2 ,
F X2 + 100. kN
ϕ
X, vx
H = 8.
Stiel:
I PBL 500
Z, vz
(3)
L = 10. m
Bild 2.2 : Einführungsbeispiel
Das System im (Bild 2.2) ist n = 1–fach statisch und m = 2–fach geometrisch Unbestimmt. Das GGS des WGV weist damit mehr Unbekannte auf als das SGS des KGV.
Trotzdem ist es sinnvoll, die Berechnung mit dem WGV statt mit dem KGV durchzuführen. Der Gleichgewichtszustand ist nämlich am verformten System zu untersuchen.
Dazu müssen die Verschiebungen und Verdrehungen der einzelnen Stäbe bekannt
sein, um die verformte Lage zu beschreiben. Beim WGV sind sie unmittelbar als Berechnungsgrößen definiert, während beim KGV zusätzlich eine Nachlaufrechnung erforderlich ist, um sie zu ermitteln. Da die Berechnung zudem iterativ abläuft, bis Gleichgewicht und verformte Lage ohne Widerspruch übereinstimmen, ist der rechnerische
Gesamtaufwand beim WGV insgesamt erheblich geringer als beim KGV. Aus metho–
discher Sicht erweist sich das WGV daher als optimale Variante, um statische Berechnungen nach Theorie II. Ordnung durchzuführen. Dies kann sowohl mit dem DWV als
auch mit dem VdS erfolgen.
2.1.3
Berechnung als Spannungsproblem
Im Rahmen der Einführung kommt lediglich das DWV zur Anwendung. Die Berechnung
des Spannungsproblems nach Theorie II. Ordnung beginnt in gleicher Weise wie eine
Berechnung nach Theorie I. Ordnung. Das GGS mit einer Dreh– und einer Wegfessel
ist im (Bild 2.3) dargestellt.
–2/4–
Y1, Z1
(1)
Y2, Z2
(2)
(3)
Bild 2.3 : GGS des Einführungsbeispiels
Es sind zunächst die Zwangsgrößen in den Fesseln für die 0– und m = 1, 2– Zustände
zu ermitteln. Sie sind im (Bild 2.4) dargestellt. Das Entspannen der Fesseln zur Erfüllung
des Gleichgewichts führt auf das Gleichungssystem
119 680.
–17 118.75
–17 118.75
4 279.7
Y1
Y2
=
0.
–150.
,
aus dem sich die geometrischen Unbestimmten zu
Y 1 + * 0.01172 und Y 2 + * 0.08192 m
berechnen. Der Verlauf der Momente, der sich aus der Superposition der 0– und
m = 1, 2– Zustände ergibt und die daraus folgenden weiteren statischen Größen sind
damit ebenfalls bekannt. Sie sind im (Bild 2.5) dargestellt. (Bild 2.5a) zeigt den Verlauf
der Tragwerksverformung, (Bild 2.5b) den Verlauf des Moments und (Bild 2.5c) den Verlauf der Längskraft.
Die Verformungen gemäß (Bild 2.5a) sind bislang nicht in die Berechnung eingegangen.
Die Ergebnisse im (Bild 2.5) müssen demnach mit den Ergebnissen der Spannungstheorie I. Ordnung übereinstimmen, da sie für das unverformte System gelten. Es sind
also noch zusätzlich Überlegungen erforderlich, um den Verformungszustand gemäß
der Spannungstheorie II. Ordnung in die Berechnung einzubeziehen.
–2/5–
Y1 = 0, Z10
ρ ⋅ FZ2
(1)
ρ ⋅ FX2
Y2 = 0, Z20
(2)
Z 10 + 0.
H
Z 20 + ò ⋅ F X2 + 1.5 ⋅ 100. kN + 150. kN
(3)
L
a) 0– Zustand: Z10 und Z20
EI R
+ 28 380. kNm
L
EI
M 23,1 + 4 S + 91 300. kNm
H
EI
M 32,1 + 2 S + 45 650. kNm
H
M 21,1 + 3
Y1 = 1, Z11
M 21,1
Y2 = 0, Z21
M 23,1
Z 11 + M 21,1 ) M 23,1 + 119 680. kNm
Z 21 + *
M 32,1
+ * 17 118.75 kN
b) m = 1– Zustand: Z11 und Z21
1
M 23,1 ) M 32,1
H
1
Y1 = 0, Z12
Y2 = 1, Z22
M 23,2
M 23,2 + 6
EI S
H2
+ 17 118.75 kNm
M 32,2 + M 23,2
Y 23
M 32,2
Z 12 + * M 23,2 + * 17 118.75 kNm
Z 22 +
c) m = 2– Zustand: Z12 und Z22
M 23,2 ) M 32,2
+ 4 279.7 kN
H
Bild 2.4 : Zwangsgrößen der 0– und m = 1, 2– Zustände des Einführungsbeispiels
–2/6–
Schiefstellung des Stiels
Y2
Laststellung
Theorie II. Ordnung
ò ⋅ F Z2 ,
F Z2 + 1000. kN
(1)
ò ⋅ F X2 ,
F X2 + 100. kN
(2)
Y1
H
Laststellung
Theorie I. Ordnung
Versatzmoment durch
Schiefstellung des Stiels:
∆M = N23 ⋅ Y2
AZ1
v (m)
AX3
(3)
AM3
AZ3
L
a) Verformung
(1)
(2)
+
332.6
M 21 + M 21,1 ⋅Y1 + 332.6 kNm
M 23 + M 23,1 ⋅ Y1 ) M 23,2 ⋅ Y 2 + M 21
M 32 + M 32,1 ⋅ Y1 ) M 32,2 ⋅ Y 2
M (kNm)
–
(3)
+ * 867.4 kNm
867.4
b) Moment
(2)
(1)
1 466.7
N 12 + N 21 + 0.
–
N 23 + N 32 + * ò ⋅ F Z2 )
N (kN)
M 21
L
+ * 1 466.7 kN
(3)
c) Normalkraft
Bild 2.5 : Ergebnisse nach Theorie I. Ordnung für ρ = 1.5 am unverformten System
–2/7–
Im (Bild 2.5a) ist zu erkennen, daß sich durch die Verschiebung des Tragwerks der Angriffspunkt (2) der Einwirkungen in horizontaler Richtung um das Maß Y2 = –0.082 m
verschiebt. Die Einleitung der Vertikalkraft
(–ρ ⋅ FZ2 + AZ1) = AZ3 = N23 = N32 = – 1 466.7 kN
in das fest eingespannte Lager des Stiels erfolgt durch die Schiefstellung des Stiels auf
gegeneinander versetzten Wirkungslinien, so daß auf dem Stiel zusätzlich das Versatzmoment
∆M = N23 ⋅ Y2 = 1 466.7 ⋅ 0.082 = 120.3 kNm
einwirkt. Dieses Moment ist bei einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung zu berücksichtigen, während es bei einer Berechnung am unverformten System nach Theorie
I. Ordnung entfällt. Die Wirkung des Versatzmoments hängt von zwei Einflußgrößen ab:
1.
Größe und Richtung der Normalkraft im Stiel.
2.
Größe und Richtung der Schiefstellung des Stiels.
Bei großen Normalkräften reichen schon relativ kleine Schiefstellungen aus, um große
Versatzmomente zu erzeugen. Diese Konstellation ist als baustatischer Regelfall zu betrachten. Im entgegengesetzten Fall kann es bei relativ kleinen Normalkräften durch
große Schiefstellungen ebenfalls zu großen Versatzmomenten kommen. Diese Konstellation ist aber aus baupraktischer Sicht von geringer Bedeutung. Treten die Normalkräfte wie im Einführungsbeispiel als Druckkräfte auf, verstärkt das Versatzmoment die
Wirkung der äußeren Lasten (Bild 2.5a). Zugkräfte müssen dagegen zu einer Verringerung führen, da Versatzmomente und äußere Lasten dann in entgegengesetzter Richtung wirken.
2.1.3.1 Iteration mit verändertem 0– Zustand
Die be– oder entlastende Wirkung des Versatzmoments nach Theorie II. Ordnung wird
besonders deutlich, wenn man das Versatzmoment durch ein statisch gleichwertiges
Kräftepaar ersetzt, das sich auf die unverformte Tragwerkkonfiguration bezieht. Die
Kräfte des Kräftepaares werden als fiktive Kräfte bezeichnet, um eine Verwechselung
mit vorgegebenen Einwirkungen zu vermeiden. Die Umsetzung des Versatzmoments
in ein Kräftepaar mit fiktiven Kräften ist im (Bild 2.6) dargestellt.
Die obere fiktive Kraft greift im Systempunkt (2) in Richtung der dort wirkenden horizontalen Last ρ ⋅ FX2 an. Das hat zur Folge, daß sich die Wirkung der äußeren Last um
das Maß der fiktiven Kraft
Ffiktiv = ∆M / H = 120.3 kNm / 8. m = 15. kN
erhöht. Die untere fiktive Kraft spielt dagegen keine Rolle, da sie unmittelbar im Fest–
lager (3) des Stiels angreift. Da die fiktiven Kräfte definitionsgemäß am unverformten
–2/8–
System wirken, ist die Berechnung nach Theorie I. Ordnung gemäß (Bild 2.4) lediglich
mit modifiziertem 0– Zustand (Bild 2.4a) zu wiederholen, um ein erstes Ergebnis nach
Theorie II. Ordnung zu erhalten.
ρ ⋅ FZ2
(1)
(2)
H
ρ ⋅ FX2
Ffiktiv = ∆M/H = 15. kN
Entweder
Unverformte
Tragwerk–
konfiguration
oder
Versatzmoment
∆M = 120.3 kNm,
vgl. (Bild 2.5a)
(3)
à
Fiktive
Kräfte
Ffiktiv = ∆M/H = 15. kN
L
Bild 2.6 : Versatzmoment oder fiktive Kräfte
Nach (Bild 2.6 und Bild 2.4a) berechnet sich die modifizierte Zwangsgröße der Wegfessel zu
Z20 = ρ ⋅ FX2 + ∆M / H = 150. + 15. = 165. kN.
Der Erhöhungsfaktor gegenüber der Ausgangslösung beträgt
f1 = 165. / 150. = 1.1.
Dadurch ergibt sich für die Verformung (Bild 2.5a) und das Moment (Bild 2.5b) ein Zuwachs von jeweils 10%.
Y 1 + * 0.01172⋅1.1 + * 0.01289 und Y 2 + * 0.08192⋅1.1 + * 0.09011 m,
sowie
M 21 + M 23 + 332.6⋅1.1 + 365.9 kNm und M 32 + * 867.4⋅1.1 + * 954.2 kNm.
Die Normalkraft nimmt dagegen geringfügig ab
N 23 + N 32 + * 1 500. ) 365.9 + * 1 463.4 kN.
10.
–2/9–
Damit ist die erste Iteration im Rahmen einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung
abgeschlossen. Der zweite Schritt beginnt wiederum mit der Berechnung des Versatzmoments
DM + | 1 463.4 · 0.090 | + 131.7 kN
und der daraus resultierenden fiktiven Kraft
F fiktiv + DM + 131.7 + 16.5 kN .
8.
H
Die modifizierte Zwangsgröße der Wegfessel berechnet sich damit zu
Z 20 + 150. ) 16.5 + 166.5 kN .
Der gesamte Erhöhungsfaktor in Bezug auf die Ausgangsgröße nach Theorie I. Ordnung ist dann durch
f 2 + 166.5 + 1.11
150.
bekannt, so daß der Zuwachs zwischen dem ersten und zweiten Iterationsschritt nur
noch 1% beträgt.
Ein weiterer Iterationsschritt ist daher nicht erforderlich. Die Ergebnisse nach Abschluß
des 2–ten Iterationsschritts sind durch
Y 1 + * 0.01172⋅1.11 + * 0.01301 und Y 2 + * 0.08192⋅1.11 + * 0.09093 m,
sowie
M 21 + M 23 + 332.6⋅1.11 + 369.2 kNm und M 32 + * 867.4⋅1.11 + * 962.8 kNm
gegeben. Der Verlauf dieser Größen stimmt mit dem Verlauf der Größen nach Theorie
I. Ordnung in den (Bildern 2.5a und b) überein. Lediglich die Zahlenwerte sind um 11%
größer als die Werte nach Theorie I. Ordnung. Der Anstieg um 11% stellt auch aus baupraktischer Sicht eine nicht mehr zu vernachlässigende Größenordnung dar, so daß die
Ergebnisse aus der Berechnung nach Theorie I. Ordnung in diesem Fall auf der un–
sicheren Seite liegen. Die Normalkraft im (Bild 2.5c) nimmt dagegen ab
N 23 + N 32 + * 1 500. ) 369.2 + * 1 463.1 kN.
10.
Der nicht proportionale Zusammenhang zwischen den Größen ist ein Hinweis auf das
nichtlineare Tragverhalten.
Die Iteration mit verändertem 0– Zustand über die rechte Seite des Gleichungssystems
ist die elementarste Form, um eine Berechnung nach Theorie II. Ordnung durchzuführen. Effektiver ist dagegen eine Iteration über die linke Seite des Gleichungssystems,
die auf einer Veränderung der m– Zustände beruht. Vor allem dann, wenn man die
– 2 / 10 –
Iteration mit vorgeschätzten Normalkräften startet. Im Rahmen dieser Methode ist i.a.
nur ein Berechnungsschritt erforderlich, um hinreichend genaue Ergebnisse nach
Theorie II. Ordnung zu erhalten. Zusätzlich bietet diese Methode die Möglichkeit, auch
das Stabilitätsproblem zu lösen.
2.1.3.2 Iteration mit veränderlichen m– Zuständen
Ausgangspunkt der Betrachtung sind die m = 1– und m = 2– Zustände im (Bild 2.4).
Der m = 1– Zustand (Bild 2.4b) spielt keine Rolle. Schiefstellungen der Stäbe treten bei
der Einheitsverdrehung der Drehfessel nicht auf und damit auch keine globalen, auf die
jeweiligen Stäbe bezogenen Versatzmomente. Die lokalen Verschiebungsdifferenzen
innerhalb der Stäbe führen zwar ebenfalls zu Versatzmomenten, wenn in den Stäben
Normalkräfte wirken. Sie sind aber, wenn überhaupt, den lokalen Stabendmomenten
zuzuschlagen und werden bei der Berechnung des Einführungsbeispiels ersatzlos vernachlässigt.
Der m = 2– Zustand (Bild 2.4c) ist dagegen im Rahmen einer Theorie II. Ordnung–Berechnung von grundsätzlicher Bedeutung. Die Einheitsverschiebung der Wegfessel
führt zu einer Schiefstellung des Stiels und damit zu einem Versatzmoment, das direkt
vom bekannten Weg der Einheitsverschiebung Y2 = 1 abhängt, wenn man die Normalkraft N23 im Stiel vorschätzt.
Die Zusammenhänge sind im (Bild 2.7) dargestellt. Ziel ist es, eine Iteration mit veränderlichen Z22– Zwangsgrößen aufzubauen. Das Versatzmoment der Schiefstellung ist
durch
∆M = N23 ⋅ Y2
bekannt. Es kann bei der Berechnung von Z22 entweder unmittelbar als Moment
oder wiederum als fiktive Kraft berücksichtigt werden. Der virtuelle Zustand zur Berechnung von Z22 ist durch die Schlußlinie des m = 2– Zustands (Bild 2.4c oder Bild 2.7)
gegeben. Die Schlußlinie stimmt mit der kinematischen Verschiebung einer Rahmenkette überein, die vom unverformten System aus erfolgt.
Im ersten Fall gilt
Y v2 Z 22 * Y v23 ǒM 23, 2 ) M 32, 2Ǔ ) Y v23 ⋅ DM + 0
und im zweiten Fall
Y v2 Z 22 * Y v23 ǒM 23, 2 ) M 32, 2Ǔ ) Y v2 ⋅ F fiktiv + 0.
Mit
Y 2 + 1 und Y v2 + 1,
Y
Y 23 + 2
H
und
Y v23
+
Y v2
H
,
– 2 / 11 –
F fiktiv + DM +
H
Ť
N 23·
Y2
H
Ť
+ Ť N 23·Y 23 Ť
sowie der Schätzung
N 23 X * ò ⋅ F Z2 + * 1 500. kN
folgt in beiden Fällen
Z 22 + 1 ǒM 23,2 ) M 32,2Ǔ * 1 ǒŤN 23 ⋅ Y2ŤǓ + 4 279.7 * 1 500. + 4 092.2 kN.
8.
H
H
Y2
H
Schiefstellung des Stiels
durch Einheitsverschiebung
Y 23 +
Y2 = 1
ò ⋅ F Z2
Y2 = 1
Z22
(1)
(2)
H
F fiktiv + DM + Ť N 23·Y 23 Ť
H
M 23,2
Geschätzte
Normalkraft im Stiel:
N 23 + N 23 ^ * ò ⋅ F Z2
Versatzmoment:
DM + ŤN 23⋅Y 2Ť
M 32,2
(3)
Fiktive
Kräfte
F fiktiv + DM + Ť N 23·Y 23 Ť
H
AZ3
L
Bild 2.7 : Iteration mit verändertem Z22
Ein Vergleich mit dem Wert nach Theorie I. Ordnung im (Bild 2.4c) verdeutlicht, daß die
Zwangskraft der Wegfessel um das Maß der fiktiven Kraft abnimmt, das System also
weicher wird, wenn der Verformungszustand in die Berechnung eingeht. Diese Erkenntnis korrespondiert mit dem Ergebnis aus der Berechnung mit veränderlicher rechter
Seite, aus der sich größere Tragwerksverformungen ergeben, da die fiktiven Kräfte die
Wirkung der äußeren Lasten erhöhen.
Das Gleichgewicht zur Berechnung der geometrischen Unbekannten mit modifizierter
linker Seite
119 680.
–17 118.75
–17 118.75
4 092.2
Y1
Y2
– 2 / 12 –
=
0.
–150.
ist nun zu lösen, um die Zahlenwerte von Y1 und Y2 nach Theorie II. Ordnung zu erhalten
Y1 = –0.01305 und Y2 = –0.09127 m.
Zur Kontrolle der geschätzten Normalkraft im Stiel ist zunächst das Moment M21 = M23
in der biegesteifen Ecke zwischen Riegel und Stiel zu ermitteln.
M21 = M21,1 ⋅ Y1 = 370.4 kNm.
Die Normalkraft N23 = N32 errechnet sich dann zu
N 23 + * ò ⋅ F Z2 )
M 21
+ * 1 500. ) 370.4 + * 1 463.0 kN.
10.
L
Der Einfluß der genauer ermittelten Normalkraft auf die Zwangskraft der Wegfessel
Z 22 + 4 279.7 * 1 463. + 4 096.8 kN
8.
ist gering, so daß die Berechnung beendet werden kann. Die Übereinstimmung mit den
Werten aus der Iteration über die rechte Seite des Gleichungssystems ist sehr gut. Das
zeigt auch der Vergleich mit dem Einspannmoment des Stiels, das sich zu
M32 = M32,1 ⋅ Y1 + M32,2 ⋅ Y2 = –966.7 kNm
berechnet.
Die Iteration über die linke Seite gilt als Standardverfahren der Baustatik, wenn Unter–
suchungen zur Spannungstheorie II. Ordnung anstehen. Es ist Bestandteil vieler praxisrelevanter Programme, die auf dem VdS beruhen. Liegt dagegen eine Programm–
version mit der Option nach Theorie II. Ordnung nicht vor und soll trotzdem eine Untersuchung mit Einschluß der Tragwerksverformungen durchgeführt werden, empfiehlt es
sich, die Iteration über die rechte Seite anzuwenden. Sie ist in einfacher Weise von
außen durch den Benutzer zu steuern, ohne in den internen Programmablauf eingreifen
zu müssen.
Größe und Verlauf der Schnittgrößen (N, Q, M), die sich aus der Iteration über die linke
Seite ergeben, sind im (Bild 2.8) dargestellt. Sie repräsentieren den Gleichgewichts–
zustand nach der Spannungstheorie II. Ordnung. Der Einfluß der Tragwerksverformungen gemäß (Bild 2.5a) ist durch die Iteration voll erfaßt. Die Richtungen von Normalkraft
(Bild 2.8a) und Querkraft (Bild 2.8b) am verformten System sind noch auf die unverformten Stabachsen bezogen. Es wäre also noch eine zusätzliche Transformation in Richtung der verformten Stabachsen erforderlich, um physikalisch zutreffende Kräfte zu
erhalten. Der Einfluß des Richtungsunterschieds ist allerdings gering, so daß die Umrechnung in der Regel entfallen kann. Das Moment ist dagegen auch richtungsmäßig
auf die verformten Stabachsen bezogen. Im (Bild 2.8) ist der Verlauf der Schnittgrößen
vereinfachend am unverformten Tragwerk dargestellt.
– 2 / 13 –
1 463.
(2)
(1)
–
N (kN)
(3)
a) Normalkräfte (in Richtung der unverformten Stabachse)
(2)
(1)
+
Q23 + *
ǒM 32 ) M 23 * DMǓ
H
37.
+*
–
Q (kN)
(966.7 ) 370.4 * 1463·0.091)
8
+ * 150.4 .
(3)
b) Querkräfte (quer zur unverformten Stabachse)
(1)
(2)
+
M (kNm)
(3)
370.4
–
966.7
c) Momente
Bild 2.8 : Ergebnisse nach Theorie II. Ordnung für ρ = 1.5 am verformten System
– 2 / 14 –
2.1.4
Kontrolle der Stabilität
Die Ergebnisse der Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung lassen nicht unmittelbar erkennen, ob ein stabiler oder ein instabiler Gleichgewichtszustand vorliegt.
Eine eindeutige Entscheidung ist nur möglich, wenn der innere Spannungszustand bekannt ist, bei dem das Tragwerk versagt. Einflußparameter ist die Normalkraft N23 = N32
des Stiels. Im Grundzustand nach Theorie I. Ordnung ist sie durch
N 23 + * ò ⋅ F Z2 )
M 21ǒò ⋅ F X2Ǔ
L
gegeben. Im Rahmen von Spannungsproblemen ist ρ als fest vorzugebender Lastfaktor definiert und damit bekannt. Ein üblicher Richtwert ist das angestrebte Sicherheits–
niveau, so daß ρ = γF gilt.
Im Rahmen einer Stabilitätskontrolle ist dagegen zu ermitteln, um welchen Faktor λ
die Normalkraft N23 anwachsen muß, bis sich durch Ausknicken ein endlich benachbarter Gleichgewichtszustand nach Theorie II. Ordnung einstellt, der zum Versagen des
Tragwerks führt. Der Übergang zum Nachbarzustand erfolgt ohne Einwirkungen. Dies
soll allein durch die Steigerung der Normalkraft N23 des Grundzustands erreicht werden. Um λ zu bestimmen, ist ein homogenes Gleichungssystem zu lösen, zu dem die
Zwangskraft der Wegfessel
Z 22 + 1 ǒM 23,2 ) M 32,2Ǔ * 1 ǒ Ť l N 23 Y2 Ť Ǔ
H
H
gehört. Im Grundzustand nach Theorie I. Ordnung hängen N23 und ρ linear vonein–
ander ab. λ ist der lineare Steigerungsfaktor von N23 bis zum Nachbarzustand nach
Theorie II. Ordnung. Mit λ ist daher auch ρ bekannt, wenn N23 für ρ = 1 ermittelt
wird und dieser Wert in die Stabilitätsuntersuchung eingeht. Es gilt
l + ò.
Für ρ = 1. nimmt die Normalkraft im Stiel den Wert
N 23 (ò + 1) + * 1 000. )
332.6
1.5
10.
+ * 977.8 kN
an und die durch Y2 = 1 ausgelöste Zwangskraft in der Wegfessel den Wert
Z 22 + 4 279.7 * l 977.8 + 4 279.7 * 122.3 ⋅ l.
8.
– 2 / 15 –
Damit ist auch das homogene Gleichungssystem zur Berechnung von λ bekannt.
119 680.
–17 118.75
–17 118.75
Y1
(4 279.7 – 122.3 ⋅ λ)
Y2
= 0.
Es ist die Determinantenbedingung
det + 119 680. (4 279.7 * 122.3 ⋅ l) * 17 118.75 2 + 0
zu erfüllen, um eine eindeutige Lösung für λ zu erhalten, die mit dem kritischen Lastfaktor ρk zusammenfällt. Die Auflösung ergibt den Zahlenwert
l + 219 142 894.4 + 15. + ò k.
14 636 864.0
Gefordert war eine 1.5– fache Sicherheit gegenüber Stabilitätsversagen. Das kritische
Lastniveau des Tragwerks wird also bei weitem nicht erreicht, so daß ein stabiler und
damit zulässiger Gleichgewichtszustand nach Theorie II. Ordnung vorliegt.
Mit λ ist auch die Knickform bekannt, in die das Tragwerk im Fall des Versagens ausweicht. Aus beiden Zeilen des Gleichungssystems folgt jeweils der Zusammenhang
Y 1 + 0.1431 ⋅ Y 2.
Es handelt sich um die Lösung eines homogen Gleichungssystems. Daher ist ein Wert
der Lösung frei verfügbar. Mit Y2 = 1 folgt z.B. Y1 = 0.1431. Die Knickform ist im
(Bild 2.9) dargestellt.
Y2 = 1
Y2 = 1
Y1 = 0.1431
(1)
(2)
(3)
Bild 2.9 : Knickform
– 2 / 16 –
2.1.5
Vergleichsberechnung mit einem Programm
Die in den Abschnitten 2.1.3 und 2.1.4 ermittelten Ergebnisse sollen mit dem
Programm FEMAS überprüft werden, das Optionen zur Berechnung von Spannungs–
und Stabilitätsproblemen enthält /5/. Berechnungsgrundlage von FEMAS ist das VdS,
vgl. Abschnitt 2.4. Das an die Vorzeichenkonvention von FEMAS angepaßte Berechnungssystem ist im (Bild 2.10) dargestellt.
Mv
X3
v
N
Qw
w
v || X
2
ò ⋅ F X3
2
ò ⋅ F X1
(1)
2
u
(2)
Riegel: 1
v || X 2
Stiel: 2
8.
Mv
w
u
ϕ3
Qw
X ≡ 0.
2
N
ϕ2
w3
w2
w1
(3)
ϕ1
X1
10. m
Bild 2.10 : FEMAS Berechnungssystem des Einführungsbeispiels
Programmgestützte Berechnungen nach Theorie II. Ordnung sollten immer mit
der Ermittlung des kritischen Lastniveaus beginnen, um überhöhte Lastvorgaben
zu vermeiden. Daher wird zuerst in der Berechnung 2.1.5_1 das Stabilitätsproblem
nach Abschnitt 2.1.4 betrachtet und erst danach in der Berechnung 2.1.5_2 das Spannungsproblem nach Abschnitt 2.1.3. Die Ergebnisse der Berechnung 2.1.5_1 zur Bestimmung des kritischen Lastfaktors sind im (Bild 2.11) dargestellt. (Bild 2.11a) zeigt die
Normalkraft im Grundzustand und (Bild 2.11b) die Knickform im Nachbarzustand.
– 2 / 17 –
977.8
–
a
w1 = 1.
w1 = 1.
ö 2 + 0.1493
b
– 2 / 18 –
Die Berechnung 2.1.5_1 umfaßt die sukzessive Lösung von zwei Teilaufgaben. Zunächst erfolgt die Berechnung des Grundzustands nach Theorie I. Ordnung für den
Lastfaktor ρ = 1 und danach die Berechnung des Nachbarzustands als Eigenwertproblem der Theorie II. Ordnung. Diese Vorgehensweise wird als Stabilitätstheorie I. Ordnung bezeichnet. Die Art der Bezeichnung ist also auf den Grundzustand bezogen. Eine
Stabilitätstheorie II. Ordnung ist in diesem Kontext demnach eine nichtlineare Theorie,
weil sie auf einen Grundzustand nach Theorie II. Ordnung beruht.
Die Normalkraft im (Bild 2.5c) stimmt, wenn sie auf den Lastfaktor ρ = 1 bezogen wird,
vollständig mit der Normalkraft der Programmberechnung nach Theorie I. Ordnung im
(Bild 2.11a) überein. Abweichungen treten dagegen beim Stabilitätsproblem auf.
Die Knickformen in den (Bildern 2.9 und 2.11b) stimmen zwar noch vollständig über–
ein, deutliche Abweichungen ergeben sich aber beim kritischen Lastfaktor bzw. Knickfaktor des Tragwerks. Die Handrechnung im Abschnitt 2.1.4 weist als kritischen Fak–
tor den Wert 15. aus, während die Vergleichsberechnung mit dem Programm nur den
Wert 13. ergibt, der um 15% niedriger liegt.
Die Berechnung 2.1.5_2 umfaßt die Lösung des Spannungsproblems nach Theorie
II. Ordnung. Die Vorgehensweise beruht auf der iterativen Berechnung über die linke
Seite des Gleichungssystems. Die Ergebnisse sind in den (Bildern 2.12a bis d) dargestellt. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der Handberechnung in den (Bildern 2.8a
bis c) verdeutlicht, daß auch beim Spannungsproblem nach Theorie II. Ordnung Abweichungen zwischen den Ergebnissen auftreten. Die Unterschiede fallen allerdings deutlich geringer aus als beim Stabilitätsproblem, da sie maximal lediglich 1% betragen.
2.1.6
Erkenntnisse, weitere Vorgehensweise und Literatur
Eine qualitative Bewertung der Abweichungen setzt die volle Kenntnis der Grundlagen
der Theorie II. Ordnung und deren Umsetzung in Berechnungsalgorithmen voraus.
Sie sind daher in Kombination mit begleitenden Zahlenberechnungen zu erarbeiten.
Dies geschieht in den Abschnitten 2.2 bis 2.6. Im Abschnitt 2.2. wird das geometrisch
nichtlineare Tragverhalten eines Einzelstabs betrachtet und die DGL der Theorie
II. Ordnung abgeleitet. Die Durchführung der Integration im Geltungsbereich von statisch unbestimmten Stabtragwerken mit Hilfe des DWV wird im Abschnitt 2.3 vorgestellt
und mit Hilfe des VdS im Abschnitt 2.4. Abschnitt 2.5 beschäftigt sich mit der Stabili–
tätstheorie, um die Zulässigkeit von Gleichgewichtszuständen beurteilen zu können
und Abschnitt 2.6 mit der Einbeziehung von Imperfektion, um Abweichungen von der
geometrischen Sollform und den Materialeigenschaften erfassen zu können.
Als begleitende Lektüre sind die Abhandlungen /1/, /2/, /4/ und /7/ geeignet. Vor allem
das Lehrbuch /7/ ist sehr zu empfehlen. Es präsentiert die Grundlagen und Anwendungen der nichtlinearen Stabstatik in voller Breite und zeichnet sich besonders durch eine
anschauliche Methodik aus.
– 2 / 19 –
w1 = –0.0925
w1 = –0.0925
ö 2 + * 0.0133
a
1462.3
–
b
– 2 / 20 –
150.
37.7
–
+
c
–
377.3
+
957.9
d
– 2 / 21 –
2.2
DGL Theorie II. Ordnung
Bei der Ableitung der DGL Theorie II. Ordnung ist in gleicher Weise vorzugehen wie
bei der Ableitung der DGL Theorie I. Ordnung, vgl. u.a. Statik I. Dies kann z.B. am statisch bestimmt gelagerten Balken geschehen (Bild 2.13).
ϕ
x, u
z, w
∆x
Differentieller Ausschnitt
ò ⋅ FZ
ò ⋅ FX
EI 0,
EA 0,
GA Q ∞.
ò g F Verformte Endlage
ò 0 Verformte Zwischenlage
ò 0 Unverformte Ausgangslage
Bild 2.13 : Statisch bestimmt gelagerte Balken
Auf den Balken wirken die horizontale und die vertikale Einzellast FX und FZ ein, die
vom Lastfaktor ρ abhängen. Sie zeigen in Richtung der lokalen (x– z)– Koordinaten,
die mit der unverformten Ausgangslage der Balken ρ = 0 zusammenfallen. Für ρ ≠ 0
stellt sich eine verformte Zwischenlage ein und für ρ = γF eine speziell gesuchte Endlage. Die Verschiebungen u und w zur Einmessung der verformten Lagen sind richtungsmäßig immer auf die (x– z)– Koordinaten der unverformten Ausgangslage bezogen. Der Winkel ϕ ist in der (x– z)–Ebene definiert. Alle Größen werden in Abhängigkeit
der x–Koordinate der unverformten Stabachse ausgedrückt. Der betrachtete Balken ist
dehn– und biegesteif, aber schubstarr.
Zur Ableitung der DGL sind an einem differentiellen Ausschnitt ∆x des Balkens
(Bild 2.13) Gleichgewicht und Verträglichkeit zu formulieren und danach der Grenz–
übergang ∆x → dx durchzuführen. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung soll das geometrisch nichtlineare Tragverhalten genauer erfaßt werden. Gleichgewicht und Kinematik sind daher am verformten System abzuleiten. Das Material soll sich dagegen
weiter uneingeschränkt elastisch verhalten. Die geometrisch nichtlinearen Einfluß–
größen zur Beschreibung der verformten Lagen sind im Hinblick auf baupraktische Gegebenheiten zu bewerten. Sie können entfallen, wenn sie den Verformungszustand nur
geringfügig beeinflussen. Ziel ist es, eine einfache, aber physikalisch zutreffende Formulierung der Theorie II. Ordnung zu erhalten.
– 2 / 22 –
2.2.1
Nichtlineare Kinematik
Die Berechnungsgrößen der Kinematik werden durch den Index (K) gekennzeichnet.
Der differentielle Balkenausschnitt zur Ableitung der kinematischen Dehnung ist im
(Bild 2.14) dargestellt.
Linker Schnitt
Rechter Schnitt
∆x
Unverformte
Stabachse (ρ = 0)
∆u
wL
x, u
wR
ϕ
∆w
∆s
Verformte
Stabachse (ρ 0)
z, w
Bild 2.14 : Ableitung der kinematischen Dehnung
Das Quadrat der Ausschnittlänge der verformten Stabachse (ρ 0) ist gemäß
(Bild 2.14) durch
2
Ds 2 (Dx Du) Dw 2
gegeben. Durch Bezug auf das Quadrat der Ausschnittslänge der unverformten Stabachse (ρ = 0) folgt
Ds
Dx
2
1 Du
Dx
2
2
Dw .
Dx
Damit ist nach dem Grenzübergang ∆x → dx das Verhältnis der Bogenlängen
zwischen verformter und unverformter Stabachse bekannt.
ds (1 u(x)) 2 w(x) 2 .
dx
(2.1)
Kinematische Dehnungen sind ganz allgemein als Differenz skalierter Wege definiert.
Speziell ist die Differenz zwischen den Bogenlängen ds und dx der verformten und
unverformten Stabachse zu bilden und auf die Bogenlänge dx der unverformten Stabachse zu beziehen, um die kinematische Stabdehnung εK zu erhalten. Es gilt
e K ds dx ds 1.
dx
dx
(2.2)
– 2 / 23 –
Gl. (2.1) in Gl. (2.2) eingesetzt, ergibt als explizite Form
e K (1 u(x)) w(x) 2 1.
2
(2.3)
Gl. (2.3) hängt von den Quadraten der Verschiebungsableitungen ab. Die kinematische
Stabdehnung εK ist damit eine hochgradig nichtlineare Funktion des aktuellen Verschiebungszustands.
Der differentielle Balkenausschnitt zur Ableitung der kinematischen Verkrümmung ist
im (Bild 2.15) dargestellt.
∆ϕ
R
Linker Schnitt
Rechter Schnitt
∆x + ∆u
Unverformte
Stabachse (ρ = 0)
x, u
ϕ
wL
z, w
R
ϕL
∆s
wR
Verformte
Stabachse (ρ 0)
∆ϕ
ϕR
Dö(x) ö R(x) ö L(x)
Bild 2.15 : Ableitung der kinematischen Verkrümmung
Durch den lokalen Radius R = R(x) der verformten Stabachse ist die kinematische Verkrümmung k K eindeutig definiert. Der reziproke Wert des Radius ist unmittelbar die Verkrümmung.
k K(x) 1
R(x)
(2.4)
Zwischen dem Radius und der Verdrehung der verformten Stabachse gilt gemäß
(Bild 2.15) der Zusammenhang
R(x) · ö R(x) ö L(x) R(x) Dö(x) Ds .
– 2 / 24 –
Die Durchführung des Grenzübergangs ∆s → ds ergibt
1 dϕ(x) dϕ(x) ⋅ dx ,
R(x)
ds
dx
ds
so daß Gl. (2.4) mit Gl. (2.1) die Form
kK 1
(1 u(x)) 2 w(x) 2
⋅
dϕ(x)
dx
(2.5)
annimmt. Der Tangens der Verdrehung ist gemäß (Bild 2.14) durch
tan ϕ Dw
Dx Du
Dxdx
w(x)
1 u(x)
definiert. Damit ist auch die explizite Form von ϕ bekannt, für die sich ebenfalls ein
hochgradig nichtlinearer Ausdruck ergibt
ϕ arctan
1 w(x)u(x).
(2.6)
Mit Gl. (2.6) kann die Ableitung
dö(x)
w(x)(1 u(x)) w(x)u(x)
dx
(1 u(x)) 2 w(x) 2
gebildet und in Gl. (2.5) eingesetzt werden. Als Ergebnis erhält man die explizite Form
der kinematischen Stabverkrümmung zu
kK w(x) (1 u(x)) w(x) u(x)
(1 u(x))2 w(x)23
,
(2.7)
ein Ausdruck, der ebenfalls hochgradig nichtlinear vom aktuellen Verschiebungszustand abhängt.
Mit den Gl. (2.3, 2.6 und 2.7) ist die nichtlineare Kinematik ebener und schubstarrer
Stabtragwerke vollständig beschrieben. Alle Ausdrücke hängen hochgradig nichtlinear
von den Ableitungen der Verschiebungen ab. Eine exakte Lösung im Rahmen von
praxisorientierten baustatischen Methoden erweist sich daher als nicht durchführbar
bzw. als zu aufwendig. Es ist also zunächst abzuklären, ob und wenn ja, welche Möglichkeiten bestehen, um im Rahmen einer Theorie II. Ordnung geeignete Vereinfachungen einzuführen.
– 2 / 25 –
In den Tragwerken der Baupraxis treten in der Regel Verschiebungsableitungen in der
Größenordnung von
u(x) 10 3
(2.8.1)
w(x) 10 2
(2.8.2)
und
auf. Die Abschätzung Gl. (2.8.1) bedeutet z.B., daß durch die Vorgabe von u’(x) = 10–3
ein 5. m langer Stab in Richtung der Stabachse um 5. mm gestaucht bzw. gedehnt
werden kann, ein Fall, der sich real wohl kaum einstellen dürfte. Auch Gl. (2.8.2) ist als
eine Abschätzung zu interpretieren, die alle unwahrscheinlichen Fälle ausgrenzt. Bedeutet sie doch, daß z.B. am Ende eines 5. m langen Stabes senkrecht zur Stabachse
eine 50. mm große Verschiebung auftreten müßte, wenn sich der Stab mit dem Maß
w’(x) = 10–2 starr um den Anfang dreht. Dies ist genausowenig real wie eine 5. mm
große Stauchung bzw. Dehnung. Gl. (2.8) ist daher als eine Abschätzung zur sicheren
Seite zu betrachten.
Mit Gl. (2.8.2) kann man in Gl. (2.3) den Vergleich
(1 u(x)) 2 w(x) 2
vornehmen. Gl. (2.3) vereinfacht sich dadurch erheblich. Es gilt
e K u(x).
(2.9)
Gl. (2.9) nimmt eine Form an, die vollständig mit der kinematischen Stabdehnung nach
Theorie I. Ordnung übereinstimmt. Mit der Gl. (2.8) gelten in Gl. (2.6) die Abschätzungen
u’(x) << 1 und tan ϕ ϕ.
Das hat zur Folge, daß sich Gl. (2.6) zu
ϕ(x) w(x)
(2.10)
vereinfacht und nun vollständig mit der Bestimmungsgleichung der Verdrehung nach
Theorie I. Ordnung übereinstimmt. Mit Gl. (2.9) geht die Näherung ds dx einher. Aus
den Gl. (2.5 und 2.10) folgt daher unmittelbar die vereinfachte Bestimmungsgleichung
der kinematischen Stabverkrümmung zu
k K w(x),
(2.11)
die nun ebenfalls mit der Stabverkrümmung nach Theorie I. Ordnung übereinstimmt.
Alternativ läßt sich Gl. (2.11) auch direkt aus Gl. (2.7) entwickeln, wenn man die Größenordnungen der Verschiebungsableitungen mit Hilfe von Gl. (2.8) abschätzt.
– 2 / 26 –
Wie auch immer, als Resümee ist ein wichtiger Sachverhalt festzuhalten: Im Rahmen
einer anwendungsorientierten Theorie II. Ordnung kann die nichtlineare Kinematik insgesamt durch die lineare Kinematik nach Theorie I. Ordnung ersetzt werden, ohne daß
sich Defizite im Hinblick auf eine vollständige Formulierung ergeben.
2.2.2
Materialverhalten
Es wird, wie bereits erwähnt, vereinbart, daß sich das Material in den nach Theorie
II. Ordnung zu berechnenden Tragwerken weiterhin uneingeschränkt elastisch verhält.
Es gelten daher die gleichen Stoffgesetze wie bei der Theorie I. Ordnung. Die Berechnungsgrößen des Materials werden mit dem Index (M) gekennzeichnet.
Für einen durch ein Normal– bzw. Längskraftpaar N auf Zug beanspruchten stabförmigen Prüfkörper ist die Materialdehnung durch
eM N
EA
(2.12)
gegeben. E ist der Elastizitätsmodul und A die Querschnittsfläche des Prüfkörpers.
Bei einer Beanspruchung durch ein Momentenpaar stellt sich entlang der Höhe des
Prüfkörpers eine Dehnungsänderung des Materials ein, die als Verkrümmung der Stabachse gemessen werden kann
kM M .
EI
(2.13)
E ist wiederum der Elastizitätsmodul des Prüfkörpers und I das Flächenträgheitsmoment des Querschnitts.
Die Formulierung eines Stoffgesetzes für die Querkraft Q entfällt. Es gilt die grundsätzliche Annahme der Schubstarrheit. Die Querkraft ist daher mit Hilfe einer Gleichgewichtsbedingung zu ermitteln. Ein elastisches Gesetz ist nicht definiert.
2.2.3
Elastische Verträglichkeit
Mit den Formulierungen für die Kinematik, Abschnitt 2.2.1 und das Materialverhalten,
Abschnitt 2.2.2 ist auch die elastische Verträglichkeit bekannt.
eK eM
(2.14.1)
k K k M.
(2.14.2)
und
– 2 / 27 –
In jedem Punkt eines Tragwerks müssen die kinematischen und die materiellen
Dehnungen und Verkrümmungen übereinstimmen. Mit Gl. (2.9) und Gl. (2.12) folgt aus
Gl. (2.14.1) die Bestimmungsgleichung für die Normalkraft
N(x) EA u(x)
(2.15.1)
und mit Gl. (2.11) und Gl. (2.13) aus Gl. (2.14.2) die Bestimmungsgleichung für das
Moment
M(x) EI w(x).
(2.15.2)
Aus Gl. (2.15) ist zu erkennen, daß die baustatische Formulierung der elastischen Verträglichkeit für die Berechnungstheorien I. und II. Ordnung vollständig übereinstimmen.
2.2.4
Gleichgewicht am verformten System
Dehnungen und Krümmungen von Stäben in Tragwerken der Baupraxis sind i.a.
sehr klein. Wie in Abschnitt 2.2.2 nachgewiesen, kann man sie in der Regel in lineari–
sierter und damit stark vereinfachter Form angeben. Für das Material gilt gemäß Abschnitt 2.2.3 uneingeschränkt elastisches Verhalten. Es ist daher vorrangig der Einfluß
von endlich großen Verschiebungen zu untersuchen, die auch bei kleinen Dehnungen
und Krümmungen auftreten. Es sind vor allem die Anteile der Starrkörperbewegungen
im Verschiebungsfeld von Interesse, die sich bei eindeutig gelagerten Stabverbänden
auch zwischen den Lagern einstellen können. Dies kann zu großen Hebelarmen der
Schnittkräfte führen, so daß ggf. große Versatzmomente auftreten, die das Tragwerk
zusätzlich beanspruchen oder entlasten.
Die Auswertung von Gl. (2.8) ergibt die Abschätzung
Du Dw .
10
(2.16)
Die Verschiebung in Richtung der Stabachse ist im Vergleich zur Verschiebung
senkrecht zur Stabachse von untergeordneter Bedeutung. Sie kann daher im weiteren
Verlauf der Betrachtung ersatzlos entfallen. Weiter ist zu beachten, daß bei kleinen
Stabdehnungen die Näherung ∆s ∆x gilt.
Der differentielle Balkenausschnitt zur Aufstellung des Gleichgewichts am verformten
System ist im (Bild 2.16) dargestellt. Die Wahl der Bezugsrichtung der Schnittkräfte ist
freigestellt. Sie kann durch die unverformte (Bild 2.16a) oder durch die verformte Lage
(Bild 2.16b) gegeben sein. Die Drehrichtung der Momente ist in beiden Fällen gleich.
– 2 / 28 –
∆x
ϕ
x, u
Unverformte
Lage (ρ = 0)
z, w
n(x)
V
p(x)
H
M
∆w
H + ∆H
Verformte
Lage (ρ 0)
M + ∆M
V + ∆V
ϕ
a) Richtungsbezug der Schnittkräfte auf die unverformte Lage (ρ = 0)
∆x
ϕ
x, u
Unverformte
Lage (ρ = 0)
Q
z, w
n(x)
p(x)
N
M
∆w
N + ∆N
Verformte
Lage (ρ 0)
M + ∆M
Q + ∆Q
ϕ
b) Richtungsbezug der Schnittkräfte auf die verformte Lage (ρ > 0)
–sin ϕ H
cos ϕ V
cos ϕ H
–H
ϕ
H
ϕ
x
ϕ
V
(Verformte
Stabachse)
N
V
ϕ
Q
z
c) Zusammenhang zwischen den Schnittkräften
Bild 2.16 : Gleichgewicht am verformten System
– 2 / 29 –
sin ϕ V
(Unverformte
Stabachse)
Die physikalischen Schnittkräfte N und Q sind durch (Bild 2.16b) definiert, da sie in
Richtung und senkrecht zur Richtung der verformten Stabachse wirken. Trotzdem erweist es sich als zweckmäßig, die im (Bild 2.16a) definierten rechnerischen Schnittkräfte H und V zu verwenden, um das Gleichgewicht am verformten System aufzustellen. Zwischen den Schnittkräften besteht mit
cos ϕ 1 und sin ϕ ϕ w
gemäß (Bild 2.16c) der Zusammenhang
N cos ϕ H sin ϕ V H w V
(2.17.1)
Q sin ϕ H cos ϕ V Hw V.
(2.17.2)
und
Eine ggf. erforderliche Umrechnung ist daher bei bekanntem Verformungszustand in
eindeutiger Weise möglich. Der Vorteil der (H– V)–Formulierung liegt im Richtungsbezug der Kräfte auf die unverformte Ausgangslage. Sie ist durch die Geometrie der betrachteten Tragwerke bekannt, so daß sich die praktische Durchführung von Berechnungen sehr einfach gestaltet, vgl. Einführungsbeispiel Abschnitt 2.1.
Die Bildung des Gleichgewichts gemäß (Bild 2.16a) in Richtung der horizontalen und
vertikalen Kräfte und für das Moment ergibt unter Beachtung des Mittelwertansatzes
der Integralrechnung:
H (H DH) H n(x) Dx DH
n(x) H(x) n(x) 0,
Dx
Dxdx
(2.18.1)
V (V DV) V p(x) Dx DV
p(x) V(x) p(x) 0
Dx
Dxdx
(2.18.2)
und
Klein von 2–ter Ordnung
M (M DM) M V Dx H Dw 12 p(x) Dx2
DM V H Dw
Dx
Dx
Dxdx M(x) V(x) H(x) w(x) 0.
(2.18.3)
Lediglich das Versatzmoment H ⋅ ∆w in Gl. (2.18.3) tritt zusätzlich auf. Ansonsten sind
bis auf die Bezeichnung der Kräfte keine Abweichungen zu den Gleichgewichtsbedingungen nach Theorie I. Ordnung festzustellen. Mit Gl. (2.17.2) folgt aus Gl. (2.18.3) die
Momentengleichgewichtsbedingung
M M(x) Q(x) 0,
(2.18.4)
– 2 / 30 –
die nun ebenfalls vollständig mit der Bedingung nach Theorie I. Ordnung übereinstimmt.
Die formale Gleichheit darf aber nicht über die unterschiedliche physikalische Be–
deutung hinwegtäuschen. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung beschreibt Gl. (2.18.4)
den Momentengleichgewichtszustand am verformten System. Der Verformungszustand gemäß (Bild 2.16b) ist implizit in der Querkraft Gl. (2.17.2) enthalten. Im Rahmen
der Theorie I. Ordnung gilt Gl. (2.18.4) dagegen nur unter Vernachlässigung der Verformungen, ist also als Näherung der wirklichen Gegebenheiten aufzufassen.
Die drei unabhängigen Gleichgewichtsbedingungen Gl. (2.18.1 bis 3) können zu einer
Gleichung zusammengefaßt werden. Dazu ist Gl. (2.18.3) nach der x–Koordinate abzuleiten und zusammen mit Gl. (2.18.1) in Gl. (2.18.2) einzusetzen. Als Ergebnis erhält
man eine Gleichgewichtsbedingung in Richtung der Vertikalkraft, die das Gleichgewicht
in Richtung der Horizontalkraft und für das Moment in impliziter Form enthält
V M(x) H(x) w(x) n(x) w(x) p(x) 0.
2.2.5
(2.19)
Ableitung der DGL Theorie II. Ordnung
Mit der Verträglichkeitsbedingung Gl. (2.15.2) und der Gleichgewichtsbedingung
Gl. (2.19) ist die differentielle Formulierung der Theorie II. Ordnung vollständig bekannt.
Für den baustatischen Regelfall erweist es sich als sinnvoll, weitere Vereinfachungen
einzuführen, indem man den Verlauf der Biegesteifigkeit EI, der Stabkraft H und der
Streckenlast p als stabweise konstant annimmt. Damit vereinfacht sich Gl. (2.19) zu
M(x) H w(x) p 0
(2.20)
und das zweimalige Ableiten von Gl. (2.15.2) ergibt
M(x) EI w(x).
(2.21)
Aus Gl. (2.20) läßt sich nun durch Einsetzen von Gl. (2.21) die DGL der Theorie II. Ordnung ableiten
EI w(x) H w(x) p 0.
(2.22)
Für die weitere Betrachtung ist vor allem der Druckfall H < 0 von Interesse. Mit dem
negativen Vorzeichen von H und der Abkürzung
es
2
|H|
EI
ergibt sich die DGL für druckbeanspruchte Stäbe in der Form
– 2 / 31 –
w(x) se w(x) P .
EI
2
(2.23)
Die Größe
es
|EIH|
(2.24)
wird als Stabkennzahl bezeichnet. Sie ist von entscheidender Bedeutung, um die analytische Lösung der DGL (2.23) bewerten zu können. In Gl. (2.24) ist s die Stablänge,
EI die Biegesteifigkeit des Stabes und H der Betrag der Druckkraft, die im Stab wirkt.
Die Lösung der DGL (2.23) setzt sich aus einem homogenen und einem partikulären
Anteil zusammen.
w(x) w h(x) w p(x)
(2.25.1)
w h(x) C 1 C 2 x C 3 sin se x C 4 cos es x
(2.25.2)
2
w p(x) 1 P se x 2.
2 EI
(2.25.3)
mit
und
Der homogene Anteil Gl. (2.25.2) enthält vier freie Konstanten. Sie dienen zur Anpassung der Lösung an die statischen und geometrischen Randbedingungen, die am Anfang und Ende von Stäben auftreten. Der partikuläre Anteil Gl. (2.25.3) erfaßt speziell
den Lastfall konstante Streckenlast im Stab.
2.2.6
Superposition von Lösungen
Die DGL (2.23) beschreibt zwar eine geometrisch nichtlineare Theorie, ist selbst aber
linear, da die Verschiebungsableitungen nur in linearer Form auftreten. Dies ist auf die
starken Vereinfachungen zurückzuführen, die sich in natürlicher Weise ergeben, wenn
man die geometrisch nichtlinearen Zusammenhänge an die praktischen Gegeben–
heiten einer anwendungsorientierten Theorie II. Ordnung anpaßt.
Homogene Lösungsanteile nach Gl. (2.25.2) lassen sich wegen der Linearität der DGL
(2.23) in beliebiger Weise superponieren, wenn für alle Anteile gleiche Stabkennzahlen
Gl. (2.24) gelten. Dies bedeutet, daß u.a. auch die Einheitszustände der klassischen
baustatischen Verfahren (KGV, DWV) superponierbar bleiben, da sich während eines
Iterationsschritts die Normalkräfte in den Stäben des betrachteten Tragwerks nicht ändern. Dies ist nur zwischen den Iterationsschritten der Fall, so daß man z.B. das DWV
uneingeschränkt verwenden darf, solange ein fester Einwirkungszustand vorliegt.
– 2 / 32 –
Unterschiedliche Einwirkungszustände führen dagegen in der Regel zu unterschied–
lichen Normalkräften und damit zu unterschiedlichen Stabkennzahlen. Eine Superpo–
sition von partikulären Lösungsanteilen nach Gl. (2.25.3) ist daher nicht mehr möglich.
Dies muß vorab auf der Ebene der Lastfälle geschehen, indem man aus beliebig vielen
Einzellastfällen durch Überlagerung geeignete Bemessungslastfälle bildet und diese
einzeln nach der Methodik der Theorie II. Ordnung untersucht.
2.3
DWV für Theorie II. Ordnung
Das DWV ist besonders gut geeignet, wenn es darum geht, Tragwerke per Hand nach
Theorie II. Ordnung zu berechnen. Dem Einführungsbeispiel im Abschnitt 2.1 ist zu
entnehmen, daß die Schiefstellung der Stäbe das geometrisch nichtlineare Tragverhalten besonders stark beeinflußt. Aus der Schiefstellung resultieren nämlich Versatz–
momente, die bei Druckbeanspruchung zu einer Vergrößerung des Beanspruchungszustandes führen.
Der Zusammenhang zwischen Schiefstellung und Anwachsen der Beanspruchung ist
unmittelbar durch baustatische Anschauung zu erkennen, ohne daß es besonderer
Kenntnisse hinsichtlich der Theorie bedarf, vgl. Abschnitt 2.1. Ableitung und Lösung der
DGL im Abschnitt 2.2 verdeutlichen aber, daß die analytische Lösung zur Theorie
II. Ordnung erheblich komplizierter ausfällt als die analytische Lösung zur Theorie
I. Ordnung. Anstelle von einfachen Polynomfunktionen sind nun tranzendente Funktionen auszuwerten. Im Rahmen des DWV ist dies erforderlich, um Tabellenwerte bereitstellen zu können, die es erlauben, Kraftzustände am Anfang und Ende von geometrischen Grundstäben zu ermitteln, die speziell zur Berechnung von Tragwerken nach
Theorie II. Ordnung gelten.
Beim Einführungsbeispiel wurde ohne großes Nachdenken ganz einfach auf die bekannten Stabendgrößen der Theorie I. Ordnung zurückgegriffen. Erkennbare Defizite
in der Qualität der Lösung haben sich dadurch nicht ergeben. Von entscheidender Bedeutung ist zumindest im Einführungsbeispiel das anschaulich eingeführte Versatz–
moment, das sich aus der globalen Schiefstellung des Stiels ergibt. Der lokale Einfluß
der Stabendgrößen spielt in diesem Fall ganz offensichtlich keine große Rolle.
Die DGL enthält natürlich die volle Information über beide Anteile. Das DWV ist ein
spezielles Verfahren zur Integration dieser Differentialgleichung im Geltungs–
bereich von statisch unbestimmten Stabtragwerken. Die Vorgehensweise zur Durchführung von Berechnungen nach Theorie I. Ordnung (ε = 0 in Gl. 2.23) ist aus
Statik II bekannt. Die Anpassung an die Gegebenheiten der Theorie II. Ordnung
(ε ≠ 0 in Gl. 2.23) soll in der Weise erfolgen, daß man das lokale und globale Tragver–
halten unabhängig voneinander erfaßt, ohne die grundsätzliche Methodik des DWV
zu verändern.
– 2 / 33 –
2.3.1
Lokales Tragverhalten
Die Stabendgrößen der Theorie II. Ordnung für den druckbeanspruchten 1–ten und
2–ten Grundstab sind in den (Bildern 2.17 bis 2.20) dargestellt. Die Berechnung dieser
Größen orientiert sich an der Vorgehensweise der Theorie I. Ordnung. Sie ist im Abschnitt 3.2, von Statik II ausführlich beschrieben. Ausgangspunkt der Betrachtung sind
die Lösungen (Gl. 2.51 bis 2.53). Da die Durchführung ohne besonderen Erkenntniswert ist, reicht es aus, nur die Ergebnisse mitzuteilen.
In den (Bildern 2.17 und 2.18) sind die Stabendmomente infolge von Knoten– und Stabdrehungen dargestellt. Mit der Stabdrehung ist die Schiefstellung der Grundstäbe bekannt und damit auch der globale Versatz der Wirkungslinie der Druckkraft H, die an
den Grundstäben angreift (Bilder 2.17a1 und 2.18a1). Die Knotendrehungen sind auf
diese Schiefstellung zu beziehen, da nur durch die Verformungsdifferenz zwischen
Knoten– und Stabdrehungen (Bilder 2.17a2 und 2.18a2) elastische Stabendmomente
auftreten, die im Rahmen der Theorie II. Ordnung am verformten System angreifen. Für
das Stabendmoment im Knoten (K) des 1–ten Grundstabs (Bild 2.17a3) gilt
M KL A EI
s (ϕ K y KL)
B EI
s (ϕ L y KL)
(2.26.1)
und für das Stabendmoment im Knoten (L)
EI
M LK B EI
s (ϕ K yKL) A s (ϕ L yKL).
(2.26.2)
Für das Stabendmoment im Knoten (K) des 2–ten Grundstabs (Bild 2.18a3) gilt
M KL C EI
s (ϕ K y KL).
(2.27.1)
Das Moment MLK im Knoten (L) entfällt. Hier ist ein Momentengelenk angeordnet, das
die Bedingung
M LK 0
(2.27.2)
erfüllt. Der Momentenverlauf zwischen den Stabendmomenten Gl. (2.26 und 2.27) ist
wegen der tranzendenten Lösung Gl. (2.25.2) nicht mehr geradlinig sondern gekrümmt.
Die Abweichungen vom geraden Verlauf sind allerdings gering. Es ist daher aus–
reichend genau, von einer geradlinigen Verbindung auszugehen, wenn keine Lasten
zwischen den Stabendmomenten angreifen.
– 2 / 34 –
ϕ
(K)
x
(L)
(EA, GAQ) → ∞
z, w
H
EI ≠ 0
H
es
s
a1) System
|EIH|
ϕK
ψKL
H
(wL – wK)
H
ϕL
Schiefstellung
a2) Knoten– und Stabdrehungen
H
MKL
H
MLK
M KL A EI
s ϕ K y KL
Schiefstellung
B EI
s ϕ L y KL
EI M LK B EI
s ϕ K yKL A s ϕ L yKL
a3) Stabendmomente am verformten System
A, B, A B
6
(A B)
5.975
5.899
5.772
5.345
5.588
5.035
5
4.935
A
4
3.967
3.436
3.865
3.088
3.691
2.624
3
2.467
B
2
2.008
2.257
2.152
2.081
2.034
2.411
1
0
0.5
A
1.0
1.5
e sin e e 2 cos e
2(1 cos e) e sin e
2.0
;
B
2.5
3.0 p
e
e 2 e sin e
2(1 cos e) e sin e
a4) Vorfaktoren der Stabendmomente
Bild 2.17 : Stabendmomente für Knoten– und Stabdrehungen am 1–ten Grundstab
– 2 / 35 –
ϕ
(K)
x
(L)
(EA, GAQ) → ∞
H
z, w
EI ≠ 0
H
es
s
|EIH|
a1) System
ϕK
ψKL
H
(wL – wK)
H
Schiefstellung
a2) Knoten– und Stabdrehungen
H
MKL
H
M KL C EI
s (ϕ K y KL)
Schiefstellung
M LK 0
a3) Stabendmomente am verformten System
C
3
2.950
2.794
2.518
2
2.088
1.438
1
0.408
0
0.5
C
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
p
e
e 2 sin e
sin e e cos e
a4) Vorfaktoren der Stabendmomente
Bild 2.18 : Stabendmoment für Knoten– und Stabdrehungen am 2–ten Grundstab
– 2 / 36 –
Durch den Versatz der Wirkungslinie der Druckkraft H stellt sich in den Grundstäben
zusätzlich das Versatzmoment ∆M ein. Der Skizzenauszug
(K)
ϕK
∆M
ψKL
H
∆wglobal
H
MKL
Unverformte
Lage
Schiefstellung
∆wlokal
(ϕK – ψKL)
∆Mglobal
∆Mlokal
Verformte
Lage
H
aus den (Bildern 2.17a2, a3 und 2.18a2, a3) verdeutlicht, daß man ∆M in zwei
Anteile zerlegen kann: In den globalen Anteil ∆Mglobal aus der Schiefstellung
∆wglobal = ∆w (ψKL) und in den lokalen Anteil ∆Mlokal aus der Relativverformung
∆wlokal = ∆w (ϕK – ψKL), die zwischen Schiefstellung und verformter Stabachse auftritt.
Beim Wirken von Druckkräften reduziert der lokale Anteil des Versatzmomentes ∆Mlokal
das elastische Stabendmoment MKL, das sich nach Theorie I. Ordnung aus den Relativverformungen ergibt. Die Stabendmomente der Theorie II. Ordnung müssen daher
immer kleiner ausfallen als die Stabendmomente nach Theorie I. Ordnung, bei der das
Versatzmoment wegen des Bezugs auf die unverformte Lage ersatzlos entfällt.
Die Lösung der DGL nach Theorie II. Ordnung bestätigt die anschauliche Erklärung des
lokalen Tragverhaltens. Die Vorfaktoren A und B der Stabendmomente des 1–ten
Grundstabs sind in Abhängigkeit der Stabkennzahl ε im (Bild 2.17a4) dargestellt. Für
ε = 0 ergeben sich die Vorfaktoren A = 4. und B = 2. der Theorie I. Ordnung. Mit zunehmendem ε wird A kleiner und B größer. Die Summe A + B ist aber immer kleiner
als der Wert 6. der Theorie I. Ordnung, da die Stabendmomente der Theorie II. Ordnung durch die Wirkung des lokalen Versatzmoments ∆Mlokal abnehmen.
Das A kleiner und B größer werden muß, kann man den Skizzenauszügen
(K)
(L)
ϕK
H
∆wlokal
H
M KL M(A)
∆Mlokal
∆Mlokal
und
H
ϕL
∆wlokal
(K)
M KL M(B)
– 2 / 37 –
H
(L)
aus dem (Bild 2.17a2, a3) für den Sonderfall ψKL = 0 entnehmen. Allerdings ist dieser
Effekt bis zur Stabkennzahl ε = 1 gering. Die Abweichungen sind kleiner als 10%.
Im Gültigkeitsbereich 0 ≤ ε ≤ 1 gilt daher die Näherung, statt der veränderlichen Vorfaktoren der Theorie II. Ordnung die festen Vorfaktoren der Theorie I. Ordnung zu verwenden.
Der Vorfaktor C des 2–ten Grundstabs ist in Abhängigkeit der Stabkennzahl ε im
(Bild 2.18a4) dargestellt. Für ε = 0 ergibt sich mit C = 3. der Vorfaktor der Theorie
I. Ordnung, der mit zunehmendem ε ebenfalls abnimmt. Bis zur Stabkennzahl ε = 1
gilt wiederum die Näherung C = 3., da die Abweichung zum genauen Wert unter 10%
liegt.
Zur praktischen Anwendung des DWV sind zwei wichtige Lastfälle vertafelt: Konstante
Streckenlast p und Einzellast F. Die Angaben im (Bild 2.19) gelten für den 1–ten Grundstab. Die Stabendmomente in den Knoten (K) und (L) berechnen sich für den Lastfall
konstante Streckenlast p (Bild 2.19a2) zu
p s2
M KL 1
2 (A B)
(2.28.1)
M LK M KL
(2.28.2)
und
und für den Lastfall Einzellast F (Bild 2.19a3) zu
M KL F 2s
e
M LK F 2s
e
sin(be)
b
sin e
A sin(ae)
a B
sin e
(2.28.3)
und
sin(ae)
sin(be)
a A
b B .
sin e
sin e
(2.28.4)
Die Angaben im (Bild 2.20) gelten für den 2–ten Grundstab. Die Stabendmomente
in den Knoten (K) und (L) berechnen sich für den Lastfall konstante Streckenlast p
(Bild 2.20a2) zu
p s2
M KL 1
2 A
(2.29.1)
M LK 0
(2.29.2)
und
– 2 / 38 –
ϕ
(K)
(L)
x
z, w
(EA, GAQ) → ∞
H
H
a
EI ≠ 0
es
b
s
a1) System
p = konstant
H
H
M KL
M LK
p s2
M KL 1
2 (A B)
M LK M KL
a2) Streckenlast (A, B: vgl. Bild 2.17)
bb
s
aa
s
F
H
H
M KL
M KL F 2s
e
M LK
sin(be)
sin(ae)
b A
a B
sin e
sin e
M LK F 2s e
sin(ae)
sin(be)
a A
b B
sin e
sin e
a3) Einzellast (A, B: vgl. Bild 2.17)
Bild 2.19 :
Stabendmomente für Einwirkungen am 1–ten Grundstab
– 2 / 39 –
|EIH|
ϕ
(K)
x
z, w
(L)
(EA, GAQ) → ∞
H
H
a
EI ≠ 0
es
b
s
a1) System
p = konstant
H
H
M KL
M KL 1
2
p s2
A
M LK 0
a2) Streckenlast (A: vgl. Bild 2.17)
bb
s
aa
s
F
H
H
M KL
M KL F 2s
e
sin(be)
b C
sin e
M LK 0
a3) Einzellast (C: vgl. Bild 2.18)
Bild 2.20 :
Stabendmomente für Einwirkungen am 2–ten Grundstab
– 2 / 40 –
|EIH|
und für den Lastfall Einzellast F (Bild 2.20a3) zu
M KL F 2s
e
sin(be)
b C
sin e
(2.29.3)
und
M LK 0.
(2.29.4)
Ggf. benötigte Stabendmomente für weitere Lastfälle sind der gängigen Literatur, z.B.
/1/, /2/ oder /6/ zu entnehmen.
Im GGS werden die Einspannungen der Grundstäbe durch Drehfesseln erfaßt. Die
Zwangsmomente (ZM), die sich in den Drehfesseln durch die Zwangsfesselung einstellen, sind aus den Stabendmomenten zu berechnen (Bild 2.21). Dies kann mit dem PvW
geschehen, indem man die betrachteten Drehfesseln mit Hilfe von Knotenketten virtuell
verdreht und die Arbeiten bilanziert. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung wirken die
Stabendmomente am verformten System. Die Knotenketten sind daher ebenfalls am
verformten System anzubringen. Im (Bild 2.21a1) ist dies beispielhaft für den Knoten (L)
des 1–ten Grundstabs (Bild 2.17a1) veranschaulicht. Die virtuelle Verdrehung der Knotenkette (L) am verformten System ist im (Bild 2.21a2) dargestellt. Die Anwendung des
PvW ergibt mit W vi 0
W va ϕ vL ZM ϕ vL M LK 0,
(2.30.1)
woraus sich das Zwangsmoment
ZM M LK
(2.30.2)
berechnet. Das Ergebnis ist unmittelbar einsichtig und läßt sich in einfacher Weise
durch einen Knotenschnitt am verformten System bestätigen.
Die Druckkraft H hat keinen direkten Einfluß auf die Zwangsmomente der Drehfesseln,
da die virtuelle Verdrehung des Knotens am verformten System ohne Verschiebung von
H erfolgt, vgl. (Bild 2.21a2). Der Einfluß von H auf die Zwangsmomente der Drehfesseln ist ausschließlich in den Stabendmomenten enthalten, und der ist durch die
Berechnung der Zahlenwerte gemäß den (Bildern 2.17 bis 2.20) bereits voll erfaßt. Die
Knotenketten zur Ermittlung der Zwangsmomente in den Drehfesseln können daher
ohne Verlust an Information wie bei der Theorie I. Ordnung am unverformten System
angebracht werden, da sich für diese, im (Bild 2.21a3), dargestellte Konfiguration ebenfalls Gl. (2.30) ergibt.
– 2 / 41 –
ϕ
x
ϕK
z, w
(K)
(L)
Unverformte
Lage
ψKL
H
ϕL, ZM
MKL
∆w = wL – wK
H
Verformte
Lage
MLK
a1) Knotenkette am Knoten (L)
ϕK
(K)
(L)
ψKL
H
Unverformte
Lage
ϕL
MKL
ϕ vL, ZM
MLK
H
∆w
Verformte
Lage
a2) Virtuelle Verdrehung der Knotenkette (L) am verformten System
ϕ vL, ZM
Unverformte
Lage
MLK
MKL
a3) Virtuelle Verdrehung der Knotenkette (L) am unverformten System
Bild 2.21 : Zwangsmomente (ZM) in Drehfesseln
– 2 / 42 –
2.3.2
Globales Tragverhalten
Die unverformte Lage von statischen Systemen ist durch die Geometrievorgabe eindeutig bekannt. Der Rückbezug auf diese Lage stellt im Rahmen der Theorie I. Ordnung
eine physikalische Näherung dar, im Rahmen der Theorie II. Ordnung dagegen eine
sinnvolle Vereinfachung einer genauer durchzuführenden Berechnung, die das Ziel hat,
das Gleichgewicht an der verformten, also noch unbekannten Lage zu erfüllen.
Die Stabendmomente sind freie Momente. Die Knotenketten sind mit diesen Momenten
behaftet. Das Verschieben der Knotenketten von der verformten zur unverformten Lage
ist daher problemlos möglich. Das Verschieben von kräftebehafteten Rahmenketten ist
dagegen wegen der Linienflüchtigkeit von Kräften mit dem Auftreten von Versatzmomenten verbunden, die als fiktive Kräfte in die Berechnung eingehen (Bild 2.22).
Rahmenketten sind erforderlich, um Zwangskräfte (ZK) in Wegfesseln von GGS mit
dem PvW zu berechnen (Bild 2.22). Im (Bild 2.22a1) ist die Rahmenkette der Grundstäbe (Bilder 2.17a1 und 2.18a1) dargestellt. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung ist die
virtuelle Verschiebung zwischen den Knoten (K) und (L) am verformten System anzubringen (Bild 2.22a2). Die geometrischen Zusammenhänge sind durch die Polplankinematik bekannt. Die Anwendung des PvW ergibt mit W vi 0
W va Dw v ZK Dw v y KL H Dw
s M KL M LK 0,
v
(2.31.1)
woraus sich die Zwangskraft
ZK M KL M LK 1
s H y KL
(2.31.2)
berechnet.
Der erste Term von Gl. (2.31.2) ist bekannt. Er tritt auch bei Berechnungen auf, die nach
dem Schema der Theorie I. Ordnung ablaufen, die das Gleichgewicht also näherungsweise am unverformten System erfüllen. Der zweite Term von Gl. (2.31.2) ist dagegen
neu. Er kommt nur bei Berechnungen vor, die nach dem Schema der Theorie II. Ordnung ablaufen. Ursache für das Auftreten sind virtuelle Verschiebungsanteile, die sich
in Richtung der Druckkraft H einstellen, wenn man, wie bei Theorie II. Ordnung erforderlich, den virtuellen Wegzustand am verformten System entwickelt. Dies gestaltet
sich in der Regel schon bei einfachen Systemen relativ kompliziert. Zur Durchführung
der praktischen Berechnung ist es daher sinnvoll, die virtuellen Verschiebungen von der
unverformten Lage aus vorzugeben. Dazu ist die Rahmenkette (K, L) von der verformten zur unverformten Lage zu verschieben (Bild 2.22a3). Durch die Verschiebung entsteht das Versatzmoment ∆M = H ∆w, das man entlang der Stablänge s in ein Kräftepaar auflösen kann. Die fiktiven Kräfte
H Dw
F fiktiv
DM
KL
s s H y KL
(2.32)
greifen senkrecht zur unverformten Stabachse an. Bei der Auswertung des PvW am
unverformten System sind sie zusätzlich zu berücksichtigen, so daß man auch am unverformten System die Arbeitsgleichung (2.31.1) erhält, aus der wiederum die gesuchte
Zwangskraft Gl. (2.31.2) folgt.
– 2 / 43 –
s
x
ϕ
(K)
(L)
Unverformte Lage
z, w
H
M KL
ZK
y KL Dw
s
∆w = wL – wK
M LK
H
Verformte Lage
ZK
a1) Rahmenkette zwischen Knoten (K) und (L)
s
cos y KL
s
Unverformte Lage
M KL
y KL
H
ZK
y vKL
∆w
M LK
v
Dw
s
H
ZK
Verformte Lage
y KL
∆wv
Dw v
cos y KL
Virtuelle Verschiebung
Dw v y KL
a2) Virtuelle Verschiebung der Rahmenkette (K, L) am verformten System
s
F fiktiv
H ⋅sDw H⋅y KL
KL
(K)
M KL
M LK
F fiktiv
KL
(L)
H
Unverformte Lage
H
ZK
v
y vKL Dw
s
ZK
∆wv
Virtuelle
Verschiebung
a3) Virtuelle Verschiebung der Rahmenkette (K, L) am unverformten System
Bild 2.22 :
Fiktive Kräfte und Zwangskräfte (ZK) in Wegfesseln
– 2 / 44 –
In Gl. (2.31) treten die Anteile aus den Stabendmomenten und dem Versatzmoment vorzeichengleich auf. Dies ist eine Folge der kombinierten Darstellung mit Knoten– und
Stabdrehungen. Im konkreten Fall von Wegfesseln gilt dagegen ϕK und ggf. auch ϕL
gleich Null. Die Stabendmomenten für den homogenen Fall ergeben sich dann allein
aus den Stabdrehungen. Dadurch drehen sich in den Gl. (2.26 und 2.27) und damit auch
in Gl. (2.31) die Vorzeichen der Stabendmomente um. Ganz allgemein gilt, daß die fik–
tiven Kräfte des Versatzmoments bei Druck die Zwangskräfte in Wegfesseln vermindern, so daß im Vergleich zur Theorie I. Ordnung die Steifigkeit des statischen Systems
abnimmt.
2.3.3
Bewertung der unterschiedlichen Einflüsse
Der Zugang zur Theorie II. Ordnung über die globale Wirkung der fiktiven Kräfte am
unverformten System ist sehr elementar und unübertroffen einprägsam, wenn es
darum geht, den grundsätzlichen Unterschied zwischen Theorie I. und II. Ordnung zu
verdeutlichen. Dies bestätigt u.a. auch die Berechnung des Einführungsbeispiels im Abschnitt 2.1. Sie erfolgte ohne vertiefte Kenntnisse der Theorie. Es zeigte sich, daß die
baustatische Anschauung ausreicht, um den Haupteinfluß der Theorie II. Ordnung zu
erfassen, indem man die fiktiven Kräfte von druckbeanspruchten Stäben in die Berechnung einbezieht. Die Diskussion der Theorie hat diese Vorgehensweise abgesichert.
Die Anpassung der Stabendmomente an die Gegebenheiten der Theorie II. Ordnung
ist dagegen nur mit Hilfe genauer theoretischer Betrachtungen möglich, die auf der
strengen Lösung Gl. (2.25) der DGL (2.23) der Theorie II. Ordnung beruhen. Dieser Einfluß ist für die meisten baupraktischen Anwendungen aber von untergeordneter Bedeutung und kann ab der Stabkennzahl ε ≤ 1 ganz vernachlässigt werden.
2.3.4
Zugbeanspruchte Grundstäbe
Druck verstärkt und Zug verringert die Beanspruchung. Die Anwendung der Theorie
II. Ordnung ist daher aus Gründen der Sicherheit zwingend notwendig, wenn in den
Stäben von Tragwerken überwiegend Druck auftritt. Das Niveau der maßgeblichen
Bemessungsgrößen kann in diesem Fall deutlich über dem Niveau der Berechnungsgrößen der Theorie I. Ordnung liegen. Tritt dagegen in den Stäben überwiegend Zug
auf, werden die Berechnungsgrößen der Theorie I. Ordnung in der Regel unterschritten.
Es stellt sich daher die Frage, ob man den positiven Effekt der Zugentlastung nutzen
will, oder ob man die Ergebnisse aus einer Berechnung nach Theorie I. Ordnung als untere Grenze ansetzt, die grundsätzlich nicht unterschritten werden soll. Wenn ja, dann
sind die Zugentlastungen in den betroffenen Stäben zu vernachlässigen und die Ansätze der Theorie I. Ordnung zu verwenden.
– 2 / 45 –
Bei den üblicherweise im Hochbau vorkommenden Stabtragwerken wäre eine solche
Vorgehensweise durchaus vorstellbar, um zu erreichen, daß die Ergebnisse immer auf
der sicheren Seite liegen. Bei seilverspannten Bauwerken führt diese Art der Berechnung dagegen auf unwirtschaftliche, vielfach sogar auf technisch nicht mehr zu realisierende Lösungen. Seilnetze zur Überdachung von großen Hallengrundrissen, Schrägseilbrücken oder Hängebrücken sind ohne Nutzung der Zugkraftentlastung nicht zu
errichten. Die Berechnung solcher Systeme erfolgt in der Regel mit Programmen, die
auf der Methodik des VdS beruhen, vgl. Abschnitt 2.4. Trotzdem ist es sinnvoll auch
das DWV für diesen Anwendungsfall zumindest so weit zu entwickeln, um ggf. einfache
Überschlags– bzw. Kontrollberechnungen elementar ’per Hand’ durchführen zu können.
Maßgeblicher Effekt der Theorie II. Ordnung ist die Schiefstellung der Stäbe. Dies gilt
auch dann, wenn in den Stäben Zug H > 0 auftritt. Im (Bild 2.22a3) ist daher lediglich
die Richtung der fiktiven Kräfte umzudrehen, um die entlastende Wirkung der Zugkräfte
zu erfassen. Die Zwangskraft Gl. (2.31.2) in den Wegfesseln von GGS wird dadurch
größer, so daß die Steifigkeit des betrachteten statischen Systems zu– und nicht wie
bei Druck abnimmt.
Der Einfluß der Stabendmomente ist wie bei Druck gering. Bis ε ≤ 1 gelten näherungsweise die Werte der Theorie I. Ordnung. Sollen sie dagegen genauer erfaßt werden, ist
anstelle von Gl. (2.23) die DGL
2
p
w se w(x) EI
(2.33)
zu lösen, die sich nur durch ein Vorzeichen von der Druckgleichung (2.23) unterscheidet. Die Gesamtlösung von Gl. (2.33) setzt sich nach Gl. (2.25.1) aus einem homogenen
und einen partikulären Anteil zusammen. Anstelle von Gl. (2.25.2) gilt für Zug die homogene Lösung
w h(x) C 1 C 2x C 3 sinh se x C 4 cosh es x
(2.34.1)
und anstelle von Gl. (2.25.3) die partikuläre Lösung
p s 2 2
x.
w p(x) 1
2 EI e
(2.34.2)
Für die Stabendmomente Gl. (2.26 und 2.27) der Grundstäbe (Bilder 2.17 und 2.18) ergeben sich durch die homogene Lösung Gl. (2.34.1) lediglich neue Werte für die Vorfaktoren A, B und C. Sie sind im (Bild 2.23) dargestellt.
Im Vergleich zum Druckfall sind nun umgekehrte Modalitäten zu beachten: A und C
steigen an, wenn ε zunimmt, während B abnimmt. (A + B) und C sind aber immer
größer als die festen Werte nach Theorie I. Ordnung (ε = 0).
– 2 / 46 –
A, B, A B, C
8
6.847
7
6.599
(A B)
6.389
6.222
6.099
6.025
6
5.081
4.773
4.508
5
A
4.292
4.132
4.033
4.467
4
4.075
C
3.722
3.424
3
B
2
3.050
3.195
1.992
1.968
1.930
1.882
1.826
1.767
1
0
0.5
1.0
A
e sinh e e 2 cosh e
2(cosh e 1) e sinh e
C
e 2 sinh e
e cosh e sinh e
Bild 2.23 :
1.5
; B
2.0
2.5
e
3.0
e 2 e sinh e
2(cosh e 1) e sinh e
;
Vorfaktoren der Stabendmomente für Knoten– und Stabdrehungen
bei Zugeinwirkung im 1–ten und 2–ten Grundstab
Durch den Wechsel von Druck nach Zug ändern sich auch die Stabendmomente
der Einwirkungen Gl. (2.28 und 2.29). Für den Lastfall konstante Streckenlast p
(Bilder 2.19a2 und 2.20a2) ist anstelle von Gl. (2.25.3) nun Gl. (2.34.2) auszuwerten. In
den Formeln der Stabendmomente Gl. (2.28.1 und 2 sowie 2.29.1 und 2) sind lediglich
die Vorfaktoren gemäß (Bild 2.23) zu verwenden, um dies zu erreichen. Beim Lastfall
Einzelkraft F (Bilder 2.19a3 und 2.20a3) gestaltet sich der Druck–Zug–Wechsel ebenfalls sehr einfach. Dazu sind in den Formeln der Stabendmomente Gl. (2.28.3 und 4
sowie 2.29.3 und 4) lediglich die einfachen durch die hyperbolischen Sinus– und Co–
sinuswerte zu ersetzen und die Vorfaktoren gemäß (Bild 2.23) zu verwenden.
– 2 / 47 –
2.3.5
Zahlenbeispiel zum DWV
Die Berechnung von Stabtragwerken nach Theorie II. Ordnung mit dem DWV soll
abschließend an einem Beispiel geübt werden. Das statische System ist im (Bild 2.24a)
und das zugehörige GGS im (Bild 2.24b) dargestellt. Gesucht sind der Verformungszustand v = v (vx, vz, ϕ) und die Schnittgrößen s = s (NH, QV, M).
Die Berechnung beginnt mit der Abschätzung der Normal– bzw. Längskräfte in den einzelnen Stäben des statischen Systems (Bild 2.24a). Die Ermittlung der Stabkräfte nach
Theorie I. Ordnung wäre zwar sehr genau, ist aber i.a. für eine Berechnung per Hand
zu aufwendig. Die Ermittlung am statisch bestimmten Gelenkwerk des GGS
(Bild 2.24b) ist dagegen sehr viel einfacher. Sie erfordert lediglich eine Betrachtung des
Kräftegleichgewichts an den Knoten. Die Durchführung am Knoten (2) ist im (Bild 2.25a)
und die Durchführung am Knoten (3) im (Bild 2.25b) dargestellt. Die Kräftezerlegung
ergibt Druck in allen Stäben. Ob sich dieser Zustand wirklich einstellt, hängt maßgeblich
von der statisch unbestimmten Verschiebung der Feder im Knoten (5) ab. Verschiebt
sie sich stark, nimmt der Widerstand des Systems gegenüber Druckkräften ab. Dann
sind die wirklichen Kräfte kleiner als die am Gelenkwerk ermittelten, das anstelle der
Feder eine feste Lagerung in Richtung der Feder enthält, vgl. (Bild 2.24b). Zu große
Druckkräfte sind aber als eine ungünstige Annahme zu betrachten, weil dadurch die
Steifigkeit des statischen Systems (Bild 2.24a) abnimmt. Aus Sicherheitsgründen ist
diese Vorgehensweise daher zweckmäßig. Am Ende eines Berechnungsschrittes ist
sowieso zu prüfen, ob die geschätzten mit den berechneten Längskräften übereinstimmen.
Mit den geschätzten H– Stabkräften sind auch die Stabkennzahlen ε bekannt. Sie werden als Eingangsgrößen zur Auswertung der (Bilder 2.17a4 und 2.18a4) benötigt, um
die Vorfaktoren A, B und C der Stabendmomente zu berechnen. Die ermittelten Werte
sind im (Bild 2.25c) angegeben. Sie weichen nur geringfügig von den festen Werten
A = 4., B = 2. und C = 3. der Theorie I. Ordnung ab.
Die Zwangsgrößen in den Fesseln des GGS (Bild 2.24b) sind im (Bild 2.26) angegeben.
Im (Bild 2.26a) sind die Gegebenheiten der Drehfessel dargestellt. Da die Einzelkräfte
in den Knoten (2) und (3) angreifen, entfällt der 0–Zustand. Es gilt
Z 10 0.
Aus der Einheitsverdrehung Y1 = 1 resultieren dagegen Stabendmomente. Die Wirkungsrichtung der Momente ist durch Pfeile gekennzeichnet. Sie aktivieren in der Drehfessel das Zwangsmoment
Z 11 M 21, 1 M 23, 1 33 289.3 kNm
und in der Wegfessel die Zwangskraft
Z 21 M 21, 1 M 12, 1 1 M 23, 1 1 10 400.3 kN.
3
2
– 2 / 48 –
ϕ
X,vX
Z,vZ
FZ2
(1)
(2)
EI1
3.
FZ3
EI1
(5)
(3)
EI2
CN
EI1
3.
(4)
4. m
EA, GAQ
3.
4.
, EI 1 2⋅10 4 kNm 2 , EI 2 4⋅10 4kNm 2 , C N 104 kNm ,
F Z2 F Z3 500. kN , ò 1.
a) Statisches System
ÇÇÇ
ÇÇÇ
ÇÇÇ
Y1, Z1 = Z (Z10, Z11, Z12)
Y2, Z2 = Z (Z20, Z21, Z22)
b) GGS
Bild 2.24 : Statisches System und GGS
– 2 / 49 –
500.
FZ2 = 500. kN
2 ⋅ 500.
H 23 2 ⋅ 500. kN (Druck)
H12 = 500. kN (Druck)
45°
500.
a) Kräftegleichgewicht am Knoten (2)
500.
FZ3 = 500. kN
2 ⋅ 1 000.
H23
H35 = 1 500. kN (Druck)
2 ⋅ 500.
500.
1 000.
H 34 2 ⋅ 1 000. kN (Druck)
500.
45°
1 000.
500.
1 500.
b) Kräftegleichgewicht am Knoten (3)
|EIH|
B
C
0.60
3.952
2.012
2.927
2 ⋅ 500. (Druck)
0.80
3.914
2.022
2.870
2 ⋅ 1 000. (Druck)
1.30
3.769
2.059
2.644
1.10
3.836
2.042
2.749
H (kN)
(1, 2)
500. (Druck)
(2, 3)
(3, 4)
(3, 5)
es
A
Stab
1 500. (Druck)
c) Vorfaktoren der Stabendmomente
Bild 2.25 : Geschätzte H– Stabkräfte und Vorfaktoren der Stabendmomente
– 2 / 50 –
FZ2
Y 1 1, Z 10, Z 11
M21,1
M12,1
ÇÇÇ
ÇÇÇ
ÇÇÇ
M23,1
(2)
(1)
2⋅104
M 12,1 B EI
s 2.012 4 10 060.0 kNm
2⋅104
M 21,1 A EI
s 3.952 4 19 760.0 kNm
2⋅104
M 23,1 C EI
s 2.870 3⋅ 2 13 529.3 kNm
FZ3
Z21
(3)
(5)
(4)
a) Zwangsgrößen m = 0– und 1– Zustand
2⋅104 1
M 12,2 (A B) EI
s y 12 5.964 4 2 14 910. kNm
M 21,2 M 12,2
F fiktiv
12,2
1⋅ 2
(1)
F fiktiv
12,2
M 23,2 C EI
s y23
FZ2
M 43,2 C EI
s y34
ÇÇÇ
ÇÇÇ
ÇÇÇ
ÇÇÇ
ÇÇÇ
F fiktiv
23,2
y 12 (2)
2.
M12,2
M21,2
y 12 1
2
y 23 1
3
4
2.644 2⋅10 1 4 154.6 kNm
3⋅ 2 3
4
N F CN ⋅ Y 2 10 kN
F fiktiv
35,2
F fiktiv
35,2
Z12
Y2 = 1
1⋅ 2
FZ3
y 23
F fiktiv
23,2
Z20, Z22
(5)
(3)
M23,2
NF
1.
y 35
M43,2
y 34 1
3
y 35 1
4
4
2.870 2⋅10 1 4 509.8 kNm
3⋅ 2 3
(4)
F fiktiv
34,2
y 34
F fiktiv
34,2
1
250.0 kN
F fiktiv
12,2 H 12 ⋅ y 12 500.
2
1 471.4 kN
F fiktiv
34,2 H 34 ⋅ y 34 2 ⋅ 1 000.
3
1 235.7 kN ,
, F fiktiv
23,2 H 23 ⋅ y 23 2 ⋅ 500.
3
1
fiktiv
, F 35,2 H35 ⋅ y 35 1 500.
375.0. kN.
4
b) Zwangsgrößen m = 0– und 2– Zustand
Bild 2.26 : Zwangsgrößen in den Fesseln
– 2 / 51 –
Das Zwangsmoment Z11 folgt unmittelbar aus einem Knotenschnitt um die Drehfessel.
Zur Berechnung der Zwangskraft Z21 kommt dagegen das PvW zur Anwendung, wobei der virtuelle Verschiebungszustand mit der Schlußlinie des Einheitsverschiebungszustands der Wegfessel übereinstimmt. Die Arbeitsgleichung, aus der sich Z21 berechnet, ist daher durch die Bilanzierung der äußeren Arbeiten
W va Z 211v M 12,1 M 21,1 y v12 M 23,1 y v23 0
gegeben.
Der Verlauf der Einheitsverschiebung Y2 = 1 ist im (Bild 2.26b) dargestellt. Die Verschiebungswege sind durch den Williotplan und die Stabdrehwinkel durch die Polplan–
kinematik bekannt. Die Einwirkungen, die aus den Verformungen resultierenden
Stabendmomente und die durch die Verschiebung der Feder auftretende Federkraft
sind ebenfalls angegeben. Zusätzlich sind noch die fiktiven Kräfte der einzelnen Stäbe
eingetragen, die sich aus der Schiefstellung der Stäbe ergeben. Sie sind erforderlich,
um die Berechnung mit Bezug auf die unverformte Ausgangslage durchführen zu können. Für den 0– Zustand gilt nach dem PvW die Arbeitsgleichung
W va Z 20⋅1v F Z2⋅2 v F Z3⋅1 v 0,
aus der sich Z20 zu
Z 20 F Z2⋅2 F Z3 1 500. kN
berechnet. Die Arbeitsgleichung zur Ermittlung der Zwangskraft Z22 ist durch die Bilanzierung der äußeren Arbeiten
v
W va Z 22⋅1v M 12,2 M 21,2 y v12 F fiktiv
12,2 ⋅2
M 23,2
y v23 F fiktiv
⋅ 2
23,2
v
M 43,2 y v34 F fiktiv
⋅ 2
34,2
v
v
F fiktiv
35,2 ⋅1
N F ⋅1 v 0
gegeben, aus der sich Z22 zu
Z 22 M 12,2 M 21,2 1 M 23,2 1 M 43,2 1
3
3
2
fiktiv fiktiv fiktiv
F fiktiv
12,2 ⋅2 F 23,2 ⋅ 2 F 34,2 ⋅ 2 F 35,2 ⋅1
N F 17 798.1 1 875. 10 000. 25 923.1 kN
berechnet. Das Zwangsmoment Z12 in der Drehfessel muß betragsmäßig mit der
Zwangskraft Z21 in der Wegfessel übereinstimmen. Der Knotenschnitt um die Drehfessel ergibt
Z 12 M 21,2 M 23,2 10 400.2 kNm
und bestätigt damit den Wert der Zwangskraft Z21 .
– 2 / 52 –
Die Entspannung der Fesseln führt auf das Gleichungssystem
Z1
33 289.30
0 Z2
10 400.25
Y1
25 923.10
Y2
10 400.25
0.
1 500.
.
Durch die Lösung sind unmittelbar die Verdrehung der biegesteifen Ecke im Knoten (2)
und die horizontale Verschiebung der Feder im Knoten (5) bekannt.
ϕ2
=
Y1
=
0.0207 (1)
vX5 =
Y2
=
0.0662 (m).
und
Durch diese Größen ist auch der verformte Zustand eindeutig bekannt. Der Verlauf ist
im (Bild 2.27a) dargestellt.
Die Schnittmomente an den Stabenden folgen mit bekannten Y1 und Y2 aus den Überlagerungen
M12
=
M12,1 Y1
M21
=
M23
=
M43
=
+
(–M12,2) Y2
= –778.8 kNm,
(–M21,1) Y1 +
M21,2 Y2
=
578.0 kNm,
M23,1 Y1
M23,2 Y2
=
578.6 kNm
(–M43,2) Y2
= –275.0 kNm.
+
578.3 kNm
und
Die Vorzeichen der Schnittmomente sind auf die Bezugsfaser des statischen Systems
(Bild 2.24a) bezogen. Streng genommen ist der Verlauf zwischen den Endwerten nicht~
linear. Die Abweichungen zum geradlinigen Verlauf sind aber sehr gering e 1 . Die
Endwerte können daher weiterhin linear verbunden werden. Der Momentenverlauf ist
im (Bild 2.27b) dargestellt.
Von den Schnittkräften H und V kann die Querkraft V eindeutig aus dem Momentengleichgewicht ermittelt werden. Dazu ist lediglich Gl. (2.18.3) stabweise auszuwerten.
Am verformten System gilt:
V(x) = M’(x) + Hw’(x).
Man kann die Auswertung aber auch am unverformten System vornehmen. Dann sind
zusätzlich aber die fiktiven Kräfte zu beachten, weil sie die Wirkung der Versatz–
momente am unverformten System erfassen. Die fiktiven Kräfte, die zum wirklichen
Verformungszustand (Bild 2.27a) gehören, erhält man, wenn man die fiktiven Kräfte,
die zum Einheitsverschiebungszustand Y2 = 1 (Bild 2.26b) gehören, mit dem Faktor
Y2 = 0.0622 multipliziert.
– 2 / 53 –
Unverformte
Ausgangslage
(1)
ϕ2 = Y1 = 0.0207 (1)
(2)
WP
vX5 = Y2 = 0.0662 m
(2’)
0.132 m
(3)
0.0662 m
(5)
(3’)
y 35 0.0166 (1)
0.0662 m
(4)
a) Verformter Zustand
M12 = – 778.8 kNm
–
M=0
(2)
(1)
+
M21 = M23 = 578.3 kNm
(3)
M43 = – 275.0 kNm
–
(4)
b) Momentenverlauf
Bild 2.27 : Verformter Zustand und Momentenverlauf
– 2 / 54 –
(5’)
(5)
Die zahlenmäßige Auswertung ergibt
im Stab (1, 2)
16.6
16.6
(1)
V 21 V 12 778.8 578.3 16.6
4
(2)
V12
778.8
578.3
322.7 kN,
4
im Stab (2, 3)
15.6
15.6
(2)
V23
V 32 V 23 578.3 15.6
3 2
(3)
578.3
120.7 kN,
3 2
im Stab (3, 4)
31.2
31.2
(4)
V 34 V 43 275. 31.2
3 2
(3)
V43
275.
33.6 kN
3 2
und im Stab (3, 5)
24.8
24.8
(3)
(5)
V 53 V 35 24.8 kN.
V35
4
Zwischen Moment– und Längskraft besteht kein differentieller Zusammenhang. Die
Längskräfte H der Stäbe sind daher nur durch Gleichgewichtsbetrachtungen am
Gesamtsystem zu ermitteln. Dies kann wiederum mit Bezug auf das unverformte
System geschehen, da V und H in dieser Richtung zeigen, obwohl beide Kräfte das
Gleichgewicht für den verformten Zustand erfüllen.
– 2 / 55 –
Das Gleichgewicht der Kräfte im Knoten (2)
120.7
FZ2 = 500 kN
45°
(2)
H21
X
322.7 kN
120.7 2
2
45°
Z
120.7 2
2
45°
120.7 kN
H23
Zerlegung
H 23 2
2
45°
H 23 2
45° 2
H23
ergibt in X–Richtung
2 H 23 2 0
X H21 120.7
2
2
und in Z– Richtung
2 H 23 2 0.
Z 322.7 500 120.7
2
2
Damit sind H23 und H21 bekannt.
H 23 130. kN und H 21 6.6 kN.
Die Längskraft H35 stimmt mit der Federkraft überein.
H35
(5)
NF
Es gilt
H 35 N F C N ⋅Y 2 10 4⋅0.0662 662. kN.
– 2 / 56 –
Die noch fehlende Längskraft H34 ist aus dem Kräftegleichgewicht am Knoten (3) zu
berechnen.
130. kN
120.7 kN
a
662. – a
FZ3 = 500 kN
45°
45°
662.
(3)
662. kN
45°
Zerlegung
24.8 kN
524.8
33.6 kN
H34
45°
33.6
H34
130.
b
120.7
Aufgrund der 45°– Geometrie ist dies in einfacher Weise möglich. Zunächst ist der Hilfswert a zu berechnen.
a (130. 33.6) cos 45° 68.2 kN.
Damit ist auch der Hilfswert b bekannt.
b 662. a 839.8 kN.
cos 45°
Mit b erhält man für die Längskraft H35 den Wert
H 35 (b 120.7) 960.5 kN.
Der Verlauf der Querkräfte V ist im (Bild 2.28a) und der Verlauf der Längskräfte H
im (Bild 2.28b) dargestellt. Die Eingangsgrößen der Berechnung im (Bild 2.25) weichen
durch die große Federverschiebung relativ stark von den Ausgangsgrößen der Berechnung im (Bild 2.28b) ab. Um eine bessere Anpassung der Längskräfte zu erreichen, ist
die Berechnung mit den Längskräften gemäß (Bild 2.28b) zu wiederholen. Die geschätzten H– Kräfte sind aber größer als die in Wirklichkeit auftretenden. Dadurch ergeben sich größere Momente, so daß die erzielten Ergebnisse auf der sicheren Seite
liegen. Auf eine Neuberechnung wird daher verzichtet.
– 2 / 57 –
V23 = – 120.7 kN
(1)
(2)
+
–
V12 = 327.7 kN
(5)
(3)
+
V35 = 24.8 kN
+
(4)
V34 = 33.6 kN
a) Verlauf der Querkräfte V
H23 = – 130. kN
H12 = – 6.6 kN
H35 = – 662. kN
–
(1)
(2)
–
–
(3)
H34 = – 960.5 kN
–
(5)
(4)
b) Verlauf der Längskräfte H
Bild 2.28 : Verlauf der Quer– und Längskräfte
– 2 / 58 –
Auf die Umrechnung in physikalische (N– Q)– Schnittgrößen, die in Richtung der verformten Stabachse zeigen, wird ebenfalls verzichtet, da sich wegen der kleinen
Drehwinkel (Y1 = 0.0207 1.2°) kaum Unterschiede durch die Richtungsänderung
ergeben. Dies gilt aber nicht für den momentenfreien Pendelstab zwischen den
Knoten (3) und (5). Die Zerlegung von H und V in Richtung von N und Q ergibt nach
Gl. (2.17)
N 35 H 35 662. kN
und
Q 35 0,
wenn man bei der Berechnung von N35 den Ausdruck y 235 0.0166 2 0 vernachlässigt. Dieses Ergebnis läßt sich durch die Skizze
H 35⋅ cos y 35
y 35
H 35⋅ sin y 35
H35
NF
(5)
y 35
Q35
AZ5
H35
N35
V35
N 35 H 35⋅cos y35 V 35⋅sin y 35 ,
Q 35 H 35⋅sin y 35 V 35⋅cos y 35 ,
V 35⋅ cos y 35
V35 y 35
V 35⋅ sin y 35
Mit cos y 35 1, sin y 35 y35
und V 35 H 35 ⋅ y35 folgt
1
N 35 H 35 1 y 235 H 35 ,
Q 35 H 35 y 35 H 35 y 35 0.
veranschaulichen. Die Umrechnung ist besonders dann von Interesse, wenn das
statische System anstelle von biegesteifen Pendelstäben biegeweiche Zugseile enthält, die keine Querkraft übertragen können. Es ist also von Fall zu Fall zu entscheiden,
ob man die Umrechnung in physikalische Schnittkräfte vornimmt oder nicht. Sie ist zwar
zahlenmäßig immer von geringer Bedeutung, nicht aber methodisch, wie der Hinweis
auf das Beispiel biegeweicher Seile verdeutlicht.
– 2 / 59 –
2.4
VdS für Theorie II. Ordnung
Beim VdS ist nur die lokale Situation der Elemente bzw. Stäbe neu zu betrachten, wenn
es darum geht, die Theorie II. Ordnung in das Verfahren einzubeziehen. Die globale
Situation des Tragwerks wird weiterhin durch eine baustatische Systembeschreibung
erfaßt, die vollständig mit der Vorgehensweise der Theorie I. Ordnung übereinstimmt.
Es ist lediglich eine Iterationsschleife zusätzlich zu konzipieren, um die geschätzten
Berechnungseingänge an die aktuell ermittelten Berechnungsausgänge anzupassen.
Dies bedeutet aber nur, daß die Systemberechnung mehrmals zu durchlaufen ist, ohne
daß sich methodische Änderungen in der Art der Durchführung ergeben. Die Implementierung der Iteration ist programmtechnisch sehr einfach zu verwirklichen, so daß sich
das VdS als ein ideales Verfahren erweist, um die Theorie II. Ordnung praxisgerecht
anwenden zu können, ohne am rechnerischen Aufwand zu scheitern.
Die lokale Formulierung des VdS im Teil 1, Abschnitt 1.3 beruht auf der DGL (1.4),
die das Tragverhalten von dehn– und biegesteifen Stäben auf der Grundlage der Theorie I. Ordnung beschreibt. Die DGL (1.4.1), die den Anteil von Dehnstäben erfaßt, gilt
für beide Theorien. Die DGL (1.4.2), die den Anteil von Biegestäben erfaßt, ist dagegen
durch die DGL (2.22) zu ersetzen, um den Einfluß der Theorie II. Ordnung zu berücksichtigen. Die Einbindung dieser DGL in die Methodik des VdS erfolgt in Anlehnung
an die Abschnitte 1.3.2, 1.3.3 und 1.3.4. Im einzelnen ist die Arbeitsgleichung des PvW
neu zu formulieren und zu diskretisieren, um eine Matrizenformulierung zu erhalten, die
mit Stabsteifigkeiten das Tragverhalten von Elementen bzw. Stäben mit Einschluß
der Theorie II. Ordnung beschreibt. Die Stabsteifigkeiten setzen sich aus zwei Anteilen
zusammen:
1.
Den elastischen Stabsteifigkeiten nach Theorie I. Ordnung.
2.
Den geometrischen Stabsteifigkeiten nach Theorie II. Ordnung.
Die elastischen Stabsteifigkeiten sind bereits bekannt und in einer Steifigkeitsmatrix zusammengefaßt. Die weitere Betrachtung kann sich daher auf die Ermittlung der geometrischen Stabsteifigkeiten beschränken, die in zusammengefaßter Form eine geome–
trische Steifigkeitsmatrix bilden.
2.4.1
PvW für Theorie II. Ordnung
Aus dem Balken (Bild 2.13) wird ein endlich begrenztes (finites) Stabelement herausgeschnitten. Es ist in verformter Lage zu betrachten, um die Arbeitsgleichung des PvW
für den Fall der Theorie II. Ordnung abzuleiten. Der betrachtete Ausschnitt ist im
(Bild 2.29) dargestellt.
– 2 / 60 –
s
EI 0,
ϕ
EA 0,
x, u
GA Q ∞.
Unverformte Lage (ρ = 0)
z, w
s
n
p
M
Verformte Lage (ρ > 0)
H
V
Bild 2.29 : Endlich begrenztes (finites) Stabelement
Wegen Gl. (2.8) gilt die Näherung, daß die Stablängen s der unverformten (ρ = 0) und
verformten Lage (ρ > 0) übereinstimmen. Für den Dehnstab ist im Rahmen der Theorie
I. Ordnung die Arbeitsgleichung (1.11.1) zu verwenden. Sie ist mit dem PvW aus der
DGL (1.4.1) abgeleitet, die das Gleichgewicht der unverformten Lage (ρ = 0) in x– Richtung beschreibt. Die DGL (2.18.1) beschreibt das Gleichgewicht in x– Richtung für die
verformte Lage (ρ > 0), vgl. (Bild 2.29). Die Struktur der Differentialgleichungen stimmt
überein, so daß auch die Arbeitsgleichungen übereinstimmen müssen. In Gl. (1.11.1)
ist lediglich die Bezeichnung N durch die Bezeichnung H zu ersetzen, um die Arbeitsgleichung des Dehnstabs zu erhalten, die das Gleichgewicht der verformten Lage
(ρ > 0) in x– Richtung beschreibt. Es gilt
W v( u v, u) u (x) EA u(x) dX u (x) n dX [u (x) H(x)]
v
v
v
R
0
(2.35)
Für die analytische Lösung ist die Vereinfachung, daß H stabweise konstant verlaufen
soll, durchaus sinnvoll, für die numerische Lösung im Rahmen des VdS dagegen nicht,
weil sich dadurch keine Vorteile ergeben. In Gl. (2.35) ist daher die Streckenlast n enthalten, die beim DWV entfällt.
Die Arbeitsgleichung für den Biegestab ist aus der DGL (2.22) neu abzuleiten. Die Anwendung des PvW führt auf den Arbeitsausdruck
W v(w v, w) w (x) (EI w(x) ( H(x) w(x)) p ) dX 0.
v
– 2 / 61 –
(2.36)
Die DGL (2.22) beschreibt das Gleichgewicht in z– Richtung für die verformte Lage
(ρ > 0), vgl. (Bild 2.29). Das PvW wird aber wie bei Gl. (2.35) mit Bezug auf die un–
verformte Lage (ρ = 0) formuliert. Es ist also auch beim VdS streng zwischen baustatischem Bezug (unverformte Lage) und baustatischem Zustand (Gleichgewicht der
verformten Lage) zu unterscheiden, vgl. DWV Abschnitt 2.3.2. Im Unterschied zu
Gl. (2.22) ist in Gl. (2.36) die Veränderlichkeit von H = H(x) wieder berücksichtigt.
Die Umformung des ersten Terms von Gl. (2.36) durch partielle Integration ergibt
w (x) EI w(x) dX w (x) EI w(x) dX
v
v
[ w v(x) M(x) ] R [ ϕ v(x) M(x) ] R.
(2.37)
Gl. (2.37) stimmt bis auf den Randausdruck – [ wv(x) M’(x) ]R mit Gl. (1.10.2) überein.
In Gl. (1.10.2) steht anstelle von M’(x) die Querkraft Q(x). Sie ist im Rahmen der Theorie I. Ordnung durch die erste Ableitung des Moments definiert, so daß sich die Zuordnung als richtig erweist. Sie ist aber nicht auf die Theorie II. Ordnung übertragbar, da
Gl. (2.18.3) und nicht Gl. (2.18.4) gilt, wenn die Formulierung in H– und V– Schnitt–
größen erfolgt. Die Ergänzung von M’(x) um H(x) ⋅ w’(x), damit sich gemäß Gl. (2.18.3)
V(x) ergibt, resultiert aus der Umformung des zweiten Terms von Gl. (2.36). Es gilt
w (x) ( H(x) w(x) ) dX v
(2.38)
[ w v(x) H(x) w(x) ] R w H(x) w(x) dX.
v
Die Umformungen Gl. (2.37) und Gl. (2.38) sind in Gl. (2.36) einzusetzen, um die
Arbeitsgleichung des Biegestabs zu erhalten, die mit der Arbeitsgleichung (2.35) des
Dehnstabs korrespondiert.
W v(w v, w) w (x) EI w(x) dX w H(x) w(x) dX w p dX
v
v
v
[ w v(x) V(x) ] R [ ϕ v(x) M(x) ] R 0.
(2.39)
Die statischen Randbedingungen für H, V und M sind als natürliche Bedingungen immer erfüllt. Daher entfallen die Randausdrücke in Gl. (2.35) und Gl. (2.39), wenn die virtuellen Verschiebungen uv und wv und die virtuelle Verdrehung ϕv die geometrischen
Randbedingungen erfüllen. Es verbleiben die Arbeitsausdrücke
W v(u v, u) u (x) EA u(x) dX u n dX 0
v
v
(2.40.1)
und
W v(w v, w) w (x) EI w(x) dX w
v
v
(X)
H(x) w(x) dX w p dX 0.
v
(2.40.2)
– 2 / 62 –
Die Arbeitsgleichung (2.40) ist als Diskretisierungsgrundlage zu verwenden, um das
VdS an die Bedingungen der Theorie II. Ordnung anzupassen. Die Ausdrücke
Gl. (2.40.1) und Gl. (2.40.2) stimmen bis auf den unterstrichenen Term mit den Aus–
drücken Gl. (1.14.1) und Gl. (1.14.2) überein, die für den Fall der Theorie I. Ordnung
gelten. Der Unterschied zwischen beiden Theorien besteht also lediglich in der zusätz–
lichen Auswertung des Arbeitsausdrucks
W vTheorie II. Ordnung w (x) H(x) w(x) dX.
v
(2.41)
Gl. (2.41) ergänzt die elastischen Stabsteifigkeiten der Theorie I. Ordnung durch geometrische Stabsteifigkeiten, um im Rahmen der Theorie II. Ordnung das Gleichgewicht
am verformten System zu erfüllen.
2.4.2
Näherungsansätze für Theorie II. Ordnung
Die Näherungsansätze Gl. (1.17) und Gl. (1.18), die bei der Auswertung der Theorie
I. Ordnung–Arbeitsgleichungen (1.14.1) und Gl. (1.14.2) zur Anwendung kommen, erfassen die homogenen Lösungen der zugehörigen DGL (1.41 und 1.42) in analytisch
exakter Form. Zur Auswertung von Gl. (2.40.1) gilt daher uneingeschränkt Gl. (1.17).
Bei der Auswertung von Gl. (2.40.2) sind dagegen Abweichungen von der analytischen
Lösung zu beachten.
Abweichungen von der DGL–Lösung können beim VdS aber in einfacher Weise durch
eine Verfeinerung der Elementunterteilung egalisiert werden. Dieses Prinzip hat sich
bereits bei gebetteten Stäben sehr gut bewährt, vgl. Abschnitt 1.8. Obwohl erhebliche
Unterschiede zwischen der tranzendenten Lösung von gebetteten Stäben und der algebraischen Näherungslösung Gl. (1.17) und Gl. (1.18) bestehen, sind mit dem VdS sehr
genaue Ergebnisse zu erzielen, wenn man die Beschränkung der Elementlänge
Gl. (1.43) beachtet.
Die homogene Biegelösung der Theorie II. Ordnung setzt sich aus algebraischen und
tranzendenten Anteilen zusammen. Bei Druck Gl. (2.25.2) treten als tranzendenter Anteil einfache und bei Zug Gl. (2.34.1) hyperbolische Sinus– und Cosinusterme auf.
Beide Lösungen werden einheitlich durch die algebraische Funktion Gl. (1.18) ange–
nähert, um den Arbeitsausdruck Gl. (2.41) auszuwerten. Die Durchführung der Integration und das Einordnen in ein Matrizenschema ergibt
W vTheorie II. Ordnung v vl k ll(H) v l .
T
– 2 / 63 –
(2.42)
Im diskretisierten Arbeitsausdruck (2.42) ist
k ll(H) H
30
0
0
0
0
0
0
36
s
3
0
36
s
0
3
4s
0
–3
0
3
–s
(2.42.1)
0
0
0
0
0
0
0
36
s
–3
0
36
s
–3
0
3
–s
0
–3
4s
die geometrische Steifigkeitsmatrix der Theorie II. Ordnung. In Gl. (2.42.1) ist die Längskraft H als Zugkraft positiv und als Druckkraft negativ definiert. Die Dateneingabe des
VdS erfaßt Streckenlasten element– bzw. stabweise konstant. Die H– Kraft kann sich,
wenn überhaupt, nur linear verändern. Die Integration von Gl. (2.42.1) erfolgt daher mit
dem Mittelwert der H– Kräfte zwischen Anfang und Ende der betrachteten Elemente
bzw. Stäbe. Mit Gl. (2.42.1) und den elastischen Steifigkeitsmatrizen von ungebetteten
Gl. (1.23.3) und gebetteten Stäben (Gl. 1.39.1) ist dann die Gesamtsteifigkeitsmatrix
der Theorie II. Ordnung durch
k ll k ll(EA, EI) k ll(K) k ll(H)
(2.43)
bekannt.
Die Güte der Näherung von Gl. (2.42.1) ist durch einen Vergleich mit den analytischen
Lösungen der DGL (2.22) zu überprüfen. Dies soll am Beispiel des im (Bild 2.30) dargestellten dehnstarren Druckstabs erfolgen.
ϕ
x, u
z, w
wk = 0
ϕk = 1
(K)
(L)
(EA, GAQ) → ∞
H
H
EI ≠ 0
es
M KL
wL = 0
ϕL = 0
s
Bild 2.30 : Vergleich von analytischer und numerischer Lösung
– 2 / 64 –
|EIH|
Die analytische Lösung ist (Bild 2.17) zu entnehmen.
2
M analytisch A EI
⋅ ϕ K , A e sine e cose .
s
KL
2(1 cose) e sine
Die numerische Lösung ist aus der Matrizengleichung
.
MKL
0.
ϕK
k ll(EI) k ll(H)
=
.
0.
.
0.
zu entwickeln.
1 2
A N EI
M numerisch
KL
s ⋅ ϕ K , A N 4 1 30 e .
Die zahlenmäßige Auswertung in Abhängigkeit von ε ist in (Tabelle 2.2) angegeben.
e
A
e sin e e 2 cos e
AN 4 1 1 e2
2 (1 cos e) e sin e
30
Fehler :
AN
1 100%
A
0.
4.
4.
0.00%
1.
3.865
3.867
%
2.
3.436
3.467
0.90%
2.5
3.088
3.167
2.56%
3.
2.624
2.800
6.70%
Tabelle 2.2 : Zahlenvergleich der Vorfaktoren
Nach Tabelle (2.2) ist die Näherungslösung des VdS bis zur Stabkennzahl ε ≤ 2.5
zulässig. Die Fehlerquote liegt dann unter 3%. Dies ist für die praktische Anwendung
als ausreichend genau anzusehen. Als Vergleichslänge bietet sich der Ausdruck
s vgl. |EIH|
(Maßeinheit nach Vorgabe)
(2.44)
an, der sich aus der Stabkennzahl Gl. (2.24) ableitet.
Mit der Vergleichslänge Gl. (2.44) und der Begrenzung von ε durch (Tabelle 2.2) läßt
sich eine maximale Element– bzw. Stablänge angeben.
s 2.5 s vgl.
(2.45)
– 2 / 65 –
Bei der Element– bzw. Stabunterteilung von statischen Systemen ist Gl. (2.45) zu beachten, um mit der Näherungslösung des VdS hinreichend genau Ergebnisse zu er–
zielen, wenn die Berechnung auf der Grundlage der Theorie II. Ordnung erfolgt.
2.4.3
Vergleich zwischen DWV und VdS
Die Stabendmomente von beiden Verfahren stimmen im Rahmen einer vorgegebenen
Genauigkeitsgrenze überein, vgl. (Tabelle 2.2). Damit ergeben sich nach Gl. (2.30) auch
gleiche Zwangsmomente (ZM) in den Drehfesseln bzw. Knoten der Berechnungs–
systeme. Das lokale Tragverhalten wird also von beiden Verfahren in gleichwertiger
Weise erfaßt.
Beim DWV beeinflussen die fiktiven Kräfte maßgeblich das globale Tragverhalten, da
sie in den Zwangskräften (ZK) der Wegfesseln auftreten. Beim VdS werden keine fiktiven Kräfte definiert. Die gesamte Information zur Theorie II. Ordnung ist in der geometrischen Steifigkeitsmatrix Gl. (2.42.1) enthalten. Die Zwangskräfte in den Wegfesseln
müssen demnach mit den Querkräften der Gesamtsteifigkeitsmatrix Gl. (2.43) übereinstimmen.
Die Zwangskraft in den Wegfesseln von Grundstäben ist durch Gl. (2.31) definiert. In
der speziellen Wegfessel am Knoten (L) des 1–ten Grundstabs tritt z.B. die Zwangskraft
ZK 1
s (M KL M LK) H y KL
auf, wenn der druckbeanspruchte Grundstab, wie im (Bild 2.31) dargestellt, mit gesperrten Drehfesseln um das Maß ψKL verdreht wird.
F fiktiv
F fiktiv H y KL
(K)
(L)
ψKL
H
MLK
H
ZK
MKL
ZK
s
Bild 2.31 : Zwangskraft im verdrehten 1–ten Grundstab
– 2 / 66 –
Diese Zwangskraft muß mit der Querkraft VLK übereinstimmen, die sich aus der
Matrizengleichung
VKL
MKL
0.
=
0.
k ll(EA) k ll(H)
VLK
wL
MLK
0.
des dehnstarren VdS– Elements (Bild 2.32) ergibt, wenn man den Knoten (L) mit
wL = ψKL ⋅ s verschiebt und die Weggrößen ϕK, ϕL und wK gleich Null setzt.
ϕ
H
MKL
x
z, w
MLK
(K)
H
(L)
VKL
VLK
s
Bild 2.32 : Querkraft am VdS– Element
Mit Gl. (1.23.3), Gl. (2.42.1) und negativer H– Kraft gilt
3
M KL M LK 6 EI
s ⋅ y KL 30 Hs y KL
und
V LK 12 EI2 ⋅ y KL 36 H y KL .
30
s
Wird MKL = MLK unter Anpassung der Vorzeichen – es gelten die inneren Momentenpfeile von Bild 2.31 – in
ZK 1
s M KL M LK H y KL
– 2 / 67 –
eingesetzt, erhält man
6
EI
ZK 1
s 12 s y KL 30 Hs y KL H y KL
12 EI2 y KL 36 H y KL V LK .
30
s
Das DWV und das VdS stimmen also trotz unterschiedlicher Methodik vollständig
überein, wenn man von gleichen Voraussetzungen ausgeht. Methodische Unterschiede sind in zwei Punkten zu beachten:
1.
Das VdS erfaßt in allgemeiner Form dehnsteife, das DWV dagegen nur den
Sonderfall dehnstarrer Tragwerke.
2.
Das VdS beruht auf einer Näherungslösung, das DWV dagegen auf einer
analytisch exakten Lösung.
Im konstruktiven Ingenieurbau ist der Sonderfall dehnstarrer Tragwerke die Regel und
die Güte der VdS– Lösung läßt sich durch die Elementunterteilung bis zur analytisch
exakten Lösung steigern. Im Hinblick auf die praktische Anwendung haben die Unterschiede daher keine Bedeutung. In der Praxis dominiert wegen der Rechnerunterstützung das VdS. Das DWV kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn es um Kontrollen
von VdS– Ergebnissen geht oder wenn Vorbemessungen im Rahmen der Entwurfsgestaltung anstehen.
2.4.4
Iterative Berechnung auf Systemebene
Beim DWV begnügt man sich in der Regel mit einem Iterationsschritt, um den rechnerischen Aufwand der Handberechnung in Grenzen zu halten. Eingangsgrößen der Berechnung sind die Längskräfte der Stäbe, die vorab zur ungünstigen Seite hin abgeschätzt werden. Diese rein manuelle Beschränkung entfällt beim VdS durch den
Rechnereinsatz. Die Berechnung wird erst dann beendet, wenn Eingangs– und Ausgangsgrößen übereinstimmen.
Die Anpassung erfolgt mit Hilfe einer Iterationsschleife. Sie ist auf der Systemebene des
VdS zu durchlaufen. Die Systemgleichung der Theorie II. Ordnung, auf der die Iteration
beruht, ergibt sich in gleicher Weise wie Gl. (1.29) bzw. Gl. (1.30) der Theorie I. Ordnung. Beim Aufbau ist in der Arbeitsgleichung (1.25) der Elemente bzw. Stäbe lediglich
Gl. (2.42.1) zusätzlich zu berücksichtigen. Als Ergebnis erhält man das Gleichungs–
system
(K K(H)) V S 0(ò),
(2.46)
das von zwei Parametern abhängt, nämlich den Stabkräften H und dem Lastfaktor ρ.
– 2 / 68 –
Die Vorgabe des Lastfaktors ρ erfolgt durch die Dateneingabe. In der Regel wird nur
ein fester Wert gewählt. Es besteht aber auch die Möglichkeit, durch sukzessive Steigerung von ρ diejenige Last zu ermitteln, bei der das System versagt. Dies ist der Fall,
wenn sich die LVK asymthotisch der kritischen Last nähert, die das Lastniveau nach
oben begrenzt, vgl. (Bild 2.1).
Zu Beginn der Berechnung sind die Längskräfte H unbekannt. Sie werden daher zu
Null gesetzt. Damit entfällt in Gl. (2.46) die geometrische Steifigkeitsmatrix K(H). Im
Rahmen des VdS beginnt demnach jede Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit der
elastischen Steifigkeitsmatrix K = K(EA, EI, K). Dadurch ergibt sich für die Längskräfte
H zunächst eine Lösung nach Theorie I. Ordnung. Sie dient als Ausgangslösung der
Iteration und wird daher als Grundschritt bezeichnet. Die Iteration für einen speziellen
Lastfaktor ρ ist beendet, wenn die Ein– und Ausgänge der Berechnung übereinstimmen. Der Ablauf ist in (Tabelle 2.3) veranschaulicht.
Vorgang
Durchführung
Beginn
Lastfaktor ρ wählen und alle Längskräfte H = 0 setzen.
Grundschritt
Berechnung nach Theorie I. Ordnung (Index I):
K VI = S0 → HI bekannt.
Iteration
Berechnung nach Theorie II. Ordnung (Index II):
1. Schritt
K K(HI) VII1 S0
H II1 bekannt.
2. Schritt
K K(HII1) VII2 S0
H II2 bekannt.
3. Schritt
K K(HII2) VII3 S0
H II3 bekannt.
.
.
.
.
Fortsetzung
Die Iteration ist nach (i) Schritten beendet, wenn sich die
Gleichheit von H IIi H IIi
1 einstellt !
Ggf. ρ neu wählen, den Grundschritt und die Iterationen
wiederholen, bis Ergebnisse für alle gewünschten Lastfaktoren
vorliegen.
Tabelle 2.3 : Flußdiagramm der Iteration
– 2 / 69 –
2.4.5
Zahlenbeispiel zum VdS
Die Berechnung von Stabtragwerken nach Theorie II. Ordnung mit dem VdS soll abschließend an einem Beispiel demonstriert werden. Die Durchführung erfolgt am statischen System (Bild 2.24a), um eine Vergleichsberechnung zum DWV zu erhalten,
vgl. Abschnitt 2.3.5. Zur Anwendung kommt das Programm FEMAS mit den Optionen
Spannungsberechnung nach Theorie I. und II. Ordnung /5/.
Das FEMAS– Berechnungssystem ist im (Bild 2.33) dargestellt.
X3
500 kN
1
Qw = V
2
1
Mv = M
N=H
3.
2
500 kN
X2 ≡ 0.
5
6
3
7
ϕ3
w3
104 kN/m
ϕ2
3.
w2
w1
4
3
4
X1
ϕ1
4. m
3.
4.
Bild 2.33 : FEMAS– Berechnungssystem des statischen Systems (Bild 2.24a)
Im Vergleich zum statischen System (Bild 2.24a) sind drei Änderungen zu beachten:
1.
Die Vorzeichenkonvention im FEMAS– Berechnungssystem (Bild 2.33) bezieht
sich auf die oben liegende Bezugsfaser. Beim statischen System (Bild 2.24a) ist
die Bezugsfaser dagegen unten angeordnet.
– 2 / 70 –
2.
Die Schnittkräfte in den FEMAS–Ergebnissen sind mit N und Q bezeichnet. Be–
rechnet und angegeben werden aber die (H und V)– Schnittkräfte der Theorie
II. Ordnung und nicht die physikalischen (N und Q)– Schnittkräfte.
3.
Vom Momentengelenk im Knoten (3) des statischen Systems (Bild 2.24a) zweigen
drei Stäbe ab. Im FEMAS–Berechnungssystem (Bild 2.33) ist an dieser Stelle eine
3–fache Knotennummerierung erforderlich, um das Gelenk als Vollgelenk ausbilden zu können. Die Knotennummern 6 und 7 sind daher zusätzlich zu beachten.
Die Knoten 3, 6 und 7 bezeichnen aber ein und denselben geometrischen Ort,
nämlich den Knoten (3) des statischen Systems (Bild 2.24a).
Es werden drei Berechnungsläufe mit FEMAS durchgeführt. In der ersten Programmberechnung erfolgt eine Kontrolle der am statisch bestimmten Gelenkwerk ermittelten
H–Kräfte, die als Eingangsgrößen dienen, um die Handberechnung mit dem DWV zu
starten. Die Ergebnisse der Programmberechnung stimmen vollständig mit der Kräftezerlegung im (Bild 2.25a und b) überein.
Die zweite Programmberechnung erfolgt auf der Grundlage der Theorie I. Ordnung. Ein
Vergleich der Ergebnisse zwischen erster und zweiter Berechnung verdeutlicht, daß die
Längskräfte nach Theorie I. Ordnung deutlich von den Längskräften der Schätzung am
Gelenkwerk abweichen. Daher gelten beim Start der Berechnung nach Theorie II. Ordnung beim VdS andere Eingangsbedingungen als beim DWV. In der Regel unterbleibt
die iterative Anpassung der Längskräfte beim DWV, wenn die Eingangsgrößen auf der
sicheren Seite liegen. Zwischen den Verfahren müssen sich daher zwangsläufig Unterschiede ergeben, wenn man die Ergebnisse nach Theorie II. Ordnung vergleicht.
Die dritte Programmberechnung nach Theorie II. Ordnung ist nach fünf Iterationsschritten beendet. Wie ein Vergleich der Ergebnisse aus den VdS–Berechnungen mit dem
System (Bild 2.33) sowie der Berechnung mit dem DWV (Bild 2.24) zeigt, ist der Einfluß
der Verformungen auf das Gleichgewicht gering. Für die horizontale Verschiebung der
Feder im Knoten (5) (Bild 2.27a) erhält man die Werte
Y2 = vX5 = w15
= 0.0599 (m)
→ Theorie I. Ordnung VdS,
= 0.0618 (m)
→ Theorie II. Ordnung VdS,
= 0.0662 (m)
→ Theorie II. Ordnung DWV.
Für die Verdrehung in der biegesteifen Ecke des Knotens (2) (Bild 2.27a) ergeben sich
die Werte
Y1 = ϕ2 = ϕ22
= 0.0181 (1)
→ Theorie I. Ordnung VdS,
= 0.0187 (1)
→ Theorie II. Ordnung VdS,
= 0.0221 (1)
→ Theorie II. Ordnung DWV.
Der Unterschied zwischen Theorie I. und II. Ordnung beträgt lediglich 3%. Die Werte
nach dem DWV fallen erwartungsgemäß größer aus als die Werte nach dem VdS.
– 2 / 71 –
Die Beträge der Schnittgrößen sind in (Tabelle 2.4) gegenübergestellt.
Theorie und Verfahren
Stab
1
Beträge der
Schnittgrößen
II. Ordnung
II. Ordnung
VdS
VdS
DWV
3.7 (Zug)
6.6
H(N)
(kN)
6.9
V(QW)
(kN)
313.9
323.1
327.7
M(MV)1 (kNm)
718.0
739.8
778.8
M(MV)2 (kNm)
537.4
552.3
578.3
H(N)
136.5
122.5
130.0
126.7
127.7
120.7
537.4
552.3
578.3
0.
0.
903.8
925.0
960.5
66.6
45.8
33.6
282.4
275.0
275.0
0.
0.
618.0
662.0
0.
9.6
24.8
M(MV)3 (kNm)
0.
0.
0.
M(MV)5 (kNm)
0.
0.
0.
= (1, 2)
(kN)
2 = (2, 3) V(QW) (kN)
bzw.
M(MV)2 (kNm)
(2, 6)
M(MV)3(6)(kNm)
H(N)
(kN)
3 = (4, 3) V(QW) (kN)
bzw.
M(MV)4 (kNm)
(4, 7)
M(MV)3(7)(kNm)
4
I. Ordnung
H(N)
(kN)
V(QW)
(kN)
0.
0.
598.9
= (3, 5)
Tabelle 2.4 : Vergleich der Schnittgrößen
Auch bei den Schnittgrößen treten nur geringe Unterschiede zwischen den Werten der
einzelnen Berechnungen auf. Der Stab 1 zwischen den Knoten (1) und (2) erhält im
Endzustand der Theorie II. Ordnung sogar Zug und versteift das System. Dadurch wird
das Einspannmoment im Knoten (4) des Stabes 3 nach Theorie II. Ordnung geringfügig kleiner als nach Theorie I. Ordnung.
– 2 / 72 –
Die Elementierung des VdS–Berechnungssystems (Bild 2.33) besteht aus einem Element pro Stab. Eine Überprüfung der Elementlänge im Stab 3 , der mit |H| + 925. kN
die größte Längskraft aufweist, ergibt eine minimale Elementlänge, die mit
s + 2.5
000. + 11.65 m
Ǹ|EIH| + 2.5 Ǹ20925.
deutlich größer ausfällt als die wirkliche Elementlänge, die lediglich
s + 3 Ǹ2 + 4.25 m
beträgt. Die Elementierung ist also ausreichend fein gewählt, um der Genauigkeitsanforderung nach Gl. (2.45) zu genügen. Eine Kontrollberechnung mit 20 Unterteilungen
pro Stab bestätigt die Ergebnisse der Berechnung ohne Unterteilung. Der Momentenverlauf aus den Berechnungen mit unterschiedlichen Elementunterteilungen ist im
(Bild 2.34) dargestellt. (Bild 2.34a) zeigt den Verlauf mit einem Element pro Stab und
(Bild 2.34b) den Verlauf mit 20 Elementen.
2.5
Stabilität von Gleichgewichtszuständen
Der Nachweis der Standsicherheit von Tragwerken des konstruktiven Ingenieurbaus ist
nach den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik zu führen. Sie sind in Abhängigkeit von der speziellen Problemstellung in technischen Regelwerken zusammengefaßt. Details zur Stabilität sind z.B. DIN 1045, DIN 18 800 oder vergleichbaren Werken
zu entnehmen.
Für druckbeanspruchte Tragwerke ist der Nachweis der Standsicherheit erbracht, wenn
sich das tragende System im stabilen Gleichgewicht befindet. Das Adjektiv stabil ist
dabei von besonderer Bedeutung. Erfolgt der Nachweis durch eine Spannungsberechnung auf der Grundlage der Theorie II. Ordnung, ist zusätzlich die Stabilität des Gleichgewichts zu überprüfen. Es reicht nicht aus, lediglich die Weg– und Kraftgrößen der verformten Gleichgewichtslage zu berechnen und mit Grenzwerten der Regelwerke zu
vergleichen. Diese Lage ist nämlich nur dann als uneingeschränkt stabil anzusehen,
wenn eindeutig bekannt ist, daß das Lastniveau, für das der Spannungsnachweis erbracht wird, unterhalb des kritischen Lastniveaus des speziell betrachteten Tragwerks
liegt.
Der vollständige Nachweis der Standsicherheit von druckbeanspruchten Tragwerken
besteht daher immer aus zwei voneinander unabhängigen Berechnungsschritten:
1.
Der Berechnung von Weg– und Kraftgrößen der verformten Gleichgewichtslage
durch die Lösung des Spannungsproblems nach Theorie II. Ordnung.
2.
Die Überprüfung der Stabilität durch die Lösung des begleitenden Stabilitäts–
problems.
– 2 / 73 –
739.8
+
–
–
552.3
275.0
+
a
739.8
552.3
274.8
b
– 2 / 74 –
Die Anwendung dieses Konzepts ist bei Stabtragwerken stets zulässig, vgl. z.B.
DIN 18 800, Teil 2. Um die Stabilität von Gleichgewichtszuständen überprüfen zu
können, ist es erforderlich, eine Stabilitätstheorie zu formulieren. Dazu ist die DGL des
Problems abzuleiten und zu lösen. Die Lösung der Stabilitätsgleichung im Bereich von
statisch unbestimmten Stabtragwerken kann wiederum mit dem DWV oder mit dem
VdS erfolgen. Als Ergebnis erhält man eine Aussage über das kritische Lastniveau des
speziell betrachteten Tragwerks.
2.5.1
Grundlagen der Stabilitätstheorie I. Ordnung
Instabilität kann durch unterschiedliche Versagensarten auftreten. Bei Stabtragwerken
ist zwischen Biegeknicken und Biegedrillknicken zu unterscheiden. Biegedrillknicken ist
immer mit einer Verdrehung der Stabachse verbunden, so daß ein räumlicher Ver–
sagenszustand vorliegt. Hierzu gehört z.B. auch der Fall der doppelten Biegung. Räumliches Versagen ist im Rahmen einer ebenen Stabstatik nicht zu erfassen. Biegedrillknicken wird daher nicht behandelt.
Beim Biegeknicken von ebenen Stabwerken kann das Ausknicken in der Lastebene
oder senkrecht dazu erfolgen. Dies hängt von den aktuellen Steifigkeiten der jeweiligen
Richtungen ab. Im Rahmen der speziell hier betrachteten ebenen Stabstatik kann man
nur das Ausknicken in der Lastebene untersuchen. Die Zustände, die ein Stabausschnitt ∆x dabei durchläuft, sind im (Bild 2.35) dargestellt.
∆x
ϕ
x, u
z, w
n(x)
p(x)
a)
Ausgangszustand (ρ = 0)
b)
Grundzustand (ρ > 0)
nach Theorie I. Ordnung
mit vernachlässigten
Biegegrößen
c)
Nachbarzustand zum
Grundzustand b) nach
Theorie II. Ordnung
NG
∆M = H ∆w
ϕ
∆w
M
V
H = λ NG
Bild 2.35 : Biegeknicken in der Lastebene
Zur Beschreibung des Knickvorgangs sind drei unterschiedliche Zustände bzw. Lagen
des Stabs zu betrachten. Der Ausgangszustand (Bild 2.35a) stimmt mit der unverformten Lage ρ = 0 überein. Er dient, da bekannt, als Bezugszustand. Der Grundzustand
(Bild 2.35b) ist identisch mit einer Gleichgewichtslage. Sie ist durch eine Spannungsberechnung für eine spezielle Einwirkung ρ > 0 zu ermitteln. Größen, die zu diesem Vorknickzustand gehören, sind durch den hochgestellten Index (G) gekennzeichnet.
– 2 / 75 –
Ziel der Stabilitätsbetrachtung ist es, zur Überprüfung der Stabilität von Gleichge–
wichtszuständen ein deterministisches Kriterium zu entwickeln. Dazu ist die Gleichgewichtslage des Grundzustands noch genauer zu definieren. Sie kann sich aus einer
Berechnung nach Theorie I. oder nach Theorie II. Ordnung ergeben. Da der Tragfähigkeitsnachweis aber bereits nach Theorie II. Ordnung erfolgt, reicht es aus, als Grundzustand der Stabilitätstheorie den Gleichgewichtszustand ρ = 1 nach Theorie I. Ordnung
zu wählen, um mit dem so definierten Spannungszustand die Knicklast zu berechnen.
Ist das kritische Lastniveau bekannt, läßt sich das tatsächliche Lastniveau, daß der
Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung zugrunde liegt, in einfacher Weise
nach oben begrenzen. Es gilt
F Theorie II. Ordnung t F Knicken.
(2.47)
Das tatsächliche Lastniveau ist als Vorgabe der Berechnung bekannt. In Anlehnung an
technische Regelwerke sind Bemessungslastfälle zu bilden, die aus Kombinationen
von Einwirkungen bestehen. Bei der Zusammenstellung der Lastkombinationen sind
die Einwirkungen um spezielle Teilsicherheitsfaktoren zu erhöhen, um im Hinblick auf
die Sicherheit das ungünstigste Verhalten jeder Einwirkungsart zu erfassen.
Das kritische Lastniveau hängt dagegen vom Verhalten des Tragwerks ab. Die Knicklast ist diejenige Einwirkung, bei der ein Tragwerk in eine zum Grundzustand benachbarte Gleichgewichtslage ausknickt. Das Knicken ist demnach als ein Verzweigen von
Gleichgewichtszuständen zu interpretieren. Die ausgeknickte Lage wird als Nachbarzustand bezeichnet (Bild 2.35c).
Das Ausknicken erfolgt schlagartig, wenn die Druckkraft NG des Grundzustands den
Wert λ NG erreicht. Beim Grundzustand nach Theorie I. Ordnung besteht zwischen der
Druckkraft NG und der erzeugenden Einwirkung FG = ρ F, ρ = 1 ein linearer Zusammenhang. Mit dem Steigerungsfaktor λ der Druckkraft NG ist daher auch der Steigerungsfaktor ρ der Einwirkung FG bekannt. Dieser Faktor wird als kritischer Lastfaktor bezeichnet. Er ist durch den Index (k) markiert, so daß
òk + l
(2.48)
gilt. Mit Gl. (2.48) berechnet sich die in Gl. (2.47) eingeführte Knicklast zu
F Knicken + ò k FG + ò k F + l F .
(2.49)
Mit der Kenntnis von λ ist das durch Gl. (2.47) eingeführte Kontrollkriterium eindeutig
definiert. Die DGL der Stabilitätstheorie ist daher als Bestimmungsgleichung für λ zu
konzipieren, um λ als Zahlenwert berechnen zu können.
Druckkräfte in Stäben von Tragwerken können in unterschiedlicher Form ohne und mit
Biegung auftreten (Bild 2.36). Die Lastkonfiguration des Grundzustands im (Bild 2.36a)
wird vielfach als Stabilitätsproblem bezeichnet, weil keine Biege– sondern eine reine
Druckkraftbeanspruchung vorliegt (Bilder 2.36a1 bis a3). Für diesen Fall ergibt eine
– 2 / 76 –
F/2
F/2
F
H
H
L/2
L
a1) Einwirkung und Verformung
L/2
b1) Einwirkung und Verformung
–
0
–
–
+
M
–
Mm
0
0
a2) Momente
b2) Momente
M/H
F/2
0
F/2
–
F/2
F/2
–
–
–
–
a3) Druckkräfte
b3) Druckkräfte
a4) Knickform
b4) Knickform
a) Druckkräfte ohne Biegung
b) Druckkräfte mit Biegung
Bild 2.36 :
Druckkräfte ohne und mit Biegung
– 2 / 77 –
Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung keinen Sinn. Das zulässige Last–
niveau hängt ausschließlich von der Ausknickgefahr ab. Infolge der Steifigkeitsverhältnisse stellt sich eine antimetrische Knickform ein (Bild 2.36a4), da ein Tragwerk immer
in Richtung der geringsten Steifigkeit ausknickt. Nach Gl. (2.47) ist die Knicklast, die zu
dieser Form gehört, als Grenzzustand der Einwirkungen zu beachten.
Die Lastkonfiguration im (Bild 2.36b) führt dagegen zu einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung und Druckkräften (Bilder 2.36b1 bis b3). Durch die Biegung treten
nun auch im Riegel Druckkräfte auf. Im Vergleich zur Lastkonfiguration (Bild 2.36a) muß
die Knicklast daher geringfügig abnehmen. Da sich die Steifigkeitsverhältnisse des
Systems aber nicht geändert haben, muß wiederum eine antimetrische Knickform auftreten (Bild 2.36b4). Ein Tragfähigkeitsnachweis nach Theorie II. Ordnung folgt aber der
symmetrischen Verschiebungsform im (Bild 2.36b1). Er würde damit die antimetrische
Knickform (Bild 2.36b4) überlaufen, wenn eine Kontrolle des Lastniveaus durch die
Knicklast nach Gl. (2.47) und Gl. (2.49) unterbleibt.
Der Nachbarzustand (Bild 2.35c) ist ein Biegezustand nach Theorie II. Ordnung. Bei
der Aufstellung der Gleichgewichtsbedingung ist daher zusätzlich das Versatzmoment
∆M = H ⋅ ∆w zu berücksichtigen, das sich im Augenblick des Ausknickens durch die
Wirkung der um λ erhöhten Druckkraft
H + l ⋅ NG
(2.50)
des Grundzustands einstellt. Die Biegegrößen (wG, ϕG, QG und MG) des Grundzustands beeinflussen das Ausknicken dagegen kaum und werden ersatzlos vernach–
lässigt. Das Spannungsniveau unmittelbar vor dem Ausknicken ist durch Gl. (2.50)
fixiert. Damit ist nach Gl. (2.48) auch das zugehörige Lastniveau bekannt. Der Übergang in den ausgeknickten Zustand erfolgt ohne zusätzliche Laststeigerung. Es ist daher lediglich der homogene Anteil
ǒ Ǔ
e
wȀȀȀȀ(x) ) sl
2
wȀȀ(x) + 0
(2.51)
der DGL (2.23) zu lösen, um den Knickfaktor λ zu erhalten. Die zugehörige analytische
Lösung Gl. (2.25.2) läßt sich in Abhängigkeit von der Stabkennzahl
el + s
ǸŤl EIN Ť
G
(2.52)
auswerten, die nun ihrerseits vom Knickfaktor λ abhängt.
Die Berechnung mit dem DWV beruht auf der im Abschnitt 2.3 entwickelten Vorgehensweise. Änderungen gegenüber der Vorgehensweise beim Spannungsproblem ergeben
sich nicht. Es ist die Determinantenbedingung
el 2
ȡ
ȣ
detȧwȀȀȀȀ(x) ) ǒ s Ǔ wȀȀ(x)ȧ+ det (l) + 0
Ȣ
Ȥ
(2.53)
zu erfüllen, um λ als kleinsten Wert der DGL (2.51) explizit berechnen zu können. Dies
ist nur auf iterativem Weg möglich. Einzelheiten werden im Abschnitt 2.5.3 angegeben.
– 2 / 78 –
Die Berechnung mit dem VdS beruht auf der im Abschnitt 2.4 entwickelten Vorgehensweise. Der homogene Anteil des PvW Gl. (2.40) ersetzt in statisch gleichwertiger Weise
die DGL (2.51). Die Arbeitsgleichung (2.40.2) ist mit der Druckkraft Gl. (2.50) auszuwerten und als Eigenwertproblem für λ zu formulieren. Es ist der Rayleigh–Quotient
ŕ wȀȀ (x) EI wȀȀ(x) dx
l+
ŕ wȀ (x) N wȀ(x) dx
v
v
(2.54)
G
zu erfüllen, um λ als kleinsten Wert der DGL (2.51) explizit berechnen zu können. Dies
ist auf iterativem Weg oder durch die Lösung eines allgemeinen Eigenwertproblems
möglich. Einzelheiten werden im Abschnitt 2.5.4 angegeben.
2.5.2
Bewertung der Stabilitätskontrolle
Die Determinantenbedingung Gl. (2.53) bzw. der Rayleigh–Quotient Gl. (2.54) beschreiben das Verhalten am Verzweigungspunkt (Bild 2.37). Durch diesen Punkt ist der
Beginn des Ausknickens festgelegt. Für Einzelstäbe und Stabtragwerke ist damit ein
hinreichendes Kriterium bekannt, um die Stabilität von Gleichgewichtszuständen zu
kontrollieren. Der gesamte Nachknickbereich wird nach Gl. (2.47) durch die Angabe der
Knicklast begrenzt. Auch wenn die Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung
über diesen Wert hinausführt, greift die Kontrolle durch Gl. (2.47). Im (Bild 2.37a) ist dieser Fall am Beispiel der Lastkonfiguration (Bild 2.36b) dargestellt.
Die Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung konvergiert gegen eine zur Verformungsfigur affine Knickform. Dies ist aber eine höhere Knickform, im vorliegenden
Fall eine symmetrische, nämlich die zweite, zu der eine wesentlich höhere Verzweigungslast als die Knicklast gehört. Diese Last kann in Wirklichkeit nicht erreicht werden,
da das System schon beim Erreichen des kritischen Lastniveaus versagt, nämlich der
Knicklast, die zur antimetrischen ersten und damit kritischen Knickform gehört, vgl.
(Bild 2.37a).
Der Tragfähigkeitsnachweis nach Thorie II. Ordnung geht fehl, da er aus dem stabilen
Tragbereich hinaus in den labilen Tragbereich führt, vgl. (Bild 2.37a). Die Kontrolle nach
Gl. (2.47) ist daher unabdingbar, um diesen Sachverhalt zu erkennen.
Knicklasten begrenzen mit ρ = ρk das Tragvermögen von Einzelstäben und Stabtragwerken. Diese Aussage läßt sich aber nicht uneingeschränkt auf Flächentragwerke
übertragen (Bild 2.37b). Das Tragvermögen von Platten ist bei weitem noch nicht erschöpft, wenn die Platte ausknickt; ein Vorgang, der bei Flächentragwerken ausbeulen
heißt. Platten verfügen mit ρ > ρk über einen hohen überkritischen Tragbereich, während bei Schalen mit ρ < ρk das Tragvermögen nach dem Ausbeulen stark abnimmt.
Beullasten sind daher ungeeignet, um Gleichgewichtszustände von Flächentrag–
werken im Grenzbereich der Stabilität in eindeutiger Weise kontrollieren zu können.
– 2 / 79 –
Zur Verformungs–
figur affine Knickform
Einwirkung
Höhere
Verzweigungslast
F
Symmetrische
Verformungsfigur
Spannungs–
berechnung nach
Theorie II. Ordnung
labil
òk + l
Knicklast
System
knickt aus !
Antimetrische
Knickform
stabil
Verformung
a) Kontrolle der Spannungsberechnung durch die Knicklast
Einwirkung
Platten
mit ò u ò K
Einzelstäbe und
Stabtragwerke mit ò + ò K
Verzweigungspunkt
òk + l
Schalen
mit ò t ò K
Verformung
b) Vergleich zwischen Stab– und Flächentragwerk
Bild 2.37 : Verhalten am Verzweigungspunkt
– 2 / 80 –
2.5.3
Stabilitätskontrolle beim DWV
2.5.3.1 Determinanten– Iteration
Bei Anwendung des DWV ist speziell die Determinante des Gleichungssystems zur
Berechnung der geometrischen Unbekannten zu verwenden, um Gl. (2.53) zu erfüllen.
Es gilt
det (l) + det ( Z nm(l) ) + 0.
(2.55)
Die Zwangsgrößen Znm der (m)– Einheitswegzustände in den (n) = (m) Dreh– und
Wegfesseln sind am GGS zu bestimmen. Sie berechnen sich aus der Vorgabe von Einheitswegen, wenn gleichzeitig die um λ erhöhten Druckkräfte NG des Grundzustands
auf das GGS einwirken. Neben den Stabendmomenten sind daher auch die fiktiven
Kräfte zu berücksichtigen. Die Stabendmomente hängen durch die Stabkennzahl
Gl. (2.31) indirekt und die fiktiven Kräfte durch die Stabkraft Gl. (2.50) direkt vom gesuchten Knickfaktor λ ab. Gl. (2.55) kann daher nur iterativ gelöst werden.
Dazu sind in Reihenfolge der Aufzählung drei Schritte erforderlich. Zunächst ist der
NG– Verlauf des Grundzustands zu ermitteln. Dann sind zwei oder mehrere λi – Werte
i = 1, 2 ... vorzuschätzen und dafür die Determinantenwerte deti = det (λi), i = 1, 2 ...
zu berechnen. Dies ist ggf. solange fortzusetzen, bis sich ein Vorzeichenwechsel in den
Werten der Determinanten ergibt. Ist dieser Fall eingetreten, kann durch eine lineare
oder höhere Einschrankung der Nullwert der Determinante ermittelt werden. Im Nulldurchgang ist Gl. (2.55) erfüllt und der Knickfaktor
l + l min
(2.56)
als minimaler λ–Wert gefunden. Die Determinanten– Iteration ist im (Bild 2.38) dargestellt.
det (λ)
λ = λmin = Knickfaktor
Theorie
I. Ordnung
Näherung
Höhere
Verzweigungslasten
λ2
λ
λ1
Determinantenverlauf
Lineare Einschrankung
Bild 2.38 : Determinanten– Iteration
– 2 / 81 –
Besondere Vorsicht ist bei der Schätzung der λ– Eingangswerte geboten, um die Berechnung von Determinanten– Nulldurchgängen bei λ > λmin zu vermeiden, die zu
höheren Verzweigungslasten gehören.
2.5.3.2 Zahlenbeispiel zur Determinanten– Iteration
Die praktische Durchführung der Determinanten– Iteration erfolgt am Zahlenbeispiel
des Abschnitts 2.3.5. Für das GGS (Bild 2.24b) nimmt Gl. (2.55) die Form
ȡȱ Z 11ǒliǓ
detȧȧ
ȢȲ Z 21ǒliǓ
Z 12ǒl iǓ ȳȣ
ȧȧ+ Z 11ǒliǓ Z 22ǒliǓ * Z 212ǒliǓ + 0,
Ȥ
Z 22ǒl iǓ ȴ
i + 1, 2 ...
an. Die expliziten Ausdrücke der Zwangsgrößen sind unter Beachtung von Gl. (2.50)
und Gl. (2.52) durch
Z 11 +
M 21,1ǒeliǓ ) M 23,1ǒe liǓ ,
Z 12 + * M 21,2ǒe liǓ ) M 23,2ǒe liǓ + Z 21
und
Z 22 + ǒM 12,2ǒeliǓ ) M 21,2ǒe liǓǓ 1 ) M 23,2ǒe liǓ 1 ) M43,2ǒe liǓ 1
3
3
2
1
G 1 Ǹ
G 1 Ǹ
G 1
* li NG
12⋅ 2 ⋅2 ) N 23⋅ 3 ⋅ 2 ) N 34⋅ 3 ⋅ 2 ) N 35⋅ 4 ) 10 000.
ǒ
Ǔ
gegeben. Die geschätzten Stabkräfte im (Bild 2.25b) sind für eine Knickberechnung zu
ungenau. Die NG– Druckkräfte des Grundzustands sind daher durch eine Vorberechnung nach Theorie I. Ordnung zu ermitteln. Als Ergebnis erhält man die Beträge
ŤNG12Ť + 7. kN, ŤNG23Ť + 137. kN, ŤNG34Ť + 904. kN
Ť
und ŤN G
35 + 600. kN,
vgl. auch VdS– Berechnung _2.4.5_2 im Abschnitt 2.4.5. Die lineare Einschrankung
gemäß (Bild 2.38) wird mit den Schätzwerten λ1 = 21.5 und λ2 = 23. vorgenommen.
Die zugehörigen Stabkennwerte sind in (Tabelle 2.5) zusammengestellt.
l 1 + 21.5
Stab
l 2 + 23.
e l1
A
B
C
e l2
A
B
C
(1, 2)
0.35
4
2
3
0.36
4
2
3
(2, 3)
1.63
3.63
2.10
2.42
1.68
3.61
2.10
2.38
(3, 4)
4.18
0.80
3.18
–11.95
4.33
0.44
3.37
–25.29
(3, 5)
3.21
2.39
2.50
–0.22
3.32
2.50
2.55
–0.63
Tabelle 2.5 : Stabkennwerte
– 2 / 82 –
Die Berechnung der Determinanten ist in (Tabelle 2.6) angegeben
l 1 + 21.5
l 2 + 23.
M21,1
20 000.0
20 000.0
M23,1
11 408.0
11 219.4
M12,2 = M21,2
15 000.0
15 000.0
M23,2
3 802.7
3 739.8
M43,2
–18 777.6
–39 755.1
31 408.0
31 219.4
–11 197.3
–11 260.2
Z22
6 082.1
–1 902.9
det
0.66 ⋅ 108
–1.86 ⋅ 108
Berechnungsgrößen
Z11
Z12 = Z21
Tabelle 2.6 : Berechnung der Determinanten
Zwischen den Schätzwerten λ1 = 21.5 und λ2 = 23. liegt der gesuchte Nulldurchgang,
zu dem λ = λmin gehört. Die lineare Einschrankung
l + l min
det1 = 0.66 ⋅ 108
l 1 + 21.5
l 2 + 23.
l + l min + 23. * 1.5 ⋅ 1.86 + 21.89 X 22.
0.66 ) 1.86
det2 = –1.86 ⋅ 108
ergibt in erster Näherung einen Knickfaktor vom 22–fachen Wert der Eingangslast. Die
Sicherheit gegen Ausknicken ist daher uneingeschränkt gewährleistet.
Die explizite Berechnung von Knicklasten mit dem DWV ist sehr aufwendig. Vor allem
dann, wenn die Anzahl der geometrischen Unbestimmten zunimmt. Knicklastberechnungen sind daher nur dann zu empfehlen, wenn zur Durchführung Rechnerunterstützung bereitsteht, um VdS– Programme anwenden zu können.
– 2 / 83 –
Beim DWV reicht es dagegen aus, die Stabilität von Gleichgewichtszuständen, die sich
aus Berechnungen nach Theorie II. Ordnung ergeben, durch die im Vergleich zu
Gl. (2.55) abgeschwächte Bedingung
det (Z nm(l + ò)) u 0
(2.57)
zu kontrollieren. Mit Gl. (2.57) ist in der Regel sichergestellt, daß der speziell betrachtete
Einwirkungszustand (ρ) im stabilen Tragbereich liegt.
Auf das Zahlenbeispiel im Abschnitt 2.35 angewandt, ergibt Gl. (2.57) einen Determinantenwert von
det + (33 289.3) (25 923.1) * (10 400.25) 2 + 7.6 ⋅10 8 .
Dieser Wert liegt im positiven Bereich. Er bestätigt damit die Kontrolle durch die Knicklast, nach der das System erst beim 22–fachen Wert von (ρ) ausknickt.
Zusätzlich ist das Stabknicken im Pendelstab (3)–(5) zu kontrollieren. Es ist im Systemknicken nicht enthalten. Im vorliegenden Fall fällt der Knickfaktor aber größer aus. Das
Systemknicken ist also maßgebend.
2.5.4
Stabilitätskontrolle beim VdS
2.5.4.1 Rayleigh–Quotient und allgemeines Eigenwertproblem
Im Rahmen der nichtlinearen Stabstatik ist der Einsatz von VdS– Programmen die
Regel. Durch die Rechnerunterstützung entfallen alle rechentechnischen Beschränkungen. Bei VdS– Anwendungen ist daher immer eine umfangreiche Stabilitätskontrolle anzustreben.
Ausgangspunkt der Betrachtung ist der Rayleigh–Quotient Gl. (2.54), der als Systemgleichung von diskretisierten Tragwerken die Matrizenform
l+
( V v) T K V
(2.58)
(V v) T K ǒNGǓ V
annimmt, vgl. Abschnitt 2.4. Im Zähler steht die elastische und im Nenner die von NG
abhängige geometrische Steifigkeit des betrachteten Tragwerks. Der Eigenwert λ erfaßt das Größenverhältnis zwischen den Steifigkeiten. Das Tragwerk knickt aus, wenn
nach Gl. (2.58) die λ–fache geometrische Steifigkeit speziell beim minimalen Wert λmin
mit der elastischen Steifigkeit übereinstimmt. Den Knickfaktor
l + l min
(2.56)
kann man in besonders einfacher Art und Weise mit der Mises– Vektoriteration ermit–
teln /6/.
– 2 / 84 –
Manchmal ist es sinnvoll, neben der Knickform auch höhere Verzweigungslasten zu ermitteln. Ein solcher Fall liegt z.B. vor, wenn es darum geht, Einzelstab– und System–
knicken gemeinsam zu erfassen, zu denen unterschiedliche minimale λ–Werte gehören. Dies läßt sich in einfacher Weise erreichen, wenn man den Rayleigh–Quotient
Gl. (2.58) in das allgemeine Eigenwertproblem
ǒK * lj KǒNGǓ ǓVj + 0
(2.59)
überführt und dann j = 1, 2, 3, 4 ... Eigenwerte λj und Eigenformen Vj in aufsteigen–
der Reihe berechnet. Zur numerischen Lösung von Gl. (2.59) hat sich besonders der
Lancoz–Algorithmus bewährt /6/. Im Programm FEMAS /5/ sind z.B. beide Varianten
implementiert: Die Mises–Iteration zur Lösung von Gl. (2.58) und der Lancoz–Algorithmus zur Lösung von Gl. (2.59).
2.5.4.2 Zahlenbeispiel zum Eigenwertproblem
Für das Zahlenbeispiel im Abschnitt 2.4.5 ist das kritische Lastniveau zu ermitteln. Die
FEMAS– Berechnung beruht auf der Lösung des Eigenwertproblems Gl. (2.59). Der
Grundzustand ist nach Theorie I. Ordnung definiert. Die NG– Druckkräfte werden für
die Einwirkung ρ = 1 ermittelt. Kritischer Faktor und Knickform der Biegeknick–
Berechnung sind im (Bild 2.39.1) dargestellt. Der minimale Knickfaktor, der sich zu
l + l 1 + l min + 22.07
berechnet, stimmt vollständig mit dem Knickfaktor überein, der sich aus der Be–
rechnung mit dem DWV ergibt, vgl. Abschnitt 2.5.3.2.
Das Niveau der Knicklast liegt deutlich über dem Niveau der Bemessungslast. Die
Ergebnisse aus der Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung sind daher als uneingeschränkt stabil einzustufen. Eine erneute Eigenwertanalyse, nun im Anschluß an
die Spannungsberechnung nach Theorie II. Ordnung mit der verformten Gleichgewichtslage als Grundzustand, bestätigt diesen Sachverhalt. Die Ergebnisse der Stabilitätstheorie II. Ordnung sind im (Bild 2.39.2) dargestellt. Der Knickfaktor fällt mit
l + l 1 + l min + 21.69
nur geringfügig kleiner aus als der Knicklastfaktor aus der ersten Berechnung, weil sich
die Längskräfte der Grundzustände nach Theorie I. und II. Ordnung kaum voneinander
unterscheiden. Die zugehörige Knickform im (Bild 2.39.2) stimmt sogar vollständig mit
der Knickform im (Bild 2.39.1) überein. Der Vorzeichenwechsel ist bei homogenen Problemen wegen der zufallsbedingten freien Wahl des Anfangswertes belanglos.
– 2 / 85 –
.1
.2
– 2 / 86 –
2.6
Einfluß von Imperfektionen
Die bisherigen baustatischen Betrachtungen beruhen ausnahmslos auf der Vorstellung, daß die Geometrie und das Material von Tragwerken im Entwurf und im Bauwerk
vollständig übereinstimmen. Durch den Prozess des Bauens sind aber Abweichungen
von den perfekten Planungsvorgaben nicht zu vermeiden. Daher ist es erforderlich, im
Rahmen der baustatischen Bearbeitung eine Bewertung dieser Abweichungen vorzunehmen. Es ist also zu hinterfragen, ob und wenn ja, wie sich die imperfekten Daten auf
das Tragverhalten auswirken. Dies hat selbstverständlich bereits im Planungsstadium
zu geschehen. Da zu diesem Zeitpunkt das Bauwerk aber noch gar nicht existiert, sind
natürlich auch die Abweichungen von den Geometrie– und Materialvorgaben noch unbekannt, die sich nach dem Zufallsprinzip ja erst beim Bauen ergeben.
Die baustatische Modellbildung ist daher um den Ansatz von Imperfektionen zu erweitern, um die zufallsbedingten Geometrie– und Materialabweichungen in geeigneter
Weise zu berücksichtigen. Unter dem Begriff Imperfektionen sind demnach all dieje–
nigen Einflüsse zusammengefaßt, die dazu beitragen, daß sich die Beanspruchungsgrößen von perfekten Tragwerken in ungünstigster Weise vergrößern, um damit die
wirklichen Zustände in imperfekten Tragwerken zur sicheren Seite hin abzuschätzen.
Mit geometrischen Imperfektionen werden Abweichungen von der Sollgeometrie erfaßt. Dies sind u.a. ungewollte Schiefstellungen von Stäben, z.B. Lotabweichungen von
Stützen, Lastaußermittigkeiten oder Vorkrümmungen von Stäben. Strukturelle Imperfektionen berücksichtigen Abweichungen von den definierten Materialeigenschaften.
Dies können z.B. Streuungen in den Kennwerten sein. Aber auch Eigenspannungen,
die sich durch die Bearbeitung während des Bauens ergeben, zählen dazu. Baustatische Berechnungen mit voneinander unabhängigen geometrischen und strukturellen
Imperfektionen sind sehr aufwendig. Die Regelwerke erlauben daher den Ansatz von
geometrischen Ersatzimperfektionen, die neben den rein geometrischen, also spannungsfreien Imperfektionen auch den ungünstigen Einfluß von strukturellen, also spannungsbehafteten Imperfektionen durch spannungsfreie Ersatzimperfektionen abdekken.
Geometrische Ersatzimperfektionen sind immer in Richtung der ungünstigsten Tragwirkung anzusetzen. Dies ist am einfachsten dadurch zu erreichen, indem man die Eigenform der Knicklast als Imperfektionsform verwendet. Daß die Knickform das Tragver–
halten am ungünstigsten beeinflußt, ergibt sich unmittelbar aus der Anschauung. Im
(Bild 2.37a) ist dargestellt, daß die Theorie II. Ordnung– Berechnung eines perfekten
Tragwerks die Knicklastgrenze ignoriert, wenn die Verformungsfigur der Einwirkung
keine Anteile aus der Knickform enthält. Das Verhalten eines imperfekten Tragwerks
unter sonst gleichen Voraussetzungen ist im (Bild 2.40) dargestellt. Die Ausgangsverformung der Theorie II. Ordnung– Berechnung ist nun durch die Knickform vorgegeben.
Im Verlauf der Spannungsberechnung kommt es zur Überlagerung mit der Verschiebungsfigur der Einwirkung. In der resultierenden Verschiebungsfigur sind daher immer
Anteile der Knickform enthalten. Die Spannungsberechnung konvergiert nun gegen die
Knickform und nicht mehr wie beim perfekten Tragwerk gegen die höhere Verzweigungslast, vgl. (Bild 2.40).
– 2 / 87 –
Einwirkung
Knickform
labil
Knicklast
òk + l
F
stabil
Ausgangs–
verformung
affin zur Knickform
F
b) Imperfektes Tragwerk
a) Perfektes Tragwerk
Verformung
Imperfektion
Bild 2.40 : Verhalten eines imperfekten Tragwerks
Die Regelwerke weisen zwar auch auf den ungünstigen Einfluß der Knickform
hin, schreiben sie aber als Imperfektionsform nicht verbindlich vor. Nach DIN 18 800,
Teil 2 reicht es z.B. aus, eine Imperfektionsform zu wählen, die sich der Knickform möglichst anpaßt. Neben der Form ist auch die absolute Größenordnung von Imperfek–
tionen festzulegen. Vorgaben sind den einschlägigen Regelwerken zu entnehmen.
Zur Berechnung von imperfekten Tragwerken sind das DWV und das VdS in geeigneter Weise zu modifizieren. Dazu ist die DGL des Problems abzuleiten und die um Imperfektionen erweiterte Lösung in die Methodik der Berechnungsverfahren einzuarbeiten.
Die modifizierten Verfahren werden jeweils anhand eines einfachen Beispiels erprobt.
– 2 / 88 –
2.6.1
Grundlage der Berechnung von imperfekten Tragwerken
Die Ableitung der DGL der Theorie II. Ordnung erfolgte am differentiellen Ausschnitt
des statisch bestimmten Balkens (Bild 2.13). Die unverformte Ausgangslage des perfekten Balkens ist beim Auftreten von Imperfektionen durch die spannungsfrei vorverformte Ausgangslage des imperfekten Balkens (Bild 2.41) zu ersetzen.
ϕ
x, u
z, w
Differentieller Ausschnitt
ò ⋅ FZ
ò ⋅ FX
w
wr
EI 0 0,
EA 0 0,
GA Q ³ ∞.
w
ò u 0 ³ Verformte Lage
ò + 0 ³ Spannungsfrei vorverformte Ausgangslage
Perfekte Balkengeometrie
Bild 2.41 : Imperfekter Balken
Im (Bild 2.41) bezeichnet wr die resultierende Durchbiegung, die sich aus der Durchbiegung w der spannungsfrei vorverformten Ausgangslage und der elastischen Durchbiegung w zusammensetzt. Die linearisierte Kinematik (Abschnitt 2.2.1) und das elastische Materialverhalten (Abschnitt 2.2.2) gelten uneingeschränkt auch für imperfekte
Tragwerke. Die baustatische Formulierung der elastischen Verträglichkeit (Abschnitt
2.2.3) bleibt damit in vollem Umfang erhalten. Am differentiellen Ausschnitt des imperfekten Balkens (Bild 2.41) ist lediglich die verformte Gleichgewichtslage (Bild 2.42) neu
zu betrachten.
Der im Bereich des Ausschnitts ∆x durch die Imperfektion bedingte Zuwachs der
Durchbiegung ∆w hat keinen Einfluß auf das Kräftegleichgewicht. Die DGL (2.18.1
und 2.18.2) gelten daher auch für imperfekte Tragwerke. Der Zuwachs ∆w beeinflußt
aber das Momentengleichgewicht, da sich durch H ⋅ ∆w der Anteil des Versatzmoments
aus der Schiefstellung verändert, während der elastische Anteil M gleich bleibt. Anstelle von Gl. (2.18.3) ist nun die Bedingung
Anteil Versatzmoment
MȀ(x) * V(x) ) H(x) ( wȀ(x) ) wȀ(x) ) + 0
Elastischer Anteil
– 2 / 89 –
(2.60)
∆x
ϕ
x, u
Perfekte Balkengeometrie
w
Spannungsfrei vorver–
formte Ausgangslage
(ρ = 0)
z, w
w + ∆w
wr
wr + ∆wr
w
n(x)
V
p(x)
H
∆wr = ∆w + ∆w
M
w + ∆w
H + ∆H
M + ∆M
Verformte
Lage (ρ u 0)
V + ∆V
Bild 2.42 : Verformte Gleichgewichtslage am imperfekten System
zu verwenden, die das Momentengleichgewicht am imperfekten System erfaßt. Mit den
im Abschnitt 2.2.5 eingeführten Vereinfachungen und mit Gl. (2.60) erhält man die um
Imperfektionen erweiterte DGL der Balkenbiegung zu
EI wȀȀȀȀ(x) * H wȀȀ(x) + p ) H wȀȀ(x).
(2.61)
Sie ist anstelle von Gl. (2.22) zu lösen, wenn es darum geht, den Einfluß von Imperfektionen auf das Tragverhalten von Stabtragwerken deterministisch abzuschätzen.
Neu im Vergleich zu Gl. (2.22) ist der Term H ⋅ w’’(x), der sich mit H = konstant aus
(H(x) w’(x))’ ergibt. Die Auswertung ist mit unbekannten Längskräften und bekannten
Imperfektionen vorzunehmen. Da jede Berechnung nach Theorie II. Ordnung aber mit
vorgeschätzten, also bekannten H– Kräften beginnt, ist der Ausdruck H w’’(x) vollständig bekannt und steht daher als spezieller Lastfall Imperfektionen auf der rechten Seite
der DGL (2.61). Die Lösung von Gl. (2.61) stimmt vollständig mit der Lösung von
Gl. (2.22) überein, wenn keine Imperfektionen auftreten, weil dann mit w ≡ 0 der Ausdruck H w’’(x) in Gl. (2.61) entfällt. Die weitere Betrachtung kann sich daher auf die
Lösung des Lastfalls Imperfektionen beschränken.
Durch die Trennung der Lastfälle entfällt p, so daß sich die DGL (2.61) zu
EI wȀȀȀȀ(x) * H wȀȀ(x) + H wȀȀ(x)
(2.61)
– 2 / 90 –
vereinfacht. Im Rahmen der Theorie II. Ordnung sind Überlagerungen nur bei gleichen
H– Kräften zulässig. Aus Gl. (2.61) ist aber abzulesen, daß spannungsfreie Imperfek–
tionen nur in Kombination mit spannungserzeugenden Lasten erfaßt werden können.
Imperfektionslastfälle sind daher immer in das Lastkollektiv der Bemessungslastfälle zu
integrieren, so daß bei der Überlagerung auch immer die gleichen H– Kräfte vorliegen.
Die Berechnung von imperfekten Tragwerken mit dem DWV setzt analytische Lösungen der DGL (2.61) im Bereich der Grundstäbe voraus. Mit der Stabkennzahl Gl. (2.24)
nimmt Gl. (2.61) die Form
wȀȀȀȀ(x) " ǒesǓ wȀȀ(x) +# ǒseǓ wȀȀ(x)
2
2
(2.62)
an. Die oberen Vorzeichen gelten für Druck, die unteren für Zug. Die homogenen Lösungen der DGL (2.62) sind bekannt. Für Druck gilt Gl. (2.25.2) und für Zug Gl. (2.34.1).
Die partikulären Lösungen hängen dagegen vom Verlauf der Imperfektionsfunk–
tion w(x) ab. Spezielle Vorgaben sind den einschlägigen Regelwerken zu entnehmen
(Bild 2.43). Üblich ist es, pro Stab eine Stabdrehung ψ0 vorzugeben, zu der ein linearer
Verlauf von w(x) gehört (Bild 2.43a). Dieser Vorverdrehung ist ggf. noch eine Vorverkrümmung zu überlagern, zu der ein quadratischer Verlauf von w(x) mit der Mittenamplitude w0 gehört (Bild 2.43b). Die spezielle partikuläre Lösung der DGL (2.62), die zur
Imperfektionsvorgabe im (Bild 2.43) gehört, ist durch
ǒ
Ǔ
2
w p(x) +# y 0x # ϕ 0 22 ) ǒxsǓ * ǒxsǓ s
e
(2.63)
gegeben.
s
y0
w
x
w(x) + y 0 x
a) Vorverdrehung
s/2
ϕ 0 + 4w
s
s/2
0
* ϕ0
x
w
w
0
b) Vorverkrümmung
Bild 2.43 : Vorgabe von Imperfektionen
– 2 / 91 –
w(x) + ϕ 0
ǒǒ Ǔ
Ǔ
x * ǒxǓ 2 s
s
s
Zur Berechnung von imperfekten Tragwerken mit dem VdS ist die Arbeitsgleichung
(2.40) um den Anteil der Imperfektionen zu erweitern. Dazu ist der Term (H(x) w’(x))’,
der in der DGL (2.61) bei veränderlicher Längskraft auftritt, im PvW Gl. (2.36) zu berücksichtigen und gemäß Gl. (2.38) umzuformen. Mit Gl. (2.60) folgt daraus wiederum
Gl. (2.39), in der nun zusätzlich der Arbeitsausdruck
W vImperfektionen +
ŕ wȀ (x) H(x) w(x) dx
v
(2.64)
auftritt, der als Lastterm des Lastfalls Imperfektionen mit positiven Vorzeichen in die
Arbeitsgleichung (2.40) eingeht.
2.6.2
Erfassung von Imperfektionen mit dem DWV
2.6.2.1 Vorgehensweise
Die Berechnung von imperfekten Tragwerken läuft beim DWV in gleicher Weise ab wie
eine Berechnung von perfekten Tragwerken. Bei der Berechnung der Zn0– Zwangs–
größen der 0– Einwirkungszustände in den (n) Dreh– und Wegfesseln von GGS
ist lediglich der Lastfall Imperfektionen zusätzlich zu berücksichtigen, während die
Znm– Zwangsgrößen der m– Einheitswegzustände sich durch das Auftreten von Imperfektionen nicht verändern.
Zur Durchführung von Zahlenberechnungen sind für den 1–ten und 2–ten Grundstab
die Stabendmomente infolge der partikulären Lösung Gl. (2.63) bereitzustellen. Dabei
ist zu beachten, daß die Anpassung der homogenen Druck– und Zuglösungen
Gl. (2.25.2 und 2.34.1) an die geometrischen Fesselbedingungen der Grundstäbe nur
für die elastischen Verschiebungs– und Verdrehungsanteile gilt. Die Knotendrehungen
aus der Vorkrümmung (Bild 2.43b) und die Stabdrehung aus der Vorverdrehung
(Bild 2.43a) sind beliebig, da sie als Lastfallgrößen keine Systemrandbedingungen erfüllen müssen.
Die Stabendmomente des Lastfalls Imperfektionen sind im (Bild 2.44) dargestellt. Am
1–ten und 2–ten Grundstab (Bild 2.44a1) sind jeweils die imperfekten Knoten– und
Stabdrehungen (Bild 2.44a2) vorzugeben. Zwischen den Relativdrehungen der Knoten
(K) und (L) besteht wegen des quadratischen Verlaufs der Vorverkrümmung (Bild 2.43b)
die Beziehung
ǒϕ0L * y0KLǓ + * ǒϕ0K * y0KLǓ.
(2.65)
Mit Gl. (2.65) vereinfachen sich die Bestimmungsgleichungen für die Stabendmomente
erheblich. Für die Stabendmomente der Knoten (K) und (L) des 1–ten Grundstabs
(Bild 2.44a3) gilt
0 Ǔ
ǒ 0
M KL,0 + M LK,0 + (A * B * 2) EI
s ϕ K * y KL .
– 2 / 92 –
(2.66)
ϕ
x
1–ter Grundstab
(L)
(K)
z, w
H
H (Druck)
(EA, GAQ) → ∞
H (Zug)
e+s
EI ≠ 0
Ǹ|EIH|
(L)
2–ter Grundstab
s
a1) System
ϕ 0K
y 0KL
H
ǒϕ0K * y0KLǓ
H
* ǒϕ 0K * y 0KLǓ
Schiefstellung
a2) Imperfekte Knoten– und Stabdrehungen
H
M KL,0
M LK,0
H
0 Ǔ
ǒ 0
M KL,0 + M LK,0 + (A * B * 2) EI
s ϕ K * y KL
a3) Stabendmomente am 1–ten Grundstab
( A, B: vgl. Bild 2.17a4 (Druck) und Bild 2.23 (Zug) )
H
ǒ
M KL,0
ǒ
H
ǓǓ EIs ǒϕ0K * y0KLǓ
M KL,0 + C * 2 1 ) B
A
a4) Stabendmoment am 2–ten Grundstab
( A, B, C: vgl. Bild 2.17a4 bzw. 2.18a4 (Druck) und Bild 2.23 (Zug) )
Bild 2.44 :
Stabendmomente für den Lastfall Imperfektionen
– 2 / 93 –
Für den Knoten (K) des 2–ten Grundstabs (Bild 2.44a4) gilt
ǒ
ǓǓ EIs ǒϕ0K * y0KLǓ.
ǒ
M KL,0 + C * 2 1 ) B
A
(2.67)
Im Knoten (L) des 2–ten Grundstabs (Bild 2.44a1) ist ein Momentengelenk angeord–
net, so daß hier kein Moment auftritt. Die Faktoren A, B und C sind für Druck den
(Bildern 2.17a4 und 2.18a4) zu entnehmen. Für Zug gelten die Faktoren aus (Bild 2.23).
Bei den Stabendmomenten Gl. (2.66 und 2.67) sind zwei Sonderfälle zu beachten, bei
denen Nullwerte auftreten. Nullwerte stellen sich ein, wenn mit ϕ 0K + y 0KL eine reine
Schiefstellung der Stäbe gemäß (Bild 2.43a) vorliegt, oder wenn H = 0 und damit auch
ε = 0 wird. Im ersten Fall ist die Relativverdrehung ǒϕ 0K * y 0KLǓ identisch Null. Im zweiten Fall nehmen die Faktoren A, B und C die Werte 4, 2 und 3 an, so daß sich nun
die Vorfaktoren (A – B – 2) und C * 2 1 ) B
zu Null errechnen. Der zweite Fall
A
bestätigt die Erkenntnis, daß sich Imperfektionen nur dann bemerkbar machen, wenn
sie im Zusammenhang mit spannungserzeugenden Lastfällen auftreten.
ǒ
ǒ
ǓǓ
Mit ansteigenden ε , also ansteigenden H, fallen die Faktoren A und C ab, während
B ansteigt. Dadurch ergeben sich negative Stabendmomente, wenn nach der Ver–
einbarung im (Bild 2.44a2) die Vorgabe der imperfekten Relativverdrehung positiv
erfolgt. Das Zwangsmoment ZM, das sich dadurch in Drehfesseln von GGS einstellt,
ist im (Bild 2.45) dargestellt. Es resultiert ausschließlich aus der Vorverkrümmung
(Bild 2.43b). Der Einfluß auf das Verhalten von Tragwerken ist i.a. gering. Nur bei relativ
großen Relativverdrehungen, also großen Vorverkrümmungen sind die daraus resultierenden Stabendmomente von Interesse.
(K)
M KL,0
ϕ 0K
ZM
Perfekte Tragwerksform
Elastische Durchbiegung
Vorverkrümmung ǒy 0KL + 0Ǔ
Bild 2.45 : Zwangsmoment in Drehfesseln von vorverkrümmten Stäben
Von wesentlich größerer Bedeutung ist dagegen der Einfluß der fiktiven Kräfte, die sich
aus der Schiefstellung der Stäbe durch die Vorverdrehung (Bild 2.43a) ergeben. Sie
sind an den Enden der vorverdrehten Stäbe anzusetzen, um die Berechnung von imperfekten Tragwerken mit Bezug auf die perfekte Tragwerksform durchführen zu können.
– 2 / 94 –
2.6.2.2 Zahlenbeispiel DWV
Das Zahlenbeispiel zum DWV im Abschnitt 2.3.5 ist um den Lastfall Imperfektionen zu
erweitern. Für jeden Stab sind in Richtung der ungünstigsten Wirkung Vorverdrehungen
und Vorverkrümmungen gemäß (Bild 2.43) anzusetzen. Die Winkel der Vorverdrehungen und die Mittendurchbiegungen der Vorverkrümmungen sind in allen Stäben als
gleich groß anzunehmen. Nach DIN 18 800, Teil 2, Abschnitt 2 betragen sie
y0 + 1
200.
und w 0 +
s .
200.
Die ungünstigste Wirkung stellt sich ein, wenn die Imperfektionen zur Vergrößerung der
elastischen Verformungen (Bild 2.27a) beitragen. Dies wird i.a. erreicht, wenn die Vorgabe in Richtung der Knickform (Bild 2.38) erfolgt.
Die Vorverdrehungen der Stäbe des Lastfalls Imperfektionen sind im (Bild 2.46) dargestellt. Sie sind nicht verträglich mit den geometrischen Randbedingungen des Systems
(Bild 2.46a). Die fiktiven Kräfte, die sich aus den angenommenen Schiefstellungen und
den H– Kräften der Schätzung (Bild 2.25) ergeben, sind (Bild 2.46b) zu entnehmen.
Die Vorverkrümmungen der Stäbe des Lastfalls Imperfektionen sind im (Bild 2.47) dargestellt. Sie sind ebenfalls unverträglich mit den geometrischen Randbedingungen des
Systems (Bild 2.47a). Die Stabendmomente, die sich aus den angenommenen Vorverkrümmungen und den H– Kräften der Schätzung (Bild 2.25) ergeben, sind (Bild 2.47b)
zu entnehmen.
Die globale Wirkungsrichtung der Kräfte und Momente ist durch Pfeile gekennzeichnet.
Sie sind bei der Berechnung der Zwangsgrößen des 0– Zustands des Lastfalls Imperfektionen zu beachten. Für das Zwangsmoment Z10 der Drehfessel ergibt ein Knotenschnitt um die Drehfessel den Wert
Z10 = M21,0 – M23,0 = 6. – 15.4 = –9.4 kNm.
Die Zwangskraft Z20 der Wegfessel wird dagegen mit dem PvW berechnet. Dies hat
mit Bezug auf die perfekte Tragwerksgeometrie zu geschehen. Der virtuelle Verschiebungszustand der Wegfessel an der zugehörigen Rahmenkette stimmt daher mit der
Schlußlinie des 2– Zustands (Bild 2.26b) überein. Die Bilanzierung der äußeren Arbeiten ergibt den Wert
Z 20 + ǒM 12,0 ) M 21,0Ǔ ⋅ 1 * M 23,0 ⋅ 1 * M 23,0 ⋅ 1
3
3
2
fiktiv Ǹ
fiktiv Ǹ
fiktiv
* F fiktiv
12,0 ⋅ 2 * F 23,0 ⋅ 2 * F 23,0 ⋅ 2 * F 35,0 ⋅ 1
+ 0 ⋅ 2 * 15.4 ⋅ 1 * 42.3 ⋅ 1
3
3
* 2.5 ⋅ 2 * 3.4 ⋅ Ǹ2 * 7.07 ⋅ Ǹ2 * 7.5 ⋅ 1 + * 46.7 kN.
– 2 / 95 –
(1)
y 012 + 1 + 0.005
200
(2)
y 023 + 1
200
3.
y 035
+ 1
200
(5)
(3)
y 034 + 1
200
3.
(4)
4.
4.
3.
a) Vorverdrehungen als Imperfektionen
F fiktiv
12,0
(1)
Y 1, Z 10
F fiktiv
23,0
(2)
F fiktiv
35,0
F fiktiv
21,0
F fiktiv
35,0
F fiktiv
23,0
(5)
(3)
F fiktiv
34,0
(4)
F fiktiv
34,0
F fiktiv
+ ŤH 12⋅y012Ť + 500⋅ 1 + 2.5 kN,
12,0
200
F fiktiv
+ ŤH 23⋅y023Ť + Ǹ2 ⋅500⋅ 1 + 3.54 kN,
23,0
200
F fiktiv
+ ŤH 34⋅y034Ť + Ǹ2 ⋅1000⋅ 1 + 7.07 kN, F fiktiv
+ ŤH 35⋅y035Ť + 1500⋅ 1 + 7.5 kN.
34,0
35,0
200
200
b) Fiktive Kräfte am GGS
Bild 2.46 : Lastfall Imperfektionen. Vorverdrehungen der Stäbe
– 2 / 96 –
(1)
w 012 + s
200
ϕ 01 + 0.02
(2)
w 023 + s
200
ϕ 02 + 0.02
3.
(3)
3.
w 034 + s
200
ϕ 04 + * 0.02
ÉÉÉÉ
ÉÉÉÉ
(5)
(4)
4.
4.
3.
a) Vorverkrümmungen als Imperfektionen
Y 1, Z 10
M 12,0
(1)
M 21,0 (2)
M 23,0
(5)
Y 2, Z 20
(3)
(4)
Ť
0
M 12,0 + (A * B * 2) EI
s ⋅ϕ 1
M 21,0 + M 12,0,
M 23,0 +
M 43,0 +
Ťǒ
Ťǒ
ǒ
Ť
M 43,0
Ť
Ť
+ (3.952 * 2.012 * 2) 20000 ⋅0.02 + 6. kNm,
4
ǓǓ EIs ⋅ϕ01Ť + Ťǒ2.870 * 2ǒ1 ) 2.022
ǓǓ 20000
⋅0.02Ť + 1.54 kNm,
Ǹ
3.914
C*2 1)B
A
ǒ
3 2
ǓǓ EIs ⋅ϕ04Ť + Ťǒ2.644 * 2ǒ1 ) 2.059
ǓǓ 20000
⋅(* 0.02)Ť
Ǹ
3.769
C*2 1)B
A
3 2
+ 42.3 kNm.
b) Stabendmomente am GGS
Bild 2.47 : Lastfall Imperfektionen. Vorverkrümmung der Stäbe
– 2 / 97 –
Die Zwangsgrößen des Lastfalls Imperfektionen sind mit den Zwangsgrößen des spannungserzeugenden Lastfalls Einzellasten zu überlagern.
b+*
Z10 = 0. + 9.4 = 9.4
Z20 = 1 500. + 46.7 = 1 546.7
.
Die linke Seite des Gleichungssystems bleibt unverändert.
33 289.3
Y1
– 10 400.25
– 10 400.25
25 923.1
Y2
9.4
=
1 546.7
.
Als Lösung erhält man für Y1 und Y2 die Werte
Y1
=
ϕ2
Y2
=
vX5 =
=
0.0216 (1)
und
0.0683 (m).
Sie sind 4.3% bzw. 3.1% größer als die Werte ohne Einfluß von Imperfektionen. Bei
der Überlagerung zur Ermittlung der Schnittmomente an den Stabenden sind nun zusätzlich die Stabendmomente der Imperfektionen zu berücksichtigen. Es gelten die lokalen Vorzeichen der Bezugsfaser.
M12 =
(–M12,0) + M12,1 Y1
+
(–M12,2) Y2 = –807.0 kNm,
M21 =
(–M21,0) + (–M21,1) Y1 +
M21,2 Y2
=
M23 =
(–M23,0) + M23,1 Y1
+
M23,2 Y2
= 584.9 kNm
M43 =
M12,0
+
(–M43,2) Y2 = –241.5 kNm.
585.5 kNm,
585.2 kNm
und
Die Momente in den Knoten (1) und (2) nehmen zwar zu, das Moment im Knoten (4)
nimmt dagegen aber deutlich ab. Die im (Bild 2.47a) angesetzte Vorverkrümmung im
Stab (3, 4) stellt daher noch nicht den ungünstigsten Fall dar. Es sind in der Regel eine
Vielzahl von Variationen zu untersuchen, um Imperfektionen zu finden, die das Tragverhalten am ungünstigsten beeinflussen. Im vorliegenden Fall geschieht dies mit Rechnerunterstützung, also im Rahmen der Anwendung des VdS.
– 2 / 98 –
2.6.3
Erfassung von Imperfektionen mit dem VdS
2.6.3.1 Lastspalte des Lastfalls Imperfektionen
Die lokale Einwirkungsmatrix s 0l aus Last– und Temperatureinwirkungen Gl. (1.52) ist
0
um eine Lastspalte s l zur Erfassung von Imperfektionen zu erweitern, um imperfekte
Tragwerke mit dem VdS berechnen zu können.
s 0l + L s0l
(Lasteinwirkungen, Index L)
) T s 0l
(Temperatureinwirkungen, Index T)
) s0
(Imperfektionen).
(2.68)
Es ist der Arbeitsausdruck Gl. (2.64) auszuwerten, um die explizite Form von s 0l zu
erhalten. Dies kann unter Verwendung des bereits integrierten Arbeitsausdrucks
Gl. (2.41) erfolgen. Wegen der Gleichheit der Ausdrücke ist lediglich die unbekannte
Verschiebungsfunktion w(x) in Gl. (2.41) durch den bekannten Verlauf w(x) der Imperfektionen in Gl. (2.64) auszutauschen.
Der Verlauf der unbekannten Verschiebungsfunktion w(x) wird durch Gl. (1.18) in
jedem Stab bzw. Element kubisch approximiert. Die vorzugebenden Imperfektionen
verlaufen dagegen gemäß (Bild 2.43) maximal nur quadratisch. Sie sind demnach vollständig im kubischen Verschiebungsansatz der Stäbe bzw. Elemente enthalten. Es sind
daher lediglich die Freiwerte vl im diskretisierten Arbeitsausdruck Gl. (2.42) an die bekannten Freiwerte vl der Imperfektionen anzupassen, um durch Multiplikation mit der
geometrischen Steifigkeitsmatrix kll (H) Gl. (2.42.1) die lokale Lastspalte s 0l des Lastfalls Imperfektion zu erhalten. Die diskretisierte Form von Gl. (2.64) ist dann durch
W vImperfektion + ǒv vl Ǔ k ll(H) v l + ǒv vl Ǔ ǒ* s 0l Ǔ
T
T
(2.69)
gegeben. In Gl. (2.69) ist
s 0l + * k (H) v
(2.70.1)
die gesuchte Lastspalte, deren explizite Form sich aus der Matrizenmultiplikation
s 0l =
0
0
0
0
0
0
0
0
VA
0
36
s
3
0
* 36
s
3
wA
0
3
4s
0
–3
–s
ϕA
MA
0
=* H
30.
(2.70.2)
0
0
0
0
0
0
0
VB
0 * 36
s
–3
0
36
s
–3
wB
MB
0
–s
0
–3
4s
ϕB
3
– 2 / 99 –
ergibt. Der Vorzeichenwechsel in Gl. (2.69) berücksichtigt, daß s 0l in Gl. (2.68) positiv
und nicht, wie nach Gl. (2.40) erforderlich, negativ eingeht. Der Zusammenhang
zwischen den Imperfektionsvorgaben v l und den daraus resultierenden Einwirkungsgrößen s 0l ist im (Bild 2.48) dargestellt.
ϕ
H
(EA, GAQ) → ∞
B
A
H
EI ≠ 0
x
ϕA , MA
ϕB , MB
wA, VA
z, w
e+s
Ǹ|EIH|
wB, VB
s
Bild 2.48 : Imperfektionsbedingte Einwirkungen
Die Längskraft H ist als Zug positiv und als Druck negativ in Gl. (2.70.2) einzusetzen.
Die Einwirkungsgrößen, die zur Vorverdrehung (Bild 2.43a) gehören, errechnen sich mit
den speziellen Vorgaben
0
s
H
wA = 0
A
ϕA = ψ0
B
y
ϕA
vl =
0
ϕB
wA = 0
0
wB
H (Druck)
Schiefstellung durch
Vorverdrehung ψ0
wB = ψ0 ⋅ s
ϕB = ψ0
durch Auswertung der Matrizenmultiplikation Gl. (2.70.2) zu
0
VA = –H ⋅ ψ0
MA = 0
MB = 0
B
A
VA = –H ⋅
s 0l +
ψ0
VB = H ⋅
MA = 0
.
0
ψ0
VB = H ⋅ ψ0
MB = 0
– 2 / 100 –
Als Ergebnis erhält man wie beim DWV fiktive Kräfte, die sich aus der Schiefstellung
durch die Vorverdrehung ergeben. Die Einwirkungsgrößen, die zur Vorverkrümmung
(Bild 2.43b) gehören, errechnen sich mit den speziellen Vorgaben
0
s
wA = 0
H
A
ϕA = ϕ0
B
vl =
wA = 0
w0
0
H (Druck)
wB = 0
ϕB = –ϕ0
ϕA = ϕ0
ϕB = –ϕ0
durch Auswertung der Matrizenmultiplikation Gl. (2.70.2) zu
0
M A + 1 e 2 EI
s ϕ0
6
VA = 0
M B + * 1 e 2 EI
s ϕ0
6
B
A
VA = 0
VB = 0
s 0l
+
M A + 1 e 2 EI
ϕ
6 s 0
.
0
VB = 0
M B + * 1 e 2 EI
ϕ
6 s 0
Als Ergebnis erhält man wie beim DWV Stabendmomente, die sich wegen der elastischen Fesselbedingung vl = 0 der Knoten als Reaktion auf die Vorverkrümmung einstellen. Bis zur Stabkennzahl ε = 2.0 ist die Übereinstimmung mit der analytischen
Lösung Gl. (2.66) als ausreichend genau anzusehen. Es gilt
Ť(A * B * 2) e+2.0Ť + 0.72 X 1 e 2 + 0.67 ³ 7% Abweichung.
6
Bei imperfektionsbehafteten Stäben bzw. Elementen von statischen Systemen ist beim
Aufbau der Systemgleichung (2.46) lediglich die Lastspalte Gl. (2.70) in der lokalen Einwirkungsmatrix Gl. (2.68) zusätzlich zu berücksichtigen, um zu erreichen, daß die globale Systemeinwirkungsmatrix S0(ρ) auch den Lastfall Imperfektionen enthält. Der Algorithmus dieser Option ist durch die VdS–Methodik festgelegt und wird daher als
bekannt vorausgesetzt.
– 2 / 101 –
2.6.3.2 Zahlenbeispiel zum VdS
Mit dem Programm FEMAS /5/ sind Vergleichsberechnungen zum Zahlenbeispiel im
Abschnitt 2.6.2.2 durchzuführen. FEMAS bietet zwei Optionen an, um im Rahmen von
Theorie II. Ordnung–Berechnungen Imperfektionen zu erfassen. Die erste Option sieht
die Vorgabe von beliebigen Imperfektionen vor, die sich in beliebig zu definierenden Imperfektionsbereichen aus Vorverdrehungen und Vorverkrümmungen gemäß (Bild 2.43)
zusammensetzen. Die zweite Option verwendet als Imperfektionsform unmittelbar die
Knickform des betrachteten Systems, ggf. Formen von höheren Verzweigungslasten
oder Schwingungseigenformen. Sie sind vorab durch eine unabhängige Berechnung
zu ermitteln und programmintern zu übergeben. Der Normierungsfaktor zur Anpassung
der Größenordnung ist aus den Vorgaben für ψ0 und w0 abzuleiten.
Die erste Programmberechnung mit der Elementierung (Bild 2.33) wird mit den Vorverdrehungen (Bild 2.46a) und den Vorverkrümmungen (Bild 2.47a) durchgeführt. Der Verlauf des Moments aus dieser Berechnung ist im (Bild 2.49a) dargestellt. Zur Kontrolle
wird eine Berechnung mit einer 20er Zwischenteilung pro Stab durchgeführt. Der Verlauf des Moments aus dieser Berechnung ist im (Bild 2.49b) dargestellt. Die Abweichungen zwischen beiden Lösungen sind gering, so daß alle weiteren Berechnungen mit der
Elementierung gemäß (Bild 2.33) erfolgen, die jeden Stab mit einem Element erfaßt.
In der zweiten Programmberechnung wird ein Vorzeichenwechsel in der Vorverkrüm–
mung des 3 –ten Stabs vorgenommen. Die dritte und vierte Programmberechnung
verwenden die Knickform (Bild 2.39.1) als Imperfektionsform. Die Normierung mit
ψ0 ⋅ s = (1 / 200) ⋅ 4 = 0.02 ist in der dritten Berechnung negativ und in der vierten Berechnung positiv angesetzt.
In (Tabelle 2.7) sind Momentenwerte gegenübergestellt, die sich aus sieben durchgeführten Berechnungen mit unterschiedlichen Verfahren ohne und mit Imperfektionen ergeben. Die Unterschiede zwischen den Berechnungen (1) und (3) des perfekten
Systems wurden bereits diskutiert. Die Ergebnisse beim VdS (3) sind ausiteriert, die
beim DWV (1) nicht. Diese Unterschiede sind auch beim Vergleich der Berechnungen
(2) und (4) des imperfekten Systems zu beachten. Sie stimmen in der Tendenz überein, weichen aber in den Zahlenwerten voneinander ab. Der Vorzeichenwechsel in der
Vorverkrümmung des 3–ten Stabs beim imperfekten System (5) führt zur Vergrößerung des Einspannmoments im Knoten (4). Er verringert aber die Momente der anderen
Stäbe. Da diese Werte aber nur wenig größer ausfallen als die Werte des perfekten
Systems (1), ist der Fall (5) insgesamt auch nicht ungünstiger einzustufen als der
Fall (4). Nimmt man dagegen die Vergrößerung des größten Momentenwerts als Maßstab, ist der Fall (4) als ungünstigster Fall anzusehen.
– 2 / 102 –
748.2
+
–
–
557.8
+
258.2
a
748.2
557.9
257.7
b
– 2 / 103 –
Berechnung
Beträge der Momente in (kNm) in den Stäben
Kenn– Imper– 1 = (1,2)
Lfd. Ver–
Nr. fahren zeich– fektio–
ŤM 1Ť ŤM 2Ť
nung
nen
1
2 = (2,3) bzw. (2,6) 3 = (4,3) bzw. (4,7)
ŤM 2 Ť
ŤM 3(6)Ť
ŤM 4Ť
ŤM 3(7)Ť
2.35
ohne
778.8 578.0
578.6
0.
275.0
0.
2.6.2
Bilder
2.46
807.0 585.5
und
2.47
584.9
0.
241.5
0.
739.8 552.3
552.3
0.
275.0
0.
4
Bilder
2.46
2.6.3.2
748.2 557.8
und
_1
2.47
557.8
0.
258.2
0.
5
wie 4),
Varia–
tion
2.6.3.2
741.7 552.9
Stab
_2
3
552.9
0.
296.0
0.
555.3
0.
268.5
0.
549.3
0.
281.5
0.
DWV
2
3
2.4.5_3 ohne
VdS
6
7
Nega–
tive
Knick–
2.6.3.2 form
744.1 555.3
_3 Bild
2.39.1
Posi–
tive
Knick–
2.6.3.2 form
735.4 549.3
_4
Bild
2.39.1
Tabelle 2.7 : Vergleich von Momentenwerten aus sieben Berechnungen
– 2 / 104 –
Der direkte Ansatz der Knickform (Bild 2.39.1) als Imperfektionsform läßt ebenfalls
keine eindeutige Tendenzen in Richtung der ungünstigsten Wirkung erkennen. Die Normierung in der 6–ten Berechnung mit dem negativen Faktor –ψ0⋅s = –4/200 = –0.02 (m)
ist vergleichbar mit der Vorgabe in der 4–ten Berechnung, so daß sich fast die gleichen
Ergebnisse ergeben. Dies trifft auch für die 7–te Berechnung mit positivem Normierungsfaktor ψ0 ⋅ s = 4 / 200 = 0.02 (m) zu, die zumindest in der Tendenz mit der 5–ten
Berechnung übereinstimmt.
Der Vergleich in (Tabelle 2.7) verdeutlicht die Schwierigkeit, Imperfektionen in der
Weise anzusetzen, daß sie sich lokal und global gleich ungünstig auswirken. Es ist daher eine ingenieurmäßige Entscheidung zu treffen, um den ungünstigsten Fall zu definieren. Für den globalen Tragfähigkeitsnachweis gibt es nur eine Möglichkeit, um dies
zu erreichen, nämlich die Verwendung der Knickform. Die Bemessung an diskreten
Punkten kann dagegen zusätzliche Kombinationen erfordern, um am betrachteten Ort
den ungünstigsten Einfluß zu erfassen. Der Lastfall Imperfektionen ist daher immer als
Wechsellastfall zu behandeln.
Der quadratische Verlauf der angesetzten Vorverkrümmungen (Bild 2.47a) ergibt
Stabendmomente (Bild 2.47b), die zwischen den Stabenden ebenfalls quadratisch
verlaufen. Dieser Einfluß ist am quadratischen Verlauf der Schnittmomente (Bild 2.49b)
erkennbar. Die Abweichung vom linearen Verlauf (Bild 2.49a) ist zwar insgesamt
nur schwach ausgebildet, tritt aber deutlich hervor. Dies gilt besonders für den 3–ten
Stab. Hier ist der Einfluß der Vorverkrümmungen auf die Momente am größten, vgl.
(Tabelle 2.7). Es ist daher von Fall zu Fall zu entscheiden, mit welcher Elementteilung
die Berechnungen nach Theorie II. Ordnung durchzuführen sind, um alle wesentlichen
Effekte zu erfassen. Die Unterteilungen nach Theorie I. und II. Ordnung stimmen zwar
i.a. überein, aber eben nicht immer.
– 2 / 105 –
Teil 3 : Fließgelenktheorie
3.1
Allgemeines
Die Fließgelenktheorie ist eine baustatische Theorie, die es erlaubt, in einfacher und
anschaulicher Art und Weise inelastisches Materialverhalten bei Stabtragwerken zu erfassen. Dazu sind in einem beliebigen statischen System drei unterschiedliche Modellierungsebenen zu betrachten:
a)
Die Materialpunktebene.
b)
Die Querschnittsebene.
c)
Die Systemebene.
Für ein spezielles statisches System sind sie im (Bild 3.1) dargestellt.
c) System
ϕ
b) Querschnitt
F⋅ρ
x
Stabachse
e
Faser
a) Materialpunkt
z,w
s/2
s/2
Bild 3.1 : Modellierungsebenen eines statischen Systems
Das Verhalten in einem Materialpunkt (Bild 3.1a), der im Querschnitt (Bild 3.1b)
auf einer Faser im Abstand e von der Stabachse des Systems (Bild 3.1c) liegt, ist
durch Versuche zu ermitteln. In idealisierter Form ist der Zusammenhang zwischen
Spannung σ und Dehnung ε durch das im (Bild 3.2) dargestellte Diagramm gegeben.
Spannung σ
Ideal plastisch
σs
σs = Spannung der Streckgrenze.
εs = Dehnung der Streckgrenze.
arctan E
Elastischer
Bereich
εs
Dehnung ε
Plastischer
Bereich
Bild 3.2 : Spannungs–Dehnungs–Diagramm
–3/1–
Die bisherige baustatische Beschreibung setzt uneingeschränktes elastisches Verhalten voraus. Der elastische Bereich ist durch die Angabe des Elastizitätsmoduls E eindeutig definiert und endet, wenn das Material die Streckgrenze erreicht. Diese Grenze
ist entweder durch die Spannung σs oder die Dehnung εs definiert. Danach beginnt
der plastische Bereich. Er ist dadurch gekennzeichnet, das die Spannung nur noch sehr
wenig oder gar nicht, die Dehnung dagegen sehr stark zunimmt. Im Rahmen der Fließgelenktheorie erfolgt die Beschreibung des plastischen Bereichs in der Regel durch die
Spannung der Streckgrenze σs. Sie wird vielfach auch als Fließspannung σF bezeichnet. Ggf. kann aber auch eine Dehnung vorgegeben werden, um den Beginn des plastischen Bereichs festzulegen.
Der in den einzelnen Materialpunkten auftretende Wechsel des Materialverhaltens von
elastisch nach plastisch ist bei Stabwerken zunächst in integraler Form für den gesamten Querschnitt zu modellieren. Für einen Rechteckquerschnitt sind die Zusammenhänge im (Bild 3.3) dargestellt.
A, I
Stabachse
Faser
e
Q
Geometrische Querschnittsgrößen:
M
A = Fläche.
I
N
τ
σ
= Trägheitsmoment.
x
z
Bild 3.3 : Spannungen und Schnittgrößen im Querschnitt
Die Schnittgrößen ergeben sich durch die Querschnittsintegration der Spannungen.
N+
ŕ s dA,
Q+
ŕ t dA,
M+
ŕ s z dA.
(3.1.1)
(3.1.2)
(3.1.3)
Von der Längskraft N und der Querkraft Q wird angenommen, daß sie das plastische
Verhalten nur wenig oder gar nicht beeinflussen. Dann verbleibt als wesentliche Querschnittsgröße das Moment, zu dem als arbeitskonforme Größe die Verkrümmung der
Stabachse gehört, die in physikalischer Hinsicht die Dehnungsänderung im Querschnitt
erfaßt.
–3/2–
Im elastischen Bereich ist die Integration der Spannungen zu Schnittgrößen analytisch
durchführbar. Durch die Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte ist ein eindeu–
tiger Zusammenhang zwischen diesen Größen gegeben. Die Längsspannung ist durch
den linearen Verlauf
s+ N" M ⋅z
A
I
(3.2.1)
und die mittlere Schubspannung durch
t+ Q
A
(3.2.2)
bekannt. Im plastischen Bereich gilt die Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte
ebenfalls. Es stellt sich aber wegen der Inelastizität des Materials eine nichtlineare
Spannungsverteilung ein. In der Regel ist dann eine numerische Integration erforderlich, um aus Spannungen Schnittgrößen zu ermitteln. Nur wenn man die Spannungsverteilung in vereinfachter Form vorgibt, ist auch weiterhin eine analytische Integration
möglich.
Der Zusammenhang zwischen Moment und Verkrümmung ist im (Bild 3.4) dargestellt.
Moment M
σF
Bilineare Näherung
MP
Plastische
Spannungs–
verteilung
σF
ME
σ ≤ σF
σF
σF
Elastisch–plastische
Spannungsverteilung
Elastische
Spannungs–
verteilung
Verkrümmung k
Bild 3.4 : Momenten–Verkrümmungs–Diagramm
Im Momenten–Verkrümmungs–Diagramm sind grundsätzlich drei Bereiche zu unter–
scheiden, die sich aus den aktuellen Spannungszuständen in den einzelnen Materialpunkten des betrachteten Querschnitts ergeben. Zunächst tritt ein Bereich mit elastischer, also linearer Spannungsverteilung auf. Dieser Bereich ist nach oben durch das
elastische Moment ME begrenzt. Es tritt auf, wenn die maximal beanspruchte Faser
des betrachteten Querschnitts gerade die Fließspannung σF erreicht. Der sich daran
anschließende Bereich weist eine elastisch–plastische Spannungsverteilung auf. Zu–3/3–
nehmend mehr Fasern im maximal beanspruchten Bereich des Querschnitts erreichen
die Fließspannung σF , während die Fasern im weniger beanspruchten Bereich noch
voll elastisch reagieren, weil sie mit σ < σF noch unter der Fließspannung liegen. Er–
reichen alle Fasern im Querschnitt die Fließspannung σF , ist der gesamte Querschnitt
plastisch und damit voll ausgenutzt. Dieser Zustand wird durch das plastische Moment
MP gekennzeichnet.
Ein größeres Moment als MP kann ein Querschnitt nicht aufnehmen. Bei Rechteckquerschnitten sind die Grenzmomente besonders einfach zu ermitteln, wenn man nach
(Bild 3.2) elastisch–ideal plastisches Verhalten annimmt. Die Zusammenhänge sind im
(Bild 3.5) dargestellt.
D
h/2
S
h
s + sF
s + sF
b
–
h/6
D
2/3h
ME
MP
h/2
Z
+
Z
h/6
s + sF
a) Abmessungen
–
h/4
h/2
+
h/4
s + sF
b) Elastisches Grenzmoment
c) Plastisches Grenzmoment
Bild 3.5 : Grenzmomente im Rechteckquerschnitt
Die Auswertung mit den Abmessungen (Bild 3.5a) ergibt für das elastische Moment
(Bild 3.5b) den Grenzwert
ǒ
Ǔ
M E + s F h b 1 2 h + 1 s Fbh 2
6
2 2 3
(3.3.1)
und für das plastische Moment (Bild 3.5c) den Grenzwert
ǒ
Ǔ
M P + s F h b h + 1 s Fbh 2.
4
2
2
(3.3.2)
Für das Verhältnis der Werte gilt MP / ME = 1.5. Im plastischen Zustand kann der Querschnitt damit 50% stärker beansprucht werden als im elastischen Zustand. Im Rahmen
der Fließgelenktheorie wird das sukzessive Plastizieren der Querschnitte vom Rand zur
Mitte vernachlässigt und das Momenten–Verkrümmungs–Diagramm damit bilinear approximiert, vgl. (Bild 3.4). Bis zum Erreichen von MP soll sich der Querschnitt voll elastisch und danach voll plastisch verhalten.
Mit bekanntem plastischen Moment MP eines Querschnitts weiß man zwar, wann dieser spezielle Querschnitt erschöpft ist, es bleibt aber zunächst noch offen, wieviel Querschnitte in einem statischen System diesen Zustand erreichen müssen, bevor das
–3/4–
System versagt. Der Erschöpfungszustand eines statischen Systems läßt sich daher
nur im Rahmen eines iterativen Vorgehens ermitteln, indem man die Einwirkung mit
dem Lastfaktor ρ so lange steigert, bis der Versagenszustand eintritt.
Das Systemverhalten des aktuell betrachteten statischen Systems (Bild 3.1) ist im
(Bild 3.6) in Form einer Last–Verschiebungs–Kurve (LVK) dargestellt.
Lastfaktor ò
MP
MP
Plastisch
òP
vereinfacht
genau
Elastisch
MP
ò 2E
ò 1E
Plastisch
Elastisch
òF
f
Elastisch
Verschiebung f
Bild 3.6 : Last–Verschiebungs–Kurve
Bei einer Laststeigerung reagiert das System in allen Querschnitten zunächst elastisch.
Im Rahmen der Theorie I. Ordnung verläuft die LVK dann linear. Dieser Bereich endet,
wenn der am höchsten beanspruchte Querschnitt – hier in der Einspannung – zu
plastifizieren beginnt oder in vereinfachter Form, wenn der Plastifizierungsvorgang im
Querschnitt bereits abgeschlossen ist und M = MP vorliegt. In der LVK ist dieser Zustand durch die Lastfaktoren ò 1E (genau) oder ò 2E (vereinfacht) gekennzeichnet.
–3/5–
Mit dem Erreichen von MP ist der Querschnitt in der Einspannung voll ausgenutzt. Er
kann daher bei einer weiteren Laststeigerung kein zusätzliches Moment aufnehmen,
weil an dieser Stelle des Systems kein Biegewiderstand mehr besteht. Im statischen
System ist somit eine Modifizierung erforderlich, um die durch das Plastifizieren eingetretene Änderung im Tragverhalten zu erfassen.
Dies ist in sehr einfacher Weise durch das Einfügen eines Momentengelenks zu er–
reichen. Im Unterschied zu einem konstruktiven Gelenk, in dem immer M = 0 und
∆ϕ ≠ 0 gilt, ist in dem durch Plastifizieren oder Fließen entstandenen Momentengelenk
die Bedingung
M = MP + ∆M mit ∆M = 0 und ∆ϕ → k P 0 0
(3.4)
zu erfüllen. In dem durch Gl. (3.4) definierten Gelenk kann zwar ein Moment, näm–
lich MP , auftreten. Nach dem Erreichen von MP ist aber ein weiterer Zuwachs nicht
möglich. Es kann dann nur noch die plastische Verkrümmung k P anwachsen, die sich
im statischen System durch das Auftreten eines Winkelsprungs ∆ϕ bemerkbar macht.
Gelenke mit diesen Eigenschaften werden als Fließgelenke bezeichnet, was unmittelbar den Namen der Fließgelenktheorie erklärt. Sie werden durch das Symbol ( ) gekennzeichnet.
Die Konzentration der plastischen Bereiche in Fließgelenken Gl. (3.4) ist zwar eine sehr
einfache, aber nicht die einzige Möglichkeit, um die Wirkung von plastischen Materialpunkten zu erfassen. Natürlich kann man auch unmittelbar die flächige Ausbreitung der
plastischen Bereiche bzw. Zonen, in denen die Materialpunkte liegen, in ein bausta–
tisches Modell einbeziehen. Diese Vorgehensweise, auch Fließzonentheorie genannt,
ist grundsätzlich genauer, aber auch sehr viel aufwendiger. In der Baustatik kommt sie
daher kaum zur Anwendung. Hier dominiert ganz eindeutig die Fließgelenktheorie.
Das statische Ausgangssystem (Bild 3.1) ist n = 1–fach unbestimmt. Dieser Zustand
gilt im Bereich der Laststeigerungen zwischen ò + 0 und ò + ò 2E. Nach der Modifizierung durch ein Fließgelenk in der Einspannung ist das System statisch bestimmt. An
diesem System kann die Last weiter gesteigert werden, bis der Querschnitt in der Mitte
durchplastifiziert ist und ein zweites Fließgelenk entsteht. Mit zwei Fließgelenken ist das
System kinematisch. Bei einer weiteren Laststeigerung versagt es, weil nun auch das
zweite Fließgelenk anfängt, sich plastisch zu verdrehen. In der LVK ist der Erschöpfungszustand durch den Lastfaktor ρP gekennzeichnet. Er definiert, bezogen auf die
Ausgangslast, die plastische Grenzlast eines Systems. In der praktischen Anwendung
stimmt die Ausgangslast mit der Gebrauchslast überein.
Die Entwicklung der Verformungen bis zur Kinematik des Systems hängt davon ab, ob
man das stetige Durchplastifizieren des Querschnitts und die stetige Ausbreitung der
plastifizierten Querschnitte in Richtung der Stabachse erfaßt oder vernachlässigt. Im
ersten Fall ist die Fließzonentheorie anzuwenden, im zweiten Fall reicht es aus, die Berechnung mit der Fließgelenktheorie durchzuführen. Die Verformungen, die man durch
die Anwendung der Fließgelenktheorie erhält, fallen zwar kleiner aus, sind in der Regel
aber noch genau genug, um das Verformungsverhalten von Tragwerken mit plastischem Materialverhalten abschätzen zu können. Die plastische Grenzlast stimmt dagegen in beiden Fällen weitgehend überein.
–3/6–
3.2
Vorausetzungen
1.
Das Gleichgewicht wird im Rahmen einer Theorie I. Ordnung näherungsweise am
unverformten System erfüllt. Gängig ist daher auch die Bezeichnung Fließgelenktheorie I. Ordnung, vgl. /7/ und /8/.
2.
Die Querschnitte sind entweder elastisch oder plastisch. Elasto–plastische
Zwischenzustände werden vernachlässigt. Ebenso Interaktionen zwischen den
(N, Q, M)– Schnittgrößen. Ein einzelner Querschnitt ist mit dem Erreichen von MP
erschöpft.
3.
Im statischen System gibt es entweder konzentrierte plastische Bereiche, nämlich
Fließgelenke oder rein elastische Bereiche. Zwischenzustände werden vernachlässigt.
4.
Fließgelenke sind nur dann als Fließgelenke anzusehen, wenn sie Formänderungsenergie (negative innere Arbeit) dissipieren. In jedem Fließgelenk muß daher die Bedingung
MP
* Dö + k P
* W i + M Pk P u 0
(3.5)
erfüllt sein. Die plastische Verkrümmung k P tritt als unstetige Materialverkrümmung im Fließgelenk auf. Geometrisch ist sie als negativer Winkelsprung zu deuten. Dies folgt unmittelbar aus der kinematischen Verkrümmung k K(x) + * öȀ(x).
Dann ist der Winkelsprung durch * Dö + k K(x)Dx + k P definiert. Die stetige
kinematische Verkrümmung wird zur unstetigen kinematischen Verkrümmung
zusammengefaßt, die im Fließgelenk mit der dort auftretenden plastischen Materialverkrümmung übereinstimmen muß, um die inelastische Verträglichkeit zu erfüllen.
5.
Die Anwendung der Fließgelenktheorie ist nur dann erlaubt, wenn eine aus–
reichende plastische Drehfähigkeit der Querschnitte vorliegt. Dies ist immer dann
der Fall, wenn nach dem Erreichen von MP die plastische Verkrümmung k P weiter anwachsen kann. Bei Tragwerken aus Stahl werden wegen der großen Material– und Systemduktilität die Grenzwerte der plastischen Drehfähigkeit in der Regel kaum ausgenutzt. Dagegen ist bei Tragwerken aus Stahlbeton die Material–
und Systemduktilität und damit auch die plastische Drehfähigkeit deutlich geringer. Sie wird i.a. durch die Vorgabe von Berechnungswerten begrenzt. Dies kann
z.B. die Grenzstauchung der Betondruckzone oder die Grenzdehnung der Bewehrung sein.
–3/7–
3.3
Plastischer Erschöpfungszustand von statischen Systemen
Der plastische Erschöpfungszustand eines statischen Systems ist durch vier Bedingungen definiert. Davon gehören zwei zum Gleichgewicht und zwei zur Verträglichkeit.
a)
Gleichgewicht
1. Bedingung :
Es muß ein statisch zulässiger Kraftzustand vorliegen, der das
Gleichgewicht erfüllt. Die elastische Verträglichkeit kann, muß
aber nicht erfüllt sein.
3. Bedingung :
Der Kräftezustand (1. Bedingung) muß die statische Plastizitäts–
bedingung M ≤ MP an jedem Ort im System erfüllen.
b)
Verträglichkeit
2. Bedingung :
Es muß ein kinematisch zulässiger Wegzustand vorliegen, der
mit einer kinematischen Kette übereinstimmt, die den Grenz–
zustand des Tragvermögens erfaßt.
4. Bedingung :
Der Wegzustand (2. Bedingung) muß die kinematische Plastizi–
tätsbedingung (M Pk P) u 0 in jedem Fließgelenk des Systems
erfüllen.
c)
Erschöpfungszustand
Sind alle vier Bedingungen erfüllt, ist die plastische Grenzlast
FP + òP F
(3.6.1)
eines statischen Systems erreicht. ρP ist der Laststeigerungsfaktor, der die Gebrauchslast F auf die plastische Grenzlast anhebt. Die zulässige Bemessungslast Fd,
die unterhalb der plastischen Grenzlast Gl. (3.6.1) liegen muß, ergibt sich aus der mit
Teilsicherheitsfaktoren γF erhöhten Gebrauchslast. Für die Bemessung im Grenzzustand der Tragfähigkeit gilt
Fd + gF F v FP .
(3.6.2)
Zur plastischen Grenzlast ist zusätzlich die Verteilung der Schnittgrößen und Verformungen zu ermitteln. Fallen einzelne Verformungen δP sehr groß aus, ist die Bemessungslast ggf. durch die Vorgabe einer Grenzverformung δd festzulegen, um neben
der Tragfähigkeit auch die Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten. Für die Bemessung im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit gilt
dP v dd .
d)
(3.6.3)
Berechnungsverfahren
Es sind drei baustatische Verfahren bekannt, um die Grenzlast, Schnittgrößen und Verformungen des plastischen Erschöpfungszustands zu ermitteln :
S Das Verfahren der stetigen Laststeigerung.
S Der statische Traglastsatz.
S Der kinematische Traglastsatz.
–3/8–
Das Verfahren der stetigen bzw. sukzessiven Laststeigerung gilt für beliebige ebene
und räumliche Stabtragwerke. Mit diesem Verfahren kann die Grenzlast, die Schnitt–
größenverteilung und der Verformungszustand des plastischen Erschöpfungszu–
standes in direkter und eindeutiger Form berechnet werden. Dies kann z.B. auch rechnerunterstützt erfolgen, und zwar mit Programmen, die als Option lediglich linear–elastische Berechnungstheorien anbieten. Die Anwendung dieser Programme setzt aber
voraus, daß man die erforderliche Iteration von Außen steuert, was wiederum die volle
Kenntnis der Fließgelenktheorie voraussetzt.
Die Traglastsätze sind dagegen nur zur Untersuchung von einfachen ebenen Stabtragwerken geeignet. Als Ergebnis erhält man die plastische Grenzlast. Die zugehörigen
Schnittgrößen und Verformungen können zwar ebenfalls berechnet werden. Alle
Größen sind aber nur im Probierverfahren zu ermitteln, das im Vergleich zum Verfahren
der stetigen Laststeigerung sehr umständlich abläuft.
3.4
Verfahren der stetigen Laststeigerung
Dieses Verfahren soll an einem einfachen Beispiel demonstriert werden.
EI = 105 kNm2
F
(1)
(3)
(2)
F = 100 kN
f2
5.0
MP = 400 kNm
5.0 m
Bild 3.7 : Beispiel zum Verfahren der stetigen Laststeigerung
Es sind
–
die plastische Grenzlast F P + ò P F
und
–
die zugehörige Verformung
f P2 + f 2(FP) in der Mitte des Systems
zu berechnen.
Das Ausgangssystem (Bild 3.7) ist 1–fach statisch unbestimmt. Es können sich maximal
zwei Fließgelenke ausbilden, um eine kinematische Kette und damit den Erschöpfungszustand zu erreichen.
–3/9–
Im ersten Schritt ist am Ausgangssystem ohne Fließgelenke für ò + 1 der Durchbiegungs– und Momentenverlauf z.B. mit dem KGV zu ermitteln.
F = 100 kN
(1)
(3)
(2)
Durchbiegungsverlauf
f2 = 0.91 cm
M1 = –187.5 kNm
–
Momentenverlauf
+
M2 = 156.25 kNm
Das erste Fließgelenk mit M = MP ist im Systempunkt (1) zu erwarten, weil hier der
größte Momentenwert unter der Einwirkung ò + 1 auftritt. Dazu ist die Einwirkung um
den Faktor
M
ò 1 + Ť PŤ + 400. + 2.133
187.5.
M1
zu steigern. Die zugehörige Durchbiegung in der Mitte am Systempunkt (2) beträgt
f 21 + f 2ò1 + 0.91·2.133 + 1.94 cm .
Das Moment an dieser Stelle erreicht den Wert
M 21 + M 2ò1 + 156.25·2.133 + 333.33 kNm .
Damit ist der erste Berechnungsschritt abgeschlossen. Zur weiteren Laststeigerung ist
im zweiten Schritt das statische System zu modifizieren, um den Einfluß des ersten
Fließgelenks zu erfassen. An diesem System, in dem sich das erste Fließgelenk wie ein
konstruktives Gelenk verhält, ist für ò + 1 der Durchbiegungs– und Momentenverlauf
zu ermitteln.
– 3 / 10 –
F = 100 kN
(1)
(3)
(2)
Durchbiegungsverlauf
f2 = 2.08 cm
M2 = 250. kNm
Momentenverlauf
+
Das zweite Fließgelenk ist im Systempunkt (2) zu erwarten. Erstens, weil sich hier der
größte Momentenzuwachs am modifizierten System einstellt und zweitens, weil hier bereits der größte Momentenwert aus dem ersten Berechnungsschritt auftritt. Dazu ist die
Einwirkung um den Faktor
M P + ŤM 21Ť ) Dò 2ŤM 2Ť ³ Dò 2 + 400. * 333.33 + 0.267
250.
zu steigern. Die zugehörige Durchbiegung in der Mitte beträgt
f 22 + f 2Dò2 + 2.08·0.267 + 0.56 cm .
Mit dem Einfallen des zweiten Fließgelenks befindet sich das ursprünglich 1–fach statisch unbestimmte System an der Grenze zur Kinematik. Eine weitere Laststeigerung
wird daher unmittelbar zum Versagen führen. Das System ist erschöpft und der Grenzzustand der Tragfähigkeit erreicht. Für diesen Zustand gelten die Werte
ò P + ò 1 ) Dò 2 + 2.133 ) 0.267 + 2.4 ,
F P + ò PF + 2.4·100. + 240. kN
und
f P2 + f 21 ) f 22 + 1.94 ) 0.56 + 2.5 cm .
– 3 / 11 –
Das Ergebnis ist mit der statischen und kinematischen Plastizitätsbedingung zu kontrollieren.
Statische Plastizitätsbedingung: Gleichgewicht.
2. Fließgelenk
–
MP
Momentenverlauf
– MP
+
1. Fließgelenk
Im Momentenverlauf ist M v M P erfüllt.
Kinematische Plastizitätskontrolle: Verträglichkeit.
Kinematische Kette
* k P1
+
k P2
In der kinematischen Kette ist in jedem Fließgelenk (M Pk P) u 0 erfüllt.
Der Durchbiegungsvergleich zwischen dem plastischen Erschöpfungszustand und
dem uneingeschränkt elastischen Zustand des Ausgangssystems ergibt bei gleichem
Lastniveau mit
f e2 + f 2(FP) + 0.91·2.4 + 2.18 cm
den Wert 2.5 / 2.18 = 1.145. Der durch das inelastische Materialverhalten bedingte Anstieg der Verformung in der Systemmitte beträgt 14.5%.
– 3 / 12 –
3.5
Statischer Traglastsatz
Mit dem statischen Traglastsatz wird der plastische Erschöpfungszustand im Probierverfahren erreicht. Es gilt die spezielle Annahme, daß der Gleichgewichtszustand bekannt und der Verträglichkeitszustand unbekannt ist. Ziel der Probiererei ist es, beide
Zustände in Übereinstimmung zu bringen. Mit dieser Vorgehensweise kann vorrangig
die plastische Grenzlast ermittelt werden.
a)
Bekannter Gleichgewichtszustand
Es wird ein statisch zulässiger Kraftzustand gewählt, der das Gleichgewicht und die statische Plastizitätsbedingung (M Pk P) u 0 erfüllt.
b)
Unbekannter Verträglichkeitszustand
Zum gewählten Kraftzustand ist die zugehörige kinematische Kette zu ermitteln, die in
jedem Fließgelenk die kinematische Plastizitätsbedingung (M Pk P) u 0 erfüllt.
Anmerkung :
c)
Die wirkliche kinematische Kette ist durch probieren zu ermitteln.
Die Kontrolle erfolgt durch (M Pk P) u 0 in allen Fließgelenken.
Der Kraftzustand ist solange zu verändern, bis sich kein Wider–
spruch mehr ergibt.
Statische Grenzlast
Ergibt die Kontrolle in mindestens einem Fließgelenk (M Pk P) t 0, ist die wirkliche kinematische Kette noch nicht gefunden. Das System enthält noch plastische Reserven, so
daß die statische Grenzlast kleiner als die plastische Grenzlast ausfällt. Die Annäherung erfolgt also von unten und liegt demnach immer auf der sicheren Seite.
Fstat ≤ FP .
3.6
(3.7.1)
Kinematischer Traglastsatz
Mit dem kinematischen Traglastsatz wird der plastische Erschöpfungszustand im Probierverfahren erreicht. Es gilt die spezielle Annahme, daß der Verträglichkeitszustand
bekannt und der Gleichgewichtszustand unbekannt ist. Ziel der Probiererei ist es, beide
Zustände in Übereinstimmung zu bringen. Mit dieser Vorgehensweise kann vorrangig
die plastische Grenzlast ermittelt werden.
– 3 / 13 –
a)
Bekannter Verträglichkeitszustand
Es wird eine zulässige kinematische Kette gewählt, die die inelastische Verträglichkeit
und die kinematische Plastizitätskontrolle (M Pk P) u 0 erfüllt.
b)
Unbekannter Gleichgewichtszustand
Zur gewählten kinematischen Kette ist der zugehörige Gleichgewichtszustand zu ermitteln, der an jedem Ort die statische Plastizitätsbedingung M ≤ MP erfüllt.
Anmerkung :
c)
Der wirkliche Gleichgewichtszustand ist ebenfalls durch probie–
ren zu ermitteln. Die zugehörige plastische Grenzlast kann jedoch
mit dem PvW berechnet werden. Die Kontrolle erfolgt durch
M ≤ MP an jedem Ort. Die kinematische Kette ist so lange zu ver–
ändern, bis sich kein Widerspruch mehr ergibt.
Kinematische Grenzlast
Ergibt die Kontrolle an mindestens einem Ort M > MP , ist der wirkliche Gleichgewichtszustand noch nicht gefunden. Die Tragfähigkeit wird durch den Gleichgewichtsfehler
M > MP überschätzt, so daß die kinematische Grenzlast immer größer als die plastische Grenzlast ausfällt. Die Annäherung erfolgt also von oben und liegt damit auf der
unsicheren Seite.
Fkin ≥ FP .
3.7
(3.7.2)
Einschließungssatz
Die plastische Grenzlast wird durch die statische Grenzlast nach unten und durch die
kinematische Grenzlast nach oben begrenzt.
Fstat ≤ FP ≤ Fkin .
(3.7.3)
Gl. (3.7.3) beschreibt den Zustand eines statischen Systems an der Grenze zur Kinematik. Alle möglichen Fließgelenke sind voll ausgebildet. Von diesen erfüllt aber eins,
nämlich das zuletzt eingefallene, weiterhin die elastische Verträglichkeit, weil es sich
unter FP noch nicht plastisch verdreht hat. Dies kann erst bei einer Einwirkung > FP
geschehen, was dann aber unmittelbar zum Versagen führt. Bei Anwendung der Traglastsätze ist nicht bekannt, in welcher Reihenfolge die Fließgelenke einfallen. Die zu–
gehörigen Schnittgrößen und Verformungen lassen sich daher nur im Rahmen eines
aufwendigen Probierverfahrens ermitteln.
– 3 / 14 –
3.8
Anwendung des statischen Traglastsatzes
Das Beispiel im (Bild 3.7) soll mit dem statischen Traglastsatz berechnet werden.
1. Schritt :
Es wird ein zulässiger Kraftzustand gewählt, der M ≤ MP erfüllt.
Anmerkung:
Zulässig sind alle Kraftzustände, die das Gleichgewicht erfüllen.
Fstat
1
2
3
L
2
L
2
1F
³ Verteilung der Auflagerkräfte gewählt.
3 stat
2F
3 stat
M1
MP = 400. kNm
ǒ
Ǔ
ǒ
Ǔ
M 1 + 1 F stat L * ǒF statǓ 1 + * 1 F statL .
6
3
2
–
M 2 + 1 F stat L + 1 F statL .
6
3
2
+
M2
2. Schritt :
F stat +
3. Schritt :
–
Annahme M1 = M2 = MP . Daraus folgt
6M P
+ 6⋅400 + 240. kN .
10
L
Kontrolle der kinematischen Plastizitätsbedingung.
MP
Momentenverlauf
–MP
+
M Pk P u 0
erfüllt, vgl.
Kinematische Kette
* kP
kP
– 3 / 15 –
Abschnitt 3.9 !
3.9
Anwendung des kinematischer Traglastsatzes
Das Beispiel im (Bild 3.7) soll mit dem kinematischen Traglastsatz berechnet werden.
1. Schritt :
Es wird eine kinematische Kette gewählt, die in allen Fließ–
gelenken (M Pk P) u 0 erfüllt.
Anmerkung:
k P ist eine unstetige (Index U), im Fließgelenk konzentrierte
Krümmung k U , die sich aus der kinematischen (Index K)
Krümmung k K ableitet: k U + k KDX + * Dö + k P .
M 1 = – MP
MP = 400. kNm
M2 = + MP
Fkin
1. Fließgelenk
2. Fließgelenk
L
2
Dϕ v1 + 1
Dϕ v2 + * 2
kU
1 + kP + * 1
kU
2 + kP + ) 2
L
2
L
2
PvW anwenden → W va + * W vi.
2. Schritt :
W va + F kin @ L ,
2
+ ȍ M Pi @ k Pi + (* M P) (* 1) ) (M P) () 2) + 3M P ,
2
* W vi
i+1
F kin +
3. Schritt :
6 @ MP
+ 6 @ 400 + 240 kN .
10
L
Kontrolle der statischen Plastizitätsbedingung.
Im Momentenverlauf ist M ≤ MP erfüllt, vgl. Abschnitt 3.8 !
– 3 / 16 –
3.10
Vergleich zwischen Elastizitäts– und Plastizitätstheorie
Die Elastizitätstheorie I. Ordnung ist konsequent linear. Die Weg– und Kraftzustände
verhalten sich daher proportional zur Einwirkung. Das hat den Vorteil, daß man Lastfälle
einzeln berechnen kann. Erst danach ist eine Superposition erforderlich, um Bemessungslastfälle zu bilden. Die Bemessung erfolgt gegen zulässige Spannungen
(Elastisch–Elastisch) oder plastische Querschnittsgrößen (Elastisch–Plastisch).
Im Fall der Elastizitätstheorie II. Ordnung ist der Zusammenhang zwischen Einwirkungen und Verformungen zwar nichtlinear, das Materialverhalten aber uneingeschränkt
elastisch. Die Möglichkeit der Superposition entfällt. Bemessungslastfälle sind mit Teilsicherheitsfaktoren vor der Berechnung zu bilden. Die Bemessung erfolgt gegen zulässige Spannungen oder plastische Querschnittsgrößen unter besonderer Beachtung der
Stabilität.
Die Elastizitätstheorie vernachlässigt den Einfluß des inelastischen Materialverhaltens.
Die auf dieser Grundlage ermittelte Schnittgrößenverteilung ist daher vor allem in der
Nähe der Belastbarkeitsgrenze allenfalls ein möglicher, keineswegs aber der tatsäch–
liche Gleichgewichtszustand / 8 /. Trotzdem wird sie bevorzugt in der Baupraxis angewandt. Zum einen, weil sich damit der rechnerische Aufwand stark verringern läßt. Zum
anderen, weil die erfolgreiche Anwendung der nichtlinearen Plastizitätstheorie ein deutlich größeres theoretisches Hintergrundwissen voraussetzt als die Anwendung der linearen Elastizitätstheorie.
Die Fließgelenktheorie ist als ein erster Schritt zu werten, um den Theoriesprung zwischen Elastizitäts– und Plastizitätstheorie zu überbrücken. Sie vereinigt in optimaler
Form zwei Vorteile: Die Einfachheit der baustatischen Anwendung mit der wirklichkeitsnahen Erfassung des Materialverhaltens. Wegen der materiellen Nichtlinearität entfällt
die Möglichkeit der Superposition. Bemessungslastfälle sind mit Teilsicherheitsfaktoren
vor der Berechnung zu bilden. Die Bemessung erfolgt entweder gegen die plastische
Grenzlast, die sich aus der Berechnung mit der Fließgelenktheorie ergibt oder gegen
einzelne Schnitt– oder Verformungsgrößen aus dieser Berechnung, die vorgegebene
Grenzwerte nicht überschreiten dürfen (Plastisch–Plastisch).
Die Plastizitätstheorie ist im Regelwerk DIN 18 800 gleichberechtigt zur Elastizi–
tätstheorie eingeführt, das weitgehend mit dem Eurocode 3 übereinstimmt. Stahl–
bauten dürfen daher mit der Fließgelenktheorie berechnet werden. Für Stahlbeton–
bauten war dies zumindest in Deutschland lange nicht zulässig, weil die DIN 1045 die
Anwendung einer inelastischen Theorie auf Systemebene ausdrücklich ausschloß. Im
Eurocode 2, dem europäischen Regelwerk für Stahlbetonbauten, ist die Plastizi–
tätstheorie gleichberechtigt zur Elastizitätstheorie eingeführt. Die Fließgelenktheorie
wird daher stark an Bedeutung gewinnen, wenn es um den Nachweis der Tragfähigkeit
und Gebrauchstauglichkeit von Stahlbetonbauten geht. Mit der neuen DIN 1045–1 ist
dies ab dem Jahr 2002 auch in Deutschland der Fall.
– 3 / 17 –
3.11
Anwendungsbeispiel
Die bisherigen Beispiele dienten zur Einführung in die grundsätzliche Vorgehensweise
der Fließgelenktheorie. Sie waren daher sehr einfach. Mit der abschließenden Behandlung eines Anwendungsbeispiels ist beabsichtigt, die Durchführung der Berechnung intensiver zu üben und zu diskutieren.
3.11.1
Aufgabenstellung
Im (Bild 3.8) ist das statisch unbestimmte System einer biegesteifen Rahmenkonstruktion dargestellt. Für den Gebrauchslastfall Einzellasten ist derjenige Laststeigerungsfaktor ρ = ρP zu berechnen, der die Grenzlast des Systems im plastischen Erschöpfungszustand angibt. Für diesen Zustand unmittelbar vor dem Versagen sind zusätzlich
der Momenten– und Verformungsverlauf zu ermitteln.
Zur Anwendung kommt das Verfahren der stetigen bzw. sukzessiven Laststeigerung.
Die Durchführung soll mit dem FEMAS*– Programm erfolgen. Dazu ist das statische
System (Bild 3.8) in Abhängigkeit der verfügbaren Programmbedingungen zu ana–
lysieren und die Dateneingabe vorzubereiten. Dies geschieht im Abschnitt 3.11.2. Abschnitt 3.11.3 enthält Angaben zur Durchführung der Berechnung, Bilder der grafischen
Auswertung, eine Diskussion der Ergebnisse und eine Kontrollberechnung mit dem kinematischen Traglastsatz.
2Fρ
Fρ
3.00
(EA, GAQ) → ∞ ,
EI = 7⋅104 kNm2 ,
MP = 300 kNm,
F = 100 kN.
3.00 m
3.00
4.00
3.00
Bild 3.8 : Statisches System einer biegesteifen Rahmenkonstruktion
*)
Jedes verfügbare ebene oder räumliche Statik–Programm, das die Theorie I. Ordnung
als Berechnungsoption für Stabtragwerke anbietet, ist ebenfalls geeignet, um die Berechnung durchzuführen.
– 3 / 18 –
3.11.2
Berechnungssystem
System und Einwirkung des Beispiels (Bild 3.8) weisen keine Symmetrieeigenschaften
auf. Daher ist von vornherein das gesamte Stabwerk zu elementieren. Das System
selbst ist dreifach statisch unbestimmt. Der Erschöpfungszustand ist erreicht, wenn sich
im Grenzfall vier Fließgelenke einstellen und dadurch ein kinematisches System entsteht.
Fließgelenke bilden sich in der Regel in markanten Orten des statischen Systems aus,
z.B. in biegesteifen Ecken, Randeinspannungen und unter Einzellasten. Unbekannt ist,
an welchen speziellen System– und Lastunstetigkeiten sie auftreten und in welcher Reihenfolge sie einfallen.
Beim Verfahren der stetigen Laststeigerung wird daher die Last schrittweise gesteigert
bis sich in allen markanten Orten, die M = Mmax = MP erfüllen, Fließgelenke ausbilden. Fällt im Verlauf der Berechnung ein spezielles Fließgelenk ein, kann in diesem
Querschnitt das Moment nicht weiter anwachsen. Eine Fortsetzung der Laststeigerung
ist nur mit einem modifizierten System möglich, das die Bedingung Gl. (3.4) durch das
Einfügen eines Momentengelenks erfüllt. Nach dem Einfallen des vierten Fließgelenks
befindet sich das statische System (Bild 3.8) an der Grenze zur Kinematik und der gesuchte Erschöpfungszustand ist erreicht. Es sind daher vier Berechnungen mit vier unterschiedlichen Systemen durchzuführen. Die Laststeigerungsfaktoren, die sich an den
einzelnen Systemen ergeben, sind zu addieren, um den Laststeigerungsfaktor ρ = ρP
zu erhalten, der zum Erschöpfungszustand gehört.
Die Elementierung des Ausgangssystems (Bild 3.8) ist so vorzunehmen, daß das
schrittweise Einfügen von Momentengelenken zwangslos erfolgen kann. Bei den
Randeinspannungen ist dies in einfacher Weise durch die Änderung der Randbedingungen möglich. In den biegesteifen Ecken und unter den Einzellasten ist es dagegen
zweckmäßig, von vornherein Federelemente vorzusehen. Die Federsteifigkeit dieser
Elemente kann dann bei Bedarf in geeigneter Weise geschwächt werden, um die Wirkung von Momentengelenken zu simulieren.
Die Grobelementierung des an FEMAS orientierten Berechnungssystems ist im
(Bild 3.9) dargestellt. Der Stiel und die Schräge werden jeweils durch ein biegesteifes
Makroelement und der Riegel durch zwei biegesteife Makroelemente erfaßt. Eine
Zwischenteilung der Makroelemente ist nicht erforderlich, da nur Einzelkräfte angreifen.
Der lineare Momentenverlauf wird mit dem VDS stabweise exakt erfaßt. Die Anpassung der Vorzeichen zwischen klassischer und rechnerorientierter Statik erfolgt durch
die Verlegung der Bezugsfaser von innen nach außen. Von den räumlichen Stabgrößen
treten im ebenen Fall nur die Schnittgrößen (N, Q = Qw, M = Mv) und die äußeren Weggrößen (w1, w3, ϕ2) auf.
– 3 / 19 –
X3
Gebrauchslastfall ρ = 1
2F
F
6
4
ϕ3
4
5
6
5
w
2
ξ3 = w
8
3
3
ξ1 = u
7
3.00
w3
2
7
Mw
v
Mv
u
X2
1
N
Qv
ξ2 = v
MT
Qw
Positive Schnittgrößen
w2
1
Globale Weggrößen
w1
ϕ2
4.00
ϕ1
3.00 m
X1
3.00
3.00
: Makroelemente
: Kennzeichnung von Federelementen
: Hauptachsen (ξ1 = u, ξ2 = v, ξ3 = w)
/
: Biegesteife Knoten, die in Gelenkknoten zu überführen sind,
wenn sich dort Fließgelenke einstellen.
a) Grobelementierung
Bild 3.9 : Berechnungssystem
– 3 / 20 –
Die vertikale Lastgruppe aus F im Knoten 5 und 2F im Knoten 7 ist als Gebrauchslastfall zu definieren. Maximale Momentenwerte, die sich aus der Wirkung dieser Lasten
an den unterschiedlichen Systemen ergeben, sind über Lastfaktoren an den Grenzfall
MP anzupassen. Es ist daher zweckmäßig, den Gebrauchslastfall als Überlagerungslastfall einzuführen, um diese Anpassung in einfacher Weise vornehmen zu können.
Der Datensatz zur 1. Berechnung bezieht sich auf das Ausgangssystem ohne Fließgelenke. In den Knoten 1 und 8 ist die Randeinspannung voll wirksam und alle Stäbe
sind über Federelemente dehn– und biegesteif miteinander verbunden, vgl. (Bild 3.9).
Der Datensatz zur 2. Berechnung folgt aus dem 1. Datensatz, der Datensatz zur 3. Berechnung aus dem 2. Datensatz und der Datensatz zur 4. Berechnung aus dem 3. Datensatz. Die speziell erforderlichen Modifizierungen zwischen den einzelnen Datensätzen ergeben sich aus dem Fortschritt der Berechnung, da sie vom Einfall der
Fließgelenke abhängen.
In jedem Schritt sind zwei Berechnungen erforderlich: Zunächst eine Vergleichsberechnung mit dem Lastfaktor ρ = 1, um den speziellen Lastfaktor zu bestimmen, der den
Grenzzustand für das Einfallen eines Fließgelenks definiert und danach mit bekanntem
Lastfaktor die Berechnung der Zustandsgrößen dieses Grenzzustands. Die sukzessive
Addition der Teilzustände des Ausgangssystems und der modifizierten Systeme ergibt
aktuelle Grenzzustände, die das Einfallen der einzelnen Fließgelenke charakterisieren.
Der Grenzzustand, der sich beim Einfallen des letzten Fließgelenks einstellt, stimmt mit
dem Erschöpfungszustand des Systems überein. Ergebnisangaben erfolgen nur für
Grenzzustände. Auf die Darstellung der Vergleichszustände wird verzichtet.
3.11.3
Ergebnisse und Diskussion
1. Schritt :
Die Berechnung mit dem Gebrauchslastfall ergibt im Knoten 8 ein Moment von
M8 = 288.243 kNm. Der Abstand zum Grenzfall MP = 300. kNm beträgt damit
ρ1 = 1.041, so daß bei diesem Laststeigerungsfaktor das 1. Fließgelenk am Knoten 8
einfällt. Der zugehörige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.10.1) und der zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.10.2) dargestellt.
2. Schritt :
Nach der Freigabe der Momenteneinspannung am Knoten 8 wird die Berechnung
zunächst wieder mit dem Gebrauchslastfall durchgeführt. Das maximale Moment für
diese Konfiguration beträgt M6 = M7 = 310.204 kNm und stellt sich unter der Einzellast 2F im Doppelknoten 6 / 7 ein. Aus dem 1. Schritt ist an dieser Stelle ein Momentenwert von M6 = M7 = 188.472 kNm vorhanden. Die obere Grenze ist durch
Mpl = 300. kNm gegeben. Der Zuwachs der Laststeigerung für das modifizierte
System im 2. Schritt ist damit durch die Bedingung
– 3 / 21 –
300. = 188.472 + ∆ρ2 ⋅ 310.204
bekannt und beträgt ∆ρ2 = 0.36, so daß im Doppelknoten 6 / 7 beim Laststeigerungsfaktor
ρ2 = ρ1 + ∆ρ2 = 1.041 + 0.36 = 1.401
das 2. Fließgelenk einfällt. Der zugehörige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.11.1) und
der zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.11.2) dargestellt.
3. Schritt :
Das 2. Fließgelenk im modifizierten System des 3. Schritts wird durch das Löschen
der zugeordneten Biegesteifigkeit im Federelement zwischen den Knoten 6 und 7 erreicht. Unter dem Gebrauchslastfall stellt sich für diese Konfiguration das maximale Moment in der Einspannung am Knoten 1 ein. Der Wert beträgt M1 = 731.564 kNm.
Aus dem 2. Schritt ist hier ein Wert von M1 = 255.332 kNm bekannt. Die obere
Grenze ist durch MP = 300. kNm gegeben. Der Zuwachs der Laststeigerung für das
modifizierte System des 3. Schritts bestimmt sich damit aus der Bedingung
300. = 255.332 + ∆ρ3 ⋅ 731.564
und beträgt ∆ρ3 = 0.061, so daß im Knoten 1 beim Laststeigerungsfaktor
ρ3 = ρ2 + ∆ρ3 = 1.401 + 0.061 = 1.462
das 3. Fließgelenk einfällt. Der zugehörige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.12.1) und
der zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.12.2) dargestellt.
4. Schritt :
Nach dem Lösen der Einspannung am Knoten 1 kann die äußere Iteration zur Bestimmung des Erschöpfungszustandes mit dem modifizierten System des 4. Schritts fort–
gesetzt werden, das bereits drei von vier möglichen Fließgelenken enthält. Die Wir–
kung des Gebrauchslastfalls ergibt im Doppelknoten 2 / 3 ein maximales Moment. Der
Wert beträgt M2 = M3 = 857.200 kNm. Aus dem 3. Schritt ist hier ein Wert von
M2 = M3 = 267.139 kNm bekannt. Die obere Grenze ist durch MP = 300. kNm
gegeben. Der Zuwachs der Laststeigerung für das modifizierte System des 4. Schritts
bestimmt sich damit aus der Bedingung
300. = 267.139 + ∆ρ4 ⋅ 857.200
und beträgt ∆ρ4 = 0.038, so daß im Doppelknoten 2 / 3 beim Laststeigerungsfaktor
ρ4 = ρ3 + ∆ρ4 = 1.462 + 0.038 = 1.5
das 4. Fließgelenk einfällt. Der zulässige Verformungsverlauf ist im (Bild 3.13.1) und der
zugehörige Momentenverlauf im (Bild 3.13.2) dargestellt.
– 3 / 22 –
1. FG fällt ein
6.8 mm
6.8 mm
T
.1
Mp = 300.
+
–
52.4
1. FG fällt ein
–
188.5
+
154.9
+
–
166.6
T
.2
– 3 / 23 –
1. FG
10.5 mm
2. FG fällt ein
10.5 mm
.1
2. FG fällt ein
–
59.7
–
+
Mp = 300.
1. FG
Mp = 300.
+
234.
+
–
255.3
.2
– 3 / 24 –
24.6 mm
1. FG
12.7 mm
2. FG
12.7 mm
3. FG fällt ein
.1
2. FG
–
23.1
–
Mp = 300.
+
1. FG
Mp = 300.
+
267.1
+
–
Mp = 300.
3. FG fällt ein
.2
– 3 / 25 –
33.1 mm
1. FG
15.3 mm
2. FG
15.3 mm
4. FG fällt ein
3. FG
.1
2. FG
–
–
Mp = 300.
+
1. FG
Mp = 300.
+
Mp = 300.
4. FG fällt ein
+
–
Mp = 300.
3. FG
.2
– 3 / 26 –
Mit dem Einfallen des 4. Fließgelenks im Doppelknoten 2 / 3 wird das statische System
(Bild 3.8) kinematisch. Der dadurch definierte Erschöpfungszustand ist abschließend
auf seine statische und kinematische Zulässigkeit zu überprüfen. Geeignete Kontrolldaten sind Momente und plastische Verdrehungen bzw. plastische Verkrümmungen. Ihre
Entwicklung in Abhängigkeit von der Laststeigerung ist in (Tabelle 3.1) zusammengestellt.
Die Summation der Zuwüchse der Laststeigerungen aus den vier Einzelberechnun–
gen ergibt den Laststeigerungsfaktor der plastischen Grenzlast. Er beträgt ρP = 1.5.
Eine unabhängige Vergleichsberechnung mit dem kinematischen Traglastsatz ist im
(Bild 3.14) angegeben. Sie bestätigt den erreichten Wert.
Die statische Plastizitätsbedingung ist in einfacher Weise durch die Bedingung M ≤ Mpl
zu kontrollieren. Sie ist für das gesamte System erfüllt, wenn man von kleinen Fehlern
in der Zahlenberechnung absieht. Der Momentenverlauf im Erschöpfungszu–
stand stimmt mit dem Momentenverlauf des 4. Berechnungsschritts überein, der im
(Bild 3.13.2) dargestellt ist, vgl. auch (Bild 3.14c).
Die Verschiebungsamplituden im Grenzübergang zur Kinematik fallen insgesamt
moderat aus. Im Doppelknoten 6 / 7 in der Riegelmitte erreicht die Durchbiegung mit
w = w3 = 3.3 cm einen Wert, der noch im Bereich von L / 200. liegt. Von einer Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit durch unzulässig große inelastische Verformungsanteile ist daher nicht auszugehen, so daß sich eine Bemessung gegen die plastische Grenzlast nach Gl. (3.6.2) anbietet.
Mit dem Einfallen der Fließgelenke ändert sich der Verlauf der Verschiebung. In den
(Bildern 3.10.1 und 3.11.1) mit keinem bzw. einem aktiven Fließgelenk ist der Einfluß
der elastischen Steifigkeit noch deutlich zu erkennen. Ab dem zweiten Fließ–
gelenk überwiegt dagegen der kinematische Verschiebungsanteil, der sich durch
die plastische Verdrehung der Fließgelenke einstellt. Die Verkrümmung, die sich in den
(Bildern 3.12.1 und 3.13.1) zwischen aktiven Fließgelenken einstellt, ist auf die lokale
Wirkung von MP zurückzuführen.
Die Verschiebungsfigur des erreichten Erschöpfungszustands stimmt mit dem Verlauf
im (Bild 3.13.1) überein. Die plastischen Verdrehungen bzw. Verkrümmungen der Fließgelenke sind in (Tabelle 3.1) angegeben. Der maximale Wert der plastischen Verdrehung im Grenzzustand zur Kinematik beträgt 10.6 o/oo. Er tritt im 2. Fließgelenk auf, das
im Doppelknoten 6 / 7 in der Riegelmitte einfällt. Die Größenordnung liegt im Bereich
zulässiger plastischer Verdrehungen von Stahl– und Stahlbetonquerschnitten /8/.
Die Vorzeichen der plastischen Verkrümmungen und Momente lassen erkennen, daß
in allen aktiven Fließgelenken eine positive Dissipation auftritt. Damit ist auch die ki–
nematische Plastizitätsbedingung erfüllt. Der erreichte Erschöpfungszustand ist als zulässiger und damit als wirklicher zu betrachten. Eine weitere Laststeigerung ist nicht
möglich, weil das System unmittelbar versagt, wenn sich das vierte Fließgelenk im Doppelknoten 2 / 3 plastisch verdreht.
– 3 / 27 –
Schritt Nr.
1
Systemvarianten
mit einfallenden
Fließgelenken 5
Gelenkknoten
Laststeigerungs–
faktoren
4/5
2/3
2
3
1.
1.
ρ1 = 1.041
1.
4.
2.
3.
∆ρ2 = 0.360
∆ρ3 = 0.061
∆ρ4 = 0.038
ρ2 = 1.401
ρ3 = 1.462
ρ4 = 1.500
Momente (kNm)
6/7
M = Mv ≤ ±MP
1
–166.602
–255.332
–299.955
–299.955
2/3
154.873
233.978
267.139
299.709
4/5
–52.395
59.740
–23.139
–0.340
6/7
–188.472
–300.144
–300.144
–300.144
300.052
300.052
300.052
300.052
8
Plastische Drehungen (o/oo)
8
6/7
1
System–
knoten,
vgl.
(Bild 3.9)
2.
3.
8
System–
knoten,
vgl.
(Bild 3.9)
2/3
1.
2.
1
4/5
4
–ϕlinks
Dö + ö rechts * ö links + * k P
ϕrechts
1
0.000
0.000
0.000
–0.957
2/3
0.000
0.000
0.000
0.000
4/5
0.000
0.000
0.000
0.000
6/7
0.000
0.000
–5.592
–10.573
8
0.000
3.044
6.065
8.905
Tabelle 3.1 : Kontrolldaten
– 3 / 28 –
1
3
FρP
2FρP
1
1
3
2
2
3
2
3
1
3
1
3
3.00
1
: Fließgelenk mit MP
1
4
MP
F
1
4
3.00 m
MP
+ 3.
F
= 300. kNm
= 100. kN
3.00
3.00
a) Kinematische Kette
W va + ò P⋅F⋅1 ) ò P⋅2F⋅2 + 5ò P⋅F
* W vi + M P 1 ) 1 ) 1 ) 1 ) 2 ) 2 + 5 MP
3
4
4 3
3 3
2
M
W v + W va ) W vi + 0 ³ 5ò P⋅F + 5 M P ³ ò P + 1 P + 1.5
2
2 F
ǒ ǒ
Ǔ ǒ
Ǔ
Ǔ
b) Anwendung des PvW
MP
–
+ +
MP
–
MP
Momentenverlauf
im Erschöpfungszustand
–
+
MP
c) Kontrolle durch statische Plastizitätskontrolle
Bild 3.14 : Vergleichsberechnung mit dem kinematischen Traglastsatz
– 3 / 29 –
4.00
Der Versagenszustand ist besonders deutlich in einer LVK zu erkennen. Im (Bild 3.15)
ist speziell der Zusammenhang zwischen dem Lastfaktor ρ und der maximalen Verschiebung w = w3 dargestellt, die im 2. Fließgelenk in vertikaler Richtung auftritt,
vgl. (Bild 3.13.1).
ρ
1.50
1.462
1.401
1.041
4.
3.
2.
Fρ
É
É
É
2Fρ
1.
1.
2.
4.
ÉÉ
3.
w
w (cm)
0.89
1.6
2.5
3.3
Bild 3.15 : LVK Anwendungsbeispiel
Besonders mit dem Aktivwerden des 2. Fließgelenks nimmt die elastische Steifigkeit
des Systems stark ab. Dies geschieht beim 1.462–fachen der Gebrauchslast. Danach
reicht bereits eine Steigerung der Gebrauchslast um das 0.038–fache aus, um die Horizontale in der LVK zu erreichen, die den Versagenszustand anzeigt. Die Neigungsänderungen in der LVK (Bild 3.15) korrespondieren mit dem Einfallen der Fließgelenke.
Dazwischen verhält sich das System elastisch, so daß die LVK linear verläuft.
3.12
Bewertung der Verfahren
Lösungen nach der Fließgelenktheorie I. Ordnung auf der Grundlage der Traglastsätze
beruhen auf Probierberechnungen. Bei einfachen Systemen ist diese Vorgehensweise
konkurenzfähig, da man mit wenigen Schritten ans Ziel gelangt. Bei praxisrelevanten
Systemen ist dies in der Regel aber nicht zu erwarten. Dann ist das Verfahren der stetigen Laststeigerung anzuwenden, wenn es darum geht, das inelastische Materialverhalten von Baukonstruktionen zu erfassen.
– 3 / 30 –
Ablauf und Auswertung der Berechnung ist im Abschnitt 3.11: Anwendungsbeispiel vorgestellt. Die Durchführung der einzelnen Berechnungsschritte kann natürlich auch mit
den Verfahren der klassischen Baustatik erfolgen. Als optimale Variante bietet sich das
KGV an. Bei der Annäherung an den Erschöpfungszustand nimmt die Anzahl der Fließgelenke zu und dadurch der Grad der statischen Unbestimmtheit ab. Mit jedem Berechnungsschritt verringert sich daher die Anzahl der unbekannten Berechnungsgrößen. Im
Rahmen einer Handrechnung stellt dies einen deutlichen Vorteil gegenüber dem DWV
dar, bei dem die Anzahl der geometrischen Unbestimmten durch das Anwachsen der
Gelenke ständig zunimmt.
In der Baupraxis dominiert die Anwendung von Programmen. Es gibt z.B. nichtlineare
Programme, die die Fließgelenktheorie in vollständiger Form intern abarbeiten. Bei einem von außen gesteuerten Iterationsablauf, der z.B. in Anlehnung an die Bearbeitung
des Anwendungsbeispiels im Abschnitt 3.11 erfolgen kann, genügt dagegen der Einsatz
einer in der Regel immer verfügbaren linearen Programmvariante.
Aus der Sicht des konstruktiv tätigen Bauingenieurs ist das in Eigenregie von außen zu
steuernde Verfahren der stetigen Laststeigerung zu bevorzugen. Drei Vorteile sind zu
nennen:
1.
Das Tragverhalten von inelastischen Systemen ist durch das schrittweise Vorgehen einfacher zu überschauen.
2.
Vielfach ist nicht der Erschöpfungszustand gesucht, sondern lediglich derjenige
Zustand, der zur Bemessungslast oder zu einer Grenzverformung gehört. Ist er
erreicht, kann die Berechnung beendet werden.
3.
Die sichere Handhabung von nichtlinearen Programmen erfordert vertiefte Theoriekenntnisse, die in der Ingenieurpraxis vielfach nicht vorliegen. Die sichere
Handhabung von linearen Programmen ist dagegen als Stand der Technik anzusehen.
3.13
Schlußbemerkung
Die Fließgelenktheorie ist als eine erste Einführung in die Berechnung inelastischer
Systeme zu betrachten. Die Einführung ist auf die Theorie I. Ordnung beschränkt. Eine
weitergehende Beschäftigung mit dem Thema sollte u.a. Verfahren der Fließgelenktheorie II. Ordnung und der Fließzonentheorie einschließen. Dies ist aber nur im Rahmen von vertieften Lehrveranstaltungen sinnvoll.
– 3 / 31 –

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