Beobachten in Kindergarten und Schule

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Beobachten in Kindergarten und Schule
Verband KgCH
Dokumentationen
Beobachten
in Kindergarten und Schule
Beobachten als Grundlage der pädagogischen Arbeit
Margreth Cueni, Margherita Burger, Gerda Egloff, Hermann Gelzer
Leitungsteam des Projekts «Kindergarten und Schule spannen zusammen» der Pädagogischen Arbeitsstelle des Erziehungsdepartementes des Kantons Aargau
Einleitung
1
Beobachten als Grundlage unserer erzieherischen Arbeit
3
Beobachtungen planen
4
Beobachten und Beobachtungen interpretieren
6
Was beobachten? Suchbereiche und offene Fragen
8
Wie beobachten
9
Fehlerquellen beim Beobachten
11
Beobachten, Ordnen und Interpretieren
13
Literaturhinweise
14
Umgang mit geschützten Personendaten
15
Unterrichtsmaterialien zum Beobachten
Druckvorlagen Beobachtungsbogen Kind
Druckvorlagen Beobachtungsbogen Klasse
Druckvorlagen Beobachtungskalender
www.verlagkg.ch 1999
Margreth Cueni, Margherita Burger, Gerda Egloff, Hermann Gelzer
Beobachten in Kindergarten und Schule
Beobachten als Grundlage der pädagogischen Arbeit
© Pädagogische Arbeitsstelle des Erziehungsdepartements des Kantons Aargau,
1. Auflage 1996
2. überarbeitete Auflage 1999
Herausgeber
Verband KindergärtnerInnen Schweiz KgCH in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Arbeitsstelle des Erziehungsdepartements des Kantons Aargau
Bestellung
www.verlagkg.ch
Dokumentationen
Beobachten in Kindergarten und Schule
Dank
Die vorliegende Broschüre wurde 1996 im Zusammenhang mit dem Projekt «Kindergarten und
Schule spannen zusammen» der Pädagogischen Arbeitsstelle des Erziehungsdepartements des
Kantons Aargau veröffentlicht. Damit die Schrift einem möglichst breiten Kreis von interessierten
Fachpersonen zugänglich gemacht werden kann, hat die Pädagogische Arbeitsstelle dem KgCH
die Rechte für die Veröffentlichung überlassen. Seit 1999 wird «Beobachten in Kindergarten und
Schule» neu von der Dokustelle KgCH herausgegeben. Der KgCH dankt der Pädagogischen Arbeitsstelle des Erziehungsdepartements des Kantons Aargau für die Abdruckgenehmigung.
Einleitung
Im Kanton Aargau wurde von 1993 - 1996 das Schulentwicklungsprojekt Einschulung durchgeführt. Es hatte zum Ziel, den Übergang vom Kindergarten in die Schule fliessender zu gestalten.
Ein weiterer Auftrag dieses Projektes bestand darin, ein Beobachtungsinstrument zu schaffen und
zu erproben.
«Beobachten in Kindergarten und Schule» wurde vom Projektleitungsteam erarbeitet, mehrmals
ergänzt und korrigiert. Projektklassenteams, bestehend aus je einer Lehrperson aus Kindergarten
und Unterstufe derselben Gemeinde, erprobten den Beobachtungsbogen in der Praxis und brachten
Kritik und Änderungsempfehlungen ein. Bei der Erarbeitung dieses Beobachtungsinstrumentes
liessen wir uns von den folgenden Grundgedanken leiten:
- Gezielte, systematische Beobachtungen können gute Grundlagen bilden für die pädagogische
Arbeit mit der Klasse und mit den einzelnen Kindern. Wenn wir uns regelmässig Zeit nehmen,
um zu beobachten und aufzuschreiben, was wir wahrnehmen, erhalten wir vielfältige, fundierte
Erkenntnisse. Wir sehen und hören, was ist und weniger, was wir vermuten.
- Beobachtungen helfen uns, weniger auf auffallende Ereignisse einzugehen, sondern auch ruhiges,
unauffälliges Verhalten von Kindern oder der Klasse zu beachten und in unser pädagogisches
Handeln miteinzubeziehen.
- Regelmässige und systematische Beobachtungen können zur Grundlage werden für die Unterrichtsplanung und -durchführung sowie für die Unterstützung und Förderung der Kinder.
- Auf die notierten Beobachtungen können wir uns in Gesprächen mit Eltern, Kolleginnen und
Kollegen beziehen. Begegnen wir uns in diesen Gesprächen auch auf der Basis von Beobachtungen, wird oft ein besseres Nachvollziehen und gegenseitiges Verstehen möglich.
- Stehen Entscheide an wie z.B. der Beizug von Fachleuten oder die Entscheidungsfindung bei
einem Stufenwechsel, können Beobachtungsprotokolle die Art und Entwicklung eines Kindes
oder der Klasse aufzeigen und damit zu einer adäquaten Entscheidung hinführen.
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Dokumentationen
Beobachten in Kindergarten und Schule
Die Absicht des Projektleitungsteams war, in Zusammenarbeit mit den beteiligten Lehrpersonen aus
Schule und Kindergarten eine Broschüre zu schaffen, die in der praktischen Arbeit gut brauchbar
ist. Eine theoretische Einführung in das Beobachten soll die Anwendung erleichtern. Der praktische
Teil gibt Richtlinien und Empfehlungen, lässt aber Raum für Ergänzungen und Änderungen. Sie als
Benutzerin, als Benutzer, können eigene Fragen aufnehmen, Unpassendes streichen und so ein für
Sie geeignetes Instrument schaffen.
Die vorliegende Broschüre gliedert sich in zwei Teile:
Einführung in das Beobachten
Die Einführung enthält grundsätzliche Aussagen und Theorien zum Beobachten. Zudem wird ausführlich dargestellt, wie Beobachtungen geplant und durchgeführt, die Wahrnehmungen gewichtet
und in die pädagogische Arbeit einbezogen werden können.
Beobachtungsbogen für die Praxis
Die Arbeitsmappe dient der praktischen Anwendung. Sie enthält eine kurze theoretische Übersicht
sowie Druckvorlagen für die Beobchtungsbogen. Als Beobachtungshilfe sind Beispiele für Fragen zu
den Bereichen der körperlichen, sozialen, intellektuellen und emotionalen Entwicklung formuliert.
Die beiliegende Druckvorlage «Beobachtungskalender» dient schliesslich der eigenen Kontrolle:
Hier werden die kalendarischen Daten der durchgeführten Beobachtungen eingetragen. So wird
aus dem Kalender ersichtlich, zu welchen Bereichen bereits Beobachtungen gemacht worden sind
und wo allenfalls noch Lücken bestehen.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei Beobachtungen, die Sie schriftlich festhalten, um geschützte
Personendaten handelt. Empfehlungen des KgCH zum Umgang mit geschützten Daten finden Sie
am Schluss dieser Broschüre und auf der Rückseite der Arbeitsmappe.
Margreth Cueni, Projektleiterin
Margherita Burger
Gerda Egloff
Hermann Gelzer
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Dokumentationen
Beobachten in Kindergarten und Schule
Beobachten als Grundlage unserer erzieherischen Arbeit
Unsere Arbeit in Erziehung und Unterricht ist mitgeprägt von unseren Beobachtungen, ungeachtet
ob wir diese systematisch durchführen oder dem Zufall überlassen. Beobachtungen sind häufig
subjektiv, und unsere Wahrnehmungen unterliegen verschiedenen Fehlerquellen. Es ist deshalb
notwendig, Beobachtungen systematisch durchzuführen, um die subjektiven Wahrnehmungen zu
optimieren und die Fehlerquellen zu vermindern.
Ein systematisches Beobachten des Kindes und der Klasse hilft uns,
- das Kind in seiner Individualität zu kennen und zu verstehen, und so seine Stärken und Schwächen festzustellen,
- die Entwicklung des einzelnen Kindes zu kennen und zu begleiten,
- den sozialen Prozess in der Klasse zu kennen; Rangordnungen, Kooperationen, Wettbewerbe
der Kinder kennenzulernen und Untergruppenbildungen wahrzunehmen,
- auf Konflikte angemessen zu reagieren und soziales Lernen in der Klasse zu ermöglichen,
- das eigene Erzieherverhalten zu beurteilen und die Auswirkungen unseres eigenen Handelns
auf die Klasse und auf das Kind abzuschätzen,
- die Eltern und andere Bezugspersonen des Kindes auf wichtige Entwicklungen aufmerksam zu
machen,
- mit ihnen unsere Beobachtungen zu diskutieren und sie selber zum Beobachten anzuregen,
Fördermassnahmen zu planen,
- bevorstehende Übergänge zu planen, mit den am Übergang beteiligten Personen unsere Wahrnehmungen zu besprechen und so der Klasse und dem Kind einen fliessenden Übergang zu
ermöglichen.
Der Schritt von der gelegentlichen, unsystematischen, zufälligen zur systematisch geplanten prozesshaften Beobachtung verlangt eine Anstrengung. Die Mitglieder der Projektleitung Einschulung
sind überzeugt, dass sich diese Anstrengung in mehrfacher Hinsicht lohnen wird. Der vorliegende
Arbeitsmappe mit den Beobachtungsbogen kann mithelfen, Beobachtungen zu systematisieren
und prozesshaft anzulegen.
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Beobachten in Kindergarten und Schule
Beobachtungen planen
Die nachfolgenden fünf Hinweise helfen, die Beobachtungen so zu gestalten, dass damit die anstehenden Fragen beantworten werden können:
● Das Umfeld des Kindes
Ein Kind ist von seiner Entwicklungsgeschichte geprägt. Es wird von seiner Familie beeinflusst und
beeinflußt seinerseits die anderen Familienmitglieder. Im Kindergarten, in der Schule ist es Teil einer
Klassengemeinschaft. Es wirkt auf diese ein und wird von ihr mitgeprägt. Die Klasse wiederum ist
Teil der Schule, diese Teil des Dorfes, der Stadt usw. Beim Umgang mit Beobachtungen beziehen
wir solche mitprägenden Faktoren oft unbewusst mit ein:
Beispiel
- schon die Lehrperson fand, diese Klasse sei sehr kooperativ
- seine Geschwister waren im Rechnen auch schwach
Beobachten wir nun die Klasse oder ein einzelnes Kind, erhalten wir eine Momentaufnahme aus
einem bestimmten Blickwinkel. Beziehungen, Geschichte, Einstellungen, Regeln, zeitliche und örtliche sowie viele weitere Faktoren prägen die Situation mit. Soweit sie bekannt sind, lohnt es sich,
solche Faktoren auf einem separaten Blatt zu notieren. Sie können dazu beitragen, den eigenen
Blickwinkel zu erweitern und die protokollierten Beobachtungen besser zu verstehen.
● Gezielt beobachten und Beobachtungen nicht dem Zufall überlassen
Beobachtungen sollen helfen frühere Beobachtungen zu erhärten oder zu hinterfragen, Entscheidungsgrundlagen zu erhalten, Wirkungen von Fördermassnahmen zu beschreiben usw.. Es ist
deshalb wichtig, das Beobachten auf die anstehenden Fragestellungen auszurichten.
Beispiel
Ich habe den Eindruck, dass Peter Mühe hat, seine Bedürfnisse gegenüber den anderen Kindern
durchzusetzen und deshalb in sozialen Situationen oft überfordert ist. Mit meinen Beobachtungen will ich nun meine Vermutung bestätigen oder widerlegen und genauere Informationen
erhalten. Ich stelle mir die folgenden Fragen:
- Wie versucht Peter, seine Anliegen in der Gruppe einzubringen?
- Wie sind seine Reaktionen, wenn die anderen Kinder nicht auf seine Bedürfnisse eingehen?
- Gibt es Bereiche, in denen Peters Bedürfnisse akzeptiert werden?
- Finde ich Hinweise darauf, wie ich Peter unterstützen könnte?
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Beobachten in Kindergarten und Schule
● Beobachtungen planen
Es ist sinnvoll, im voraus zu bestimmen, welche Bereiche wann, wo und wie beobachtet werden
sollen. Dadurch wird verhindert, dass "lautes Geschehen" im Unterricht die Aufmerksamkeit auf
sich zieht und das "stille Geschehen" unbeachtet bleibt.
Beispiel
Ich nehme mir vor, Peter in den nächsten drei Wochen in verschiedenen Aufgaben- und Spielsituationen zu beobachten. Die Beobachtungen sollen sich vor allem auf die Gruppenarbeiten,
auf Regelspiele und Spiele im Turnen, aber auch auf Aktivitäten während der freien Tätigkeit
beziehen. Als Beobachtungsform wähle ich die anekdotische Beobachtung, d.h. ich schreibe
meine Beobachtungen möglichst beschreibend und wertfrei auf.
● Beobachtungen überprüfbar machen
Beobachtungen sollen idealerweise so gestaltet sein, dass Drittpersonen (Eltern, Kolleginnen und
Kollegen, Fachpersonen usw.) selber Schlüsse daraus ziehen können bzw. dass die Wahrnehmungen nachvollziehbar werden.
Das Überprüfen von Beobachtungen hilft vor allem dann, wenn diese interpretiert werden und
Entscheide für weiteres Vorgehen gefällt werden müssen.
Beispiel
Ich kann meine Beobachtungen zu Peter mit seinen Eltern besprechen. Beobachten sie zu Hause
das Gleiche, wenn Peter mit seinen Geschwistern spielt? Können sie etwas zu Peters Kontakten
in der Freizeit sagen? Welche Schlüsse ziehen die Eltern aus meinen Beobachtungen?
● Beobachtungen immer wieder hinterfragen
Vorurteile und Erwartungen bestimmen das Wahrnehmen mit. Je weniger Beobachtungen vorliegen,
desto eher werden Alltagstheorien und Wertvorstellungen deren Interpretation beeinflussen.
Es ist deshalb wichtig, die Beobachtungen zuerst möglichst "wertfrei" zu notieren und erst dann
zu interpretieren. Dazu sollen Beobachtungen immer wieder mit Zusatzinformationen verglichen
werden, um ein ganzheitlicheres Bild zu erhalten.
Beispiel
Meine Beobachtungen zu Peters Überforderung in sozialen Situationen werden sofort eine andere
Bedeutung erhalten, wenn ich weiss, dass Peter zu Hause von anderen Kindern abgeschirmt
wird, mit ihnen nicht spielen darf, weil sich die Familie grundsätzlich misstrauisch gegenüber
anderen Personen verhält.
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Beobachten in Kindergarten und Schule
Beobachten und Beobachtungen interpretieren
Als Lehrpersonen sind wir uns gewohnt, unsere Beobachtungen interpretieren zu müssen. Damit
besteht die Gefahr, bereits während des Beobachtens zu interpretieren, d.h. die Beobachtung und
deren Interpretation zu vermischen. Besonders die Verwendung von sogenannten Einschätz-Skalen
("Kann sich durchsetzen" bis "Kann seine Bedürfnisse nicht formulieren") birgt die Gefahr in sich,
dass Interpretationen (Urteile) erfolgen, bevor genügend Beobachtungen vorliegen. Beobachtungen
sollten möglichst wertfrei und beschreibend sein, während Interpretationen Urteile beinhalten, also
die Beobachtungen gewichten und werten.
Beispiel
Situation
In der Gruppenarbeit haben Peter, Ruth und Heidi den Auftrag, ein gemeinsames Herbstbild
mit Gegenständen, die sie vorher in der Umgebung gesammelt haben, zu gestalten.
Ebene der Beobachtungen
Peter, Heidi und Ruth diskutieren über die Art, wie sie den Auftrag anpacken könnten. Heidi
bestimmt, dass die Äste, die Peter gesammelt hat, für die Arbeit nicht verwendet werden sollen.
Peter beginnt zu weinen und läuft zur Lehrperson ...
Ebene der Urteile / Interpretationen
Peter beginnt zu weinen, weil er keine andere Möglichkeit kennt, seine Wünsche in der Gruppe
anzumelden und durchzusetzen ...
Urteile werden begründet durch Alltagstheorien ("Lebenserfahrungen"), durch Werthaltungen
und Normen. Diese sind als Einstellungen und Überzeugungen aufgrund unserer Erfahrungen und
unserer Lerngeschichte gewachsen und können sich von Mensch zu Mensch unterscheiden.
Beispiel für ein Urteil auf der Ebene der Alltagstheorien
Kinder sollten altersgemässe Verhaltensweisen entwickelt haben, um ihre Wünsche in der Gruppe
einzubringen. Weinen und eine erwachsene Person in einer solchen Situation um Hilfe angehen,
entspricht einem Kleinkind.
Oft wird uns nicht bewusst, nach welchen Alltagstheorien wir unseren Unterricht gestalten, warum uns gerade dies oder jenes wichtig ist. Alltagstheorien beeinflussen das Wahrnehmen und
Beobachten gleich doppelt:
Sie bestimmen mit, was wir beobachten (weil uns das wichtig ist), und sie beeinflussen unser Urteil
(weil wir unsere Beobachtungen aufgrund unserer Alltagstheorien interpretieren). Das nachfolgende
Beispiel soll die beschriebenen Zusammenhänge nochmals verdeutlichen:
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Beispiel
Situation
Peters Mutter macht einen Besuch in der Klasse. Sowohl die Lehrperson wie auch die Mutter
beobachten die folgende Episode während der Gruppenarbeit:
Ebene der Beobachtungen
Peter, Heidi und Ruth haben den Auftrag, ein Herbstbild mit gesammelten Gegenständen
anzufertigen. Peter möchte seine gesammelten Äste integrieren; die beiden Mädchen wollen
ein Bild nur mit Blättern und Wasserfarbe machen. Heidi bestimmt, dass keine Äste verwendet
werden. Peter beginnt zu weinen und läuft zur Lehrperson. Diese schickt ihn mit den Worten
zurück: «Weine doch nicht immer sofort, gehe wieder zu den beiden anderen und sage ihnen,
dass deine Äste verwendet werden sollen!»
Peter geht daraufhin zu seiner Mutter, setzt sich auf ihren Schoss und weint weiter. Die Mutter
streichelt ihn und spricht leise auf ihn ein.
Ebene der Alltagstheorien
• Mutter:
Ein Kind soll nicht weinen müssen. Eine Lehrperson muss die Kinder so erziehen, dass die
Schwachen auch zu ihrem Recht kommen.
• Lehrperson:
Kinder sollten altersgemässe Verhaltensweisen entwickeln, um sich in der Gruppe durchsetzen
zu können. Weinen ist nicht altersgemäss.
Ebene der Urteile/Interpretationen
• Mutter:
Kein Wunder, dass Peter so den Unterricht ungern besucht. Die Lehrperson kann auf seine
Bedürfnisse ja gar nicht eingehen.
• Lehrperson:
Peters Mutter macht grosse Fehler. Sie hält ihn wie ein Kleinkind. Ich muss versuchen, Peter
künftig vermehrt sich selber zu überlassen, damit er lernen kann, sich durchzusetzen.
Erst wenn es Lehrperson und Mutter gelingt, die auseinandergehenden Urteile und deren
Hintergründe in die Diskussion miteinzubeziehen, kann das Gespräch über die gemeinsame
Beobachtung konstruktiv verlaufen.
Es ist deshalb wichtig, dass wir unsere eigenen Alltagstheorien kennenlernen und sie uns immer
wieder bewusst machen. Im Gespräch mit Drittpersonen über unsere Beobachtungen können wir
unsere Interpretationen auch begründen und so die dahinterstehenden Wertvorstellungen in das
Gespräch konstruktiv einbringen.
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Beobachten in Kindergarten und Schule
Was beobachten?
Suchbereiche und «offene Fragen»
Beobachtungen sollen uns helfen,
- dem einzelnen Kind und der Klasse angemessen zu begegnen,
- Fördermassnahmen zu planen und den Erfolg unserer Arbeit einzuschätzen,
- den Unterricht situationsgerecht zu planen und auszuwerten,
- Gespräche mit Eltern und anderen Bezugspersonen des Kindes zu führen,
- prognostische Hinweise zu erhalten.
Aber: Welche Beobachtungen sind wichtig? Was greifen wir aus der Fülle möglicher Beobachtungen heraus? Welche Verhaltensbereiche des Kindes sind wichtig, damit wir uns ein Gesamturteil
bilden können?
Der vorliegende Beobachtungsbogen gliedert sich in vier Bereiche, die als Gesamtes einen Überblick
über den Entwicklungsstand des einzelnen Kindes ergeben:
- intellektuelle Entwicklung
- emotionale Entwicklung
- körperliche Entwicklung
- soziale Entwicklung.
Ergänzt werden die Bereiche durch Fragen zur Klassengemeinschaft. Die Beobachtungsbereiche
ermöglichen, Teilaspekte der Person, der Gruppe oder der Klasse zu erfassen. Je mehr Teilbereiche
beobachtet, miteinander in Beziehung gesetzt und vorsichtig interpretiert werden, desto verständlicher werden das Kind bzw. die Klasse und desto besser kann eine prognostische Beurteilung (z.B.
im Hinblick auf den Übertritt an eine nächste Schulstufe) gefällt werden.
Wichtig ist dabei, dass wir nicht von normativen Fragestellungen ausgehen, sondern möglichst
offen bleiben. Deshalb stellt der vorliegende Beobachtungsbogen zu den einzelnen Beobachtungsbereichen offene Fragen, deren Beantwortung eine Rückkoppelung zu den Alltagstheorien und
Wertvorstellungen der beobachtenden Person vor dem Beobachten verhindert.
Die normative, geschlossene Frage:
Kann sich Peter in der Kindergruppe durchsetzen ?
Diese Frage kann mit JA oder NEIN beantwortet werden.
Die formative, offene Frage:
Wie versucht Peter, seine Wünsche und seine Bedürfnisse in der Gruppe durchzusetzen ?
Zur Beantwortung einer solchen "offenen Frage" ist der Beizug von systematischen Beobachtungen nötig.
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Beispiel
Zusammenhang zwischen Beobachtungsbereich und «formativ offenen Fragen».
Beobachtungsbereich:
- Soziale Entwicklung
Offene Fragen:
- Welche Beziehungen hat Peter zu den Kindern in der Klasse?
- Welche Rollen übernimmt Peter in der Gruppe?
- Wie versucht Peter, seine Wünsche und Bedürfnisse bei Kindern und Erwachsenen durchzusetzen?
Es ist wichtig, dass das Beobachten möglichst lange von offenen Fragen geleitet wird, die dann
durch unsere Beobachtungen beantwortet werden können. Dabei können die Kinder an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Tätigkeiten beobachtet werden, um
ein möglichst ganzheitliches Bild zu erhalten.
Wie beobachten ?
Vielleicht kommt beim Lesen der Gedanke, wie leicht es sei, Forderungen nach gezielten, langfristigen Beobachtungen aufzustellen und wie schwer dies in der Unterrichtspraxis umzusetzen sei
- das ist richtig! Eine kontinuierliche Beobachtung des einzelnen Kindes und der Klasse erfordert
einen zusätzlichen Einsatz und eine gewisse Portion Eigendisziplin. Der Gewinn liegt im Ergebnis
der Bemühungen. Beobachtungen machen es uns möglich, Gesprächs- und Beurteilungsunterlagen
zur Hand zu haben, die auch Drittpersonen einsichtig sind und die auf einer Gesamtbeurteilung
basieren.
In diesem Kapitel möchten wir näher auf zwei mögliche Beobachtungsarten eingehen, nämlich auf
die «anekdotische Beobachtung» und auf «Beobachtungen durch Drittpersonen»:
Die anekdotische Beobachtung
Diese Methode eignet sich zur Langzeitbeobachtung eines Kindes und der Klasse. Die Beobachtungen werden während des Unterrichts (Momentprotokoll) oder im Nachhinein (Erinnerungsprotokoll)
aufgeschrieben. Die folgenden Punkte gehören in das Protokoll:
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- Situation, Datum, Zeit
- Beobachtung
- Interpretation (diese kann auch gesamthaft erst später erfolgen)
- Reaktionen der Beobachterin/des Beobachters
Zusätzlich werden Informationen zum Umfeld des Kindes, der Klasse oder der Schule festgehalten:
Ausgangslage / Fragestellung
Gruppenarbeit: Gestalten eines Herbstbildes. Peters Mutter ist zu Besuch.
Datum: 17.9.96; Zeit: 09.45 Uhr
Beobachtung
Bemerkungen
Peter arbeitet mit Ruth und Heidi. Die drei
diskutieren. Heidi bestimmt, dass Peters Äste
nicht verwendet werden dürfen.
Ich beobachte schweigend (Reaktion)
Peter kommt zu mir und weint
Peter will, dass ich eingreife und ihm helfe
(Interpretation)
Peter geht zu seiner Mutter und setzt sich auf
ihren Schoss. Diese streichelt ihn und spricht
leise auf ihn ein.
Ich schicke ihn zurück und sage ihm, er solle
seine Wünsche selber nochmals einbringen.
(Reaktion)
Die anekdotische Beobachtung ermöglicht ein Eingehen auf Interaktionen und Zusammenhänge
sowie das Einordnen einzelner Verhaltensweisen in grössere Zusammenhänge.
Da die Beobachtungen ein anschauliches Bild zu bestimmten Situationen ergeben, sind sie eine
wichtige Informationsquelle bei Gesprächen mit Eltern, bei Kontakten mit Beratungsstellen, bei
der Planung und Organisation von Übergängen sowie bei der Reflexion des eigenen Handelns.
Anekdotische Beobachtung ist zeitintensiv, weil ausführliche Notizen vorausgesetzt werden, die
dann auch eine eingehende Lese- und Interpretationsphase verlangen. Die Arbeit wird erleichtert,
wenn die Beobachterin oder der Beobachter Beobachtungszeiten zum voraus festlegt und ein
Übersichtsblatt für ihre Beobachtungen verwendet.
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Beobachtungen durch Drittpersonen
Hospitationshalbtage ermöglichen, eine Kollegin oder einen Kollegen zu bitten, in der Klasse zu
einer bestimmten Fragestellung Informationen zu sammeln.
Der Beizug einer Drittperson hat Vorteile:
- Die Lehrperson kann intensiver beobachten, da sie nicht gleichzeitig unterrichtet.
- Sie beobachtet möglicherweise anders und ergänzt die eigenen Beobachtungen.
- Sie kann als Gesprächspartnerin bei der Interpretation der Beobachtungen mithelfen.
Fehlerquellen beim Beobachten
Dieselben positiven Erweiterungen ergeben sich auch, wenn Mitarbeitende der Schuldienste (Schulpsychologen und - psychologinnen, Logopädinnen) gebeten werden, den Unterricht zu besuchen
und Anhaltspunkte für bestimmte Fragestellungen aus ihrem Fachgebiet vor Ort zu erheben.
Wir haben eingangs bereits darauf hingewiesen, dass unser Wahrnehmen verschiedenen Fehlerquellen unterliegt. Das Wissen um mögliche Beobachtungs- und Wahrnehmungsfehler hilft mit,
diese zu vermindern und in der Interpretation mitzuberücksichtigen. In diesem Abschnitt möchten
wir auf einige mögliche Fehlerquellen eingehen:
Selektive Wahrnehmung
Unsere Sinnesorgane können unmöglich alle anfallenden Wahrnehmungsdaten aufnehmen und
verarbeiten. Wir treffen aktiv eine Auswahl, wobei einerseits unsere Einstellung, unser Interesse
und unsere Rolle beim Beobachten die Auswahl beeinflussen, andererseits die Stärke und die
Eigenschaft eines Wahrnehmungsgegenstandes.
Beispiel
Lautes und störendes Verhalten im Unterricht nehmen wir schneller wahr als das leise, unspektakuläre Geschehen.
Lehrpersonen, denen das soziale Geschehen in der Klasse sehr wichtig ist, achten speziell auf
soziale Interaktionen; Lehrpersonen, denen die körperliche Entwicklung der Kinder am Herzen
liegt, beobachten eher Fein- und Grobmotorik, Haltungsschäden usw.
Inspektorinnen und Inspektoren beobachten andere Aspekte des Unterrichts als Kolleginnen
oder Fachpersonen der Schuldienste; und diese wiederum andere als Eltern.
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Bisherige Erfahrungen bestimmen unsere Erwartungen
Unsere bisherigen Erfahrungen bestimmen mit, was wir wahrzunehmen erwarten. Diese Erwartungen führen ihrerseits dazu, dass wir uns vor allem auf bestimmte Verhaltensweisen, Vorkommnisse
konzentrieren und andere weniger beachten. Mit der Zeit sehen wir wirklich unsere Erwartungen
immer öfter bestätigt, was zu stereotypem Denken, zu Etikettierungen und zu Vorurteilen führen
kann.
Beispiel
Wenn wir verschiedentlich die Erfahrung gemacht haben, dass überforderte Kinder aggressiv
und störend auf ihre Überforderung reagieren, können wir vielleicht bei aggressiven Reaktionen
eines Kindes übersehen, dass es in bestimmten Bereichen angemessene Fähigkeiten aufweist,
weil wir diejenigen Bereiche stärker gewichten, in denen es überfordert ist.
Eigene Einstellungen und Projektionen
Neue Wahrnehmungen können unser Weltbild, unsere Einstellungen, unsere «Realität» bedrohen
und in Frage stellen. Wenn uns solche Wahrnehmungen verunsichern, haben wir die Tendenz, sie
abzuwehren oder umzudeuten. Vorzugsweise möchten wir unsere eigene Wahrnehmungswelt
aufrechterhalten und sie täglich neu bestätigen (unter Umständen auch durch Stereotype oder
Vorurteile).
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Beobachtungen ordnen und interpretieren
Um Beobachtungen als Grundlage für die Beantwortung einer bestimmten Fragestellung wie z.B.
den Einschulungsentscheid nutzen zu können, werden sie zusammengetragen, anschliessend auf
die Frage der Einschulung hin durchgelesen, geordnet und gewichtet.
Beispiel
Peter fiel es in der Konfliktsituation vom 17. 9. 1996 nicht leicht, sich gegenüber anderen
Kindern zu behaupten. Aus weiteren Beobachtungsprotokollen geht hervor, dass sich dieses
Verhalten wiederholt und in verschiedensten Situationen zeigt. Im intellektuellen Bereich ist
Peter das wendigste, interessierteste Kind der Klasse. Entsprechende Einzelarbeiten führt er mit
Leichtigkeit aus. Die Bewegungen des Jungen sind etwas eckig, ungelenk.
Das zeigt sich auch in seinen Zeichnungen. Die Gewichtung der weiteren Beobachtungen fallen
eher zugunsten der Schulfähigkeit Peters aus. Die Kindergärtnerin ist unsicher, was sie empfehlen soll. Im Gespräch mit der zukünftigen Unterstufenlehrperson, die Peter von gemeinsamen
Lektionen her kennt, einigen sie sich auf die Empfehlung für die erste Regelklasse.
Im gemeinsamen Gespräch mit den Eltern berichten beide Lehrpersonen von ihren Beobachtungen und der daraus resultierenden Schlussfolgerungen. Die Eltern bringen ihrerseits Beobachtungen von zu Hause ein. Nach einigem Abwägen einigen sich alle Beteiligten auf die Empfehlung,
Peter in die erste Regelklasse einzuschulen.
Anschliessend besprechen sie, wie die Eltern ihren Sohn in seiner Selbständigkeit unterstützen
können. Zudem wollen sie miteinander im Gespräch bleiben und vereinbaren einen nächsten
Termin.
Es zeigt sich, dass Beobachtungen für Eltern oft gut nachvollziehbar sind. Diese Art der Argumentation kann zudem die Gesprächspartnerinnen und -partner ermutigen, ihrerseits Beispiele aus dem
Alltag einzubringen und so ihren Standpunkt konkret und verständlich zu machen.
Beispiel
Die Spielwelt der Kindergarten- und Primarschulkinder wird immer mehr von Fernsehen, Video
und Computerspielen beeinflusst. Unsere Erfahrungen und unser Wissen sagen uns, dass Kinder
in diesem Alter ganzheitliches und erlebnisorientiertes Spiel brauchen und dass fiktive Spielwelten
zu Verhaltensauffälligkeiten führen können. Trotz mehrerer Stunden täglichen TV-Konsums sind
verschiedene Kinder in der Klasse nicht geschädigt. Wie gehe ich mit dieser Wahrnehmung um?
Verändere ich meine Überzeugung oder suche ich nach anderen Begründungen?
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Dokumentationen
Beobachten in Kindergarten und Schule
Weitere Fehlerquellen
Auch beim Wahrnehmen selber und beim Protokollieren der Beobachtungen ergeben sich Fehlermöglichkeiten. Die häufigsten sind:
- Ungenauigkeiten beim Beobachten (weil wir abgelenkt werden, weil wir nicht aufpassen, weil
wir nicht soviel schreiben wollen usw.)
- Erinnerungslücken beim Notieren im Nachhinein
- Mutmassungen und Interpretationen anstelle von Beobachtungen
Beim Interpretieren der Beobachtungen kommen weitere hinzu:
- Hallo-Effekt (wir schliessen von einer wichtigen Beobachtung auf andere)
- Milde- oder Strengeeffekt (Wie wichtig ist diese Beobachtung? Mitleid, nicht Stellung beziehen
müssen usw.)
- Voreingenommenheit
- Etikettierung
Literaturhinweise
- Gelzer Hermann/Hirt Pia, Artikelreihe «Einschulung» in «kindergarten», Separatdruck 1993,
Dokustelle KgCH
- Gloor Armin: Beobachtung und Beurteilen im Praxiskindergarten, Thalwil/Zürich 1993, PaedaMedia-Verlag
- Helm Doris: Beobachten - Erfassen - Beurteilen, in «Professionelles Arbeiten im Kindergarten»,
Dokustelle KgCH
- Käser Roland: Neue Perspektiven in der Schulpsychologie, Bern 1993, Haupt-Verlag
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Empfehlungen des KgCH
zum Umgang mit geschützten Personendaten
Im Kindergarten zählen Beobachtungsbogen, Übertrittsberichte, Rodelangaben, Arzt- und Zahnarztkarten, Unfallformulare, Berichte an die Erziehungsberatung oder an andere Fachinstanzen zu den
Angaben, die unter den Datenschutz fallen. Als besonders schützenswerte Personendaten gelten
unter anderem Angaben über den seelischen, geistigen und körperlichen Zustand eines Kindes. Mit
Beobachtungsprotokollen werden also Daten festgehalten, die «besonders schützenswert» sind.
Der Umgang mit Daten wird in der Regel durch ein kantonales Datenschutzgesetz geregelt. Wo
keines vorliegt oder keine anderslautende Bestimmungen gelten, empfiehlt der Verband KindergärtnerInnen Schweiz KgCH im Umgang mit aufgezeichneten Beobachtungen folgende Punkte
zu beachten:
1. Geschützte Daten
Im Datenschutz wird zwischen «persönlichen Notizen» und «Aufzeichnungen der Lehrperson über
Schülerinnen und Schüler» unterschieden:
Persönliche Notizen - unterliegen nicht dem Datenschutz
Bei den «Persönlichen Notizen» handelt es sich um «Gedächtnisstützen», die eine Lehrperson
anlegt. Diese Notizen gelten als persönliches Arbeitsmittel, das nicht an Dritte, d.h. weder an eine
Stellvertreterinnen, noch an Kolleginnen oder Kollegen oder Fachinstanzen weitergegeben werden darf. Die persönlichen Notizen müssen so aufbewahrt werden, dass sie nur der betreffenden
Lehrperson zugänglich sind. Sie unterliegen nicht den Regeln des Datenschutzes, d.h. es besteht
kein Einsichtsrecht.
Aufzeichnungen über Schülerinnen und Schüler - unterliegen dem Datenschutz
Im Gegensatz zu den persönlichen Notizen unterliegen «Aufzeichnungen von Lehrpersonen über
Schülerinnen und Schüler» dem Datenschutz. Es handelt sich hier nicht um ein persönliches,
sondern um ein pädagogisches Arbeitsmittel: Die Beobachtungen werden als Grundlagen für die
Planung und Durchführung des Unterrichts und für die Unterstützung und Förderung der Kinder
herangezogen. Als Beobachtungsprotokolle finden sie in Gesprächen mit Eltern, Kolleginnen und
Kollegen, bei Abklärungen mit Fachinstanzen oder beim Übergang Kindergarten-Schule Verwendung. Stellvertretenden Lehrpersonen sind sie als pädagogisches Informations- und Arbeitsmittel
zugänglich.
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Dokumentationen
Beobachten in Kindergarten und Schule
3. Umgang mit den Daten
- Eltern werden zu Beginn des Schuljahres darüber informiert, dass Aufzeichnungen über Schülerinnen und Schüler angelegt werden (Infos über Sinn, Zweck, Vorgehen, Verwendung, Vernichtung).
- Nach den Regeln des Datenschutzes haben Eltern (Erziehungsberechtigte) jederzeit das Recht,
die Aufzeichnungen einzusehen.
- Aufzeichnungen gehören in die Akten oder Arbeitsunterlagen der Kindergartenlehrperson. Sie
dürfen aber auf Anfrage an berechtigte Dritte weitergegeben werden (Kolleginnen und Kollegen,
Unterstufenlehrkraft, Fachinstanzen, Behörden), wenn diese die Angaben benötigen, um ihren
Auftrag erfüllen zu können. Dabei sollen nur jene Informationen weitergegeben werden, die
dazu notwendig sind.
- Daten, die man nicht mehr benötigt, dürfen nicht über längere Zeit aufbewahrt werden. Der
KgCH empfiehlt, Aufzeichnungen ein Jahr nach Austritt des Kindes aus dem Kindergarten zu
vernichten (Achtung: nicht in offener Papiersammlung entsorgen!).
4. Auskunftspflicht
Hat eine Lehrperson in einem Strafverfahren, z.B. wegen Misshandlung eines Kindes, als Zeugin
oder Zeuge auszusagen, muss sie von der Kindergartenkommission vom Amtsgeheimnis befreit
werden.
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Beobachten
in Kindergarten und Schule
Unterrichtsmaterial
Im Alltag beobachten wir oft zufällig und unsystematisch. Im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung wie z.B.
Einschulung, Förderung des Kindes oder Unterrichtsvorbereitung ist es sinnvoll, geplant und systematisch zu
beobachten, weil dadurch weniger Fehler und Fehleinschätzungen entstehen.
Zum Vorgehen
Halten Sie vorgängig Ihnen bekannte Informationen zur Entwicklung und zum Umfeld des Kindes oder der Klasse
auf einem separaten Blatt fest (Vgl. «Beobachten in Kindergarten und Schule», S. 4).
Um geplant und systematisch beobachten zu können überlegen Sie sich, welche Fragestellung der Beobachtung
zugrunde liegt. Planen Sie den Zeitpunkt der Beobachtung und notieren Sie auf dem Bogen Datum, Zeit und
Dauer. Halten Sie unter der Rubrik «Beobachtung» Ihre Beobachtungen möglichst wertfrei, beschreibend fest.
Eigene Gedanken, Phantasien können Sie separat in der Rubrik «Bemerkungen» aufführen.
Wählen Sie gestützt auf ihre Beobachtungen und unter Einbezug der Informationen, die Sie auf dem separaten
Blatt festgehalten haben, weitere Absichten, Ziele und Themen für Ihre Arbeit im Kindergarten aus. Geplante,
systematische Beobachtungen können eine Grundlage sein für die pädagogische Arbeit mit der Klasse und dem
einzelnen Kind, die Unterrichtsplanung und Durchführung, die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen
und Eltern und für die Entscheidungsfindung z.B. bei der Einschulung, für den Beizug von Fachleuten wie schulpsychologische Dienste, Logopädinnen/Logopäden.
Mögliche Fehlerquellen beim Beobachten
Beobachtungen sind durch verschiedene Faktoren beeinflußbar und entsprechend störanfällig:
- Selektive Wahrnehmung (blinder Fleck), eigenes Wahrnehmungsfeld
- Voreingenommenheit, Erwartungen aufgrund von Erfahrungen, Etikettierung, Verallgemeinerung, stereotypes
Denken, sich selbst erfüllende Prophezeiungen
- Eigene Einstellung zu bestimmten Verhaltensweisen und Umgang damit
- Projektionen aufgrund von Erfahrungen mit bisherigen Bezugspersonen, eingeschliffene Verhaltensmuster
- Konfabulationen: Ungenauigkeiten beim Beobachten, Wunschdenken, Erinnerungslücken, Mutmassungen,
falsche Schlüsse, Einschätzungen
- Mildeeffekt: Ausweichen, nicht Stellung beziehen müssen, Mitleid
Folgerungen
Mehrere geplante systematische Beobachtungen ergeben eine breitere Informationsbasis, was die Wahrscheinlichkeit einer adäquaten Einschätzung erhöht. Beobachtungsfehler lassen sich nicht ausschalten. Doch die Offenheit, eigene Beurteilungen aufgrund neuer Beobachtungen in Frage zu stellen und entsprechend zu korrigieren,
hilft, wirklichkeitsnäher zu erfassen. Um ein Kind möglichst gut in seiner Individualität kennen und verstehen zu
können, ist es sinnvoll, eigene Beobachtungen mit denjenigen anderer, z.B. Kollegen, Kolleginnen oder Eltern
zu vergleichen. Genauso kann es hilfreich sein, Wahrnehmungen zur Klassengemeinschaft mit anderen Lehrpersonen zu besprechen.
Verband KgCH / Unterrichtsmaterial zu «Beobachten in Kindergarten und Schule»
Beispiele für Beobachtungen zur Entwicklung des Kindes
Körperliche Entwicklung
Die körperliche Konstitution des Kindes
- Gesundheit
- Grösse/Gewicht
- Körperliche Auffälligkeiten
- Körperbau / Körperhaltung
-
Eigenständigkeit des Kindes
- Umgang mit eigenen und fremden Ideen und
Meinungen
- Loslösung von den Eltern
-
Intellektuelle Entwicklung
- Bewegung im Raum
Umgang des Kindes mit Gegebenheiten seiner
Umwelt: sprachlich, zeichnerisch, spielerisch
- Umweltverständnis
- Bewegungsabläufe
- Verständigungsmöglichkeiten
- Bewegungsformen
- Umsetzen von Ideen
-
-
-
-
Orientierung des Kindes im Raum
- oben-unten; vorne-hinten; rechts-links
Sprache und Ausdrucksfähigkeit des Kindes
- Differenzierungsvermögen
- Nutzung des Raumes
- Wortschatz
-
- Sprache
-
-
Bewegungsfähigkeit des Kindes
- Bewegungskoordination
Ausführung täglicher Handlungen
- Umgang mit Schere, Stift, Leim, Werkzeug
-
- An- und Ausziehen
Strukturieren, Planen und Realisieren von Ideen
- Neugierde
-
- Phantasie
-
- Vorstellungsvermögen
- Energie
Soziale Entwicklung
-
Kontakt des Kindes mit sich und der Umwelt
- Umgang mit Nähe und Distanz
Eingehen auf eine Sache
- Konzentration
- Offenheit
- Zuhören
- Auseinandersetzung mit Menschen und Dingen
- Zusehen
Verhalten des Kindes in einer Gruppe
- Kindergartenalltag
-
- Beharrlichkeit
- Neugierde
-
- Schulweg
-
Verband KgCH / Unterrichtsmaterial zu «Beobachten in Kindergarten und Schule»
Emotionale Entwicklung
Selbstvertrauen des Kindes
- Wahrnehmen eigener Bedürfnisse
Ausdruck von Gefühlen
- Grundstimmung
- eigene Bedürfnisse äussern
- Umgang mit Nähe und Distanz
- Eigenständigkeit
- Energie
-
-
-
-
Reaktion des Kindes auf veränderte Situationen
- Trennung von Bezugspersonen
Umgang des Kindes mit seinem Umfeld
- Umgang mit Personen
- neue Bezugsperson
- Umgang mit Sachen, Gegenständen
- neue Umgebung
-
-
-
-
-
Beobachtungen zur Entwicklung der Klasse
Die Klasse als Gemeinschaft
- erkennbare Untergruppen
Die Kontakte der Klasse nach aussen
- zu anderen Klassen
- einbezogene und ausgeschlossene Kinder
- zu anderen Lehrpersonen
- Dominanz der Untergruppen
- zu Eltern, Besuchenden
-
-
-
-
Der Umgang der Kinder dieser Klasse mit Werten und Einstellungen
- Sympathie, Antipathie
- Emotionen
- Konkurrenz, Meinungen, Wertungen
- Lernverhalten
- Eigenheiten
Die Rollenzuschreibungen in dieser Klasse
- Rollenverteilung
- Rollenmerkmale
- Rollenverhalten
- Rollenwechsel
-
Verband KgCH / Unterrichtsmaterial zu «Beobachten in Kindergarten und Schule»
Zeit
Ausgangslage, Fragestellung
Beobachtungsbogen
Kind
Datum
Beobachten in Kindergarten und Schule / Unterrichtsmaterial, Druckvorlagen
Beobachtung
Bemerkung
Geschützte Personendaten
Pädagogische Arbeitsstelle Kanton Aargau / Verband KgCH
Zeit
Ausgangslage, Fragestellung
Beobachtungsbogen
Klasse
Datum
Beobachten in Kindergarten und Schule / Unterrichtsmaterial, Druckvorlagen
Beobachtung
Bemerkung
Geschützte Personendaten
Pädagogische Arbeitsstelle Kanton Aargau / Verband KgCH
Beobachtungskalender
Name des Kindes
Intel. Entwicklung
emot. Entwicklung
Pädagogische Arbeitsstelle Kanton Aargau / Verband KgCH
soziale Entwicklung
Datum der durchgeführten Beobachtungen der Klasse oder eines Kindes in die betreffende Spalte eintragen
Klasse / Gruppe
allgem. Information körperl.
Entwicklung
Beobachten in Kindergarten und Schule / Unterrichtsmaterial, Druckvorlagen

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