Nachruf zum Tode Werthers Er ist ein Mann, der sein Leiden nicht

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Nachruf zum Tode Werthers Er ist ein Mann, der sein Leiden nicht
Nachruf zum Tode Werthers Er ist ein Mann, der sein Leiden nicht mehr hat tragen können. Vom lebenslustigen Charmeur, der gerne zeichnet und durchaus wohlhabend ist, wird er zum stummen Irren. Sein Tod ist das Ende einer Tragödie. Ein Schuss am 22. Dezember 1771 um 12 Uhr nachts direkt über dem rechten Auge. Damit beendet Werther sein Leben. Sein Herz hört jedoch erst zwölf Stunden später auf zu schla-­‐
gen. Sein Tod zieht sich so qualvoll hin, wie seine letzten Tage und Wochen es gewesen sein müssen. Was bleibt uns von dem jungen Maler und Naturliebhaber Werther? Zahlreiche Briefe und Zettelchen, Botschaften seiner Liebe zu Lotte und seine Zeichnungen, die, je mehr er sich seinem Ende nähert, immer weniger werden. Wo lässt sich hier die Lebensfreude finden, die man von ihm gekannt hat? In seinen ersten Briefen vom 4. Mai schwärmt er noch, wie froh er sei, von seinem ursprünglichen Zuhause weg zu sein. Die Natur seines neuen Heims ver-­‐
zaubert ihn. Er verbringt Stunden mit der Entdeckung all der schönen Wälder, Flüsse, Blu-­‐
menwiesen und Berge. Woher kommt die tiefe Depression, die ihn in seinen letzten Mona-­‐
ten so geplagt hat? Nun, auf den ersten Blick scheint dies offensichtlich: seine unerwiderte Liebe zu der bereits verlobten Charlotte S. Bereits als er sie zum ersten Mal sieht, schwärmt er seinem besten Freund Wilhelm vor: „Einen Engel! – Pfui! Das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht imstande, dir zu sagen, wie vollkommen sie, warum sie vollkommen ist; genug, sie hat allen meinen Sinnen gefangen genommen“. Schon auf dem Ball, auf dem sie sich kennengelernt haben, finden sie Gemeinsamkeiten und hegen seitdem eine große Sym-­‐
pathie füreinander. Dass Lotte, wie alle sie „Nehmen Sie sich in Acht, dass Sie sich nennen, bereits vergeben ist, hat Werther von nicht verlieben! Sie ist schon verge-­‐
Anfang an gewusst. Trotzdem kann er sich keine ben, an einen sehr braven Mann.“ Sekunde von ihr losreißen. Werther beschwört sein eigenes Unglück herauf, obwohl er vorher noch von anderen Mädchen gewarnt wird. Doch der Reihe nach. Nach dem Ball beginnt für Werther eine Zeit der Freude, er besucht Charlotte in ihrem Haus, sie besuchen gemeinsam mit einem anderen Pärchen den Pfarrer des Dorfes, er lernt ihre Geschwister kennen, um die sie sich wie eine Mutter sorgt, da ihre eigene verstorben ist, und sie genießen gemeinsam die Natur um sie herum. Selbst als Charlottes Verlobter Al-­‐
bert von seiner Geschäftsreise heimkehrt, sind die beiden weiterhin befreundet. Werther und Albert verstehen sich ebenfalls gut, auch wenn sie ab und zu einige Meinungsver-­‐
schiedenheiten haben. Warum beginnt Werther nun de-­‐
pressiv zu werden? Er kann seine Leidenschaft zu Lotte nicht mehr zügeln, er kann es nicht ertragen, sie in Alberts Armen zu wissen, zu wissen, dass sie nie ihm gehören wird: „ Was hilft es, dass ich mir’s sage und wieder sage, er (Al-­‐
bert) ist brav und gut, aber es zerreißt mir mein inneres Eingeweide; ich kann nicht gerecht sein.“ (Seite 120, Zeile 8-­‐
10) schreibt er. Die Eifersucht plagt ihn: „Ich begreife Werter betrachtet eine Schlei-­‐
manchmal nicht, wie sie ein andrer lieb haben kann, lieb fe von Lotte, die sie ihm zum Geburtstag geschenkt hat haben darf, da ich sie so ganz allein, so innig so voll liebe (...)“ (S.93, Zeile 11-­‐13). Er versucht dennoch sich von ihr zu entfernen, woanders ein neues Leben anzufangen. Werther selbst weiß bereits, dass sie ihm zum Verhängnis geworden ist, der Versuch ist ein letztes Aufbäumen, dass ihn alle seine Kräfte kostet. Aber er kann sie nicht vergessen. Jede Nacht quälen ihn die Gedanken an sie. Auch mit seinen neuen Mitmenschen kommt er nicht zurecht und so steht dieser versuchte Neustart nie unter einem guten Stern. Sein Herz bringt ihn wieder zurück zu Lotte, sein Verstand ist nur von Gedanken an sie erfüllt. Er schreibt: „(...)ich will nur Lotten wieder nä-­‐
her, das ist alles. Und ich lache über mein eignes Herz – und tu ihm seinen Willen.“ (Seite 91, Zeile 9-­‐11). Werther hat sich ab diesem Zeitpunkt aufgegeben. Er weiß, dass es ihn quält, sie mit Albert zu sehen. Genauso quält es ihn jedoch, sie nicht zu sehen. Und so kehrt er wieder zurück. Trotzdem versucht er sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Er weiß, dass seine häufigen Besuch bei ihr unangebracht sind und doch kann er sich nicht mäßigen. Dies, man darf es schon Sucht nennen, findet Ausdruck in seinen Briefen und Tagebucheinträgen: „Was Lotte einem Kranken sein muss, fühl ich an meinem eigenen Armen Herzen, das übler dran ist als manches, das auf dem Siechbette verschmachtet.“ Schon früh sind die Anzeichen zu erkennen gewesen. Sein Freund Wilhelm rät ihm Trost und Erfüllung in der Religion zu su-­‐
chen, doch Werther findet keinen, er rät ihm Lotte zu verlassen, doch auch das hilft nicht. Die unausgesprochene Frage, ob man Werther hätte helfen können, lässt sich hiermit nicht beantworten. Eine Antwort lässt sich auch anderswo nicht finden. Natürlich macht Werther kein großes Geheimnis darum, wie er zu Selbstmord steht und dass er auch für sich keinen anderen Weg sieht, doch andererseits, was hätte ihm geholfen? Als er Lotte verlässt, lernt er andere Mädchen kennen und wie es sein Wesen ist, freundet er sich schnell mit ihnen an, doch seine Gedanken umkreisen nur Lotte. Hätte vielleicht die Zeit die Wunden geheilt? Werther selbst äußert sich dazu in einem Streitgespräch mit Albert. Er sagt: „Wehe dem, der zusehen und sagen könnte die Törin! Hätte sie gewartet, hätte sie die Zeit wirken lassen, die Verzweiflung würde sich schon gelegt, es würde sich schon ein anderer sie zu trösten vorge-­‐
funden haben. – Das ist eben, als wenn einer sagte: der Tor, stirbt am Fieber! Hätte er ge-­‐
wartet bis seine Kräfte sich erholt (...) hätten: alles wäre gut gegangen, und er lebte bis auf den heutigen Tag!“ Oft gibt Werther sich seinen Illusionen hin: „Ich – ihr Mann! O Gott, der du mich machtest, wenn du mir diese Seligkeit bereitet hättest, mein ganzes Leben sollte ein anhaltendes Ge-­‐
bet sein.“ (S.91, Zeile 13-­‐16), er stellt sich vor, wie er sie umarmen und küssen würde: „Ich denke oft, wenn du sie nur einmal, nur einmal an dieses Herz drücken könntest, diese ganze Lücke würde ausgefüllt sein.“ (S.101, Zeile 13-­‐15). Er gesteht es auch vor Lotte ein: „Sie hatte ein Zettelchen an ihren Mann aufs Land geschrieben(...) Ich las es (das Zettelchen) und lä-­‐
chelte; sie fragte worüber? – Was die Einbildungskraft für ein göttliches Geschenk ist, rief ich aus, ich konnte mir einen Augenblick vorspiegeln, als wäre es an mich geschrieben.“ (Seite 96, Zeile 14,15 und 20-­‐24) Doch gerade dieses permanente Wunschdenken, mit dem er sich täglich sein Leiden vor Augen führt, verschlimmert seine Lage noch. Wobei Werther sich gerne an seinen und den Leiden anderer ergötzt, er sucht fast schon zwanghaft nach dem Leid in der Welt: als er von dem Selbstmord eines jungen Mädchens erzählt, als er mit dem Bauernburschen redet, der seine Herrin liebt, aber verwiesen worden ist, und auch als er sich nach seiner Rückkehr mit einer der Frauen des Dorfes unterhält, die ihren Sohn verloren hat. Das Leiden der Menschen und seines im „Ich seh diese Elendes keine Ende besonderen, beherrschen sein Denken. Werther freut als das Grab.“ sich über schlechtes Wetter: „Wir haben seit acht Tagen das abscheulichste Wetter und es ist mir wohltätig. Denn so lang ich hier bin, ist mir noch kein schöner Tag am Himmel erschienen, den mir nicht jemand verdorben oder verlei-­‐
det hätte.“ (Seite 79, Zeile 23-­‐26) und beschreibt seine Gefühle wie einen Sturm. Der einsti-­‐
ge Naturliebhaber, sieht die Natur als Spiegel seiner Seele und kann somit keinen rechten Gefallen mehr an ihr finden. Werther schwelgt zu sehr in seinen Erinnerungen: „Bruder, nur die Erinnerung jener Stunden macht mir wohl.“ (Seite 62, Zeile 3-­‐4) Seine Tagebücher und Briefe geben großen Aufschluss über seine Person und hier finden sich auch einige Zweifel, ob ihn wirklich allein seine Liebe zu Lotte um den Verstand gebracht hat. Schon in früher Jugend muss er den Verlust einer Lotte steht im Eingang ihres Freundin hinnehmen. Er erwähnt sie in seinem sechsten Hauses Brief an Wilhelm: „Ach, dass die Freundin meiner Jugend dahin ist! Ach, dass ich sie je gekannt habe! Ich würde sagen, du bist ein Tor! Du suchst was hienieden nicht zu finden ist“ (Seite 11, Zeile 7-­‐10) Drückt sich hier nicht schon aus, dass der Verlust dieser Jugendfreundin Werther so schwer getroffen, dass er zeitlebens nach „Ersatz“ sucht? Denn wir erfahren, dass er seine Heimat auch aus dem Grund verlassen hat, da er einem Mädchen Hoffnungen ge-­‐
macht, dass er aber eigentlich nicht gewollt hat. Projeziert er vielleicht seine verlorene Liebe auf Lotte? Möglicherweise ist der Tod seiner früheren Freundin mit ein Grund, warum er nie wirklich glücklich werden kannt. Auch Lotte selbst äußert den Verdacht, dass sie ihm viel-­‐
leicht nur deshalb so verlockend erscheine, weil sie schon vergeben ist. Sucht Werther un-­‐
bewusst nach Dingen, die er nicht haben kann? Dies ist durchaus ein möglicher Grund für seine Depressionen. Er assoziiert auch seinen Tod mit dem ihren, er redet von der Beerdi-­‐
gung: „(...) wie sie den Sarg hinunterließen und die Seile schnurrend unter ihm weg und wie-­‐
der herauf schnellten, dann die erste Schaufel hinunterschollerte(...) Ich stürzte neben das Grab hin – ergriffen, erschüttert, geängstigt, zerissen mein Innerstes, aber ich wusste nicht wie mir geschah – wie mir geschehen wird – Sterben! Grab! ich verstehe die Worte nicht!“ (Seite 143,144, Zeile29-­‐32 und 2-­‐6). Dies alles deutet darauf hin, dass er den Tod seiner viel-­‐
leicht sogar ersten Freundin nie überwunden hat. Auch scheint er danach bei niemandem Trost gefunden zu haben, in seiner „hülflosen Jugend“ (Seite 143, Zeile 28). Sein Leben -­‐ eine fortwährende Suche nach Ersatz? Als sich jedoch Eleonore in ihn verliebt, weicht er zurück, bandelt mit ihrer Schwester an. Vielleicht hat Werther Angst, diese Mädchen wären nicht genug, nicht ausreichend. Seine Familie scheint ihm in dieser Zeit keine große Hilfe gewesen zu sein, beschreibt er doch seine Jugend als hilflos. Auch versteht er damals noch gar nicht, was es heißt zu sterben, das ist ihm auch später nie klar. Oft fragt er sich, was danach kömmt, er hat Angst vor dem Tod, auch wenn er ihn sich oft herbeiwünscht: „Vergehen! – Was heißt das?(...) eingescharrt der kalten Erde, so eng! so finster!“ (Seite 143, Zeile 24-­‐27) Schließlich prägen die Dinge aus Kindheit und Jugend die Menschen besonders. Die frühe Konfrontation mit dem Tod eines geliebten Menschen könnte demnach mit verantwortlich sein für den Selbstmord Werthers. Seine Wünsche an eine Freundin, Frau, Geliebte haben vielleicht nie erfüllt werden können, und so hat seine Suche danach zwangsweise in einer Katastrophe enden müssen. Ein werter Mensch ist verloren gegangen, doch es bleiben seine Briefe und das Gefühl, welch Glück es ist, wenn man im Leben glücklich sein kann. Quellen: Johann Wolfgang Goethe Die Leiden des jungen Werther Reclam Universal-­‐Bibliothek Am 14.07.09 http://www.magnespress.co.il/website_en/index.asp?id=2840 Am 14.07.09 http://in-­‐tele.u-­‐strasbg.fr/site_goethe/leben.html