TAO TE KING - ATAIR Astro

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TAO TE KING - ATAIR Astro
TAO TE KING
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Erster Teil
Der SINN
1
Der Sinn, der sich aussprechen läßt,
ist nicht der ewige SINN.
Der Name, der sich nennen läßt,
ist nicht der ewige Name.
„Nichtsein“ nenne ich den Anfang von Himmel und Erde.
„Sein“ nenne ich die Mutter der Einzelwesen.
Darum führt die Richtung auf das Nichtsein
zum Schauen des wunderbaren Wesens,
die Richtung auf das Sein
zum Schauen der räumlichen Begrenztheiten.
Beides ist eins dem Ursprung nach
und nur verschieden durch den Namen.
In seiner Einheit heißt es das Geheimnis.
Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis
ist das Tor, durch das alle Wunder hervortreten.
Das Tor, durch das alle Wunder hervortreten, ist jenseits der Worte, nicht auszusprechen. Da ist die Mutter und der
Anfang von Himmel und Erde, die Einheit verborgen. Der Verstand, das Denken ist mit dem Ursprung der Worte
gleichzusetzen. Es ist unsere Persönlichkeit, die die Richtung auf das Nichtsein versperrt. Das Denken kann
versuchen, was es will, es wird immer nur sich selber finden. Es wird immer nur die räumlichen Begrenztheiten
entdecken. Beides ist eins dem Ursprung nach, weil das Höhere das Niedrigere hervorbringt. Nur, das Niedrigere
wird das Höhere nie verstehen können. Was läßt sich also tun? Nichts! Man kann nichts tun, um das Denken zu
verlassen. Man darf in diesen Worten keine Anleitung für eine Befreiung vom Denken sehen. Es kann niemals über
seine Grenzen hinaus gelangen. Sein, Nichtsein und SINN sind die Schlüsselbegriffe bei Laotse. Das Nichtsein
bringt das Sein hervor und birgt den SINN. Wir können aber nur das Sein erkennen.
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Wenn auf Erden alle das Schöne als schön erkennen,
so ist dadurch schon das Häßliche gesetzt.
Wenn auf Erden alle das Gute als gut erkennen,
so ist dadurch schon das Nichtgute gesetzt.
Denn Sein und Nichtsein erzeugen einander.
Schwer und Leicht vollenden einander.
Lang und Kurz gestalten einander.
Hoch und Tief verkehren einander.
Stimme und Ton sich vermählen einander.
Vorher und Nachher folgen einander.
Also auch der Berufene:
Er verweilt im Wirken ohne Handeln.
Er übt Belehrung ohne Reden.
Alle Wesen treten hervor,
und er verweigert sich ihnen nicht.
Er erzeugt und besitzt nicht.
Er wirkt und behält nicht.
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Ist das Werk vollbracht,
so verharrt er nicht dabei.
Und eben weil er nicht verharrt,
bleibt er nicht verlassen.
Die Dualität des Denkens, die im Denken unmöglich überwunden werden kann, ist im ersten Teil dieses Verses
ausgedrückt. Jede Bewertung, jede Beurteilung durch den Verstand hat eine duale Folge. Jedem Tun geht ein
Gedanke voraus, und jedem Tun folgt eine andere Tat. Jede Handlung im Sein, bewirkt im Nichtsein eine weitere,
die dann im Sein sichtbar wird. Es ist die kausale Kette von Ursache und Wirkung.
Nur: der Berufene ist daraus befreit. Er hat die Kette der Kausalität durchbrochen. Wirken ohne zu Handeln ist nur
in einem Raum jenseits des Verstandes möglich. Er besitzt nichts, er hält an nichts fest. Jetzt aber der
entscheidende Punkt: Solange ich über mein Leben bestimme, ist es immer mein Denken und Sein, das im
Mittelpunkt steht. Also: eine Befreiung durch sich selber ist unmöglich! Ich brauche einen Helfer, der im SINN
steht. Er, der ja keine Persönlichkeit mehr besitzt, der den SINN verkörpert, sagt mir, was zu tun und zu lassen ist.
Er sagt mir, gebe dieses und jenes weg, gehe da oder dort hin. Keine eigene Entscheidung mehr, kein eigenes
Wollen mehr. Das ist der Weg ins Nichtsein. Dann tritt die Zweiheit auch ins Bewußtsein. Vorher ist es eine
gedachte Einheit. Nachher muß ich die Zweiheit und Zweifel fühlen. Überhaupt: Erst in dem Erleben der tiefen
Kluft, kann ich meine Begrenztheit spüren. Erst im Setzen des Kontrapunktes durch den Meister wird mir meine
Person erfahrbar. Mein Ego, mein eingebildeter Verstand kann mir erst dann bewußt werden, wenn jemand mir
diese Grenzen aufzeigt.
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Die Tüchtigen nicht bevorzugen,
so macht man, daß das Volk nicht streitet.
Kostbarkeiten nicht schätzen,
so macht man, daß des Volkes Herz nicht wirr wird.
Darum regiert derBerufene also:
Er leert ihre Herzen und füllt ihren Leib.
Er schwächt ihren Willen und stärkt ihre Knochen
und macht, daß das Volk ohne Wissen
und ohne Wünsche bleibt,
und sorgt dafür,
daß jene Wissenden nicht zu handeln wagen.
Er macht das Nichtmachen,
so kommt alles in Ordnung.
Nichts eigenes mehr schätzen, die Herzen leeren, den Willen schwächen. Das Volk sind die Gedanken des
Verstandes, es muß ohne Wissen und Wünschen bleiben. Jene Wissenden wollen immer handeln. Wir halten es für
die Motivation zum Leben. Nein, das ist es nicht. Nur im Nichtmachen, im Verleugnen des Eigenen, kommt alles
in Ordnung. Auch wenn der Verstand es immer besser wissen will. Wider besseres Wissen handeln, das ist sehr
schwer. Vertrauen, obwohl alles als völliger Unsinn aussieht, als Weg in die Sackgasse, das ist der Weg. Er sorgt
dafür, daß jene Wissenden nicht zu handeln wagen. Ein kleiner, unscheinbarer Satz. Doch darin verbirgt sich eine
immense Aussage: dem Ego seine Grenzen aufzeigen. Das Ego zu disziplinieren. In jeder mystischen Tradition ist
das der eigentliche Mittelpunkt. Das untreue Volk der Gedanken dienstbar machen für den SINN. Nichts eigenes
mehr wollen, nur mehr den Willen des Taos erfüllen. Im Klartext heißt das, daß wir für alle unsere Handlungen
keinen Lohn bekommen. Im Gegenteil: die Hoffnungen und Wünsche werden ein- ums anderemal frustiert.
Irgendwann, nach Jahren, kommt dann der Punkt, wo der Schüler auf dem Weg endlich aufgibt und seine
Selbstheit fallen lassen kann.
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Der Sinn ist immer strömend.
Aber er läuft in seinem Wirken doch nie über.
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Ein Abgrund ist er, wie der Ahn aller Dinge.
Er mildert ihre Schärfe.
Er löst ihre Wirrsale.
Er mäßigt ihren Glanz.
Er vereinigt sich mit ihrem Staub.
Tief ist er und doch wie wirklich.
Ich weiß nicht, wessen Sohn er ist.
Er scheint früher zu sein als Gott.
Das Leben steht nie still, auch wenn wir der Verstand glaubt, daß es nicht mehr weiter geht, der Sinn strömt
immer. Wie die Jahreszeiten sich ohne unser Zutun gestalten, so gestaltet sich das Leben in sich selber immer neu.
Aus dem Sinn kommt alles und es verschwindet auch wieder alles. Vom Verstand in der existentiellen Tiefe
unmöglich zu erfahren. Denn: der Verstand, das Ego, das Wünschen und Hoffen muß verschwinden im Abgrund
des Sinns. Aus der Sicht des Egos ist das Tao ein Abgrund, weil es alle Dinge, die er hervorbringt, immer wieder
vernichtet. Im Buddhismus ist Brahma der Gott der Erschaffung, Vishnu der der Erhaltung und Shiva der Gott der
Zerstörung. Genau diese Zyklen spricht Laotse mit seinen Metaphern an. Für das Denken nicht zu fassen. Die
eigentliche Kraft des Lebens, die alles hervorbringt und auch wieder verschwinden läßt.
5
Himmel und Erde sind nicht gütig.
Ihnen sind die Menschen wie stroherne Opferhunde.
Der Berufene ist nicht gütig.
Ihm sind die Menschen wie stroherne Opferhunde.
Der Zwischenraum zwischen Himmel und Erde
ist wie eine Flöte,
leer und fällt doch nicht zusammen;
bewegt kommt immer mehr daraus hervor.
Aber viele Worte erschöpfen sich daran.
Besser ist es, das Innere zu bewahren.
Hier spricht er es deutlich aus: Himmel und Erde sind nicht gütig. Die strohernen Opferhunde sind die Egos der
Menschen. Das Tao ist damit unbarmherzig, es kümmert sich darum nicht. Im Gegenteil, es zwingt den Menschen,
das Ego fallen zu lassen. Nur in unserem Weigern dies zu erkennen, schaffen wir uns selber Leid. Ein berufener
Meister ist für das Ego der Teufel. Er gibt ihm (aus Liebe) nichts. Er zeigt ihm immer und immer wieder sein
eigenes Gesicht: Gier, Berechnung, Zorn und Ungeduld. Alle diese Egoattribute kommen zum Vorschein, wenn das
Ego nicht mehr das bekommt, was es will. Nur das eigene Wollen ist die Ursache für alles Leid. Dies zu wissen
reicht noch lange nicht aus, um das Ego fallen lassen zu können. Nur im Erfahren und Durchfühlen, besteht die
Möglichkeit zum Erkennen und Verändern. Das Tao spielt mit dem Ego, wie auf einer Flöte. Für das Ego nicht zu
erkennen, sonst wäre es kein Spiel. Das Innere zu bewahren heißt, nichts mehr im Außen mehr für wert halten.
Doch Worte erschöpfen sich daran, den was das wirklich heißt, ist nur im Erleben erfahrbar, nicht zu verstehen.
6
Der Geist des Tals stirbt nicht,
das heißt das dunkle Weib.
Das Tor des dunklen Weibs,
das heißt die Wurzel von Himmel und Erde.
Ununterbrochen wie beharrend
wirkt es ohne Mühe.
Das Ego kann das Spiel des Taos nicht gewinnen. Was immer es unternimmt, es wird nie zur Ruhe kommen. Der
Geist des Tals ist wie der Abgrund, wie das Tor des dunklen Weibes.
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Der Himmel ist ewig und die Erde dauernd.
Sie sind dauernd und ewig,
weil sie nicht sich selber leben.
Deshalb können sie ewig leben.
Also auch der Berufene:
Er setzt sein Selbst hintan,
und sein Selbst kommt voran.
Er entäußert sich seines Selbst,
und sein Selbst bleibt erhalten.
Ist es nicht also:
Weil er nichts Eigenes will,
darum wird sein Eigenes vollendet?
Hier gibt er ganz klar das eigentliche Geheimnis preis: sich nicht selber leben, dann erscheint die Ewigkeit. Nichts
Eigenes wollen, und das Eigentliche kann durch kommen. Es muß noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden:
Das ist keine Anleitung zum ewigen Glück. Alles, was das Denken aufnimmt bleibt im Denken. Es ist vom Denken
überhaupt nicht zu verstehen, wovon hier die Rede ist. Es ist und bleibt Egoismus, auch wenn ich denke, nichts
eigenes mehr zu wollen. Einfach sagen, gut, ab sofort tue ich nichts mehr für mich: ich liebe meinen Nächsten,
leiste Nächstenliebe und so weiter. Es ist und bleibt Egoismus. Das Denken kann sich nicht selber leeren. Das ist
doch unmöglich. In der bedingungslosen Hingabe an einen lebenden Meister kann die Selbstlosigkeit möglich
werden. Bedingungslos heißt, was immer er sagt, ist richtig, was immer er anordent ist ohne weiteres Hinterfragen
auszuführen. Dann trennt sich schnell die Spreu vom Weizen. Dann erst zeigen sich die Zweifel im Denken. Wie
sollte es anders möglich sein?
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Höchste Güte ist wie das Wasser.
Des Wassers Güte ist es,
allen Wesen zu nützen ohne Streit.
Es weilt an Orten, die alle Menschen verachten.
Drum steht es nahe dem SINN.
Beim Wohnen zeigt sich die Güte an dem Platze.
Beim Denken zeigt sich die Güte in der Tiefe.
Beim Schenken zeigt sich die Güte in der Liebe.
Beim Reden zeigt sich die Güte in der Wahrheit.
Beim Walten zeigt sich die Güte in der Ordnung.
Beim Wirken zeigt sich die Güte in der rechten Zeit.
Wer sich nicht selbst behauptet,
bleibt eben dadurch frei von Tadel.
Es weilt an Orten, die alle Menschen verachten. In ihrem Ego. Natürlich erscheinen diese Dinge dem Verstand als
absoluter Unsinn. Natürlich kann der Verstand nicht sehen, daß hinter ihm eine wirklich Kraft und Intelligenz sich
verbirgt. Er steht dem Erkennen doch im Wege. Einem Menschen, der sich auf diesen Weg einläßt, begegnen auf
Schritt und Tritt, Demütigungen, Unverständis und Ablehnung. Das Ego muß doch einen Weg ablehnen, der ihm
selbst nichts, aber wirklich überhaupt nichts einbringt. Im Gegenteil, der ihm nur Unbehagen einbringt. Wenn der
Meister sagt, gib mir all dein Geld, ich möchte mir gerne fünf goldene Uhren kaufen, dafür darfst bei mir im Hause
umsonst die Toiletten sauber machen und mein Bett machen. Das muß schon ein seltsames Ego sein, daß dann
noch fröhlich ja sagen kann. Mehr noch, ich werde dich von früh bis spät kritisieren, und schlafen darfst du auch
nur ganz wenig.
Die Güte zeigt sich in der Tiefe des Denkens. Ja, denkt das Denken, ich denke ab sofort tief. Das ist doch
Schwachsinn. Die „Tiefe des Denkens“ zeigt sich nur, wenn es in Grenzsituationen gebracht wird und zwar solche,
die das Denken gar nicht für möglich hält. Dann zeigt sich die wirkliche Tiefe. Aber die will das Denken gar nicht
sehen. Denn dann muß es sich in seiner Negativität, in seiner Häßlichkeit sehen.
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Die Güte in der Liebe besteht aus Buchstaben. Das Denken gibt ihnen lediglich eine assoziierte Bedeutung. Was
Liebe wirklich ist, wird es niemals verstehen können. Ist sie doch jenseits des Denkens. Die Egoliebe basiert auf
dem Gesetz von Geben und Nehmen, auf Berechnung und Manipulation. Diese Liebe ist lediglich Falschgeld.
Jemanden zu lieben, obwohl er einen permanent ablehnt, obwohl er nur nimmt, das ist sehr sehr schwer. Vom
Denken aus betrachtet unmöglich. Das Denken kann niemals selbstlos sein, es kann nur fordern.
Das Reden in der Güte der Wahrheit! Die meisten Menschen lügen. Wir sind nur daraus aus, in unserer
neurotischen Struktur bestätigt zu werden. Wer will die Wahrheit den hören? Die meisten Propheten wurden von
den Menschen deswegen umgebracht oder weggejagt.
Das Walten in der Güte der Ordnung ist nur aus dem SINN möglich. Die innere Stimme des TAO`s wird Dinge
verlangen, bei denen das Denken Panik überfällt. Sie könnte zum Beispiel wie bei Abraham von dir verlangen, den
eigenen Sohn zu morden. Oder, daß du sofort ohne einen Pfennig Geld mitzunehmen deine Kinder und deine Frau
verlassen sollst. Dann sollst du aber nicht mehr an der Ordnung der Dinge zweifeln, sondern sie demütig
anerkennen.
Das Wirken in der Güte der rechten Zeit bedeutet, das du zum Beispiel monatelang die Wohnung nur zum
Einkaufen der Lebensmittel verlassen darfst. Oder, daß du sofort all dein Geld für den Kauf eines teuren Autos
verwenden sollst. Oder, daß du von morgens bis abends jeden Tag nur Küchendienst zu verrichten hast. Das
Denken wird schnell an dieser Auslegung der Dinge zu zweifeln beginnen. Aber die Dinge sind nun einmals so wie
sie sind.
Wer sich nicht selbst behauptet, bleibt eben dadurch frei von Tadel!
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Etwas festhalten wollen und dabei es überfüllen:
das lohnt der Mühe nicht.
Etwas handhaben wollen und dabei es immer scharf halten:
das läßt sich nicht lange bewahren.
Mit Gold und Edelsteinen gefüllten Saal
kann niemand beschützen.
Reich und vornehm und dazu hochmütig sein:
das zieht von selbst das Unglück herbei.
Ist das Werk vollbracht, dann sich zurückziehen:
das ist des Himmels SINN.
Ego, Gier und Stolz lassen sich nicht trennen. Es kann nur in der Selbstbestimmung und im Mehr existieren. Wie
ein Magnet zieht das Ego die Dinge an sich ohne jemals zu Zufriedenheit zu gelangen. Dabei muß es seinen Besitz
dauernd beschützen. Ohne Kampf kann kein Ego auf die Dauer leben. Ohne das es das will, muß es dauernd in
Sorge und Angst leben. Sie sind ihm so natürlich geworden, daß es sich es anders gar nicht vorstellen kann.
Kommt jemand und sagt, ach, das lohnt der Mühe nicht, so wird er als realitätsfremd bezeichnet.
Nichts mehr wollen, an nichts mehr festhalten, was gibt es dann noch zu verteidigen. Damit ist mehr als eine
Lebenshaltung gemeint. Das Ego kann nur in der Selbstbestimmung leben, der SINN ist. Seiendes kann niemand
wegnehmen. Das Seiende kann nur nach dem Ego-Tod, dem psychischen Selbstmord hervorkommen.
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Kannst du deine Seele bilden, daß sie das Eine umfängt,
ohne sich zu zerstreuen?
Kannst du deine Kraft einheitlich machen
und die Weichheit erreichen,
daß du wie ein Kindlein wirst?
Kannst du dein geheimes Schauen so reinigen,
daß es frei von Flecken wird?
Kannst du die Menschen lieben und den Staat lenken,
daß du ohne Wissen bleibst?
Kannst du, wenn des Himmels Pforten
sich öffnen und schließen,
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wie ein Henne sein?
Kannst du mit deiner inneren Klarheit und Reinheit
alles durchdringen, ohne des Handelns zu bedürfen?
Erzeugen und ernähren,
erzeugen und nicht besitzen,
wirken und nicht behalten,
mehren und nicht beherrschen:
das ist geheimes LEBEN.
Menschliches Können ist die eine Sache, lebendes SEIN ist die andere. Der Verstand meint ohne Handeln ins
verderbende Nichts zu gelangen. Aus seiner Sicht ist das so. Das SEIN kann erst nach der Bankrotterklärung des
Egos zum Vorschein kommen. Doch:
Niemand kann seine Seele bilden, sie ist.
Niemand kann seine Kraft einheitlich machen, sie ist.
Niemand kann seine Weichheit und Kindlichkeit machen, sie ist.
Niemand kann sein geheimes Schauen reinigen, es existiert.
Niemand kann mit seinen planenden Gedanken die Menschen lieben, sie ist.
Niemand kann seine Gelassenheit im Denken erreichen, sie kommt.
Niemand kann im denkenden Handeln das Nichthandeln erreichen, es kommt.
Geheimes LEBEN ist: es gibt die Realität des Leidens, aber auch die verborgene Harmonie.
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Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:
In ihrem Nichts besteht des Wagens Werk.
Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen:
In ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk.
Man gräbt Türen und Fenster, damit die Kammer werde:
In ihrem Nichts besteht der Kammer Werk.
Darum: Was ist, dient zum Besitz.
Was nicht ist, dient zum Werk.
Niemand kann den Tod durch seinen Verstand verstehen. Alle Menschen fürchten den Tod. In Wahrheit geht es
um nichts anderes! Alle haben Angst vor dem Nichts. In Wahrheit geht es um nichts anderes! Das Leben, so wie
die allermeisten Menschen es leben und betrachten, ist eine Illusion. Es kann nur im besitzenden Kampf existieren.
Nichts anderes ist möglich. Die Lucke durch die LEBEN möglich wird ist, wenn der Denker aufhört zu existieren.
Der Denker glaubt alles zu können und in Wahrheit vermag er nichts. Er kann nur sich selbst sehen, nichts
anderes. In den Augen eines Sehenden ist er nichts anderes als lächerlich, absolut lächerlich. Er gleicht einem
Kind, das mit einer Spielzeugeisenbahn spielt. Mag er sich noch für so wichtig halten, er ist nichts anderes als
lächerlich. In den Augen eines Denkenden, erscheint ein Berufener lächerlich. Das kann gar nicht anders sein. Was
er aber nicht weiß ist, daß er durch seine urteilenden Gedanken sich selber das Urteil spricht. Der Berufene denkt
nicht mehr, er urteilt nicht mehr, er sieht.
Nichts kann nicht entstehen. Es kann nur sichtbar werden. Und die Demütigung ist eines der wirkungsvollsten
Werkzeuge dazu. Denkender Stolz ist die eine Seite, demütigende Erfahrungen sind die andere. Alle hassen
Demütigungen. Warum? Kein denkender Stolz kann darin bestehen, er wird in seine eigentliche Hilflosigkeit
gestoßen. Es erscheint ihm als Gewalt, kann aber nicht sehen, daß es seine eigene Gewalt ist. Nichts ist nicht so
einfach zu erreichen!
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Die fünferlei Farben machen der Menschen Augen blind.
Die fünferlei Töne machen der Menschen Ohren taub.
Die fünferlei Würzen machen der Menschen Gaumen schal.
Rennen und Jagen machen der Menschen Herzen toll.
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Seltene Güter machen der Menschen Wandel wirr.
Darum wirkt der Berufene für den Leib und nicht fürs Auge.
Er entfernt das andere und nimmt dieses.
Es geht um den Körper nicht um das Denken. Es geht um das Innen und nicht um das Außen. Man stelle sich vor,
nichts mehr für sein Ego zu bekommen. Immer wieder auf sich selbst zurück geworfen zu werden. Doch wie soll
man sonst aus seiner Blindheit, Taubheit, Schalheit, Toll- und Wirrheit erwachen? Wie? Den Blickwinkel
verändern: nicht nach außen, nach innen. Gut, sagt das Denken, nun blicke ich nach innen. Das ist doch nach wie
vor dieselbe Blindheit, die nun erwachen will. Nein, so geht es nicht. Es ist eine unheimliche Anstrengung von
nöten, damit sich diese Umkehr ermöglichen läßt.
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Gnade ist beschämend wie ein Schreck.
Ehre ist ein großes Übel wie die Person.
Was heißt das: „Gnade ist beschämend wie ein Schreck?“
Gnade ist etwas Minderwertiges.
Man erlangt sie und ist wie erschrocken.
Man verliert sie und ist wie erschrocken.
Das heißt: „Gnade ist beschämend wie ein Schreck“:
Was heißt das: „Ehre ist ein großes Übel wie die Person?“
Der Grund, warum ich große Übel erfahre, ist,
daß ich eine Person habe.
Habe ich keine Person,
was für Übel könnte ich dann erfahren?
Darum: Wer in seiner Person die Welt ehrt,
dem kann man wohl die Welt anvertrauen.
Wer in seiner Person die Welt liebt,
dem kann man wohl die Welt übergeben.
Wer will wirklich seine Person verlieren? Es ist doch das, was wir als Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein
bezeichnen! Wir wünschen uns doch Verständnis, wir wünschen uns Anerkennung. Die Welt nicht ehren, von der
Welt nicht geehrt werden. Wie leichtfertig läßt sich solch ein Satz sagen und denken. Meist steckt nur ein
Zurückziehen aus Angst vor Ablehnung dahinter. Kein wahrhaft Berufener ist jemals von der Welt verstanden
worden. Sie sind verrückt in den Augen der Welt. Diese Ablehnung zu erfahren und zu fühlen ist etwas enorm
Großes und Schwieriges. Den Stolz der Menschen zu sehen, die Besserwisserei und Ignoranz der Leute zu erfahren
ist schwer auszuhalten. Nur, wenn man keine Person mehr hat, ist das zu ertragen. Aus dieser Sicht ist Gnade
natürlich wie ein Schreck: wie ein Wolf verkleidet in einem Schafspelz. Ehre verkehrt die Lage der Dinge. Wie
sollte ein Nichts geehrt werden können?! Der SINN ist das Nichts. Die Person ist das Zuviel.
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Man schaut nach ihm und sieht es nicht:
Sein Name ist Keim.
Man horcht nach ihm und hört es nicht:
Sein Name ist Fein.
Man faßt nach ihm und fühlt es nicht:
Sein Name ist Klein.
Diese drei kann man nicht trennen,
darum bilden sie vermischt Eines.
Sein Oberes ist nicht licht,
sein Unteres ist nicht dunkel.
Ununterbrochen quellend,
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kann man es nicht nennen.
Er kehrt wieder zurück zum Nichtwesen.
Das heißt die gestaltlose Gestalt,
das dinglose Bild.
Das heißt das dunkle Chaotische.
Ihm entgegengehend sieht man nicht sein Antlitz,
ihm folgend sieht man nicht seine Rückseite.
Wenn man festhält den SINN des Altertums,
um zu beherrschen das Sein von heute,
so kann man den alten Anfang wissen.
Das heißt des SINNS durchgehender Faden.
Es ist unmöglich mit seiner Person, mit seinem Denken und Sinnen den SINN auszumachen. Man muß zum
Nichtwesen geworden sein, um wieder Eines zu erfahren. Für den Verstand sind die kosmischen Gesetze nicht zu
verstehen, sie sind ihm chaotisch. Es gibt keinen Verstandesweg zurück zum Nichtwesen, es ist ein Nichtsweg. Nur
im Verleugnen seines Verstandes, durch Handlungen gegen seinen Verstand kann man dahin gelangen. Ich muß
etwas gegen meine eigene Überzeugung tun, um zur Nichtsheit zu gelangen. Das muß ich nicht nur einige male
tun, sondern dauernd. Des SINN`s durchgehender Faden ist nichts anderes als dem Moment des Tao`s zu folgen.
Egal, was und wie er auch sein mag, ich akzeptiere des Lebens SINN.
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Die vor alters tüchtig waren als Meister,
waren im Verborgenen eins mit den unsichtbaren Kräften.
Tief waren sie, so daß man sie nicht kennen kann.
Weil man sie nicht kennen kann,
darum kann man nur mit Mühe ihr Äußeres beschreiben.
Zögernd, wie wer im Winter einen Fluß durchschreitet,
vorsichtig, wie wer von allen Seiten Nachbarn fürchtet,
zurückhaltend wie Gäste,
vergehend wie Eis, das am Schmelzen ist,
einfach, wie unbearbeiteter Stoff,
weit waren sie, wie das Tal,
undurchsichtig waren sie, wie das Trübe.
Wer kann (wie sie) das Trübe durch Stille allmählich klären?
Wer kann (wie sie) die Ruhe
durch Dauer allmählich erzeugen?
Wer diesen SINN bewahrt,
begehrt nicht Fülle.
Denn nur weil er keine Fülle hat,
darum kann er gering sein,
das Neue meiden
und die Vollendung erreichen.
Das Wirken der Meister muß im Verborgenen sein. Sie sind in dem Raum jenseits des Verstandes. Man kann sie
nicht kennen. Sie wissen, daß sie ein Feind des Verstandes sind.
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Schaffe Leere bis zum Höchsten!
Wahre die Stille bis zum Völligsten!
Alle Dinge mögen sich dann zugleich erheben.
Ich schaue, wie sie sich wenden.
Die Dinge in all ihrer Menge,
ein jedes kehrt zurück zu seiner Wurzel.
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Rückkehr zur Wurzel heißt Stille.
Stille heißt Wendung zum Schicksal.
Wendung zum Schicksal heißt Ewigkeit.
Erkenntnis der Ewigkeit heißt Klarheit.
Erkennt man das Ewige nicht,
so kommt man in Wirrnis und Sünde.
Erkennt man das Ewige,
so wird man duldsam.
Duldsamkeit führt zur Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit führt zur Herrschaft.
Herrschaft führt zum Himmel.
Himmel führt zum SINN.
SINN führt zur Dauer.
Sein Leben lang kommt man nicht in Gefahr.
Die Leere ist das völlige Verschwinden des Ich-Bewußtsein. Sie ist der psychische Tod. Die Stille läßt sich nicht
herstellen. Sie ist nicht die gemachte Stille. Mit Stille ist der Stillstand der Gedanken gemeint. Sie entsteht einfach,
indem ich mich von meinem Verstand entferne. Nur im Handeln gegen den Verstand kann sie zu Beginn höchstens
für Minuten entstehen. Zen-Mönche sitzen 10 - 15 Jahre in strenger Disziplin auf einem Kissen. Dadurch wird der
Stolz gebrochen. Dadurch wird das „Ich-will-was-ich-will“ auf stärkste bearbeitet. Das Koan-Lösen ist nichts
anderes, als daß der Verstand einsehen muß, daß es so nicht lösbar ist. Bis das das Jenseitige durchbricht. Erst nach
dem Erleben tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit kann das Aufgeben der eigenen Machbarkeit geschehen.
Erst wenn man derart in der Sackgasse des Lebens sich befindet, und man nur mehr die Wahl zwischen Selbstmord
oder Aufgabe des eigenen Willens hat, kann die Wendung zum Schicksal stattfinden.
Dann hat man keine eigene Wahl mehr.
Man ist zum Gefangenen des SINN`s geworden.
Zum Ausführenden des SINN`s.
Das heißt: Wahre Stille bis zum Völligsten.
Dann sind die Dinge zu ihrer Wurzel zurückgekehrt.
Wendung zum Schicksal heißt Wahllosigkeit.
Wahllosigkeit heißt Klarheit.
Klarheit heißt die Ordnung der Dinge sehen.
Die Ordnung der Dinge sehen,
heißt das Eigene ist nicht mehr,
dann ist Zeitlosigkeit,
dann ist nichts mehr wichtig im Äußeren,
dann ist die Duldsamkeit möglich geworden,
weil man den Grund der Dinge sehen kann.
Doch erst im Aufgeben aller Dinge
ist das möglich.
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Herrscht ein ganz Großer,
so weiß das Volk kaum, daß er da ist.
Mindere werden geliebt und gelobt,
noch Mindere werden gefürchtet,
noch Mindere werden verachtet.
Wie überlegt muß man sein in seinen Worten!
Die Werke sind vollbracht, die Geschäfte gehen ihren Lauf,
und die Leute denken alle:
„Wir sind frei.“
Noch Mindere werden verachtet.
Das heißt: Herrscht ein ganz Großer,
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so weiß das Volk kaum, daß er da ist.
Doch kaum jemand will freiwillig Verachtung auf sich nehmen. Alle denken, daß das Schlimmste ist, was einem
passieren kann. Ich sage: das muß passieren, damit man zu einem Nichts wird. Die Leute denken alle: „Wir sind
frei.“ Sie denken es. Freiheit vom äußeren Verhalten ist nur durch Demütigung und Verachtung möglich. Das
heißt, nichts mehr wertzuschätzen. Wie soll man sonst dahin kommen? Was ist den größer: das Mindere oder das
Nichts? Man muß total bewußt in seinen Handlungen sein. Das ist nur möglich, wenn Handelnde nicht mehr ist.
Sonst ist immer noch ein Stück Ich-Bewußtsein vorhanden. Der Handelnde identifiziert sich mit seinen
Handlungen und ist nicht vollständig frei und somit ist keine totale Beobachtung möglich. Was heißt aber
Identifizierung? Das heißt, daß ein Großer Handelnder alle Handlungen, die das Tao von ihm verlangt auch
ausführen kann, ohne daß er sich damit identifiziert. Er ist nicht mehr beeinflußbar, nicht mehr manipulierbar
durch andere. Er kann in den Augen der anderen einen Narren spielen, so daß ihn alle verspotten. Er kann einen
Helden spielen, ohne daß er dadurch Stolz empfindet. Er kann im Nichtstun verharren, ohne daß er Ungeduld
empfindet. Wahre Freiheit ist nur im Verschwundensein der Ich-Person möglich.
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Geht der große SINN zugrunde,
so gibt es Sittlichkeit und Pflicht.
Kommen Klugheit und Wissen auf,
so gibt es die großen Lügen.
Werden die Verwandten uneins,
so gibt es Kindespflicht und Liebe.
Geraten die Staaten in Verwirrung,
so gibt es die treuen Beamten.
Geht der große SINN zugrunde, sind die Menschen in ihrem Verstand verhaftet, so bestimmt das Denken das Tun.
Dann werden Gesetze und Normen aufgestellt. Die hochgelobte Tugend, die vielgepriesene Pflicht sind nichts
anderes pure Ausübung von Gewalt. Klugheit und Wissen sind nicht anderes als Eitelkeit und Lüge. In den Augen
eines Berufenen. Die Verwandten werden uneins, da jeder nur mehr sich selber in seinem Denken sehen kann.
Dadurch geraten die Staaten in Verwirrung, und treuen Beamten funktionieren nur nach äußeren Gesetzen. Das
schlimme dabei ist: niemand merkt es mehr. Dabei wird es immer schlimmer und schlimmer, doch keiner merkt es.
Jeder Versuch durch Denken und denkendes Handeln den SINN wieder ins Bewußtsein zu rücken, vergrößert in
Wirklichkeit den Abstand zum SINN. Wer will den diese Tatsache schon wahrhaben? Dabei kann es gar nicht
anders sein. Da jede Handlung aus dem Denken eine entsprechende Folge hat, die einem Ausgleich bedarf,
vermehren sich die auszugleichenden Situationen. Wer ist den bereit, den Weg zurück zu gehen. Das erscheint dem
Denken doch als Abstieg. Wer ist den bereit wirklich weniger, statt mehr zu werden. Wer ist den bereit, sich selber
in seiner Häßlichkeit zu sehen?
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Tut ab die Heiligkeit, werft weg das Wissen,
so wird das Volk hundertfach gewinnen.
Tut ab die Sittlichkeit, werft weg die Pflicht,
so wird das Volk zurückkehren zu Kindespflicht und Liebe.
Tut ab die Geschicklichkeit, werft weg den Gewinn,
so wird es Diebe und Räuber nicht mehr geben.
In diesen drei Stücken
ist der schöne Schein nicht ausreichend.
Darum sorgt, daß die Menschen sich an etwas halten können.
Zeigt Einfachheit, haltet fest die Lauterkeit!
Mindert die Selbstsucht, verringert die Begierden!
gebt auf die Gelehrsamkeit!
So werdet ihr frei von Sorgen.
Der Verstand, das Ego will immer etwas. Immer. Er kann gar nicht anders existieren. Es ist völlig egal, welche
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Maske sich das Ego auch aufsetzt, es ist und bleibt Gier. Es kann die Gier nach Liebe sein. Ganz gleich wie sie sich
gibt, es bleibt Gier. Es kann die Gier nach Bessersein sein. Es bleibt lediglich der Wunsch. Doch genau um das
Gegenteil geht es: um das Weniger. Kein gedachtes Weniger. Es geht um die Aufgabe des eigenen Willens. Nicht
heilig sein wollen, nichts wissen wollen, keine Sittlichkeit und keine Pflicht. Nichts wollen, keinen Gewinn und
keine Geschicklichkeit. Was soll einem dann noch gewonnen werden können? Das ist doch der Schlüssel! Nur wer
etwas zu beschützen hat, dem kann genommen werden. Der Schlüssel ist das eigene Wollen. Sich dem Augenblick
des Lebens anvertrauen. Was so einfach sich ausdrücken läßt, ist sehr schwer zu leben. Wir lieben unsere Sorgen.
Wer nehmen unsere Sorgen sehr wichtig. Doch das Volk der Gedanken wird hundertfach gewinnen, wenn wir
nicht mehr gewinnen wollen.
Der Verstand will immer alles richtig machen. Dabei macht er alles falsch. Das will er aber nicht hören, und doch
ist es so. Wenn du in allen deinen Handlungen kritisiert wirst, egal, ob du es nun richtig oder falsch machst, dann
kommst du irgendwann schmerzlich an den Punkt, wo du diese begrenzte Sichtweise aufgibts. Du machst einfach,
was du aus deinem Inneren machen willst. Es wird irgendwann gleichgültig sein, was der andere darüber denkt, ob
du einen Gewinn durch deine Handlungen machst oder nicht. Du handelst einfach aus lauterem Herzen. Doch: nur
dann, wenn du wirklich zu der tiefen Einsicht gekommen bist, das alle Handlungen aus deinem berechnendem
Verstand in Wirklichkeit gegen dich und deine Seele gerichtet sind. Warum sorgenvoll um seiner Selbst und seinen
Begierden kämpfen? Du wirst irgendwann sowieso alles, wirklich alles verlieren, spätestens mit deinem Tod.
Klüger ist es doch, die verkeideten Segnungen des SINN`s, den MInderungen der Selbstsucht anzunehmen und zu
akzeptieren. Es passiert nichts, aber wirklich überhaupt nichts gegen den SINN. Da nun sowieso alles aus dem
SINN kommt und wieder zu ihm zurückgeht, ist es doch besser mit ihm zu gehen, ohne eigene Wahl, ohne eigenen
Willen.
20
Zwischen „Gewiß“ und „Jawohl“:
was ist da für ein Unterschied?
Zwischen „Gut“ und „Böse“:
was ist da für ein Unterschied?
Was die Menschen ehren, muß man ehren.
O Einsamkeit, wie lange dauerst Du?
Alle Menschen sind so strahlend,
als ginge es zum großen Opfer,
als stiegen sie im Frühling auf die Türme.
Nur ich bin so zögernd, mir ward noch kein Zeichen,
wie ein Säugling, der noch nicht lachen kann,
unruhig, umgetrieben, als hätte ich keine Heimat.
Alle Menschen haben Überfluß;
nur ich bin wie vergessen.
Ich habe das Herz eines Toren, so wirr und dunkel.
Die Weltmenschen sind hell, ach so hell;
nur ich bin wie trübe.
Die Weltmenschen sind klug, ach so klug;
nur ich bin wie verschlossen in mir,
unruhig, ach, als wie das Meer,
wirbelnd, ach, ohn Unterlaß.
Alle Menschen haben ihre Zwecke;
nur ich bin müßig wie ein Bettler.
Ich allein bin anders als die Menschen:
Doch ich halte es wert,
Nahrung zu suchen bei der Mutter.
Die intellektuelle Erkenntnis ist ohne Wert. Das Bejahen durch das Denken ist wertlos. Man muß die Unsicherheit,
das Nichtwissen durchleben und durchfühlen, dann weiß man nicht mehr, was ist gut, was ist böse. Dann fühlt man
die dunkle Einsamkeit. Die Isolation von der Welt, das Anderssein. Die Welt weiß, woran sie sich halten muß, sie
ist voller Hoffnung und Pläne. Das Durchleben der Dunkelheit, bei dem das Denken immer und immer wieder
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einen umhertreibt, und der SINN sich nicht zeigt, läßt ein ums anderemal die Zweifel nagend ins Bewußtsein
kommen. Nichts kann helfen, es gibt keine Zeichen, man ist wie wie vergessen auf sich selber zurückgeworfen. Die
Welt kann keine Hilfe geben. Wie sollte sie? Die Weltmenschen verfolgen alle ihre Ziele. In ihren Augen fühlt sich
dieser Mensch als Tor. Immer wieder kommt er zu dem Ergebnis, daß alle Mühe, alles Streben umsonst ist. Ist es ja
auch. Nur, das Fühlen als Nichts, als Niemand wirbelt ihn an die Abgründe seines Seins. Wozu überhaupt noch
leben? Ist nicht doch alles letztendlich umsonst? Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Irgendwann stellt sich nur
mehr eine einzige Frage: Sterben oder das Aufgeben des eigenen Willens! Dann gibt die Mutter die Nahrung des
Lebens.
21
Des großen LEBENS Inhalt
folgt ganz dem SINN.
Der SINN bewirkt die Dinge
so chaotisch, so dunkel.
Chaotisch, dunkel
sind in ihm die Bilder.
Dunkel, chaotisch
sind in ihm die Dinge.
Unergründlich finster
ist in ihm Same.
Dieser Same ist ganz wahr.
In ihm ist Zuverlässigkeit.
Von alters bis heute
sind die Namen nicht zu entbehren,
um zu überschauen alle Dinge.
Woher weiß ich aller Dinge Art?
Eben durch sie.
Das LEBEN, der SINN spielt selbst dieses chaotisch erscheinende Spiel. Wie sollte es da einen Ausweg geben? Es
gibt keinen Ausweg, da wir alle im Spiel des LEBENS sind. Doch erkennen können wir das nur, wenn wir die tiefe
Verzweiflung, die tiefste Hilflosigkeit, die ein Mensch überhaupt in der Lage ist zu erleben, in uns gefühlt haben.
Dann kann die Einsicht in die eigene Hilflosigkeit, das Aufgeben des Bestimmenwollen des eigenen Lebens
geschehen. Dann liefert man sich dem Leben ohne wenn und aber aus. Dann kann und muß man erkennen, daß wir
noch nie eine Wahl hatten. Die Art der Dinge kann nur das LEBEN offenbaren. Dieser Same ist die wahre
Zuverlässigkeit!
22
Was halb ist, wird ganz werden.
Was krumm ist, wird gerade werden.
Was leer ist, wird voll werden.
Was alt ist, wird neu werden.
Wer wenig hat, wird bekommen.
Wer viel hat, wird benommen.
Also auch der Berufene:
Er umfaßt das Eine
und ist der Welt Vorbild.
Er will nicht selber scheinen,
darum wird er erleuchtet.
Er will nichts selber sein,
darum wird er herrlich.
Er rühmt sich selber nicht,
darum vollbringt er Werke.
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Er tut sich nicht selber hervor,
darum wird er erhoben.
Denn wer nicht streitet,
mit dem kann niemand auf der Welt streiten.
Was die Alten gesagt: „Was halb ist, soll voll werden“,
ist fürwahr kein leeres Wort.
Alle wahre Vollkommenheit ist darunter befaßt.
Folgt man dem SINN, so ordnet sich alles durch sich selbst.
Die Dinge sind halb,
weil das Denken sie so gemacht hat.
Die Dinge sind krumm,
weil der Verstand sie gekrümmt hat.
Die Dinge sind leer,
weil die Gier sie geleert hat.
Die Dinge sind alt,
weil das Ego nur sich selber lebt.
Die Dinge sind wenig,
weil das Wünschen sie vermindert hat.
Alles, was genommen,
macht benommen.
Nichts eigenes wollen, nichts sein wollen, nichts wünschen wollen und alles ist. Er tut im Nichtstun alle Werke.
23
Macht selten die Worte,
dann geht alles von selbst.
Ein Wirbelsturm dauert keinen Morgen lang.
Ein Platzregen dauert keinen Tag.
Und wer wirkt diese?
Himmel und Erde.
Was nun selbst Himmel und Erde nicht dauernd vermögen,
wieviel weniger kann das der Mensch?
Darum: Wenn du an dein Werk gehst mit dem SINN,
so wirst du mit denen, so den SINN haben, eins im SINN,
mit denen, so das LEBEN haben, eins im LEBEN,
auch freudig entgegen.
Bist du eins mit ihnen in ihrer Armut,
so kommen dir die, so da arm sind, auch freudig entgegen.
Wo aber der Glaube nicht stark genug ist,
da findet man keinen Glauben.
Himmel und Erde folgen ihren eigenen Gesetzen. Es geschieht einfach. Wie sollte der Mensch dieses Geschehen
auch im Mindesten beeinflussen können. Diese Erkenntnis ist jedoch nichts, aber auch überhaupt nichts wert. Wie
sollte sie auch!? Es sind lediglich Worte, die das Denken für sich selber gebraucht. Der einzige Sinn des LEBENS
ist, den UNSINN zu erkennen. Im Erkennen des UNSINNS des Denkens liegt der SINN des LEBENS. In diesem
Kampf liegen alle Erscheinungen der Welt. Dieser Kampf macht den Sinn der Welt aus. In diesem Kampf liegt das
Geheimnis des Todes verborgen.
Wer an nichts mehr festhält, der ist arm in den Augen der Welt. Wer an das Verrückte glaubt, gewinnt alles. Der
Verstand kann aber nicht an das Verrückte glauben. Er kann immer nur sich selbst sehen. Der Verstand muß
verschwinden.
24
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Wer auf den Zehen steht,
steht nicht fest.
Wer mit gespreizten Beinen geht,
kommt nicht voran.
Wer selber scheinen will,
wird nicht erleuchtet.
Wer selber etwas sein will,
wird nicht herrlich.
Wer selber sich rühmt,
vollbringt nicht Werke.
Wer selber sich hervortut,
wird nicht erhoben.
Er ist für den SINN wie Küchenabfall und Eiterbeule.
Und auch die Geschöpfe alle hassen ihn.
Darum: Wer den SINN hat,
weilt nicht dabei.
Der Stolz will immer mehr sein als er ist. Warum? Weil er sich minderwertig fühlt. Der stolze Mensch steht immer
auf Zehenspitzen. Permanent muß er sich anstrengen. Er muß immer psychisch aktiv sein, ohne je Sicherheit zu
bekommen. Er geht mit gespreizten Beinen, und kann nicht sehen, welch eine lächerliche Figur er abgibt. Wer
selber scheinen will, wird nicht erleuchtet. Das Licht hat keinen Platz. Doch das Licht braucht keinen Platz: es ist.
Nur der Blinde kann nicht sehen. Der stolze Mensch bedarf immer der Bestätigung. Er muß sich stets selber
beweisen, indem er die Anerkennung der anderen fordert. Welch eine Größe hat der SINN, daß er als Nichts sich
zeigt.
Wer den SINN hat, weilt nicht dabei. Er lebt in dem ewigen Moment. Es gibt keine Wahl mehr, es gibt kein
Wünschen mehr. Es gibt nur den Moment. Ganz gleich, was der Moment ist, der in dem SINN lebt, tut nichts mehr
aus sich selber heraus, nur das, was der Moment ihm vorgibt. Sei es, was es will. Das Gefühl einer eigenen
Persönlichkeit existiert nicht mehr. Die Person kann nicht machen, das sie nicht mehr existiert. Er kann sich noch
sehr auf seine Zehenspitzen stellen, es ist unmöglich. Darüber philosophieren ist einfach, es zu leben ist fast
unmöglich. Es braucht ungeheuren Mut, sich selber zu vernichten. Alles aufzugeben, was einem ausmacht.
25
Es gibt ein Ding, das ist unterschiedslos vollendet.
Bevor der Himmel und die Erde waren, ist es schon da,
so still, so einsam.
Allein steht es und ändert sich nicht.
Im Kreis läuft es und gefährdet sich nicht.
Man kann es nennen die Mutter der Welt.
Ich weiß nicht seinen Namen.
Ich bezeichne es als SINN.
Mühsam einen Namen ihm gebend,
nenne ich es: groß.
Groß, das heißt immer bewegt.
Immer bewegt, das heißt ferne.
Ferne, das heißt zurückkehrend.
So ist der SINN groß, der Himmel groß, die Erde groß,
und auch der Mensch ist groß.
Vier Große gibt es im Raume,
und der Mensch ist auch darunter.
Der Mensch richtet sich nach der Erde.
Die Erde richtet sich nach dem Himmel.
Der Himmel richtet sich nach dem SINN.
Der SINN richtet sich nach sich selber.
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Das unterschiedslose Dinge ist einsam und allein. Wenn das aber so ist, so ist es der Berufene auch. Wie sollte es
nicht so sein, da er nichts hat, woran er sich halten könnte?! Das Eine kann nur in Einem existieren, Zwei haben
keinen Platz. Es läuft im Kreis, und ist immer bewegt und ferne. Ferne heißt, zurückkehrend. Zurückkehrend heißt,
die Zwei aufgeben. Wie kann die Zwei sich aufgeben? Eines muß verschwinden. Verschwinden kann es nur durch
das EINE. Die Zwei richten sich nach der Erde, die Erde richtet sich nach dem EINEN und das richtet sich nach
sich selbst. Das ist aber nur pure Philosophie. Wertlos! Es sind nur Worte. Wer über die Worte gelangen will, muß
die Stille erlangen. Die Stille erlangt, wer der Unruhe Herr wird. Der Unruhe Herr wird, wer seine Gefühle fühlen
will. Seine Gefühle fühlen will, wer sich selber erkennen will.
26
Das Gewichtige ist des Leichten Wurzel.
Die Stille ist der Unruhe Herr.
Also auch der Berufene:
Er wandert den ganzen Tag,
ohne sich vom schweren Gepäck zu trennen.
Mag er auch alle Herrlichkeiten vor Augen haben:
Er weilt zufrieden in seiner Einsamkeit.
Wieviel weniger erst darf der Herr des Reiches
in seiner Person den Erdkreis leicht nehmen!
Durch Leichtnehmen verliert man die Wurzel.
Durch Unruhe verliert man die Herrschaft.
Der Berufene wandert den ganzen Tag, ohne sich vom schweren Gepäck zu trennen. Das schwere Gepäck sind die
Herrlichkeiten der Welt. Er will sie nicht, er bleibt in seiner EINsamkeit. Doch er ist keiner, der die Welt
verleugnet und vor ihr flieht. Das wäre nur ein Leichtnehmen der Dinge. Er würde in der Unruhe bleiben. Durch
Unruhe verliert man die Herrschaft. Er stellt sich seiner Unruhe. Er fühlt alles, woran er hängt.
Selbst wenn du alle Dinge weggeben würdest, hättest du noch nichts gewonnen. Du mußt schon mit deinem Herzen
fühlen, was es bedeutet, es wegzugeben. Doch das ist noch keine Anweisung, wie du deine Unruhe verlieren kannst.
Du mußt dich jemandem anvertrauen. Er nimmt dir die Dinge, er fordert von dir die Dinge, er nährt deinen
Zweifel, ob du ihm wirklich vertrauen kannst. So verhalten sich die Dinge in Wirklichkeit. Denn wenn du Zweifel
hegst, so sind dir die Dinge noch wichtig. Du darfst kein Geschäft damit machen, sonst ist es nichts wert. Du mußt
sie wirklich geben. Alle, du kannst dir nicht aussuchen, ja, das behalte ich, das gebe ich, dann wird es schon genug
sein. Nein, vielleicht verlangt er die Dinge von dir, an denen du am meisten hängt und gibt dir noch eine Ohrfeige
dazu als Lohn fürs geben.
Die Ruhe kommt erst nach vielen Prüfungen. Du mußt immer wieder loslassen. Du kannst dich nicht ausruhen und
sagen, nun, ist es genug. Nein, immer und immer wieder loslassen bis alles von dir abgefallen ist. Den Zeitpunkt
bestimmst nicht du. Es sieht immer wieder danach aus, als ob du nie an dein Ziel kommen würdest. Es gibt kein
Ziel. Doch du wünscht dein Ego loszuwerden und so wirst du es natürlich nie los. Es dauert lange, bis du auch
diesen Wunsch aufgibst.
27
Ein guter Wanderer läßt keine Spur zurück.
Ein guter Redner braucht nichts zu widerlegen.
Ein guter Rechner braucht keine Rechenstäbchen.
Ein guter Schließer braucht nicht Schloß noch Schlüssel,
und doch kann niemand auftun.
Ein guter Binder braucht nicht Strick noch Bänder,
und doch kann niemand lösen.
Der Berufene versteht es immer gut, die Menschen zu retten;
darum gibt es für ihn keine verworfenen Menschen.
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Er versteht es immer gut, die Dinge zu retten;
darum gibt es für ihn keine verworfenen Dinge.
Das heißt Klarheit erben.
So sind die guten Menschen die Lehrer der Nichtguten
und die nichtguten Menschen sind der Stoff für die Guten.
Wer seine Lehrer nicht werthielte
und seinen Stoff nicht liebte,
der wäre bei allem Wissen in schwerem Irrtum.
Das ist das große Geheimnis.
Ein guter Wanderer ist stets da, wo er ist.
Es gibt keine Vergangenheit und keine Zukunft,
es gibt keinen Gewinn und keinen Verlust.
Ein guter Redner redet aus der Klarheit der Dinge,
sie sind so wie sie sind,
wozu etwas widerlegen, was ist?
Ein guter Rechner ist jemand, der nicht rechnet,
wozu die Rechenstäbchen?
Er will und fordert nichts,
es gibt nichts zu rechnen.
Ein guter Schließer weiß,
daß alles für den Seher offen ist,
das Gefängnis ist nur der Verstand,
der Verstand kann nichts öffnen,
da alles schon offen ist.
Ein guter Binder bindet nicht,
er löst die Dinge.
Der bindende Verstand kann nur binden,
und nicht öffnen.
Der Berufene weiß, daß es einen Schlüssel zur Lösung der Dinge gibt: es ist der Standpunkt im SINN. Vom
Nichthandeln aus, lösen sich alle Dinge. Gut und Böse sind nur Interpretationen des Verstandes. Der Verstand
bringt die Gegensätze hervor, so daß sich die Dinge von selber lösen müssen. Das ist das große Geheimnis.
28
Wer seine Mannheit kennt
und seine Weibheit wahrt,
der ist die Schlucht der Welt.
Ist er die Schlucht der Welt,
so verläßt ihn nicht das ewige LEBEN,
und er wird wieder wie ein Kind.
Wer seine Reinheit kennt
und seine Schwäche wahrt,
ist Vorbild für die Welt.
Ist Vorbild er der Welt,
so weicht von ihm nicht das ewige LEBEN,
und er kehrt wieder zum Ungewordenen um.
Wer seine Ehre kennt
und seine Schmach bewahrt,
der ist das Tal der Welt.
Ist er das Tal der Welt,
so hat er Genüge am ewigen LEBEN,
und er kehrt zurück zur Einfalt.
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Ist die Einfalt zerstreut, so gibt es „brauchbare“ Menschen.
Übt der Berufene sie aus, so wird er der Herr der Beamten.
Darum: Großartige Gestaltung
bedarf nicht des Beschneidens.
29
Die Welt erorbern und behandeln wollen,
ich habe erlebt, daß das mißlingt.
Die Welt ist ein geistiges Ding,
das man nicht behandeln darf.
Wer sie behandelt, verdirbt sie,
wer sie festhalten will, verliert sie.
Die Dinge gehen bald voran, bald folgen sie,
bald hauchen sie warm, bald blasen sie kalt,
bald sind sie stark, bald sind sie dünn,
bald schwimmen sie oben, bald stürzen sie.
Darum meidet der Berufene
das Zusehr, das Zuviel, das Zugroß.
Wieder und wieder beschreibt Laotse dieselbe Tatsache. Nichts aus seinem wünschenden, planenden und
berechnenden Verstand tun. Das muß mißlingen. Und obwohl das seit Urzeiten immer schon so war und ist, tun
wir Menschen uns unendlich schwer, es anzuerkennen. Lieber führen wir Kriege, machen unsere Umwelt kaputt,
als daß wir unsere Wahl aufgeben würden. Wir leben in der Welt des Zusehr, des Zuviel und des Zugroß. Wir reden
über diese Dinge und laben uns an den „geistigen“ Früchten. Doch: Wir leben nicht danach. Danach leben heißt,
seine Wahl aufgeben. Doch: der Verstand kann nicht sagen, jetzt gebe ich meine Wahl auf. Wie schwer tun wir uns
doch schon, wenn wir den Arbeitsplatz verlieren, oder wenn unser(e) Freund(in) uns verläßt. Die Wahl und das
Wünschen aufgeben heißt: alles akzeptieren, was immer es ist. Doch dann unternehmen wir doch sofort etwas, um
die Dinge so zu manipulieren, wie wir sie gerne hätten. Ob das immer gelingt, das ist eine andere Frage. Über
Glauben und Vertrauen reden, das ist die eine Sache, glauben und vertrauen, das ist die andere Sache. Der
Verstand ist unheimlich geschickt, die Dinge zu verdrehen. Der Verstand will immer wissen. Er will immer eine
Gewißheit haben. Dabei geht es ums gerade Gegenteil: Wenn wir wissen, wie die Dinge ausgehen, wo bleibt da das
Vertrauen? Es geht nicht anders, als den Weg ins Nirgendwo zu gehen. Wir wollen immer die Gesetzmäßigkeiten
der Dinge erforschen. Zu unserem Nutzen. Dabei geht es darum, alles, woran man sich halten könnte aufzugeben.
Nichts mehr wissen wollen. Vertrauen. Das Leben ist ein Spiel, das sich nur dem offenbart, der sich hingibt.
Wer nichts mehr will, dem ist alles willkommen.
Wer nichts mehr will, dem ist alles Geschenk.
Wer nichts mehr will, der hat alles.
Warum sollte er noch wollen?
Wer nicht mehr wählt, ist frei,
ist er frei von seinen Begierden.
Hat er keine Begierden mehr, hat nichts mehr Macht über ihn.
Hat nichts mehr Macht über ihn, so hat er alle Macht.
30
Wer im rechten SINN einem Menschenherrscher hilft,
vergewaltigt nicht durch Waffen die Welt,
denn die Handlungen kommen auf das eigene Haupt zurück.
Wo die Heere geweilt haben, wachsen Disteln und Dornen.
Hinter den Kämpfen her kommen immer Hungerjahre.
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Darum sucht der Tüchtige nur Entscheidung, nichts weiter;
er wagt nicht, durch Gewalt zu erobern.
Entscheidung, ohne sich zu brüsten,
Entscheidung, ohne sich zu rühmen,
Entscheidung, ohne stolz zu sein
Entscheidung, weil`s nicht anders geht,
Entscheidung, ferne von Gewalt.
Die Waffen sind die Handlungen aus dem Ego. Alle Gewalt kommt letztendlich aus dem Wollen. Ist das wollen
verschwunden, so kann es keine Gewalt mehr geben. Alles ist gleich gültig geworden. Es kann keine Gesetze mehr
geben. Denn, es gibt nur mehr ein Gesetz: das Gesetz des SINN`s. Die Entscheidung gilt nur mehr dem SINN. Der
Tüchtige will nur mehr eines, und das mit all seiner Kraft und seinem ganzen Wollen: dem SINN folgen. Er
existiert als Person nicht mehr. Er will nichts eigenes mehr: nur dem SINN dienen. So wird er zum SINN.
Es gibt niemanden mehr, der sich brüsten könnte.
Es gibt niemanden mehr, der sich rühmen könnte.
Es gibt niemanden mehr, der stolz sein könnte.
Es gibt niemanden mehr, der gewalttätig sein könnte.
Es gibt nur mehr die Gewalt des SINN`s.
31
Waffen sind unheilvolle Geräte,
alle Wesen hassen sie wohl.
Darum will der, der den rechten SINN hat,
nichts von ihnen wissen.
Der Edle in seinem gewöhnlichen Leben
achtet die Linke als Ehrenplatz.
Beim Waffenhandwerk
ist die Rechte der Ehrenplatz.
Die Waffen sind unheilvolle Geräte,
nicht Geräte für den Edlen.
Nur wenn er nicht anders kann, gebraucht er sie.
Ruhe und Frieden sind ihm das Höchste.
Er siegt, aber er freut sich nicht daran.
Wer sich daran freuen wollte,
würde sich ja des Menschenmordes freuen.
Wer sich des Menschenmordes freuen wollte,
kann nicht sein Ziel erreichen in der Welt.
Bei Glücksfällen achtet man die Linke als Ehrenplatz.
Bei Unglücksfällen achtet man die Rechte als Ehrenplatz.
Der Unterfeldherr steht zur Linken,
der Oberführer steht zur Rechten.
Das heißt, er nimmt seinen Platz ein
nach dem Brauch der Trauerfeiern.
Menschen töten in großer Zahl,
das soll man beklagen mit Tränen des Mitleids.
Wer im Kampfe gesiegt,
der soll wie bei einer Trauerfeier weilen.
Das Ego kann unmöglich gewaltlos sein. Alles was das Ego will, will es. Wenn es Gewaltlosigkeit will, so erzeugt
es dadurch Gewalt. So ist das Gesetz. Wahre Gewaltlosigkeit ist nur in einem egolosen Zustand möglich. Der
egolose Zustand ist nur in der Hingabe an einem Meister des SINN`s zu erreichen. Der egolose Zustand ist nur im
Aufgeben allen Wollens, aller Wahl möglich. Dann gibt es niemanden mehr, der sich hervortun will, er lebt links.
Er siegt, ohne daß es ein Sieg für ihn wäre. Wer sich daran freuen wollte, würde sich ja des Menschenmordes
freuen. Alles, was das Ego für sich gewinnt, das hat es auf Kosten eines anderen. Anders ist das nicht möglich. Die
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meisten Menschen auf der Erde wollen etwas. Wer geht denn den anderen Weg, den Weg des Nichtwollens? Also:
es ist Besitz auf Kosten eines anderen. Nur, das Aufgeben der Dinge allein bewirkt auch noch nichts. Es muß aus
einem fühlenden Raum geschehen! Wo ist dieser Raum? Jenseits des Verstandes. Wieder sind wir an dem Punkt
angelangt,dem Dreh- und Angelpunkt der Lehre Laotse, in dem Aufsichnehmen freiwilligen Leides. Das
Zurückgehen! Die Hingabe an einen Lehrer. Die große Tatsache ist doch folgende: Du kannst tun und lassen, was
du willst. Es bringt dir nichts. Wer will das? Es ist wieder das Ego, der Verstand. Nur der SINN kann dich aus
diesem Dilemma führen. Doch der SINN wird immer Dinge verlangen, die dem Denken nicht gefallen. Wie sollte
sonst das Denken verschwinden? Der SINN erscheint dem Verstand wie der Teufel.
Bei Glücksfällen kann man heucheln, und den Bescheidenen spielen. Bei Unglücksfällen beginnt das Kämpfen
gegen den SINN, man geht auf die Seite des Waffenhandwerks. Der Oberführer, der Verstand steht zur Rechten.
Die rechte Seite ist die Seite, die dem Verstand gefällt. Hier ist er der Oberbefehlshaber. Der Sinn ist zum
Unterfeldherrn geworden. Nach dem Brauch der Trauerfeiern steht der Oberführer zur Rechten. Der Verstand
gestaltet sich immer seine eigene Trauerfeier. Das ist keine pessimistische Auslegung der Dinge, sondern eine
Tatsache, die man mit Tränen des Mitleids beklagen soll. Denn: Wer im Kampfe gesiegt, der soll wie bei einer
Trauerfeier weilen.
32
Der SINN als Ewiger ist namenlose Einfalt.
Obwohl klein,
wagt die Welt ihn nicht zum Diener zu machen.
Wenn Fürsten und Könige ihn so wahren könnten,
so würden alle Dinge sich als Gäste einstellen.
Himmel und Erde würden sich vereinen,
um süßen Tau zu träufeln.
Das Volk würde ohne Befehle
von selbst ins Gleichgewicht kommen.
Wenn die Gestaltung beginnt,
dann erst gibt es Namen.
Die Namen erreichen auch das Sein,
und man weiß auch noch, wo haltzumachen ist.
Weiß man, wo haltzumachen ist,
so kommt man nicht in Gefahr.
Man kann das Verhältnis des SINNS zur Welt vergleichen
mit den Bergbächen und Talwassern,
die sich in Ströme und Meere ergießen.
Das Denken kann nie still und friedlich sein. Das Denken muß immer benennen. Der SINN erscheint dem
Verstand klein. Die Welt wagt ihn nicht zum Diener zu machen, denn dann müßte der Verstand seine Macht
aufgeben. Wenn die Welt nicht wagt, den SINN zu ihrem Diener zu machen, so fürchtet die Welt den SINN. Wenn
die Welt den SINN fürchtet, so hat sie Angst vor sich selber. Denn die Welt hat den SINN aus der Welt verbannt.
Doch, wenn die Welt den SINN wahren könnte, so würden sich alle Dinge als Gäste einstellen und Himmel und
Erde würde, ja müßte sich vereinen. Alle Dinge würde wieder in ihre Ordnung kommen. Das Verhältnis des
SINNS zur Welt ist wie das von Bergbächen und Talwassern, die sich in Ströme und Meere ergießen. Die Ströme
und Meere sind der SINN, die Rinnsale die Handlungen der Welt.
Wir haben die Dinge auf den Kopf gestellt. Wir beten uns selber an. Man muß die Angst vor dem SINN
überwinden. Worin besteht den die Angst? Es ist die Angst vor dem Ungewissen! Wir haben viel zu viele Dinge.
Doch was haben wir wirklich? Wir haben Angst! Wir haben Angst vor diesen Dingen. Wir lassen uns von diesen
Dingen besitzen! Wir haben Angst vor Umweltverschmutzung. Wir haben Angst vor uns selber.
33
Wer andre kennt, ist klug.
Wer sich selber kennt, ist weise.
Wer andere besiegt, hat Kraft.
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Wer sich selber besiegt, ist stark.
Wer sich durchsetzt, hat Willen.
Wer sich genügen läßt, ist reich.
Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer.
Wer auch im Tode nicht untergeht, der lebt.
Wer sich selber kennt, ist weise. Sich selber kennen kann man nur, wenn man sich von der neurotischen Basis
seines Seins, seinem Denken verabschiedet. Alle ander Selbsterkenntnis ist nur Illusion. Wir nennen mit unserem
Verstand etwas unbewußt, was nichts anderes ist, als der bekannte bewußte Verstand. Wir können gar nichts
anderes kennen, da wir uns selber im Wege sind.
Wer sich selber kennenlernen will, muß die Angst vor der Angst überwinden. Die Angst existiert nur im Denken.
Doch sie erscheint dem Verstand äußerst real. Nur: hinter der Angst ist nichts, vor dem man sich fürchten müßte.
Doch der Sprung in die Angst verlangt äußerste Stärke. Wie soll eine Welt voller Angst zu Frieden gelangen? Wie
sollte jemand, der Angst vor der Angst hat zu Dauer kommen? Es ist unmöglich!
Wir haben Angst vor unseren eigenen Gefühlen. Die wahren Gefühle sind nur jenseits des Denkens. Wir müssen
uns den Situationen des Lebens schon ausliefern und sie fühlen, wollen wir diese Angst überwinden. Die wahren
Gefühle sind: Wut, Haß, Aggressionen, Verletztungen und Schmerz. Eifersucht, Neid, Gier und Schmerz. Wir
wollen sie alle nicht wahrhaben. Wir wollen psychologisieren, aber wir wollen nicht fühlen. Wir wollen nicht
ehrlich zu uns selbst, noch weniger zu anderen sein. Noch weniger wollen wir uns in unserer Hilflosigkeit zeigen.
Bevor wir uns in unserer Hilflosigkeit zeigen, bringen wir lieber uns oder die anderen Mensch um. Das ist eine
Tatsache. Wer andere besiegt, hat Kraft. Wer sich selber besiegt, ist stark. Wer sich durchsetzt, hat Willen. Wer
sich genügen läßt, ist reich. Wer läßt sich den genügen? Doch der, der alles fühlen und nichts verändern kann. Wer
seinen Platz nicht verliert ist doch der, der bei sich selber bleiben kann. Er gibt nicht mehr den anderen Menschen
oder den äußeren Umständen die Schuld für sein Leben. So erlangt man Dauer und nicht anders. Doch das ist das
Schwierigste, was ein Mensch in seinem Leben bewerkstelligen kann. Im Vergleich dazu sind die große Leistungen
der Welt nichts.
34
Der große SINN ist überströmend;
er kann zur Rechten sein und zur Linken.
Alle Dinge verdanken ihm ihr Dasein,
und er verweigert sich ihnen nicht.
Ist das Werk vollbracht,
so heißt er es nicht seinen Besitz.
Er kleidet und nährt alle Dinge
und spielt nicht ihren Herrn.
Sofern er ewig nicht begehrend ist,
kann man ihn als klein bezeichnen.
Sofern alle Dinge von ihm abhängen,
ohne ihn als Herrn zu kennen,
kann man ihn als groß bezeichnen.
Also auch der Berufene:
Niemals macht er sich groß;
darum bringt er sein Großes Werk zustande.
Der große SINN ist der eigentliche Urheber alles Seins. Er spielt nicht ihren Herrn, weil er es ist. Nur das
Nichtseiende bedarf des Beweises. Das Seiende beweist sich durch sich selbst. Der Berufene ist wie der SINN. Es
gibt keinen Unterschied mehr. Also bedarf er des Beweises nicht mehr. Im Gegenteil: er kann spielen. Sofern alle
Dinge von ihm abhängen, ohne ihn als Herrn zu kennen, kann man ihn als groß bezeichnen. Das ist doch das Spiel
des LEBENS. Doch Spiel ist es nur für das LEBEN. Für die Nichtseienden ist es kein Spiel: sie müssen sich immer
um ihr Nichtsein kümmern, sie müssen es nähren und stützen, ohne jemals zur Ruhe zu kommen. Der Berufene:
Niemals macht er sich gro, darum bringt er sein Großes Werk zustande. Ohne Tun! Ohne Wahl! Nur im Sein!
Ohne Anstrengung! Das ist Spiel!
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Wer festhält das große Urbild,
zu dem kommt die Welt.
Sie kommt und wird nicht verletzt,
in Ruhe, Gleichheit und Seligkeit.
Musik und Köder:
Sie machen wohl den Wanderer auf seinem Wege anhalten.
Der SINN geht aus dem Munde hervor,
milde und ohne Geschmack.
Du blickst nach ihm und siehst nichts Sonderliches.
Du horchst nach ihm und hörst nichts Sonderliches.
Du handelst nach ihm und findest kein Ende.
Wer festhält das große Urbild, zu dem kommt die Welt. Wer festhält am Moment des Lebens, der lebt die Welt. Es
ist die einzige Möglichkeit zu Ruhe, Gleichheit und Seligkeit zu kommen: dem Moment des SINNS zu folgen. Eine
andere Möglichkeit gibt es nicht. Der Moment ist der Moment. Nichts anderes, nichts eigenes: nur der Moment.
Der Moment ist unangenehm für das Denken. Sehr unangenehm. Eigentlich ist es die Hölle für das Denken. Denn,
es sorgt dafür, daß das Denken verschwindet. Wie macht das der Moment? Er führt dich in demütigende
Situationen. Wie sollst du sonst zur Demut kommen? Du würdest doch nur eigenes wollen. Der Moment für dich an
den Punkt, wo du alles verlierst. Doch du mußt vertrauen, dem Moment des SINNS vertrauen, festhalten am großen
Urbild. Anders kommst du nicht zu Ruhe, Gleichheit und Seligkeit. Alle Gier muß verschwinden, aller Stolz muß
verschwinden. Die Gier verschwindet, indem du nie bekommst was du willst. Anders verschwindet die Gier nicht!
Der Stolz verschwindet, indem du immer wieder gedemütigt wirst. Anders verschwindet der Stolz nicht. Der
Moment verlangt Dinge von dir, die du nie freiwillig aus deinem Denken machen würdest. Doch wie soll der Stolz
des Denkens sonst verschwinden?
Seligkeit, Ruhe, Gleichheit sind Musik und Köder für das Ego. Es wünscht sich diese Dinge aus ganzem Herzen.
Es hält auf seinem Weg an. Wir haben eine Sehnsucht, endlich zu Ruhe und Frieden zu gelangen. Wir wünschen
uns Glückseligkeit. Wir überdenken und überdenken unseren Weg. Hier ist einer, er verspricht uns diese Dinge.
Wir hören im aufmerksamst zu. Der SINN geht so milde und ohne Geschmack hervor. Du blickst nach ihm, du
horchst nach ihm, und handelst nach ihm. Doch nichts Sonderliches passiert. Es kann ja auch nichts Sonderliches
passieren. Es ist das Denken, es ist der Verstand, der nach dem SINN Ausschau hält.
Das ist doch das Spiel des Taos: es spielt mit sich selber verstecken. Doch nicht vergessen: das Tao spielt das Spiel,
nicht der Verstand!
36
Was du zusammendrücken willst,
das mußt du erst richtig sich ausdehnen lassen.
Was du schwächen willst,
das mußt du erst richtig stark werden lassen.
Was du vernichten willst,
das mußt du erst richtig aufblühen lassen.
Wem du nehmen willst,
dem mußt du erst richtig geben.
Das heißt Klarheit über das Unsichtbare.
Das Weiche siegt über das Harte.
Das Schwache siegt über das Starke.
Den Fisch darf man nicht der Tiefe entnehmen.
Des Reiches Förderungsmittel
darf man nicht den Leuten zeigen.
Was du schwächen willst, das mußt du erst richtig stark werden lassen. Was du vernichten willst, das mußt du erst
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richtig aufblühen lassen. Das heißt doch, daß geschwächt werden wird, daß vernichtet werden wird?! Ist es nicht
ein gemeines Spiel des SINNS, daß erst gestärkt, richtig stark gemacht wird, damit die Schwächung und
Vernichtung umso härter wirken? Er sagt dann noch: Das heißt Klarheit über das Unsichtbare. Stolz kommt vor
dem Fall. Wie ein roter Faden zieht sich diese Tatsache durch das Tao te king.
So haben es die Gurus und Meister des 20.Jahrhunderts doch auch gemacht. Sie machten den Menschen glauben,
daß sie im Grunde alle Götter seien. Sie ließen den Menschen glauben, daß sie die Liebe seien. Und: sie ließen die
Menschen glauben, daß es einen leichten Weg zur Erleuchtung und Befreiung gäbe. Selbst das Tao te king mußte
da herhalten. Doch das ist absoluter Blödsinn. Liest man diesen Vers und alle anderen von Laotse richtig, so rücken
sich die Dinge ins rechte Licht: Wem du etwas wegnehmen willst, dem mußt du erst richtig geben. Was du
zusammendrücken willst, das mußt du erst richtig ausdehnen lassen. Das haben sie getan! Sie haben dem
materialistischen Ego noch ein spirituelles hinzugefügt. Und das in so einer enormen Weise, daß es sehr schwer
geworden ist, den Menschen diese Zusammenhänge deutlich zu machen.
Doch dieser Vers birgt gerade dieses Geheimnis in wundervoller Weise. Er sagt doch ganz deutlich, daß das, was
gestärkt wurde, wieder geschwächt werden muß?! Er sagt auch, daß man des Reiches Förderungsmittel den Leuten
nicht zeigen darf. Ich weiß, es klingt unglaublich, es ist aber doch wahr. Das Prinzip ist doch im Grunde denkbar
einfach: wie sollte sonst ein Mensch seine Dualität schmerzhaft erfahren können? Und gerade auf dem Gebiet der
Spiritualität ist es um eine Nuance raffinierter gestaltet worden. Die Menschen sind in ihrer Gier nach Erleuchtung,
nach Liebe und Glückseligkeit so mit diesem Gedankengut infiltriert worden, daß es daraus fast keinen Ausweg
mehr gibt. Es ist die Zeit gekommen, in der gerade diese Dinge mehr und mehr klar gestellt werden, so daß viele
Menschen erkennen müssen, daß sie bewußt in die Irre geführt wurden. Und gerade darin besteht doch eine enorme
Chance, daß nun viele bereit sind, den wirklichen Weg zu gehen. Es hätte sich doch fast kein Mensch für diese
Themen interessiert, wenn die Dinge so dargestellt worden wären, wie sie sind. Kein Verstand hätte daran Interesse
gehabt. Doch so, wurden diese Themen so schön verpackt, daß viele gerade süchtig danach wurden. Nun muß aber
geschwächt werden, was zuvor gestärkt wurde. Diese Desillusionierung ist sicherlich bitter. Aber so sind nun
einmal die Dinge. Das heißt Klarheit über das Unsichtbare.
37
Der SINN ist ewig ohne Machen,
und nichts bleibt ungemacht.
Wenn Fürsten und Könige ihn zu wahren verstehen,
so werden alle Dinge sich von selber gestalten.
Gestalten sie sich und es erheben sich die Begierden,
so würde ich sie bannen durch namenlose Einfalt.
Namenlose Einfalt bewirkt Wunschlosigkeit.
Wunschlosigkeit macht still,
und die Welt wird von selber recht.
Namenlose Einfalt! Gedankenlose Wahllosigkeit, das ist der richtige Name. Die Wahl der Wahllosigkeit, das
Machen aus dem SINN ohne Machen, richtet die Dinge. Alle Dinge gestalten sich selber aus dem SINN, und sie
gestalten sich nach dem SINN. Der sich danach richtet, ist der Knechtschaft der Gedanken entronnen und zum
Fürst und König geworden. Gestalten sie sich und erheben sich aber die Begierden, so können sie nur durch
namenlose Einfalt gebannt werden. Kein Kampf der Gedanken hilft, seine Wünsche, seine Gier zu überwinden. Es
bleibt doch dieselbe Gier, die nun wünscht zur Nichtgier zu werden. Beobachten, einfach akzeptieren, was immer
es ist. Nichts mehr wünschen. Doch das ist sehr schwer. Nichts eigenes mehr wollen. Einfach sein. Wie einfach
sprechen sich diese großen Wahrheiten aus, wie schwer sind sie zu leben. Der Schlüssel ist die Wunschlosigkeit,
die durch kein Wollen erreicht werden kann. Hingabe, die das Ende des eigenen Wünschens ist, das macht
namenlose Einfalt. Namenlose Einfalt ist Wahllosigkeit. Nur mehr dem SINN gehorchen, was immer er sagt. Es
einfach tun, ohne Abwandlung, ohne Hintersinn.
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TAO TE KING
Zweiter Teil
Das LEBEN
38
Wer das LEBEN hochhält,
weiß nichts vom LEBEN;
darum hat er LEBEN.
Wer das LEBEN nicht hochhält,
sucht das LEBEN nicht zu verlieren;
darum hat er kein LEBEN.
Wer das LEBEN hochhält,
handelt nicht und hat keine Absichten.
Wer das LEBEN nicht hochhält,
handelt und hat Absichten.
Wer die Liebe hochhält, handelt, aber hat keine Absichten.
Wer die Gerechtigkeit hochhält, handelt und hat Absichten.
Wer die Sitte hochhält, handelt,
und wenn ihm jemand nicht erwidert,
so fuchtelt er mit den Armen und holt ihn heran.
Darum: Ist der TAO verloren, dann das LEBEN.
Ist das LEBEN verloren, dann die Liebe.
Ist die Liebe verloren, dann die Gerechtigkeit.
Ist die Gerechtigkeit verloren, dann die Sitte.
Die Sitte ist Treu und Glaubens Dürftigkeit
und der Verwirrung Anfang.
Verherwissen ist des TAOES Schein
und der Torheit Beginn.Darum bleibt der rechte Mann beim Völligen
und nicht beim Dürftigen.
Er wohnt im Sein und nicht im Schein.
Er tut das andere ab und hält sich an dieses.
Das LEBEN läßt sich nicht wissen. Wissen ist Stolz. Nie wird Stolz sich selber überwinden können. Nie. Wer
nichts vom LEBEN weiß, hat das LEBEN. Für den Verstand ist es nicht zu verstehen. Darum hält der Berufene das
LEBEN nicht hoch. Der Verstand aber hält das LEBEN hoch, er versucht es nicht zu verlieren, darum wird er es
verlieren. Der Stolz versucht stets sich zu wahren und mehr zu werden. Er hält sich selber hoch und hält es für
Leben. Nein, so verhalten sich die Dinge in Wirklichkeit nicht. Das LEBEN ist, und es ist absichtslos, es ist
einfach. Das LEBEN lebt sich einfach. Das ist alles. Ohne Absicht. Es ist. Der Verstand kann versuchen absichtslos
zu sein, doch dann ist es die Absicht des Verstandes, absichtslos zu scheinen. Was immer er auch versuchen mag,
es ist und bleibt das berechnende Spiel des Verstandes. Es ist schwer, die Liebe hochzuhalten und absichtslos zu
sein. Wenn du wirklich liebst, so muß deine Liebe einfach sein, nicht vom Verhalten des anderen Menschen
abhängig sein. Du magst es vom Verstand her versuchen, irgendwann ist deine Grenze der „liebenden Toleranz“
erreicht. Du wirst dich abwenden und deine Liebe wird sich entlarven. Gerechtigkeit ist nur in der
Absichtslosigkeit zu finden. Sonst nirgends. Die Absichtslosigkeit ist Gerechtigkeit. Das LEBEN ist Gerechtigkeit.
Doch: Wer die Sitte hochhält, handelt, und wen ihm jemand nicht erwidert, so fuchtelt er mit den Armen und holt
ihn heran. Sitte und Tugend sind nicht Gerechtigkeit. Es ist lediglich das berechnende Spiel des Verstandes, das
sich früher oder später selber entlarven wird und muß. Doch: Der Verstand will es nicht wahrhaben. Der Verstand
liebt Sitte und Tugend, doch er haßt Gerechtigkeit. Würde er das nicht, so wäre Gerechtigkeit. SINN, LEBEN,
Liebe und Gerechtigkeit sind jenseits des Verstandes. Der ichbezogene Mensch wird von diesen Dingen nie etwas
wirklich verstehen können, wie sehr er sich darum auch bemühen mag. Es ist einfach unmöglich. Die Sitte ist der
Verwirrung Anfang. Sie muß es sein, denn der Verstand kann nichts als Verwirrung und Chaos stiften. Er ist der
Widerpart des SINNS. Vorherwissen ist des SINNES Schein und der Torheit Beginn. Moment, was heißt da
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Vorherwissen? Vorherwissen ist immer Absicht. Warum sollte ich sonst etwas wissen wollen?! Es ist immer auf die
Zukunft bezogen. Nie auf den gegenwärtigen Moment. Der gegenwärtige Moment ist einfach, absichtslos. Man
muß den folgenden Satz jedoch recht lesen, um die Sinnschwere zu sehen. Darum bleibt der rechte Mann beim
Völligen und nicht beim Dürftigen. Sind da die Dinge nicht auf den Kopf gestellt? Vorherwissen bezeichnet er als
Dürftiges, Absichtsloses als Völliges!? Selbst in der deutschen Übersetzung ist der Sinn des Satzes erhalten
geblieben. Das Absichtlose ist das Völlige! Nur im absichtslosen Handeln und Sein, kann ich völlig im Moment
sein, ohne wenn und aber, ohne festhalten und ohne Berechnung. Ich kann einfach voll im Moment sein. Denn ich
will nichts als eben das, was ist, und im nächsten Moment ist das schon wieder etwas ganz und gar anderes. Das ist
nur ohne Vergangenheit und ohne Zukunft möglich, ohne Wissen einfach im Wohnen im Sein und nicht im
Schein. Er tut alles andere ab, er hält sich an nichts, nur an dieses.
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Die einst das Eine erlangten:
Der Himmel erlangte das Eine und wurde fest.
Die Götter erlangten das Eine und wurden mächtig.
Das Tal erlangte das Eine und erfüllte sich.
Alle Dinge erlangten das Eine und entstanden.
Könige und Fürsten erlangten das Eine
und wurden das Vorbild der Welt.
Das alles ist durch das Eine bewirkt.
Wäre der Himmel nicht rein dadurch, so müßte er bersten.
Wären die Götter nicht mächtig dadurch,
so müßten sie erstarren.
Wäre das Tal nicht erfüllt dadurch,
so müßte es sich erschöpfen.
Wären alle Dinge nicht entstanden dadurch,
so müßten sie erlöschen.
Wären die Könige und Fürsten nicht erhaben dadurch,
so müßten sie stürzen.
Darum: Das Edle hat das Geringe zur Wurzel.
Das Hohe hat das Niedrige zur Grundlage.
Also auch die Fürsten und Könige:
Sie nennen sich: „Einsam“, „Verwaist“, „Wenigkeit“.
Dadurch bezeichnen sie das Geringe als ihre Wurzel.
Oder ist es nicht so?
Denn: Ohne die einzelnen Bestandteile eines Wagens
gibt es keinen Wagen.
Wünsche nicht das glänzende Gleißen des Juwels,
sondern die rohe Rauheit des Steins.
Das Eine ist die rohe Rauheit des Steins. Wer würde den rohen Stein schon beachten? Und doch ist darin das
Geheimnis des Seins verborgen. Das Geringe ist Demütigung. Wahre Demut ist nur durch Demütigung zu
erreichen. Sonst ist immer wieder das glänzende Gleißen des stolzen Egos, das sich selber erhöht. Demütigung
richtet sich immer gegen die Persönlichkeit. Demütigung ist immer schmerzhaft und unangenehm. Niemand
wünscht sie, niemand nimmt sie freiwillig auf sich. Doch wie soll sonst das Geringe und Niedrige zur Wurzel
werden? Wie willst du dich wirklich „Einsam“, „Verwaist“ und „Wenigkeit“ nennen, wenn du es immer noch nicht
bist? Du wirst es nur, wenn andere dich dazu machen. Wie willst du das selbst bewerkstelligen? Es ist unmöglich.
Wie willst du es werden, wenn du immer nach Lohn verlangst. Es ist unmöglich. Du darfst keinen Lohn
bekommen. Du mußt das Gefühl haben, alles, aber wirklich alles falsch zu machen. Wie solltest du sonst zur
Wenigkeit kommen?! Du mußt immer wieder auf dich selbst zurückgeworfen werden, wie solltest du sonst einsam
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werden?! Du mußt von den anderen abgelehnt, verspottet und gedemütigt werden, wie solltest du sonst verwaist
sein?! Es geht nicht um eine Vorstellung in den Gedanken des Verstandes, sondern um eine existentielle
Erfahrung. Doch dieser Erfahrung, gehen wir aus dem Wege. Es ist das letzte, was wir uns wünschen. Doch
solange der denkende Verstand vorhanden ist, ist für das EINE kein Platz.
Alles ist durch das EINE entstanden: der Himmel, die Götter, das Tal, die Dinge, die Könige und Fürsten. Das
EINE, das Nichtscheinende und wie Nichtseiende birgt alle Geheimnisse in sich. Nur das unendliche Große kann
sich im Nichtsein zeigen. Alles andere will sich immer nur selber beweisen und zeigen.
40
Rückkehr ist die Bewegung des TAOS.
Schwachheit ist die Wirkung des TAOS.
Alle Dinge unter dem Himmel entstehen im Sein.
Das Sein entsteht im Nichtsein.
Wenn Rückkehr die Bewegung des TAOS ist, so heißt das doch, daß alle Dinge, die im Sein entstehen, zum
Nichtsein, zum TAO wieder zurückkehren. Das heißt dann doch, daß es keine Alternative, wie sie der Verstand
gerne hätte, geben kann. Denn: der Verstand ist im Sein, und alle Dinge entstehen aber im Nichtsein. Alles Seiende
kehrt wieder zum Nichtseienden zurück. Das TAO „zwingt“ alle, den Verstand zu verlassen. Nur: freiwillig macht
das keiner. Es ist der schwerste Weg, den es zu gehen gibt, der Weg in den psychsichen Tod.
41
Wenn ein Weiser höchster Art vom TAO hört,
so ist er eifrig und tut danach.
Wenn ein Weiser mittlerer Art vom TAO hört,
so glaubt er halb, halb zweifelt er.
Wenn ein Weiser niedriger Art vom TAO hört,
so lacht er laut darüber.
Wenn er nicht laut lacht,
so war es noch nicht der eigentliche TAO.
Darum hat ein Spruchdichter die Worte:
„Der klare TAO erscheint dunkel.
Der TAO des Fortschritts erscheint als Rückzug.
Der ebene TAO erscheint rauh.
Das höchste LEBEN erscheint als Tal.
Die höchste Reinheit erscheint als Schmach.
Das weite LEBEN erscheint als ungenügend.
Das starke LEBEN erscheint verstohlen.
Das wahre Wesen erscheint veränderlich.
Das große Geviert hat keine Ecken.
Das große Gerät wird spät vollendet.
Der große Ton hat unhörbaren Laut.
Das große Bild hat keine Form.“
Der TAO in seiner Verborgenheit ist ohne Namen.
Und doch ist gerade der TAO gut
im Spenden und Vollenden.
Wenn ein Weiser niedriger Art vom SINN hört, so lacht er laut darüber. Warum lacht er? Weil der SINN für den
Verstand Unsinn ist. Er muß als Unsinn erscheinen, sonst wäre es nicht der SINN. Wenn ein Weiser höchster Art
vom SINN hört, so ist er eifrig und tut danach. Wenn ein Weiser vom SINN hört, verlasse deine Arbeit, gib dein
Geld weg und gehe ins Obdachlosenasyl. Ein Weiser höchster Art zweifelt nicht, sondern er tut danach. Ein Weiser
niedriger Art wird darüber lachen und sagen, warum sollte ich so etwas Verrücktes tun. Als Abraham von Gott
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hörte, daß er seinen einzigen Sohn umbringen sollte, so hatte er Zweifel, doch er tat so, wie ihm der SINN
aufgetragen hatte. Der Niedrige würde sich doch sofort über Abraham erheben und über ihn urteilen. Der Verstand
kann diese Dinge nie verstehen. Sie erscheinen ihm als Unsinn. Wenn es nicht so wäre, würde es kein Weg aus
dem Verstand sein. Der Weg aus dem Verstand führt nur über Handlungen gegen den Verstand. Es ist nicht anders
möglich. Man muß seine ganze Willenskraft aufbringen, um solche Handlungen ausführen zu können. Denn, die
Folgen solcher Handlungen liegen immer im Dunkeln, im Nichtwissen. Der Verstand führt Handlungen aus, die er
kennt, die er einschätzen kann. Handlungen gegen den Verstand führen immer ins Nichtwissen. Es ist enormes
Vertrauen nötig, um so etwas tun zu können. Man muß die Reaktionen der anderen Menschen ertragen können.
Diese Reaktionen sind immer ablehnend. Sie müssen es sein, denn es sind Reaktionen des Verstandes. Einen
anderen Weg zum SINN gibt es jedoch nicht und kann es auch nicht geben. Wie kann ein Mensch wissen, ob es die
Stimme des SINNS ist? Man kann es nicht wissen. Eines ist jedoch sicher, der SINN verlangt immer Dinge von dir,
bei denen du nicht als Sieger hervorgehen wirst, sondern immer als Verlierer. Der stolze Verstand muß verlieren,
sonst verschwindet er nicht. Der SINN muß gewinnen, indem ich mich ihm anschließe.
Der SINN des Fortschritts erscheint als Rückzug, der ebene SINN erscheint rauh, die höchste Reinheit erscheint als
Schmach.
42
Der TAO erzeugt die Eins.
Die Eins erzeugt die Zwei.
Die Zwei erzeugt die Drei.
Die Drei erzeugt alle Dinge.
Alle Dinge haben im Rücken das Dunkle
und streben nach dem Licht,
und die strömende Kraft gibt ihnen Harmonie.
Was die Menschen hassen,
ist Verlassenheit, Einsamkeit, Wenigkeit.
Und doch wählen Fürsten und Könige
sie zu ihrer Selbstbezeichnung.
Denn die Dinge werden
entweder durch Verringerung vermehrt
oder durch Vermehrung verringert.
Was andere lehren, lehre ich auch:
„Die Starken sterben nicht eines natürlichen Todes.“
Das will ich zum Ausgangspunkt meiner Lehre machen.
Der erste Teil dieses Verses ist schwer zu verstehen. Doch hat Laotse darin ein großes Geheimnis versteckt. Das
TAO ist das Eine. Aus dem Einen entstehen die zwei Geschlechter. Die zwei Geschlechter erzeugen neues Leben.
Aus dem neuem Leben kommen stets alle Dinge hervor. Alle Dinge streben nach dem Licht, nach dem Leben. Und
Leben ist die strömende Kraft. Was ist die strömende Kraft? Es ist nichts anderes als die Sexualkraft. Die
natürliche Sexualität liegt allem Leben zurgunde. Im Rücken liegt das Dunkle. Und doch strebt das Dunkle nach
dem Licht. Das Dunkle verschwindet, wenn dem Licht Raum gegeben wird. Wie wird dem Licht Raum gegeben?
Laotse gibt im zweiten Teil dieses Verses die Antwort.
Das, was die Menschen hassen, Verlassenheit, Einsamkeit und Wenigkeit, bewirkt, daß die Dinge vermehrt
werden. Mehr noch, die starken sterben nicht eines natürlichen Todes, nein, sie sterben, bevor sie sterben. Wenn an
nichts mehr festgehalten wird, was soll dann noch sterben können? Den eigenen Tod kann ich aber nicht selber
herbeiführen. Der Handelnde steht sich stets selbst im Wege. Ich muß mich ausliefern und hingeben an einen
geistigen Freund. Es ist nicht anders möglich.
43
Das Allerweichste auf Erden
überholt das Allerhärteste auf Erden.
Das Nichtseiende dringt auch noch ein in das,
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was keinen Zwischenraum hat.
Daran erkennt man den Wert des Nicht-Handelns.
Die Belehrung ohne Worte, den Wert des Nicht-Handelns
erreichen nur wenige auf Erden.
Den Wert des Nicht-Handelns erreichen nur wenige auf Erden. Das ist ein klares Wort, welches auf die
Schwierigkeit des Weges hinweist. Dieser Weg ist der schwerste Weg, den ein Mensch auf Erden gehen kann. Und
doch: eines Tages muß ihn jeder gehen. Das Allerweichste auf Erden, bedeutet, bis auf das äußerste verletztlich zu
sein. Wir hassen es aber, verletzt zu werden. Wir wollen nicht fühlen. Doch warum handeln wir? Wir handeln, weil
wir das, was ist, so nicht wollen. Wir wollen nicht fühlen was ist, wir wollen über die Situation selber bestimmen.
Das ist doch der Kernpunkt der ganzen Sache. Die Dinge stehen für gewöhnlich auf dem Kopf. Das Allerhärteste
auf Erden, das Wollen und Bestimmen der Dinge siegt doch auf den ersten Blick. Das Allerweicheste auf Erden,
das Nicht-Wollen, das Sein-Lassen der Dinge wird doch als Rückzug und Schwäche ausgelegt. Doch so verhalten
sich die Dinge in Wirklichkeit nicht. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt. Sei so verletztlich wie nur möglich,
wer soll dich dann noch verletzen können?! Halte an nichts mehr fest, lasse alles los, und es gibt keinen
Zwischenraum mehr. Du besitzt wahrhaft alles, weil du dich nicht mehr von den Dingen besitzen läßt. Handle
nicht mehr aus eigenem Wollen heraus und du erkennst den Wert des Nicht-Handelns. Wie sollst du ihn anders je
erkennen können? Du kannst darüber reden und philosophieren, aber erkennen kannst du ihn so nie.
44
Der Name oder die Person:
was steht näher?
Die Person oder der Besitz:
was ist mehr?
Gewinnen oder verlieren:
was ist schlimmer?
Nun aber:
Wer sein Herz an andres hängt,
verbraucht notwendig Großes.
Wer viel sammelt,
verliert notwendig Wichtiges.
Wer sich genügen lässet,
kommt nicht in Schande.
Wer Einhalt zu tun weiß,
kommt nicht in Gefahr
und kann so ewig dauern.
Der Name oder die Person: was steht näher? Die Person ist, der Name nicht. Doch mit Name ist hier mehr gemeint.
Das Selbstbild, die Persönlichkeit, an der wir so emsig basteln und bauen, die ist damit gemeint. Wer will, daß sie
demontiert wird? Doch ohne Demontage kann die wahre Person nicht zum Vorschein kommen.
Die Person oder der Besitz: was ist mehr? Natürlich die Person, doch wer ist bereit alles, wirklich alles aufzugeben?
Doch mit Besitz kannst du nie mit deiner wahren Person in Kontakt kommen, es ist unmöglich.
Gewinnen oder verlieren: was ist schlimmer? Gewinnen ist in Wirklich viel schlimmer als Verlieren, denn so
kannst du nicht mit deiner wahren Person in Kontakt kommen. Es bist immer nur du selber, der handelt, sonst
niemand. Verliere nach Möglichkeit oft, wenn möglich dauernd, denn dann verlierst du irgendwann deine
Motivation. Mit Motivation kannst du nicht zum Nicht-Handeln kommen. Verlieren bedeutet Demütigung, und so
kannst du zur Demut gelangen. Verlieren bedeutet auch, loslassen lernen, was dir wichtig erscheint.
Wer sein Herz an andres hängt, verbraucht notwendig Großes. Wer viel sammelt, verliert notwendig Wichtiges.
Das ist jedoch keine Gebrauchsanleitung, wie man zu sich selber, zu seinem Herz kommt. Versucht man sich so
wie Laotse es beschreibt zu verhalten, so wirst du nicht besser, eher schlimmer als vorher. Dein Verstand ist um
eine wesentliche Variante raffinierter geworden. Er mag zwar jetzt nicht mehr materielle Güter für wichtig
erachten, doch ist er nun den geistigen Dingen hinterher. Es ist jedoch die gleiche Gier, die nun lediglich ein
anderes Ziel hat. Wirklich genügsam wirst du nur, wenn du den Blick wirklich von dir wegrichten kannst. Den
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Blick wirklich von sich selber wegrichten kannst du nur, wenn du nichts mehr selber bestimmst. Einem toten
Meister zu folgen ist leicht, einem lebenden Meister zu folgen jedoch sehr schwer. Dann trennt sich die Spreu vom
Weizen. Dann steigen die Zweifel wie Spreuregen aus deinem Verstand auf. Der Meister wird Dinge von dir
verlangen, die dir niemals in den Sinn kamen. Bald wirst du von großen Zweifeln und Unsicherheiten geplagt sein.
Du wirst dich immer und immer wieder fragen, ob du auf dem richtigen Weg bist. Solange du dich in deinem
stillen Kämmerlein mit diesen Themen befaßt, ist es wie ein Trockenschwimmkurs, wie ein Sandkastenspiel.
Sobald du aber beginnst, dich ernsthaft auf die Reise zu begeben, wirst du den Stürmen des Nichts ausgesetzt sein.
Doch wer Einhalt zu tun weiß, kommt nicht in Gefahr und so ewig dauern.
45
Große Vollendung muß wie unzulänglich erscheinen,
so wird sie unendlich in ihrer Wirkung.
Große Fülle muß wie strömend erscheinen,
so wird sie unerschöpflich in ihrer Wirkung.
Große Geradheit muß wie krumm erscheinen.
Große Begabung muß wie dumm erscheinen.
Große Beredsamkeit muß wie stumm erscheinen.
Bewegung überwindet die Kälte.
Stille überwindet die Hitze.
Reinheit und Stille sind der Welt Richtmaß.
Große Vollendung muß wie unzulänglich erscheinen, so wird sie unendlich in ihrer Wirkung. Der Verstand will
immer die Dinge so haben, wie er sie haben will. Macht er die Dinge aber, wie er sie haben will, so verändert sich
nichts. Er bleibt das, was er ist. Sagt ihm jemand Großer aber, wie er die Dinge tun soll, so wird er die Dinge
immer von seinem alten Verstand aus beurteilen. Er wird tausendundein Argument finden, warum die Dinge so
und nicht anders zu tun sind. Er muß sie aber trotz all dieser Argumente des Verstandes dagegen, so tun, wie ihm
aufgetragen worden ist. Anders ist keine Vollendung möglich. Das Handeln gegen die eigene Überzeugung muß
nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder gemacht werden, bis das eigene Denken außer acht gelassen
werden kann. Dann hat sich allerdings die Sicht der Dinge vollständig verändert. Was zuvor unzulänglich erschien,
erscheint nun als die einzige richtige Handlung.
Große Fülle muß wie strömend erscheinen, so wird sie unerschöpflich in ihrer Wirkung. Große Fülle nimmt nichts,
sonst wäre es keine große Fülle. Fülle gibt und gibt und gibt und ... Wenn ich allerdings geizig und gierig bin, wie
sollte ich da geben können? Wenn ich mehr werden will, wie sollte ich da geben können? Wer aber alles
losgelassen hat, was sollte der noch nehmen wollen? Er kann nur mehr beschenkt werden. Er will doch nichts
mehr?! Er steht mit seinem Nicht-Sein in der Fülle.
Große Geradheit muß wie krumm erscheinen. Ein Mensch, der nach dem SINN handelt, wird nur Dinge tun, die in
Übereinstimmung mit dem SINN sind. Kein Mensch kann ihn mehr manipulieren. Er wird Dinge tun, die der
normale Mensch mit seinem Verstand nicht begreifen kann. Seine Geradheit wird ihm als große Krummheit
erscheinen. Sie muß ihm so erscheinen, den er will ja, daß er sich in Übereinstimmung mit seinen Erwartungen
und seiner Beurteilung verhält.
Große Begabung muß wie dumm erscheinen. Das Ego, der Verstand ist dumm. Wahre Weisheit existiert nur im
SINN. Da der Verstand jedoch nur sich selber kennt, so muß ihm das Verhalten eines solchen Menschen dumm
erscheinen. Er selber hat gar kein Interesse daran, groß zu erscheinen. Er lebt nur in Überstimmung mit dem SINN
des Lebens. Für ihn existieren Begriffe wie dumm und intelligent nicht. Er sieht die Dinge so, wie sie sind.
Große Beredsamkeit muß wie stumm erscheinen. Der Verstand kann den SINN niemals verstehen und sehen. Es ist
unmöglich. Der, der alles sagen könnte, kann dem Verstand nichts sagen. Was der Verstand auch verstehen mag,
es ist alles falsch. Die Wahrheit ist etwas, das nicht weitergegeben werden kann. Sie kann erfahren werden, wenn
der Verstand beiseite tritt. Doch der Verstand wird nie freiwillig beiseite treten. Schon gar nicht, wenn man ihm
sagt, du wirst als Lohn für Demütigung und Entbehrung nichts bekommen. Denn, die Hoffnungen, Wünsche und
Erwartungen des Verstandes müssen durch Frustration und die Erfahrung der Hoffnungslosigkeit und
Verzweiflung zum Verschwinden gebracht werden. Wer wollte diese Dinge schon freiwillig auf sich nehmen. Und
doch: Große Beredsamkeit muß wie stumm erscheinen.
Bewegung überwindet die Kälte. Stille überwindet die Hitze. Im Verstand können wir immer nur die Dualität
erfahren. Von diesem Standpunkt aus gibt es immer nur ein auf und ab der Dinge. Wir können versuchen,
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Sicherheit im Denken und Fühlen zu erlangen, doch gelingen wird es uns dadurch nie. Nur wenn wir mit dem
LEBEN uns bewegen, wenn das eigene Wünschen und Wollen zum Stillstand gekommen ist, können wir zur
Reinheit und Stille gelangen.
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Wenn der SINN herrscht auf Erden,
so tut man die Rennpferde ab zum Dungführen.
Wenn der SINN abhanden ist auf Erden,
so werden Kriegsrosse gezüchtet auf dem Anger.
Es gibt keine größere Sünde als viele Wünsche.
Es gibt kein größeres Übel als kein Genüge kennen.
Es gibt keinen größeren Fehler als haben wollen.
Darum:
Das Genügen der Genügsamkeit ist dauerndes Genügen.
Wenn der SINN herrscht, dann gibt es kein Rennen mehr. Man will doch nichts mehr, alles ist gut, so wie es ist.
Durch das Rennen werden die Dinge verringert, nun werden sie vermehrt. Der Verstand verdreht ständig die
Dinge. Er kann nur im Wünschen existieren. Es gibt keine größere Sünde als viele Wünsche. Nun kann ich aber
auch nicht wünschen, keine Wünsche mehr zu haben. Das wäre nur wieder ein neuer Wunsch. Der Verstand kann
ohne Wünsche nicht existieren. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, gegen seinen Verstand zu
handeln. Nur, der Verstand kann nicht gegen sich selber handeln. Eine Befreiung durch sich selber ist daher
unmöglich. Daher ist die Hingabe an einen Berufenen nötig. Der sagt dann, was zu tun ist. Ein Wissen, ob es nun
ein Berufener ist oder nicht, gibt es nicht. Aber so ist nun einmal Vertrauen beschaffen. Ohne Vertrauen kann
niemand den Weg gehen. Was ist aber Vertrauen wert, wenn ich weiß, wie es ausgeht? Nichts! Vertrauen kann es
nur in der absoluten Unsicherheit geben. Entweder du vertraust oder du vertraust nicht. Wir sind ständig um
Sicherheit bemüht. Dabei werden die Kriegsrosse auf dem Anger gezüchtet. Die Sicherheit des Verstandes kann
nur im Verteidigen herbeigeführt werden. Wenn ich jedoch nichts mehr wirklich festhalte, nur mehr dem
gegenwärtigen Moment vertraue, was gäbe es dann noch zu verteidigen? Den gegewärtigen Moment vertrauen
kann bedeuten, daß ich mein gesamtes Geld weggeben muß. Wenn das der Moment verlangt, dann muß man es
tun. Oder es kann bedeuten, daß ich, obwohl ich 40 Grad Fieber habe, keinen Arzt holen darf, sondern dem
Moment vertrauen muß. Je auswegloser eine Situation ist, desto größeres Vertrauen ist erforderlich. Desto größer
ist jedoch auch der Segen, der daraus dann erwächst. Es gibt kein größeres Übel als kein Genüge kennen. Es gibt
keinen größeren Fehler als haben wollen. Wenn ich noch irgendetwas besitze, dann habe ich noch nicht genug. Ich
muß es schützen, ich bin nicht frei. Diese Forderung bezieht sich auf materielle und immaterielle Dinge. Wenn ich
noch geliebt werden will, will ich etwas haben, ich bin nicht frei. Das Wünschen und Wollen kommt nie zur Ruhe
und Genügsamkeit. Das Netz der fordernden und wünschenden Gedanken spinnt sich immer dichter. Aus der Sicht
des Verstandes ist der Weg ein Nichtweg. Es passieren keine aufregenden Dinge. Die Tage verstreichen
gleichförmig und monoton. Es ist jedoch auch ein Leben in einer ständigen Krise, denn ich weiß nie, was als
nächstes passieren wird. Es kann sein, daß der Lehrer mich wegjagt. Es kann sein, daß der Lehrer mich ständig
kritisiert und die Dinge drei-, viermal erledigen läßt. Keine Wünsche mehr zu haben, bedeutet wahllos zu sein.
Nichts mehr selber bestimmen, nur mehr der inneren Stimme vertrauen. Doch die innere Stimme ist verschüttet,
und viele, die glauben, sie folgten einer inneren Stimme, folgen doch nur sich selber, der Stimme des Verstandes.
Solange das aber so ist, muß man einem Lehrer folgen, der einem die innere Stimme hörbar macht. Die innere
Stimme wird dich nie als Sieger aus den Situationen hervorgehen lassen. Nie. Wie solltest du sonst aus deinen
egoistischen Forderungen und Wünschen herauskommen können? Das Genügen der Genügsamkeit ist dauerndes
Genügen: das Aufgeben der eigenen Wahl führt zu Frieden und Freiheit.
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Ohne aus der Tür zu gehen,
kennt man die Welt.
Ohne aus dem Fenster zu schauen,
sieht man den TAO des Himmels.
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Je weiter einer hinausgeht,
desto geringer wird sein Wissen.
Darum braucht der Berufene nicht zu gehen
und weiß doch alles.
Er braucht nicht zu sehen
und ist doch klar.
Er braucht nichts zu machen
und vollendet doch.
Er braucht nichts zu machen und vollendet doch. Er macht nichts mehr aus eigenem Antrieb. Er macht nur Dinge
aus seiner Wahllosigkeit heraus. Das bedeutet nicht, daß er nicht mehr handelt, er handelt nur nicht mehr aus
seinem wünschenden Verstand heraus. Er tut die Dinge nicht mehr, um sich irgendeinen Vorteil zu verschaffen. Er
handelt nur mehr aus seiner Wahllosigkeit heraus. Er handelt aus einer totalen Klarheit heraus und einem totalen
Wissen. Bis dahin allerdings ist der Weg durch die totale Unsicherheit zu gehen. Er ist in dieser Welt, er ist aber
nicht mit dieser Welt. Beides zusammen ist unmöglich. Er hat diese Welt überwunden. Man muß die Dinge dieser
Welt total gelebt haben, um wirklich zu wissen, daß sie nichts als Unzufriedenheit bringen. Erst aus dieser
Erkenntnis und Erfahrung heraus ist man vielleicht in der Lage, den Weg zu sich selber zu gehen. Man sucht dann
nichts mehr im Außen. Je mehr man sucht, desto geringer wird das Wissen. Denn es gibt in Wahrheit nichts zu
suchen, nur zu finden. Der Sucher steht dem Finden im Weg, also muß er verschwinden. Wie verschwindet er?
Indem er immer und immer wieder frustriert wird durch die eigene Suche. Das passiert in Wirklichkeit auch, nur
die Gier und Ignoranz des Verstandes ist zu groß, als daß es klar erkannt werden würde. Der Lehrer ist ein Meister
im Herstellen solcher Situationen. Er führt den Schüler Schritt für Schritt an den Abgrund. Der Schüler muß
erkennen, daß er mit seinem Verstand nicht aus seinen Schwierigkeiten heraus kommt. Der Lehrer kann dem
Schüler auch nicht helfen und ihm nichts geben. Ganz allein muß er den Kampf mit sich selber führen und dann
vielleicht den Sprung in den Moment machen.
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Wer das Lernen übt, vermehrt täglich.
Wer den TAO übt, vermindert täglich.
Er vermindert und vermindert,
bis er schließlich ankommt beim Nichtsmachen.
Beim Nichtsmachen bleibt nichts ungemacht.
Das Reich erlangen kann man nur,
wenn man immer frei bleibt von Geschäftigkeit.
Die Vielbeschäftigten sind nicht geschickt,
das Reich zu erlangen.
Der Lehrer kann und darf dem Schüler kein Wissen vermitteln. Er muß ihm vielmehr alles nehmen. Aus der Sicht
des Verstandes ist der Lehrer ein Unmensch. Der Lehrer nimmt diese Ablehnung aber aus Liebe in Kauf. Der
Lehrer demontiert die Psyche des Schülers. Das bedeutet Verminderung. Wir suchen, um mehr zu werden. Dabei
ist das, was wir suchen das, was wir verstecken. Warum verstecken wir es? Weil wir diese Dinge nicht wahrhaben
wollen! Der Lehrer erlaubt eine solche Strategie nicht. Im Gegenteil, er konfrontiert den Schüler ein- ums
anderemal mit sich selber. Er macht ihm deutlich, wie gerissen, wie manipulativ, wie gierig, wie stolz, wie dumm
er in Wirklichkeit ist. Wer den SINN übt, vermindert täglich. So muß dem Schüler dauernd sein Stolz bearbeitet
werden, seine Gier verringert werden und seine verstandesmäßige Dummheit vor Augen geführt werden. Wie soll
sonst eine Verringerung des wissenden Verstandes möglich sein? Es wäre immer nur der Verstand, der sich um
eine weitere Raffinesse berreichert. Dem Verstand erscheint ein solches Vorgehen als Demütigung. Er geht ständig
als Verlierer aus dem Spiel hervor. Doch wie soll man sonst zur Demut gelangen? Geschäftigkeit ist eine
Eigenschaft des Verstandes. Der Verstand will immer irgendetwas machen, irgendetwas erreichen. Dabei gibt es
nichts zu erreichen. Beim Nichtsmachen bleibt nichts ungemacht. Wie soll der Verstand das aber einsehen können?
Er kann es nicht einsehen. Entweder man setzt sich solchen demütigenden Situationen aus, oder man ist ein
Vielbeschäftigter, der nicht geschickt ist, das Reich zu erlangen. Es gibt nur ein Entweger-Oder. Entweder man
vertraut, oder man ist der Gestalter seines eigenen Lebens. Im Nichtmachen gestaltet das TAO das Leben
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unmittelbar. In der Wahllosigkeit gibt es nichts trennendes mehr. Nichts trennendes mehr zu geben, bedeutet, alles
zu fühlen, was in der Welt ist. Hilflos zu sehen und zu fühlen wie die Welt ist. Wer will schon so sein?!
49
Der Berufene hat kein eigenes Herz.
Er macht das Herz der Leute zu seinem Herzen.
Zu den Guten bin ich gut,
zu den Nichtguten bin ich auch gut;
denn das LEBEN ist die Güte.
Zu den Treuen bin ich treu,
zu den Untreuen bin ich auch treu;
denn das LEBEN ist die Treue.
Der Berufene lebt in der Welt ganz still
und macht sein Herz für die Welt weit.
Die Leute alle blicken und horchen nach ihm.
Und der Berufene nimmt sie alle an als seine Kinder.
Der Berufene hat kein eigenes Herz. Er macht das Herz der Leute zu seinem Herzen. Der Berufene hat keine
individuelle Persönlichkeit mehr. Er hält an nichts mehr fest, noch schützt er sein Herz vor irgendwelchen
Unbilden des Lebens. Er ist einfach und er ist wahllos. In seiner Hilflosigkeit ist er stark. Wenn es nichts mehr gibt,
was man zu schützen oder zu verteidigen hat, ist man in seinem Verhalten absolut frei. Zu den Guten bin ich gut;
denn das LEBEN ist die Güte. Zu den Treuen bin ich treu, zu den Untreuen bin ich auch treu; denn das LEBEN ist
die Treue. Der Berufene lebt in der Welt ganz still und macht sein Herz für die Welt weit.
Nur wer nichts eigenes mehr will ist dazu in der Lage.
Nur wer den Schmerz der Ablehnung fühlen will, ist dazu in der Lage.
Nur wer das Leid der Ungerechtigkeit fühlen will, ist dazu in der Lage.
Nur wer durch alle Verletzungen hindurch gegangen ist, ist dazu in der Lage.
Nur wer alles losgelassen hat, ist dazu in der Lage.
Nur wer nicht mehr geliebt werden will ist die Liebe.
Der Berufene weist nichts in seinem Inneren zurück. Er mag sich verhalten wie er will, aber in seinem Inneren ist
ihm alles gleich gültig.
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Ausgehen ist Leben, eingehen ist Tod.
Gesellen des Lebens gibt es drei unter zehn,
Gesellen des Todes gibt es drei unter zehn.
Menschen, die leben
und dabei sich auf den Ort des Todes zubewegen,
gibt es auch drei unter zehn.
Was ist der Grund davon?
Weil sie ihres Lebens Steigerung erzeugen wollen.
Ich habe wohl gehört, wer gut das Leben führen weiß,
der wandert über Land
und trifft nicht Nashorn noch Tiger.
Er schreitet durch ein Heer
und meidet nicht Panzer und Waffen.
Das Nashorn findet nichts, worein es sein Horn bohren kann.
Der Tiger findet nichts,
darein er seine Krallen schlagen kann.
Die Waffe findet nichts, das ihre Schärfe aufnehmen kann.
Warum das?
Weil er keine sterbliche Stelle hat.
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Ausgehen ist Leben, eingehen ist Tod.
Das Eingehen des Verstandes ist Tod.
Das Eingehen des eigenen Wollens ist Tod.
Das Eingehen der Wünsche ist Tod.
Das Eingehen des Stolzes ist Tod.
Das Eingehen allen Eigenen ist Tod.
Das Eingehen aller Suche ist Tod.
Das Eingehen aller Steigerung des Lebens ist Tod.
Das Eingehen in die hilflose Wahllosigkeit ist Tod.
Das Ausgehen in den Verstand ist Leben.
Das Ausgehen des Eigenen ist Leben.
Das Ausgehen des Stolzes ist Leben.
Das Ausgehen der Wünsche ist Leben.
Das Ausgehen in die Suche ist Leben.
Das Ausgehen in die Steigerung des Lebens ist Leben.
Das Ausgehen in das stärkende Wollen ist Leben.
Die meisten Menschen sehen die Dinge verkehrt: das, was sie für Leben halten ist Tod und das, was sie für Tod
halten ist in Wirklichkeit LEBEN. Die meisten Menschen wollen die Steigerung ihres Lebens erzeugen. Doch daß
sie damit genau das Gegenteil des gewünschten erreichen, können sie mit ihrem Verstand nicht erkennen. Wer
gestorben ist, bevor er stirbt, der hat keine sterbliche Stelle mehr, dem kann keine Waffe, noch ein wildes Tier
etwas anhaben. Wer gut das Leben führen weiß, der übt freiwillig Verzicht, der fühlt seine Gier, ohne daß er
versucht, sie schnell zu befriedigen. Der legt sein Leben in die Hände etwas viel größeren als es sein Verstand ist.
Aus der Sicht des Verstandes führt er ein Leben in Verzweiflung und Hilflosigkeit. Die Sicherheit ist ohnehin eine
Illusion des Verstandes, die wie eine Seifenblase zerplatzt eines Tages, aber mit absoluter Sicherheit.
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Der TAO erzeugt.
Das LEBEN nährt.
Die Umgebung gestaltet.
Die Einflüsse vollenden.
Darum ehren alle Wesen den TAO
und schätzten das LEBEN.
Der TAO wird geehrt,
das LEBEN wird geschätzt
ohne äußere Ernennung, ganz von selbst.
Also: der TAO erzeugt, das LEBEN nährt,
läßt wachsen, pflegt,
vollendet, hält,
bedeckt und schirmt.
Alle Wesen schätzen ihr Leben. Denn im grunde ist ihr Leben das LEBEN. Das LEBEN lebt sich immer selber.
Die Selbstbestimmung des Verstandes ist in Wahrheit eine Illusion. Die Meinung, eine Wahl zu haben, ist in
Wahrheit eine Illusion. Nur, die Illusion kann nicht erkennen, daß es lediglich eine Illusion ist. Das Leben hat
immer recht. Dem Leben ist an der Meinung des Verstandes nichts, aber überhaupt nichts gelegen. Nur, der Stolz
liebt den Stolz und versucht immer besser und größer zu werden. Das LEBEN wird geschätzt, ohne äußere
Ernennung, ganz von selbst. Der Mensch ist Teil der Natur, doch er hat sich mit seinem Verstand davon
abgetrennt. Also: der SINN erzeugt, das LEBEN nährt und läßt wachsen; der Verstand verringert und zerstört das
LEBEN.
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Die Welt hat einen Anfang,
das ist die Mutter der Welt.
Wer die Mutter findet,
um ihre Söhne zu kennen,
wer ihre Söhne kennt
und sich wieder zur Mutter wendet,
der kommt sein Leben lang nicht in Gefahr.
Wer seinen Mund schließt
und seine Pforten zumacht,
der kommt sein Leben lang nicht in Mühen.
Wer seinen Mund auftut
und seine Geschäfte in Ordnung bringen will,
dem ist sein Leben lang nicht zu helfen.
Das Kleinste sehen heißt klar sein.
Die Weisheit wahren heißt stark sein.
Wenn man sein Licht benützt,
um zu dieser Klarheit zurückzukehren,
so bringt man seine Person nicht in Gefahr.
Das heißt die Hülle der Ewigkeit.
Der Anfang der Welt ist der SINN, die Mutter. Von dort her kommen wir alle. Wir wissen es bloß nicht mehr, wir
erinnern uns nicht mehr daran. Das intellektuelle Erkennen, das Verstehen oder „Erinnern“ mit dem Verstand
nutzt nichts. Wer den SINN jenseits des Verstandes fühlen kann, der erkennt, daß er ein Sohn der Mutter, des
SINNS ist und er ist nicht mehr getrennt vom LEBEN. Er kann nicht mehr sterben, weil er in seinem Ego schon
gestorben ist. Es gibt nichts mehr, daß aus der Sicht des Verstandes sterben könnte. Er sieht sich in seinem wahren
Wesen und kann somit alle Söhne des LEBENS wieder erkennen.
Wer seinen Mund schließt und seine Pforten zumacht, der kommt sein Leben lang nicht in Mühen. Wer seinen
Mund auftut und seine Geschäfte in Ordnung bringen will, dem ist sein Leben lang nicht zu helfen. Der Mund ist
das menschliche Wünschen und Wollen, die Gier und der Geiz, das Hoffen und Streben nach Ordnung und
Sicherheit. Doch einem solchem Menschen ist sein Leben lang nicht zu helfen. Er hilft sich selber und ist somit für
die Hilfe des LEBENS nicht erreichbar. Er lebt in der Klarheit des Verstandes und kann das Kleinste nicht sehen.
Doch das Kleinste sehen heißt klar zu sein. Wir hassen es jedoch in diese Klarheit zu kommen. Denn dann müßten
wir uns betrachten so, wie wir sind. Und jeder Mensch ist in seinem Ego häßlich, absolut häßlich. Wir wollen
jedoch nicht häßlich sein. Wir wollen in Ordnung kommen, wir wollen besser werden. Doch wir können uns mit
unserem Verstand, mit diesem Erkennen, mit diesem Streben nicht verbessern. Das ist unmöglich. Wir müssen uns
in unserer Negativität sehen. Wir müssen von anderen Menschen den Spiegel vorgehalten bekommen und dürfen
dann davor nicht mehr weglaufen. Doch dann finden wir tausendundein Argument, daß nicht wir so sind, oder daß
es die besondere Situation oder der Umstand es sind, daß wir so und nicht anders handeln können. In uns die
Negativität und Häßlichkeit sehen ist gleichbedeutend mit dem Gefühl der Peinlichkeit, mit Hilflosigkeit, mit
aufsteigender Aggressivität, Haß und Wut. Doch wer will sich diesen äußerst unangenehmen Gefühlen denn
stellen? Wer will schon sehen, daß auch er wirklich fähig ist, jemanden zu töten. Da diskutieren wir doch lieber
solche Themen, als daß wir uns in solche Situationen begeben. Wenn man sein Licht benützt, um zu dieser Klarheit
zurückzukehren, so bringt man seine Person nicht in Gefahr. Doch wir wollen im Dunkeln des Verstandes leben.
Wir fürchten uns vor diesem Licht, weil es alles, wirklich alles zum Vorschein bringt. Man kann in diesen Satz
hineininterpretieren was man will, es ändert nichts an der Tatsache, daß man seine Person erst dann nicht mehr in
Gefahr bringt, wenn man diese gefahrvollen Situationen klar, ohne gefühlsmäßige Verwirrung aushalten und sehen
kann. Doch bei wem ist das denn schon der Fall? Sie verstricken sich in Argumenten und Argumenten. Doch wer
seinen Mund schließt und seine Pforten zumacht, der kommt sein Leben lang nicht in Mühen. Klarheit der Dinge
verlangt nach einer Offenheit und nicht nach einem Flüchten vor der Realität der Welt. Offen sein bedeutet, daß
man den Dingen der Welt innerlich nicht widerstrebt, sondern sie einfach fühlen kann. Man muß jedoch alle Dinge
erst in sich selber erkannt und gefühlt haben, sonst begegnet man sich immer nur sich selber.
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Wenn ich wirklich weiß, was es heißt,
im großen SINN zu leben,
so ist es vor allem die Geschäftigkeit,
die ich fürchte.
Wo die großen Straßen schön und eben sind,
aber das Volk Seitenweg liebt;
wo die Hofgesetze streng sind,
aber die Felder voll Unkraut stehen;
wo die Scheunen ganz leer sind,
aber die Kleidung schmuck und prächtig ist;
wo jeder ein scharfes Schwert im Gürtel trägt;
wo man heikel ist im Essen und Trinken
und Güter im Überfluß sind:
da herrscht Verwirrung, nicht Regierung.
Wenn ich wirklich weiß, was es heißt, im großen SINN zu leben, so ist es vor allem die Geschäftigkeit, die ich
fürchte. Dann, und nur dann, kann ich mit mir sein. Sonst bin ich doch immer nur mit dem anderen. Geschäftigkeit
zerstreut, führt von sich selber weg. Wer nicht bei sich selber leben kann, der liebt die Seitenwege, da stehen die
Felder voll Unkraut, die Scheunen sind leer, der trägt ein scharfes Schwert im Gürtel, da herrscht Verwirrung.
Die Seitenwege sind die Gedanken,
die nicht fühlen können.
Die strengen Hofgesetze sind die Gedanken,
die alles so wollen, wie sie es wollen.
Die Felder voll Unkraut sind die Gedanken,
die nicht klären können.
Die leeren Scheunen sind die Gedanken,
die nur denken und keine Liebe haben.
Die schmucke Kleidung sind die Gedanken,
die nur danach streben schön zu werden.
Das scharfe Schwert sind die Gedanken,
die sich nur selber verteidigen wollen.
Heikel im Essen und Trinken sind die Gedanken,
die nichts anderes gelten lassen können.
Die Güter im Überfluß sind die Gedanken,
die nichts loslassen wollen, nur gieren.
In den Gedanken herrscht Verwirrung,
keine Regierung.
Gedanken können sich selber nie befreien, es sind immer nur neue Gedanken. Sie verstricken sich immer mehr in
sich selber. Ich muß mich selber verleugnen können, sonst komme ich nie aus den Gedanken heraus. Ich muß mich
selber klein machen können, sonst ist es nicht möglich. Das alles kann ich aber nicht selber, sonst bleibe ich in
meinen Gedanken. Das ist bisher nur noch nicht in dieser Klarheit gesagt worden. Warum? Weil es das
Schwierigste ist, was von einem Menschen verlangt werden kann. Wenn es nicht so wäre, müßten doch viel mehr
wahrhaft glückliche und klare Menschen auf dieser Erde sein. Die Schwierigkeit liegt doch wohl darin, daß alles
Gesagte und Geschriebene immer mit dem Verstand erfaßt und damit interpretiert werden muß. Er bildet die Basis.
Doch das ist eine Basis, die auf einem sehr wackeligen Sockel steht. Er kann nie über sich selber hinauswachsen.
Er bleibt immer derselbe. Was immer er an neuem hinzugewinnt, bleibt auf dieser wackeligen Basis. Wenn ich ihm
das sage, so kann er auch das wiederum nur mit seinem eigenen Verständnis verstehen. Anderes ist nicht möglich.
Es wäre jedoch möglich, wenn er sich auf die neue Erfahrung einließe. Wirkliches Lernen kann immer nur in der
eigenen Erfahrung liegen. Dann ist es zur Basis geworden. Wir wollen die Dinge aber lediglich wissen, nicht
wirklich erfahren. Im Wissen liegt vermeintliche Sicherheit. In der Erfahrung liegt Wahrheit. Meine Wahrheit,
nicht die von irgendwem, es ist meine eigene Wahrheit. Je mehr ich verstehen will, desto weniger Erfahrung
sammle ich. Denn ich füge das neue Wissen nur meinem alten Wissen hinzu. Wenn ich allerdings einfach die
Situation so fühlen kann, wie sie ist, so bleibe ich klar. Ich bin nur in der Situation, nicht mehr in irgendwelchen
Gedanken. Die Gedanken sind immer geschäftig. Die Situation ist kein Geschäft, es ist einfach eine Situation, wie
verworren sie dem denkenden Verstand immer auch erscheinen mag. Doch nun kann der Verstand wieder sagen,
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ja, das ist so, und versuchen nicht mehr geschäftig zu sein. Doch es ist lediglich ein Gedanken.
Zen-Mönche sitzen zehn bis zwanzig Jahre auf einem Kissen, verlassen nie ihr Kloster und leben in strengster
Disziplin. Wir jedoch glauben ernsthaft, daß wir dasselbe mit unseren Methoden erreichen könnten. Nie kann das
geschehen. Im Gegenteil. Wir haben unserem materiellen Egoismus lediglich noch einen geistigen Egoismus
hinzugefügt. Wen wundert es, wenn dann die Dinge in Verwirrung geraten. Man muß sich schon auf den harten
Weg begeben, damit sich die Dinge so entwickeln, wie sie sich entwickeln sollen. Wir müssen aus der Illusion
unseres Verstandes aufwachen und die Dinge so erkennen, wie sie wirklich sind. Wir müssen unser Wissen, daß
uns an die Schwelle der Apokalypse gebracht hat verwerfen, es kann uns nicht mehr helfen.
Den Verstand wirklich verlassen kann ich nur, wenn ich mich jemanden hingebe, wenn ich vertraue. Ein
wissenden Vertrauen kann es nicht geben. Das ist nur der Verstand, der rechnet und berechnet. Der Weg aus dem
Verstand kann nur, nur über Vertrauen führen.
Den Verstand wirklich verlassen kann ich nur, wenn ich die Felder voller Unkraut jäte. Ich muß meine Negativität
schmerzlich erfahren, damit ich sie irgendwann fallen lassen kann. Ich muß mit meiner Häßlichkeit konfrontiert
werden, sonst kann ich sie nie überwinden. Kein Mensch kann sich besser machen, wie er ist. Er kann sich eine
prächtige Kleidung zulegen, doch im Grunde seines Wesens ändert sich damit nichts.
Denn Verstand kann ich nicht im Überfluß und Reichtum der Güter verlassen, sondern nur im Loslassen. Der
Verstand muß alles loslassen, woran er sich festhält, wovon er sich nährt. Dann kann es möglich werden, daß ich
nichts mehr will, sondern zufrieden bin mit dem, was ist.
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Was gut gepflanzt ist, wird nicht ausgerissen.
Was gut festgehalten wird, wird nicht entgehen.
Wer sein Gedächtnis Söhnen und Enkeln hinterläßt,
hört nicht auf.
Wer seine Person gestaltet, dessen Leben wird wahr.
Wer seine Familie gestaltet, dessen Leben wird völlig.
Wer seine Gemeinde gestaltet, dessen Leben wird wachsen.
Wer sein Land gestaltet, dessen Leben wird reich.
Wer die Welt gestaltet, dessen Leben wird weit.
Darum: Nach deiner Person beurteile die Person des andern.
Nach deiner Familie beurteile die Familie der andern.
Nach deiner Gemeinde beurteile die Gemeinde der andern.
Nach deinem Land beurteile das Land der andern.
Nach deiner Welt beurteile die Welt der andern.
Wie weiß ich die Beschaffenheit der Welt?
Eben durch dies.
Was gut gepflanzt ist, wird nicht ausgerissen. Wer im SINN steht, wird nie untergehen. Er ist Teil der Natur
geworden, und kann nicht vergehen. Im Gegenteil: er wird mit der Natur wachsen. Was gut festgehalten wird, wird
nicht entgehen. Wer den SINN festhält, wird nie fallen gelassen. Er wird vom SINN getragen, denn er ist nur mehr
SINN, er hat nichts eigenes mehr,was er festhalten müßte. Wer sein Gedächtnis Söhnen und Enkeln hinterläßt, hört
nicht auf. Wer seinen Verstand und all sein Wissen fallen läßt, wird Söhne und Enkel bekommen und hört nicht
auf, denn eine neue und andere Weisheit wird sein Leben leben.
Nach deiner Person beurteile die Person des andern. Wie weiß ich die Beschaffenheit der Welt? Eben durch dies.
Das ist ein Kernpunkt der Erkenntnis der Welt. Nur im Erkennen und Gestalten der eigenen Person. Niemand kann
zunächst etwas anderes tun, als sich selbst erkennen. Alles andere wäre ein Wachsen des Wissens. Nur, im und
durch den Verstand ist eine Selbsterkenntnis unmöglich. Ich sehe immer nur den Standpunkt des Verstandes.
Etwas anderes ist nicht möglich. Was der Verstand Unbewußtes nennt, ist nichts anderes als eine verborgene Ecke
des Verstandes. Natürlich kann das der Verstand nicht erkennen. Wie denn auch? Er kennt doch nur sich selber.
Was der Verstand jenseitig und geistig nennt, ist nichts anderes als ein Spiel des Verstandes. Um wirklich aus dem
Verstand zu kommen, um wirklich in unbewußte Ebenen des Seins zu gelangen, ist eine Anstrengung und Methode
notwendig, die uns darüber hinaus führt. Jede Mystik hat solche Methoden hervorgebracht, die nun aber vom
Verstand benutzt werden. Urspünglich war das anders. So hat die Mystik jeder Zeit wieder neue Techniken
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hervorgebracht, um dieses Ziel zu erreichen: die verborgenen Energien zu erwecken, damit die Alchemie der
menschlichen Transformation möglich wird. Wirkliche Selbsterkenntnis wird nur möglich, wenn der Verstand die
Situation nicht analysieren kann, wenn die Gefühle hochkommen müssen, obwohl sich der Verstand dagegen
wehrt. Nur im Gefühl der Hilflosigkeit ist geistige Entwicklung gegeben. Der Verstand ist immer darauf aus, besser
zu werden. Nein, das ist keine Entwicklung, das ist lediglich eine Vergrößerung des Stolzes. Der Stolz muß
gebrochen werden, damit die Gestaltung der Person möglich wird. Die Persönlichkeit muß demontiert und zerlegt
werden, damit die neue wahre Person erscheinen kann. Niemand wird das zunächst freiwillig zulassen. Niemand
wird das, was er mühevoll sich erarbeitet hat, freiwillig loslassen. Das erscheint dem Verstand als Rückschritt.
Doch du mußt schon an den Punkt zurückgehen, an dem das ganze Dilemma begann: in deiner Kindheit. Da sind
wir alle stehengeblieben in unserer emotianlen Entwicklung. Wir gleichen Kindern von drei, vier Jahren: wir sind
trotzig, widerspenstig und verletztlich, wir sind sofort gekränkt, wenn man uns den Spiegel unserer Gefühle
vorhält. Das müssen wir alle wieder lernen zuzulassen. Wir müssen wieder so verletztlich wie nur möglich zu
werden, um die Beschaffenheit der Welt zu erfahren. Nicht im Verstand verletztlich werden, nein, das ist lediglich
ein heucheln und ein Spiel. Wir müssen Situationen über uns ergehen lassen, die uns nicht als Sieger hervorgehen
lassen, sondern als Verlierer. Je öfter wir verlieren, desto besser. Nach Möglichkeit sollten wir dauernd verlieren.
Denn dann muß erscheinen, was verborgen ist. Dann kann ich sehen, wie ich meine Person beurteile, wie ich den
anderen beurteile. Vorher ist alles lediglich ein Spiel der Gedanken.
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Wer festhält des LEBENS Völligkeit,
der gleicht einem neugeborenen Kindlein:
Giftige Schlangen stechen es nicht.
Reißende Tiere packen es nicht.
Raubvögel stoßen nicht nach ihm.
Seine Knochen sind schwach, seine Sehnen weich,
und doch kann es fest zugreifen.
Es weiß noch nichts von Mann und Weib,
und doch regt sich sein Blut,
weil es des Samens Fülle hat.
Es kann den ganzen Tag schreien,
und doch wird seine Stimme nicht heiser,
weil es des Friedens Fülle hat.
Den Frieden erkennen heißt ewig sein.
Die Ewigkeit erkennen heißt klar sein.
Das Leben mehren nennt man Glück.
Für sein Begehren seine Kraft einsetzen nennt man stark.
Sind die Dinge stark geworden, altern sie.
Denn das ist Wider-SINN.
Und Wider-SINN ist nahe dem Ende.
Es geht nicht darum, im Verstand stark zu werden: das ist Wider-SINN. Das Leben aus dem egoistischen Verstand
ist gegen das LEBEN. Doch der Verstand sieht die Dinge anders. Muß sie anders sehen, sonst wäre er nicht der
Wider-SINN. So betrachtet, sind alle Menschen, die aus und in ihrem Verstand leben, die Widersacher der
Berufenen. Sie können das Leben eines LEBENDEN nicht verstehen und alles, was er ihnen wirklich zu sagen hat,
muß sich gegen sie richten. Ihr Verstand stellt immer wieder die Dinge auf den Kopf. Doch: Wer festhält des
LEBENS Völligkeit, der gleicht einem neugeborenen Kindlein: Giftige Schlangen stechen es nicht. Raubvögel
stoßen nicht nach ihm. Er hat die Angst, die immer die Angst vor dem LEBEN ist, überwunden. Das Ego muß sich
schützen, damit es bestehen bleiben kann. Nicht der Berufene: er lebt im LEBEN. Er muß sich nicht mehr
schützen, nichts kann ihm etwas anhaben. Seine Knochen sind schwach, seine Sehnen weich, und doch kann es fest
zugreifen. Er hat keine Angst mehr vor der Wahrheit, deswegen kann er allen die Wahrheit sagen, ohne Angst vor
der Reaktion der anderen haben zu müssen. Die handeln aus dem berechnenden Verstand heraus. Er handelt aus
der Klarheit des SINNS.
Das Geheimnis der Sexualität liegt im LEBEN. Wer im LEBEN lebt, hat die Dualität allen Seins überwunden. Die
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Sexualkraft ist gleich der LEBENSkraft, deswegen regt sich sein Blut, weil es des Samens Fülle hat. Er braucht
keine verstandes- und willenmäßige Anstrengung mehr vollbringen, denn das LEBEN lebt sich selber. Es kann den
ganzen Tag schreien, und doch wird seine Stimme nicht heiser, weil es des Friedens Fülle hat. Der Wider-Sinn des
Verstandes existiert nicht mehr, die Zwei ist verschwunden. Die Eins ist der Frieden des einen LEBENS. Das heißt
ewig sein, das heißt klar zu sein. Ist der Wider-SINN verschwunden, so mehrt sich das LEBEN und man lebt im
Glück. In seinem Begehren, in seiner Gier muß man die Kraft des eigenen Willens aufbringen, und alle Dinge
verbrauchen sich und werden alt. Denn das ist Wider-SINN und der Wider-SINN alleine ist es, der sterben wird.
56
Der Wissende redet nicht.
Der Redende weiß nicht.
Man muß seinen Mund schließen
und seine Pforten zumachen,
seinen ScharfTAO abstumpfen,
seine wirren Gedanken auflösen,
sein Licht mäßigen,
sein Irdisches gemeinsam machen.
Das heißt verborgene Gemeinsamkeit (mit dem TAO).
Wer die hat, den kann man nicht beeinflussen durch Liebe
und kann ihn nicht beeinflussen durch Kälte.
Man kann ihn nicht beeinflussen durch Gewinn
und kann ihn nicht beeinflussen durch Schaden.
Man kann ihn nicht beeinflussen durch Herrlichkeit
und kann ihn nicht beeinflussen durch Niedrigkeit.
Darum ist er der Herrlichste auf Erden.
Der Wissende redet nicht. Er weiß, daß sich die Wahrheit nicht sagen läßt. Der Verstand weiß nur, was er weiß.
Die Wahrheit ist nur erfahrbar. Darin liegt die größte Gerechtigkeit des SEINS. Man kann seinen Verstand noch so
scharf machen, es nützt nichts. Im Gegenteil: Man muß seinen Scharfsinn abstumpfen, seine wirren Gedanken
auflösen, sein Licht mäßigen. Doch wie macht man das? Versucht der Verstand sich nicht scharf zu machen, so
macht er sich dadurch scharf! Vom Verstand aus kann dieses Kunststück nicht gelingen. Alles, was er macht, ist
aus der Sicht des SINNS falsch. Die größte Klugheit ist die, sich demütigen zu lassen. Das tötet den Scharfsinn. Ich
rede nicht von absichtlicher Demütigung, die wäre wiederum nur Berechnung. Nein, ich meine ein Ausliefern in
die Hände eines größeren Menschen. Der durchschaut selbst deinen größten Scharfsinn, so daß du nie gewinnen
kannst. Das alleine hilft.
Wer die verborgene Gemeinsamkeit mit dem SINN hat, der folgt alleine dem SINN. Ihn kannst du durch nichts
manipulieren und beeinflussen. Nicht durch Liebe, die keine Liebe ist. Nicht durch Kälte, die die Ablehnung deines
Verstandes ist. Nicht durch Gewinn, denn er hat schon alles. Nicht durch Schaden, denn er kann nichts mehr
verlieren. Nicht durch Herrlichkeit, denn er ist herrlich in seiner Liebe. Nicht durch Niedrigkeit, denn er ist
niedriger als die Niedrigkeit, er ist ein Nichts.
Wie aber willst du durch eigene Anstrengung zu einem Nichts werden? Wie? Du stehst dir dabei selber im Wege,
du mußt verschwinden, um zu einem Nichts zu werden. Wie willst du frei vom Verhalten anderer werden, wenn du
immer noch jemand sein willst? Wie willst du frei werden, wenn du geliebt werden willst? Wie willst du frei
werden, wenn du an Äußerem hängst? Du darfst nichts mehr wollen und wünschen. Um dahin zu gelangen, mußt
du durch die tiefste Verzweiflung hindurch gehen, die ein Mensch in der Lage ist zu ertragen. Wer glaubt aus der
Sicht des Verstandes, daß darin der größte Segen zu finden ist?! Das ist doch das letzte, was sich ein Mensch
wünschen würde. Doch wie willst du sonst zu einem Nichts werden?
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Zur Leitung des Staates braucht man Regierungskunst,
zum Waffenhandwerk braucht man
außerordentliche Begabung.
Um aber die Welt zu gewinnen,
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muß man frei sein von Geschäftigkeit.
Woher weiß ich, daß es also mit der Welt steht?
Je mehr es Dinge in der Welt gibt, die man nicht tun darf,
desto mehr verarmt das Volk.
Je mehr die Menschen scharfe Geräte haben,
desto mehr kommen Haus und Staat ins Verderben.
Je mehr die Leute Kunst und Schlauheit pflegen,
desto mehr erheben sich böse Zeichen.
Je mehr die Gesetze und Befehle prangen,
desto mehr gibt es Diebe und Räuber.
Darum spricht ein Berufener:
Wenn wir nichts machen,
so wandelt sich von selbst das Volk.
Wenn wir die Stille lieben,
so wird das Volk von selber recht.
Wenn wir nichts unternehmen,
so wird das Volk von selber reich.
Wenn wir keine Begierden haben,
so wird das Volk von selber einfältig.
Alles, was der Verstand unternimmt, geht auf Kosten von anderen. Das sehen die meisten Menschen aber nicht so.
Zur Leitung des Staates braucht man Regierungskunst, zum Waffenhandwerk braucht man außerordentlich
Begabung. Doch man kann machen, was man will: Je mehr es Dinge in der Welt gibt, die man nicht tun darf, desto
mehr verarmt das Volk. Denn, der Verstand ist der WIder-SINN des Lebens. Und das LEBEN läßt sich nicht
manipulieren. Alle Gesetze und Normen sind gegen das LEBEN gerichtet. Denn, das LEBEN lebt sich durch sich
selber. Doch der Wider-SINN des Verstandes kann das nicht sehen, er will seinen Standpunkt verteidigen. Doch: Je
mehr die Menschen scharfe Geräte haben, desto mehr kommen Haus und Staat ins Verderben. Jeder ist gegen die
Meinung des anderen. Denn jeder kann nur sich selber leben. Er hat nichts anderes als sein Wollen. Er kann
machen, was er will, es ist doch nur sein Wollen. Je mehr er versucht durch das Wollen sein Wollen zum
Verschwinden zu bringen, umso mehr pflegt er die Kunst und die Schlauheit, und desto mehr erheben sich böse
Zeichen. Die Gesetze und Befehle des Verstandes engen das Leben immer mehr ein, so daß es Diebe und Räuber
geben muß. Sie sind letztendlich nichts anderes als der Widerpart dessen, was der egoistische Verstand versucht,
für sich zu gebrauchen.
Der Berufene macht nichts mehr aus seinem Wünschen heraus. Sein Wollen und Wünschen existiert nicht mehr.
Aus der Sicht des Verstandes lebt er in der Wahllosigkeit. Weil er nichts eigenes mehr macht, wandelt sich von
selbst das Volk der Gedanken. Sein Verstand lärmt nicht mehr, er lebt in der Stille, er unternimmt nichts mehr aus
seinem Wünschen, so wird er von selber reich. Sind die Begierden verschwunden, so wird er einfältig in seinem
Wesen.
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Wessen Regierung still und unaufdringlich ist,
dessen Volk ist aufrichtig und ehrlich.
Wessen Regierung scharfsinnig und stramm ist,
dessen Volk ist hinterlistig und unzuverlässig.
Das Unglück ist`s, worauf das Glück beruht;
das Glück ist es, worauf das Unglück lauert.
Wer erkennt aber, daß es das Höchste ist,
wenn nicht geordnet wird?
Denn sonst verkehrt die Ordnung sich in Wunderlichkeiten,
und das Gute verkehrt sich in Aberglaube.
Und die Tage der Verblendung des Volkes
dauern wahrlich lange.
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Also auch der Berufene:
Es ist Vorbild, ohne zu beschneiden,
er ist gewissenhaft, ohne zu verletzen,
er ist echt, ohne Willkürlichkeiten,
er ist licht, ohne zu blenden.
Die Regierung des SINNS ist still und unaufdringlich, wer sich ihm anschließt, ist aufrichtig und ehrlich. Die
Regierung des Verstandes ist scharfsinnig und stramm, wer sich ihm anschließt, ist hinterlistig und unzuverlässig.
Glück und Unglück sind Interpretationen des Verstandes. Versucht man Glück zu erlangen, so wird darauf
Unglück folgen. Ist man unglücklich, so wird man irgendwann wieder glücklich werden. Man kann unmöglich
durch die Wünsche und Hoffnungen des Verstandes dauerndes Glück erreichen. Das Höchste ist es, wenn man ein
derartiges Streben aufgibt. Im Leben folgt eine Situation nach der anderen. Man muß sie akzeptieren, so wie sie ist,
und so verändert sie sich von selber. Den Moment des Lebens so nehmen wie er ist, wie er auch sein mag, und die
Ordnung stellt sich von selber ein. Der Verstand will immer etwas anderes, er strebt immer nach etwas anderem, er
ist nie zufrieden mit dem was ist. Das ist die wahre Verblendung zu meinen, daß man an den Dingen auch nur das
Geringste ändern könnte. Man kann an den Dingen nichts ändern. Fühle den Moment so tief wie nur irgendwie
möglich und er verändert sich von selber. Nur, vom Verstand aus kannst du das nicht bewerkstelligen. Denn,
indem er das versucht, hofft er schon wieder, daß sich eben dadurch etwas ändert. Nein, so ist das nicht gemeint.
Gemeint ist eine tiefe Demut dem Leben gegenüber. Damit ist keine Resignation gemeint, sondern vielmehr der
größte Mut, den der Mensch imstande sein muß aufzubringen. Er darf nicht mehr versuchen, irgendjemanden
anderem die Schuld für die und jene Situation zuzuschreiben, noch irgendeinem anderen Umstand. Sonder schlicht
und einfach ja sagen zu allem, was passiert. Der Berufene ist Vorbild, ohne zu beschneiden, er ist gewissenhaft,
ohne zu verletzen, er ist echt, ohne Willkürlichkeiten, er ist licht, ohne zu blenden. Er engt das LEBEN nicht mehr
ein, er lebt nur mehr das LEBEN. Gewissenhaft, ohne das LEBEN zu verletzen. Doch auf das Ego nimmt er keine
Rücksicht. Vom Verstand aus gesehen, kann er die größten Verletzungen zufügen. Er braucht sich nicht mehr zu
schützen, so kann er die Wahrheit direkt aussprechen. Er ist echt, ohne Willkürlichkeiten des Verstandes, der die
Situationen immer wieder aus seiner Sicht sehen und beurteilen will. Nein, der Berufene ist authentisch, er sagt,
was ist. Nachdem das Verstand nie will, wird es ihm nie gut bekommen. Er wird dagegen rebellieren und
argumentieren, doch der Berufene ist licht, ohne zu blenden.
59
Bei der Leitung der Menschen und beim Dienst des Himmels
gibt es nichts Besseres als Beschränkung.
Denn nur durch Beschränkung
kann man frühzeitig die Dinge behandeln.
Durch frühzeitiges Behandeln der Dinge
sammelt man doppelt die Kräfte des LEBENS.
Durch diese verdoppelten Kräfte des LEBENS
ist man jeder Lage gewachsen.
Ist man jeder Lage gewachsen,
so kennt niemand unsere Grenzen.
Wenn niemand unsere Grenzen kennt,
können wir die Welt besitzen.
Besitzt man die Mutter der Welt,
so gewinnt man ewige Dauer.
Das ist der SINN der tiefen Wurzel,
des festen Grundes,
des ewigen Daseins
und des dauernden Schauens.
Die Dinge sind durch Handlungen des Verstandes entstanden. Versucht nun der Verstand die Dinge wieder in
Ordnung zu bringen, so entstehen neue Probleme, die wieder versucht werden, durch den Verstand in Ordnung
gebracht zu werden. Das ist eine Kette von Ursache und Wirkung ohne Ende. Nur durch Beschränkung, durch ein
Nicht-Mehr-Verändern-Wollen läßt sich diese Kette auflösen. Durch frühzeitiges Behandeln der Dinge sammelt
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man doppelt die Kräfte des LEBENS. Der Verstand ist der Widerpart des LEBENS. Dadurch können keine
Probleme gelöst werden. Nur wenn man sich in die Hilflosigkeit begibt und die Situationen bis auf den Grund
erfährt, verändern sie von selber. Dem Verstand erscheint das Gegenteil richtig, doch nur in der Beschränkung
liegt das Heil. Dann wird der Verstand ein Werkzeug des LEBENS und ist nun nicht mehr gegen das LEBEN, und
so haben sich die Kräfte des LEBENS verdoppelt. Es gibt nun keine Probleme mehr, man ist jeder Lage gewachsen.
Probleme gibt es nur im Verstand, der die Situationen nach seinem Wissen interpretiert. Gibt es keine
Interpretationen mehr, weil der Verstand verschwunden ist, so sieht man die Dinge klar und handelt entsprechend.
Damit man die Dinge klar sieht, muß man sie erst bis auf den Grund erfahren und gefühlt haben. Der Verstand
muß seine Hilflosigkeit einsehen. Wann sieht der Verstand seine Hilfslosigkeit ein? Erst dann, wenn er zur
Verzweiflung gekommen ist. Sonst wird er immer und immer wieder einen Ausweg nach seinem Gutdünken
versuchen. Erst wenn er seinen Bankrott erklären muß, wenn er seine Hilflosigkeit erfährt, kann er dem Moment
des LEBENS akzeptieren. Erst wenn der Flirt mit dem Selbstmord beginnt, und man nur mehr die Wahl zwischen
Tod oder der Aufgabe der eigenen Wahl hat, kann das geschehen. Denn, es handelt sich bei diesen Dingen nicht
um eine intellektuelle Variante, sondern um eine existentielle. Der Verstand setzt sich immer selbst die Grenzen.
Es ist unmöglich, daß er sich selber überwinden kann. Als Widerpart des LEBENS bleibt er immer Widerpart. Sein
Leben aus dem Verstand hingeben, bedeutet absolute Wahllosigkeit, bedeutet die totale Aufgabe des eigenen
Willens. Dann können wir die Welt besitzen, nur gibt es dann niemanden mehr, der besitzen will. Es ist niemand
mehr da, der sagen könnte, ich besitze die Mutter der Welt. Er ist zur Mutter der Welt geworden und handelt so wie
sie. Aber es gibt keinen Widerpart mehr. Man muß seinen eigenen Verstandestod leben, indem man nie das
bekommt, was man will. Wie sollte sonst das Verschwinden der Verstandesgrenzen geschehen? Wie sollte der
Verstand verschwinden, wenn er immer die Direktiven des Lebens angibt? Nur im Handeln gegen den eigenen
Verstand ist das möglich. Kann der eigene Verstand solche Handlungen angeben? Es ist unmöglich, daß er ewige
Dauer gewinnt. Der SINN der tiefen Wurzel, des festen Grundes, der ewigen Daseins und dauernden Schauens liegt
jenseits vom Verstand. Nur wer sich selber überwinden kann, kann die Sicherheit der Unsicherheit erlangen.
60
Ein großes Land muß man leiten,
wie man kleine Fischlein brät.
Wenn man die Welt verwaltet nach dem SINN,
dann gehen die Abgeschiedenen nicht als Geister um.
Nicht, daß die Abgeschiedenen keine Geister wären,
doch ihre Geister schaden den Menschen nicht:
auch der Berufene schadet ihnen nicht.
Wenn nun diese beiden Mächte einander nicht verletzen,
so vereinigen sich ihre LEBENSKRÄFTE in ihrer Wirkung.
Wenn man die Welt verwaltet nach dem SINN, dann gehen die Abgeschiedenen nicht als Geister um. Die
abgeschiedenen Geister sind die Stimmen des Verstandes. Der Verstand trennt uns von der natürlichen Lebenswelt.
Wir können nur dann wieder eins werden, wenn wir handeln, wie der SINN uns es aufträgt, nicht mehr auf sich
selber hören. Dann schaden die Geister des Verstandes dem Menschen nicht mehr. Nun hat jedoch auch der
Verstand die Fähigkeit, verkleidete Stimmen des SINNS hervorzubringen. Es ist doch einfach, von seinem
Verstand aus zu sagen, die Stimme des SINNS will jetzt, das ich das und das tue. Nur ist es dann nicht die Stimme
des SINNS. Es gibt zunächst keine Sicherheit auf diesem Gebiet. Nur eine: solange es Dinge sind, die dir möglich
erscheinen, sind es nicht die Stimmen des SINNS. Der SINN wird Dinge von dir verlangen, die dir aus der Sicht
deines Verstandes unmöglich, absurd und blödsinnig erscheinen. Er kann verlangen, sofort deine Arbeit zu
kündigen, ohne die geringste Aussicht, wie du dein Leben finanzieren kannst. Oder er kann verlangen, nackt durch
die Straße zu wandeln. Oder, daß du dich vor dein Auto stellst und allen Leuten lauthals verkündest, das wäre dein
Teddybär oder ähnliches. Wie gesagt, er wird dich immer in Situationen bringen, die du unmöglich als Sieger
verlassen kannst. Ein großes Land muß man leiten, wie man kleine Fischlein brät. Niemand wird doch ernsthaft
glauben, daß man mit einer Handlung der kleinen Fischlein ein großes Land leiten könnte?! Und doch verhält es
sich in Wahrheit so. Nicht mehr danach streben mehr sein zu wollen. So vergrößert man sein Unglück nur, so
vergrößert man sein Ego. Dann verletzen sich die beiden Mächte nur und bekämpfen sich in ihrer Wirkung.
Weniger werden, indem man Situationen zuläßt, in denen man gedemütigt wird. So kommt man zur Demut und die
beiden Mächte, der Verstand und der SINN, vereinigen sich und ihre LEBENSKRÄFTE vereinigen sich in ihrer
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Wirkung.
61
Indem ein großes Reich sich stromabwärts hält,
wird es die Vereinigung der Welt.
Es ist das Weibliche der Welt.
Das Weibliche siegt immer
durch seine Stille über das Männliche.
Durch seine Stille hält es sich unten.
Wenn so das große Reich sich unter das kleine stellt,
so gewinnt es dadurch das kleine Reich.
Wenn das kleine Reich sich unter das große stellt,
so wird es dadurch von dem großen Reich gewonnen.
So wird das eine dadurch, daß es sich unten hält, gewinnen,
und das andere dadurch, daß es sich unten hält, gewonnen.
Das große Reich will nichts anderes
als die Menschen vereinigen und nähren.
Das kleine Reich will nichts anderes
als sich beteiligen am Dienst der Menschen.
So erreicht jedes, was es will;
aber das große muß unten bleiben.
Indem ein großes Reich sich stromabwärts hält, wird es die Vereinigung der Welt. Stromabwärts bedeutet
zweierlei: im Fluß mit dem LEBEN sein und es führt dem Meere des LEBENS zu. Mit dem LEBEN fließen kann
nur das Weibliche der Welt. Es bedarf des Mutes der Hingabe. Nicht kämpfen und die Welt beherrschen und
Ordnen wollen, sondern die Welt gebären durch die Hingabe. Die Stille des eigenen Wollens hält es unten. Laotse
spielt mit den Begriffen groß und klein und bringt dadurch das Wesen des TAOS zum Ausdruck. Wenn das große
Reich sich unter das kleine stellt, so gewinnt es dadurch das kleine Reich. Wenn das eigene Wollen aufgegeben
wird, so erscheint es dem großen Reich des Wünschen und Wollens, daß es nur ein kleines Reich gewinnen wird.
Stellt sich das kleine Reich jedoch unter das große Reich des SINNS, so wird es dadurch vom großen Reich
gewonnen. Die Paradoxie des Denkens hat sich aufgelöst. Denn, das Denken und Wollen wird, indem es sich unten
hält, gewinnen. Und der SINN wird dadurch gewonnen. Den entscheidenden Punkt spricht Laotse im Anschluß an:
Das große Reich will nichts anderes als die Menschen vereinigen und nähren. Das kleine Reich will nichts anderes
als sich beteiligen am Dienst der Menschen. Das bedeutet doch nichts anderes, als daß in Wahrheit gar keine
Trennung der beiden Reiche existiert. Die Trennung geschieht nur dadurch, daß sich ein Reich nicht unten hält.
Wenn nun aber das große Reich nichts anderes will als die Menschen zu vereinigen und nähren, so wird und muß
es dafür sorgen, daß sich das andere Reich nicht oben halten kann. Tatsächlich ist in der Geschichte dieser
Umstand immer wieder zu beobachten: Erschaffung, Erhaltung und Zerstörung. Diese Zyklen geschehen immer
wieder. Im Großen wie im Kleinen. Was du vernichten willst, daß mußt du erst richtig aufblühen lassen (Vers 36).
Kein Mensch kann dagegen etwas tun. Die Wahl ist also letztendlich nur eine Illusion des Verstandes. Kein
Mensch hat letzten Endes eine Wahl. Das kleine Reich will nichts anderes als sich beteiligen am Dienst der
Menschen. Die Sehnsucht nach etwas anderem als dem, was uns die Wünsche des Verstandes zu geben imstande
sind, ist in jedem Menschen. Er kann tun und lassen was er will, immer ist etwas da, was unbefriedigt und unerfüllt
ist. So sorgt das LEBEN, das alles sich irgendwann wieder vereinigt. Aber das große muß unten bleiben.
62
Der SINN ist aller Dinge Heimat,
der guten Menschen Schatz,
der nichtguten Menschen Schutz.
Mit schönen Worten kann man zu Markte gehen.
Mit ehrenhaftem Wandel
kann man sich vor andern hervortun.
Aber die Nichtguten unter den Menschen,
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warum sollte man die wegwerfen?
Darum ist der Herrscher eingesetzt,
und die Fürsten haben ihr Amt.
Ob man auch Zepter von Juwelen hätte,
um sie im feierlichen Viererzug zu übersenden,
nicht kommt das der Gabe gleich,
wenn man diesen SINN auf seinen Knien dem Herrscher darbringt.
Warum hielten die Alten diesen SINN so wert?
Ist es nicht deshalb, daß es von ihm heißt:
„Wer bittet, der empfängt;
wer Sünden hat, dem werden sie vergeben?“
Darum ist er das Köstlichste auf Erden.
Der SINN ist der guten Menschen Schatz, denn sie haben gefunden, was nie gefunden werden kann. Den
Menschen, die nicht diesen Schatz haben, sind aber auch nicht von ihm getrennt. Sie leben im LEBEN, obgleich
sie es nicht wissen. Im folgenden verdreht Laotse diese Worte wieder. Mit schönen Worten kann man zu Markte
gehen, mit ehrenhaftem Wandel sich vor anderen hervortun. Er bezeichnet diese Menschen als gut, indem er weiter
sagt: Aber die Nichtguten unter den Menschen, warum sollte man sie wegwerfen? Kein Mensch ist imstande über
gut und nichtgut zu entscheiden. Darum ist der Herrscher eingesetzt. Der SINN allein ist gut, und nichts kommt
der Gabe gleich, wenn man diesen SINN auf seinen Knien dem Herrscher darbringt. Sich selbst aufgeben, um den
Schatz des SINNS zu bekommen.
Wer bittet, der empfängt. Wer mit seinem Ego beiseite tritt, dann kommt der SINN von ganz alleine. Es kann gar
nicht anders sein. Wer Sünden hat, dem werden sie vergeben. Aber nur, wenn man im SINN steht. Vom Verstand
aus, werden nie Sünden vergeben, sondern nur vermehrt. Man kann mit seinen Gedanken denken und tun was man
will, alles ist falsch. Der entscheidende Punkt ist jenseits des Verstandes. Nur wer an diesen Punkt gelangt, dem
werden die Sünden vergeben und er kann den Schatz des SINNS erlangen. Darum ist er das Köstlichste auf Erden.
63
Wer das Nichthandeln übt,
sich mit Beschäftigungslosigkeit beschäftigt,
Geschmack findet an dem, was nicht schmeckt:
der sieht das Große im Kleinen und das Viele im Wenigen.
Er vergilt Groll durch LEBEN.
Plane das Schwierige da, wo es noch leicht ist!
Tue das Große da, wo es noch klein ist!
Alles Schwere auf Erden beginnt stets als Leichtes.
Alles Große auf Erden beginnt stets als Kleines.
Darum: Tut der Berufene nie etwas Großes,
so kann er seine großen Taten vollenden.
Wer leicht verspricht,
hält sicher selten Wort.
Wer vieles leicht nimmt,
hat sicher viele Schwierigkeiten.
Darum: Bedenkt der Berufene die Schwierigkeiten,
so hat er nie Schwierigkeiten.
Wer das Nichthandeln übt, sich mit Beschäftigungslosigkeit beschäftigt, Geschmack findet an dem, was nicht
schmeckt: der sieht das Große im Kleinen und das Viele im Wenigen. Wer Geschmack findet an dem, was nicht
schmeckt. Man kann diesen Satz einfach lesen, ohne den tiefen Sinn zu erkennen. Laotse wird nicht müde, ein und
denselben Sachverhalt mit immer neuen Metaphern zu umschreiben. Wenn man tut, was man immer tut, wie will
man sich dann verändern. Ich selber kann aber nur tun, was ich immer tue. Ich kann mich nie wirklich verändern.
Ich kann mich nie so verändern, wie ich es mir denke. Ich brauche Hilfe von außen. Nur, sagt mir jemand, was und
wie ich es tun soll, so werde ich daran keinen Geschmack finden. Im Gegenteil, ich werde sagen, mische dich nicht
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in mein Leben, ich weiß selber wo es für mich längs geht. Ich soll doch nicht irgendjemanden folgen. Ich sol einem
Berufenen folgen. Die Fürsten des SINNS, die diesen Weg gegangen sind, sind allein in der Lage, jemanden den
Weg zu weisen. Alle anderen glauben zu wissen, was der Weg ist. Doch sie denken es lediglich, ohne den Weg
wirklich zu kennen. Vergiß alles, was du denkst, was der Weg ist. Der Weg ist anders. Du wirst am Weg keinen
Geschmack finden. Das ist unmöglich. Der Weg kann nicht so sein, wie ihn das Denken gerne hätte. Wenn es so
wäre, dann hätten doch viele Menschen den SINN gefunden. Das ist aber nicht so. Nur wer das Nichthandeln übt,
der sieht das Große im Kleinen. Nichthandeln bedeutet, das Handeln nach seinen Wünschen, Gedanken und
Vorstellungen aufgeben. Das kann ich unmöglich selber, denn es wäre doch wiederum nur ein neuer Gedanke. Ich
brauche die Hilfe von jemanden, der diesen Weg gegangen ist. Wir wollen uns jedoch nichts sagen lassen. Darin
liegt die große Schwierigkeit. Im Endeffekt bedeutet der Weg aber, nicht mehr nach seinen Vorstellungen zu
handeln. Von morgens bis abends nur mehr auf die Stimme dieses Menschen zu hören. Dann kann es möglich
werden, daß ich mich von meinem Verstand verabschieden kann. Dann können sich die Dinge wieder klären: ich
sehe das Große im Kleinen und das Viele im Wenigen. Das sind doch keine leeren Worte. Ich muß klein werden,
wenig werden, um das Große und Viele zu erkennen. Wie werde ich klein? Ich kann mich selber nicht klein
machen. Das ist doch nur eine Verstellung in der Vorstellung, nichts anderes. Ich muß die demütigenden
Situationen über mich ergehen lassen, um wirklich klein zu werden. Dann wird Groll aufsteigen, ob ich das will
oder nicht. Doch der Berufene vergilt Groll durch LEBEN. Er nimmt aus Liebe diese Ablehnung in Kauf.
Plane das Schwierige da, wo es noch leicht ist! Alles Große beginnt stets als Kleines. Zuerst ist der Gedanke, dann
die Handlung. Jede Handlung hat Konsequenzen. Laotse`s Anweisung läßt sich aus dem Denken heraus nicht
befolgen. Ich muß mir über meine Gedanken und Handlungen bewußt werden. Doch das Denken ist kein
Bewußtsein. Das Bewußtsein ist jenseits des Denkens. Erst durch eine Gedankenlücke kann Bewußtsein ins
Bewußtsein gelangen. Diese Gedankenlücke kann nur durch Beschäftigungslosigkeit enstehen. Ich kann denken,
bewußt zu sein. Das ist keine Schwierigkeit. Doch dadurch bin ich keinen Schritt weiter gekommen. Ich denke es
lediglich, ohne den wahren Sachverhalt überhaupt erkennen zu können. Mit Beschäftigungslosigkeit ist kein
Müßiggang gemeint. Es ist die Beschäftigungslosigkeit des Denkens damit gemeint. Die kann ich nur erreichen,
indem ich das tue, was mir mein Lehrer sagt. Tue ich das über einen langen Zeitraum, so vergrößert sich der Raum
zwischen dem Denken und dem Bewußtsein. Dann kann ich immer mehr erkennen. Doch damit verbunden ist
auch, daß ich dann die Konsequenzen meines Handeln fühlen muß. Verletze ich einen Menschen, so war das früher
vielleicht nicht erkennbar, auf keinen Fall fühlbar. Jetzt verhalten sich die Dinge anders. Ich erkenne und fühle die
Schmerzen, die ich diesem Menschen zugefügt habe.
Der Berufene tut nie etwas Großes. Er handelt nur nach dem Moment. Er plant die Dinge nicht mehr. Das Denken
handelt immer nach seinen Vorstellungen und gedachten Zielen. Der Berufene ist motivationslos. Er handelt nur
um des Handelns willen. Nichts Großes will er vollbringen. Er handelt aus einem Nichtwissen heraus. Wer vieles
leicht nimmt, hat sicher viele Schwierigkeiten. Der Berufene ist bewußt. Er nimmt die Situation weder leicht noch
schwer. Die Situation ist, wie sie ist, und er sieht sie klar und handelt bewußt. Das Denken mag über die Situation
grübeln, er wird sie dadurch nie klarer sehen können. Er wird sich dadurch nie den Schwierigkeiten entziehen
können. Das Denken schafft sich die Probleme und Schwierigkeiten selber. Nicht der Berufene: er bedenkt die
Schwierigkeiten, so hat er nie Schwierigkeiten. Er weiß, daß jedes Handeln Konsequenzen hat. Er sieht die
Konsequenzen seines Handelns und verhält sich entsprechend. Er folgt nicht mehr dem Denken, sondern der
Intelligenz des Moments, des SINNS. Nur dadurch, daß er dem SINN folgt, kann er den Schwierigkeiten gerecht
werden. Nur dadurch.
64
Was noch ruhig ist, läßt sich leicht ergreifen.
Was noch nicht hervortritt, läßt sich leicht bedenken.
Was noch zart ist, läßt sich leicht zerbrechen.
Was noch klein ist, läßt sich leicht zerstreuen.
Man muß wirken auf das, was noch nicht da ist.
Man muß ordnen, was noch nicht in Verwirrung ist.
Ein Baum von einem Klafter Umfang
entsteht aus einem haarfeinen Hälmchen.
Ein neun Stufen hoher Turm
entsteht aus einem Häufchen Erde.
Eine tausend Meilen weite Reise
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beginnt vor deinen Füßen.
Wer handelt, verdirbt es.
Wer festhält, verliert es.
Also auch der Berufene:
Er handelt nicht, so verdirbt er nichts.
Er hält nicht fest, so verliert er nichts.
Die Leute gehen an ihre Sachen,
und immer wenn sie fast fertig sind,
so verderben sie es.
Das Ende ebenso in acht nehmen wie den Anfang,
dann gibt es keine verdorbenen Sachen.
Also auch der Berufene:
Er wünscht Wunschlosigkeit.
Er hält nicht wert schwer zu erlangende Güter.
Er lernt das Nichtlernen.
Er wendet sich zu dem zurück, an dem die Menge vorübergeht.
Dadurch fördert er den natürlichen Lauf der Dinge
und wagt nicht zu handeln.
Jedes Denken hat einen Beweggrund. Der Beweggrund ist die Motivation der Handlung. Die Motivation der
Handlung ist der Wunsch und das Wollen. Dadurch ist es unmöglich, die Wurzel des Handelns zu erkennen. Denn
der Handelnde selber verdeckt die Sicht, der Handelnde selber ist das Problem. Die menschliche Gier und die
Erwartungen und Vorstellungen verstellen die Sicht auf das, was ist. Was sich als große Weisheit Laotse liest, und
dem das Denken gerne folgen will, ist weit schwieriger zu erreichen als es auf den ersten Blick erscheinen kann.
Was noch ruhig ist, läßt sich leicht ergreifen. Das bedeutet doch, daß die menschliche Gier und Motivation zur
Ruhe gekommen sein muß, um überhaupt das Aufsteigen des Wunsches klar erkennen zu können. Weiter bedeutet
das, daß ich doch Herr meiner Begierden sein muß, damit ich sie ergreifen kann. Meistens ist es doch umgekehrt:
ich bin Sklave meiner Begierden. Wie soll ich sie so ergreifen können. Was noch nicht hervortritt, läßt sich leicht
bedenken. Ist die Handlung erst einmal ausgeführt, so kann ich sie in ihrem Ursprung nicht mehr beeinflussen. Die
Vergangenheit läßt sich nicht mehr beeinflussen, lediglich die Folgen können bearbeitet werden. Also muß ich in
der Lage sein, sie in ihrem Entstehen schon erkennen und beurteilen zu können. Man muß wirken auf das, was
noch nicht da ist. Man muß ordnen, was noch nicht in Verwirrung ist. Wie ist das möglich? Nur, indem der
motiviert Handelnde verschwindet. Wie verschwindet der motiviert Handelnde? Nicht, indem er sich wieder neu
motiviert, zum Beispiel nicht mehr motiviert handelnd zu sein. Das ist der circulus vituosis, der ewige Teufelskreis.
Kein noch so großer Scharfsinn kann da einen Ausweg bringen. Der motiviert Handelnde kann nur zum
Verschwinden gebracht werden, indem seine Motivation ein- ums anderemal nicht zu seinem gewünschten
Ergebnis führt. Man muß von seinen Wünschen, Zielen und Hoffnungen total frustiert sein, bis man überhaupt
bereit ist, sich auf den Prozeß des psychischen Selbstmordes einzulassen. Ist man bereit, so wird einen der Lehrer
nicht nur keinen Lohn für seine Taten geben, sondern das genaue Gegenteil. Er wird uns ständig kritisieren, jede
Kleinigkeit wird er groß bemängeln. Nichts werden wir in seinen Augen richtig machen. Ein- ums anderemal
werden wir enttäuscht werden. Er verspricht uns Dinge, die er dann ständig widerruft. Nur so werden wir langsam
unsere Erwartungen aufgeben. Er wird uns Dinge gegen unsere Erwartungen und Wünsche machen lassen. Wir
müssen unseren eigenen psychische Tod leben. Wir dürfen keine Erwartungen mehr haben, wir müssen nur mehr
in dem gegenwärtigen Moment sein, so wie er ist. Der Berufene handelt nicht, so verdirbt nichts. Das heißt nicht,
daß er nur still dasitzen würde. Nein, er handelt nicht mehr aus eigenem Antrieb. Er ist absolut wahllos. Er lebt nur
mehr den Moment. Wenn der Moment ist, einen Monat lang nicht mehr aus dem Haus zu gehen, gut, dann bleibt
er eben solange in seinem Haus. Wenn der Moment ist, jeden Tag 16 Stunden lang zu arbeiten, gut, so arbeitet er
jeden Tag 16 Stunden lang. Wenn der Moment ist, nur anderen zu helfen, gut, so hilft nur anderen. Wenn der
Moment ist, sich bedienen zu lassen, gut, dann läßt er sich bedienen. Nichthandeln heißt, nur den Moment zu
leben. Er hält nicht fest, so verliert er nichts. Ich kann nur verlieren, wenn ich etwas besitze. Ich kann nur
verlieren, wenn ich etwas wünsche. Wenn ich aber weder etwas besitze noch etwas wünsche, was soll mir dann
genommen werden oder wie soll ich dann enttäuscht werden können. Damit ich aber nicht mehr enttäuscht werden
kann, muß dich die Enttäuschung und Frustration tief erfahren haben. Der Verstand will gerade dieses Gefühl
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vermeiden, er will sich schützen. Er hält an allem fest. Und so wird er nie die Befreiung erlangen können. Die
Leute gehen an ihre Sachen, und immer wenn sie fast fertig sind, so verderben sie es. Das Ende ebenso in acht
nehmen wie den Anfang, dann gibt es keine verdorbenen Sachen. Der Verstand interpretiert diese Sätze so wie er
sie gerne haben will. Doch die Wahrheit ist anders. Wenn ich etwas fertig haben will, so verderbe ich es. Wenn ich
das Ende wie den Anfang nehme, so gibt es keine Probleme. Probleme entstehen nur durch Zeithaftigkeit. Für den
Berufenen gibt es keine Zeit; alles ist ihm gleich wichtig. Doch was für eine Disziplin ist von Nöten, um sich nicht
von den Lauf der Dinge mitreißen zu lassen. Es gehört eine sehr große Selbstbeherrschung und enormes Vertrauen
dazu, nur dem Moment zu vertrauen und nicht in den Ausgang der Dinge einzugreifen. Der Berufene wünscht
Wunschlosigkeit. Er hält nicht wert schwer zu erlangende Güter. Er lernt das Nichtlernen. Er wendet sich zu dem
zurück, an dem die Menge vorüberschreitet. Die Menge trachtet danach, mehr zu werden. Die Menge trachtet
danach, immer mehr zu lernen. Der Berufene tut das genaue Gegenteil dessen: er lernt vertrauen. Vertrauen in den
Moment, nicht in seinen wissenden Verstand. Der Moment verlangt das Gegenteil dessen, was der Verstand
fordert. Wenn der Moment verlangt, dein gesamtes Geld für einen Luxusartikel auszugeben, so wird der Verstand
rebellieren und sagen, was soll dieser Unsinn. Doch der, der vertraut, macht diesen Unsinn und kauft diesen
Gegenstand. Nicht das er ihn brauchen würde, nein, nur weil es der Moment ist, und er vertraut. Wenn der Moment
ist, jemanden, von dem du gerne etwas wünscht, so vor den Kopf zu stoßen, so sagt der Verstand, das ist doch
blödsinnig, du wirst nie wieder etwas von ihm bekommen. Doch wenn man vertraut, so handelt man danach.
Vertrauen ist nichts wert, wenn man weiß, wie die Sache ausgeht. Vertrauen zeigt sich erst dann, wenn man nichts
sieht. Dazu gehört eine enorme Überwindung. Die Menge geht an diesen Dingen gerne vorbei. Doch der Berufene
fördert dadurch den natürlichen Lauf der Dinge und wagt nicht nach seinen Vorstellungen zu handeln.
65
Die vor alters tüchtig waren
im Walten nach dem SINN,
taten es nicht durch Aufklärung des Volkes,
sondern dadurch, daß sie das Volk töricht hielten.
Daß das Volk schwer zu leiten ist,
kommt daher, daß es zuviel weiß.
Darum: Wer durch Wissen den Staat leitet,
ist der Räuber des Staats.
Wer nicht durch Wissen den Staat leitet,
ist das Glück des Staats.
Wer diese beiden Dinge weiß, der hat ein Ideal.
Immer dies Ideal zu kennen, ist verborgenes LEBEN.
Verborgenes LEBEN ist tief, weitreichend,
anders als alle Dinge;
aber zuletzt bewirkt es das große Gelingen.
Die tüchtig waren im Walten nach dem SINN, taten es nicht durch Aufklärung des Volkes. Der Verstand will seine
Handlungen gerne rechtfertigen und erklären. Das Walten nach dem SINN ist gegen den Verstand. Natürlich will
sich der Verstand gerne retten und die unsinnigen Handlungen erklären. Doch sind dann die Handlungen dann
noch unsinnig? Wird ihn das Volk überhaupt verstehen? Nein, der der wirklich vertraut, will von solchen
Rechtfertigungen nichts wissen, er vertraut und handelt nach dem SINN und wenn die ganze Welt sich gegen ihn
wendet. Er hält das Volk für töricht und den SINN für weise. Doch in Wirklichkeit verhalten sich die Dinge gerade
umgekehrt. Er wird vom Volk in seinen Handlungen nicht verstanden werden, sondern er wird als verrückt
erscheinen. Nur der egoistische Verstand will in keinen solchen Licht erscheinen. Doch der Verstand muß
verschwinden. Also sind solche Handlungen die ideale Voraussetzung für die Demütigung des Egos. Daß das Volk
schwer zu leiten ist, kommt daher, daß es zuviel weiß. Der wissende Verstand ist das Unheil der Welt. Fast
niemand wird eine solche Aussage bestätigen. Auch das, was ich hier schreibe, vermehrt das Wissen des
Verstandes und ist daher von keinem Nutzen. Außer, daß der Verstand erkennen soll, daß sich die Dinge so
verhalten, wie sie sich verhalten. Ohne Einsicht in die Dinge kann keine Veränderung herbeigeführt werden. Es ist
der erste Schritt. Der zweite Schritt liegt im Beschreiten des Weges. Und der Weg ist, das Nichtlernen zu lernen.
Wie lerne ich das Nichtlernen? Nur, indem ich immer und immer wieder vor Augen geführt bekomme, wie dumm
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ich bin. Ja, ich muß ständig verlieren. Nicht, daß ich das in der Situation verstehen könnte, dann wäre doch wieder
mein Verstand der Sieger, nein, der Lehrer wird Situationen kreiieren, die ich nicht durchschauen kann, in denen
ich mich wie ein Versager fühlen muß. So lerne ich das Nichtlernen und kann zum verborgenen LEBEN gelangen.
Wer durch Wissen den Staat leitet, ist der Räuber des Staats. Alles, was jemand durch Wissen erlangt, besitzt auf
Kosten eines anderen Menschen. Das gesamte Unheil entsteht durch Wissen, Wünschen und Wollen. Jeder Mensch
will etwas haben, weil er es noch nicht besitzt. Das ist die grundlegende Negativität. Es stehen sich ständig Bettler
gegenüber, die lediglich fordern können, ohne jemals wirklich zufrieden zu werden. Durch das Wissen-Wollen der
Dinge geraten diese aus dem natürlichen Lauf. Kein neues Wissen ist imstande, diese Misere wieder ins Lot zu
bringen. Der Verstand fügt auf dem SINN Schicht um Schicht hinzu. Dadurch verringert er den natürlichen
Reichtum der Dinge. Er ist der Räuber des Staates. Natürlich kann das das Wissen des Verstandes nicht erkennen.
Könnte es das Wissen erkennen, so würde es nicht so handeln. Das Wissen hält es nicht für möglich, daß jenseits
davon eine viel viel größere Intelligenz waltet. Das Wissen kann nur sich selbst sehen. Wer nicht durch Wissen den
Staat leitet, ist das Glück des Staats. Wissen macht schwer und unzufrieden. Unzufriedene Menschen können nie
das Glück mehren. Sie versuchen ständig nur, ihrem Unglücklichsein, ihrer Angst zu entfliehen. Man muß die
Dinge bis auf den Grund erfahren, um den Schlüssel zu finden. Die meisten Menschen benötigen enormen
Leidensdruck bis sie bereit sind, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Sich nach Innen wenden bedeutet
nicht, nach inneren Werten zu streben. Das ist lediglich ein geistiger Materialismus. Sich nach Innen wenden
heißt, das Streben, das Wünschen und Wollen aufzugeben. In letzter Konsequenz bedeutet es ein Leben in
Wahllosigkeit. Ein Aufgeben seiner Selbstbestimmung und ein Leben nach dem SINN. Verborgenes LEBEN ist
tief, weitreichend und anders als alle Dinge; aber zuletzt bewirkt es das große Gelingen.
66
Daß Ströme und Meere Könige aller Bäche sind,
kommt daher, daß sie sich unten halten können.
Darum sind sie die Könige aller Bäche.
Also auch der Berufene:
Wenn er über seinen Leuten stehen will,
so stellt er sich in seinem Reden unter sie.
Wenn er seinen Leuten voran sein will,
so stellt er sich in seiner Person hintan.
Also auch:
Er weilt in der Höhe,
und die Leute werden durch ihn nicht belastet.
Er weilt am ersten Platze,
und die Leute werden von ihm nicht verletzt.
Also auch:
Die ganze Welt ist willig, ihn voranzubringen,
und wird nicht unwillig.
Weil er nicht streitet,
kann niemand auf der Welt mit ihm streiten.
Daß Ströme und Meere Könige aller Bäche sind, kommt daher, daß sie sich unten halten können. Unten halten
bedeutet, sich richten nach den Gesetzen der Natur. Ströme und Meere wollen nichts anderes sein, als Ströme und
Meere. Das ist ihr wahres Wesen. Alle Wesen bis auf den Menschen sind an dieses Gesetz gebunden. Nur der
Mensch hat die Fähigkeit sich auch oben zu halten. Dadurch ist er aus der Natur herausgefallen. Er mißhandelt sie,
indem er seinen eigenen Gesetzen, den Gesetzen des Verstandes folgt. Er ist zum Bettler und Räuber geworden und
nicht der König des Reiches. Wenn er über seinen Leuten stehen will, so stellt er sich in seinem Reden unter sie.
Wenn er seinen Leuten voran sein will, so stellt er sich in seiner Person hintan. Der Verstand liest diese Sätze und
mag sich sagen: gut, ich stelle mich hintan. Warum stellt er sich hintan? Weil er groß sein will! Nein, nach den
Vorstellung und Gedanken des Verstandes ist dieser Umstand nicht zu erfüllen. Hintan stellen bedeutet, nichts
eigenes mehr wollen, in der Wahllosigkeit zu leben. Er weilt in der Höhe, und die Leute werden durch ihn nicht
belastet. Er weilt am ersten Platze, und die Leute werden von ihm nicht verletzt. Er hat keine Erwartungen mehr,
wer soll dann belastet werden? Er fordert nichts mehr, wer soll dann belastet werden? Er fordert auch nicht mehr,
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nicht mehr zu fordern. Er ist in seinem Wollen und Wünschen gestorben. Die Leute werden von ihm nicht mehr in
ihrem Wesen verletzt. Gewöhnlich verkaufen die Menschen ihre Seele, weil sie ständig nach Äußerlichkeiten
streben und gieren. Sie machen sich gegenseitig ihr Leben zur Hölle, weil sie nie mit dem zufrieden sein können,
was ist. Sie sind nur Händler. Bekommen sie nicht, was sie sich wünschen, so werden sie irgendwann ihre Maske
verlieren. Der Berufene kann ihnen ihr Händlerdasein zeigen. Er verletzt sie sehr wohl in ihrem Ego, aber nie in
ihrem Wesen. Das Wesen kann nicht verletzt werden. Er fördert das Wachstum des Wesens. Aber, da das Wesen,
der SINN immer etwas anderes von den Menschen verlangt, als es ihr Verstand tut, verletzt er sie sehr wohl. Er
muß sie aus Liebe verletzen. Nicht die Liebe, wie der Verstand sie kennt und sich wünscht. Das ist keine Liebe, das
ist nur Falschgeld. Er fördert die Quelle der Liebe, indem er hilft, den Verstand zum Verschwinden zu bringen. Die
ganze Welt ist willig, ihn voranzubringen, und wird nicht unwillig. Die Welt, wie sie der Verstand kennt, ist sehr
wohl unwillig gegenüber den Berufenen. Sie haben sie immer bekämpft. Denn: der SINN ist gegen das Ego, den
Verstand. Der Verstand hört nicht gerne die Wahrheit, er bekämpft sie. Doch die Wahrheit siegt immer und der
Berufene hat in Wirklichkeit die ganze Welt, den SINN auf seiner Seite. Er wird nie unwillig, den SINN in die
Welt zu bringen. So kann der SINN nichts anderes als mit ihm zu sein. Weil er nicht streitet, kann niemand auf der
Welt mit ihm streiten. Er ist in seinem Wesen die Liebe und der Frieden. Er will in Wirklichkeit nichts mehr. Nicht
einmal mehr die Wahrheit oder die Liebe. Er ist selber so geworden. Was soll er da nocht wollen?! Doch der
Berufene ist alles andere als ein weichlich Liebender. Er kann die Wahrheit rücksichtslos und ohne Vorbehalt
aussprechen. Angst entsteht immer nur aus der Zweiheit: auf der einen Seite der Verstand, auf der anderen das
Herz. Der Berufene lebt nur mehr aus seinem Herzen. Er hat keine Angst mehr vor der Wahrheit. So kann es für
ihn auch keinen Streit mehr geben. Aus der Sicht der anderen Menschen sieht jedoch der Sachverhalt ganz anders
aus. Sie können Aussagen eines solchen Menschen als die größte Provokation empfinden. Sie sehen aber immer
sich selber, merken das meistens nicht. So meinen sie oft, es mit einem rücksichtslosen Menschen zu tun zu haben
und hassen ihn. Ihm ist das gleichgültig, er legt keinen Wert auf diese Verstandesliebe, die nur in der Lage ist,
seinesgleichen zu lieben. Er ist nicht vom Verhalten der anderen Menschen abhängig. Er handelt nur in
Übereinstimmung mit dem SINN. So kann es für ihn keinen Streit mehr geben.
67
Alle Welt sagt, mein SINN sei zwar groß,
aber sozusagen unbrauchbar.
Gerade weil er groß ist,
deshalb ist er sozusagen unbrauchbar.
Wenn er brauchbar wäre,
so wäre er längst klein geworden.
Ich habe drei Schätze,
die ich schätze und wahre.
Der eine heißt: die Liebe;
der zweite heißt: die Genügsamkeit;
der dritte heißt: nicht wagen, in der Welt voranzustehen.
Durch Liebe kann man mutig sein,
durch Genügsamkeit kann man weitherzig sein.
Wenn man nicht wagt, in der Welt voranzustehen,
kann man das Haupt der fertigen Menschen sein.
Wenn man nun ohne Liebe mutig sein will,
wenn man ohne Genügsamkeit weitherzig sein will,
wenn man ohne zurückzustehen vorankommen will:
das ist der Tod.
Wenn man Liebe hat im Kampf,
so siegt man.
Wenn man sie hat bei der Verteidigung,
so ist man unüberwindlich.
Wen der Himmel retten will,
den schützt er durch die Liebe.
Alle Welt sagt, mein SINN sei zwar groß, aber sozusagen unbrauchbar. Der Verstand will alle Dinge so haben, wie
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er sie haben will. Er will sie nach seinen Vorstellungen und Erwartungen gebrauchen. Kein Ding, das diesen
Erwartungen des Verstandes entspricht, ist jemals aus dem SINN. Der Verstand ist ständig auf der Suche, er will
seine Zufriedenheit finden. Doch er wird sie so nie finden. Der Sucher muß verschwinden, dann ist der SINN da.
Der Sucher wird jedoch nie durch Suche verschwinden. Er wird nie verschwinden, solange da etwas ist, daß der
Verstand gebrauchen kann. Denn solange hält der Verstand an diesem Ding fest, und dann kann der SINN sich nie
ausbreiten. Die Dinge, die der Verstand verwirft, die kommen aus dem SINN. Wenn er brauchbar wäre, so wäre er
längst klein geworden. Gerade weil er groß ist, deshalb ist er sozusagen unbrauchbar. Laotse versucht in diesen
Sätzen das nicht auszudrückende zum Ausdruck zu bringen. Der Verstand kann nie diese Zusammenhänge
verstehen. Solange da noch jemand ist, der verstehen will, kann man nicht verstanden werden. Der Verstand kann
also versuchen was er will, es ist alles falsch. Alles, was er gebrauchen kann, ist in Wirklichkeit unbrauchbar, ist
klein. Doch der Verstand ist es, der klein ist. Doch das kann er nicht sehen. Könnte er es sehen, so wäre er nicht
mehr klein. Es gibt jedoch nur eines, das wahrhaft groß ist, das ist der SINN. Alles ist aus dem SINN, doch der
Verstand glaubt, daß er der Verursachen der Dinge ist.
Ich habe drei Schätze, die ich schätze und wahre. Der eine heißt Liebe. Doch alles, was der Verstand für Liebe hält,
ist nicht Liebe. Der Verstand kann nicht lieben. Liebe ist nur da, wenn der Verstand beiseite tritt. Dann ist Liebe
da, ansonsten ist es nur eine Vorstellung von Liebe, aber keine Liebe. Dann kann man erkennen, daß alles, was
geschieht, auch das größte Leid, aus Liebe geschieht. Was der Verstand darüber denkt ist nur Gedankengerümpel.
Der zweite heißt: die Genügsamkeit. Der Verstand kann nie genügsam sein. Er kann nur fordern, und sei es
Genügsamkeit. Man kann nur im Moment, in der Gegenwart ohne die geringste Forderung wahrhaft genügsam
sein. Es bedeutet die totale Entspannung ohne die geringste Abwehr. Unter welchen Umständen das auch immer
sein mag. Die absolute Wahllosigkeit, das ist die Genügsamkeit. Die läßt sich durch keine Gedanken- oder
Willensanstrengung herbeiführen. Die entsteht von ganz alleine, wenn der Verstand zur Ruhe kommt. Das heißt
genügsam sein.
Die dritte heißt: nicht wagen, in der Welt voranzustehen. Der Verstand will immer jemand sein. Er muß sich
ständig in den Vordergrund schieben. So minderwertig kommt sich der Verstand selber vor. Was immer er auch
versuchen mag, er selber ist es, der es versucht. Kein Verstand läßt sich gerne demütigen. Er haßt es, gedemütigt zu
werden. Doch wie soll sonst jemand zur wahren Demut gelangen? Der Stolz des Verstandes, der immer alles besser
weiß, muß verschwinden. Wie soll sonst der kleine, unbrauchbare SINN zum Vorschein kommen können? Was
heißt es gedemütigt zu werden? Sich Situationen aussetzen, die man nicht will. Doch kann sich ein Verstand selber
solche Situationen aussuchen? Nie, er wird sich immer als Sieger empfinden. Er wird dann denken, ah, habe ich
mich jetzt aber demütigen lassen. Das ist alles dann nur ein Spiel des Verstandes. Ein Ego-Trip. Ein Verstand kann
niemals durch eigene Anstrengungen wahllos werden. Der Wähler muß verschwinden, dann wählt der SINN. Der
SINN ist doch durch die lauten Stimmen des Verstandes unhörbar. Er kann sich zwar einbilden, das es die
Stimmen des Sinnes sind, denen er folgt, doch das ändert nichts an der Tatsache, das das niemals die Stimme des
SINNS ist. Das bedeutet doch, daß der Sucher sich einen Lehrer des SINNS stellen muß. Doch die meisten würden
meilenweit vor den Forderungen eines solchen Lehrers weglaufen. Der Verstand versuchte sich zu retten. Er kann
niemals die Dinge verstehen, die ein wahrer Lehrer von ihm verlangen wird.
Durch Liebe kann man mutig sein. Der Verstand will immer geliebt werden. Er kann nicht mutig sein. Mut
erscheint ihm als Dummheit, denn dann müßte er doch die Dinge aufs Spiel setzen, die ihm wertvoll erscheinen
und um derentwillen er so viel Anstrengung auf sich genommen hat. Nein, warum sollte er solche Dinge
unternehmen?! Wer jedoch in der Liebe lebt, der kümmert sich nicht mehr um die Anerkennung der anderen Leute.
Die Liebe muß sich nicht selber lieben. So ein Mensch kann wahrhaft mutig sein.
Durch Genügsamkeit kann man weitherzig sein. Die gedachte Weitherzigkeit des Verstandes hat irgendwo seine
Grenzen. Die Weitherzigkeit des SINNS hat keine Grenzen. Jeder Verstand hält an Dingen fest: an materiellem
Besitz oder an geistigen Dingen. Es erscheint ihm dumm, nicht nach solchen Dingen zu streben. Doch das Streben
des Verstandes verhindert Weitherzigkeit. Das genaue Gegenteil davon wird in Erscheinung treten. Das läßt sich
überall auf der Welt beobachten. Man muß jedoch schon so dumm sein, um weitherzig zu werden. Anders läßt sich
diese Sache nicht bewerkstelligen.
Wenn man nicht wagt, in der Welt voranzustehen, kann man das Haupt des fertigen Menschen sein. Der Mensch
ist erst dann fertig, wenn er durch den SINN wiedergeboren worden ist. Sonst besitzt man nur einen unfertigen
Verstand. Man handelt nur nach dem gelernten Wissen, man handelt nur aus unfertigen Erfahrungen. Der Weg
bedeutet keine Flucht vor der Welt, wie könnte es so sein, wenn der SINN weitaus größer ist als die Welt. Nein, der
Weg führt mitten in der Welt hinein. Erst dann kann man sie wirklich überwinden. Nur Feiglinge stellen sich nicht
der Welt. Nicht wagen, der Welt voranzustehen bedeutet, sie in sich überwunden zu haben, sie total gefühlt zu
haben und zu erkennen, daß alles nur Frustration und Verzweiflung bringt. Dann kann man den Weg gehen. Nicht
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vorher. Vorher ist es nur der berechnende Verstand, der einem suggeriert, daß es einem durch den Weg besser
gehen würde. Nein, es geht einem durch den Weg nicht besser, man muß dann durch alles hindurchgehen, wovor
man sein ganzen Leben lang geflohen ist. Sich dem allem stellen, bringt einem dahin, nicht mehr in der Welt
voranstehen zu wollen. Erst durch viele viele Demütigungen gelangt man an dem Punkt, nichts mehr sein zu
wollen und dann kann man das Haupt der fertigen Menschen sein und ihnen den Weg zeigen.
Wenn man nun ohne Liebe mutig sein will, wenn man ohne Genügsamkeit weitherzig sein will, wenn man ohne
zurückzustehen vorankommen will: das ist der Tod. Es ist immer das heroische Ego, daß sich auf diese Weise in
den Vordergrund spielen will und beweisen muß. Es ist immer jemand da, der sagt: `Seht doch, wie gut ich bin. Ich
weiß, daß ich das zustande bringen kann.` Der Verstand kann niemals wirklich etwas zusammenbringen. Er kann
nur zerstören. Diese Wahrheit hört kein Verstand gerne. Er muß sie ablehnen, weil sie seinen Tod bedeutet. Doch
die Dinge verhalten sich in Wirklichkeit genau anders herum. Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer
sein Leben verliert, wird es gewinnen.
Wenn man Liebe hat im Kampf, so siegt man. Wenn man sie hat bei der Verteidigung, so ist man unüberwindlich.
Wen der Himmel retten will, den schützt er durch die Liebe. Die Liebe, die jenseits aller Vorstellungen und
Wünsche ist, siegt immer. Alles geschieht aus dieser Liebe heraus, ob das größte Leid oder das größte Glück. Kein
Mensch hat in Wirklichkeit eine Wahl: die Liebe siegt immer. Doch wir können es mit unserem Verstand nicht
erkennen. Er ist sich selber im Wege. Wer alles losgelassen hat, seinen gesamten Stolz und all seine Gier, was soll
der noch fürchten? Er hat die Dinge bis auf den Grund erfahren und gefühlt, wovor soll er noch Angst haben? Er
ist unüberwindlich geworden, weil er selber sich in seinem Wünschen und Wollen getötet hat. Der Himmel schützt
in durch seine Liebe.
68
Wer gut zu führen weiß,
ist nicht kriegerisch.
Wer gut zu kämpfen weiß,
ist nicht zornig.
Wer gut die Feinde zu besiegen weiß,
kämpft nicht mit ihnen.
Wer gut die Menschen zu gebrauchen weiß,
der hält sich unten.
Das ist das LEBEN, das nicht streitet;
das ist die Kraft, die Menschen zu gebrauchen;
das ist der Pol, der bis zum Himmel reicht.
Wer gut zu führen weiß, ist nicht kriegerisch. Wer gut zu kämpfen weiß, ist nicht zornig. Also wird der Verstand
versuchen, nicht kriegerisch und nicht zornig zu sein. Doch gerade dadurch vermehrt er diese Negativitäten.
Wodurch entsteht Zorn? Nur durch das Wollen. Das LEBEN streitet nie, es ist. Der Verstand kann gar nichts
anderes als Wünschen und Wollen. Nur diese Kräfte verleihen ihm Existenz. Seine Existenz kann er nur im Streit,
im Anderssein mit dem LEBEN erfahren. Alles andere erscheint dem Verstand absurd. Doch gerade diese
Absurdität muß er erfahren. Selber kann er sich nicht ad absurdum führen, das ist unmöglich. Zeigt ihm jemand
anderer seine Absurdität, seine Dummheit und Häßlichkeit, so wird er ihn hassen. Das ist alles nur eine Frage der
individuellen Zumutbarkeit, doch ab einer bestimmten Grenze wird und muß die Maske fallen. Das ist es, was nicht
bekämpft werden darf. Das heißt, sich unten halten. Denn, das LEBEN streitet nicht. Es ist die Kraft, die die
Menschen gebrauchen will. Der Pol, der bis zum Himmel reicht. Man muß alles aufgeben, damit das LEBEN sich
selber erfahren kann. Der Verstand wird das LEBEN niemals erfahren können. Er kann sich zwar einreden, daß es
das LEBEN ist, welches er erfährt, doch wird diese Illusion leicht zerbrechen.
69
Bei den Soldaten gibt es ein Wort:
Ich wage nicht, einen Zoll vorzurücken,
sondern ziehe mich lieber einen Fuß zurück.
Das heißt gehen ohne Beine,
fechten ohne Arme,
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werfen, ohne anzugreifen,
halten, ohne die Waffen zu gebrauchen.
Es gibt kein größeres Unglück,
als den Feind zu unterschätzen.
Wenn ich den Feind unterschätze,
stehe ich in Gefahr, meine Schätze zu verlieren.
Wo zwei Armeen kämpfend aufeinanderstoßen,
da siegt der, der es schweren Herzens tut.
Ich wage nicht, einen Zoll vorzurücken, sondern ziehe mich lieber einen Fuß zurück. Dazu gehört Soldatenmut.
Der spirituelle Krieger wagt nicht selbst zu handeln, er stellt seine eigenen Wünsche, seine Person hinten an. Er
bringt nur mehr den Sinn des LEBENS zum Ausdruck, auch wenn er sich gegen den Handelnden selber richtet.
Und er muß sich gegen den Handelnden richten, wie soll der motiviert handelnde sonst sich hintenan stellen
können? Das heißt gehen ohne Beine, fechten ohne Arme, werfen, ohne anzugreifen, halten, ohne die Waffen zu
gebrauchen. Gehen ohne Beine heißt, nicht mehr selber, sich nicht mehr aus eigenem Wollen heraus zu bewegen.
Und tatsächlich ist es so, daß der Berufene bewegt wird. Keine willentliche Anstrengung ist mehr vonnöten,
sondern nur mehr ein hingeben und vertrauen in die Kraft des LEBENS. Erfährt man dies das erste mal, so
bekommt man Angst, denn man will das LEBEN kontrollieren. Doch alle Kontrolle, alle Einmischung in die Kraft
und den Ausdruck des LEBENS müssen verschwinden. Aus der Sicht des Verstandes ist das die absolute
Hilflosigkeit. Wir hassen es jedoch, hilflos zu sein. Wir wollen Sicherheit und Selbstbestimmung. Wir preisen die
Selbstbestimmung, doch fechten ohne Arme, werfen, ohne anzugreifen ist das genaue Gegenteil davon. Vom
Verstand heraus ist eine Einsicht in diese Dinge nie zu bekommen. So wird immer Zweifel vorherrschen. Solange
wir mit unserem Verstand an die Dinge herangehen, kann es nie Sicherheit und Sorglosigkeit geben. Begeben wir
uns jedoch in die Hände des LEBENS, so wird nach dem Durchqueren des Zweifels ewige Sicherheit und
Sorglosigkeit herrschen. Doch wir müssen unser Rüstzeug verwerfen, wir dürfen die Waffen des Verstandes nicht
gebrauchen.
Es gibt kein größeres Unglück, als den Feind zu unterschätzen. Wir selber sind unser größter Feind. Es gibt kein
größeres Unglück, als unbewußt durchs Leben zu gehen. Solange wir den Tatsachen nicht ins Auge sehen, solange
verstricken wir uns immer wieder in unserem selbstgeschaffenem Unglück. Wenn ich den Feind unterschätze, stehe
ich in Gefahr, meine Schätze zu verlieren. Die Schätze sind die Geschenke des LEBENS, die vom Verstand immer
und immer wieder zurückgewiesen werden. Denn: es sind Schätze in einer Verkleidung. Eine sehr lange Zeit sehen
sie nicht wie Schätze aus, sondern wie das pure Gegenteil. Doch das ist es, was das LEBEN uns nun einmal zu
schenken hat. Ohne das Annehmen dieser Momente, wird das LEBEN uns auch nicht die anderen geschenkten
Momente präsentieren. Wo zwei Armeen kämpfend aufeinanderstoßen, da siegt der, der es schweren Herzens tut.
Wir müssen diesen Kampf kämpfen. Der Sieger ist der, der verlieren will. Wir wollen aber nicht verlieren, wir
wollen gewinnen. Wir wollen das, was wir wollen. Geben wir das schweren Herzens auf, dann gewinnen wir, auch
wenn es aus der Sicht des Verstandes wie verlieren aussieht. Das LEBEN wird dem, der sich ihm stellt, zunächst
alles, wirklich alles nehmen. Es wird ihn immer wieder enttäuschen, solange, bis keine Erwartung mehr da ist, die
enttäuscht werden könnte. Erst nachdem es nichts mehr gibt, das festgehalten werden würde, ist Platz für die
Geschenke des LEBENS. Doch, es gibt keine größeres Unglück, als den Feind zu unterschätzen.
70
Meine Worte sind sehr leicht zu verstehen,
sehr leicht auszuführen.
Aber niemand auf Erden kann sie verstehen,
kann sie ausführen.
Die Worte haben einen Ahn.
Die Taten haben einen Herrn.
Weil man die nicht versteht,
versteht man mich nicht.
Eben daß ich so selten verstanden werde,
darauf beruht mein Wert.
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Darum geht der Berufene im härenen Gewand:
aber im Busen birgt er ein Juwel.
Wieder benutzt Laotse einen Widerspruch, um das Wesen des Weges auszudrücken. Er sagt, daß seine Worte sehr
leicht zu verstehen und auszuführen seien. Und im Anschluß daran widerruft er diese Worte, indem er schreibt, daß
sie niemand auf Erden verstehen und ausführen kann. Das gibt doch keinen Sinn?! Die Essenz dieser Aussage ist,
daß der, der diese Worte versteht und sich danach richtet, mit Sicherheit den Weg verfehlen wird. Warum? Der
Denker, der, der verstehen will, muß verschwinden. Er verschwindet jedoch nicht, indem er um diese
Zusammenhänge weiß und sie verstehen kann. Im Gegenteil, er ist um ein weiteres Stück gewachsen. Er hat sein
Wissen vermehrt. Doch es geht um das Gegenteil. Ich muß mich also in die Hände eines im LEBEN stehenden
Menschen begeben. Dieser wird mir Situationen kreiieren, die ich mit meinem Verstand nicht durchschauen kann
und aus denen ich mit Sicherheit als Verlierer hervorgehen werde. Er wird Handlungen von mir verlangen, die mit
Sicherheit nicht meinen Verstand größer werden lassen.
Die Worte haben einen Ahn. Die Taten haben einen Herrn. Weil man die nicht versteht, versteht man mich nicht.
Nun schließt sich der Kreis wieder: den Ahn und Herrn kann man nicht verstehen, also kann man seine ganzen
Aussagen nicht verstehen. Man wird immer nur das verstehen, was man verstehen will. Es geht nicht um Wissen
und Klugheit, es geht um überhaupt kein Verstehen. Der Wert beruht darauf, daß er nicht verstanden wird. Dieses
Kunststück kann der Verstand nie zustande bringen. Er kann unternehmen was er will, er geht immer in die Irre.
Das härene Gewand des Berufenen ist die Armut. Es ist die Armut des Wünschens und Wollens. Nur im zeitlosen
Moment zu sein. Nichts mehr wissen wollen, nichts mehr sein wollen, nichts mehr haben wollen. Einfach sein, das
ist das härene Gewand des Berufenen, aber im Busen birgt er ein Juwel.
71
Die Nichtwissenheit wissen
ist das Höchste.
Nicht wissen, was Wissen ist,
ist ein Leiden.
Nur wenn man unter diesem Leiden leidet,
wird man frei von Leiden.
Daß der Berufene nicht leidet,
kommt daher, daß er an diesem Leiden leidet;
darum leidet er nicht.
Die Nichtwissenheit wissen ist das Höchste. Nicht wissen, was Wissen ist, ist ein Leiden. Daß der Berufene nicht
leidet, kommt daher, daß er an diesem Leiden leidet. Das Leiden ist demnach Grundvoraussetzung für Erkenntnis.
Ohne Leidensdruck hat kein Mensch Veranlassung, etwas grundsätzliches in seinem Leben zu verändern. Wer
käme schon auf die Idee, sich in seiner Existenz, in seinem So-Sein in Frage zu stellen, wenn er Erfolg in seinem
Leben hat? Wenn jemand mit seinem Leben einigermaßen zufrieden ist, was sollte der großartiges ändern sollen?
Nein, man muß mit seiner Selbstbestimmung schon sehr genug haben, damit man sich überhaupt auf den Weg
einläßt. Niemand kann alleine durch Überredung oder Einsicht auf den Weg gebracht werden. Niemand. Das
Leiden am Leben, das Überdrüssig sein am eigenen ist meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung. Der
Weg bedeutet, sich allem Unangenehmen, allem Schmerzhaften zu stellen. Und das muß man freiwillig auf sich
nehmen. Wer würde sich Dingen aussetzen, denen man gewöhnlich entflieht? Wer würde alles, seine Familie,
seinen Besitz, seinen Beruf und alle Sicherheit freiwillig aufgeben und sich bereitwillig in Unsicherheit bringen?
Bevor man sein Leben aufs Spiel setzt, probiert man doch alles aus, um gerade nicht in eine solche Lage zu
kommen. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen, nichts mehr zu wissen bedeutet, die größtmögliche
Unsicherheit, die größte Dummheit machen zu können. Um zum Nichtwissen zu gelangen, muß man gegen sein
eigenes (besseres) Wissen handeln. Das heißt aber auch, daß man durch die Hölle der eigenen Gedanken gehen
muß. Wenn das Nichtwissen verlangt, daß man den eigenen Chef beschimpfen muß, so muß man dem Nichtwissen
vertrauen und nicht dem eigenen Wissen. Das heißt Vertrauen. Vertrauen ist überhaupt nichts wert, wenn man
weiß, wie die Dinge sich entwickeln werden. Aber wider besseres Wissen zu handeln, sich ohne wenn und aber
dem LEBEN anzuvertrauen, verändert die Lage vollkommen. Solange der eigene Verstand als Sieger hervorgeht,
verändert sich am Bewußtsein absolut nichts, man bleibt im Wissen. Um aber zum Nichtwissen zu gelangen, muß
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man sich auf solche Situationen einlassen. Hinzu kommt aber noch, daß alle anderen Menschen, die ja aus ihrem
Wissen heraus die Dinge beurteilen und bewerten, dich absolut nicht verstehen werden. Du wirst ganz alleine sein,
denn kein Verstand wird dich in deinem Tun unterstützen können. Sie leiden nicht an ihrem Wissen, also werden
sich dich auch nicht verstehen können.
Darum leidet er nicht. Leiden entsteht nur aus der Diskrepanz von LEBEN und Wissen. Wer im LEBEN ist,
braucht nicht mehr zu wissen, er weiß ja. Wer im LEBEN ist, hat alles was er braucht, er will nichts mehr. Leiden
kann nur aus einer Motivation heraus entstehen. Der Berufene hat alles durchlitten, er ist so verletztlich wie nur
möglich, er hat zu allem ja gesagt. Er hat die Basis des Leidens vernichtet. Darum leidet er nicht.
72
Wenn die Leute das Schreckliche nicht fürchten,
dann kommt der große Schrecken.
Macht nicht eng ihre Wohnung
und nicht verdrießlich ihr Leben.
Denn nur dadurch, daß sie nicht in der Enge leben,
wird ihr Leben nicht verdrießlich.
Also auch der Berufene:
Er erkennt sich selbst, aber er will nicht scheinen.
Er liebt sich selbst, aber er sucht nicht Ehre für sich.
Er entfernt das andere und nimmt dieses.
Wenn die Leute das Schreckliche nicht fürchten, dann kommt der große Schrecken. Wenn jemand glaubt, er ist der
Lenker und Bestimmer seines Lebens, so irrt er. Die Selbstbestimmung des Menschen ist die Grundlage des
Leidens. Jeder Gedanke, jede Handlung hat eine Folge, die auf den Verursacher wieder zurück fällt. Nur kann der
denkend Handelnde sie nicht erkennen. Doch darf das nicht falsch interpretiert werden. Angst ist kein guter
Ratgeber. Wer nun aus Angst vor den Folgen seiner Handlungen zögernd und zaudernd agiert, hat damit nichts
gewonnen. Der Blick soll darauf gerichtet werden, daß es eine Macht und Gerechtigkeit jenseits des Denkens gibt.
Macht nicht eng ihre Wohnung und nicht verdrießlich ihr Leben. Denn nur dadurch, daß sie nicht in der Enge
leben, wird ihr Leben nicht verdrießlich. Die Enge ist das Denken. Nur das Denken beschränkt den Menschen in
seinem Handeln und Erleben. Nur durch das Denken entsteht Angst. Jegliche Moral und jegliche Vorschriften
beschneiden den Menschen in seinem Sein. Es gibt nur ein Gesetz, dem der Mensch folgen soll: das Gesetz des
LEBENS. Durch das Denken haben wir uns davon allerdings abgeschnitten und können es dadurch nicht mehr
finden. Alles, was wir von diesem Standpunkt aus unternehmen ist falsch, führt nicht mehr zum Ursprung des
LEBENS zurück. Das Denken kann nie zur Freiheit führen. Alles philosophieren ist unnütz. Das, was dem Denken
wie eine Einschränkung der Freiheit erscheint, ist das, was zur Freiheit führt: das Aufgeben des eigenen Willens.
Dann und nur dann ist Selbsterkenntnis möglich.
Also auch der Berufene: Er erkennt sich selbst, aber er will nicht scheinen. Er wird vom LEBEN bescheint, weil
das eigene Scheinen verschwunden ist. Er steht sich selber nicht mehr im Wege, deswegen kann er sich selber
erkennen. Der Verstand kann immer nur sich selber sehen, er ist für die Wirklichkeit blind. Er darf nicht mehr
verstehen und sehen wollen, dann ist das Erkennen der Wahrheit möglich geworden. Er liebt sich selbst, aber er
sucht nicht Ehre für sich. Er entfernt das andere und nimmt dieses. Die Liebe ist jenseits des Verstandes, jenseits
allen Wünschens und Wollens. Die Liebe liebt einfach, sie ist, sie will nicht geliebt werden. Was wäre das denn für
eine Liebe, die das was sie ist noch suchen würde? Die Liebe ist immer da, wo der Verstand verstummt. Also muß
der Verstand verschwinden, dann ist dieses da. Der Verstand verschwindet nie freiwillig. Er erfindet tausendundein
Argument, warum die Dinge so sind, wie er sie haben und sehen will. Dadurch dreht er sich ein ums anderemal um
sich selber. Das Denken mag sich verändern, ähnlich einer Programmierung, das Bewußtsein kann so aber niemals
verändert werden. Echtes Fühlen und Verständnis kann erst dann entstehen, wenn der Verstand in den Hintergrund
rückt, das empfinden wir dann als Hilflosigkeit. Wir hassen es uns hilflos zu fühlen. So sind die Dinge aber nun
einmal.
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Wer Mut zeigt in Waghalsigkeiten,
der kommt um.
Wer Mut zeigt, ohne waghalsig zu sein,
bleibt am Leben.
Von diesen beiden hat die eine Art Gewinn,
die andre Schaden.
Wer aber weiß den Grund davon,
daß der Himmel einen haßt?
Also auch der Berufene:
Er sieht die Schwierigkeiten.
Des Himmels SINN streitet nicht
und ist doch gut im Siegen.
Er redet nicht
und findet doch gute Antwort.
Er winkt nicht,
und es kommt doch alles von selbst.
Er ist gelassen
und ist doch gut im Planen.
Des Himmels Netz ist ganz weitmaschig,
aber es verliert nichts.
Wer Mut zeigt in Waghalsigkeiten, der kommt um. Wer Mut zeigt, ohne waghalsig zu sein, bleibt am Leben. Es
geht nicht um einen heroischen Weg. Es geht nicht um falschen Ehrgeiz. Es geht um Mut, denn ohne Mut kann
man diesen Weg nicht gehen
74
Wenn die Leute den Tod nicht scheuen,
wie will man sie denn mit dem Tode einschüchtern?
Wenn ich aber die Leute
beständig in Furcht vor dem Tode halte,
und wenn einer Wunderliches treibt,
soll ich ihn dann ergreifen und töten?
Wer traut sich das?
Es gibt immer eine Todesmacht, die tötet.
Anstelle dieser Todesmacht zu töten, das ist,
wie wenn man anstelle eines Zimmermanns
die Axt führen wollte.
Wer statt des Zimmermanns
die Axt führen wollte,
kommt selten davon,
ohne daß er sich die Hand verletzt.
75
Daß das Volk hungert,
kommt davon her,
daß seine Oberen zu viele Steuern fressen;
darum hungert es.
Daß das Volk schwer zu leiten ist,
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kommt daher, daß seine Ohren zu viel machen;
darum ist es schwer zu leiten.
Daß das Volk den Tod zu leicht nimmt,
kommt davon her,
daß seine Oberen des Lebens Fülle zu reichlich suchen;
darum nimmt es den Tod zu leicht.
Wer aber nicht um des Lebens willen handelt,
der ist besser als der, dem das Leben teuer ist.
76
Der Mensch, wenn er ins Leben tritt,
ist weich und schwach,
und wenn er stirbt,
so ist er hart und stark.
Die Pflanzen, wenn sie ins Leben treten,
sind weich und zart,
und wenn sie sterben,
sind sie dürr und starr.
Darum sind die Harten und Starken
Gesellen des Todes,
die Weichen und Schwachen
Gesellen des Lebens.
Darum:
Sind die Waffen stark, so siegen sie nicht.
Sind die Bäume stark, so werden sie gefällt.
Das Starke und Große ist unten.
Das Weiche und Schwache ist oben.
77
Des Himmels TAO, wie gleicht er dem Bogenspanner!
Das Hohe drückt er nieder,
das Tiefe erhöht er.
Was zuviel hat, verringert er,
was nicht genug hat, ergänzt er.
Des Himmels TAO ist es,
was zuviel hat, zu verringern, was nicht genug hat, zu ergänzen.
Des Menschen TAO ist nicht also.
Er verringert, was nicht genug hat,
um es darzubringen dem, das zuviel hat.
Wer aber ist imstande, das,
was er zuviel hat, der Welt darzubringen?
Nur der, so den TAO hat.
Also auch der Berufene:
Er wirkt und behält nicht.
Ist das Werk vollbracht, so verharrt er nicht dabei.
Er wünscht nicht, seine Bedeutung vor andern zu zeigen.
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Auf der ganzen Welt
gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser.
Und doch in der Art, wie es dem Harten zusetzt,
kommt nichts ihm gleich.
Es kann durch nichts verändert werden.
Daß Schwaches das Starke besiegt
und Weiches das Harte besiegt,
weiß jedermann auf Erden,
aber niemand vermag danach zu handeln.
Also auch hat ein Berufener gesagt:
„Wer den Schmutz des Reiches auf sich nimmt,
der ist der Herr bei Erdopfern.
Wer das Unglück des Reiches auf sich nimmt,
der ist der König der Welt.“
Wahre Worte sind wie umgekehrt.
79
Versöhnt man großen Groll,
und es bleibt noch Groll übrig,
wie wäre das gut?
Darum hält der Berufene sich an seine Pflicht
und verlangt nichts von anderen.
Darum: Wer LEBEN hat,
hält sich an seine Pflicht,
wer kein LEBEN hat,
hält sich an sein Recht.
80
Ein Land mag klein sein
und seine Bewohner wenig.
Geräte, die der Menschen Kraft vervielfältigen,
lasse man nicht gebrauchen.
Man lasse das Volk den Tod wichtig nehmen
und nicht in die Ferne reisen.
Ob auch Schiffe und Wagen vorhanden wären,
sei niemand, der darin fahre.
Ob auch Panzer und Waffen da wären,
sei niemand, der sie entfalte.
Man lasse das Wolk wieder Stricke knoten
und sie gebrauchen statt der Schrift.
Mach süß seine Speise
und schön seine Kleidung,
friedlich seine Wohnung
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und fröhlich seine Sitten.
Nachbarländer mögen in Sehweite liegen,
daß man den Ruf der Hähne und Hunde
gegenseitig hören kann:
und doch sollen die Leute im höchsten Alter sterben,
ohne hin und her gereist zu sein.
81
Wahre Worte sind nicht schön,
schöne Worte sind nicht wahr.
Tüchtigkeit überredet nicht,
Überredung ist nicht tüchtig.
Der Weise ist nicht gelehrt,
der Gelehrte ist nicht weise.
Der Berufene häuft keinen Besitz auf.
Je mehr er für andere tut,
desto mehr besitzt er.
Je mehr er anderen gibt,
desto mehr hat er.
Des Himmels TAO ist fördern, ohne zu schaden.
Des Berufenen TAO ist wirken, ohne zu streiten.
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