FMH-Quiz 54

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FMH-Quiz 54
FMH - Quiz
Vol. 24 Nr. 3 2013
FMH-Quiz 54
Frage
Welche der untenstehenden Aussagen betreffend RSV-Infektion trifft am ehesten zu?
A)Haustiere können von RSV kolonisiert
werden und als Reservoir für die Übertragung auf Menschen verantwortlich
sein.
B)Die Mehrheit der Thoraxröntgenbilder,
welche bei hospitalisierten Säuglingen
mit RSV-Bronchiolitis gemacht werden,
sind normal.
C)Die Mehrheit der Säuglinge mit einer
RSV-Bronchiolitis müssen hospitalisiert
werden.
D) Nach einer mittelschweren bis schweren
RSV-Bronchiolitis können während mehrerer Jahre wiederholte Episoden von
wheezing auftreten.
E)Die erste RSV-Infektion bei Kindern erfolgt meistens im Schulalter.
Richtige Antwort: D
Kommentar
Frage A:falsch
Die Haustiere sind kein Reservoir für das
Respiratory Syncytial Virus, die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch.
Das identische Virus kommt aber auch im
Tierreich vor und wurde erstmals 1956 von
Morris JA bei Schimpansen nachgewiesen
und Chimpanzee Coryza Agent (CCA) genannt und 1957 auch bei Kindern isoliert.
Das Respiratory Syncytial Virus (RSV) ist
ein Einzelstrang RNA-Virus aus der Familie
der Paramyxoviren und gehört zusammen
mit dem humanen Metapneumovirus zur
Untergruppe der Pneumoviren. Zu den Paramyxoviren gehören auch das Parainfluenza-, Mumps- und Masernvirus. Es werden 2
Serotypen A und B des Respiratory Syncytial Virus unterschieden. RSV kommt ubiquitär auf der Welt vor. Das Virus ist sehr
kontagiös und heftet sich mit dem Bindungsprotein G an die Wirtszelle. Das Fusionsprotein F ermöglicht danach das Eindringen durch Verschmelzen mehrerer
Zellen (Syncytium), was dem Virus den
Namen gab. Die Übertragung erfolgt entweder direkt über eine Tröpfcheninfektion
oder indirekt über eine Schmierinfektion
über kontaminierte Gegenstände, Ober­
flächen und zum Beispiel auch über die
Hände. Die Eintrittspforten sind die Konjunktiven oder Nasenschleimhäute. Die
Umweltresistenz des Erregers ist recht
hoch, so kann die Infektiosität an den Händen bis zu einer 1/2 Stunde, auf Oberflächen
(inklusive Stethoskop!) bis zu 5 Stunden
oder länger betragen. Der Erreger ist dagegen sehr empfindlich auf Detergentien und
Desinfektionsmittel.
Frage B:falsch
Wenn ein Thoraxröntgenbild bei einer RSVInfektion der unteren Atemwege ange­
fertigt wird, finden sich typischerweise
Veränderungen mit Zeichen der Belüftungsstörung wie Dys- oder seltener A­te­lektasen, Überblähung, Sekretanschoppung und eventuell pneumonische In­
filtrate. In der Studie von Kern 2001 fanden
sich bei 108 Kindern (Alter 1. Lebenstag
bis 10-jährig; Altersmedian 7 Monate) mit
einer unteren Atemwegsinfektion durch
RSV nur in 30% ein normales Thoraxröntgenbild. 32% zeigten eine zentrale Pneumonie, 26% eine ­Peribronchitis, 11% eine
pulmonale Überblähung, 6% einen geringen
zumeist interlobären Pleuraerguss, 6% ein
lobäres Infiltrat und 5% eine Atelektase
(mehrere Befunde pro Röntgenbild möglich). Als typische Indikationen für ein
Thoraxröntgenbild in einer Ebene bei Kindern mit RSV-Infektion werden in der Regel
eine drohende oder manifeste respiratorische Insuffizienz, eine plötzliche Verschlechterung der Atemsituation, ein lokalisierter asymmetrischer Auskultations-/
Perkussionsbefund oder die ausbleibende
Verbesserung im Verlauf einiger Tage angesehen. Die routinemässige Anfertigung
eines Röntgenbilds ist bei einer RSV-Infektion nicht indiziert.
Frage C:falsch
Nur 1–2 % aller mit RSV infizierten Kleinkinder müssen hospitalisiert werden. Als Kriterien zur Hospitalisation werden beispielsweise in der Arbeit von Hodge D. 2000 bei
Säuglingen eine Tachydyspnoe > 60/Min.
Sauerstoffsättigung < 92%, ungenügende
Flüssigkeits- oder Nahrungsaufnahme oder
ungenügende familiäre Möglichkeiten zur
40
angemessenen häuslichen Betreuung/
Überwachung angegeben1).
Im Bereich des oberen Respirationstrakts
zeigt sich häufig initial eine Rhinitis, Pharyngitis, Laryngotracheitis und gegebenenfalls eine leichte Konjunktivitis oder Begleit­
otitis. Vor allem bei der erstmaligen RSVInfektion kommen innert weniger Tage
Krankheitssymptome im unteren Respira­
tionstrakt hinzu (z. B. Tachydyspnoe bei
Bronchiolitis mit dem typischen Knisterrasseln, wheezing bei pulmonaler Obstruktion,
Sekretanschoppung mit Dystelektasenbildung oder Bronchopneumonie), was bis zur
respiratorischen Erschöpfung führen kann.
Insbesondere bei ehemaligen Frühgeborenen oder bei jungen Säuglingen unter 6–8
Wochen können auch zentrale Apnoen
auftreten, die dann eine stationäre Überwachung notwendig machen.
Frage D:richtig
Die meisten Studien ergeben nach durchgemachten schweren RSV-Infektionen ein
klar erhöhtes Risiko für weitere Episoden
mit wheezing oder Asthma bronchiale.
Die Datenlage zum Ausmass des erhöhten
Risikos ist kontrovers. 2012 berichten Shelagh M. Szabo et al in einem systematic review über ein erhöhtes Risiko für Asthma
gegenüber der Normalpopulation nach hospitalisationsbedürftiger RSV-Infektion von
zusätzlich 13–22% bei Kindern im Alter von
< 5 Jahren, 11–27% für Kinder im Alter von
5–11 Jahren und von 32% bei Kindern im Alter von über 12 Jahren2). Das Risiko für wiederholtes wheezing bis zum Alter von 1 Jahr
steigt nach einer durchgemachten hospitalisationsbedürftigen RSV-Bronchiolitis von
3,6% auf 15,5% und die Sensibilisierungsrate
auf Inhalations- und Nahrungsmittelallergene von 2,3% auf 33% an3). Etwa 50% der
Kinder mit RSV-Infektion der unteren Atemwege zeigen im Verlauf eine abnorme Lungenfunktion und eine bronchiale Hyperreagibilität. In der Studie von Sigurs N. et al 2005
konnte gezeigt werden, dass nach schwerer
RSV-Bronchiolitis im Säuglingsalter auch im
Alter von 18 Jahren die Prävalenz von Asthma oder wiederholtem wheezing (39% versus 9%), Allergiesymptomen (43% versus
17%) und die Sensibilisierung auf perenniale
Allergene (41% versus 14%) gegenüber der
Kontrollgruppe deutlich erhöht bleibt4). In
anderen Studien wurde das erhöhte Risiko
für wheezing und Asthma nach schwerer
RSV-Infektion bestätigt, nicht aber die vermehrte Entwicklung von Atopien.
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Die Ursache der langen Morbidität nach
schwerer RSV-Infektion ist nicht geklärt.
Einerseits kommt eine bereits angeborene
oder erworbene Pathologie des Bronchialsystems vor der Infektion in Frage, andererseits ist es möglich, dass das Respiratory
Syncytial Virus selbst zu bronchialen Veränderungen oder einer Modulation des
Immunsystems führt.
Frage E:falsch
Die meisten Kinder infizieren sich in den
ersten 2 Lebensjahren.
Das Respiratory-Syncytial-Virus ist der
wichtigste Erreger unterer Atemwegsinfektionen bei Säuglingen und Kleinkindern
und tritt vor allem im Winterhalbjahr auf.
Am Ende des ersten Lebensjahres lassen
sich bei bis zu 50% aller Kinder serologisch
RSV-Antikörper nachweisen5), was gut zur
Faustregel passt, dass etwa 2/3 aller Kinder
bereits im ersten Lebensjahr eine Infektion mit RSV durchmachen und im Alter von
2 Jahren über 90% aller Kinder mindestens
eine RSV-Infektion hatten. Risikofaktoren
für eine schwer verlaufende RSV-Infektion
sind Frühgeburtlichkeit, junge Säuglinge,
Rauchexposition, bronchopulmonale Dysplasie, kongenitale chronische Lungener-
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krankungen wie zum Beispiel Cystische
Fibrose, hämodynamisch wirksame Herzfehler (vor allem Shuntvitien mit pulmonaler Hypertension), Immundefekte oder
Zustände mit Immunsuppression sowie
neuromuskuläre Erkrankungen1).
Die Immunantwort auf den RSV-Erstinfektion ist nur inkomplett, indem spezifische
IgG-Antikörper nur schwach gebildet werden und bereits nach 1–2 Monaten oft nicht
mehr nachweisbar sind. IgA-Antikörper
werden bei der Erstinfektion zumeist gar
nicht messbar gebildet. Jede Reinfektion
mit RSV führt jedoch zu einer Boosterung
aller Antikörper (IgG, IgA und IgM) gegen
RSV und die Serumspiegel steigen an. Das
erklärt, warum weitere Infektionen mit RSV
in der Regel zunehmend milder verlaufen.
Sekretorisches IgA vermittelt die Resistenz
gegenüber RSV in den oberen Atemwegen,
IgG-Antikörper schützen vor allem vor Infektionen der tiefen Atemwege (Bronchiolitis, Pneumonie). Da Neugeborene und
junge Säuglinge auf die Erstinfektion –
wahrscheinlich durch die Anwesenheit mütterlicher RSV-Antikörper – keine adäquate
IgA-Immunantwort (vor allem gegen das
RSV-Fusionsprotein) bilden können, ist bei
ihnen in der gleichen Saison bereits nach 2
41
Monaten eine erneute RSV-Infektion möglich5). Zudem scheint beim Neugeborenen/
Säuglingen die Leihimmunität gegenüber
RSV (IgG-Antikörper) nur wenige Wochen
zu betragen.
Referenzen
1) Hodge D et al. RSV: Management of the acute episode Paediatric Respir Rev 2000; 1: 215–220.
2) Shelagh.M.Szabo et al. Elevated risk of asthma
after hospitalization for respiratory syncytial virus
infection in infancy 2012 Paediatric Respir Rev
13(S2) 2012; S9–S15.
3) Schauer U. RSV Bronchiolitis and risk of wheeze
and allergic sensitisation in the first year of life Eur
Respir J 2002; 20: 1277–1283.
4) Sigurs N. Asthma and allergy patterns over 18 years after severe RSV bronchiolitis in the first year
of life. Thorax 2010 Dec; 65 (12): 1045–52.
5) Handforth J. Basic epidemiology and immunopathology of RSV in children Paediatric Respir Rev 2000;
1 (3): 210–214.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Peter Iseli, LA
Pädiatrische Pneumologie
Kinderklinik
Kantonsspital Chur
Loestrasse 170
7000 Chur
[email protected]