TC Endfassung 25102012 PDF

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TC Endfassung 25102012 PDF
KOOPERATIVES LERNEN UND ARBEITEN
ALS AUSGANGSPUNKT FÜR
KOMPETENZORIENTIERTEN UNTERRICHT
IM FACH DEUTSCH AUF EINER 5E
Ich versichere hiermit, dass ich die Arbeit „Kooperatives Lernen und Arbeiten als
Ausgangspunkt für kompetenzorientierten Unterricht im Fach Deutsch auf einer 5e“
selbstständig angefertigt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
Lieler, den 25 Oktober 2012
Cindy Schanck
2
Cindy Schanck
Candidate au Lycée du Nord
KOOPERATIVES LERNEN UND ARBEITEN
ALS AUSGANGSPUNKT FÜR
KOMPETENZORIENTIERTEN UNTERRICHT
IM FACH DEUTSCH AUF EINER 5E
Wiltz 2012
3
INHALT
Die vorliegende Arbeit trägt den veränderten Anforderungen an die Schulen sowie
den damit verbundenen Reformen im luxemburgischen Schulsystem, deren Herzstück
der kompetenzorientierte Unterricht ist, Rechnung und erprobt im Deutschunterricht
einer 5e ein Lernarrangement, das ein konkreteres, aktiveres und nachhaltigeres
Lernen verspricht.
In diesem Sinne setzt sich die Arbeit in einem ersten Schritt mit der Theorie zur
konstruktivistischen Didaktik, vor allem der systemisch-konstruktivistischen Pädagogik wie sie von Kersten Reich vertreten wird, und damit verbundenen konstruktiven
Methoden auseinander. Die Vertreter eines interaktionistischen Konstruktivismus
gehen davon aus, dass der Aufbau von Wissen und der Erwerb von Kompetenzen
sowohl ein aktiver als auch ein konstruktiver Prozess in einem sozialen System ist. In
diesem Sinne untersucht die Arbeit in ihrem praktischen Teil, inwiefern große,
handlungsorientierte Methoden wie das „Kooperative Lernen und Arbeiten“ sowie
das „Situierte Lernen“ einen kompetenzorientierten Unterricht im Fach Deutsch
unterstützen und fördern können, in dem die Schüler eigenständig das notwendige
Wissen aufbauen und anwenden, sowie das eigenverantwortliche Lernen gefördert
wird, wie es insbesondere auch die höheren Klassenstufen (4e bis 1ère) verlangen.
Der praktische Teil der Arbeit gliedert sich in vier Phase, die in ihren Anforderungen
an die Schüler steigernd angelegt sind. Zunächst erfolgt einer Einführung in das
Konzept des Kooperativen Lernens sowie in die hierfür notwendigen Sozialkompetenzen. Die ersten drei Phasen dienen der Festigung der sozialen Kompetenzen
der Schüler sowie der Vorgehensweise beim Kooperativen Lernen und bereiten somit
die abschließende vierte Phase vor, die mit dem „Jigsaw“ die Königsmethode des
Kooperativen Lernens und Arbeitens erprobt.
Das Projekt wird anhand der Schülerarbeiten sowie der im Anschluss an jede Phase
erfolgten Reflexionen ausgewertet. Die Schüler zeigten sich offen für das Kooperative Lernen und Arbeiten und waren begeistert, doch konnte kein großer Leistungszuwachs beziehungsweise keine überragende Kompetenzerweiterung verzeichnet
werden. Es wurde deutlich, dass die Schüler zwar theoretisch um die Bedeutung eines
aktiven und eigenverantwortlichen Lernens und Arbeitens wussten, dies allerdings in
ihrem praktischen Handeln im Schulalltag überwiegend kaum umsetzen konnten.
Gute und fleißige Schüler erzielten auch mit Hilfe des Kooperativen Lernens und
Arbeitens gute Resultate, während vor allem lernfaule Schüler immer noch nicht mehr
arbeiteten. Es wurde deutlich, dass das individuelle Arbeiten und Lernen zu Hause
nicht zu unterschätzen ist und die Methoden die Lehrkraft in eine große Abhängigkeit
zu den Schülern bringen. Kurzfristig sind sicherlich keine „Wunder“ vom
Kooperativen Lernen und Arbeiten zu erwarten und es bedarf einer langfristigen
interdisziplinären Umsetzung des Unterrichtskonzepts, um die Arbeitshaltung der
Schüler langfristig beeinflussen zu können. Des Weiteren begünstigen die
Rahmenbedingungen wie die Länge der Unterrichtsstunden, die Klassenräume und
die Fülle der Klassencurricula keineswegs ein Kooperatives Lernen und Arbeiten.
Demnach fällt das Fazit der Arbeit trotz des großen Zeit- und Arbeitsaufwandes für
die Lehrkraft und die Schüler ernüchternd aus.
4
INHALTSVERZEICHNIS
I) Einleitung und Ziele ............................................................................................ 7
II) Herausforderungen an die luxemburgische Schule des 21. Jahrhunderts....... 9
II. 1) Gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Veränderungen................... 9
II. 2) Probleme traditioneller Unterrichtsansätze .................................................. 12
III) Die Konstruktivistische Didaktik – Eine theoretische Betrachtung ............. 15
III. 1) Der Konstruktivismus: Ausgangspunkte und Grundannahmen................... 15
III. 2) Wichtige Vorläufer einer konstruktivistischen Pädagogik und Didaktik ..... 17
III. 3) Derzeitig vorhandene konstruktivistische Ansätze ..................................... 19
IV) Systemisch-konstruktivistische Pädagogik nach Kersten Reich ................... 21
IV. 1) Die Bedeutung der Kommunikation .......................................................... 21
IV. 2) Die drei Dimensionen der Selbst- und Weltsicht........................................ 23
IV. 3) Konstruktivistische Grundannahmen nach Reich ....................................... 26
IV. 4) Die Lehrer- und Lernerrollen..................................................................... 28
V) Konstruktiver Methodenpool nach Kersten Reich ......................................... 31
V. 1 ) Handlungsorientierte Methoden: Kooperatives Lernen und Arbeiten ......... 32
V. 1. 1) Warum kooperatives Lernen und Arbeiten? ......................................... 32
V. 1. 2) Begriffsbestimmung ............................................................................. 33
V. 1. 3) Die fünf Basis-Elemente des Kooperativen Lernens ............................. 35
V. 1. 4) Das Grundprinzip des Kooperativen Lernens und seine Vorteile ......... 41
V. 1. 5) Das Placemat-Verfahren ..................................................................... 46
V. 2) Handlungsorientierte Methoden: Situiertes Lernen...................................... 47
V. 2. 1) Begriffserklärung nach Reich .............................................................. 47
V. 2. 2) Theorie des Situierten Lernens nach J. Lave und E. Wenger ................ 49
VI) Kooperatives Lernen im Deutschunterricht einer 5e .................................... 55
VI. 1) Unterrichtsvoraussetzungen....................................................................... 55
VI. 2) Methodische und didaktische Vorüberlegungen......................................... 57
VI. 3) Angestrebte Ziele ...................................................................................... 61
VI. 3. 1) Sozialziele .......................................................................................... 61
VI. 3. 2) Fachliche Ziele .................................................................................. 64
VI. 4) Verlauf der Phasen 1 bis 3 ......................................................................... 68
VI. 5) „Rund um Zeitungen“ (4. Phase) ............................................................... 74
VI. 5. 1) Didaktische Analyse des Unterrichtsgegenstandes ............................. 74
VI. 5. 2) Der Verlauf der Unterrichtsreihe ....................................................... 76
VI. 6) Evaluation der vier Projektphasen ............................................................. 84
VI. 6. 1) Sozialziele .......................................................................................... 84
VI. 6. 2) Fachliche Ziele .................................................................................. 91
VI. 7) Auswertung des Unterrichtsmodells .........................................................104
VII) Schlussfolgerung und Ausblick....................................................................109
5
VIII) Literaturverzeichnis ...................................................................................113
VIII. 1) Internetseiten .........................................................................................113
VIII. 2) Nachschlagewerke .................................................................................113
VIII. 3) Primärliteratur .......................................................................................113
VIII. 4) Sekundärliteratur ......................................................................................113
IX) Anhänge .........................................................................................................115
IX. 1) Anhang 1: Ein tabellarischer Überblick ..........................................................116
IX. 2) Anhang 2: Zusammensetzung der Gruppen ....................................................130
IX. 3) Anhang 3: Frage- und Reflexionsbögen .........................................................132
IX. 4) Anhang 4: Arbeitsblätter und Klassenarbeiten ...............................................147
IX. 5) Anhang 5: Schülerarbeiten .............................................................................241
IX. 6) Anhang 6: Evaluation (tabellarischer Überblick) ..........................................264
IX. 7) Anhang 7: deutsch.punkt 4 ............................................................................272
6
I) Einleitung und Ziele
Die luxemburgische Schule steht im 21. Jahrhundert einer komplexen Welt
gegenüber, die von bedeutsamen und schnell fortschreitenden Veränderungen der
Gesellschaft und der Ökonomie geprägt ist. Diese Veränderungen haben selbstverständlich Auswirkungen auf das Verhalten und die Selbstwahrnehmung der in
dieser Gesellschaft lebenden Menschen, insbesondere der Kinder und Jugendlichen.
Des Weiteren resultiert aus den gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen,
dass veränderte Anforderungen seitens des Arbeitsmarktes, der Hochschulen und Universitäten an die Schulabgänger gestellt werden. Um diesen neuen Anforderungen
gerecht zu werden sowie die Qualität der schulischen Ausbildung zu erhöhen und
gleichzeitig den neuesten Erkenntnissen in den Erziehungswissenschaften Rechnung
zu tragen, versucht die luxemburgische Regierung durch grundlegende Reformen des
Schulsystems die Kinder und Jugendlichen möglichst gut auf ihre berufliche und
private Zukunft vorzubereiten.
Herzstück dieser Reformen ist der kompetenzorientierte Unterricht, der bereits in der
Grundschule (école fondamentale), wie auch auf den unteren und mittleren Klassen
des „régime classique“ (7e – 4e) sowie des „régime technique“ (7e – 9e) eingeführt
wurde. Ziel des kompetenzorientierten Unterrichts ist es, dass die Schüler1 die im
Unterricht erworbenen Fertigkeiten selbständig in neuen Situationen und auch bei
komplexeren Aufgabentypen anwenden können. Dies sowohl in der Schule als auch
im Leben. Hierzu zählt auch der Erwerb von Lern- und Arbeitstechniken. Die Schüler
sollen demnach durch ein aktiveres und nachhaltigeres Lernen besser auf ihr
zukünftiges Leben außerhalb der Schule vorbereitet werden.2 Den Reformen in den
angesprochenen Klassen folgen nun die „réformes des classes supérieures de
l’enseignement secondaire et secondaire technique“. Zentrale Ziele dieser Reform
bestehen
darin,
neben
der
Wissensvermittlung die
sozialen
Kompetenzen
(compétences transversales) der Schüler zu fördern und auszubauen. Besondere
Aufmerksamkeit wird darauf gelegt, dass die Schüler einen bewussten, verantwortlichen und kritischen Umgang mit Informationen erlernen. Des Weiteren sollen
die Schüler mit Lernmethoden vertraut gemacht werden und sich diese aneignen. Ein
1
Bei der hier verwendeten männlichen Form der Personenbezeichnung ist die weibliche Form stets
mitgedacht.
2
Vgl. www.men.lu (Stand : 4. Dezember 2011).
7
weiteres Ziel besteht darin, die Selbständigkeit der Schüler zu fördern, damit sie
eigenständig Projekte planen und ausführen können.3 In diesem Sinne wird derzeit die
Erarbeitung eines „travail d’envergure“ auf den Klassen „2e générale et technique“
diskutiert. In dieser Arbeit sollen die Schüler auf die seit der 7. Klasse erworbenen
Kompetenzen und Methoden zurückgreifen, die ebenfalls unerlässlich für ein
erfolgreiches Universitätsstudium sind.4
Die vorliegende Arbeit nimmt die genannten Reformen im luxemburgischen Schulwesen als Anlass, um mit der konstruktivistischen Didaktik ein didaktisches Modell
zu erproben und zu evaluieren, das vielversprechende Ansätze zur Umsetzung der
verlangten Reformziele, vor allem des kompetenzorientierten Unterrichts, verspricht.
In einem ersten Schritt gibt die Arbeit einen kurzen Überblick über den gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel in Luxemburg sowie über die Probleme
traditioneller Unterrichtsmethoden und die daraus resultierenden Herausforderungen
an die luxemburgische Schule des 21. Jahrhunderts. Lösungen werden sich von der
konstruktivistischen Didaktik, insbesondere dem interaktionistischen Ansatz von
Kersten Reich, sowie dem situierten Lernen und der damit verbundenen „Community
of Practice“ erhofft. Insofern erfolgt eine theoretische Auseinandersetzung mit der
hierzu erschienen Forschungsliteratur. Speziell sollen das Unterrichtsmodell des
Kooperativen Lernens und damit verbundene Methoden zwecks der Förderung des
Kompetenzunterrichtes im Fach Deutsch auf einer 5e erprobt werden. Im praktischen
Teil der Arbeit wird dann das im Lycée du Nord im Schuljahr 2011 / 2012 auf
Grundlage des Kooperativen Lernens und Arbeitens erarbeitete und durchgeführte
Projekt vorgestellt und schließlich auch anhand von drei Fallstudien ausgewertet, um
die Tauglichkeit des Unterrichtsmodells für die Förderung der in der Einleitung
genannten Ziele im Fach Deutsch im luxemburgischen Schulsystem zu evaluieren.
3
MINISTÈRE DE L’ÉDUCATION NATIONALE ET DE LA FORMATION PROFESSIONNELLE : Document
d’orientation pour une réforme des classes supérieures de l’enseignement secondaire et secondaire
technique. Mars 2011, S. 22.
4
http://www.men.public.lu/priorites/111205_reforme_secondaire/index.html (Stand: 27. August 2012).
8
II) Herausforderungen an die luxemburgische Schule des 21. Jahrhunderts
Wie in der Einleitung der Arbeit angedeutet, steht die luxemburgische Schule im 21.
Jahrhundert zahlreichen gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Veränderungen gegenüber, deren Bewältigung eine enorme Herausforderung darstellt.
Gleichzeitig zeigt sich immer deutlicher, dass traditionelle Unterrichtsmodelle
gravierende Defizite aufweisen. Im Folgenden werden einige wesentliche Herausforderungen und Probleme näher erläutert.
II. 1) Gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Veränderungen
Das 21. Jahrhundert zeichnet sich durch einen enormen gesellschaftlichen, sozialen,
kulturellen und wirtschaftlichen Wandel aus, der natürlich direkte Auswirkungen auf
das Schulsystem hat, da ein verändertes Umfeld konsequenterweise auch Auswirkungen auf die darin lebenden Kinder und Jugendlichen mit sich bringt.
Aufgrund veränderter Familienstrukturen in unserer Gesellschaft fehlen den Kindern
und Jugendlichen oftmals eine familiäre Stabilität und Bindung. Zahlreiche Kinder
wachsen infolge von Scheidungen nurmehr mit einem Elternteil auf. Zwar wohnen
laut einer im Auftrag der „Conférence Générale de la Jeunesse Luxembourgeoise“
durchgeführten Umfrage des STATEC von 2009 in Luxemburg immerhin noch 60 %
der Jugendlichen zwischen 12 und 30 mit beiden Elternteilen zusammen.5 Allerdings
haben die Statistiker für das Jahr 2008 eine Scheidungsrate von 46,4% für Luxemburg
errechnet.6 Dementsprechend lebten 2001 in 2383 Haushalten von 171953 befragten
Haushalten eine erwachsene Person mit einem oder mehreren Kindern zusammen.7
Durch diese Trennungserlebnisse sind die Jugendlichen oft verunsichert und zeigen
sich unfähig, Beziehungen einzugehen. Zudem lässt sich insgesamt ein Rückgang der
Geburtenrate feststellen, so dass viele Kinder nur noch ein oder gar kein Geschwister
haben und somit wenig oder überhaupt keine Gelegenheit bekommen, Sozialerfahrungen über Kontakte zu Geschwistern im Alltag zu machen.8 Auch in
Luxemburg ist insgesamt ein Geburtenrückgang zu erkennen, wenn man be5
CONFERENCE GENERALE DE LA JEUNESSE LUXEMBOURGEOISE ASBL: A wat denks du? Jugendemfro.lu.
Synthèse. Luxembourg. Mars 2009, S. 9.
6
Vgl. PELTIER, François / THILL, Germaine / ZAHLEN, Paul: Nuptialité et divortialité au Luxembourg
(1994-2008). Bulletin du Statec n 2. Luxembourg 2010, S. 88.
7
www.statistiques.public.lu: population et emploi - état de la population (Stand : 20.Dezember 2011).
8
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht. Das Arbeitsbuch. Kallmeyer. Seelze
2003, S. 18.
9
rücksichtigt, dass 1950 noch 4252 und im Jahr 2010 noch 3878 Kinder zur Welt
kamen. Immerhin ist die luxemburgische Bevölkerung in den letzten 30 Jahren um
140000 Personen angewachsen.9 In Luxemburg haben die meisten Kinder nur noch
ein Geschwisterteil. Von 171953 Haushalten in Luxemburg im Jahr 2001 bestanden
23398 Haushalte aus zwei Erwachsenen und einem Kind. 24574 Haushalte bestanden
aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern und nurmehr 8187 Haushalte setzten sich
aus zwei Erwachsenen und drei Kindern zusammen.10 Hinzu kommt, dass die Kinder
und Jugendlichen aufgrund ungünstiger Wohnsituationen kaum noch eine sogenannte
„Straßensozialisation“11 erhalten. Zudem sind laut Umfrage des STATEC von 2009
43 % der Jugendlichen zwischen 12 und 30 Jahren weder in einem Sport- noch in
einem Jugendverein, einer Jugendorganisation, einer Schülervertretung, einer
politischen Jugendgruppierung, den Pfadfindern oder ähnlichem aktiv.12 Somit
werden natürliche und ursprüngliche Möglichkeiten des sozialen Lernens wie in Form
des Knüpfens von Beziehungen, des Sich-Streitens und Versöhnens stark
eingeschränkt und infolgedessen werden die Lehrer13 und Schüler in den Schulen
immer häufiger mit sogenannten kleinen „Kaiserinnen und Kaisern“ konfrontiert, die
für sich die ungeteilte Aufmerksamkeit fordern und sich nur schlecht im
Klassenverband mit anderen einfügen können. Als Folge der mangelnden sozialen
Erfahrungen kommt es immer häufiger zu Konflikten mit Mitschülern.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Werthaltungen
und Erziehungsnormen stark verändert haben, so dass der Erziehungsstil einem
starken Wandel unterliegt. Oftmals berufstätige Eltern finden nicht mehr die Kraft,
den Mut und vielleicht auch die Zeit, ihre Kinder zu erziehen, Forderungen zu stellen
und Grenzen zu setzen. Werte wie Gehorsam, Unterordnung, Verzicht und Bescheidenheit sind aufgrund der Veränderungen zurückgegangen. Eltern legen in ihrer
Erziehung mehr Wert auf Selbstständigkeit, Durchsetzungsvermögen und Individualität. Mit diesem Wertewandel ist ebenfalls verbunden, dass die Gesellschaft
angesichts des Verlustes von verbindlichen Ordnungen und Normen immer offener
wird, woraus gerade für Kinder und Jugendliche die Gefahr des Sich-Verlierens in all
den angebotenen Lebensformen resultiert. Des Weiteren herrscht in der Gesellschaft
9
www.statistiques.public.lu: population et emploi - état de la population (Stand: 20. Dezember 2011).
www.statistiques.public.lu: population et emploi - état de la population (Stand: 20. Dezember 2011).
11
WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 19.
12
CONFERENCE GENERALE DE LA JEUNESSE LUXEMBOURGEOISE ASBL: A wat denks du ?, S. 11.
13
Bei der hier verwendeten männlichen Form der Personalbezeichnung ist die weibliche Form stets
mitgedacht.
10
10
des 21. Jahrhunderts ein großer Individualisierungs- und Stilisierungsdruck vor, der
hohe persönliche, soziale und kommunikative Anforderungen an jeden Einzelnen
stellt, die dieser jedoch oftmals nicht mehr erfüllen kann, da ihm die dafür notwendigen Kompetenzen fehlen.14
Ein weiterer wichtiger Faktor, der großen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder
und Jugendlichen hat, sind die audiovisuellen Medien. Eine 2009 durchgeführte
Umfrage im Auftrag des luxemburgischen Ministeriums für Kultur bestätigt dies.15
Insbesondere das Fernsehen und der Computer sowie das Internet nehmen, ebenfalls
infolge der bereits genannten Veränderungen innerhalb der Familien, eine große Bedeutung im Alltag der Kinder und Jugendlichen ein. Vielen Jugendlichen sind der
Fernseher und der Computer die einzigen verlässlichen Freunde und Bezugspunkte.
Die genannte Umfrage zeigt, dass die 16- bis 30-Jährigen in Luxemburg täglich
durchschnittlich 158 Minuten vor dem Fernseher und 103 Minuten vor dem Computer
verbringen.16 Allerdings weist Margit Weidner richtig darauf hin, dass sich die
Jugendlichen mit einer großen Diskrepanz zwischen den durch Werbung und Filme
propagierten Werten wie Selbstverwöhnung, Spaß, Gewalt, Brutalität und den durch
die Schule vermittelten Werten wie Leistungsbereitschaft, Verzicht, Toleranz und
Fairness konfrontiert sehen, die sie nicht verarbeiten können.17 Die Schulen müssen
sich als Folge dieses Wandels in ihrem Alltag zunehmend mit Kindern und
Jugendlichen auseinandersetzen, die oftmals große Verhaltensstörungen in Form von
Hyperaktivität und Depressionen aufweisen, die zunehmend verrohen und eine
enorme Gewaltbereitschaft an den Tag legen. Das Resultat ist häufig das Schulversagen. Mit diesem Wandel im Bereich der Medien ist ebenfalls ein Rückgang der
Lektüre von klassischen Zeitungen und Magazinen zu verzeichnen. Während 1999
noch 81% der Befragten angaben, Zeitungen zu lesen, fiel der Anteil der zeitungslesenden Bevölkerung 2009 auf 61%.18
Im Gleichschritt mit den genannten Veränderungen wandelt sich ebenfalls die
Wirtschafts- und Arbeitswelt, die heutzutage neben den fachlichen Fähigkeiten
14
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 19 u. 23.
Vgl. BARDES, Jules / BORSENBERGER, Monique: Les pratiques culturelles et médiathiques au
Luxembourg. Eléments de synthèse de l’enquête Culture 2009. Les cahiers du CEPS / INSTEAD.
Population et Emploi 10. Luxembourg 2011, S. 4.
16
Vgl. Ebd., S. 6.
17
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 19.
18
Vgl. BARDES, Jules / BORSENBERGER, Monique: Les pratiques culturelles et médiathiques au
Luxembourg, S. 7.
15
11
soziale Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein, Kritik- und Entscheidungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Selbstdisziplin, Pflichtbewusstsein, Durchhaltevermögen,
Selbstsicherheit und die Fähigkeit sowie den Mut zum selbständigen und lebenslangen Lernen einfordert. Teamfähigkeit gilt als eine der Schlüsselqualifikationen.
Zudem sollen die zukünftigen Arbeitnehmer über kommunikative und interaktive
Kompetenzen verfügen.19 Paradoxerweise fordert die Wirtschaft Kompetenzen, die
den Kindern und Jugendlichen aufgrund der genannten Veränderungen häufig nicht
mehr vermittelt werden. Vor allem die sozialen Fertigkeiten der Jugendlichen nehmen
ab.
Es wird deutlich, dass somit besondere Herausforderungen an die Lehrer und Schüler
gestellt werden, da es der Auftrag der Schule ist, die jungen Menschen schrittweise
auf die Anforderungen und Möglichkeiten in ihrem zukünftigem Berufs- und
Privatleben vorzubereiten. Die Schule des 21. Jahrhunderts kann sich konsequenterweise nicht mehr nur auf eine reine Wissensvermittlung beschränken, sondern muss
viel stärker als bisher sozialerzieherische, kompensatorische Aufgaben übernehmen.
Sie wird demnach in die Pflicht genommen und muss nun das leisten, was das direkte
soziale Umfeld in Form der Familien nicht mehr gewährleisten kann, nämlich Anreize
zu einem sozialen Miteinander bieten und den Schülern die verlangten Kompetenzen
vermitteln sowie diese weiterentwickeln.20 Die Reformen der luxemburgischen
Schule setzen demnach offensichtlich an einer wichtigen Schwachstelle des Systems
an.
II. 2) Probleme traditioneller Unterrichtsansätze
Traditionelle Unterrichtsansätze wie der lehrerzentrierte Frontalunterricht, die sich an
einer kognitivistischen Auffassung von Lernen orientieren, sehen sich seit längerer
Zeit einer starken Kritik ausgesetzt, da sie den von der Berufswelt und den weiterführenden Bildungseinrichtungen an die Schulabgänger gestellten Anforderungen
nicht mehr gerecht werden. Zwar hat sich das luxemburgische Bildungssystem lange
Zeit als durchaus wirksam herausgestellt, doch gelingt es ihm immer weniger,
zahlreichen Problemen beim Unterrichten zu begegnen. Hierzu zählen der Verlust der
Motivation, das mangelnde Interesse, Wissenslücken und „träges“ Wissen, geringe
19
20
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 20 u. 23.
Vgl. Ebd., S. 8 u. 24.
12
Problemlösefähigkeit und defizitäre Handlungskompetenz.21 Insbesondere das sogenannte „träge“ Wissen erweist sich als zentrales Problem. Demnach verfügen die
Schüler zwar über im Unterricht erworbenes Wissen und Fertigkeiten, diese sind also
theoretisch vorhanden, allerdings können die Schüler dieses Wissen und diese
Fertigkeiten nicht in einem konkreten Fall in der Praxis abrufen oder in einer
angemessenen Situation anwenden. Diese Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln
resultiert daraus, dass in klassischen Unterrichtsansätzen zwar oftmals eine große
Fülle an Wissen vermittelt wird, der Nutzen dieses Wissens außerhalb der ursprünglichen Lernsituation im Klassenzimmer den meisten Schülern jedoch unklar ist, da
praktische Anwendungssituationen bei der Wissensvermittlung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Eine 2009 durchgeführte Umfrage bestätigt diese Annahme,
da die Mehrheit der Jugendlichen (60%) in diesem Kontext darauf hinwies, dass der
Unterricht in Luxemburg zu theorielastig und zu wenig praktisch sei.22
Dabei ist es das zentrale Anliegen der Schule, alles was gelernt wird, in Hinblick auf
seinen Gebrauch zu lernen.23 Somit beschäftigt sich die Lernpsychologie nun schon
mindestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts unter dem Stichwort „Transfer“ mit
dieser Thematik. Unter Transfer versteht man die „Nutzung von früher erworbenem
Wissen im Hinblick auf neue Inhalte oder neue Situationen.“24 Es wurde und wird nun
immer wieder festgestellt, dass dieser Transfer nicht stattfindet, vorhandenes Wissen
und erlernte Fertigkeiten also nicht eingesetzt werden können. Untersuchungen
bestätigen die angeführten Überlegungen, denn in der genannten Umfrage von 2009
gaben 53% der befragten 12- bis 30-Jährigen in Luxemburg an, mindestens ein Mal
ein Schuljahr wiederholt zu haben. Der gleiche Prozentsatz an Jugendlichen wies
darauf hin, sich im Unterricht zu langweilen.25
Angesichts der mit dem gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Wandel
einhergehenden Herausforderungen sowie den angesprochenen Problemen des traditionellen Unterrichtens stellen sich den Pädagogen unter anderem folgende zentrale
Fragen: Wie lässt sich „träges“ Wissen vermeiden und wie können demnach fachliche
21
REINMANN, Gabi / MANDL, Heinz: Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In: Krapp, Andreas
/ Weidenmann, Bernd (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. 5. Auflage. Beltz. Basel
2006, S. 615.
22
Vgl. CONFÉRENCE GÉNÉRALE DE LA JEUNESSE LUXEMBOURGEOISE ASBL: A wat denks du?, S. 40.
23
Vgl. STEINER, Gerhard: Lernen und Wissenserwerb. In: Krapp, Andreas / Weidemann, Bernd
(Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. 5. Auflage. Beltz. Basel 2006, S. 164.
24
Ebd., S. 193.
25
Vgl. CONFERENCE GENERALE DE LA JEUNESSE LUXEMBOURGEOISE ASBL: A wat denks du?, S. 41.
13
Kompetenzen gefördert werden? Wie sind Lernende zu spontaner Aktivität und zu
Eigenverantwortung zu motivieren? Wie können mangelnde soziale Kompetenzen
gefördert werden? Wie kann neues Wissen sinnvoll mit praktisch bedeutsamen
Kontexten und Handlungen verknüpft werden?
14
III) Die Konstruktivistische Didaktik – Eine theoretische Betrachtung
Die pädagogische Forschung sieht eine mögliche Reaktion auf die dargestellten
Herausforderungen und Probleme in der konstruktivistischen Didaktik. Vorausgeschickt sei noch, dass die konstruktivistische Didaktik hinsichtlich des Lernens
unterschiedliche Formen wie konstruktives, re- und dekonstruktives, kreatives,
soziales, emotionales, individuelles und situiertes Lernen unterscheidet. Es handelt
sich hierbei um Perspektiven auf das Lernen, die sich wechselseitig bedingen und
ergänzen.26
Die Arbeit bietet im Folgenden zunächst einen kurzen Überblick darüber, was man
unter Konstruktivismus versteht. Speziell in der Pädagogik wird eine breite internationale Diskussion über den Konstruktivismus und seine für die Pädagogik bedeutsamen Aussagen geführt, so dass diese nicht nachgezeichnet werden kann. Die
Arbeit bietet deshalb einen kurzen Ausblick auf die wichtigsten Vorläufer der
konstruktivistischen Pädagogik und derzeitig vorhandene konstruktivistische Ansätze.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht ein deutscher Beitrag zum konstruktiven Lernen, der
im deutschen Sprachraum konkurrenzlos ist: die systemisch-konstruktivistische
Pädagogik von Kersten Reich und das damit eng verbundene situierte Lernen.
III. 1) Der Konstruktivismus: Ausgangspunkte und Grundannahmen
Vor jeder Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus gilt zu bedenken, dass der
Konstruktivismus keine
einheitliche und fertige Theorie ist, sondern ein
philosophisch-erkenntnistheoretisches Erklärungsmodell, das kontinuierlich weiterentwickelt wird und in zahlreiche Wissenschaftsbereiche ausstrahlt. Wichtige Vertreter unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen sind beispielsweise der Professor für
Biologie und Neurobiologie Humberto Maturana, der Biologe und Kybernetiker
Francisco Varela, der Verhaltensphysiologe Gerhard Roth und der Diplomingenieur
und Physiker Heinz von Foerster. Außerdem seien der Kybernetiker und
Kognitionspsychologe Ernst von Glasersfeld, der Psychotherapeut und Kommunikationsforscher Paul Watzlawick, der Zoologe Rupert Riedl, der Soziologe und
Systemtheoretiker Niklas Luhmanm sowie der Literaturwissenschaftler Siegfried J.
26
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool. Beltz.
4. Auflage. Weinheim 2008, S. 192-231.
15
Schmidt erwähnt.27 Die Vertreter des Konstruktivismus betonen, dass der Mensch die
Wirklichkeit nicht sofort erkennen kann und sie behaupten, dass die Wirklichkeit ein
Konstrukt des menschlichen Gehirns ist.
Den unterschiedlichen Formen des Konstruktivismus liegen eine Reihe von gemeinsamen Annahmen zugrunde, welche die verschiedenen Vertreter jedoch unterschiedlich stark gewichten.28 Die Arbeit kann im Folgenden nur einige der
wichtigsten Grundannahmen erläutern und stützt sich bei ihrer Darstellung auf die
Ausführungen in „Didaktische Modelle“ von Hilbert Meyer und Werner Jank.
Eine erste Annahme besteht darin, dass jedes Lebewesen eine „selbständige,
organisatorisch geschlossene“29 Einheit ist. Demnach gibt es keinen Austausch von
Wissen und Information zwischen dem Lebewesen und seiner Umgebung. Aus dieser
Grundannahme ergibt sich für die Konstruktivisten, dass Wissen nur durch das
Handeln eines jeden Lebewesens aufgebaut werden kann. Begründet wird diese
Annahme mit Hilfe von Jean Piagets Entwicklungspsychologie und den darin
beschriebenen Prozessen der Adaptation, der Organisation und der Äquilibration.
Somit entwickelt und verändert der Mensch seine Wirklichkeitskonstruktionen, indem
er sich handelnd mit der Welt auseinandersetzt. Der Konstruktivismus verneint
interessanterweise die Möglichkeit einer direkten Abbildung von Wirklichkeit, denn
es gibt keinen besten beziehungsweise letzten Beobachter.
Eine dritte Grundannahme der Konstruktivisten besteht darin, dass die Lebewesen
„selbstorganisiert“30 und „selbstreferenziell“31 arbeiten, da sie ihre kognitiven Strukturen selbst organisieren und sich dabei prinzipiell nur auf eigene Zustände beziehen
können. Diese Selbstorganisation wird jedoch nicht von der Außenwelt bestimmt,
sondern eine eigene „innere Struktur“32 beeinflusst, was und wie ein Lebewesen
wahrnimmt, weiß und denkt.
Eine weitere Grundannahme ist, dass das Prinzip der Funktionalität die konkrete
Gestaltung der genannten Selbstorganisation beeinflusst, da Lebewesen prinzipiell die
Verhaltensweisen auswählen, die ihr Überleben sichern. Im Bereich der Kognition
bedeutet dies, dass Ideen, Theorien und Konzepte nicht in Widerspruch zur Wahr27
Vgl. JANK, Werner / MEYER, Hilbert: Didaktische Modelle. Cornelsen. 10. Auflage. Berlin 1991, S.
288 / 289.
28
Vgl. Ebd., S. 289.
29
Ebd., S. 290.
30
Ebd., S. 290.
31
Ebd., S. 290.
32
Ebd., S. 290.
16
nehmung der Welt, also zu den Wirklichkeitskonstruktionen des Lebewesens stehen.
Des Weiteren gehen die Vertreter des Konstruktivismus davon aus, dass der Aufbau
der Wirklichkeitsstrukturen eines Lebewesens „den Vorgaben der Strukturdeterminiertheit sowie den Prinzipien der Viabilität und der Soziabilität folgt“33. Zum
einen beeinflusst die Ähnlichkeit der Strukturen von Menschen, die in einer ähnlichen
Umgebung leben, auch ähnliche Strukturen der Wirklichkeitskonstruktion. Zum
anderen schließt die individuelle Wirklichkeitskonstruktion eines jeden Lebewesens
das kognitive Konstrukt seiner Mitmenschen ein. Durch dieses Vorgehen erfährt das
Lebewesen, dass ein Wissen oder eine Fähigkeit, die sich für es selbst als viabel
erwiesen hat, sich in ähnlicher Weise für andere ebenfalls als brauchbar erweist. Die
letzte Grundannahme beruht darauf, dass alles Wissen vorläufig ist, denn alles Wissen
kann sich eines Tages unter bestimmten Umständen als weniger brauchbar, also
viabel, erweisen, als andere Wissenskonstruktionen.34
Abschließend kann festgehalten werden, dass der Konstruktivismus „eine neue Sicht
auf die Vorgänge des Wahrnehmens und Erkennens [propagiert] und [...] radikal auf
die Wirklichkeitskonstruktionen des Einzelnen setzt.35 Die Vertreter des Konstruktivismus betonen, dass wir die Wirklichkeit nicht unmittelbar erkennen können,
und behaupten“ [, dass die Wirklichkeit, in der wir leben, ein Konstrukt des Gehirns
ist.]36 Die Annahmen der Konstruktivisten haben demnach weitreichende Folgen für
das bisherige Schulsystem in Luxemburg, welches diese bis zum Zeitpunkt der
Reformen im Jahr 2009 kaum berücksichtigte.
III. 2) Wichtige Vorläufer einer konstruktivistischen Pädagogik und Didaktik
Um das didaktische Modell des Konstruktivismus zu erläutern, soll zunächst ein
kurzer Blick zurück auf die historischen Vorläufer der konstruktivistischen Sicht
geworfen werden, denn die Vorstellungen, dass Wissenserwerb ein individueller und
konstruktiver Prozess ist, das Lernen in authentische und komplexe Situationen
eingebettet werden soll und soziale Lernarrangements hergestellt werden sollen, sind
nicht neu.37 Die Arbeit beschränkt sich allerdings auf einen Überblick über die
Vorläufer im 20. Jahrhundert.
33
JANK, Werner / MEYER, Hilbert: Didaktische Modelle, S. 292.
Vgl. Ebd., S. 289- 293.
35
Ebd., S. 289.
36
Ebd., S. 289.
37
Vgl. REINMANN, Gabi / MANDL, Heinz: Unterrichten und Lernumgebungen schaffen. In: Krapp,
Andreas / Weidenmann, Bernd (Hrsg.): Pädagogische Psychologie, S. 633.
34
17
Es erweisen sich drei theoretische Ansätze zum Lernen als besonders wichtig. Ihre
Vertreter sind John Dewey, Jean Piaget und Lew Wygotsky.38
Der pragmatische Ansatz des amerikanischen Philosophen und Pädagogen John
Dewey (1859-1952) kommt aus dem Bereich der hermeneutischen Wissenschaften.
Dewey gilt als ein „Wegbereiter einer konstruktivistischen Pädagogik“39. Der
Vertreter des sogenannten amerikanischen Pragmatismus geht davon aus, dass im
Handeln Wissen aufgebaut und interaktiv konstruiert wird. Das Lernen wird somit als
aktiver Vorgang begriffen, der keine äußeren Wirklichkeiten abbildet, sondern
während des Prozesses des Handelns erst entsteht. Lernen muss seiner Meinung nach
auf Erfahrung aufgebaut sein. Solche Erfahrungen / Handlungen entstehen in
Situationen, die Dewey „experience“ nennt.40
Ein weiterer Ansatz stammt von dem Schweizer Entwicklungspsychologen und
Epistemologen Jean Piaget (1896-1980), der ein wesentlicher Wegbereiter einer
konstruktivistischen Auffassung ist und die Entwicklung als Konstruktionsprozess
sieht. Piaget stellt dem Behaviorismus die These einer dynamischen Interaktion
zwischen Organismus und Umwelt entgegen und legt besonderen Wert auf die
Entwicklungsstufen, die ein Lerner nach und nach durchläuft, um seine konstruktiven
Lernfähigkeiten in handelnder, aktiver Auseinandersetzung mit der Umwelt zu
regulieren und zu optimieren. Das Handeln wird demnach zum zentralen Bindeglied
zwischen dem Denken und den Dingen. Der Lerner entwickelt dabei verschiedene
Schemata (Wissensstrukturen), die als verinnerlichte Muster helfen, verschiedene
Situationen zu bewältigen.41 Laut Piaget haben drei grundlegende Eigenschaften des
menschlichen Geistes große Bedeutung für diese Interaktion: die Adaptation, die
Organisation und die Äquilibration.
Die kognitive Adaptation (Anpassung) erfolgt zwischen Individuum und Umwelt in
Form eines Austauschverhältnisses. Es gibt hierbei zwei Arten der Anpassung: die
Assimilation und die Akkomodation. Bei der Assimilation passt das Individuum die
Umwelt, also die Außenwelt, an die eigenen inneren Strukturen, demnach das eigene
Verhalten, an. Bei der Akkomodation hingegen passt das Individuum das eigene
Verhalten an unterschiedliche Umweltbedingungen an. Beide Vorgänge sind dabei
38
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 71.
REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik. Einführung in die Grundlagen einer
interaktionistisch-konstruktivistischen Pädagogik. 6. Auflage. Beltz. Weinheim und Basel 2010, S.
197.
40
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 71.
41
Vgl. Ebd., S. 72.
39
18
unlösbar miteinander verbunden. Als kognitive Organisation bezeichnet Piaget die
Tendenz jedes Individuums, Beziehungen zwischen den Wahrnehmungen herzustellen. Die kognitive Äquilibration bezeichnet das Streben eines jeden Organismus
nach der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen sich selbst und seiner Umwelt.42
Piaget erkennt somit, dass das Lernen subjektiv konstruiert werden muss, beachtet
jedoch die Interaktion weniger als Dewey und Wygotsky. Er entwickelt ein
überwiegend kognitives Lern- und Lehrverständnis, das sich auf den einzelnen Lerner
konzentriert.43
Schließlich muss an dieser Stelle noch auf den russischen Psychologen Lev S.
Wygotsky (1896 – 1934) verwiesen werden, der den Zusammenhang von Kognition
und Sozialisation betont, und dessen Lerntheorie stärker sozial-kulturell orientiert ist
als Piagets Ansatz. Diese Theorie verweist auf einen soziokulturellen Ursprung der
Kognition, so dass Wirklichkeitskonstruktionen in einem sozialen Kontext und durch
Interaktionen aufgebaut werden. Demnach hat kooperatives menschliches Handeln
einen lernsteigernden Effekt. Psychologisch gesehen ist die „Zone der proximalen
Entwicklung“ entscheidend für Wygotsky, da die Zusammenarbeit und der Austausch
mit kompetenteren Individuen den Lerner antreiben, ein neues Niveau des Wissens
und Verhaltens zu erreichen.44 Lerner werden demnach als „aktive Gestalter des
eigenen Lernprozesses“45 gesehen.
III. 3) Derzeitig vorhandene konstruktivistische Ansätze
Es gibt im Anschluss an die historischen Vorläufer unterschiedliche konstruktivistische Ansätze, die heute aktuell sind und welche im Folgenden kurz in
Anlehnung an Kersten Reichs Darstellung in der „Konstruktivistische[n] Didaktik“
genannt werden, um dem Leser einen kleinen Überblick zu verschaffen.46
Kersten Reich nennt die konstruktiv-subjektive Psychologie nach George A. Kelly,
den Radikalen Konstruktivismus von Foerster und von Glasersfeld, die Systemtheorie
nach Niklas Luhmann, den Methodischen Konstruktivismus und Kulturalismus, auch
noch als „Erlanger Schule“ bezeichnet, sowie verschiedene sozial-kulturtheoretisch
begründete Konstruktivismen wie den Sozialen Konstruktivismus, den Pragmatischen
42
Vgl. JANK, Werner / MEYER, Hilbert: Didaktische Modelle, S. 191-193.
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 72.
44
Vgl. Ebd., S. 72 / 73.
45
Ebd., S. 72.
46
Vgl. Ebd., S. 85-88.
43
19
Konstruktivismus und den von ihm weiterentwickelten Interaktionistischen Konstruktivismus, auf den sich die Arbeit im Folgenden stützt. Der Interaktionistische
Konstruktivismus beachtet stärker als der eher subjektivistische Radikale Konstruktivismus und der sprachtheoretische Erlanger Konstruktivismus die Bedeutung
der Interaktionen als Bedingung menschlicher Verständigung.47
47
Vgl. http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/texte/einfuehrung/einf_1.html (Stand: 10. April 2012)
20
IV) Systemisch-konstruktivistische Pädagogik nach Kersten Reich
Der deutsche Pädagoge und Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität
Köln Kersten Reich begründete den Ansatz des Interaktionistischen Konstruktivismus, welcher in direkter Aufnahme und Auseinandersetzung des
Pragmatismus, speziell mit Dewey steht.48 Reich liefert komplexe theoretische
Analysen und Theorien, in denen er die konstruktivistische Pädagogik nahezu
idealisiert, so dass deren praktische Umsetzbarkeit für den Deutschunterricht in
Luxemburg erst einmal überprüft werden muss.
IV. 1) Die Bedeutung der Kommunikation
Da die Interaktion, also demnach auch die Kommunikation, im Interaktionistischen
Konstruktivismus von zentraler Bedeutung sind, wird in einem ersten Schritt kurz die
Bedeutung der Beziehungen zwischen Lehrern und Lernern, also der Kommunikation
und Interaktion aus der Sicht von Kersten Reich erläutert.
In seiner „Konstruktivistische[n] Didaktik“ hebt Reich die entscheidende Bedeutung
der Beziehungen im Lehren und Lernen hervor, denn in der Kommunikation und
Interaktion mit den Lernern stellen Lehrer zwischenmenschliche Beziehungen her, die
einen Rahmen und eine Umgebung der Förderung und Forderung für das fachliche
Lernen bilden und dieses somit ebenfalls mitbestimmen. Des Weiteren vermittelt der
Lehrende seine Glaubwürdigkeit über die Interaktion und die Kommunikation. Reich
kritisiert treffend, dass in zahlreichen Schulen ein Mangel an Beziehungen zugunsten
einer einseitigen Bevorzugung des Inhalts ersichtlich wird, was jedoch zu falschen
Vorbildern in der Sozial – , Methoden- und Fachkompetenz führt, da in der heutigen
Arbeitswelt immer mehr Teamfähigkeit gefragt ist. Die zwischenmenschlichen Beziehungen erhalten somit einen hohen Stellenwert.
Schließlich stellen Lerner während ihrer Lernprozesse immer wieder Sinn- und
Verwendungsfragen, welche kommunikativ vermittelt werden. Jeder Unterricht
benötigt demnach Beziehungen, in denen Fragen zum Sinn des Gelernten und zu den
eingesetzten Methoden gestellt werden können.49 Folglich ist „eine rein inhaltsdominante Schule oder ein inhaltsbezogenes Lernen ohne Beziehungen [...] nicht nur
48
49
Vgl. REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 197.
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 17-18.
21
eine Illusion, sondern führt laut Reich auch zu einer qualitativ schlechten und
ineffektiven Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse“50.
Kersten Reich zieht in seiner „Systemisch-konstruktivistischen Pädagogik“, die man
auch interaktionistisch-konstruktivistische Pädagogik nennen kann, somit neuere
Kommunikationsmodelle heran, die sich als konstruktivistisch und systemisch, also
interaktionistisch verstehen und die Lehr- und Lernprozesse verbessern sollen. Das
konstruktivistische Kommunikationsmodell geht davon aus, dass Wirklichkeiten
Konstrukte von Beobachtern sind, welche in Fremd- und Selbstbeobachtung beobachten und beobachtet werden. Es gibt demnach nicht die eine Wirklichkeit
unabhängig von den unterschiedlichen Wahrnehmungen der Beobachter, da
subjektive Wahrnehmung und Wirklichkeitskonstruktion durch Faktoren wie Erfahrungen, individuelles Befinden und soziale Wahrnehmung beeinflusst werden.
Konstruktivistische Kommunikationsmodelle bedürfen zudem eines Beobachtungsfeldes, in dem Dinge und Ereignisse in Kategorien von Systemen beschrieben werden.
Es besteht ferner die Notwendigkeit einer Ausdrucksmöglichkeit über die Beobachtungen in Form von Zeichen oder Symbolen als Aussagen über Wirklichkeiten.51 Demnach bilden unterschiedliche konstruktivistische Theorien die reflexive
Grundlage für ein neues Verständnis von Kommunikation.
Die Kommunikationsmodelle sind systemisch beschreibbar. Beim systemischen
Modell steht vorwiegend die Beziehungswirklichkeit im Mittelpunkt. Diese Modelle
gehen von zirkulären Prozessen aus, welche von Rückkopplungen und verschiedenen
Beobachterpositionen begleitet werden.52 Die systemische Sichtweise im Blick auf
Kommunikation geht davon aus, dass es in der Kommunikation eine Wechselwirkung
zwischen den Verhaltensweisen der einzelnen Individuen gibt. Demnach ist die
Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern entscheidend. Dies verdeutlicht,
dass die Kommunikation zirkulär angelegt ist und Kommunikation somit keinen
Anfang hat. Jedes Verhalten ist sowohl Ursache als auch Wirkung. Pädagogisch
betrachtet bestehen die Vorteile dieser neuen systemischen Sichtweise darin, dass der
Beobachter viele Beobachterperspektiven im System oder über ein System zulässt.
Die Perspektive ist des Weiteren nicht moralisierend, da es keinen „Täter“ und kein
„Opfer“ gibt. Die Sichtweise ist außerdem interaktionsbezogen, denn die Gesamtheit
50
REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 18.
Vgl. REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik., S. 20, 21, 24.
52
Vgl. Ebd, S. 24-25.
51
22
wechselseitiger Beziehungen wird gesehen. Schließlich zwingt sie das Individuum,
sich selbst zu betrachten und die Situation zunächst einmal von sich selbst aus zu
ändern.53 Zwei sehr bekannte Vertreter eines solchen konstruktivistischen Kommunikationsmodells sind Paul Watzlawick und Friedemann Schulz von Thun.54
Aufgrund der sich abzeichnenden Komplexität der Kommunikation und der daraus
resultierenden Probleme empfiehlt sich laut Kersten Reich die Ausübung von
„Metakommunikation“, dass heißt die Auseinandersetzung von zwei oder mehr
Kommunikationspartnern über ihre Kommunikation.55 Allerdings kann diese Metakommunikation ebenfalls auf der Inhaltsebene erfolgen. In dieser Kommunikation
über Inhalte ermöglicht sie es den Kommunikationspartnern nämlich, eine neue
Perspektive einzunehmen und somit aus dem vorgegebenen inhaltlichen Rahmen
herauszutreten. Sie ermöglicht eine Befreiung aus dogmatischen Gedankenstrukturen
und somit inhaltliche Innovationen. Sie erfordert vor allem einen Perspektivwechsel,
Kreativität und Kritikfähigkeit. Der Lerner wird demnach selbst tätig.56 Aus den
dargestellten Überlegungen heraus plädiert Reich für eine stärkere Berücksichtigung
der Beziehungsebene in der Pädagogik der Gegenwart, da sie bisher zugunsten der
Inhaltsebene unterbewertet wird.57 Die dargestellten Überlegungen stimmen mit den
im luxemburgischen Schulsystemen ausgemachten Defiziten überein, so dass dieser
Aspekt der systemisch-konstruktivistischen Pädagogik möglicherweise interessante
Ansätze für einen reformierten Kompetenzunterricht in Luxemburg bieten könnte.
IV. 2) Die drei Dimensionen der Selbst- und Weltsicht
Kersten Reich unterscheidet in seiner „Systemisch-konstruktivistischen Pädagogik“
drei Dimensionen der Selbst- und Weltsicht und stützt sich hierbei auf eine Theorie
des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan.
Eine erste Dimension ist das Symbolische. Symbole sind laut Reich Mitteilungen,
Aussagen über die Welt, die in der Interaktion zwischen zwei oder mehreren
Individuen entstehen und ihnen die Verständigung mit anderen ermöglichen. Hierzu
zählen Zeichen wie signifikante Gesten, Buchstaben, Worte und Begriffe, Sätze,
53
Vgl. REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 32-33.
Vgl. Für weitere Informationen zu beiden Kommunikationsmodellen, siehe: REICH, Kersten:
Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 33, 35-37.
55
Vgl. Ebd. S. 49.
56
Vgl. Ebd., S. 60-61.
57
Vgl. Ebd., S. 51.
54
23
Aussagen, die mit Bedeutungen verbunden sind.58 Die zweite Dimension ist das
Imaginäre, das Reich zufolge ein inneres Verhalten ist, über das der Betrachter durch
Beobachtung des Handelns einer Person wie zum Beispiel der Körpersprache
Vermutungen anstellen kann. Andere Menschen haben jedoch keinen direkten Zugang
zu diesem Imaginären.59 Die dritte Dimension, das Reale, ist das, was weder
symbolisierbar noch imaginär ist. Keine symbolische Rekonstruktion reicht aus, um
das Leben in seiner Gesamtheit und seiner ganzen Vielfalt zu erfassen. Symbolische
Konstruktionen reduzieren vielmehr die Komplexität des Realen. Auch die
Imagination schafft es nicht, ein komplettes Bild der anderen Menschen und der Welt
zu erfassen. „Reale Ereignisse sind, so [Reichs] Fazit, immer mehr als symbolische
und imaginierte Wirklichkeiten. Sie stellen das Ungeahnte, das Unwahrscheinliche,
das Zufällige, die Grenze aller Erkenntnis und Vorstellung dar, die erst im Nachhinein
kodiert oder imaginiert wird.“60
Kersten Reich sieht die drei Dimensionen des Symbolischen, des Imaginären und des
Realen in einem Wechselverhältnis zueinander, wobei die Beobachter sich die
symbolischen Wirklichkeiten zuerst erschließen und imaginäre dadurch ausschließen.
Als Folge ist das Imaginäre, vor allem auch in der Pädagogik, unterbewertet, was zu
einer unzureichenden Erfassung der Inhalte führt. Die Unterbewertung des
Imaginären führt zu einer Gefangenschaft der Beziehungen in der Macht von
Klischees und „symbolischer Diszipliniertheit“. Des Weiteren nimmt eine Überbewertung des Symbolischen den Schülern die Möglichkeit, mit Hilfe des Imaginären
selbständig Konstruktionen von Wirklichkeit zu schaffen. Abschließend kann
festgehalten werden, dass die drei genannten Dimensionen aufeinander bezogen
werden müssen, um zuverlässige Wirklichkeitskonstruktionen zu ermöglichen.61
Aus dieser Erkenntnis entwickelt Kersten Reich eine dreifache „Entfaltungsaufgabe“
für den Unterricht. Die erste Strategie besteht in der Entfaltung der symbolischen
Realität, danach folgen die Entfaltung der imaginativen und die Entfaltung der
Grenzen der Realitätskonstruktionen.62
Reich schlägt als Weg durch diese Entfaltungsaufgabe einen Kreislauf von drei für die
Pädagogik neue Beobachterperspektiven vor. Grundlegende Gemeinsamkeit aller
58
Vgl. REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 75 / 76.
Vgl. Ebd., S. 87.
60
Ebd., S. 107.
61
Vgl. Ebd., S. 110-111.
62
Vgl. Ebd., S. 115-117.
59
24
Perspektiven ist der Konstruktivismus, der die Position des Beobachters stärkt und
ihm Selbstvertrauen und Mut für die eigenen Wirklichkeitskonstruktionen gibt. Mit
diesem neuen Denkmuster sind zudem drei Grundforderungen verbunden, die im
Folgenden ebenfalls thematisiert werden.
Die erste Perspektive einer konstruktivistischen Pädagogik ist die sogenannte „Konstruktion“. Wie auch Piaget stellt die konstruktivistische Pädagogik die Konstruktion,
also die aktive Tätigkeit, in den Mittelpunkt. Sie betont aber, anders als Piaget,
zusätzlich stärker die interaktive Seite dieser Tätigkeiten, also die Beziehungskommunikation. Sowohl die Inhalte als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen
sollen konstruktivistisch ausgerichtet werden. Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung
greifen somit ineinander. Der Mensch gilt als Erfinder seiner Wirklichkeiten, er soll
„selbst erfahren, ausprobieren, experimentieren, immer in eigene Konstruktionen
ideeller oder materieller Art überführen und in den Bedeutungen für die individuellen
Interessen-, Motivations- und Gefühlslagen thematisieren“63. Im Zusammenhang mit
dieser Perspektive formuliert Reich das Postulat „So viel Konstruktion wie
möglich“64. In seinem ersten Postulat verdeutlicht Reich, dass die Aneignung von
reziptivem Wissen oberflächlich und nicht von Dauer ist. Er fordert somit den
„konstruktiven Anteil“ zu erhöhen, „wenn es um den Transfer von Wissen in
Handlungen geht, um die Variation und Angleichung an unterschiedliche
Handlungsbedingungen, um eigenständige und kreative Umsetzungen auf der Basis
eines Wissens“65. Aus der Sicht dieser systemisch-konstruktivistischen Pädagogik soll
das selbsttätige Individuum seine eigene Wirklichkeit konstituieren, indem es [...]
Konstruktionen herstellt. Sie will eine Beziehungspädagogik sein, „in der die eigene
Konstruktionsfähigkeit aller Lerner vor die Übernahme fremder Expertenkonzepte
rückt“66.
Dem ersten Prinzip der Konstruktion wird die zweite Perspektive der Rekonstruktion
zur Seite gestellt. Die Menschen sollen aus der Sicht dieses Prinzips zu den
Entdeckern ihrer Wirklichkeit werden, indem sie eigenverantwortlich, selbstbewusst
und motiviert kulturelle Leistungen, historische Entwicklungen, Erfindungen und
Erkenntnisse gemeinsam rekonstruieren. Alle sollen aktiv an dem Prozess beteiligt
werden. Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung sind somit wichtige Elemente. Zudem
63
REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 119.
Ebd., S. 122.
65
Ebd., S. 122.
66
Ebd., S. 124.
64
25
sollten Rekonstruktionen wo immer möglich in Konstruktionen überführt werden.67
Das zweite Postulat „Keine Rekonstruktion um ihrer selbst willen“68 verdeutlicht,
dass eine Rekonstruktion, die um ihrer selbst willen durchgeführt wird, pädagogisch
nicht gerechtfertigt werden kann. Vielmehr sollen die Lerner aktiv an den
Rekonstruktionen beteiligt werden, um die Dimension des Symbolischen verlassen
und am Imaginären und Realen rühren zu können. Wichtig ist, dass Rekonstruktionen
immer einen konstruktiven Anteil haben.69
Die dritte Perspektive der konstruktivistischen Pädagogik wird mit dem von Jacques
Derrida geprägten Begriff der Dekonstruktion benannt. Der Mensch soll ebenfalls
zum Enttarner seiner Wirklichkeiten werden, denn bei der Dekonstruktion geht es um
„die Auslassungen, die möglichen anderen Blickwinkel, die sich im Nachentdecken
der Erfindungen Anderer oder in der Selbstgefälligkeit der eigenen Erfindung so
gerne verstellen“70. Das dritte Postulat lautet „Keine Konstruktionen ohne Verstörungen“71. Kersten Reich betont in diesem Postulat die zentrale Bedeutung der
Dekonstruktion des jeweils Erreichten, denn „damit stören wir unsere symbolischen
Gewohnheiten, und wir verstören die vermeintliche Sicherheit unseres Blickens“72.
Reich verbindet die drei Dimensionen der Selbst- und Weltsicht mit den drei
Perspektiven zu einem didaktischen Kreislauf.73 Es wird überprüft werden müssen, ob
dieses neue Muster pädagogischen Denkens sich ebenfalls in der Praxis dazu eignet,
die Schüler zu aktivieren und ihre Selbstständigkeit zu stärken.
IV. 3) Konstruktivistische Grundannahmen nach Reich
Abschließend sollen Kersten Reichs Grundannahmen zu einer konstruktivistischen
Didaktik kurz dargelegt werden. Reich orientiert sich bei der Formulation der
Grundannahmen einer konstruktivistischen Didaktik zum Teil an den im Vorfeld
genannten Grundannahmen von Foerster und Glasersfeld, betont allerdings stärker
den interaktionistischen Aspekt.
Laut Kersten Reich, und in diesem Punkt pflichtet er Glasersfeld bei, fordert eine
konstruktivistische Didaktik, dass der Unterricht zu einem „konstruktive[n] Ort
67
Vgl. REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 133-139.
Ebd., S. 133.
69
Vgl. Ebd., S. 133-139.
70
Ebd., S. 121.
71
Ebd., S. 139.
72
Ebd., S. 140.
73
Vgl. Ebd., S. 118-122.
68
26
möglichst weiter eigener Welterfindung“74 wird. Wirklichkeiten sind demnach
Konstruktionen. Abbildungen der Wirklichkeit sind konsequenterweise nicht möglich.
Reich erläutert überzeugend, dass diese Konstruktionen zeitgebunden sind sowie von
spezifischen Beobachtern und Verständigungsgemeinschaften abhängen. In diesem
Sinne ist der von Reich vertretene Konstruktivismus ein kultureller, da er davon
ausgeht, dass Lernen immer in einem kulturellen Kontext geschieht.75 Demnach
können solche Konstrukte keine ewigen Wahrheiten sein und müssen allen Beobachtern hinreichend Chancen zur Teilhabe an der Wirklichkeitskonstruktion bieten.76
Sowohl Lehrer als auch Lerner sollen die Möglichkeit erhalten, „je ihre Konstruktionen von Wirklichkeit zu finden, und zwar in möglichst freien Perspektiven
und auch aus ihren je unterschiedlichen Blickwinkeln, die eingewoben in unterschiedlichste Lebensformen und Weltbilder sind“77. Es gibt auch in Reichs Überlegungen keinen letzten oder besten Beobachter. Eine systemisch-konstruktivistische
Pädagogik fordert vor diesem Hintergrund also eine Festlegung von Zielen, Inhalten
und Wegen zu unterlassen, da die Themen und Inhalte mit dem Ziel der Selbst- und
Mitbestimmung gemeinsam durch alle am Unterricht Beteiligten ausgehandelt werden
muss. Es wird eine möglichst hohe Selbstbestimmung und Partizipation der Lerner in
pädagogischen Prozessen gefordert, die sicherlich einige Probleme im Unterricht mit
sich bringen dürfte. Vor allem stellt sich die Frage, ob die Lerner dieser Verantwortung gewachsen sind. Des Weiteren soll unbedingt eine Entfremdung von den
Bedürfnissen, praktischen Erfahrungswelten und Erlebenswelten der Lerner vermieden werden, damit die Lerner beim Prozess der Konstruktion an ein Vorwissen
anknüpfen können.78 Alles Neue benötigt einen Anschluss, eine Rekonstruktion mit
schon Vorhandenem. Nur das, was für die Lerner anschlussfähig ist, wird als ausreichend viabel erlebt.79
In einer zweiten Annahme weist Reich darauf hin, dass die Didaktik keine sichere
Theorie mehr ist, die vermitteln kann, wie zu emanzipieren ist und mit welchen
Inhalten aufgeklärt werden kann. Somit kommt der Didaktik die Aufgabe zu, die
„konstruktiven Akte des Aufklärens und der Reflexion“80 an die Lerner und Lehrer
74
REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 265.
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 78.
76
Vgl. REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 266-267.
77
Ebd., S. 268.
78
Vgl. Ebd., S. 268.
79
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 79-80.
80
REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 266.
75
27
„in möglichst hoher Selbsttätigkeit“81 zurückzugeben, damit jeder, egal ob Lerner
oder Lehrer, seine eigenen Wege findet. „Sie ist deshalb ein sehr offenes Verfahren
inhaltlicher und beziehungsmäßiger Vermittlungsperspektiven.“82 Dies klingt in der
Theorie natürlich sehr gut, doch stellt sich die Frage, ob die Schüler mit dieser
Autonomie umgehen und diese positiv nutzen können.
Das dritte Postulat fordert eine Festlegung von Zielen, Inhalten und Wegen zu
unterlassen, da die Themen und Inhalte ebenfalls Konstruktionen sind, die mit dem
Ziel der Selbst- und Mitbestimmung gemeinsam in Beziehungen durch alle am
Unterricht Beteiligten ausgehandelt werden müssen.83 Auch dieses Postulat erscheint
mir sehr idealistisch und nur schwer in die Unterrichtsrealität übertragbar.
Reichs vierte Annahme geht davon aus, dass die wechselseitigen Beziehungen
zwischen Lehrern und Schülern stärker berücksichtigt werden müssen. Diese Beziehungen sollen neu gestaltet werden und einen Vorrang vor der Vermittlung von
Inhalten erhalten. Jeder in pädagogischen Prozessen vermittelte Inhalt steht in einer
Beziehung zu den Individuen, die sich im pädagogischen System befinden.
Angesichts der formulierten Postulate stellt sich mir die Frage, ob nicht eine zu starke
Orientierung am Subjekt stattfindet.84
IV. 4) Die Lehrer- und Lernerrollen
Reichs Überlegungen ziehen konsequenterweise eine Veränderung der Lehrer- und
Lernerrollen nach sich. Diese sollen im Sinne einer konstruktivistischen Didaktik
pragmatisch, konstruktiv und systemisch gestaltet sein und können beispielsweise
durch die Unterrichtsform des Kooperativen Lernen und Arbeitens gewährleistet
werden.
Eine pragmatisch didaktische Einstellung ist an der praktischen Umsetzbarkeit und
der realistischen Durchführbarkeit des Gelernten zu erkennen. Diese Pragmatik wird
im Verlauf der Arbeit überprüft werden müssen. In Anlehnung an Dewey geht Reich
davon aus, dass der Mensch in Erfahrungen, d.h. im Handeln, also aktiv lernt. Um
diese Form des Lernens umsetzen zu können, müssen verschiedene pragmatische
Kriterien umgesetzt werden. So ist es zentral, dass der Lehrende es dem Lernenden
ermöglicht, Erfahrungen zu machen, die in weiteren Erfahrungen genutzt, erweitert
81
REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 266.
Ebd., S. 266.
83
Vgl. Ebd., S. 266, 276.
84
Vgl. Ebd., S. 266.
82
28
und verändert werden können. Demnach muss die Lehrkraft sich zurücknehmen und
aufhören, jedes auftauchende Problem in den Kleingruppen besprechen zu wollen. Es
soll vermieden werden, dass sie alles möglichst schnell und umfassend in die eigenen
Hände nimmt und den eigenen Wissens- und Kompetenzvorsprung demonstriert.85 Im
Gegensatz hierzu muss die Lehrkraft lernen zuzuhören, abzuwarten und zu beobachten. Daraus dürfte sich oftmals das Dilemma „eingreifen oder nicht“ ergeben.86
Zudem verweist Reich darauf, dass Lernen immer in einer Lernumgebung stattfindet,
die durch Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden geprägt wird. Da solche
Interaktionen situativ sind, also auf eine bestimmte Situation beruhen, ist es entscheidend, dass die Lernenden zwar ähnliche Lösungen für ähnliche Probleme finden,
doch ist es nicht sinnvoll, „schematische Lösungen für alle Fälle“87 vorzugeben. Der
Anschluss der alltäglichen Lernumgebung an den kulturellen Kontext und die sozialen
Voraussetzungen der Lerner ist ebenfalls maßgebend für erfolgreiches Lehren und
Lernen und stellt die Lehrenden sicherlich vor weitere Herausforderungen im
Schulalltag. Ein viertes Kriterium besteht darin, dass die Interaktion pragmatisch auf
Freiheit und Partizipation beruhen muss, damit die Lerner die Freiheit erhalten, eigene
Interpretationen und Deutungen aufzubauen. Dies gelingt wiederum nur hinreichend
durch eine umfassende Partizipation. Schließlich muss die Lernumgebung konsequent
gestaltet sein, so dass sie es den Lernern ermöglicht, das Lehren und Lernen
intrinsisch, aus dem Inneren, dem Bewusstsein und dem Wollen der Lerner heraus zu
fördern. Ein pragmatisches Vorgehen hierbei ist ein Vorgehen, das partizipativ und
auf eine Freiheit hin ausgelegt ist.88 Erneut stellt sich die Frage, ob die Schüler zur
Partizipation bewegt werden beziehungsweise sie die ihnen zugestandene Freiheit
nutzen können. Wollen alle Schüler immer lernen?
Des Weiteren sollte das didaktische Vorgehen konstruktiv sein, damit die Lerner in
ihrem Lernen die Fortschritte machen können, die von ihnen und von anderen
erwünscht sind. Um diese Konstruktion zu ermöglichen, muss die Lehrkraft ihre
Funktion im Lehr- und Lernprozess verändern. Sie übernimmt nun eine Doppelrolle,
da sie einerseits durch ihr Mehrwissen in bestimmten Fächern Experte ist und eine
Instruktionsrolle innehat. Andererseits muss sie diese Instruktionsrolle durch eine
85
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 128.
Vgl. BAURMANN, Jürgen: Kooperatives Lernen im Unterricht. In: Praxis Deutsch. Zeitschrift für den
Deutschunterricht. Friedrich Verlag. September 2007. 34. Jahrgang, S. 7.
87
REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 24.
88
Vgl. Ebd., S. 23-25.
86
29
Konstruktionsrolle ergänzen, so dass sie zu lernerorientierten Moderatoren der
Wissens- und Handlungskonstruktion werden. Ihre Aufgabe besteht darin, die Schüler
zu beraten, Hilfen zur Selbsthilfe zu formulieren und ihnen Mut zu machen, weiterzuarbeiten. Der Lehrende tritt somit stärker in den Hintergrund, zeichnet sich jedoch
durch seine Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz aus. Zu berücksichtigen ist laut
Reich ebenfalls, dass die Lernenden zu Konstrukteuren ihres Lernens werden. Selbst
wenn dieses Lernen sehr stark auf Reproduktion angelegt ist, müssen die Lernenden
doch aktiv im Lernen sein. In diesem Sinne muss die Lehrkraft lernen und
akzeptieren, dass der Lernprozess mindestens ebenso wichtig ist wie die Lernergebnisse und somit muss sie auch Lernum- und Lernirrwege zulassen. Insofern sind
sowohl Lehrende als auch Lernende (!) für Reich Didaktiker, da „je mehr der
Lernerrolle auf Selbsttätigkeit, Selbstbestimmungsanteile, Steigerung der Selbstverantwortung und des Selbstvertrauens, Zunahme des Selbstwerts hin angelegt ist,
desto mehr didaktisiert der Lerner sein eigenes Lernen“89, wenn es denn gelingt.
Didaktik sollte zudem systemisch sein. Da die menschlichen Beziehungen, also die
Interaktionen in Lehr- und Lernprozessen, wie bereits dargestellt, entscheidend für
den Sinn und den Erfolg des Lernens sind, sollte man möglichst ein Lernklima
schaffen, das auf Anerkennung, wechselseitiger Entwicklung und kommunikativer
Kompetenz beruht. Um ein solches Lernklima zu garantieren, ist es wichtig, bei allen
Beteiligten möglichst einen hohen Selbstwert zu erzeugen und wechselseitige
Wertschätzung zur Basis der Beziehungen zu machen. Gerade in der Herstellung einer
solchen wechselseitigen Wertschätzung wird sicherlich die Herausforderung in
einigen Klassen bestehen! Nicht zu unterschätzen ist, dass jede kommunikative
Situation zirkulär ist, d.h. man kann sich nicht nicht verhalten und alles, was man tut,
hat Rückwirkungen auf die anderen und einen selbst. Aus diesen Überlegungen
resultiert ebenfalls die Notwendigkeit systemische, interaktive Bedingungen zu
reflektieren.90 Es wird deutlich, dass der Lehrer in eine große Abhängigkeit zum
Schüler gerät.
89
90
REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 29.
Vgl. Ebd., S. 31-33.
30
V) Konstruktiver Methodenpool nach Kersten Reich
Nach der Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur zur konstruktivistischen
Didaktik und vor allem zur systemisch-konstruktivistischen Pädagogik von Kersten
Reich, wird im weiteren Verlauf der Arbeit der Fokus auf ausgewählte Methoden
gelegt, wie sie Reich in seinem konstruktivistischen Methodenpool anführt.
Kritisch anzumerken ist, dass Kersten Reich zwar die Notwendigkeit einer
methodischen Offenheit sowie neuer „Methoden der inhaltlichen Vermittlung und der
konstruktiven Bearbeitung der Beziehungen“91 erklärt, doch entwickelt er selbst keine
neuen Methoden oder Methodenarrangements. Vielmehr greift er auf eine an Célestin
Freinet orientierte Aufzählung von Methoden zurück, die er durch Hinweise auf
Methoden aus der systemisch orientierten Therapie ergänzt.
Reich unterscheidet zwischen einem konstruktiven und einem systemischen
Methodenpool. Der konstruktive Methodenpool umfasst sogenannte „klassische
Methoden“ wie den Frontalunterricht, die Einzelarbeit, die Partnerarbeit oder die
Gruppenarbeit. Dies sind die im traditionellen Schulunterricht üblichen und bekannten
Methoden. Eine weitere Untergruppe sind die „großen Methoden“, welche handlungsorientierte Methoden umfassen. Hierzu zählen beispielsweise das Kooperative
Lernen, das Gruppen-Experten-Rallye, die Anchored Instruction oder die Cognitive
Apprenticeship. Den „großen Methoden“ werden die „kleinen Methoden“ wie Brainstorming, Clustering oder Mindmapping zur Seite gestellt. Man kann sie auch eher als
Lehr- und Lerntechniken bezeichnen. Weitere Methodengruppen sind die „Werkstattarbeit“, die „Öffentlichkeitsarbeit“ wie Aufführungen, Ausstellungen, Klassen- oder
Schulzeitungen, und die „Demokratie im Kleinen“ mit Formen wie der „Community
of Practice“ oder dem Klassenrat. Die systemischen Methoden wie Feedback sind
besondere Verfahren der Beziehungsarbeit, welche die eher inhaltsorientierten
Methoden in der konstruktivistischen Didaktik ergänzen, erweitern und bereichern.92
Des Weiteren verlangt Reich nach drei wesentlichen Prinzipien, um die „Viabilität
eines lernerzentrierten Methodeneinsatzes in der Gegenwart“93 zu gewährleisten.
Hierzu zählt das Prinzip der Methodenkompetenz, das eine sowohl bei Inhalten als
auch bei Beziehungen kompetente Auswahl von passenden Lernmethoden fordert.
Das Prinzip der Methodenvielfalt zielt auf das Vermeiden eines Methodenmonismus
91
Vgl. REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 282.
Vgl. Ebd., S. 217-234.
93
REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 269.
92
31
ab, damit die Lernmethoden in ihrer Vielfalt eingesetzt werden können. Das Prinzip
der Methodeninterdependenz verlangt, dass die Methoden in wechselseitiger Bereicherung eingesetzt und nach situativen Erfordernissen kombiniert werden.94
Die im Folgenden theoretisch vorgestellten Methoden sollen im Anschluss in einem
praktischen Unterrichtsmodell umgesetzt werden, so dass ihre Tauglichkeit für den
kompetenzorientierten Deutschunterricht in Luxemburg überprüft werden kann.
V. 1 ) Handlungsorientierte Methoden: Kooperatives Lernen und Arbeiten
Die Arbeit greift in ihrem Herzstück auf eine der in Kersten Reichs Methodenpool
eher als „große“, auch noch handlungsorientierte Methode bezeichnet, zurück, um
ihre Tauglichkeit für die Umsetzung der in der Einleitung genannten Ziele zu überprüfen.
V. 1. 1) Warum kooperatives Lernen und Arbeiten?
Obwohl bereits ausführlich auf die Gründe für eine konstruktivistische Didaktik
eingegangen wurde, soll hier trotzdem noch einmal erläutert werden, warum gerade
große Erwartung bezüglich der Förderung des kompetenzorientierten Unterrichts
speziell in das Modell des Kooperativen Lernens und Arbeitens gesetzt werden.
Gerade das Kooperative Lernen und Arbeiten bietet die Möglichkeit, den Kindern und
Jugendlichen am Beispiel der Kleingruppe, die eine Grundform sozialer Beziehungen
ist, zu zeigen, was kooperieren ist. Die Schüler lernen also in einem sozialhistorisch
definierten Kontext und interagieren. Sie erhalten somit die Möglichkeit, eine sogenannte Community of Practice95 zu bilden. Zudem kommt den Interessen und
Bedürfnissen der Jugendlichen generell das Arbeiten in der Kleingruppe entgegen, da
sie ein Ort von sozialen und geschlechtsspezifischen Identitätsbildungsprozessen ist.
Aufgrund der Notwendigkeit der Selbstregulierung der Interaktionsprozesse innerhalb
der einzelnen Gruppen sollte bestenfalls soziales Lernen stattfinden. Man erreicht laut
Forschungsliteratur nur Demokratisierung, wenn man es den Schülern zutraut und
ihnen auch zumutet, das Lernen als spezifische Tätigkeit der Schüler mehr
mitzubestimmen beziehungsweise selbst zu bestimmen. Des Weiteren sollen die
Selbständigkeit und die Eigenverantwortung der Schüler gefördert und gestärkt
werden, da die Gruppenmitglieder bei Problemlösungen im Sinne einer Community
94
95
Vgl. REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 269-294.
Siehe Kapitel V. 2. 2.
32
of Practice im Prinzip weitestgehend auf sich selbst gestellt sind. Hinzu kommt, dass
das Kooperative Lernen mit seiner Kleingruppenarbeit und einer homogenen
Gruppenzusammensetzung
einerseits
eine
Unterrichtsform
der
inneren
Differenzierung darstellt, mit deren Hilfe unterschiedliche Interessen, Lern- und
Ausgangsvoraussetzungen
oder
Lerntempi
berücksichtigt
werden
können.96
Andererseits kann die Gruppenzusammensetzung aber auch bewusst heterogen
gestaltet werden, während bei der traditionellen Gruppenarbeit die, die sich mögen,
zusammenarbeiten und weniger Beliebte ausgeschlossen bleiben.97 Das Unterrichtsmodell scheint zumindest in der Theorie sinnvoll, um sowohl fachliche als auch
transversale Kompetenzen zu fördern.
V. 1. 2) Begriffsbestimmung
Das Kooperative Lernen oder „cooperative learning“ kommt aus den USA und
Kanada und geht unter anderem auf John Dewey sowie die Lehr-Lernforschung, also
einen Vorläufer der konstruktivistischen Didaktik, zurück.98 Es handelt sich hierbei
um eine Form konstruktivistischen Unterrichts, die in engem Zusammenhang zur
Demokratie im Kleinen, den „Communities of Practice“, und dem situierten Lernen
steht. Letzteres ist ein Ansatz, der bei Reich unter den handlungsorientierten, eher
„großen“ Methoden zu finden ist.
Zunächst sollte kurz der Begriff „Kooperation“ geklärt werden. Laut Duden versteht
man unter „Kooperation“ eine „Zusammenarbeit, besonders auf politischem oder
wirtschaftlichem Gebiet“.99 Im Bereich der Erziehungswissenschaften ist damit
natürlich „der Einsatz von kleinen Gruppen im Unterricht, in denen Schüler
zusammenarbeiten, um ihren eigenen Lernerfolg und auch den der anderen Gruppenmitglieder zu steigern“100 gemeint.
Das Kooperative Lernen ist somit zunächst einmal eine Form von Kleingruppenunterricht, denn die Schüler lernen und arbeiten in kleinen Teams von in der Regel
maximal vier Schülern miteinander. Das Besondere am Kooperativen Lernen ist, dass
96
Vgl. NÜRNBERGER PROJEKTGRUPPE. Erfolgreicher Gruppenunterricht. Praktische Anregungen für
den Schulalltag. Klett. Stuttgart 2001, S. 98.
97
Vgl. BAURMANN, Jürgen: Kooperatives Lernen im Unterricht. In: Praxis Deutsch, S. 7.
98
Vgl. GREEN, Norman / GREEN Kathy: Kooperatives Lernen im Klassenraum und im Kollegium. Das
Trainingsbuch. 7. Auflage. Kallmeyer. Seelze 2005, S. 16.
99
DUDEN - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden. 3. Auflage. Bibliographisches
Institut F. A. Brockhaus AG, Mannheim 1999.
100
NÜRNBERGER PROJEKTGRUPPE. Erfolgreicher Gruppenunterricht, S. 11 u. 12.
33
für jede Unterrichtseinheit sowohl fachliche Ziele als auch Sozialziele verbindlich
festgelegt, systematisch gelehrt, praktiziert und bewusst weiterentwickelt werden.
Später werden sie in Bezug auf ihre erfolgreiche Handhabung reflektiert, überprüft,
evaluiert und bewertet, um die kooperativen Kompetenzen und ihre Arbeitsstrategien
zu verbessern. Beim Kooperativen Lernen werden die sozial-interaktiven Implikationen nicht nur als entscheidende Eingangsbedingung für Gruppenunterricht
reflektiert, sondern insgesamt kommt den sozialen Prozessen auch beim Lernen eine
besondere Rolle zu, da sie besonders thematisiert, akzentuiert und strukturiert werden.
Das soziale Lernen (Beziehungsseite) nimmt demnach, wie es die konstruktivistische
Sicht fordert und von den Reformen im luxemburgischen Schulsystem gewünscht
wird, neben dem fachlichen Lernen (Inhaltsseite) einen gleichwertigen Stellenwert
ein, da es dazu beiträgt, dass die Gruppenprozesse produktiv verlaufen.101 Neben der
Sozialkompetenz fordert das Kooperative Lernen ebenfalls eine gewisse Selbstkompetenz vom Schüler, da er sich, damit die Arbeit erfolgreich ist, als Individuum
im Dienst der Arbeit am gemeinsamen Produkt einbringen muss. Es wird sich zeigen
müssen, ob dies nicht nur ein reines Wunschdenken der Theoretiker ist. Zudem ist es
wesentlich, dass die Schüler über Fachkompetenz verfügen, um inhaltlich weiterzukommen.102 Auch in diesem Punkt wird das Unterrichtsmodell auf einigen Klassen
sicherlich an seine Grenzen stoßen. Neben den sozialen Fertigkeiten basiert das
Kooperative Lernen auf vier weiteren Basiselementen, die im Laufe der Arbeit noch
genauer vorgestellt werden. Hierzu gehören die Face-to-Face Interaktion, die
Übernahme persönlicher Verantwortung, die positive gegenseitige Abhängigkeit und
die Bewertung beziehungsweise Evaluation.103
Es ist wichtig zu wissen, dass das Kooperative Lernen laut Forschung keine
Unterrichtsmethode und auch keine Methodensammlung ist, sondern vielmehr der
Strukturierung von Unterricht dient. Durch diese Form der Strukturierung wird die
Haltung des Unterrichtenden deutlich gemacht, dass Lernen im Unterricht immer
sowohl individuell als auch kooperativ erfolgen muss.104 Das hochgesteckte Ziel des
Kooperativen Lernens ist somit eine aktive, mentale, selbständige und kooperative
101
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 35.
Vgl. NÜRNBERGER PROJEKTGRUPPE. Erfolgreicher Gruppenunterricht, S. 13.
103
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 35.
104
Vgl. BRÜNING Ludger / SAUM, Tobias: Individuelle Förderung durch Kooperatives Lernen. In:
Kunze, Ingrid / Solzbacher, Claudia (Hrsg.): Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II.
Schneider Verlag Hohengehren. Baltmannsweiler 2008, S. 86.
102
34
Auseinandersetzung möglichst aller Schüler mit dem Lerngegenstand.105 Die
theoretischen Ausführungen zeigen, dass das Kooperative Lernen und Arbeiten dem
neuen Anforderungsprofil an die Schüler entgegenkommt und das Lernen im Sinne
einer „Community of Practice“ erfolgt, da in einem sozialen Kontext in Interaktion
mit anderen gelernt wird, ohne jedoch die Identität des Einzelnen zu vernachlässigen.
Es findet ebenfalls wie von Reich gefordert Metakommunikation statt.
Das Kooperative Lernen umfasst zahlreiche mehr oder weniger komplexe Lehr-LernArrangements. Bekannte Formen sind beispielsweise die Gruppenanalyse, das
Gruppenpuzzle (Jigsaw), die Gruppenrallye, das reziproke Lesen, das Lerntempoduett
sowie viele Formen der Partnerarbeit wie das „Erzählen – Ergänzen“, das „Erzählen –
Wiederholen“ oder das „Erzählen – Paraphrasieren“.106
V. 1. 3) Die fünf Basis-Elemente des Kooperativen Lernens
Die sogenannten fünf Basis-Elemente sind zentraler Bestandteil des Kooperativen
Lernen und Arbeitens und machen den größten Unterschied zum traditionellen
Gruppenunterricht aus. Dementsprechend sind es gerade diese Elemente, die einen
größeren Lernerfolg versprechen.
Im Sinne einer konstruktivistischen Didaktik sind zunächst einmal die sozialen
Fertigkeiten für die Zusammenarbeit im Team, also die Interaktion, von großer
Bedeutung für das Gelingen des Kooperativen Lernens. Diese werden demnach,
anders als beim traditionellen Gruppenunterricht, beim sozialen Lernen systematisch
gelehrt, praktiziert sowie bewusst weiterentwickelt und nicht vorausgesetzt. Unter
Sozialkompetenzen werden „solche Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die
Menschen helfen, soziale Interaktionssituationen (alters-)angemessen zu erkennen
und einzuschätzen sowie darauf aufbauend in diesen erfolgreich zu handeln.“107
Interaktionsformen wie in einer angemessenen Lautstärke sprechen, einander zuhören,
sich melden, sich gegenseitig ermutigen, Hilfen anbieten oder sich gegenseitig loben,
um nur einige zu nennen, sollen dazu beitragen, dass die Gruppenprozesse sich positiv
entwickeln, da diese Fähigkeiten die Kommunikation, das Vertrauen, die Verhandlungsfähigkeit und die Entscheidungsfindung innerhalb der Gruppe verbessern sowie
105
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen.
Strategien zur Schüleraktivierung. Band 1. 5. Auflage. Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft.
Essen 2008, S. 16.
106
Vgl. BRÜNING Ludger / SAUM, Tobias: Individuelle Förderung durch Kooperatives Lernen, S. 86.
107
GREEN, Norm / GREEN Kathy: Kooperatives Lernen im Klassenraum und im Kollegium, S. 18.
35
angemessene
Konfliktlösungsstrategien
befördern.
Die
Beziehungsseite
wird
demnach wie von der konstruktivistischen Didaktik gefordert gestärkt.
Im Kontext der Arbeit an den sozialen Fertigkeiten ist es laut Forschungsliteratur
wichtig, dass die Schüler verstehen, warum es bedeutsam ist, die entsprechende
Sozialfertigkeit zu erlernen und zu beherrschen. Dies kann laut Margit Weidner
dadurch erreicht werden, dass man die Schüler ein Rollenspiel zu einer solchen
Situation erarbeiten lässt oder indem man ein Tafelbild beziehungsweise ein Poster
oder eine Wandzeitung herstellt. Außerdem sollte den Schülern vermittelt werden,
wie die entsprechende Sozialfertigkeit konkret aussieht und wie das Sozialziel
eingeübt werden kann. Es bietet sich hier das Erstellen eines T-Diagramms mit den
Kategorien „Ich höre“ und „Ich sehe“ an sowie das Arrangement kooperativer
Gruppenarbeiten, die diese Sozialfertigkeiten erfordern. Die Schüler sollten ebenfalls
regelmäßig in Gruppengesprächen oder beim Ausfüllen von Evaluationsbögen
evaluieren, wie gut sie und / oder ihre Gruppe das jeweilige Sozialziel bereits
handhabt und / oder wie es noch verbessert werden kann.108 Die sozialen Fertigkeiten,
welche die Schüler im Idealfall in die Lage versetzen, in positiver, wertschätzender
und unterstützender Art und Weise miteinander umzugehen, fördert zudem ein
positives Lernklima, das wiederum zum Gelingen des Lernprozesses beiträgt.109
Das zweite Basis-Element, die sogenannte Face-to-Face Interaktion, zielt darauf ab,
einen förderlichen Kommunikationsrahmen herzustellen. Es ist wichtig, dass die
Gruppenmitglieder nahe beieinander sitzen, so dass sie sich mühelos sehen und hören
können, da so die Kommunikations- und Interaktionsprozesse optimiert werden. Des
Weiteren ist eine hinreichende räumliche Distanz zwischen den einzelnen Gruppen
wichtig, so dass sich die einzelnen Teams bei ihrer Arbeit nicht stören. Dieser äußere
Rahmen erleichtert es den Schülern ebenfalls, miteinander zu diskutieren und zu
verhandeln, um einen gemeinsamen Konsens innerhalb der Gruppe zu finden.110
Zentral für das Kooperative Lernen ist ebenfalls, dass die Schüler persönliche
Verantwortung für die Gruppenprozesse übernehmen. Jedes Gruppenmitglied soll
sich sowohl für die eigenen als auch für die Gruppen-Lernprozesse verantwortlich
fühlen und jedes Gruppenmitglied sollte im Idealfall so agieren, dass sowohl der
Lernerfolg der Gruppe als auch der jedes einzelnen Mitglieds maximiert wird. Dieses
108
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 36.
Vgl. Ebd., S. 51.
110
Vgl. Ebd., S. 47.
109
36
Element unterstützt ebenfalls die Identitätsbildung. Beides sind Elemente, die im
traditionellen Gruppenunterricht kaum berücksichtigt werden, und den Erfolg des
Kooperativen Lernens mitbegründen sollen. Im traditionellen Gruppenunterricht
fühlen sich die Einzelnen meist nur sich selbst gegenüber verantwortlich, nicht aber
für die anderen Gruppenmitglieder.
Demnach sollte sich im Kooperativen Lernen jedes Teammitglied verantwortungsvoll
in den gemeinsamen Lernprozess einbringen und dazu beitragen, dass die Gruppenarbeit erfolgreich ausgeführt wird. Jedes Gruppenmitglied sollte individuell erklären
können, welche konkrete Aufgabe die Gruppe hatte, was diskutiert und gelernt wurde,
welche Lernwege beziehungsweise Umwege beschritten und wie die Arbeitsprozesse
gestaltet wurden. Zudem sollte jedes Mitglied im Bedarfsfall anderen Teammitgliedern verlässlich helfen, wenn sie etwas nicht so gut verstehen oder wenn sie
sich bei Desinteresse oder Überforderung aus dem Gruppenprozess „ausklinken“
wollen.111 Die Schüler müssen sich demnach aktiver an ihrem Lernprozess beteiligen.
Sie sind während der gesamten Unterrichtseinheit weitestgehend ständig aktiviert. Es
gibt mehrere Möglichkeiten, um die persönliche Verantwortung zu fördern. Es besteht
einmal die Möglichkeit, dass alle Gruppenmitglieder vor der Klasse stehen und
jeweils einen Teil der Präsentation übernehmen. Die Nähe der Lehrkraft, die während
der Gruppenarbeit umhergeht, beobachtet, Notizen macht und einzelne Schüler
anspricht, wirkt ebenfalls motivierend und steigert die persönliche Verantwortung.
Des Weiteren können schriftlich verfasste Gruppenreflexionen, die an die Lehrkraft
weitergegeben werden, Verantwortung schaffen. Zudem kann jedes Gruppenmitglied
seine Statements mit einer anderen Farbe notieren. Die Tatsache, dass einzelne
Schüler oder Teams per Zufall aufgerufen werden, um über das Gruppenergebnis zu
berichten, erhöht ebenfalls die persönliche Verantwortung der einzelnen Gruppenmitglieder. Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, dass jeder Schüler regelmäßig
seinen Lernerfolg in Form einer schriftlichen Arbeit nachweisen muss. Man kann
sogar die Gruppe durch einen Bonus belohnen, wenn jedes Gruppenmitglied ein
vereinbartes Leistungslevel erreicht oder sogar übertrifft.112 Es wird sich zeigen, ob
die Schüler fähig und willens sind, diese Verantwortung zu übernehmen.
Erfolgreiche Kooperative Gruppenarbeit geht idealerweise davon aus, dass jedes
Teammitglied genau weiß, welches seine persönliche Aufgabe ist und diese dann
111
112
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 47.
Vgl. Ebd., S. 53.
37
zuverlässig und verantwortungsvoll erledigt. Es besteht somit natürlich eine enge
Verbindung zwischen der Übernahme persönlicher Verantwortung und der positiven
gegenseitigen Abhängigkeit. Es ist wichtig, dass alle Gruppenmitglieder in den
Gruppenprozess eingebunden sind, indem sie auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.
Somit muss sich bei den Schülern die Erkenntnis einstellen, dass jedes Gruppenmitglied seinen spezifischen Anteil einbringen muss, um den Erfolg der gesamten
Gruppe zu gewährleisten. Wenn der Erfolg eines Gruppenmitgliedes also eng mit dem
eines anderen oder der ganzen Gruppe verknüpft ist, so sind sie in einer positiven
Weise voneinander abhängig. Es gibt mehrere Möglichkeiten, um eine positive
gegenseitige Abhängigkeit zu erreichen. So kann ein gemeinsames Gruppenziel aufgestellt werden, das nur erreicht ist, wenn alle Gruppenmitglieder ihre Teilaufgaben
erledigt haben. Eine weitere Möglichkeit ist die Belohnung der Gruppe. Entweder
werden alle belohnt, wenn alle Mitglieder erfolgreich waren, oder niemand wird
belohnt. Des Weiteren kann die Lehrkraft das Material so verteilen, dass jede Gruppe
nur ein Set von Materialien bekommt, so dass man die Gruppe durch das unerlässliche
Teilen zu einem gemeinsamen Handeln zwingt. Man kann ebenso positive gegenseitige
Abhängigkeit
erreichen,
wenn
man
jedem
Gruppenmitglied
eine
komplementäre, für die Gruppenarbeit unverzichtbare Arbeitsrolle wie die des
Materialmanagers, des Zeitmanagers, des Lesers, des Schreibers oder des Lautstärkenmanagers zuweist. Man unterscheidet hier zwischen fachlichen Rollen und
sozialen Rollen. Dadurch, dass jedes Gruppenmitglied seine individuelle Aufgabe
innerhalb einer Gruppe kennt, wird erfolgreiches Handeln erleichtert und ein
wesentlicher Vorteil zum traditionellen Gruppenunterricht geschaffen. Eine weitere
Möglichkeit besteht darin, dass die Gesamtaufgabe in sinnvolle Untereinheiten
gegliedert und auf die verschiedenen Gruppenmitglieder aufgeteilt sowie in
festgelegter Reihenfolge durchgeführt werden. Dann ist das jeweilige Team nur
erfolgreich, wenn jedes Gruppenmitglied verantwortlich und zuverlässig seine
Teilaufgabe erfüllt. Die Teammitglieder sind also gezwungen, miteinander zu
arbeiten, um Erfolg zu haben, und können nicht einfach wie häufig im traditionellen
Gruppenunterricht nebeneinander herarbeiten. Es wird eine wirkliche Interaktion im
Kontext der Kleingruppe gefordert. In der sogenannten Simulation, einer nächsten
Möglichkeit zur Förderung der positiven gegenseitigen Abhängigkeit, bearbeiten die
Gruppenmitglieder eine hypothetische Situation wie zum Beispiel das Überleben nach
einem Schiffsbruch unter bestimmten Bedingungen, um in dieser fiktiven Ausnahme38
situation ihren Zusammenhalt zu beweisen. Ferner können die Gruppen in Wettstreit
zu einer Herausforderung von außen treten, indem sie beispielsweise das Ergebnis des
letzten Tests übertreffen sollen. Die Umgebung spielt laut Forschung ebenfalls eine
wichtige Rolle, da die Gruppenmitglieder sich durch die räumliche Nähe miteinander
verbunden fühlen sollen. Schließlich kann auch das Schaffen einer gemeinsamen
Identität durch einen Gruppennamen, ein Gruppenlogo oder ein Gruppenmotto
positive gegenseitige Abhängigkeit erzeugen.113 Bei der traditionellen Gruppenarbeit
ist dies nicht der Fall. Auch dieses Basis-Element stellt hohe Anforderungen an die
Schüler und die Praxis wird zeigen müssen, ob die Schüler diese erfüllen können.
Das fünfte Basis-Element, die Bewertung, ist für das Kooperative Lernen von
allergrößter Bedeutung, da es als Leitfaden und Orientierungshilfe für zukünftige
Handlungen und weiteres Verhalten dient. Zugleich ist es erneut ein Element, das den
jungen Schülern in Gestalt der Reflexivität eine hohe Personalkompetenz abverlangt,
über die oftmals nicht einmal Erwachsene verfügen.
Bewerten oder Evaluieren bedeutet im Kooperativen Lernen, dass man versucht, die
Qualität der kooperativen Interaktionsgeschehen zu verstehen sowie diese in der
Absicht einer positiven Weiterentwicklung oder Verbesserung in möglichst beobachtbare Kriterien zu übertragen. Hierfür ist es erforderlich, sich Klarheit über den
aktuellen Ist-Zustand zu verschaffen, indem man evaluiert, ob und inwiefern das
gesetzte Ziel erreicht wurde oder ob die verwendete Methode zweckmäßig ist. Somit
hat die Evaluation im Kooperativen Prozess eine Entscheidungs- und Optimierungsfunktion. Die Bewertung bezieht sich, typisch für das Kooperative Lernen, ebenfalls
einerseits auf die fachliche (Ergebnisse), also die Inhaltsseite, andererseits aber auch
auf die sozialen Ziele (Prozesse), die Beziehungsseite.
Beim Kooperativen Lernen ist es wichtig, dass die Schüler neben der Lehrkraft eine
aktive Rolle einnehmen. Gerade auch auf die Lehrkraft kommt in diesem Sinne ein
hoher Arbeitsaufwand zu, der in großen Klassen von weit mehr als 20 Schülern, wie
es heutzutage oft der Regelfall ist, sicherlich nur schwer zu bewältigen ist. Die
Lehrkraft erarbeitet und legt gemeinsam mit den Schülern die Evaluationskriterien
und – ziele fest. Zudem muss sie sicherstellen, dass die Schüler die Kriterien
verstehen und erreichen können. Dann beobachtet die Lehrkraft die Gruppenarbeiten
und sammelt Informationen über die Arbeitsprozesse und deren Ergebnisse.
113
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 55 - 66.
39
Zusätzlich ist es die Aufgabe der Lehrkraft, die Schüler durch ein konstruktives
Feedback zu unterstützen und zu motivieren. Sie gibt den Schülern des Weiteren
konkrete Anleitungen zu einer aussagekräftigen und zuverlässigen Selbstevaluation,
wobei die Selbstbeobachtung der Schüler zunächst sicherlich noch durch adäquate
Evaluationsverfahren geschult werden muss. Im traditionellen Gruppenunterricht gibt
die Lehrkraft hingegen weniger systematisch Feedback. Durch die systematische
Selbstbeobachtung und Reflexion über das eigene Verhalten und die eigenen
Handlungen im Unterricht, welches eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung von
positiven Lernprozessen spielt, wird angestrebt, dass zudem die persönliche
Beteiligung an den eigenen schulischen Lernprozessen wächst, was letztendlich
positive Auswirkungen auf die weiteren Leistungen hätte, da es zentrale Ziele des
Kooperativen Lernens erfüllt, indem es die Eigenverantwortlichkeit erhöht sowie zu
mehr Selbstvertrauen in die eigenen Leistungen und Selbstkompetenz führt. Die
positive Bewertung der eigenen Leistung stellt nämlich ein Erfolgserlebnis dar, so
dass die Schüler sich im Idealfall immer höhere Ziele setzen und die Bereitschaft für
eine verstärkte Anstrengung wächst.
Allerdings ist die Evaluation nur dann fruchtbar, wenn ein Abgleich der Selbstevaluation der Schüler mit Lehrerbeobachtungen oder anderen Schülerrückmeldungen
erfolgt, damit das Risiko von Fehlern und Irrtümern in der Selbsteinschätzung eines
Schülers vermindert wird. So soll einer Negativentwicklung vorgebeugt werden. Die
Schüler brauchen zudem gezielte Handreichungen der Lehrkraft, um die eigenen
Stärken und Schwächen erkennen und benennen zu können sowie konkrete
Anleitungen zur Verbesserung der festgestellten Schwächen.
Aus dem großen Stellenwert der Gruppenprozesse im Kooperativen Lernen ergibt
sich neben der bereits besprochenen formativen Bewertung ebenfalls die Notwendigkeit einer summativen Bewertung. Wichtig ist laut Forschungsliteratur bei der
summativen Bewertung, dass Gruppennoten erst dann gegeben werden, wenn die
Gruppenmitglieder ausreichend Zeit hatten, sich kennen zu lernen sowie ihre
gemeinsamen Arbeitsweisen auszutesten, zu reflektieren und zu optimieren.114 Eine
Kombination aus Gruppenbelohnung und Anerkennung des individuellen Lernfortschritts hat sich in der Forschung bisher als sinnvoll erwiesen. Auf jeden Fall, oder
besser im Idealfall, sollten alle Schüler im Anschluss an die kooperative
114
40
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 66 - 99.
Unterrichtseinheit Fragen aus den einzelnen Gruppen in einer Abschlussarbeit
beantworten können. 115
V. 1. 4) Das Grundprinzip des Kooperativen Lernens und seine Vorteile
Wie bereits unter Kapitel III) dargelegt, ist es im Sinne des Konstruktivismus wichtig,
dass der Lerner das präsentierte Wissen nicht nur übernimmt, sondern die angebotenen Informationen individuell verarbeitet und aktiv in seine Wissensstrukturen
integriert. Das Lernen wird somit zu einer individuellen Konstruktionsleistung und
gelingt dann, wenn die Schüler die Unterrichtsthemen und ihr eigenes Tun als
sinnvoll erkennen und das neue Wissen mit ihrem Vorwissen vernetzen. Es ist
ebenfalls wichtig, dass die Schüler ihr Wissen und ihre Erkenntnisse in
Kommunikation mit anderen darstellen und diskutieren. Die Interaktion wird
demnach gefördert. Sie sollen sich in ihrer Lernumgebung ebenfalls sicher und
geborgen fühlen. Des Weiteren müssen die Schüler ihr Lernen bewusst wahrnehmen
und reflektieren.116 All dies ist jedoch nur möglich, wenn sich auch alle Schüler am
Lernprozess beteiligen, was, wie hinlänglich bekannt, im traditionellen Frontal- und
Gruppenunterricht leider oftmals nicht gegeben ist.
In diesem Sinne beruht das Grundprinzip des Kooperativen Lernens in Rückgriff auf
Kersten Reichs neues Muster pädagogischen Denkens auf dem sogenannten
„Dreischritt“, der aus den Elementen „Denken (think)“, „Austauschen (pair)“ und
„Vorstellen (share)“ besteht. Dieses Unterrichtsprinzip ist das Herzstück des
Kooperativen Lernens und soll eine hohe Aktivierung möglichst aller Schüler in den
Arbeitsaufträgen ermöglichen, denn man lernt nachhaltiger, wenn man sich aktiv mit
dem zu Lernenden auseinandersetzt.117 Diese Struktur bestimmt somit sowohl die
einfachsten als auch die komplexesten Formen des Kooperativen Lernens.118
Alle Lernprozesse enthalten grundsätzlich zunächst eine individuelle Denkzeit, denn
Kooperatives Arbeiten braucht unbedingt Einzelarbeit, um wie von Reich verlangt,
den „konstruktiven Anteil“119 zu erhöhen. Es handelt sich hierbei um einen vorgegebenen Zeitraum, der dem individuellen Nachdenken gegeben wird und in dem
sich die Schüler individuell mit einer Aufgabe auseinandersetzen. In dieser Phase
115
Vgl. BAURMANN, Jürgen: Kooperatives Lernen im Deutschunterricht. In: Praxis Deutsch, S. 11.
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 11.
117
Vgl. Ebd., S. 10, 15 u. 16.
118
Vgl. Ebd., S. 83.
119
REICH, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, S. 122.
116
41
konstruiert der Lernende zunächst eigenaktiv eine Bedeutung, einen Sinn, zu dem die
jeweilige Aufgabe in Verbindung mit den Lerngegenständen ihn anregen. Indem die
Lehrkraft die Schüler ihre Gedanken in der Einzelarbeitsphase immer schriftlich
festhalten lässt, kann sie sicher sein, dass sich auch jeder Schüler mit der Sache
auseinandersetzt. Durch Ruhe und Konzentration wird erreicht, dass die Schüler auch
wirklich alleine arbeiten. Konsequente und mit Bedacht gewählte Zeitangaben sorgen
dafür, dass die Schüler sofort mit der Arbeit beginnen und auch zügig arbeiten. Da der
Schüler demnach Vorwissen mit neuem Wissen verbindet, wird diese Denkphase
somit auch noch als Phase der Konstruktion bezeichnet.
Die Phase des Austauschs oder auch noch Phase der Ko-Konstruktion genannt ist von
zentraler Bedeutung und stellt die eigentliche Auseinandersetzung in den Gruppen
dar. Sie ermöglicht es den Schülern, sich auszutauschen, bevor der Einzelne oder die
Gruppe ihre Ergebnisse vor der ganzen Klasse vorstellen muss. Die Ergebnisse der
Einzelarbeit bilden die Grundlage dieses Austausches im Paar oder in der Kleingruppe. Die Partner oder Gruppenmitglieder konfrontieren sich gegenseitig mit ihren
Ergebnissen, so dass jeder Schüler die Aussagen mit seinen Konstruktionen vergleichen muss und mitunter eine Revision seiner ursprünglichen Konstruktion unternimmt. Der Mittelpunkt dieser Phase ist die wechselseitige Korrektur oder Ergänzung
sowie die Vertiefung des eigenen Verständnisses. Diesem Vorgehen liegt Wygotskys
Annahme zugrunde, dass Kinder voneinander lernen und somit nach einem solchen
Austausch ebenfalls fähig sein sollten, die Aufgaben in Zukunft selbständig zu
lösen.120 Es gibt hierbei laut Forschungsliteratur zwei unterschiedliche Möglichkeiten,
diese Austauschphase zu gestalten. Entweder die Schüler tauschen sich über
denselben Inhalt aus oder die Schüler erklären sich gegenseitig unterschiedliche
Inhalte. Diese Austauschsituation ist anspruchsvoller, da die Schüler in Einzelarbeit
unterschiedliche Aufgaben bearbeitet haben.121 Kersten Reich bezeichnet diesen
Vorgang als Rekonstruktion.
Die dritte Phase des „Vorstellens“ oder auch noch „Instruktion“ genannt wird in der
Literatur als die schwierigste Teilphase dargestellt, da am wenigsten für die Lehrkraft
voraussehbar. Dadurch erfordert sie besonders viel pädagogischen Takt und
120
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 15,
16, 21, 23 u. 150.
121
Vgl. BRÜNING Ludger / SAUM, Tobias: Individuelle Förderung durch Kooperatives Lernen, S. 84.
42
didaktisches Fingerspitzengefühl.122 Die Phase besteht darin, dass ein Einzelner oder
die Gruppe insgesamt der Klasse die Ergebnisse der Gruppe präsentiert sowie den
Lernzuwachs demonstriert. Eine erneute Ko-Konstruktion wird durch die Zuhörer
angeregt.123 Bei einer arbeitsgleichen Gruppenarbeit werden die Ergebnisse der
einzelnen Gruppen miteinander verglichen, gegebenenfalls korrigiert und erweitert.
Wenn die einzelnen Gruppen unterschiedliche Teilaufgaben bearbeitet haben, besteht
das Ziel der Präsentation darin, dass die Lernenden über die Ergebnisse der anderen
Gruppen informiert werden, sodass das, was die einzelnen Gruppen erarbeitet haben,
zum Wissen aller wird. Insgesamt ist es beim Präsentieren wichtig, dass der Vortrag
nicht nur rein mündlich ist, da es den Zuhörern selten gelingt, durch einen reinen
Vortrag ihr Wissen nachhaltig zu erweitern. Zudem sind die Darstellungen oftmals zu
lang und zu komplex, so dass die Schüler weder Einzelheiten behalten noch einen
Überblick gewinnen. Demnach ist es unabdingbar, dass das vorgestellte Wissen durch
eine grafische Struktur visualisiert wird, damit alle den Zusammenhang des Vortrags
vor Augen haben und besser folgen können. Damit sich die Schüler das Wissen auch
wirklich aneignen, sollten sie die Endergebnisse unbedingt im Heft festhalten. Es
kann ebenfalls sinnvoll sein, bei der Präsentation von Gruppenergebnissen erneut
kooperative Phase einzubauen, da diese die innere Aktivität der Zuhörer fördern und
somit die Inhalte besser verarbeitet werden.124 Hierbei notiert jeder Schüler das
Wesentliche des Vortrags und gleicht es dann mit den anderen Gruppenmitgliedern
ab, um es dabei zu ergänzen und zu korrigieren.125 Es ist sinnvoll, beim Abrufen der
Einzelergebnisse auf Abwechslung zu achten, um Langeweile zu vermeiden und die
Aufmerksamkeit der gesamten Klasse zu gewährleisten. Unterschiedliche Symbolisierungsformen wie der freie verbal-sprachliche Vortrag, das Referat nach
Notizen, verschiedene Varianten von Spielen wie das Rollenspiel oder das Standspiel,
Grafiken, Tabellen, Diagramme, Bilder, Zeichnungen, Skizzen oder Wandzeitungen
sind vorstellbar. Es ist auch wichtig, möglichst alle Gruppen zu Wort kommen zu
lassen, um ihre Arbeit zu würdigen und die Schüler für weitere Gruppenarbeiten zu
motivieren.126
122
Vgl. NÜRNBERGER PROJEKTGRUPPE. Erfolgreicher Gruppenunterricht, S. 65.
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 15,
16, 21 u. 23.
124
Vgl. Ebd., S. 15, 16, 21 u. 23.
125
Vgl. Ebd., S. 84.
126
Vgl. NÜRNBERGER PROJEKTGRUPPE. Erfolgreicher Gruppenunterricht, S. 66 u. 67.
123
43
Nach der Präsentation muss zudem beachtet werden, dass der Lernprozess häufig
noch nicht abgeschlossen ist, da die Ergebnisse der Gruppen vielleicht unverbunden
nebeneinander stehen und es keinen thematischen Zusammenhang gibt. Entweder gibt
die Lehrkraft den Lernprozess an die Gruppen zurück, indem diese nach den
Präsentationen den Gesamtzusammenhang herausarbeiten, der zwischen den Einzelergebnissen besteht, oder die Lehrkraft bespricht die vorgestellten Ergebnisse im
Plenum und fasst sie zusammen. Die Schüler brauchen die Sicherheit, dass sich keine
Fehler eingeschlichen haben, dennoch sollte die Fehlerkorrektur Margit Weidner
zufolge behutsam durchgeführt werden, um schwächere Schüler nicht zu entmutigen.
Es ist ebenfalls sinnvoll, die Schüler eine Überblicksgrafik anfertigen zu lassen.127
Die Phase sollte ebenfalls zu einer Metakommunikation über die Inhalts- und
Beziehungsaspekte der Kommunikation zwischen den Schülern während der
Gruppenarbeit genutzt werden.128 Reich spricht bei dieser Etappe von Dekonstruktion.
Der sogenannte „Dreischritt“ beeinflusst den Lernprozess und den Unterricht laut
Forschungsliteratur in elementarer Weise und bietet aus Sicht der konstruktivistischen
Didaktik zahlreiche Vorteile.
Zum einen soll jeder einzelne Schüler aktiviert und gefordert werden, da er zunächst
allein mit der Aufgabe ist. Er muss sich der Aufgabe auch stellen, da er nicht weiß,
wer aufgerufen wird, um das Ergebnis zu präsentieren. Dieses Prinzip fördert die
individuelle Verantwortung für das Lernergebnis. Folglich soll die individuelle sowie
die allgemeine Unterrichtsbeteiligung gesteigert werden, denn eine erhöhte
Unterrichtsbeteiligung steigert die Zufriedenheit sowohl der Lehrer als auch der
(meisten) Schüler, so dass die Motivation aller ebenfalls erhöht werden sollte. Dies
dürfte sich positiv auf das weitere Lernen und die Entwicklung der Kompetenzen
auswirken. Zum anderen gewinnen laut Brüning und Saum vor allem die stilleren und
schwächeren Schüler, die sich nur ungern am Unterrichtsgespräch beteiligen, durch
den Austausch in Kleingruppen an Sicherheit und auch an Mut sich zu melden, da sie
zunächst die Gelegenheit haben, in einem definierten, „geschützten“ Rahmen
nachzudenken und in der Austauschphase Unterstützung erhalten, indem sie sich nicht
Verstandenes vom Partner oder anderen Gruppenmitgliedern erklären lassen können.
127
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 53
u. 57.
128
Vgl. NÜRNBERGER PROJEKTGRUPPE. Erfolgreicher Gruppenunterricht, S. 66.
44
Denkblockaden sollen verhindert und auf diese Art und Weise die Aktivität beim
Lernen kontinuierlich hoch gehalten werden.
Ein weiterer Vorteil ist, dass der Austauschprozess die kommunikativen Fertigkeiten
der Schüler sowie die gegenseitige Rücksichtsnahme und die positive Kommunikation fördern könnte, da die Schüler durch Nachfragen und aufmerksames
Zuhören ihr Wissen erweitern, beziehungsweise berichten, erklären und informieren
müssen. Indem die Schüler paarweise oder in Gruppen arbeiten, müssen sie ihre
Antworten und Denkprozesse verbalisieren, während der / die andere(n) Fragen stellt
oder kommentiert, was er / sie gehört hat / haben. Die Erklärung der eigenen Antwort
ist laut Forschung ein sehr wichtiger Teil der Kooperation, da sie eine Denkfähigkeit
auf höherem Niveau repräsentiert und somit auch sehr anspruchsvoll ist. Zudem
erwerben die Schüler im Idealfall Fachsprache. Schüler, die sich gegenseitig
unterrichten, müssen eine klare Vorstellung vom Lerninhalt entwickeln, den sie
darlegen und ihrem Partner mündlich vermitteln.129 Lernen wird somit auch als
sozialer Prozess gesehen, in dem die Schüler durch vielfältige Auseinandersetzung
mit anderen Wissen und Kompetenzen erwerben. Zudem ist die Kommunikation ein
Grundbedürfnis eines jeden Menschen, das im Unterricht oft zu Störungen führt.
Dadurch, dass das Kooperative Lernen die Kommunikation fördert und in der
strukturierten Kleingruppensituation in gelenkte Bahnen bringt, soll das Bedürfnis
nach Interaktion mit Gleichaltrigen positiv und konstruktiv genutzt und die daraus
resultierenden Unterrichtsstörungen gleichzeitig reduziert werden.
Die Qualität der Schülerbeiträge dürfte ebenfalls zunehmen, da sich die Schüler
gegenseitig stützen und verbessern, Zeit zum Überlegen haben und im Austausch
eigene Gedanken weiterentwickeln. Dadurch, dass die Schüler sich immer wieder
austauschen, werden bewusst und geplant Situationen geschaffen, in denen Schüler
sich gegenseitig Lerninhalte beibringen. Sie helfen sich gegenseitig und bilden so eine
unterstützende Gemeinschaft („Community of Practice“), die das Leistungsniveau
jedes Einzelnen heben soll. Lernen durch Lehren wirkt erwiesenermaßen sehr
nachhaltig. Ferner machen die Schüler die wichtige Erfahrung, dass gemeinsam
entwickelte Ideen und Gedanken helfen, eine gestellte Aufgabe oder ein Problem
leichter zu lösen.130 Das Kooperative Lernen mit der Grundlage des sogenannten
129
130
BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 45.
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 33 u. 95.
45
„Dreischritts“ ermöglicht somit im Idealfall anspruchsvollere Lernleistungen.131
Dadurch, dass (beziehungsweise wenn) die Schüler gemeinsam auf ein Ziel
hinarbeiten und sich gegenseitig unterstützen, haben sie mehr Aussicht auf Erfolg,
was zu positiven Unterrichtserfahrungen und Zufriedenheit führt.
Durch das Prinzip des Dreischritts gewinnt die Lehrkraft ebenfalls an Raum für die
Hinwendung zu einzelnen Schülern. In den Phasen der Einzelarbeit und Kooperation
sollte der Lehrkraft nämlich mehr Zeit bleiben, sich einzelnen Schülern und ihren
Fragen und Problemen zuzuwenden. Die Möglichkeit besteht im fragendentwickelnden Unterricht sicherlich kaum.
Insgesamt werden die Schüler zunehmend mit einem wirksamen Ablauf des Lernens
vertraut gemacht, der ihnen selbst und der Gruppe zugute kommt. Die sich aus dem
Dreischritt ergebende Ritualisierung ist ebenfalls positiv, da sie den Schülern häufig
Sicherheit gibt.132 Des Weiteren bietet der sogenannte „Dreischritt“ eine universelle
Struktur für den Unterricht und ist vielseitig einsetzbar, da er einerseits den Ablauf
einer mehrstündigen Sequenz strukturieren, andererseits aber auch als Element zu
Beginn der Stunde genutzt werden kann und die Aufmerksamkeit aller Schüler auf ein
Thema richtet.133
V. 1. 5) Das Placemat-Verfahren
Um dem „Dreischritt“ eine Struktur zu geben und den Schüler die Arbeit zu
erleichtern, indem die kooperativen Arbeitsabläufe strukturiert werden, Ergebnisse
wirksam verglichen und zusammengetragen werden können, bietet sich der
Forschungsliteratur zufolge das sogenannte „Placemat-Verfahren“ an. Kersten Reich
nennt diese in seinem Methodenpool konstruktivistisch und zählt sie zu den „kleinen
Methoden“. Es handelt sich eher um eine Technik.134
Hierbei erhält jede Gruppe einen großen Bogen aus Papier und teilt diesen so auf,
dass jeder Schüler ein eigenes Feld vor sich hat und in der Mitte ein Feld für das
Gruppenergebnis frei bleibt. Die persönlichen Felder geben den Schülern die
Möglichkeit, ihre Gedanken oder Ergebnisse, die sie in der Einzelarbeit entwickelt
131
Vgl. BAURMANN, Jürgen: Kooperatives Lernen im Unterricht. In: Praxis Deutsch, S. 6.
Vgl. Ebd., S. 7.
133
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 15
u. 20.
134
http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/didaktik/frameset_uebersicht.htm (Stand: 28. April 2012).
132
46
haben, zu notieren. Das Mittelfeld dient dazu, das gemeinsame Gruppenergebnis
festzuhalten.
Dieses Verfahren könnte sich als wirksam erweisen, da es einerseits zu intensiven
Austauschphasen führen kann, weil es den Wechsel von Denken und Austauschen für
die Schüler anschaulich werden lässt. Allerdings muss sich der Schüler auch darauf
einlassen. Andererseits betont das persönliche Feld, dass jeder Schüler für sich
arbeiten soll. Das gemeinsame Feld in der Mitte verdeutlicht, dass das Ziel darin
besteht, miteinander zu einem Gruppenergebnis zu kommen, und es bringt die Schüler
dazu sich vorzubeugen, so dass der Austausch auch körperlich sichtbar wird und sie
nur leise miteinander zu sprechen brauchen. Zusätzlich macht der Papierbogen die
Zusammengehörigkeit der Gruppe besonders sichtbar und soll gleichzeitig
motivierend wirken, da er die Aufmerksamkeit zentriert und die Schüler im Idealfall
bei der Sache hält. Generell evoziert das Verfahren ebenfalls ein hohes Maß an
Mitarbeit, da jeder sofort sieht, wer welche Ideen eingebracht hat und wessen Feld
leer ist.135 Die Umsetzbarkeit des Verfahrens wird im praktischen Teil der Arbeit
ebenfalls überprüft werden.
V. 2) Handlungsorientierte Methoden: Situiertes Lernen
Die Theorie des Situierten Lernens, wonach Wissen immer durch einen aktiven
Konstruktionsprozess beim Lernenden in einem situativen Kontext erfolgt, steht in
einem engen Zusammenhang mit dem Kooperativen Lernen und Arbeiten und wird in
der deutschsprachigen Literatur häufig im Kontext der Konstruktivismusdiskussion
gesehen. Dementsprechend verortet Kersten Reich sie in seinem konstruktivistischen
Methodenpool, ebenso wie das Kooperative Lernen, innerhalb der eher „großen“,
handlungsorientierten Methoden.136 Inwiefern beide Modelle in der Praxis tatsächlich
sinnvoll miteinander eingesetzt werden können, wird im praktischen Teil der Arbeit
reflektiert.
V. 2. 1) Begriffserklärung nach Reich
Die Ansätze des situierten Lernens kommen wie der Konstruktivismus ebenfalls
teilweise aus der kognitiven Lernforschung und beschäftigen sich ebenso mit dem
Verhältnis von Wissen und Handeln. Die Grundthese des situierten Lernens ist laut
135
136
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 26.
Vgl. http://methodenpool.uni-koeln.de/uebersicht.html (Stand: 12. April 2012).
47
Kersten Reich „konstruktivistischer und interaktionistischer Art“137 und somit eng mit
dem von ihm vertretenen Ansatz verbunden: „Menschliche Kognitionen entstehen
zwischen intelligenten Individuen in sozialhistorisch definierten Kontexten, in denen
sie miteinander interagieren. Die Situationen, in denen wir als Lehrer stehen, werden
damit sehr wichtig.“138
In dieser Grundthese spiegeln sich die zwei Hauptbestandteile des situierten Lernens
wider: Die sozialhistorisch definierten Kontexte einerseits und andererseits die Interaktion. Reich weist darauf hin, dass es für das Lernen entscheidend ist, dass man
einen angemessenen Handlungsrahmen findet, aus dem heraus Handlungen situativ
entstehen können. Nur dann erhalten sie Sinn und Geltung. Die situierte Kognition
macht zudem darauf aufmerksam, dass das Lernen durch die Einflüsse in einer
sozialen Gruppe bestimmt wird. Insofern ist es didaktisch notwendig, dass Lerner in
einer gemeinsamen Praxis miteinander interagieren. Man muss eine sogenannte
„Community of Practice” (d.h. Gemeinschaft von Praktikern; CoP) schaffen. Des
Weiteren erscheint es als sinnvoll, Lernsituationen herzustellen, die einerseits an die
Lernerfahrungen der Lerner anschließen, andererseits aber auch Herausforderungen
darstellen. Ein weiterer wichtiger Faktor betrifft das Abspeichern von Informationen.
Ereignisse, Informationen und Erinnerungen sind aus der Sicht der situierten
Kognition nur dann erfolgreich abgespeichert, wenn diese stets in Verbindung mit
Aktivitäten, die situativ ablaufen, in Verbindung gebracht worden sind.139
Krapp und Weidenmann fassen das Ziel des situierten Lernens prägnant in wenigen
Worten zusammen: „Ziel situierter Lernumgebungen ist es, dass die Lernenden nicht
nur neue Inhalte verstehen und die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten flexibel
anwenden können, sondern darüber hinaus Problemlösefertigkeiten und andere
kognitive Strategien entwickeln und selbstorganisiert zu lernen vermögen.“140
Bekannte Ansätze zum situierten Lernen sind die Anchored Instruction, die Cognitive
Apprenticeship, das Problem Based Learning, das Cognitive Flexibility-Ansatzes, das
Collaborative Learning und die Metakognition. Insofern gehören die „Comunities of
Practice“ im Sinne einer Interaktion der Lerner in einer gemeinsamen Praxis genauso
137
REICH, Kersten: Konstruktivistische Didaktik, S. 207.
Vgl. Ebd., S. 207.
139
Vgl. Ebd., S. 208-209.
140
REINMANN, Gabi / MANDL, Heinz: Unterrichten und Lernumgebungen schaffen. In: Krapp, Andreas
/ Weidenmann, Bernd (Hrsg.): Pädagogische Psychologie., S. 627.
138
48
zu einer guten Lernumgebung wie ein kooperatives Unterrichtsklima und eine
insgesamt auf Eigenaktivität und Selbstbestimmung ausgelegte Didaktik.141
V. 2. 2) Theorie des Situierten Lernens nach J. Lave und E. Wenger
Jean Lave und Etienne Wenger veröffentlichten 1991 das vielbeachtete und recht
theoretische Werk „Situated Learning. Legitimate peripheral participation“. Der
englischsprachige Raum nimmt in der Forschung zum situierten Lernen
(„Situatedness“) eine Vorrangstellung ein, stellt selbst jedoch kaum einen Bezug zum
Konstruktivismus her.
In ihrem Werk vollziehen Lave und Wenger einen Paradigmenwechsel vom Lernen
als kognitivem Prozess über das Situierte Lernen als Handlung eines Individuums in
einer bestimmten Situation hin zu einer Sichtweise von Lernen als einer Handlung,
die der sozialen Praxis grundsätzlich untergeordnet ist: „The notion of situated
learning now appears to be a transitory concept, a bridge, between a view according to
which cognitive processes (and thus learning) are primary and a view according to
which social practice is the primary, generative phenomenon, and learning is one of
its characteristics.“142
Diesen Prozess bezeichnen sie dann als „legitimate peripheral participation“.143 Des
Weiteren prägen sie den Begriff der „Community of Practice“. Wenger fordert
demnach, das Lernen in den Kontext unser täglichen Lebenserfahrungen zu stellen.144
V. 2. 2. 1) Legitimate peripheral participation – Eine Begriffserklärung
Der von Lave und Wenger gewählte Begriff setzt sich aus drei Bestandteilen
zusammen. Einerseits wird die Legitimität („legitimate“) der Teilhabe an Gemeinschaften („participation“) betont, wobei dies nicht nur eine Bedingung für das
Lernen, sondern ein entscheidendes Element für die Auswahl des Lerninhalts ist:
„The form that the legitimacy of participation takes is a defining characteristic of
ways of belonging, and is therefore not only a crucial condition for learning, but a
141
Vgl. http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/didaktik/situierteslernen/frameset_situiertnetz.html
(Stand: 12. April 2012).
142
LAVE, Jean / WENGER, Etienne: Situated learning. Legitimate peripheral participation. Cambridge
University Press. Cambridge 1991, S. 34.
143
Vgl. Ebd., S. 32-37.
144
Vgl. WENGER, Etienne: Communities of practice. Learning, meaning, and identity. Cambridge
University Press. Cambridge 1998, S. 3.
49
constitutive element of its content.“145 Der Begriff „peripheral“ verdeutlicht, dass es
mehrere unterschiedliche Möglichkeiten gibt, an einer Gemeinschaft teilzuhaben und
mitzuwirken. Der Perspektivwechsel ist ein wichtiger Bestandteil jedes Lernprozesses, jeder Identitätsentwicklung und jeder Form von Mitgliedschaft.146
Wichtig ist, dass Lave und Wenger ihr Konzept der „legitimate peripheral
participation“ nicht als Methode oder pädagogisches Konzept sehen, sondern als
analytische Sichtweise auf das Lernen und als Möglichkeit, das Lernen zu
verstehen.147
V. 2. 2. 2) Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt – zwischen Individuum
und Welt
Die Theorie des Lernens als sozialen Praxis widerspricht bisherigen Erklärungsmodellen zum Lernen, die das Lernen als Prozess beschreiben, bei dem der Lernende
Wissen verinnerlicht, indem er es entdeckt, es ihm von anderen vermittelt wird oder
er es in Interaktionen mit anderen „erfährt“. Diesen bisherigen Erklärungsmodellen
liegen die Prinzipien der Übertragung und Angleichung von Wissen zugrunde.148 Aus
der Sicht des situierten Lernens bedarf das Lernen der Aushandlung von Bedeutung in
der Situation und der Aushandlung in sozialen Bedingungsgefügen. Insofern
konstruieren sich die Menschen ihre Welt in einer in einem sozialen Kontext
befindlichen Praxis: „Learning as internalization is too easily construed as an
unproblematic process of absorbing the given, as a matter of transmission and
assimilation.“149
Bei dieser Form des Lernens findet ein Aufbau, eine Ausweitung und eine Änderung
von Identität statt, denn das Individuum steht bei der Bedeutungsaushandlung in einer
Wechselwirkung mit dem sozialen Kontext, in dem es sich befindet: „The person ist
defined by as well as defines these relations.“150
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Ziel des Lernens für die Lernenden
nicht in der Kenntnis eines bestimmten Fachwissens und im Beherrschen bestimmter
Fertigkeiten besteht, sondern die Teilhabe an der „Community of Practice“ wird zum
145
LAVE, Jean / WENGER, Etienne: Situated learning, S. 35.
Vgl. Ebd., S. 36.
147
Vgl. Ebd., S. 40.
148
Vgl. Ebd., S. 47.
149
Ebd., S. 47.
150
Ebd., S. 53.
146
50
eigentlichen Ziel des Lernens. Der Lerngegenstand und das Fachwissen sind dabei nur
der Weg zum Ziel an der Teilhabe am sozialen Leben. So gesehen stellen
„Communities of Practice“ einen Grund zum Lernen dar und motivieren das
Individuum, sein Wissen und seine Fähigkeiten im Austausch mit anderen zu
erweitern.151
V. 2. 2. 3) Community of Practice
Laut Wenger sind Gemeinschaften von Praktikern „groups of people who share a
concern or a passion for something they do and learn how to do it better as they
interact regularly”152. Grundlegend hält er fest, dass diese Gemeinschaften von
Praktikern überall zu finden sind und jeder Mensch mindestens einer solchen
Gemeinschaft angehört.153
Wenger zufolge definieren sie sich über drei Dimensionen. Die Mitglieder einer
„community of practice“ bilden aufgrund ihres wechselseitigen Engagements und
ihres gemeinsamen Handelns („mutual engagement“) eine soziale Einheit sowie eine
gemeinsame Praxis. Des Weiteren haben sie inhaltlich ein gemeinsames Vorhaben („a
joint enterprise“), das sie weiterentwickeln und immer wieder neu verhandeln.
Schließlich entwickelt sich aus dem gemeinsamen und aufeinander bezogenen
Handeln ein gemeinsames Repertoire aus Werkzeugen, Artefakten und Routinen.154
Außenstehende erkennen eine „community of practice“ daran, dass sowohl
harmonische als auch konfliktreiche Beziehungen zwischen den Mitgliedern aufrecht
erhalten
werden.155
Des
Weiteren
gehören
gemeinsame
und
verbindliche
Vorgehensweisen ebenso zu den Indikatoren156 wie die schnelle Verbreitung von
Informationen und Erneuerungen untereinander157. Die Gespräche der Mitglieder und
die Interaktionen bedürfen zudem keiner einleitenden Worte, sondern sind
Fortsetzungen fortlaufender Prozesse. Die Gemeinschaft bildet sich aus einem Fluss
von Aktivitäten heraus.158 Die Mitglieder einer „community of practice“ finden sich
151
Vgl. LAVE, Jean / WENGER, Etienne: Situated learning, S. 110.
http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/didaktik/communities/frameset_communitiesnetz.html (Stand:
13. April 2012).
153
Vgl. WENGER, Etienne: Communities of practice, S. 6.
154
Vgl. Ebd., S. 73-85.
155
„sustained mutual relationships – harmonious or conflictual“
156
„shared ways of engaging in doing things together“
157
„the rapid flow of information and propagation of innovation“
158
„absence of introductory preambles, as if conversations and interactions were merely the
continuation of an ongoing process“
152
51
ebenfalls sehr schnell zusammen, um ein Problem zu diskutieren.159 Ein weiterer
Indikator ist, dass die einzelnen Mitglieder sich einig sind, wer Teil der Gemeinschaft
ist.160 Die Identitäten wurden gemeinsam definiert.161 Die Mitglieder wissen ebenso,
was andere wissen, was sie tun können, was sie zum gemeinsamen Vorhaben
beitragen können162, und sind fähig, die Angemessenheit der Aktionen und Produkte
zu beurteilen163. Die Mitglieder einer Gemeinschaft besitzen spezifische Werkzeuge,
Repräsentationen und andere Artefakte.164 Sie zeichnen sich durch eine Art
„Insiderwissen“ und eine Art Komplizentum aus, da sie gemeinsame Geschichten und
Insiderwitze entwickeln. Die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft sind ebenso
durch wissendes Lachen165 sowie den Gebrauch von Jargons und Abkürzungen,
welche die Kommunikation beschleunigen, miteinander verbunden. Sie besitzen auch
die Ungezwungenheit, neue zu entwickeln.166 Gewisse Ausdrucksweisen167 ebenso
wie ein gemeinsamer Diskurs, der eine bestimmte Weltsicht widerspiegelt, lassen eine
Mitgliedschaft in einer spezifischen „community of practice“ erkennen168. Die
genannten Indikatoren verdeutlichen, dass die vorher genannten drei Dimensionen
einer „community of practice“ zu einem beträchtlichen Grad vorhanden sind.169 Eine
besondere Form der „Communities of Practice“ ist die sogenannte „Learning
Community“, die gerade für den schulischen Kontext zentral ist.
Wenger zufolge ermöglichen es diese Gemeinschaften den Mitgliedern, sowohl neues
Wissen zu erwerben, als auch erworbene Erkenntnisse in neues Wissen zu
transformieren.170 Diese Formen des Lernens werden durch die enge Interaktion
zwischen Erfahrung und Fähigkeiten ermöglicht: „Mutual engagement in a shared
practice can thus be an intricate process of constant fine tuning between experience
and competence.“171
159
„very quick setup of a problem to be discussed“
„substantial overlap in participants’ descriptions of who belongs“
161
„mutually defining identities“
162
„knowing what others know, what they can do, and how they can contribute to an enterprise“
163
„the ability to assess the appropriateness oft actions and products“
164
„specific tools, representations, and other artifacts“
165
„knowing laughter“
166
„local lore, shared stories, inside jokes, knowing laughter“; jargon and shortcuts to communication
as well as the ease of producing new ones“
167
„certain styles recognized as displaying membership”
168
„a shared discourse reflectiong a certain perspective on the world“
169
Vgl. WENGER, Etienne: Communities of practice, S. 125 u. 126.
170
Vgl. Ebd., S. 214.
171
Ebd., S. 214.
160
52
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das Lernen im Sinn einer „Learning
Community“ nicht als reine Ansammlung von Fähigkeiten und Informationen,
sondern als ein Prozess der Identitätsentwicklung des Individuums gesehen wird. In
diesem Kontext erhält das Lernen Sinnhaftigkeit für den Einzelnen. Es wird deutlich,
dass das Lernen sowohl die Idee der Prozesshaftigkeit, also der Umformung von
Wissen, als auch der Ortsgebundenheit in Form eines Kontextes, in dem die „identity
of participation“ bestimmt wird, in sich birgt. Wenger schlussfolgert aus diesen
Erkenntnissen, dass wenn man das Lernen fördern will, man nicht nur die
Wissensaneignung unterstützen sollte, sondern auch einen Ort zur Verfügung stellen
sollte, in dem neues Wissen in Gestalt einer solchen Identität entstehen kann.
Genauso wichtig für das erfolgreiche Lernen ist, dass solche Gemeinschaften sowohl
an die Vergangenheit und das bestehende Wissen des Individuums anknüpfen, als
auch Perspektiven für die Zukunft ermöglichen.172
Schlussfolgernd hält Wenger fest: „What makes information knowledge – what makes
it empowering – is the way in which it can be integrated within an identity of
participation. When information does not build up to an identity of participation, it
remains alien, literal, fragmented, unnegotiable. It is not just that it is disconnected
from other pieces of relevant information, but that it fails to translate into a way of
being in the world coherent enough to be enacted in practice. Therefore, to know in
practice is to have a certain identity so that information gains the coherence of a form
of participation.”173
172
173
Vgl. WENGER, Etienne: Communities of practice, S. 215.
Ebd., S. 220.
53
54
VI) Kooperatives Lernen im Deutschunterricht einer 5e
VI. 1) Unterrichtsvoraussetzungen
Das Unterrichtsmodell „Kooperatives Lernen“ wurde auf einer 5e Moderne umgesetzt. Die Klasse besteht aus 21 Schülern, 12 Mädchen und 9 Jungen. Zwei Schüler
wiederholen die Klassenstufe. Die Klasse wird wöchentlich in 3,5 Stunden in Deutsch
unterrichtet, wobei es eine Unterrichtseinheit von 75 Minuten gibt, die dem
Kooperativen Lernen und Arbeiten aufgrund ihrer Länge besonders entgegen
kommen sollte. Die übrigen Unterrichtseinheiten bestehen aus 50 Minuten, was
hoffentlich nicht zu allzu großen Schwierigkeiten bei der Planung und Umsetzung des
Unterrichtsprojektes führt.
Da ich die Klasse bisher noch nicht unterrichtet habe, allerdings gleich mit der Umsetzung des Kooperativen Lernens anfangen möchte, habe ich die Schüler in einem zu
Beginn des Schuljahres ausgeteilten Fragebogen nach ihren Erfahrungen mit
Gruppenarbeit befragt.174 Ziel dieses Fragebogens ist es, die Arbeitsvoraussetzungen
zu erkunden, das heißt, herauszufinden, inwiefern sie schon Erfahrungen mit
Gruppenarbeit gemacht haben, ob sie der Arbeit in Gruppen gegenüber generell
aufgeschlossen sind oder eher abgeneigt reagieren. Die Auswertung des Fragebogens
ergab, dass die meisten Schüler schon sehr häufig in Gruppen zusammengearbeitet
haben und den Gruppenunterricht gegenüber lehrerzentriertem Unterricht bevorzugen.175 Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass Gruppenunterricht mehr
Spaß mache und interessanter sei und dass man die Möglichkeit habe, sich
gegenseitig zu helfen und zu motivieren. Außerdem rege Gruppenunterricht dadurch,
dass jeder mitdiskutieren und seine Meinung äußern könne, zu einer aktiveren
Teilnahme am Unterrichtsgeschehen an und ermögliche es vor allem auch
schüchterneren und unsichereren Schülern, ihre Meinung zu äußern. Die Schüler
sahen weitere Vorteile darin, dass man während des Gruppenunterrichts mehr von den
anderen lernt und selbstständiger wird. Andere genannte Vorteile des Gruppenunterrichts sind die Möglichkeit der Zusammenarbeit, also das Aufteilen der Arbeit
sowie der Verantwortung, der Austausch untereinander und der Umgang (also
vermutlich die Kommunikation) miteinander. Andere interessante Aussagen sind,
dass man neue Freundschaften schließt, Teamgeist entwickelt, Respekt lernt und
174
175
Siehe Anhang 3 Frage- und Reflexionsbögen, S. 132-133.
Siehe Anhang 6 Evaluation (tabellarische Übersicht), S. 264.
55
gemeinsam Erfolg hat. Erste theoretische Annahmen der konstruktivistischen
Didaktik scheinen sich in diesen Meinungsäußerungen und Erfahrungen der Schüler
bereits zu bestätigen.
Natürlich äußerten auch einige Schüler Bedenken, da Gruppenarbeit oftmals aufgrund
unterschiedlicher Meinungen in Streit und Chaos ende, einige Schüler nicht mitarbeiten würden und die Gruppen oft desorganisiert seien. Einige haben auch schon
die Erfahrung gemacht, dass man durch die Arbeit in der Gruppe zu sehr von der
Aufgabe abgelenkt wird und somit kaum Erfolg hat. Andere Schüler stört zudem, dass
oftmals ein Gruppenmitglied das Handeln der Gruppe allein bestimme, dass man von
anderen abhängig sei und dass der Respekt der Gruppen untereinander oftmals fehle,
so dass der Lärmpegel zu laut für konzentriertes Arbeiten sei. Eine weitere
Befürchtung besteht darin, dass man in der Gruppe „Wichtiges übersieht“.
Diese Angaben bestätigen die allgemeinen Forschungsergebnisse zu den Vor- und
Nachteilen der Gruppenarbeit, und ich kann voraussetzen, dass alle Schüler schon
regelmäßig in irgendeiner Form mit anderen zusammengearbeitet und dementsprechend vermutlich zumindest auch schon ansatzweise Kompetenzen in diese
Richtung entwickelt haben. Insgesamt scheinen die Schüler der Gruppenarbeit sehr
positiv gegenüber zu stehen, doch wird sich zeigen müssen, wie dies in der Realität
aussehen wird. Zudem dienen mir die Angaben als Gesprächsgrundlage, um das
Kooperative Lernen einzuführen und um die Schüler für die Vorteile des
Kooperativen Lernens gegenüber der traditionellen Gruppenarbeit zu sensibilisieren.
Die Frage, ob die Schüler sich durch die Gruppenarbeit stärker am Unterrichtsgeschehen beteiligt und selbstständiger gearbeitet haben, wurde genauso oft bejaht
wie auch verneint. Allerdings gaben diese jeweils mehrheitlich an, sich für den Erfolg
der Gruppe verantwortlich gefühlt (18) und etwas durch die Gruppenarbeit
hinzugelernt zu haben (17). Es wird interessant sein, die gleichen Fragen noch einmal
nach der Phase des Kooperativen Lernen und Arbeitens zu stellen, um eine mögliche
Entwicklung und / oder Veränderung in der Haltung der Schüler aufzuzeigen.
In einem Gespräch mit dem Deutschlehrer des letzten Schuljahres habe ich des
Weiteren erfahren, dass die Klasse größtenteils im Unterricht zwar gut mitarbeitet und
auch aufgeschlossen, mehrheitlich allerdings recht lernfaul ist, so dass oftmals nur
mittelmäßige Resultate erzielt werden. Gerade diese Tatsache sehe ich als große
Herausforderung, da die theoretischen Betrachtungen zeigen, dass das Gelingen des
56
Kooperativen Lernen und Arbeitens sehr stark von einer positiven Haltung sowie der
Mitarbeit der Schüler abhängig ist.
VI. 2) Methodische und didaktische Vorüberlegungen176
Das Ziel des praktischen Teils der vorliegenden Arbeit besteht nun darin, im Vorfeld
theoretisch betrachtete konstruktivistische Unterrichtsformen und damit verbundene
Methoden zu erproben und zu evaluieren, inwiefern diese die Kompetenzen der
Schüler im Fach Deutsch fördern und festigen können. Während die ersten beiden
Jahre an einem „Lycée“ (7e / 6e – 7e / 8e) sicherlich der Eingewöhnung an das neue
Schulumfeld, dem gegenseitigen Kennenlernen der Schüler einer Klasse und Jahrgangsstufe sowie dem Erwerb der notwendigen sozialen Kompetenzen und fachlicher
Grundkenntnisse und -kompetenzen gewidmet werden müssen, bietet die Klassenstufe der 5e / 9e erstmals die Möglichkeit, sowohl das in den vorherigen Jahren
erworbene Wissen sowie die angeeigneten Kompetenzen, Lern- und Arbeitsmethoden in einer größeren Arbeit zu erproben und umzusetzen, um somit den Zyklus
dieser drei ersten Jahre abzuschließen, bevor die Schüler weiterorientiert werden.
Gerade in Hinblick auf die derzeit diskutierte „travail d’envergure“ auf 2e erscheint
solch ein vorbereitendes Projekt sinnvoll, da die Schüler schrittweise an eine solche
Arbeit und die damit verbundenen Anforderungen herangeführt werden müssen. Das
Projekt erstreckt sich über die ersten beiden Trimester des Schuljahres 2011 / 2012
und wird am Lycée du Nord in Wiltz durchgeführt.
Da die Schüler noch nicht mit dem Kooperativen Lernen und Arbeiten vertraut sind,
müssen sie erst langsam auf das effektive Lernen in Kleingruppen vorbereitet werden.
Insofern gliedert sich die praktische Umsetzung des Unterrichtsmodells in eine
Einführung und vier nachfolgende Phasen, die in ihrem Anspruch an die Schüler
steigernd angelegt sind. Es wird nach jeder Phase eine Evaluationsrunde durchgeführt,
um die Metakognition und die Reflexivität der Schüler anzuregen sowie die
erworbenen Erkenntnisse gleich in die Planung der nachfolgenden Phasen einfließen
lassen zu können.
Die ersten zwei Phasen dienen der Einführung und Festigung der fünf Basis-Elemente
des Kooperativen Lernens und Arbeitens177 sowie des Dreischritts, der allen Partner-
176
Ein tabellarischer Überblick über das Projekt sowie die angestrebten Ziele findet sich in Anhang 1,
S. 116-129.
57
und Gruppenarbeiten zugrunde liegt. Beim Dreischritt wird darauf geachtet, dass die
Stillarbeiten möglichst als Hausaufgabe erfolgen. Die Austauschphasen sind zudem
zeitlich recht knapp bemessen, damit die Schüler konzentriert bei der Arbeit bleiben.
Im Anschluss wird jeweils eine gemeinsame Lösung im Heft festgehalten. Ergänzend
zum Dreischritt
wird punktuell das Placemat-Verfahren eingesetzt. Es werden
zunächst klassische Methoden und den Schülern bereits bekannte Methoden aus
Reichs konstruktivem Methodenpool wie Einzelarbeit, Partnerarbeit und Gruppenarbeit eingesetzt, da meiner Auffassung nach erst einmal die „Rahmenbedingungen“
stimmen müssen, bevor Inhalt transportiert und angewandt werden kann. Neu hinzu
kommt in der zweiten Phase die „Gruppenanalyse“, die in angepasster Form in der
ersten Partnerarbeit dieser Phase übernommen wird. Bei dieser Methode setzen sich
die Schüler schreibend mit einer Frage auseinander und können schreibend
aufeinander reagieren und Bezug nehmen, so dass alle Gruppenmitglieder die
Möglichkeit haben, eine Stellungnahme zu der Fragestellung abzugeben.178 In der
dritten Phase kommt die Methode „Gruppen-Experten-Rallye“, die ebenfalls
Grundlage der vierten Phase sein wird, neu hinzu. Es handelt sich hierbei laut Kersten
Reich
um
eine
der
„großen“,
handlungsorientierten
Methoden
des
kon-
struktivistischen Methodenpools:
„Die Gruppen-Experten-Rallye ist eine Methode, bei der Lernende gleichzeitig auch
als Lehrende agieren. Es werden Stamm- und Expertengruppen gebildet, wobei die
Lerner sich erst eigenverantwortlich und selbstständig in Gruppenarbeit exemplarisch
Wissen über einen Teil des zu bearbeitenden Themas erarbeiten, welches sie dann in
einer nächsten Phase ihren Mitlernern in den Stammgruppen vermitteln. Alle
erarbeiten sich so ein gemeinsames Wissen, zu dem jeder einen Beitrag leistet, so dass
eine positive gegenseitige Abhängigkeit (Interdependenz) entsteht, wobei alle
Beiträge wichtig sind. Wesentlich an der Methode ist es, dass jeder Lerner aktiv (d.h.
in einer Phase auch zum Lehrer) wird. [...]“179
Auch im Bereich des Lernstoffes findet eine Steigerung statt, da in der ersten Phase
zunächst eine kleine Wiederholung des Stoffes der 6. Klasse erfolgt, damit die
Schüler sich zunächst stärker auf die Sozialziele und die neue Arbeitsweise
konzentrieren können, ohne gleichzeitig einen völlig neuen Unterrichtsstoff erarbeiten
177
Zu den fünf Basis-Elementen gehören die Sozialkompetenzen, die Face-to-Face-Interaktion, die
persönliche Verantwortung, die positive gegenseitige Abhängigkeit und die Evaluation / Reflektion.
178
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 95.
179
http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/didaktik/rallye/frameset_rallye.html (Stand : 12. Mai 2012).
58
zu müssen. In der zweiten Phase arbeiten die Schüler mit den Kurzgeschichten
erstmals an einem völlig neuen Thema. Der Anspruch an die Schüler wird somit
gesteigert, da sie sich in der ersten Phase mit grammatischen Phänomenen beschäftigt
haben, während sie nun ganze Texte untersuchen müssen. Da es sich um
Kurzgeschichten handelt, ist die Länge jedoch überschaubar. In der dritten Phase
erfolgen die Gruppenarbeiten zu einem Werk der Gegenwartsliteratur180, dem Roman
„Der Richter und sein Henker“, so dass durch den Umfang des Werkes eine weitere
Steigerung der Schwierigkeit vorliegt
In den ersten zwei Phasen bearbeiten alle Schüler in Partnerarbeit zudem die gleiche
Aufgabenstellung, da dies weniger komplex ist. Sie müssen sich somit auf ein
gemeinsames Ergebnis einigen, indem sie ihre Lösungen vergleichen und diskutieren.
Die Ergebnisse der Teams können so leichter miteinander verglichen und gegebenenfalls korrigiert und erweitert werden. Des Weiteren erleichtert die Arbeit in
Zweierteams den Schülern den Einstieg in das Kooperative Lernen, da sie sich dann
nur auf eine(n) Schüler(in) konzentrieren müssen und die Redebeiträge sowie die
Informationsfülle reduziert werden.181 Zudem kann zwischen zwei Schülern schneller
Nähe und Vertrautheit aufgebaut werden als in der Kleingruppe und die Partnerarbeit
bietet die Möglichkeit zu einem intensiveren Austausch.182 Diese Gruppierung ist
insbesondere auch in der Phase der Implementierung des Kooperativen Lernens und
Arbeitens, wenn Zusammenarbeit und soziale Interaktionsfertigkeiten gelernt und
eingeübt werden sollen, günstig.183 Über die Partnerarbeit soll die Gruppenarbeit der
Phasen 3 und 4 in Gang gesetzt werden. Durch die Arbeit in Gruppen wird der für
konstruktivistische Lernumgebungen wesentliche Faktor der multiplen Perspektiven
noch besser gewährleistet als bei der Partnerarbeit. Ich verzichte aufgrund der
geringen zur Verfügung stehenden Zeit und der Tatsache, dass die Schüler sich schon
seit drei Jahren kennen, auf weitere teambildende Maßnahmen. Die Tatsache, dass die
Schüler sich zunächst einen Arbeitspartner auswählen dürfen, mit dem sie
zusammenarbeiten, dem sie vertrauen und den sie mögen, soll ihnen den Einstieg
180
Vgl. www.men.lu: horaires et programmes : enseignement secondaire : division inférieure : 5e
moderne, S. 2 (Stand : 12. Mai 2012).
181
Zur Zusammensetzung der Gruppen und zur Namensgebung, siehe Anhang 2, S. 130-131.
182
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 60.
183
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 137.
59
ebenfalls erleichtern und sie zusätzlich motivieren. In der zweiten Phase wird den
Schülern dann durch ein Losverfahren ein Partner zugeteilt.184
Die vierte Phase unter dem Titel „Rund um Zeitungen“ beginnt mit dem zweiten
Trimester und stellt den Höhepunkt des Projektes dar, da mit dem „GruppenExperten-Rallye“ die „Königsmethode“185 des Kooperativen Arbeitens ausführlich
angewandt und erprobt wird. Es wird erstmals eine komplette Unterrichtseinheit
erarbeitet, in der die Probleme und das zu erwerbende Wissen wie von den konstruktivistischen Lernumgebungen verlangt in einen größeren Kontext eingebettet
wird. Es werden multiple Anwendungskontexte geschaffen, um den flexiblen Umgang mit dem erworbenen Wissen zu fördern.
In dieser Phase des Kooperativen Lernens werden leistungsheterogene Gruppen durch
die Lehrkraft zusammengestellt, da sich erhofft wird, dass sich Schüler mit
unterschiedlicher Leistungsstärke besonders anregen.186 Indem leistungsstärkere
Schüler leistungsschwächeren Schülern Dinge erklären, verstehen sie das, was sie
erklären, oft besser oder erkennen, dass sie doch nicht alles verstanden haben.
Leistungsstärkere Schüler haben zudem die Möglichkeit, ihre soziale Kompetenz zu
stärken. Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass Schüler manchmal
etwas besser verstehen, wenn Mitschüler ihnen etwas erklären, weil diese noch näher
an den Verstehensproblemen als die Lehrer sind und eher ihre Sprache sprechen.187
Da die vorliegende Arbeit großen Wert auf eine praxisorientierte Position des Lehrens
und Lernens legt, beruhen alle Unterrichtsreihen auf einer Kombination von Phasen
der Instruktion durch die Lehrkraft sowie Phasen der Konstruktion, da ein guter
Unterricht auf dem Wechsel von verschiedenen Unterrichtsmethoden, vor allem von
unterschiedlichen sowohl lehrer- als auch schülerdominierten Unterrichtsformen,
beruht. Beide Vorgehensweisen sollen in Kombination miteinander ergänzend wirken.
Da die Schüler beim Lehrervortrag die vorgestellten Informationen nicht aktiv
verarbeiten und mit ihren eigenen Wissensstrukturen verbinden können, erinnern sie
sich oftmals nur an bestimmte Einzelheiten und erkennen die dargestellten
Zusammenhänge nicht ausreichend. Der Frontalunterricht in Form des Lehrervortrags
ist jedoch wesentlich, um den Schülern zunächst einmal grundlegende Informationen
zu einem Thema oder Phänomen vermitteln zu können, Aufmerksamkeit herzustellen
184
Zur Zusammensetzung der Gruppen und zur Namensgebung, siehe Anhang 2, S. 130-131.
BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 118.
186
Zur Zusammensetzung der Gruppen und zur Namensgebung, siehe Anhang 2, S. 130-131.
187
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 124.
185
60
und Wissensvoraussetzungen zu aktivieren. In der darauffolgenden kooperativen
Phase können dann Verbindungen hergestellt werden. Vorträge gelten somit als
Ausgangspunkt intensiver Lernprozesse.188 Wird der Frontalunterricht in Form des
Lehrervortrags jedoch zu lange und zu einseitig praktiziert, nimmt die Lernfreude bei
den Schülern ab. Außerdem ist der Lehrervortrag wenig geeignet für die Förderung
des selbständigen Arbeitens, kooperativen Problemlösens sowie kreativen Denkens.189
Wenn man den Frontalunterricht nun durch kooperative Arbeitsformen ergänzt, soll
erreicht werden, dass die Schüler zur Verarbeitung der neuen Informationen angeregt
werden. Demnach bietet sich ein Wechsel von Instruktion und Kooperation an.190
VI. 3) Angestrebte Ziele
Im Verlauf des Unterrichtsprojektes werden, wie beim Kooperativen Lernen und
Arbeiten vorgesehen, sowohl soziale als auch fachliche Ziele verfolgt. Während die
fachlichen Ziele und Kompetenzen je nach Unterrichtsthema variieren, bleiben die
angestrebten Sozialziele die gleichen. Gemäß dem Kooperativen Lernen und Arbeiten
werden die Sozialziele und die Fachziele durchweg gleichwertig gefördert.
VI. 3. 1) Sozialziele
Die sozialen Ziele setzen sich aus den fünf Basis-Elementen des Kooperativen
Lernens und Arbeitens zusammen.
Die Schüler festigen ihre sozialen Kompetenzen, indem sie ...
-
den höflichen Umgang miteinander üben.
-
das Einhalten einer angemessenen Lautstärke einüben.
-
lernen, dem Gesprächspartner aktiv zuzuhören.
-
üben, den Gesprächpartner aussprechen zu lassen.
-
sich das Geben von positivem Feedback aneignen.
Da sich im Verlauf der ersten Phase zeigte, dass die Kompetenzen „aktiv zuhören“,
„positives Feedback geben“ und „bei der Aufgabe bleiben“ den Schülen die meisten
Schwierigkeiten bereiteten, wurden diese in den folgenden drei Phasen des
Unterrichtsprojektes intensiver eingeübt. Die drei genannten Sozialkompetenzen sind
zentral, da sie einen wesentlichen Unterschied zur traditionellen Gruppenarbeit
188
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 84.
Vgl. NÜRNBERGER PROJEKTGRUPPE. Erfolgreicher Gruppenunterricht, S. 14.
190
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 84.
189
61
darstellen. Phasen der Instruktion und des fragend-entwickelnden Unterrichts eignen
sich besonders zur Einübung und Festigung dieser Kompetenzen, da die Schüler die
Kompetenzen beim Vorlesen und Besprechen der Hausaufgaben einüben können.
Hierbei werden die Kompetenzen unter meiner Anleitung geübt, indem ein Schüler
jeweils die wesentlichen Ideen der vorgetragenen Hausaufgabe kurz wiedergeben
muss. Danach benennt ein weiterer Schüler zunächst einmal die positiven Aspekte der
Hausaufgabe, bevor Kritik geübt wird und Verbesserungsvorschläge gemacht werden.
Ich lasse ebenfalls das Gesagte nach Lehrervorträgen regelmäßig zusammenfassen. In
den späteren Phasen wählen die Schüler jeweils eine Sozialkompetenz aus, an der sie
mit ihrem Team gezielt arbeiten.
Die Schüler ...
-
üben das Einnehmen einer Sitzordnung, welche die Face-to-Face-Interaktion
begünstigt.
-
erfahren ihre persönliche Verantwortung, indem der persönliche Beitrag eines
jeden Schülers für den Lehrer und alle anderen sichtbar auf dem Placemat
festgehalten wird, so dass für alle erkennbar wird, ob und wie sich die einzelnen
Schüler aktiv beteiligt haben. Wichtig ist, dass kein Schüler sich hinter der Arbeit
des Teampartners verstecken kann und dass deutlich wird, wie gründlich die
einzelnen Schüler in der Einzelarbeit gearbeitet haben. Des Weiteren wird jeweils
per Zufall ein Mitglied des Teams aufgerufen, um die Ergebnisse zu
präsentieren191, ich sammele die schriftlichen Arbeiten ein192 und die Fachkompetenz wird in einer abschließenden Klassenarbeit abgeprüft193. Alle Schüler
sind demnach angehalten aktiv mitzuarbeiten.
-
erleben positive gegenseitige Abhängigkeit, indem sich die Teammitglieder eine
gemeinsame Identität durch einen Gruppennamen schaffen. Hierbei wird wert
darauf gelegt, dass der Anfangsbuchstabe des Vornamens eines jeden Teammitglieds enthalten ist. Dadurch soll im Sinne einer „Community of Practice“ der
Aufbau einer Teamidentität gefördert und das Zusammengehörigkeitsgefühl
gesteigert werden.194 Des Weiteren arbeiten die Mitglieder eines Teams mit jeder
Partner- oder Gruppenarbeit auf ein gemeinsames inhaltliches Ziel hin, wobei die
191
Siehe Partnerarbeiten 1 a) und c).
Siehe Partnerarbeit 1 a), b) und c).
193
Siehe Partnerarbeit 1 b) und c).
194
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 124.
192
62
vierte Phase das übergeordnete Ziel ist. Zudem erhält jedes Team nur ein Set für
das Placement-Verfahren, das es sich teilen muss. Eine weitere Fördermaßnahme
besteht darin, dass die Mitglieder erfolgreicher Teams am Ende des Trimesters bis
zu 4 Zusatzpunkte auf dem Trimesterdurchschnitt erhalten können. Schließlich
bereiten sich die Schüler ebenfalls gegenseitig auf eine abschließende
Klassenarbeit zum Konjunktiv und zu indirekten Rede vor, so dass sie nicht nur
Verantwortung für den eigenen Lernprozess, sondern auch für den des
Teampartners tragen. In der dritten Phase kommt die Übernahme bestimmter
komplementärer Rollen neu hinzu. Die Gruppenmitglieder verteilen unter sich die
Rollen des Schreibers, des Zeitwächters, des Lesers und des Wächters über die
Einhaltung der sozialen Kompetenzen. Die Rollen wechseln mit jeder
Gruppenarbeit, damit jeder Schüler möglichst eine große Anzahl verschiedener
Rollen erproben kann.195 Erschwerend wirkt, dass sich die Schüler das zur
Verfügung gestellte Material nun in einer Vierer-Gruppe teilen müssen. In der
vierten Phase wird das Element gegenseitige positive Abhängigkeit und damit
auch die persönliche Verantwortung zusätzlich gewährleistet, indem die Experten
jeweils komplementäre Unterthemen aufarbeiten und präsentieren. Die gesamte
Gruppe kann nur erfolgreich sein, wenn jedes Gruppenmitglied verantwortlich
und zuverlässig seine Teilaufgabe erfüllt.
-
üben eine Selbstevaluation und geben anderen Feedback. Die einzelnen Phasen
enden mit einer formativen Evaluationsphase, in der die Schüler ihre eigenen
sozialen Kompetenzen in der Partnerarbeit reflektieren und eine Fremdeinschätzung durch ihren Arbeitspartner erhalten.196 Die Evaluation dient der
Lehrkraft ebenfalls als Feedback für den Unterricht, damit sie möglichst schnell
auf auftauchende Probleme reagieren und die nachfolgenden Arbeitsphasen
gegebenenfalls umändern oder anpassen kann. In dieser ersten Evaluationsrunde
reflektieren die Schüler zunächst die Sozialkompetenzen, indem sie eine
Einschätzung der eigenen Sozialkompetenzen sowie der Sozialkompetenzen der
Partnerin / des Partners vornehmen. Zudem sollen sie darüber nachdenken, welche
Sozialkompetenz sie an sich verbessern können, um den eigenen Lernzuwachs
und den des Partners noch positiver zu beeinflussen, und halten diese fest. Die
Schüler haben ebenfalls die Möglichkeit, einen Wunsch an den Partner zu äußern.
195
196
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 59.
Siehe Anhang 3 Frage- und Reflexionsbögen, S. 135-144.
63
Der zweite Teil des Evaluationsbogens reflektiert die gewählten Arbeitsmethoden.
Die Schüler denken darüber nach, inwieweit die Zusammenarbeit mit einem
Mitschüler die eigene Einstellung zum Unterricht, das eigene Lernen und das
Arbeiten sowie die Mitarbeit beeinflusst hat. Es ist ebenfalls zentral, dass die
Schüler die Bedeutung des Dreischritts für das eigene Lernen evaluieren. Der
dritte und letzte Teil des Evaluationsbogens betrifft das Team. Die Schüler
bewerten die Zusammenarbeit im Team und ob sie sich zusammengehörig, also
auch für einander verantwortlich gefühlt haben. Hier wird deutlich, ob sich aus
Sicht der Schüler eine „Community of Practice“ angebahnt hat. Der Evaluationsbogen sieht ebenfalls einen Platz für abschließende Bemerkungen, Kritiken und
Verbesserungsvorschläge der Schüler vor. Die für konstruktivistische Lernumgebungen wichtigen Faktoren Artikulation und Reflexion werden gewährleistet. Abgeschlossen wird die Evaluation durch eine schriftliche Lehrerrückmeldung, die auf Basis der Beobachtungen im Unterricht, der Qualität der
Teamarbeiten und der Evaluationsbogen der jeweiligen Teammitglieder erfolgt.
Die Schüler sammeln ihre Evaluationsbögen in einem Schnellhefter, um so wie in
einem Portfolio ihre eigene Entwicklung aufzuzeichnen und nachvollziehen zu
können. Durch die Reflexion sollen die kommunikativen Prozesse innerhalb des
Teams weiter vertieft und ein Gespräch über die Arbeit in der Gruppe angeleitet
werden. Des Weiteren soll nach jeder Teamarbeit ebenfalls auch auf eine kurze
mündliche Evaluationsrunde zurückgegriffen werden. Die Beziehungsseite, also
der soziale Kontext mit seinen Beziehungen der Lehrenden untereinander und zu
der Lehrkraft, wird demnach gestärkt.
VI. 3. 2) Fachliche Ziele
Der Deutschunterricht bietet sich zumindest in einer theoretischen Betrachtung
aufgrund seiner vielen komplexen Anforderungen und seinem Angebot an vielschichtigen Aufgaben besonders für das Kooperative Lernen an. Die Bildungsstandards zum Fach Deutsch auf einer 5e nennen zahlreiche Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich auf den ersten Blick hervorragend mit dem Kooperativen Lernen
verbinden beziehungsweise üben lassen.
64
Im Fokus nahezu aller Phasen des Projektes197 steht die Kompetenz „Leseverstehen“.
Der Kompetenzbereich „Lesefertigkeiten beherrschen“ wird in den Phasen 2 und 3
immer wieder gefördert, indem die Schüler üben ...
-
ausgewählte, dem Alter und der Jahrgangsstufe angepasste Texte198 in angemessener Zeit still zu lesen und sowohl global als auch in vielen Einzelheiten zu verstehen (PA 2 a, b, c / GA 3 a, b, c / GA 4 b, c)
Die Lesetechniken und Lesestrategien werden ebenso in allen Phasen gefestigt, indem
die Schüler ihre Strategien und Techniken des Textverstehens erweitern. Sie üben ...
-
das suchende (PA 1 a / GA 3 b, c) das überfliegende (PA 2 a / GA 3 a / GA 4
b) das genaue (PA 2 b ) und das erschließende (PA 2 c / GA 4 a, c) Lesen von
Texten.
-
Vorwissen zu aktivieren und inhaltsbezogene Hypothesen anzustellen (PA 2 a
/ GA 4 a).
-
den Aufbau eines fiktionalen Textes zu erkennen und jeden Gliederungspunkt
in einem Satz zusammenzufassen (PA 2 b / GA 3 a).
Die Förderung des Leseverstehens erfolgt über den Kompetenzbereich „Literarische
Texte verstehen und weiterverarbeiten“. Hierzu werden aufgabenspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten angewandt, die darin bestehen, dass die Schüler lernen,
literarische Texte mit einfachen Verfahren der Textanalyse und Textinterpretation zu
erschließen sowie epische Texte199 zu untersuchen und zu interpretieren, indem sie
deren Inhalt, Struktur und Figurenkonstellation erfassen. In diesem Sinne lernen und
üben die Schüler ...
-
Merkmale der Textsorte Kurzgeschichte am Text herausarbeiten (PA 2 c).
-
sprachliche und inhaltliche Einzelbeobachtungen an einem literarischen Text
zu einer Gesamtdeutung des Textes zusammenführen (PA 2 c / GA 3 b, c).
-
handelnde Figuren charakterisieren, ihre Entwicklung aufzeigen (GA 3 b, c).
Ein weiterer Bereich der Kompetenz „Leseverstehen“, der gefördert werden soll, ist
das Verstehen, das Reflektieren und das kritische Einschätzen von Sachtexten. Dieser
Kompetenzbereich wird in der vierten Phase durch Fähigkeiten und Fertigkeiten wie
das Verstehen und die Einschätzung der Wirkungsweise altersstufengemäßer, kurzer
197
Lediglich die erste Phase fokussiert schwerpunktmäßig die Kompetenz Sprache untersuchen und
Sprache gebrauchen.
198
Hierzu zählen Kurzgeschichten und ein Roman der Gegenwartsliteratur, aber auch Sachtexte in
Form von journalistischen Textsorten.
199
Hierzu zählen Kurzgeschichten und ein Roman der Gegenwartsliteratur.
65
oder längerer Sachtexte, der Erschließung von Sachtexten mit den erprobten
Verfahren der Textanalyse sowie der Untersuchung kontinuierlicher Sachtexte
vorgenommen. Die Schüler lernen und üben ...
-
zu unterscheiden, ob ein Text sachlich berichtet oder ob der Leser zu etwas
überredet oder von etwas überzeugt werden soll (GA 4 c).
-
journalistische Darstellungsformen (Bericht, Reportage, Interview, Kommentar, Glosse, Rezension) zu unterscheiden und zu bewerten, indem sie die
Merkmale der Textart am Text herausarbeiten (GA 4 c).
-
Informationen zu verknüpfen und somit Zusammenhänge zwischen Texten
herzustellen, indem sie die Informationen aus verschiedenen Texten oder
Textteilen zusammentragen, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen (GA 4 b).
-
die wesentlichen Gestaltungsmittel alternativer Sachtexte erkennen und
benennen sowie den Zusammenhang zwischen Inhalt und Form deutlich
machen (GA 4 b).
-
wichtige Fachbegriffe zur Untersuchung medial vermittelter Texte (GA 4 b).
Neben einer intensiven Förderung der Kompetenz Leseverstehen erfolgt ebenfalls
eine kurze Festigung der Kompetenz „Sprache gebrauchen und Sprache untersuchen“. Die Kompetenz wird über den Bereich „Über die Sprache und den
Sprachgebrauch nachdenken“ und durch die „Arbeit an Wörtern, Sätzen und Texten“
bearbeitet. Zu den aufgabenspezifischen Fertigkeiten und Fähigkeiten gehört, dass die
Schüler sprachliche Formen und Strukturen in ihrer Funktion untersuchen und
beschreiben. Sie festigen ...
-
die Verben in verschiedenen Modi (hier: Konjunktiv) zu erkennen und anzuwenden (PA 1 b).
-
wörtliche Rede in indirekte Rede umzuwandeln (PA 1 c).
Ausführlich wird die Kompetenz „Texte schreiben“ im Verlauf des Projektes gefördert. Insbesondere der Kompetenzbereich „Den Schreibprozess eigenständig
planen“ steht aufgrund aufgabenspezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten wie dem
Planen von Texten, dem Schreiben eines Textentwurfes, dem Überarbeiten von
Texten und dem Bringen von Texten in die Reinschrift im Fokus. Der Bereich
„Pragmatisch Schreiben“ wird ebenso weiterentwickelt. Die Schüler üben ...
-
bei der inhaltlichen Gestaltung eines Textes auf Vorwissen zurückzugreifen (z.
B. Allgemeinbildung, Aktualitätswissen ...) (EA 4).
66
-
eigene Texte unter Berücksichtigung texttypischer Merkmale verfassen (EA
4).
-
zusammenhängende, strukturierte [...] Texte zu verfassen und einen Schreibprozess zu planen und zu gestalten. Sie können dabei adressaten- und
situationsbezogen schreiben, bei guter Beherrschung der Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung und unter Verwendung eines abwechslungsreichen, altersgemäßen Wortschatzes (PA 2 c / GA 3 b, c / GA 4 c / EA 4).
Insbesondere üben sie den Aufbau, den Inhalt und den Stil hinsichtlich der
Aufgabenstellung zu überprüfen (z.B. mithilfe von Schreibchecklisten) und
den Text entsprechend zu überarbeiten (EA 4).
-
Texte sprachlich zu überarbeiten. Sie erkennen Rechtschreib- und Grammatikfehler in selbst verfassten Texten und verbessern sie. Dabei wenden sie
Strategien der Überprüfung der sprachlichen Richtigkeit und Rechtschreibung
an bzw. nutzen die entsprechenden Funktionen von Textverarbeitungsprogrammen und korrigieren auf diese Weise Fehler selbst (EA 4).
-
Texte zu verstehen und unter Berücksichtigung formaler und sprachlicher
Besonderheiten zu analysieren und mit Textstellen zu belegen. Insbesondere
üben sie formale und sprachliche Gestaltungsmittel und ihre Wirkungsweisen
an Beispielen zu belegen (GA 4 c).
-
einen Sachtext / literarischen Text selbständig oder mithilfe von Fragen auf
Wirkung und Intention hin zu untersuchen und zu bewerten und ihre Darstellungen mit Textstellen zu belegen (GA 4 c).
Schließlich wird ebenfalls der Kompetenzbereich „Schreibfertigkeiten beherrschen“
unterstützt, indem die Schüler lernen ...
-
Texte am PC optisch angemessen zu gestalten (GA 4 c / EA 4).
Während des gesamten Projektes wird in allen Partner- und Gruppenarbeiten die
Kompetenz „Sprechen, reden und zuhören“ gefördert, indem die Schüler Fertigkeiten
und Fähigkeiten wie das sach- und adressatengerechte Weitergeben von Informationen sowie den Austausch von Argumenten und Standpunkten trainieren. Die
Schüler üben ...
-
die Meinungen anderer zu respektieren und im Gespräch auf den anderen
einzugehen.
-
ihren eigenen Standpunkt sachlich darzulegen und zu begründen und sich
situations- und adressatenbezogen mitzuteilen.
67
-
eigene Interpretationsansätze darzustellen und zu begründen.
-
Informationen zu beschaffen, adressatenbezogen weiterzugeben und dabei frei
vorzutragen (Kurzvortrag). Dazu sollen sie auch Formen der Präsentation und
Visualisierung (Handout) sachgerecht einsetzen (GA 4 c).200
Das Kooperative Lernen eröffnet somit im Deutschunterricht authentische Situationen
kommunikativen Handelns und deren Analyse201, deren Umsetzbarkeit und Tauglichkeit in der Praxis im Folgenden überprüft wird.
VI. 4) Verlauf der Phasen 1 bis 3
Die Einführung
In einer kurzen Einführung wird die Klasse mit dem Projekt „Kooperatives Lernen
und Arbeiten“ bekannt gemacht und das Funktionieren des Unterrichtsmodells wird in
einer Phase der Instruktion durch die Lehrkraft erläutert. Um die Reflexivität der
Schüler anzuregen sowie im Hinblick auf ein Nachvollziehen der Entwicklung der
Schüler im Laufe des Projektes, füllen sie den im Kapitel VI. 1 bereits ausgewerteten
Fragebogen zum Thema „Gruppenarbeit“ aus, so dass ihre bisherigen Erfahrungen
deutlich werden. Die Metakognition der Schüler wird ein erstes Mal angeregt.
Dann erfolgt die Einführung der für erfolgreichen Gruppenunterricht notwendigen
sozialen Kompetenzen. Wichtig ist, dass in dieser Phase ebenfalls Begriffe wie
„(soziale) Kompetenz“ und „Sozialziel“ erklärt werden. Da es sich um eine 5e handelt
und die gesamte Klasse schon in Gruppen zusammengearbeitet hat, wird diese
Einführungsphase recht kurz gehalten. Die Schüler sollten in ihrem Alter schon
weitestgehend mit den gesammelten Kompetenzen vertraut sein, so dass diese
gefestigt und vertieft werden können. In einem fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch werden die für die Zusammenarbeit wichtigen Kompetenzen erfragt und an
der Tafel sowie im Ordner der Schüler festgehalten. Zu nennen wären hier beispielsweise: eine angemessene Lautstärke einhalten, einander aktiv zuhören, höflich miteinander umgehen, bei der Aufgabe bleiben, konstruktives Feedback geben, gut mitarbeiten und einander helfen.
200
Die genannten Kompetenzen finden sich : Ministère de l’Education nationale et de la Formation
professionnelle, Enseignement secondaire technique (Hrsg.) : horaires et programmes, cycle inférieur,
5e, allemand. ( www.men.lu). (Stand: 12. Mai 2012)
201
Vgl. BAURMANN, Jürgen: Kooperatives Lernen im Deutschunterricht. In: Praxis Deutsch, S. 9.
68
Zusammenarbeit mit einem „Wunschpartner“ (1. Phase)
In der ersten Partnerarbeit (PA 1 a) wird jedem Schülerpaar eine Kompetenz zugeteilt,
die zuvor in der Einführung genannt wurde, so dass jede Kompetenz zwei Mal
vergeben wird. Dies führt dazu, dass mit Kontrollpaaren gearbeitet werden kann,
welche die Ergebnisse des ersten Paares ergänzen können, da es mehr Schülerpaare
gibt, als dass Kompetenzen vergeben werden. Die Schüler sollen dann mit Hilfe des
Dreischritts in Partnerarbeit Konkretisierungs- und Operationalisierungsarbeit mit
dem T-Diagramm leisten. Zunächst notiert jeder Schüler selbständig auf einem eigens
vorbereiteten Arbeitsblatt in Stichwörtern, inwiefern ein Beobachter verbal (Ich höre)
und non-verbal (Ich sehe) wahrnimmt, dass die zugeteilte Sozialkompetenz in einer
Gruppe umgesetzt beziehungsweise aber auch nicht umgesetzt wird.202 So können die
Schüler zur Kompetenz „einander aktiv zuhören“ beispielsweise notieren, dass man
im Fall einer Umsetzung der Kompetenz positive Aussagen wie „gut“ hört, dass
nachgefragt wird, dass der Sprecher ermuntert wird und dass vor allem immer nur ein
Schüler spricht. Als Beobachter könnte man sehen, dass sich die Teammitglieder dem
Sprecher zuwenden und ihn aufmerksam anschauen. Mit Hilfe des PlacementVerfahrens und auf Basis der erfolgten Einzelarbeiten erstellen die Teams in einer
zehnminütigen Austauschphase eine gemeinsame Lösung in Form eines Plakats.
Abschließend präsentiert jeweils ein Team eine Sozialkompetenz. Das Plenum hat die
Möglichkeit, auf das Gesagte zu reagieren und darüber zu diskutieren, wobei
insbesondere die Kontrollgruppen gefragt sind, um die vorgestellte Lösung gegebenenfalls noch zu erweitern. Leitfragen der Diskussion sind hier ebenfalls, warum
es so wichtig ist, die entsprechende Sozialfertigkeit zu lernen und zu beherrschen,
oder wie die Sozialfertigkeit konkret aussieht. Es wird jeweils ein ergänztes TDiagramm in der Klasse aufgehängt.
Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass später in der Präsentation der
Ergebnisse die erstrebenswerten Verhaltensweisen, welche die Schüler in diesem
Alter im Prinzip schon kennen, noch einmal konkret benannt und erklärt werden. Die
Schüler sollen sich die erarbeiteten Verhaltensweisen im Laufe der Arbeit und
insbesondere während der Phasen der Evaluation immer wieder vor Augen führen und
ihr eigenes Verhalten am positiven Verhaltensmodell messen, so dass die
202
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 148.
69
kommunikativen Prozesse und damit das Lernen und Arbeiten erleichtert und
verbessert werden.203
Vor der zweiten Partnerarbeit (PA 2 b) wird den Schülern dann verdeutlicht, dass nun
nicht mehr nur das Einüben der sozialen Kompetenzen im Vordergrund steht, sondern
sie sich in Form der Partnerarbeiten ebenfalls gegenseitig auf die nachfolgende
Klassenarbeit vorbereiten. Somit wird die für konstruktive Lernumgebungen wichtige
Authentizität erstmals angebahnt und es wird ein komplexes Ausgangsproblem
gestellt. Die zweite Partnerarbeit der ersten Phase erfolgt im Rahmen einer
Wiederholung des Konjunktivs II. Nach einer Auffrischung des Gebrauchs und der
Bildung des Konjunktivs II in einem fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch,
verfasst jeder Schüler eine fiktive Reisebeschreibung auf den Meeresgrund, in der er
konditionale Satzgefüge mit dem Konjunktiv II verwenden muss. Allerdings müssen
die Schüler vier Fehler im Bereich des Konjunktivs II einbauen.204 In der
anschließenden Phase des Austauschs finden sich die Schüler mit ihrer Reisebeschreibung in der eingeübten Sitzordnung in ihrem jeweiligen Zweierteam ein und
legen sie dem Teampartner vor. Im Gegenzug erhalten sie die Reisebeschreibung des
Partners. Jeder Schüler hat im Folgenden zehn Minuten Zeit, die Reisebeschreibung
des Partners zu lesen, die Fehler zu finden und zu korrigieren. Im Anschluss tauschen
sich die Partner über die gefundenen Fehler aus und überprüfen sich gegenseitig.
Abschließend halten sie in einem Satz fest, ob alle Fehler gefunden wurden und ob es
eventuell Unstimmigkeiten oder Unsicherheiten gab. Die Lehrkraft sammelt die
Reiseberichte ein und korrigiert sie ebenfalls, um sie abschließend mit einem kurzen
Feedback versehen an die Schüler zurückzugeben. Die Vorstellungsphase in der
Klasse wird somit leicht abgewandelt und an die Gegebenheiten angepasst, denn es ist
unmöglich, eine gemeinsame Sicherung der Partnerarbeit vorzunehmen, da es 21
unterschiedliche Texte gibt. Einige der gelungensten Reiseberichte werden mit ihren
Fehlerquellen in der Klasse vorgelesen und besprochen. Das Ziel dieser Partnerarbeit,
die in leicht abgewandelter Form der Methode „Berichten – Korrigieren“ entspricht,
nur dass sie schriftlich stattfindet, um so die Konzentration der Schüler zu erhöhen,
besteht darin, das aufmerksame Lesen und den kritischen Blick der Schüler zu
203
Vgl. WEIDNER, Margit: Kooperatives Lernen im Unterricht, S. 38.
Arbeitsauftrag: Stell dir vor, du könntest auf den Meeresgrund reisen. Beschreibe diese Reise.
Benutze dazu konditionale Gefüge (Wenn-dann-Sätze) und natürlich den Konjunktiv. Deine
Reisebeschreibung muss mindestens 12 Sätze umfassen. Baue in deine Beschreibung 4 Fehler im
Bereich des Konjunktivs ein! (siehe deutsch.punkt 4. Aufgabe 4, Seite 76)
204
70
stärken205, da sie auch im späteren Projekt „Rund um Zeitungen“ die Arbeiten der
anderen Teammitglieder Korrektur lesen müssen.
Die dritte und somit letzte Partnerarbeit dieser Phase (PA 1 c) verfolgt das Ziel, dass
die Schüler üben, wörtliche Rede in indirekte Rede umzuwandeln. Die Schüler
müssen in einem ersten Schritt zwei Aussagen zur Sciencefiction-Literatur in die
indirekte Rede umwandeln und auf einem vorbereiteten Arbeitsblatt notieren.206
Anschließend vergleichen sie ihre Lösung mit der Lösung des Teampartners und
verfassen eine gemeinsame Variante. Erneut arbeiten die Schüler wie in der ersten
Partnerarbeit beschrieben mit einem Placemat, welches an diese Partnerarbeit
angepasst ist.207 In der Vorstellungsphase werden anschließend zufällig zwei bis drei
Zweierteams ausgewählt, die ihre Ergebnisse im Plenum vorstellen, um dann eine
gemeinsame Variante an der Tafel und im Heft festzuhalten.
Zusammenarbeit mit einem „Zufallspartner“ (2. Phase)
Im Verlauf der zweiten Phase erarbeiten die Schüler Aufgaben, die ebenfalls auf die
Arbeitsweisen des Projektes „Rund um Zeitungen“ vorbereiten, da die Schüler später
auch mit Texten arbeiten und gemeinsam Aussagen zum Inhalt und zum Aufbau der
Texte machen sowie die Texte analysieren müssen.
Die erste Partnerarbeit der zweiten Phase (PA 2 a) besteht in der Analyse des Titels
der Kurzgeschichte „Der Schmarotzer“ von Herbert W. Franke.208 Nach der ersten
Lektüre des Textes erklären die Schüler in einer fünfminütigen Einzelarbeit auf einem
vorbereiteten „Placemat“ den Titel des Textes und erläutern kurz, inwiefern dieser
ihrer Ansicht nach zum Text passt. Im Anschluss tauschen sie sich im Team über ihre
Stellungnahmen aus und versuchen sie sich gegenseitig zu erklären, so dass sie ihre
Gedanken verbalisieren und im Idealfall mit Hilfe des Textes begründen müssen.209
Ziel ist es, dass sie sich darin üben, aus den Stellungnahmen von zwei Personen eine
einzige Stellungnahme zu verfassen.210 Zudem lernen sie, ihre eigene Interpretation zu
begründen und gegebenenfalls zu überdenken. Falls es unterschiedliche Auffassungen
205
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 63.
Arbeitsauftrag: Gebt die beiden Äußerungen in indirekter Rede wieder. Beginnt dabei jeweils mit
einem Einleitungssatz, in dem der Urheber der Aussage genannt wird. (siehe deutsch.punkt 4. Aufgabe
3, S. 78)
207
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 149.
208
Siehe Anhang 7 deutsch.punkt 4, S. 274-275.
209
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 152.
210
Vgl. BRÜNING, Ludger / SAUM, Tobias: Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen, S. 63.
206
71
zum Text gibt, wird so eine erste kleine Diskussion angeregt. Im Anschluss werden
zufällig zwei bis drei Teams ausgewählt, die ihre Stellungnahme vortragen. Auf Basis
dieser Präsentationen entsteht hoffentlich eine kleine Diskussion im Plenum, im Laufe
derer Unsicherheiten geklärt werden, so dass im Anschluss eine gemeinsame Antwort
im Heft festgehalten werden kann.
Die zweite Partnerarbeit (PA 2 b) erfolgt zum gleichen Text, ist jedoch anspruchsvoller, da um einiges umfangreicher als die bisherigen Aufgaben. Hierbei müssen die
Schüler in Einzelarbeit den Aufbau des Textes „Der Schmarotzer“ untersuchen,
indem sie den Text in Sinnabschnitte gliedern und sich dabei an den Figuren
orientieren. Zusätzlich müssen sie jeden Abschnitt in ein bis zwei Sätzen zusammenfassen, so dass das Textverständnis gesichert werden kann.211 Sie beschäftigen sich
also mit den einzelnen Erzählabschnitten und der Figurenkonstellation.212 Im
Anschluss an diese Aufgabe können dann die Aspekte Erzählverhalten und
Erzählperspektive eingeführt werden. In der darauffolgenden Stunde setzen sich die
Teams wieder zusammen und tauschen sich über ihre Ergebnisse aus, um eine
gemeinsame Lösung festzuhalten.213 Im Anschluss präsentieren wieder zwei bis drei
zufällig ausgewählte Teams ihre Lösung an der Tafel.
Die dritte Partnerarbeit (PA 2 c) stellt eine weitere kleine Steigerung dar, da die
Schüler, nachdem sie die Merkmale der Kurzgeschichte in der Klasse erarbeitet
haben, nachweisen müssen, warum es sich bei dem ihnen bekannten Text „Zu Hause“
von Marie-Louise Kaschnitz214 um eine Kurzgeschichte handelt. Die Schüler müssen
demnach ein erstes Mal eine umfangreiche schriftliche Stellungnahme verfassen, die
sie ebenfalls auf die abschließende Klassenarbeit zum Thema „Kurzgeschichten“
vorbereitet. Im Ansatz ist die Aufgabe auch schon arbeitsteilig, da die Mitglieder
eines jeden Teams in der Einzelarbeit (Hausaufgabe) unterschiedliche Merkmale der
Kurzgeschichte am Text „Zu Hause“ nachweisen müssen. Es überschneidet sich
jeweils nur ein Merkmal, so dass jedes Teammitglied also Experte für sein Merkmal
ist.215 In der nächsten Unterrichtsstunde tauschen sich die Schüler, ohne auf den Text
zurückzugreifen, über ihre Arbeit aus und verfassen eine gemeinsame Stellungnahme.
Die Zeitangabe für die Austauschphase musste ich allerdings verlängern, da ich
211
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 153.
Vgl. www.men.lu: horaires et programmes : enseignement secondaire : division inférieure : 5e
moderne, S. 3 (Stand : 12. Mai 2012)
213
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 153.
214
Siehe Anhang 7 deutsch.punkt 4, S. 273.
215
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 154-156.
212
72
bemerkt habe, dass die Teams trotz intensiver Arbeit nicht fertig wurden. Die
Präsentation erfolgt nach den Allerheiligenferien. Dies ist sicherlich nicht ideal, doch
aus zeitlichen Gründen anders nicht umsetzbar. Positiv ist, dass die Besprechung der
Aufgabe nach den Ferien als Auffrischung vor der Klassenarbeit zum Thema
„Kurzgeschichten“ dienen kann. Die Lehrkraft sammelt die Arbeitsblätter ein,
korrigiert und kommentiert sie über die Ferien. Ein erstes Mal wird eine Ziffernnote
vergeben, die für die Bewertung mit + 4 / - 4 zählt. Nach den Ferien lesen beispielhaft
zwei oder drei Teams ihre Arbeiten vor, so dass diese im Plenum diskutiert werden
können.
Ich verzichte bewusst darauf, dass sich die Schüler zunächst mit einem Schüler
austauschen, der die gleichen Merkmale erarbeitet hat. Die Schüler sollen durch diese
Partnerarbeit nochmals dafür sensibilisiert werden, wie wichtig es ist, dass jedes
Teammitglied seine Aufgabe aufs Gründlichste erledigt (persönliche Verantwortung),
da sich die anderen auf es verlassen müssen (positive gegenseitige Abhängigkeit).
Zudem sollen sie merken, dass keine Zeit da ist, um die Aufgabe des Partners noch
einmal grundlegend zu überarbeiten, sondern dass höchstens nur noch kleine
Veränderungen vorgenommen werden können. Im anschließenden Gespräch hoffe ich
darauf, dass die Schüler die Tatsache, dass man für die Merkmale völlig auf sich
gestellt war, kritisieren, so dass ich im Ansatz schon das Prinzip und die Vorteile des
Gruppenpuzzles mit seinen Experten- und Stammgruppen erläutern kann.
Gruppenarbeit mit „Wunschpartnern“ (3. Phase)
Das Ziel der ersten Gruppenarbeit (GA 3 a) besteht darin, die zwei Handlungsstränge
des Romans „Der Richter und sein Henker“, also die „Tschanz-Geschichte“ und die
„Gastmann-Geschichte“, die im Laufe des Geschehens miteinander verflochten
werden, in arbeitsteiligen Aufträgen in eine Chronologie zu bringen.216 Diese
Stillarbeit wird in die Hausaufgabe verlegt. In der darauffolgenden Unterrichtsstunde
treffen sich dann alle Experten in Gruppen, so dass es aufgrund der vier
Arbeitsaufträge vier Expertengruppen gibt. Die Experten teilen die einzelnen Rollen
untereinander auf und tauschen sich über ihre Arbeitsergebnisse aus. Veränderungen
und Ergänzungen sollen sie in Farbe vornehmen, damit man diese nachvollziehen
216
Vgl. Einfach Deutsch. Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker. Unterrichtsmodell.
Erarbeitet von Martin Kottkamp und Astrid Staude. Hrsg. von Johannes DIEKHANS. Schöningh Verlag.
Braunschweig 2004, S. 18-20.
73
kann.217 In einer nächsten Phase finden sich alle Experten wieder in ihrer
Stammgruppe ein. Sie informieren ihre Teammitglieder über ihre Ergebnisse und
erstellen gemeinsam auf einem extra dafür vorgesehenen Arbeitsblatt eine Abfolge
der Ereignisse in ihrer zeitlichen Reihenfolge. Übereinstimmungen in beiden
Handlungssträngen sollen sie mit einer Farbe verbinden. Abschließend findet eine
gemeinsame Ergebnissicherung statt, bei der unterschiedliche Teammitglieder
aufgefordert werden, die Ergebnisse ihres Teams darzustellen.
Die zweite Gruppenarbeit (GA 3 b) verfolgt das Ziel, anhand vorgegebener
Textpassagen, die noch einmal genau gelesen werden sollen, aus den dort dargestellten wesentlichen Aktionen beziehungsweise Äußerungen, Verhaltensmuster
und Charakterzüge zu den Figuren Bärlach, Gastmann, Tschanz und Lutz abzuleiten
sowie diese in einem Satz zu charakterisieren.218 Jedem Gruppenmitglied wird
demnach eine Figur zugeteilt. In der darauffolgenden Unterrichtsstunde werden die
Rollen innerhalb den Gruppen neu verteilt und es tauschen sich zunächst wiederum
alle Experten, welche die gleiche Figur behandelt haben, aus, bevor sie in ihre
Stammgruppe zurückkehren und alle gemeinsam auf einem dafür vorgesehenen
Arbeitsblatt vier Figurencharakterisierungen gegenüber stellen.219
Die dritte Gruppenarbeit (GA 3 c) strebt das Ziel an, Bärlachs Denken und Handeln
am Beispiel der sogenannten „Henkersmahlzeit“ zu entlarven. Diesmal werden pro
Team aufgrund des Sachverhalts lediglich zwei Arbeitsaufträge vergeben, so dass die
Expertengruppen ausnahmsweise größer wurden. Einige Teams charakterisieren
jeweils Bärlach während der Mahlzeit. Die anderen Teams untersuchen Tschanz’
innere Verfassung während der Mahlzeit und verfassen einen kurzen Überblick
hierüber.220 Auch diese Einzelarbeit erfolgt als Hausaufgabe. Das weitere Vorgehen
entspricht dem der vorherigen beiden Phasen.221
VI. 5) „Rund um Zeitungen“ (4. Phase)
VI. 5. 1) Didaktische Analyse des Unterrichtsgegenstandes
Der Kern des Unterrichtsversuchs ist eine Unterrichtsreihe zum Thema „Rund um
Zeitungen“.
217
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 159-163.
Vgl. Einfach Deutsch. Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker, S. 25-27.
219
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 164-170.
220
Vgl. Einfach Deutsch. Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker, S. 57-60.
221
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 171-173.
218
74
Das Programm für eine 5e sieht im Fach Deutsch vor, dass die Schüler der besagten
Klassenstufe nicht-fiktionale Texte wie die Reportage, das Interview, den Zeitungsbericht und den Kommentar lesen und erarbeiten, damit sie unterschiedliche
journalistische Textsorten und ihre Merkmale kennen lernen sowie lernen, nichtfiktionale Texte zu planen und selbstständig zu verfassen.222
Somit sieht auch die Programmkommission für das Fach Deutsch weiterhin die Notwendigkeit, die Schüler mit den Printmedien vertraut zu machen, da die Zeitung auch
im Zeitalter der digitalen Medien immer noch das Leitmedium ist, da „ein
unentbehrliches Mittel der Verständigung (Kommunikation) in der Gesellschaft: ein
Mittel der Information, der Meinungsbildung und der Unterhaltung“.223 Die Zeitung
gewährt ihren Lesern nämlich tagtäglich Einblick in das unmittelbare Weltgeschehen
und trägt entscheidend dazu bei, „die immer undurchsichtiger und komplizierter
werdenden Vorgänge der Umwelt zu durchleuchten und dem Leser den Zugang zu
ihnen zu eröffnen“224. Zudem stellt die Zeitung ein wichtiges „Kontrollorgan“225 dar,
da sie das „gesetz- und rechtmäßige Handeln von Regierung, Parlament, Verwaltung,
Rechtsprechung und von Institutionen im öffentlichen Raum überwacht“226. Darüber
hinaus übernimmt die Presse heutzutage auch eine Bildungsfunktion, da sie zur
„Vermittlung von aktuellem und latentem Wissen und von gesellschaftlichen Normen
zur Jugend- und Erwachsenenbildung beiträgt“227.
Die Menschen leben mittlerweile im 21. Jahrhundert in einer „Mediengesellschaft“228,
in der sie tagtäglich einer ungeheueren Informationsflut ausgesetzt sind, die zum Teil
zu Verwirrung und Desorientierung führen kann. Zudem wird ihre Sicht der Dinge
entscheidend von den Massenmedien beeinflusst. Die Zeitung ist demnach von
enormer Bedeutung und der kritische und gekonnte Umgang mit diesem Medium ist
für den mündigen Bürger des 21. Jahrhunderts unerlässlich. Die Jugendlichen müssen
folglich zu informationskritischen und medienkompetenten Bürgern erzogen werden,
welches ein Hauptanliegen der Schule und insbesondere des Deutschunterrichts
222
Vgl. www.men.lu: horaires et programmes : enseignement secondaire : division inférieure : 5e
moderne, S. 3 (Stand : 12. Mai 2012).
223
SCHULZE, Volker: Die Zeitung. Ein medienkundlicher Leitfaden. 3.Auflage, Hahner Verlagsgesellschaft, Aachen- Hahn 2005, S. 13.
224
Ebd., S. 14.
225
Ebd., S. 13.
226
Ebd., S. 13.
227
Ebd., S. 15.
228
DELHEY, Norbert: Bildung durch Zeitunglesen. In: Brand, Eva/ Brand, Peter (Hrsg.): Die Zeitung im
Unterricht. 1. Auflage, Hahner Verlagsgesellschaft, Aachen- Hahn 2007, S.34.
75
geworden ist, damit die Schüler lernen, wie Medien funktionieren und wie sie sich in
diesem „Wirrwarr von Informationen, Reklame und Propaganda zurechtfinden“229
können. So ist es unerlässlich, dass die Schüler lernen, mit dieser Informationsfülle
umzugehen. Sie erhalten durch den Unterricht eine Anleitung für die Auswahl, die
Aufnahme, das Verstehen und das Weiterverarbeiten von Informationen und lernen,
wie sie wichtige von unwichtigen Nachrichten unterscheiden können, woran sie eine
Information, eine persönliche Meinung oder einen Kommentar erkennen.230 Darüber
hinaus sind Zeitungen als ein „Fundus für einen aktualitätsbezogenen Unterricht“231
anzusehen. Im Gegensatz zu Sachtexten in Schulbüchern, die sehr schnell veraltet
sind, setzen sich die Lernenden bei der Analyse von Zeitungen gleichzeitig mit
aktuellen und brisanten Themen auseinander. Dadurch rückt der „Unterricht zeitlich
näher an die Lebenswirklichkeit der Schüler heran“232 und wird sozusagen ein
„Bindeglied zwischen Schulraum und (der wirklichen) Welt“233. Die Schüler lernen
folglich in einem konkreten, lebensnahen Kontext, ganz so, wie es das situierte
Lernen fordert.
Das Thema „Zeitungen“ bietet des Weiteren eine gute Möglichkeit, die Bedeutsamkeit der Kooperation für den Erfolg zu verdeutlichen, da eine Zeitung nur
durch die Zusammenarbeit der einzelnen Redaktionsmitglieder entstehen kann. Es
handelt sich bei einer solchen Redaktion um eine „Community of Practice“.
VI. 5. 2) Der Verlauf der Unterrichtsreihe
Die Unterrichtssequenz zum Thema „Rund um Zeitungen“ besteht aus insgesamt etwa
16 Unterrichtsstunden.
Die Unterrichtssequenz beginnt mit einer Phase der Instruktion234, da die Schüler in
das Thema eingeführt und dafür sensibilisiert werden sollen. Nach der Vorstellung
des Projektes durch die Lehrkraft erfolgt als Einstieg eine Einstimmung der Klasse
auf das Thema anhand eines Bildes, das unterschiedliche Medien wie die Telekommunikation, Zeitungen, Zeitschriften, das Fernsehen, das Internet und den
229
DELHEY, Norbert: Bildung durch Zeitunglesen. In: Brand, Eva/ Brand, Peter (Hrsg.): Die Zeitung im
Unterricht, S. 36.
230
Vgl. Rund um Zeitungen. Kopiervorlagen für den Deutschunterricht. Hrsg. von Ute FENSKE.
Cornelsen. Berlin 2009, S. 5.
231
DELHEY, Norbert: Bildung durch Zeitunglesen, . In: Brand, Eva/ Brand, Peter (Hrsg.): Die Zeitung
im Unterricht, S. 13.
232
Ebd., S.31.
233
Ebd., S.31.
234
1. Unterrichtsstunde à 75 Minuten.
76
Rundfunk visualisiert.235 In einem fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch beschreiben die Schüler die unterschiedlichen Medien und erkennen, dass sich dieser
Oberbegriff in zwei Unterbegriffe, nämlich Printmedien und elektronische bzw.
digitale Medien, untergliedern lässt. Zur Visualisierung wird das zu den „kleinen
Methoden“ zählende „Mindmapping“ eingesetzt. Die Lehrkraft leitet dann zum
eigentlichen Thema, den Zeitungen, über und in einem fragend-entwickelnden
Unterrichtsgespräch erfolgt eine Unterscheidung zwischen Zeitungen und Zeitschriften. In einem nächsten Schritt werden Tages-, Wochen- und Boulevardzeitungen
unterschieden und die Schüler nennen jeweils Beispiele für bekannte deutschsprachige Zeitungen in Luxemburg und Deutschland.236 Am Ende der Stunde erfahren
die Schüler, dass sie sich nun in den kommenden Unterrichtsstunden Wissen und
Kompetenzen aneignen müssen, um später selbst als Journalist tätig zu werden und
einen Artikel verfassen zu können.
Nach der Phase der Instruktion erfolgt in der 2. Unterrichtsstunde (50 Minuten) eine
erste Form der Kooperation zum Thema „Eigenschaften des Journalismus und des
Zeitungswesens“. Diese dient der erneuten Einführung in die Methode nach den
Weihnachtsferien und der Teambildung. Der Dreischritt und das Placemat-Verfahren
werden eingesetzt. In Vorbereitung auf diese zweite Unterrichtsstunde erhält jeder
Schüler ein Zitat zum Zeitungswesen, indem er das ihm zugeteilte Zitat in eigenen
Worten wiedergibt. Da alle Zitate vier Mal vergeben wurden, finden sich die Schüler
mit dem gleichen Zitat zusammen und bilden ein Team. Alle Teams geben sich einen
Namen und verteilen die Rollen untereinander. Anschließend tauschen sie sich über
ihr Zitat aus.237 In einer dritten Phase stellen alle Gruppen ihr Zitat und ihre dazu
gehörigen Erläuterungen vor. Auf Grundlage der Zitate und in dem sich anschließenden Unterrichtsgespräch werden dann einerseits die positiven Eigenschaften
des Journalismus wie das Aufdecken von Missständen, die Dokumentation von Zeitgeschehen und das Anregen zum Nachdenken herausgearbeitet. Andererseits sind
Zeitungen gerade im Vergleich zu den elektronischen Medien aber auch sehr langsam,
sie beeinflussen Menschen und sie befriedigen die Sensationsgier der Leser. Das
Mind-Map wird erneut angewandt, um einen Überblick im Heft festzuhalten.
235
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 176.
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 177.
237
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 178-183.
236
77
Die dritte und die vierte Unterrichtsstunde238 gliedern sich in die Unterthemen „Der
Aufbau von Tageszeitungen“, „Der Inhalt: Sparten / Ressorts und Rubriken“ sowie
„Nachrichtenagenturen - Der Weg einer Nachricht“ und sind wieder stärker lehrerzentriert, da in beiden Unterrichtsstunden neue Lerninhalte vermittelt werden. In einer
Hausaufgabe bereiten sich die Schüler auf das Thema „Der Aufbau von
Tageszeitungen“ vor, indem sie sich mit der größten deutschsprachigen Tageszeitung
in Luxemburg, dem „Luxemburger Wort“, vertraut machen. Hierzu zählt, dass die
Schüler im Internet recherchieren, wo, wie oft und wann die Tageszeitung erscheint.
Des Weiteren sollen sie sich darüber informieren, wie hoch die verkaufte Auflage der
Zeitung ist und welche Leserschaft sie anspricht. Schließlich sollen die Schüler mit
Hilfe einer beispielhaften Analyse einer Titelseite in ihrem deutsch.punkt 4 die
Titelseite einer Ausgabe des „Luxemburger Wort“ beschriften. Die Ergebnisse
werden anschließend in einem fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch diskutiert
und gesichert. Darüber hinaus wird die Funktion der einzelnen Elemente einer
Titelseite bestimmt sowie die verschiedenen Gestaltungsmittel des Layouts wie die
Schriftgröße, die Schriftart, die Farbgebung, die Verwendung und Anordnung von
Balken, Rahmen, Fotos sowie Grafiken werden analysiert. In Vorbereitung auf die
vierte Unterrichtsstunde untersuchen die Schüler in einer Hausaufgabe den Inhalt des
tagesaktuellen „Luxemburger Wortes“ (09. Januar 2012), indem sie den Aufbau in
Sparten / Ressorts und Rubriken untersuchen.239 In einem fragend-entwickelnden
Unterrichtsgespräch werden die Ergebnisse erneut diskutiert und gesichert. Zudem
beschäftigen sich die Schüler mit den Abkürzungen der Nachrichtenagenturen, indem
sie diese aufschlüsseln. Anschließend reflektieren sie, was denn eigentlich eine
Nachrichtenagentur ist, welche Aufgaben sie hat und wie eine Nachricht in die
Zeitung gelangt.240 Die dritte und vierte Unterrichtsstunde dienen der Vorbereitung
der Schüler auf die folgenden drei Unterrichtsstunden241 zum Thema „Klassische
Tageszeitung vs. Boulevardzeitung – Ein Vergleich“, in denen die Schüler erneut im
Team arbeiten. Dementsprechend folgt auf die instruktive Phase wiederum eine
kooperative Phase, in der die Schüler das Gelernte nun praktisch anwenden sollen. In
dieser Phase wird ein erstes Mal die Methode „Jigsaw“ angewandt.
238
Beide Unterrichtsstunden bestehen jeweils aus 50 Minuten.
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 184-185.
240
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 186-187.
241
Die 5. und 6. Unterrichtsstunde bestehen aus 50 Minuten, die 7. Stunde hat 75 Minuten.
239
78
Das Ziel der folgenden Unterrichtsstunden besteht darin, dass die Schüler eine
klassische Tageszeitung (Süddeutsche Zeitung) mit einer Boulevardzeitung (BILDZeitung) in Bezug auf die Aspekte „Allgemeine Informationen“, „Die Titelseite“ und
„Die gesamte Zeitung“ vergleichen. Zu den allgemeinen Informationen zählen die
verkaufte Auflage sowie die Leserschaft und die Zielgruppe. Bei der Analyse der
Titelseite machen die Schüler Angaben zum Layout (Schriftgröße, Farbgebung),
untersuchen die Funktion des Layouts, den Aufmacher sowie dessen Gestaltung, den
Text-Bildanteil sowie den Werbeanteil und die Werbeprodukte. Die Analyse der
gesamten Zeitung lenkt den Blick der Schüler auf die Themenauswahl und Themenschwerpunkte, die Gliederung in Sparten und Ressorts, den Text-Bildanteil, die
Funktion der Bilder, die Qualität des Inhalts und der Informationen der Artikel,
sprachliche, stilistische Besonderheiten sowie den Werbeanteil und die Werbeprodukte in der Zeitung. Die Arbeit wird mit bis zu + 2 / -2 Punkten im Trimesterdurchschnitt berücksichtigt. In den folgenden Unterrichtsstunden sollen die Schüler
nun mit Hilfe der Methode „Jigsaw“ auf das bisher erworbene Wissen und die eingeübten Kompetenzen zurückgreifen und sie in einem neuen Zusammenhang
anwenden. Grundlage der kooperativen Unterrichtsstunden ist erneut der Dreischritt.
Auf das Placemat-Verfahren wird aus Platzgründen und aufgrund mangelnder
Umsetzbarkeit verzichtet.
Die Mitglieder einer jeden Stammgruppe erhalten unterschiedliche Arbeitsaufträge.
Jeweils zwei Schüler beschäftigen sich mit der klassischen Tageszeitung. Ein Schüler
untersucht die Analysekriterien „Allgemeine Informationen“ und „Titelseite“. Der
zweite Schüler behandelt die Kriterien „Allgemeine Informationen“ und „Analyse der
gesamten Zeitung“. Die gleiche Aufteilung findet sich bei der Boulevardzeitung242, so
dass in jeder Stammgruppe Experten für jeden Zeitungstyp präsent sind. Aus
didaktischen Gründen verteilt die Lehrkraft die Arbeitsaufträge, so dass sich die
leistungsstärksten Schüler beispielsweise mit der „Süddeutschen Zeitung“ und deren
Inhalt beschäftigen müssen, während die leistungsschwächsten Schüler eines Teams
die Titelseite der „BILD-Zeitung“ untersuchen. Mit dem Arbeitsauftrag erhalten die
Schüler jeweils ein Exemplar der von ihnen zu untersuchenden Tageszeitung, da nicht
alle Schüler die Möglichkeit haben, kurzfristig die betreffende Zeitung zu erwerben.
242
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 187-205.
79
Die erste Phase der Konstruktion erfolgt in einer Hausaufgabe. Die fünfte Unterrichtsstunde (50 Minuten) dient der Arbeit im Expertenteam. Alle Experten eines Themas,
also jeweils vier, setzen sich in dieser Unterrichtsstunde zusammen, um sich gegenseitig ihre Ergebnisse zu präsentieren, diese zu diskutieren und gegebenenfalls
Veränderungen und Ergänzungen vorzunehmen.
In der sechste Unterrichtsstunde gehen die einzelnen Experten in ihre Stammgruppen
zurück, um dort die anderen über ihre Erkenntnisse zu informieren. Jede Stammgruppe erstellt gemeinsam ein Lösungsblatt zu dem gesamten Themenkomplex.
Die siebte Unterrichtsstunde dient der Sicherung des Vergleichs. Einzelne, zufällig
aufgerufene Schüler stellen die Ergebnisse ihres Teams vor und es besteht die
Möglichkeit, darüber zu diskutieren. In dieser Phase übernimmt die Lehrkraft hauptsächlich die Rolle des Moderators. Um die Sicherung abzukürzen, erhalten die
Schüler einen Lückentext, den sie während der Vorstellungsphase ergänzen und in
ihrem Ordner abheften.243 Im Anschluss findet eine erste Evaluationsphase der Arbeit
im Team statt.
Nach der kooperativen Phase der vorherigen Unterrichtsstunden folgt nun wieder eine
lehrerzentrierte Phase der Konstruktion244, da neuer Unterrichtsstoff vermittelt wird,
der die Grundlage für die abschließende kooperative Phase des Projektes bildet. Das
fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch dient als Basis der kommenden drei
Unterrichtsstunden. Es findet ebenfalls eine Steigerung der Anforderungen an die
Schüler statt, da sie sich im Folgenden mit den unterschiedlichen journalistischen
Textsorten in Zeitungen beschäftigen. Zunächst einmal erfahren sie, dass
journalistische Textsorten grundsätzlich zwei Absichten verfolgen können, indem sie
informieren und Meinung bilden. Die Schüler ordnen den sieben ausgewählten
Textsorten (Meldung / Nachricht, Bericht, Glosse, Interview, Kommentar, Reportage
und Rezension) in einer Hausaufgabe eine passende Definition zu. Auf der Grundlage
dieser Definition können sie tabellarisch festhalten, welche Textsorten schwerpunktmäßig informieren (Meldung / Nachricht, Bericht, Interview) und welche eher eine
Meinung äußern (Glosse, Rezension, Kommentar, Reportage). Die Hausaufgabe wird
in einem Unterrichtsgespräch gesichert. Danach wird der Schwerpunkt auf die
Textsorte „Meldung/Nachricht“ gelegt. Die Schüler lesen den Nachrichtentext „Der
243
244
80
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S.206-212.
Es folgen die Unterrichtsstunden 8 bis 10 (2 x 50 Minuten / 75 Minuten).
"schiefe Turm" von Köln steht wieder gerade“245 und sie untersuchen den Text in
Bezug auf die Kategorien „Umfang“, „Inhalt“, „Aufbau“, „Sprache“ und „Wirkungsabsicht“. Ihre Ergebnisse halten sie schriftlich fest. Die Ergebnisse werden erneut in
einem Unterrichtsgespräch besprochen und in Form eines Lückentextes, den die
Schüler parallel ergänzen, gesichert. Der Lückentext dient ihnen als Modell für die
nächste kooperative Phase.246 Abschließend wandeln die Schüler die Ballade „John
Maynard“ von Theodor Fontane in eine Nachricht um, indem sie zunächst die WFragen herausarbeiten und daraufhin den Nachrichtentext verfassen.247 Die
Hausaufgabe wird in einer Schreibkonferenz untersucht und kommentiert.248
Beispielhaft werden einige Arbeiten in der Klasse besprochen und eine Modellantwort
wird im Heft festgehalten. Die Schüler verfassen einen ersten kurzen, eigenen Artikel,
indem sie die Merkmale der Textsorte anwenden.
Nachdem ein Überblick über die Textsorten gegeben und eine erste journalistische
Textsorte näher untersucht wurde, beschäftigen sich die Schüler nun mit weiteren
Textsorten in Zeitungen. Hierfür erhalten sie ein Arbeitsblatt, das jeweils ein Beispiel
für eine Nachricht / Meldung, eine Rezension, eine Glosse, ein Interview, einen
Bericht, einen Kommentar und eine Reportage enthält.249 In einer Hausaufgabe
müssen die Schüler alle Artikel aufmerksam lesen sowie den einzelnen Artikeln die
richtige Textsorte zuordnen. In einem fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch
wird der Inhalt der einzelnen Text kurz zusammengefasst und die Ergebnisse werden
diskutiert und gesichert. Im Unterrichtsgespräch wird ebenfalls bereits unter der
Berücksichtigung der bekannten Kategorien „Umfang“, „Inhalt“, „Aufbau“,
„Sprache“ und „Wirkungsabsicht“ nach Merkmalen für die einzelnen Textsorten
gesucht. Die Schüler sollen sich selbständig Notizen machen.
Daraufhin setzen sich die Stammgruppen wieder zusammen und entscheiden gemeinsam, welches Teammitglied welche Textsorte (Bericht, Reportage, Kommentar,
Interview) näher untersucht. Die Schüler werden selbstverständlich darüber in
Kenntnis gesetzt, dass die Textsorten Reportage und Kommentar am anspruchsvollsten sind, so dass sie die Stärken des einzelnen Teammitglieds gezielt einsetzen
können. In einer Hausaufgabe muss jeder Schüler seine Textsorte in Bezug auf den
245
Siehe Anhang 7, deutsch.punkt 4, S. 275.
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 216.
247
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 213-215.
248
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 217.
249
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 218-220.
246
81
Aufbau, den Inhalt, die Sprache und die Wirkungsabsicht untersuchen, indem er
Fragen hierzu beantwortet und mit Textbeispielen belegt.250
Die folgenden Unterrichtsstunden sind erneut kooperativ angelegt und beziehen sich
auf die vorherigen Stunden zu den journalistischen Textsorten, so dass die Schüler ihr
Wissen und die erworbenen Kompetenzen in einem neuen Kontext anwenden müssen.
Die elfte und die zwölfte Unterrichtsstunde251 finden in der Bibliothek statt, da diese
sich aufgrund der Anordnung der Arbeitstische besser für eine Gruppenarbeit eignet.
Des Weiteren stehen den Schülern dann auch Nachschlagewerke, Computer mit
Internetanschluss und Kopierer zur Verfügung.
In der elften Unterrichtsstunde setzen sich die Schüler in Expertenteams zusammen,
so dass alle Schüler, die sich in der Hausaufgabe mit der gleichen Textsorte
beschäftigt haben, sich treffen. Die Schüler machen sich in den nächsten zwei
Unterrichtsstunden (11 und 12) zu Experten für die jeweilige Textsorte, damit sie
später ihre Stammgruppe über ihre Textsorte informieren und auf die abschließende
Klassenarbeit vorbereiten können. Erneut werden die Rollen innerhalb des Expertenteams verteilt. Jedes Expertenteam erhält nun zusätzlich einen theoretischen
Informationstext zu seiner Textsorte, den sie sich teilen müssen.252 Der Text enthält
die Merkmale der jeweiligen Textsorte in den Kategorien Inhalt, Aufbau, Sprache und
Wirkungsabsicht. Allerdings sind die Merkmale mit den Merkmalen einer weiteren
journalistischen Textsorte durcheinander geraten, so dass die Expertenteams die auf
ihre Textsorte zutreffenden Merkmale heraussuchen müssen. In einem nächsten
Schritt greifen die Schüler auf ihre vorbereitende Hausaufgabe zurück. Die von ihnen
bearbeiteten Fragen passen auf die Merkmale der jeweiligen Textsorte, so dass sie die
Merkmale nun mit Textbeispielen belegen können. Die Experten sollen sich nun über
ihre Hausaufgaben austauschen und sich auf jeweils eine gemeinsame Lösung
einigen. Sie müssen die Hausaufgabe gegebenenfalls verbessern und überarbeiten.
Die zwölfte Unterrichtsstunde soll dafür genutzt werden, am PC ein eigenes Handout
zu der jeweiligen Textsorte zu erstellen, das die Merkmale der Textsorte sowie
Textbeispiele enthält. Hierbei können sich die SchülerInnen an dem Handout aus der
achten Unterrichtsstunde orientieren. Das Handout soll in Form eines Lückentextes
erstellt werden, damit die Experten später anhand des Handouts überprüfen können,
250
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 221-233.
Die Unterrichtsstunden bestehen aus jeweils 50 Minuten.
252
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 221-233.
251
82
inwiefern ihre Stammgruppe ihrem Vortrag gefolgt sowie diesen verstanden hat. Des
Weiteren sollen die Experten den bereits erwähnten informierenden Vortrag einüben.
Schließlich müssen die Experten in Vorbereitung auf die dreizehnten Unterrichtsstunde ihr Handout selbst kopieren. Den Schüler bleibt es frei überlassen, ihre Zeit
einzuteilen oder gegebenenfalls Arbeiten vorbereitend zu Hause zu erledigen. Ihnen
wurden lediglich Hinweise zum Zeitmanagement gegeben.
Die dreizehnte und vierzehnte Unterrichtsstunde253 dienen der Unterrichtung innerhalb der Stammgruppe sowie der Evaluation der Teamarbeit. Die Schüler treffen sich
in beiden Unterrichtsstunden erneut in ihrer Stammgruppe. Reihum präsentiert
zeitgleich jeder Experte seine Textsorte, während die anderen Mitglieder der
Stammgruppe zuhören und das Handout ergänzen. Abschließend korrigiert der
Experte zusammen mit den anderen Schülern das Handout und beantwortet Fragen.
Ich höre mir die Vorträge zu den einzelnen Textsorten in jeweils einer anderen
Stammgruppe an und mache mir gegebenenfalls Notizen für eine mögliche
Nachbesprechung.
Um das erworbene Wissen zu festigen und in Vorbereitung auf die abschließende
Klassenarbeit, müssen die Schüler in einer Hausaufgabe selbst eine Textsorte ihrer
Wahl aus einer Zeitung aussuchen, ausschneiden und aufkleben. Zusätzlich notieren
sie, aus welcher Zeitung und aus welcher Ausgabe der Artikel stammt. Dann
verfassen sie einen Text zu dem Artikel, in dem sie abhandeln, inwiefern es sich bei
dem gewählten Artikel inhaltlich, in Bezug auf den Aufbau und bezüglich der
Sprache um die entsprechende Textsorte handelt. Die Hausaufgabe wird eingesammelt, korrigiert und kommentiert.254
Die folgenden Unterrichtsstunden255 bestehen weitgehend aus einer Einzelarbeit, so
dass die Schüler die in der Unterrichtseinheit erworbenen Kompetenzen und das
Wissen möglichst selbständig anwenden und umsetzen müssen. Die nun erfolgende
Einzelarbeit ist somit die Krönung der bisherigen Förderung des selbstverantwortlichen Arbeitens. Das Ziel besteht darin, dass jeder Schüler einen eigenen
Artikel zum Thema „Schulleben im Lycée du Nord“ oder „Wiltz und Umgebung“
verfasst. Mögliche Themen werden vorgegeben.256 Der Artikel wird mit 30 Punkten
(Schreiben) bewertet und ist Teil der Klassenarbeit II, 1. Bewertet werden die
253
Die 13. Unterrichtsstunde besteht aus 75 Minuten, die 14. Unterrichtsstunde aus 50 Minuten.
Siehe Anhang 4 Schülerarbeiten und Klassenarbeiten, S. 234.
255
15. und 16. Unterrichtsstunde (75 Minuten / 50 Minuten).
256
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 235.
254
83
Originalität der Idee, die Umsetzung der Merkmale der Textsorte, die sprachliche
Korrektheit, die Präsentation sowie die Überarbeitung des Artikels nach erhaltenem
Feedback.257 Eine Auswahl der Artikel wird im „Joërbuch“ der Schule veröffentlicht.
Damit alle Schüler unter ähnlichen Bedingungen arbeiten, müssen sie entweder einen
Bericht und einen Kommentar, ein Interview oder eine Reportage verfassen. In
Vorbereitung müssen die Schüler zu dem von ihnen gewählten Thema im Internet
oder in Büchern recherchieren beziehungsweise wichtige Personen befragen und das
Material für die fünfzehnte Unterrichtsstunde mitbringen. Beide Unterrichtsstunden
finden parallel in der Bibliothek und in einem Multimediaraum statt, da die Schüler
die Artikel am PC verfassen müssen. Die Arbeit am PC erleichtert ebenfalls das
Überarbeiten der Artikel. Während der fünfzehnte Unterrichtsstunde arbeiten die
Schüler an ihrem Artikel, wobei sie auf alle Materialien der Bibliothek und des
Deutschheftes zurückgreifen können. Es steht ihnen frei, sich ebenfalls gegenseitig zu
beraten. Am Ende der Unterrichtsstunde müssen sie eine erste Fassung an die
Lehrkraft abgeben. Sie erhalten diese kommentiert zu Beginn der nächsten Stunde
zurück. Sprachliche Fehler werden unterstrichen, jedoch nicht berichtigt, um die
Schüler noch stärker für die Fehler zu sensibilisieren. Die sechzehnte Unterrichtsstunde steht im Zeichen der Überarbeitung der Artikel. Die Endfassung muss am
Ende dieser Stunde abgegeben werden. Abschließend findet noch eine vorrangig das
Leseverstehen abprüfende Klassenarbeit zum Thema „Zeitungen“ statt.
VI. 6) Evaluation der vier Projektphasen
Die Evaluation der einzelnen Phasen erfolgt sowohl auf Grundlage der Lehrerbeobachtungen als auch auf Basis der ausgewerteten Schülerfragebögen und der
einzelnen Arbeiten. Der Übersicht halber wird in der vorliegenden Arbeit ein Gesamtüberblick über die Auswertung der vier Projektphasen vorgenommen, wobei allerdings nach jeder Phase auf die gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen wurde, um
diese für die darauffolgende Phase zu nutzen.
VI. 6. 1) Sozialziele
Die Auswertung der Fragebögen verdeutlichen, dass die einzelnen Sozialkompetenzen258 den Schülern unterschiedlich hohe Schwierigkeiten bereiteten.
257
84
Siehe Anhang 4 Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, S. 236.
Während die Kompetenzen „einander helfen“ und „höflich miteinander umgehen“
den Schülern durchweg kaum Probleme bereiteten und ihrer Einschätzung nach gut
umgesetzt werden konnten, taten sie sich mit der Umsetzung der Kompetenzen „aktiv
zuhören“, „aussprechen lassen“, „positives Feedback geben“ und „bei der Aufgabe
bleiben“ durchaus schwer. Die Kompetenz „aktiv zuhören“ setzten die Schüler in der
Tat kaum um, da sie insbesondere in der ersten Phase, während ich den Arbeitsauftrag
noch erklärte, häufig kaum zuhörten, sondern schon anfingen, untereinander zu
diskutieren. An diesem Punkt musste ich immer wieder eingreifen und für Ruhe
sorgen. Die genannten Kompetenzen konnten zwar durch gezielte Übungen im
lehrerzentrierten Unterricht während der ersten zwei Phasen nachweislich verbessert
und in der dritten Phase gefestigt werden, doch gab es, abgesehen von der Kompetenz
„angemessene Lautstärke“, die durchweg verbessert wurde, in der vierten Phase eine
Verschlechterung der genannten Sozialkompetenzen. Dieses Phänomen erklärt sich
sicherlich durch die Komplexität der Aufgabenstellungen der vierten Phase, so dass
die Schüler die Sozialkompetenzen aus dem Blick verloren.
Auffällig ist ebenfalls, dass andere soziale Kompetenzen jedoch teilweise unter der
Konzentration auf die „Problemkompetenzen“ litten. So verschlechterten sich
beispielsweise die Kompetenz „einander helfen“ stark in der zweiten Phase. Die
Auswertung der Sozialkompetenzen über einen Zeitraum von zwei Trimestern zeigt,
dass die Schüler doch größere Probleme haben, sich auf die unterschiedlichen
Aspekte des kooperativen Lernens zu konzentrieren, und dass die Einübung eines
kooperativen Arbeitsverhaltens langfristig erfolgen muss.
Um die Sozialkompetenzen bewusster fördern zu können, sollten die Schüler einen
Verbesserungsvorschlag für sich selbst beziehungsweise ihr Team und einen Wunsch
an den Partner formulieren. Wenn sie dies denn taten, bestand dies den bisherigen
Beobachtungen entsprechend mehrheitlich darin, aktiver zuzuhören, stärker bei der
Aufgabe bleiben sowie häufiger positives Feedback geben zu wollen. Die Schüler
merkten auch sehr schnell, dass die Zeit nicht ausreicht, um sich noch über andere
Dinge zu unterhalten, und dass es von Vorteil ist, die Hausaufgabe dabei zu haben.
Die Viererteams nahmen sich meist vor, konzentrierter, schneller und ernsthafter zu
arbeiten.
258
Eine tabellarische Übersicht über die Entwicklung der Sozialkompetenzen im Verlauf der Phasen
findet sich in Anhang 6, S. 266.
85
Insgesamt bewertete die Mehrheit der Schüler ihre Fortschritte in Bezug auf das von
ihnen gewählte Sozialziel als „mäßig“. Die Schüler, die sich ihrer Meinung nach
kaum verbessern konnten, bemängelten, dass sie Probleme mit der neuen
Arbeitsweise sowie dem ihnen zugeteilten Partner hatten, da dieser häufig keine
Hausaufgaben hatte. Schüler B meinte sogar, es habe sich kaum etwas verändert, da er
auch schon vorher alles gut umgesetzt habe.259
Es ist interessant zu sehen, dass sich die Selbst- und die Fremdeinschätzung während
der drei Phasen die Waage hielten und ebenfalls mit den Beobachtungen der Lehrkraft
übereinstimmten. Die Auswertung der Sozialkompetenzen bestätigt zudem die Einschätzung des Deutschlehrers des vergangenen Schuljahres sowie meine ersten
Beobachtungen, dass die Schüler das genaue Lernen und Arbeiten nicht gewohnt sind,
da sie Probleme mit den Kompetenzen „bei der Aufgabe bleiben“ und „Feedback
geben“ hatten.
Das Basis-Element der Face-to-Face-Interaktion wurde in der ersten Partnerarbeit der
ersten Phase nicht zufriedenstellend erfüllt, so dass während der Partnerarbeit eine
größere Unruhe herrschte. Allerdings lag der Fehler bei mir, da ich den Schülern
lediglich die Anweisung gab, sich so hinzusetzen, dass alle in Ruhe arbeiten können.
Dies gelang natürlich nicht, da alle zunächst aufgeregt herumeilten und sich
schließlich alle Gruppen sehr nah zusammensetzten. Den Schülern fehlte die
notwendige Selbständigkeit, die Situation selbst zu lösen. In den folgenden
Partnerarbeiten zeigte ich den einzelnen Teams genau, wo sie sich hinsetzen sollten.
Dies setzten sie in den folgenden Partner- und Gruppenarbeiten dann auch immer um
und es wurde weniger Zeit durch unnötiges Herumirren und Lärmen verloren. Im
Verlauf der vierten Phase sollten die Schüler dann in der Bibliothek arbeiten, doch
einige fanden diese tatsächlich nicht! Des Weiteren wussten die Schüler zunächst
nicht, wie sie sich in dem neuen Umfeld „Bibliothek“ zusammenfinden sollten, um
arbeiten zu können. Es bedurfte klarer Anweisungen meinerseits zur Sitzordnung, so
dass die Selbstständigkeit der Schüler noch zu wünschen übrig lässt. In diesem neuen
Kontext der Bibliothek waren sie zunächst völlig verloren und konnten die bisher
eingeübte Sitzordnung zur Förderung der Face-to-Face-Interaktion nicht übertragen.
Die Elemente persönliche Verantwortung und positive gegenseitige Abhängigkeit
waren zu Beginn des Projektes kaum vorhanden und konnten im Verlauf der
259
86
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 266.
einzelnen Phasen nur geringfügig ausgebaut werden, obwohl diese im Unterrichtsgespräch immer wieder thematisiert wurden. So fehlten gerade für eine 5e viel zu
häufig die Hausaufgaben260 oder sie wurden nur zum Teil beziehungsweise sehr
oberflächlich gelöst, so dass die Teams nicht ordentlich arbeiten konnten. Dies
verdeutlicht ebenfalls eine negative Haltung der Arbeit und der Schule gegenüber.
Nach der zweiten Phase gab auch ein Schüler an, das Sozialziel seines Partners, an
dem gemeinsam gearbeitet werden sollte, nicht einmal gekannt zu haben. Da sich die
Situation in der dritten Phase besserte, scheint es also doch langsam zu einem
Umdenken bei den einzelnen Schülern gekommen zu sein, so dass sie sich ihrer
Verantwortung und der gegenseitigen Abhängigkeit im Team zumindest ansatzweise
bewusst wurden.
Ein weiteres Problem war, dass einige Schüler vor allem in den ersten beiden Phasen
immer wieder ihre Vorlage für das Placemat verloren oder nicht ausgeschnitten
hatten. Somit kam es in deren Teams häufig zu Zeitverlust, so dass sie die Aufgaben
nicht in der vorgegebenen Zeit lösen konnten. Die Teampartner waren dementsprechend frustriert. Die Übeltäter schämten sich allerdings auch keineswegs, ihre
oftmals mangelhaften Arbeiten abzugeben. Einige Schüler konnten insbesondere in
der ersten Phase die Teamergebnisse in den Vorstellungsphasen auch nur mäßig gut
präsentieren, so dass der Teampartner eingreifen musste. In der vierten Phase kam es
dann bei der Präsentation der einzelnen Textsorten erneut in einigen Teams zu
katastrophalen Vorträgen. Diese wenigen Schüler haben sicherlich nicht verstanden,
dass sie eine Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess sowie den der anderen
tragen und dass eine positive gegenseitige Abhängigkeit zwischen den einzelnen
Teampartnern besteht. Dies besserte sich zwar im Verlauf des Projektes, war
allerdings für eine 5e oftmals nicht zufriedenstellend.
Die Anbahnung der positiven gegenseitigen Abhängigkeit über einen Gruppennamen
verlief von Anfang an sehr gut, da sich die Schüler begeistert daran machten, sich
Teamnamen auszudenken und sich oftmals dann auch gegenseitig mit diesen
ansprachen.261 Entgegen meiner Befürchtungen war ihnen dieses Vorgehen offensichtlich nicht zu kindisch, so dass ich dieses in den weiteren Phasen des Projektes
beibehielt. Die gemeinsame Identität und das Zusammengehörigkeitsgefühl zeigte
260
261
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 7. 267.
Zur Zusammensetzung der Gruppen und zur Namensgebung, siehe Anhang 2, S. 130-131.
87
sich auch dahingehend, dass einige Teams sich das Aufschreiben der gemeinsamen
Lösung teilten, so dass jeder einen Teil niederschrieb.262
Die Teams funktionierten laut Schülerrückmeldungen und meinen eigenen Beobachtungen zufolge generell sowohl im Zweier- als auch im Viererteam gut, wobei
die Zusammenarbeit in mit selbst gewählten Partnern gering besser bewertet wurde,
als die Zusammenarbeit mit „Zufallspartnern“. In der vierten Phase arbeiteten die
Schüler eigenen Angaben zufolge erstmals auch mit dem „Zufallspartner“ genauso
gut zusammen, wie mit denen von ihnen selbst gewählten Partnern.263 Die Schüler
begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Sozialkompetenzen gut umgesetzt
wurden, ein gutes Arbeitsklima im Team herrschte, man sich immer auf eine
gemeinsame Lösung einigen konnte und das Endprodukt immer besser war als die
Einzelarbeiten. Zudem mochten sie es, wenn sie gute Ergebnisse erzielten und zudem
noch Spaß hatten. Nach der dritten Phase wurde mehrfach besonders positiv
hervorgehoben, dass die Hausaufgaben und das Material nun immer da waren und
man sich aufeinander verlassen konnte.
Die Bewertung des Zusammengehörigkeitsgefühls in den einzelnen Teams264 entspricht konsequenterweise der Bewertung der Zusammenarbeit im Team. Diese
Einschätzung begründeten die Schüler generell damit, dass sie sich für das
Endprodukt mitverantwortlich fühlten und erkannten, dass man nur voran kommt,
wenn alle ihre Aufgaben sorgfältig erledigen. Einige notierten auch, dass sie ein
schlechtes Gewissen hätten, wenn die Hausaufgabe fehlt. Zwei Schüler brachten die
Aspekte „persönliche Verantwortung“ und „positive gegenseitige Abhängigkeit“
schön auf den Punkt, indem sie anmerkten, dass man sich in einer absoluten
Abhängigkeit voneinander befinde, da wenn einer die Aufgaben nicht habe, alles
schief gehe. Einer allein schaffe die Aufgaben nicht, so dass man zusammenarbeiten
müsse. Eine andere Schülerin hatte Angst davor, den Partner zu enttäuschen und
genoss die gemeinsame Freude, wenn eine Aufgabe gelang. Eine weitere Schülerin
wollte ebenfalls nicht für ein schlechtes Abschneiden des Teams verantwortlich sein.
Zudem gefiel vielen, dass man sich gegenseitig helfen und unterstützen konnte.
Dennoch machte ich die Feststellung, dass die Schüler oft dazu neigten, sich bei
262
Ein Beispiel hierfür ist das Team „LEGO“ um die Schülerin A in der Partnerarbeit 1 b).
Für einen tabellarischen Überblick, siehe Anhang 7, S. 267, 269.
264
Für einen tabellarischen Überblick, siehe Anhang 7, S. 269.
263
88
Problemen sofort an die Lehrkraft zu wenden, anstatt diese im Team zu besprechen,
so dass ich sie jedes Mal auf ihre Partner verweisen musste.
Nach den einzelnen Phasen setzten sich die Schüler jedes Mal sehr ähnliche Ziele.
Hierzu gehörte, dass man die Hausaufgaben (ernsthafter) zu machen, mehr positives
Feedback geben und besser bei der Aufgabe bleiben wolle. Die Wünsche an den
Partner waren nach nahezu jeder Phase identisch. So wurde formuliert, dass der
Partner seine Hausaufgaben (sorgfältiger) machen und auch mitbringen sowie besser
bei der Aufgabe bleiben solle.
Des Weiteren merkten wenige Schüler an, dass der Partner bei der Verbesserung des
eigenen Sozialziels sehr gut mitgearbeitet habe und auf Fehlverhalten hingewiesen
habe. Ein Schüler notierte sogar, dass die Fortschritte des Partners ihn dazu
angespornt hätten, sich selbst ebenfalls zu verbessern. Die meisten schätzten die Hilfe
des Partners bei der Verbesserung des Sozialziels eher als „mäßig“ ein. Das eigene
Verdienst bei der Verbesserung des Sozialziels bewerteten die meisten Schüler jedoch
nur als „mäßig“265. Somit schätzen die Schüler ihren Beitrag vermutlich als weniger
hoch ein, als er denn tatsächlich ist. Dies habe ich ihnen dann im Unterrichtsgespräch
auch versucht zu verdeutlichen. Man muss jedoch auch anmerken, dass ein Team in
der zweiten Phase (Team „Majo“) überhaupt nicht funktionierte, da es kurz vor der
Zusammenarbeit zu einem heftigen Streit zwischen beiden Schülern kam. Beide
konnten diese Differenzen in der Klasse nicht beilegen, so dass ich immer wieder
eingreifen musste.
Ich selbst hatte bei meinen Beobachtungen den Eindruck, dass der Zusammenhalt der
Vierer-Teams größer war als der der Zweierteams. Bisher neigten die Zweierteams
immer dazu, sich nach den anderen Teams umzusehen. Dies ließ mit der Bildung von
Vierergruppen stark nach. Meine Beobachtung wird durch die Evaluationsbögen der
Schüler bestätigt.266 Die Schüler begründeten ihre Entscheidung mit den besseren
Resultaten und dem größeren Spaßfaktor. Positiv wurde auch bewertet, dass es in
einem Viererteam zu mehr Austauschmöglichkeiten komme und auch mehr Ideen
entstehen würden. Ein Schüler merkte jedoch auch kritisch an, dass es eventuell
ebenfalls mit dem behandelten Thema zusammenhänge. Die Zusammenarbeit wurde
zudem durch die unterschiedlichen Rollen erleichtert, da jedes Gruppenmitglied
265
266
11 Schüler.
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 265.
89
genau wusste, was es zu tun hatte. Einige Teams notierten auf dem Placemat sogar
immer, wer welche Rolle übernommen hatte.267
Das Ausfüllen von Evaluationsbögen, also die Evaluation und Reflexion, war nahezu
allen Schülern unbekannt. Sie taten sich gerade zu Beginn schwer damit und es schien
ihnen häufig lästig, obwohl ich Unterrichtszeit dafür zur Verfügung stellte. Nur
wenige Schüler füllten den Bogen sorgfältig aus. Sie zeigten sich im Verlauf der
einzelnen Phasen zunehmend offener für eine Reflexion über ihre Leistungen und ihr
Verhalten, da sie ausführlicher darüber diskutierten und zum Teil auch ausführlicher
begründeten. Einige wenige jedoch verweigerten sich auch in der vierten Phase noch
teilweise, indem sie ihre Aussagen in den Evaluationsbögen nicht begründeten. Wie
erhofft kam es in den mündlichen Reflexionsgesprächen zu Kritik seitens der Schüler,
wie zum Beispiel, dass sie sich bei der letzten Partnerarbeit der dritten Phase mit
niemandem absprechen konnten, bevor sie in die Austauschphase gingen, so dass ich
ganz natürlich auf die Vorteile des Gruppen-Experten-Rallye verweisen und so in die
3. Phase überleiten konnte.
Des Weiteren ist auffällig, dass die Schüler zwar die Methoden sowie die Partnerarbeit als positiv einschätzen, ihre Leistungen, insbesondere in der Klassenarbeit,
jedoch schlecht sind. Sie erkennen ganz offensichtlich keinen Zusammenhang
zwischen ihrem Verhalten und ihren Resultaten bzw. können praktisch nichts dagegen
tun. Dies bestätigt ebenfalls die bisher gemachte Beobachtung, dass die Schüler zwar
im Unterricht mitarbeiten und insbesondere während der Kooperativen Phasen aktiv
sind, sie jedoch zu Hause nicht (genau genug) lernen und wiederholen. Es fehlt ihnen
oftmals an Konzentration und Ernsthaftigkeit. Im Unterrichtsgespräch wurden die
Schüler darauf hingewiesen, dass viele unter ihnen ihre Einstellung der Arbeit
gegenüber grundlegend ändern müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Reflexionsbögen deutlich zeigen, dass die
Schüler theoretisch verstanden haben, was von ihnen verlangt wird und was sie tun
können, um sich zu bessern. Sie wissen beispielsweise im Prinzip, dass sie ihre
Hausaufgaben machen, zusammenarbeiten und im Hinblick auf die Präsentation der
Gruppenergebnisse gut aufpassen müssen, damit das Team, und damit auch sie selbst,
erfolgreich sind. Doch verdeutlicht ihr tatsächliches Verhalten, dass sie ihre
Überlegungen in der Praxis nicht umsetzen können, da beide Elemente für sie offen-
267
90
So beispielsweise alle Teams der drei untersuchten Schüler in der Gruppenarbeit 1 c).
sichtlich nur schwer greifbar sind. Somit stellt sich die Frage, warum dann in der
Praxis nicht dem Theoriewissen entsprechend gehandelt wurde. Vermutlich müssen
die Schüler die Erfahrungen der gegenseitigen Abhängigkeit und der persönlichen
Verantwortung über einen längeren Zeitraum machen und reflektieren, um ihr
Handeln dementsprechend zu verändern. Es ist sicherlich auch sinnvoll und
notwendig, sich die Zeit zu nehmen, den Schülern die Elemente der „persönlichen
Verantwortung“ und „positiven gegenseitigen Abhängigkeit“ gleich zu Beginn ganz
praktisch und anschaulich näher zu bringen, indem man im Vorfeld der
Unterrichtsreihe kleine Übungen hierzu durchgeführt hätte. Denkbar wäre, dass die
Schüler eines Teams zum Beispiel gemeinsam einen Turm bauen müssen, ohne sich
dabei zu unterhalten.
VI. 6. 2) Fachliche Ziele
Die Auswertung der Fachkompetenzen erfolgt auf Grundlage der Schülerproduktionen und der Klassenarbeiten. Um eine Entwicklung nachvollziehen zu
können, habe ich drei Schüler ausgewählt, die ich im Verlauf des gesamten Projektes
besonders beobachten und deren Arbeiten ich beispielhaft auswerten werde. Es
handelt sich hierbei einmal um eine sehr ruhige und ernsthafte Schülerin (A), um
einen Schüler, der die Klasse wiederholt (B)268 und um einen mittelmäßigen Schüler
(C), der im Unterricht jedoch sehr gut mitarbeitet.269
Insgesamt zeichnen sich die Schülerproduktionen und die Klassenarbeiten viel zu
häufig durch Unvollständigkeit, Ungenauigkeit und mangelnde Tiefgründigkeit aus,
was im Verlauf der einzelnen Phasen nicht wesentlich verbessert werden konnte.
Bereits die erste Partnerarbeit (PA 1 a) zu den Sozialkompetenzen offenbarte die
genannten Mängel, denn die Schüler hatten oftmals Schwierigkeiten, präzise
Indikatoren für die ihnen zugeteilte Sozialkompetenz zu benennen. Es wurden
beispielsweise häufig nur Stichworte genannt, die nicht erläutert wurden oder in
keinem Zusammenhang mit der zu untersuchenden Kompetenz standen. Demnach
war den Schülern die Umsetzung der jeweiligen Kompetenz nicht so klar, wie sie
glaubten. So notierte der Teampartner des Schülers C zur Kompetenz „angemessene
Lautstärke“ folgende Indikatoren zur non-verbalen Kommunikation: „nicht
268
Da Schüler B häufig keine Hausaufgaben dabei hatte (PA 1 a, c / PA 2 a, c / GA 3 a), wird er in der
Analyse der Schülerproduktionen weniger berücksichtigt.
269
Für einen Überblick über die Zusammensetzung der Teams in den einzelnen Phase, siehe Anhang 2,
S. 130-131.
91
schlagen“, „gut mitarbeiten“, „die Zeit im Auge behalten“, „sauber schreiben“.
Schüler C hingegen notierte zum Teil präzisere und passendere Indikatoren.270 Eine
besserere Arbeit lieferte als eine der wenigen Schülerin A ab. Auch sie arbeitete mit
Stichworten, doch sind diese präziser und passen zu der bearbeiteten Kompetenz „bei
der Aufgabe bleiben“.271
Die Beobachtungen verdeutlichen klar, dass die Kompetenz Leseverstehen zu Beginn
des Schuljahres nur zufriedenstellend entwickelt war und auch nicht wesentlich
verbessert werden konnte. Während die Schüler Lesefertigkeiten durchaus beherrschten, da sie problemlos ausgewählte, dem Alter und der Jahrgangsstufe
angepasste Texte in Form von Kurzgeschichten, dem Roman „Der Richter und sein
Henker“ und journalistischen Textsorten in angemessener Zeit still lesen und sowohl
global als auch in vielen Einzelheiten verstehen konnten.
Die Lesetechniken bereiteten ihnen größere Probleme. Diese wurden zwar im Verlauf
des Projektes immer wieder gefördert, doch blieben sie allgemein eher
zufriedenstellend. Insbesondere das suchende Lesen konnte nur mäßig trainiert
werden, da den Schülern das oftmals notwendige Fachwissen hierfür häufig fehlte.
Sie beherrschten den gelehrten Unterrichtsstoff und die deutsche Sprache
(Grammatik, Rechtschreibung, Ausdruck, Aufbau von Antworten) oft nicht gut
genug, um gezielt nach Fehlern oder bestimmten Phänomenen suchen zu können. So
war die zweite Partnerarbeit zum Konjunktiv II (PA 1 b) dadurch geprägt, dass viele
Schüler die Verblisten zum Konjunktiv II nicht gelernt hatten und somit die Formen
nicht kannten sowie nicht korrekt anwenden konnten.272 Zudem waren gar bei fünf
Teams Fehler in den Beschreibungen enthalten, die so nicht von den Schülern
vorgesehen waren und auch nicht vom Teampartner verbessert wurden.273 Andere
Teams hielten sich einfach nicht an die Arbeitsanweisungen, so dass der Teamname
nicht genannt wurde, die Arbeit wie bei Team „Mesh Numbeldore“ keinen
abschließenden Satz zur Partnerarbeit enthielt oder die Fehler zwar unterstrichen, aber
nicht berichtigt wurden. Dementsprechend konnte der Kompetenzbereich Über die
270
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 241.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 242.
272
So auch Schüler B: „So fanden wir viele merkwürdige, außerordentliche und ungewöhnliche
Tiere.“ oder „Ich würde ein paar Freunde mitnehmen auf das U-Boot.“ Schülerin A notierte: „Ich
würde Steine untersuchen und würde Proben nehmen.“
273
Schüler C: „... in einem Fahrzeug, mit dem man so weit wie es nur geht untertauchen könne ...“ /
„... man könnte so lange unter Wasser bleiben, wie man nur wolle ...“.
271
92
Sprache und den Sprachgebrauch nachdenken274 ebenfalls nicht wie geplant gefördert
werden. Insgesamt lieferten nur die Teams „Tati-Mati“ mit dem Schüler B und das
Team „LEGO“ mit der Schülerin A gute Arbeiten ab. Das Fehlen der Hausaufgabe
bei der Partnerarbeit (PA 1 a) und die damit verbundenen Konsequenzen für das
Team schienen zunächst einmal auf Schüler B gewirkt zu haben. Erstaunlicherweise
konnte Schülerin A die gute Leistung in der abschließenden Klassenarbeit jedoch
nicht bestätigen, da diese mangelhaft war. Schüler B hatte das schlechteste Ergebnis
der drei untersuchten Schüler, Schüler C hingegen erreichte die Hälfte der Punkte. Die
Resultate können nur auf eine fehlende Vorbereitung und eine mangelnde
Konzentration zurückzuführen sein.
Das Aktivieren von Vorwissen und vor allem auch das Anstellen inhaltsbezogener
Hypothesen bereitete den Schülern durchweg größere Probleme. Gleich in der zweiten
Phase (PA 2 a) gelang es den meisten kaum, den Titel „Der Schmarotzer“ mit Hilfe
ihres Vorwissens sinnvoll zu erklären und auf Basis dieser Überlegungen Hypothesen
zum Inhalt der Kurzgeschichte anzustellen. In diesem Sinne kamen nur wenige gute
Schülerarbeiten zustande. Schüler C ist hierfür ein Beispiel, denn er erklärt den
Begriff Schmarotzer überhaupt nicht und bezieht sich auch nicht auf die Kurzgeschichte.275 Schülerin A hingegen zeigt ein gutes Vorgehen, da sie den Begriff
„Schmarotzer“ erklärt und dann auch sinnvoll in einen Zusammenhang mit dem Inhalt
der Kurzgeschichte bringt.276 In der vierten Phase sollten die Schüler dann erneut
inhaltsbezogene Hypothesen, diesmal zu einem Zitat zum Zeitungswesen (GA 4 a),
anstellen und somit auch erschließendes Lesen üben. Die Ergebnisse dieser Arbeit
waren immerhin besser, doch überwiegend immer noch nur zufriedenstellend.
Schülerin A setzte die Kompetenz etwas weniger gut um als zum Titel der
Kurzgeschichte, denn sie begreift das Zitat von Axel Springer277 nicht gänzlich und
umschreibt es im Grunde nur, anstatt eine präzise Aussage zu formulieren.278 Die
gemeinsame Lösung ihres Teams („ice-cream“) ist zwar umfangreicher, lässt den
Aspekt der Einflussnahme der Zeitungen auf die Meinungsbildung der Bevölkerung
aber ebenfalls nicht erkennen.279 Die Deutung des Zitats „Die Presse ist der
Zahnstocher der Nation“ von Roberto Benigni durch Schüler C ist nicht
274
Kompetenz Schreiben.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 245.
276
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 245.
277
„Wahr ist, was morgen in der Zeitung steht.“
278
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 252.
279
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 252.
275
93
zufriedenstellend, da konfus und oberflächlich. Er schafft es absolut nicht, die
Aussage des ihm zugeteilten Zitats präzise zu erfassen, kann also keine inhaltsbezogenen Hypothesen anstellen.280 Die gemeinsame Lösung des Teams „No Name“
kann ebenso kaum überzeugen, denn dass die Presse ebenfalls Missstände aufzeigt,
kommt den Schülern nicht in den Sinn.281 Schüler B hingegen erfasst das ihm
zugeteilte Zitat von Saul Bellow282 besser, indem er die Aussage des Zitats präzise
wiedergibt. Die Lösung seines Teams ist auch gut, da sie seine Überlegungen
aufgreift. In seinem Fall scheint die Kompetenz weiter entwickelt zu sein.283 Er kann
offensichtlich insgesamt gute Leistungen erbringen, so lange er sich nicht vorbereiten
muss.
Im Bereich „Leseverstehen“ hatten die Schüler ebenfalls größere Probleme damit, den
Aufbau eines fiktionalen Textes zu erkennen und jeden Gliederungspunkt in einem
Satz zusammenzufassen. Insofern muss das genaue Lesen unbedingt weiter gefördert
werden. Da die Fähigkeiten in der zweiten Phase (PA 2 b), als die Schüler den Aufbau
der Kurzgeschichte „Der Schmarotzer“ untersuchten, die Geschichte gliederten und
jeden Abschnitt in einem Satz zusammenfassen sollten, mittelmäßig umgesetzt
wurden, steigerte ich den Anspruch in der dritten Phase (GA 3 a). Bei der Analyse der
Kurzgeschichte fasste Schülerin A die Sinnabschnitte präzise und knapp zusammen
und orientierte sie sich bei der Gliederung des Textes zwar an Abschnitten, jedoch
nicht an den Figuren, also dem Perspektivewechsel.284 Da Schüler B keine komplette
und der dritte Teampartner überhaupt keine Hausaufgabe hatte, kämpfte das Team
„Die Fantastischen Drei“ mit dem Problem, dass lediglich eine komplette Hausaufgabe vorhanden war. Die gemeinsame Lösung des Teams zeigt einen sehr guten
Anfang, da nun richtige Einteilungen vorgenommen wurden, die sich am Perspektivwechsel orientierten. Des Weiteren sind die Zusammenfassungen (inhaltlich) gelungen. Ab Zeile 40 stimmt die Einteilung dann allerdings nicht mehr. An diesem
Punkt endet ebenfalls die Einzelarbeit von Schüler B, so dass offensichtlich nur noch
die Vorlage von Schülerin A zur Verfügung stand. Es folgen auch kaum noch
Zusammenfassungen der Abschnitte, was vermutlich auf ein Zeitproblem schließen
lässt. Immerhin hat das dritte Teammitglied dann den gemeinsamen Lösungs280
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 252.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 252.
282
„Das Problem der Zeitungsberichterstattung liegt darin, dass das Normale uninteressant ist.“
283
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 252.
284
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 246, 247.
281
94
vorschlag notiert, um ebenfalls etwas zum gemeinsamen Produkt beizutragen. Dies
lässt zumindest auf ein Minimum von Verantwortungsgefühl für das Team
schließen.285 Schüler C zeigte in seiner Einzelarbeit ebenfalls gute Ansätze, da auch
ihm die Gliederung gelang. Die Zusammenfassungen sind jedoch weniger gelungen,
da ungenauer.286 Als die Schüler in der dritten Phase die gleiche Kompetenz dann bei
einem umfangreicheren literarischen Text, nämlich den Roman „Der Richter und sein
Henker“, anwenden sollten (GA 3 a), offenbarten sich doch größere Schwächen. Kein
Team schaffte es, die wesentlichen Geschehnisse herauszuarbeiten sowie das
jeweilige Hauptgeschehnis kurz und knapp im Nominalstil zusammenzufassen und zu
formulieren. Demnach hatten die Schüler insgesamt Probleme damit, die Einzelheiten
der Handlungen des Romans richtig zu verstehen und sie in eine Chronologie zu
bringen. So notiert Schüler B beispielsweise: „Tschanz will in der Nacht Schmieds
Mappe von Bärlach stehlen, die jedoch vorher von Gastmann mitgenommen wurde.“
In der Modelllösung wurde beispielsweise nur „Tschanz’ Attentat auf Bärlach“
notiert. Auch achteten viele Teams nicht auf die zeitliche Reihenfolge, so dass sie die
Wette in der „Gastmann-Geschichte“ nicht an erster Stelle notierten. Positiv zu
bewerten ist jedoch, dass dennoch alle Teams versuchten, die Aufgabe zu lösen und
auch richtige Aspekte notierten. Wahrscheinlich gerade wegen der Schwierigkeiten
im Unterrichtsgespräch zeigten sie sich sehr interessiert und arbeiteten mit. Alle
Einzelarbeiten der drei ausgewählten Schüler zeigten auch nach der ersten Austauschphase Merkmale von Überarbeitungen auf, die jedoch oftmals wenig sinnvoll waren.
An diesem Punkt wird sicherlich noch gearbeitet werden müssen.
Die Schüler wiesen zunächst im Kompetenzbereich „Literarische Texte verstehen“
größere Mängel auf. Die meisten Schüler schafften es somit nicht, die Merkmale der
Textsorte Kurzgeschichte am Text nachzuweisen und die sprachlichen und inhaltlichen Einzelbeobachtungen zu einer Gesamtdeutung des Textes zusammenzuführen
(PA 2 c). Die Antworten blieben häufig oberflächlich und nichtssagend. In dem Team
„Die Fantastischen Drei“ hatte nur Schülerin A eine zufriedenstellende Hausaufgabe
vorzuweisen, da sie die Merkmale präzise benennt und auch mit konkreten Textbeispielen benennt.287 Die gemeinsame Lösung des Teams war jedoch nicht ausreichend. Das Team hat lediglich die Einzelarbeiten der Teampartner aneinander
285
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S.246, 247.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 246, 247.
287
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 248.
286
95
gereiht, so dass es zu keinem Austausch gekommen ist. Der Teil von Schüler B fehlt
völlig.288 Die Arbeit des Teams „Die Fantastischen Drei“ wurde dementsprechend
auch mit mangelhaft bewertet (7/20). Die Einzelarbeit von Schüler C ist absolut
mangelhaft und wurde vermutlich noch schnell vor Unterrichtsbeginn notiert, denn sie
besteht aus gerade mal zwei Sätzen.289 Obwohl die Einzelarbeit der Teampartnerin
besser, aber auch nicht überragend ist, enthält die gemeinsame Lösung der beiden
doch sehr gute Ansätze, so dass es in diesem Team nachweislich zu einer Kooperation
gekommen ist. Die Arbeit gehört zu einer der besseren (11/20). Die beste gemeinsame
Lösung dieser Arbeit stammt von Team „Jamaica“. Die Antwort zeigt gute Ansätze,
da die Merkmale möglichst genau genannt und mit Beispielen illustriert werden.290 In
der dritten Phase (GA 3 c) wurde die Fertigkeit sprachliche und inhaltliche
Einzelbeobachtungen zu einer Gesamtdeutung des Textes zusammenführen erneut
gefördert, indem die Schüler das Verhalten der Hauptfiguren Bärlach und Tschanz
während der sogenannten Henkersmahlzeit in Dürrenmatts „Der Richter und sein
Henker“ analysierten. Diese Aufgabenstellung wurde von allen Teams gut gelöst, da
die Schüler recht präzise vorgingen, sie also das suchende Lesen nun besser umsetzen
konnten sowie sprachliche und inhaltliche Einzelbeobachtungen nun auch besser zu
einer Gesamtdeutung zusammentragen konnten. Schülerin A und Schüler B verfassten
beispielsweise Einzelarbeiten zu Tschanz’ innerer Verfassung. Schülerin A verwendet
zahlreiche treffende Ausdrücke und sie arbeitet Tschanz Verzweiflung gut heraus. Die
Steigerung dieser Verzweiflung wird sogar ansatzweise erkennbar. Positiv ist auch
der abschließende zusammenfassende Satz. Leider fehlen jedoch konkrete Beispiele
aus dem Text.291 Die gemeinsame Antwort des Teams „Glücksbringer“ ist erneut
besser, da sie sich stärker auf die genannten Buchseiten bezieht. Die Charakterisierung der handelnden Figur Tschanz ist gelungen, eine Entwicklung im Ansatz
erkennbar.292 Schüler B hingegen bezieht sich stärker auf den Kontext, arbeitet aber
weniger genaue Aussagen heraus und Tschanz’ zunehmende Verzweiflung wird auch
nicht deutlich.293 Die gemeinsame Lösung des Teams „Jumkees“ ist wie beim
vorherigen Team ebenfalls genauer, da die in den zu untersuchenden Buchseiten
288
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 248.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 248.
290
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 249.
291
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 250.
292
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 250.
293
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 250.
289
96
angelegte Steigerung herausgearbeitet wird.294 Schüler C verfasste mit seinem Team
„Black Cops“ die Charakterisierung Bärlachs. Auch in diesem Fall ist die Arbeit des
Schülers C aufgrund von Begriffen und Formulierungen wie „lebensvoll“ oder „er ist
in seinem Element“ viel ungenauer und oberflächlicher als die gemeinsame Lösung
des Teams.295 Dennoch konnte die Kompetenz Leseverstehen in diesem Bereich
offensichtlich weiterentwickelt werden. Die Resultate der Klassenarbeit zur
Kurzgeschichte (Phase 2) sind durchwachsen und stützen die Beobachtungen während
der Unterrichtsstunden. Schülerin A und Schüler B erreichten lediglich zufriedenstellende Resultate, während Schüler C nicht einmal die Hälfte der Punkte
erreichte.296
Das Verstehen, das Reflektieren und das kritische Einschätzen von Sachtexten
konnten die Schüler recht gut umsetzen. Die angestrebten Kompetenzen konnten
sicherlich aufgrund der guten Arbeitsergebnisse der Teams gefestigt werden und es
fand offensichtlich ein Wissenstransfer statt. Die Teams schafften es durchaus, im
Vorfeld kennen gelernte Fachbegriffe zur Untersuchung medial vermittelter Texte
richtig anzuwenden und zu verstehen (GA 4 b, c). So verstanden die Teams Begriffe
wie „Layout“, „Aufmacher“, „Sparten / Ressorts“ und konnten die Analysekriterien
ohne Nachfrage einsetzen. Es gelang ihnen auch, für die Analyse selbst auf die
jeweiligen Fachbegriffe zurückzugreifen. Sie konnten ebenfalls die wesentlichen
Gestaltungsmittel der klassischen Tageszeitung und der Boulevardzeitung benennen
sowie einen Zusammenhang zwischen Inhalt und Form herstellen und deutlich
machen. Dadurch, dass die Schüler Informationen aus zwei unterschiedlichen
Zeitungstypen zusammentragen mussten, um den Vergleich zwischen der Süddeutschen Zeitung und der Bildzeitung herstellen zu können, gelang es ihnen auch,
Informationen miteinander zu verknüpfen und Zusammenhänge zwischen den beiden
Zeitungen herzustellen, um eine Gegenüberstellung anfertigen zu können. Das Team
„ice-cream“ um Schülerin A arbeitete genau.297 Auch die Arbeit des Teams „Wonder
Pets“ um Schüler B zeigte gute Ansätze.298 Den meisten Teams gelang es, sprachlichstilistische Gestaltungsmittel aufzuzeigen, doch gingen sie meist nicht auf ihre
294
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 250.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 251.
296
Siehe Anhang 6 Evaluation (Tabellarische Übersicht), S. 272.
297
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 253, 254.
298
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 254.
295
97
Wirkungsweisen ein und es fehlte oftmals an Beispielen.299 Insgesamt arbeiteten die
Schüler aktiv und sehr motiviert mit. Insbesondere die Analyse der BILD-Zeitung
begeisterte und interessierte die Klasse.
Bei der Arbeit mit journalistischen Textsorten wie der Nachricht, dem Bericht, der
Reportage, dem Kommentar, der Glosse oder der Rezension zeigten die Schüler die
kaum Probleme bei der Unterscheidung, ob ein Text nun sachlich berichtet und
informiert oder ob Meinungsbildung betreibt. Sie konnten die einzelnen journalistischen Darstellungsformen auch problemlos unterscheiden und bewerten (GA 4
c). Als der Anspruch dann jedoch gesteigert wurde, indem die Schüler die Merkmale
der Textarten Bericht, Interview, Reportage oder Kommentar am Text herausarbeiten
mussten, taten sie sich wesentlich schwerer. Die Arbeiten zu den Textsorten (GA 3 c)
waren inhaltlich katastrophal. Zahlreiche Expertengruppen hielten sich beispielsweise
nicht an die Anweisungen auf dem Angabenblatt. Es scheint so, als ob sie den
Arbeitsauftrag gar nicht oder nicht gründlich gelesen hätten. So glaubten einige
Teams, jedes Gruppenmitglied müsse ein Handout erstellen. Insbesondere die
Expertengruppe zur Reportage um Schüler C hatte große Probleme, die Merkmale
herauszuarbeiten, so dass das Handout fehlerhaft und nicht komplett war. Sie taten
sich schwer damit, die Merkmale der Textsorten Interview und Reportage
voneinander zu unterscheiden. Ich werde beide Textsorten in der Tat auch nicht mehr
miteinander vermischen, da sie oftmals ähnliche Merkmale enthalten. Die Textbeispiele passten auch nicht immer beziehungsweise notierten die Schüler
Textbeispiele, wo gar keine verlangt waren. Die Reihenfolge im Aufbau war ebenfalls
fehlerhaft und sie übernahmen Elemente, die keinen Sinn ergaben.300 Das Handout
der Expertengruppe „Interview“, der die Schülerin A und der Schüler B angehörten,
ist inhaltlich besser als die Arbeit zur Reportage, da korrekter, doch ist auch diese
Arbeit nicht vollständig. So wurden Merkmale gar nicht oder nicht vollständig
übernommen. Andere Analysekriterien wie „Umfang“ waren nicht verlangt. Auch
dieses Team notierte, entgegen der Angaben im Arbeitsauftrag, ein Textbeispiel zum
Inhalt.301 In diesem Sinne gelang es den Schülern vermutlich auch nicht immer, die in
der vorbereitenden Hausaufgabe gestellten Fragen zum Aufbau, zum Inhalt, zur
Sprache und zur Wirkungsabsicht des Textes zu beantworten.
299
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 254.
Eine detaillierte Analyse der Schülerarbeit findet sich im Anhang 5, S. 255, 256.
301
Eine detaillierte Analyse der Schülerarbeit findet sich im Anhang 5, S. 257, 258.
300
98
Da alle Arbeiten, bis auf das Handout zur Textsorte „Kommentar“, kaum zufriedenstellend, da fehlerhaft und nicht komplett, waren, habe ich mich dazu entschlossen,
die Handouts in einer zusätzlichen Stunde zu kommentieren und zu berichtigen. Die
Schüler mussten sich selbständig ergänzende und berichtigende Notizen machen.
Diese Unterrichtsstunde bot ich, aufgrund fehlender Zeit, in einer Mittagspause an. Es
kamen tatsächlich auch alle Schüler der Klasse, doch brachten zwei nicht einmal ihre
Unterlagen mit. Dies reflektiert doch dramatisch die Einstellung einiger Schüler zur
Arbeit und zur Schule. Es wäre besser gewesen, wenn ich alle Handouts eingesammelt und kommentiert hätte. Im Anschluss hätte ich den Schüler noch einmal
Zeit geben können, um die Handouts zu überarbeiten und dann erst in die
Stammgruppen zu gehen. Die Kritik wurde ebenfalls von einigen Schülern geäußert.
Dieses Vorgehen hätte die Qualität der Handouts sicherlich stark verbessert und den
Lernzuwachs der Schüler ebenfalls vergrößert, allerdings wäre die Arbeit dann
wiederum vom Lehrer gemacht worden. Um das Gelernte dieser kooperativen Phase
weiter zu festigen, mussten die Schüler in Einzelarbeit einen Artikel aus einer Zeitung
ausschneiden, situieren und die Merkmale am Text herausarbeiten. Die anderen
Arbeiten waren zufriedenstellend, was mich aufgrund der schlechten Hand-outs
überraschte, so dass die angestrebten Kompetenzen doch entwickelt werden konnten.
Die meisten Schüler wählten einen Bericht oder ein Interview, da bei diesen die
Merkmale am einfachsten zu finden und zu erkennen sind.
Schülerin A wählte einen Artikel aus dem Luxemburger Wort vom 4. Februar 2012:
„Weiterhin Extremkälte in Europa“. Sie erkannte richtig, dass es sich bei dem Artikel
um einen Bericht handelt, und sie konnte auch die Merkmale nennen sowie mit
Textbeispielen belegen. Allerdings scheiterte sie am Umschreiben sowie am
Verfassen einer zusammenhängenden, strukturierten Antwort, da sie stark mit Stichworten arbeitete. Insgesamt gehört die Arbeit jedoch zu den besten.302
Schüler C wählte ebenfalls einen Bericht („"Lizenz zum Töten" für Assad“) aus dem
Luxemburger Wort vom 6. Februar 2012. Er schaffte es noch weniger, einen
zusammenhängenden Text zu verfassen, arbeitete nur mit Stichworten und mit
wenigen konkreten Beispielen.303 Schüler B hat keine Aufgabe abgegeben. Die abschließende Klassenarbeit zu den journalistischen Textsorten bestätigt die Beobachtungen aus den kooperativen Phasen. Das Leseverstehen ist insgesamt bei den
302
303
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 258.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 259.
99
meisten Schülern der Klasse lediglich zufriedenstellend entwickelt, wobei Schülerin
A mit Abstand am besten abschneidet, Schüler B ein miserables Ergebnis erzielt und
Schüler C knapp die Hälfte der Punkte erreicht.304
Die Kompetenz Sprache gebrauchen und Sprache untersuchen, die in Form einer
Wiederholung des Stoffes der 6. Klasse gefördert werden sollte, blieb mangelhaft.
Wie bereits dargestellt schafften es die Schüler nicht wirklich, Verben im Konjunktiv
zu erkennen und anzuwenden (PA 1 b). Das Umwandeln der wörtlichen Rede in die
indirekte Rede verlief in der Partnerarbeit (PA 1 c) besser als die Partnerarbeit zum
Konjunktiv II, so dass sich die Schüler offensichtlich langsam an die Vorgehensweise
gewöhnten. Sechs Teams lieferten sehr gute Arbeiten ab, in denen in der Endlösung
nur ein Fehler oder überhaupt kein Fehler mehr zu finden war. Hierzu zählen die
Arbeit der Schülerin A sowie der gemeinsame Lösungsvorschlag des Teams
„LEGO“.305 Dann gab es noch zwei mäßige Arbeiten, darunter die Arbeit des Teams
„Tati-Mati“ um Schüler B. Allerdings schaffte er es erneut, obwohl er nicht vorbreitet
war, dafür zu sorgen, dass die gemeinsame Endlösung weniger Fehler enthielt als die
Einzelarbeit seiner Teampartnerin. Jedoch gab es auch zwei schlechte Beiträge, die
sogar inhaltliche Fehler enthielten.306 Neben den Verbformen bereiten ebenfalls die
Personalpronomen Probleme. Insgesamt waren die Endresultate der Partnerarbeiten
auch diesmal besser, als die individuellen Produktionen, da weniger Fehler enthalten
waren. Die Klassenarbeit enthüllte jedoch gnadenlos die Schwächen der Schüler, da
die Resultate katastrophal waren. Schülerin A und Schüler B erreichten wie der
Durchschnitt der Klasse nicht einmal die Hälfte der Punkte, Schüler C erzielte genau
die Hälfte der Punkte. Diese katastrophalen Leistungen können nur auf eine
mangelnde oder fehlende Vorbereitung der Schüler zu Hause zurückzuführen sein.
Der Kompetenzbereich Pragmatisch schreiben bedarf noch zahlreicher weiterer gezielter Fördermaßnahmen. Die meisten Schüler, darunter alle drei untersuchten
Schüler, hatten trotz mehrfacher Einübung und Thematisierung immer wieder
Probleme damit, zusammenhängende, strukturierte Texte in Form einer Antwort zu
verfassen und einen Schreibprozess zu planen und zu gestalten. Die Schülerproduktionen zeigen, dass immer wieder der Einleitungssatz fehlte oder dass nicht auf
strukturierende Konjunktionen und Überleitungen zurückgegriffen wurde. Zum Teil
304
Siehe Anhang 6 Evaluation (Tabellarische Übersicht), S. 272.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 243.
306
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 244.
305
100
wurde einfach in Stichworten und nicht in ganzen Sätzen geantwortet und die Antwort
enthielt keinen erkennbaren Aufbau. Des Weiteren beherrschen die Schüler die
Grammatik, die Rechtschreibung und die Zeichensetzung nicht ausreichend, so dass es
viel zu häufig zu grotesken Fehlern kommt. Diese finden sich in nahezu allen
Schülerarbeiten. Folglich hatten die Schüler insgesamt häufig Probleme damit, den
Aufbau, den Inhalt und den Stil ihrer Texte hinsichtlich der Fragestellung zu
überprüfen. Noch weniger gut funktionierte die sprachliche Überarbeitung der Texte,
da sie die Rechtschreib- und Grammatikfehler in selbst verfassten Texten häufig sogar
mit meiner Hilfe nicht erkannten und somit auch nicht überarbeiten konnten. Ein
dramatisches Beispiel für Schwächen in Grammatik und Rechtschreibung ist das
Handout zur Reportage des Teams um Schülers C.307 Insgesamt konnten alle Schüler,
wenn auch unterschiedlich stark, von der Lehrerrückmeldung zur ersten Fassung des
Artikels profitieren, um ihre Artikel inhaltlich zu überarbeiten, doch blieben die
Erfolge angesichts des für mich nicht unbedeutenden Zeit- und Arbeitsaufwands
hinter meinen Erwartungen zurück. Schülerin A hat ihre Artikel inhaltlich gut
überarbeitet, da sie die Schlagzeile des Kommentars, den Einstieg sowie den
Mittelteil überarbeitet, indem sie schon eine Wertung vornimmt und ihre Meinung
nun auch im Mittelteil deutlicher macht. Sie konnte die Artikel auch bezüglich des
Ausdrucks verbessern und die meisten anderen sprachlichen Fehler reduzieren.
Schüler B schaffte es ebenfalls den „Kopf“ seines Berichts zu vervollständigen und er
ergänzt den Kommentar wie aufgefordert um eine Zusammenfassung der Gedanken.
Schüler C wählt leider keine aussagekräftigere Schlagzeile, überarbeitet das Interview
jedoch sprachlich. Er weist große Schwächen, insbesondere in den Bereichen Rechtschreibung und Ausdruck auf.
Es gab aber auch Erfolgserlebnisse, denn so schafften es Schülerin A und Schüler B
sowie ihr Team, ein fehlerfreies Handout zur Textsorte „Interview“ abzugeben.308 Die
Gruppenarbeit zu den journalistischen Textsorten (GA 3 c) zeigte zudem, dass die
Schüler größere Schwierigkeiten damit hatten, die ihnen zugeteilte journalistische
Textsorte unter Berücksichtigung formaler und sprachlicher Besonderheiten zu
verstehen und mit Textstellen zu belegen. Es gelang ihnen zwar, die journalistischen
Textsorten in Bezug auf die Wirkung und die Intention hin zu untersuchen, doch ihre
Handouts konnten sie dann häufig nicht mit sinnvollen und passenden Textbeispielen
307
308
Siege Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 255, 256.
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 257.
101
belegen. Insbesondere Schüler C und sein Team, die die Reportage vorstellen sollten,
stehen hierfür exemplarisch. Die Resultate der Klassenarbeiten verdeutlichen
ebenfalls die Probleme der Schüler im Bereich Schreiben, da diese generell nur ausreichend waren. Erstaunlicherweise schnellten die Resultate in der vierten Phase dann
in die Höhe, da die Schüler gut mit dem Verfassen eigener Artikel zurecht kamen (EA
4). Inhaltlich waren diese wirklich gelungen. Sie schafften es problemlos, bei der
inhaltlichen Gestaltung ihrer Artikel auf Vorwissen zurückzugreifen. So gab es
Interviews mit Schülern des LN, die im Bereich Sport erfolgreich sind. Hierzu zählen
zwei Interviews mit Mitschülerinnen der Klasse, die Basketball spielen, und ein
Interview mit einem ehemaligen Schüler, der nun das Sportlyzeum besucht und
erfolgreich Tischtennis spielt. Zudem wurde jeweils ein Interview mit einem
verantwortlichen Schüler des Coffe-Houses, mit einer Mitarbeiterin des SPOS, mit
Mitarbeitern des Jugendhauses in Wiltz und ein Interview mit einem Schüler der
Abschlussklasse zum Thema „Studentebaal“ geführt. Des Weiteren gab es Berichte
und Kommentare über die extremen Temperaturen des Winters, den „Studentebaal“,
das Wiltzer Festival, das Café „Prabbeli“, das Ginsterfest, die „Nuit des Lampions“
oder die Turngala. Sie schafften es auch allesamt, für ihre Artikel auf texttypische
Merkmale zurückzugreifen sowie adressaten- und situationsbezogen zu schreiben. Es
wagte sich jedoch kein Schüler an die Textsorte Reportage. So verwenden Schülerin
A und B bewusst unterschiedliche Sprachstile für den objektiv informierenden Bericht
und den doch eher meinungs-bildenden Kommentar. Schüler C achtet bei seinem
Interview ebenfalls auf eine höfliche und genaue Sprache. Der Aufbau der einzelnen
Schülerartikel entspricht ebenfalls den Vorgaben, da beispielsweise die Berichte der
Schüler A und B eine Schlagzeile enthalten, die durch eine Unterüberschrift und
durch einen „Kopf“ ergänzt wird. Abschließend informiert der „Körper“ dann jeweils
über Einzelheiten, Hintergründe und Zusammenhänge. Die Schüler beachten ebenfalls
das Prinzip der abnehmenden Wichtigkeit. Die Kommentare sind auch gelungen, da
sie eine Schlagzeile, eine Unterüberschrift und den Namen des Kommentators
beinhalten. Der Einstieg bereitete den Schülern häufig etwas Probleme. Mittelteil und
Schluss sind dann wieder gelungen, wobei es im Mittelteil manchmal etwas an
Ausführlichkeit fehlt. Das Interview von Schüler C erfüllt mit der Schlagzeile, dem
Einleitungstext und der Anordnung der Fragen ebenfalls alle wichtigen Kriterien.
Sprachlich musste ich die Artikel jedoch stark überarbeiten.
102
Die optisch angemessene Gestaltung der Texte am PC waren die Schüler offensichtlich nicht gewohnt und dementsprechend mäßig waren die Resultate. Die
Gestaltung des Handouts zur Reportage ist katastrophal, da die Experten nicht wie
verlangt einen Lückentext erarbeiteten und eine Kopfleiste mit Angaben zur Klasse,
zum Thema sowie die Namen der Experten fehlte. Der Aufbau des Handouts zur
Textsorte „Kommentar“ ist nicht übersichtlich. Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen,
wenn ebenfalls ein Informatiker anwesend gewesen wäre, um grundlegende Aspekte
der Textverarbeitung mit den Schülern zu thematisieren. Das Handout der Expertengruppe „Interview“, der die Schülerin A und der Schüler B angehörten, ist besser als
das Handout zur Reportage, da weniger Fehler gemacht wurden, doch ist auch diese
Arbeit nicht vollständig. So fehlen Angaben zum Datum sowie die Namen.309
Die Kompetenz Sprechen, reden zuhören konnte insgesamt gut umgesetzt werden.
Die Schüler schafften es insgesamt gut in den kooperativen Phasen die Meinungen
anderer zu respektieren und auf diese einzugehen, den eigenen Standpunkt sachlich
darzulegen und zu begründen und sich situations- und adressatenbezogen mitzuteilen
sowie eigene Interpretationsansätze darzustellen und zu begründen, da ich kaum
Beschwerden bezüglich der Zusammenarbeit aus den einzelnen Teams erhielt.
Lediglich in der zweiten Phase mussten zwei Schüler zusammenarbeiten, die
zerstritten sind. Diese konnten ihre Auseinandersetzung auch nicht für die Zeit der
Partnerarbeit beilegen, so dass die Resultate dieses Teams mangelhaft waren. Ein
weiteres Negativbeispiel ist das Team um Schüler B, welches in der vierten Phase die
Textsorte Reportage vorstellen sollte. Die Experten arbeiteten nicht gut zusammen,
sie kamen nur langsam voran und stritten häufig. Auch angesichts ihrer
Verantwortung für ihre jeweiligen Stammgruppen sowie deren Abhängigkeit von der
Arbeit dieser Expertengruppe, die ich ihnen immer wieder ins Gedächtnis rief,
konnten sich die Schüler nicht zusammennehmen. Als Folge konnten sie ihre Arbeit
nicht in der vorgegebenen Zeit beenden. Die Kompetenz Informationen zu beschaffen,
adressatenbezogen weiterzugeben und dabei frei vorzutragen (GA 4 c) konnte nur
mäßig gefördert werden. Die Präsentation durch den Schüler C, die ich mit angehört
hatte, war beispielsweise katastrophal, da er selbst nichts mehr mit dem Handout
anfangen konnte und völlig unvorbereitet war. Es gelang ihm demnach überhaupt
309
Siehe Anhang 5 Schülerarbeiten, S. 255-258.
103
nicht, die erarbeiteten Informationen an seine Stammgruppe weiterzugeben und dabei
frei vorzutragen.
Die angestrebten Kompetenzen konnten somit insgesamt durchaus gefördert werden,
wobei die Resultate meist nur mäßig waren.
VI. 7) Auswertung des Unterrichtsmodells
Auf Grundlage der Lehrerbeobachtungen, der Evaluation der Arbeitsprodukte, der
Klassenarbeiten und einer abschließenden Schülerreflexion310 wird im Folgenden
ausgewertet, inwiefern das Kooperative Lernen und Arbeiten sowie die in diesem
Kontext angewandten Methoden der Partner- und Gruppenarbeit, des Dreischritts, des
Placemat-Verfahrens und der Gruppen-Expertenrallye einen Lernzuwachs sowie eine
Kompetenzerweiterung im luxemburgischen Schulsystem unterstützen können.
Obwohl die Klasse sehr schwierig war und klare Defizite im Bereich der Arbeitseinstellung, der Kompetenzen und des Fachwissens aufwies, stagnierten oder verbesserten in den meisten Fällen zumindest minimal. Es stellt sich die Frage, ob das
mangelnde Fachwissen darauf zurückzuführen ist, dass viele Einzelarbeiten in de
Hausaufgabe verlegt wurden und die Schüler somit überfordert waren. Ebenso wie der
Durchschnitt der Klasse konnte sich Schülerin A beispielsweise stetig verbessern, so
dass sicherlich eine Aneignung von Wissen sowie eine Kompetenzerweiterung
stattgefunden hat. Schülerin A ist jedoch eine sehr gewissenhafte Schülerin, so dass
sie auch in den anderen Klassenarbeiten gute Resultate erzielte, da sie immer fleißig
und sorgfältig arbeitete. Die Resultate von Schüler B sind sprunghaft und gerade für
einen Schüler, der die Klasse wiederholt, lediglich zufriedenstellend. Er konnte
aufgrund des Kooperativen Lernens und Arbeitens sicherlich weder zusätzlich
motiviert noch zu einem Umdenken gegenüber der Schule bewogen werden. Schüler
C konnte sich bis auf die zweite Phase ebenfalls verbessern und profitierte von den
angewandten Arbeitsmethoden.311 Auffällig ist ebenfalls, dass insbesondere die
Ergebnisse der ersten Klassenarbeit besonders schlecht waren, die Schüler diese dann
aber bereits in der zweiten Phase im Vergleich stark verbessern konnten. Bis auf
Schüler C fiel keiner der untersuchten Schüler hinter das Ergebnis der ersten
Klassenarbeit zurück.312 Positiv bewerte ich zumindest, dass es keine dramatischen
310
Siehe Anhang 3 Frage- und Reflexionsbögen, S. 145-146.
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 271.
312
Für eine tabellarische Übersicht über die Ergebnisse der Klassenarbeiten, siehe Anhang 6, S. 272.
311
104
Leistungsabfälle aufgrund der gewählten Methoden gab. Die zum Teil doch
schwachen Leistungen geben mir hinsichtlich einer zu verfassenden „travail
d’envergure“ auf 2e doch sehr stark zu denken.
Die stete minimale Verbesserung der Resultate ist sicherlich auf eine zunehmende
Schülermotivation und -aktivierung zurückzuführen, die ebenfalls in den meisten
Fällen eine stärkere Unterrichtsbeteiligung bewirkt haben.313 Die Schüler der Klasse
gaben im abschließenden Fragebogen an, dass sie sich aufgrund der Arbeit in den
Gruppen stärker am Unterricht beteiligt hätten, da sie gezwungen waren, sich selbst
mit dem Unterrichtsstoff zu befassen und mitzuarbeiten, damit die Gruppe gute
Resultate erzielen konnte. Vor allem sei die Arbeit in der Gruppe interessanter als der
Frontalunterricht. Zahlreiche Schüler fühlten sich durch die Gruppenarbeit stärker
gefördert und motiviert. Andere, die sich selbst als schüchtern bezeichneten
beziehungsweise anmerkten, dass sie immer viel im Unterricht mitarbeiten, konnten
keine Veränderung in ihrem Verhalten feststellen. Kritiken kamen häufig von
Schülern, die Teil einer weniger gut funktionierenden Gruppe waren.
Des Weiteren merkten die Schüler mehrheitlich an, dass das Kooperative Lernen und
Arbeiten ihre Selbständigkeit gefördert habe.314 Sie begründeten ihre Aussage damit,
dass jeder selbständig arbeiten und sich vorbereiten musste, damit die Gruppe
funktionierte und erfolgreich war. Viele wollten unbedingt Teil der Gruppe sein und
sich so möglichst viel Wissen aneignen. Einige fügten an, sie hätten gelernt, allein zu
lernen und Probleme alleine zu lösen. Zudem hätten sie eingesehen, dass man sich
selbst gut vorbereiten muss, um anderen weiterhelfen zu können und selbst
erfolgreich zu sein. Die Beobachtungen verdeutlichen, dass das Kooperative Lernen
und Arbeiten sich insgesamt dafür eignet, die Schüler zu aktivieren und zu mehr
Selbstständigkeit anzuregen, allerdings zeigen die Schülerrückmeldungen ebenfalls,
dass sie selbst keinen großen Unterschied zur traditionellen Gruppenarbeit feststellen
konnten.315 Diese Aussagen machen erneut deutlich, dass die Schüler die Elemente
„positive gegenseitige Abhängigkeit“ und „persönliche Verantwortung“ nicht
wirklich verinnerlicht haben.
Der Dreischritt, eine Methode, um die Selbständigkeit der Schüler zu fördern und sie
zu aktivieren, wurde von nahezu allen Schülern als besonders positiv hervor313
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 270.
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 270.
315
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 270.
314
105
gehoben316, da er ihnen ihrer eigenen Einschätzung zufolge dabei geholfen hat, auf
eigene Fehler aufmerksam zu werden. Die Aufmerksamkeit wurde insgesamt
gesteigert und vor allem die Tatsache, dass die Arbeiten durch den Dreischritt
umfangreicher, vollständiger und besser wurden, hat den Schülern und mir gut
gefallen. Sie schätzten es auch, unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen zu
einem Problem zu hören. Des Weiteren gaben einige Schüler an, dass sie durch den
Dreischritt erstmals einen Sinn in den Hausaufgaben gesehen hätten. Sie hätten sich
bei den Hausaufgaben besonders angestrengt, um später den anderen helfen und gut
zusammenarbeiten zu können. Insbesondere scheint der Dreischritt wirksam bei der
Förderung des Verständnisses eingesetzt werden zu können, da sich die Schüler
mehrfach mit einem Problem auseinander setzen. Diese Methode erwies sich somit als
sinnvoll und praktisch für den alltäglichen Einsatz im Unterricht und kann sicherlich
auch unabhängig vom Kooperativen Lernen und Arbeiten punktuell und ohne großen
Aufwand eingesetzt werden, um die Kooperation, den Wissenserwerb und die
Erweiterung der Kompetenzen zu fördern. Zudem ermöglicht er eine minimale innere
Differenzierung, da die Schüler je nach Bedarf unterschiedlich viel Zeit zur
Verfügung haben und die stärkeren Schüler den schwächeren Schülern helfen können.
Ähnlich positiv wurde das Placemat-Verfahren bewertet.317 Die Schüler schätzten den
durch dieses Vorgehen ermöglichten direkten Vergleich untereinander sowie die
dadurch geförderte Zusammenarbeit. Allerdings muss man anmerken, dass durch das
Aufkleben immer wieder Zeit verloren ging. Des Weiteren ist auf den Placemats
gerade für Schüler mit großen Handschriften oftmals nicht ausreichend Platz
vorhanden und die Lösungen größere Aufgabenstellungen können ebenfalls aus
Platzgründen kaum auf einem Placemat festgehalten werden. Es zeigte sich im
Reflexionsbogen ebenfalls, dass sich die Schüler häufig mit der Tatsache schwer
taten, dass es nicht die eine richtige Antwort gibt, sondern dann mehrere Ansätze
richtig sein können. Gerade um die Schüler für unterschiedliche Interpretationsansätze
zu sensibilisieren, scheint dieses Verfahren sich zu eignen, doch kann das Verfahren
nur punktuell sinnvoll eingesetzt werden und bedarf doch einiger Vorbereitung durch
die Lehrkraft. Das Verfahren bietet sich weniger für den Wissenserwerb und die
Kompetenzerweiterung an als der Dreischritt, kann aber in einigen Fällen den
Dreischritt unterstützen.
316
317
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 271.
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 271.
106
Die Arbeit in Experten- und Stammgruppen sowie das damit verbundene Unterrichten
hat den Schülern nach eigener Einschätzung ebenfalls beim Lernen und Verstehen
geholfen, wobei man hervorheben muss, dass diese Methode hohe Anforderungen an
die Schüler stellt, denen die Schüler dieser 5e sicherlich nicht gerecht werden
konnten. Wenn man diese Methode einsetzen möchte, muss man sich auf jeden Fall
bewusst sein, wie zeitaufwendig und arbeitsintensiv sie für die Lehrkraft ist, so dass
sie sich sicherlich nicht für den alltäglichen Einsatz eignet. Die Methode entwickelt
vermutlich auch erst auf höheren Klassen ihre gesamte Wirkung, da die Schüler erst
etappenweise auf die dazu notwendige Selbständigkeit vorbereitet werden müssen.
Die Schüler mochten jedoch, dass sie durch diese Methode gezwungen wurden, sich
möglichst gut vorzubereiten, um den anderen Gruppenmitgliedern später den
Unterrichtsstoff erklären zu können. Die Verantwortung für die Stammgruppe spornte
einige Schüler zu Höchstleistungen an. Sie bemerkten auch, dass sie den Unterrichtsstoff durch das Erklären oftmals selbst noch besser verstanden. Zudem schätzten sie,
dass man sich in der Expertengruppe das Problem erklären lassen konnte und dass
man eventuell Zusatzinformationen bekam. Interessanterweise bewerteten viele
Schüler im Anschluss an das Unterrichtsprojekt den Gruppenunterricht und den
Frontalunterricht als gleich wichtig.318 Dies verdeutlicht die Bedeutung eines
abwechslungsreichen und sich ergänzenden Unterrichtens. Die Schüler sahen in der
Kombination beider Unterrichtsformen den Vorteil, dass sie in den lehrerzentrierten
Phasen wichtige Erklärungen und Informationen erhielten, die sie dann in den Phasen
der Gruppenarbeit selbst anwenden mussten. Es kam demnach zu einem Wissenstransfer. Der hohe Grad an Reflexivität einiger Schüler zeigte sich auch in
Äußerungen wie die, dass der lehrerzentrierte Unterricht sich gerade für den Einstieg
in ein Thema eigne und als Ergänzung sowie zur Ausmerzung von Fehlern dienlich
sei. Die Methode ermöglicht ebenfalls eine innere Differenzierung, da den Schülern
ihren Fähigkeiten angepasste Aufgaben erteilt werden konnten. Zudem kann man
schwächeren Schülern zusätzliche Hilfen mitgeben und die einzelnen Gruppen
heterogen beziehungsweise homogen gestalten, je nachdem, wie man die einzelnen
Schüler fördern möchte.
Besonders gut gefallen am Kooperativen Lernen und Arbeiten hat den Schülern die
lockerere Atmosphäre und das selbständige Arbeiten während des Unterrichts, die
318
Für eine tabellarische Übersicht, siehe Anhang 6, S. 271.
107
Raumwechsel, die Zusammenarbeit sowie den Vergleich mit Freunden und die
Tatsache, dass ihnen Verantwortung übertragen wurde. Demnach spielen die
Beziehungsseite sowie das Lernumfeld in der Tat eine wichtige Rolle. Sie mochten es,
ihr Wissen an die Mitschüler weiterzugeben und dabei noch Spaß zu haben. Viele
betonten auch, dass der Unterricht weniger langweilig sei und die Zeit schneller
vergehe. Das situierte Lernen scheint demnach durchaus sinnvoll zu sein, um die
Kompetenzen der Schüler zu festigen und einen Wissenstransfer zu fördern. Probleme
bereitete ihnen die Tatsache, dass oftmals Gruppenmitglieder ihre Hausaufgabe nicht
hatten und / oder sich nicht an der Arbeit im Team beteiligten. Zudem mochten sie
nicht, wenn es innerhalb der Gruppen zu Auseinandersetzungen kam und wenn sie
unter Zeitdruck gerieten.
Schließlich machten einige Schüler noch interessante Kritiken und Verbesserungsvorschläge. Kritisiert wurde häufig die zu knapp bemessene Zeit. Hier werde ich in
Zukunft sicherlich noch ausprobieren müssen, wie viel Zeit für die jeweilige Aufgabe
notwendig und sinnvoll ist. Andere Schüler wollen zukünftig bei der Wahl ihrer
Arbeitspartner mitreden können, da sie nicht mehr mit den „Trittbrettfahrern“ der
Klasse zusammenarbeiten möchten. Einige Schüler forderten interessanterweise dazu
auf, jetzt nicht ganz zu einem Gruppenunterricht überzugehen, sondern die
Kombination von Frontal- und Gruppenunterricht beizubehalten, da sie diese als
positiv empfanden. Des Weiteren haben einige Schüler auch anderen Lehrern der
Klasse vom Kooperativen Lernen erzählt und sie gefragt, ob man nicht auch in ihrem
Unterricht so arbeiten könne. Die Lehrer kamen daraufhin auf mich zu, um zu
erfahren, was dies denn eigentlich sei und wie sie vorgehen könnten, so dass auch
innerhalb der Lehrer der Klasse eine Diskussion über das Kooperative Lernen
angeregt wurde.
108
VII) Schlussfolgerung und Ausblick
Insgesamt hat sich im Laufe der Umsetzung und Auswertung des Unterrichtsmodells
gezeigt, dass das Kooperative Lernen und Arbeiten sowie die in diesem Kontext
angewandten Methoden einige wesentliche Vorteile bieten und eine Ergänzung zum
klassischen Frontalunterricht im luxemburgischen Schulwesen sein können.
Ein Vorteil des Kooperativen Lernens besteht nachweislich in der Stärkung der
Motivation der meisten Schüler. Das Unterrichtsmodell trägt ebenfalls zur
Persönlichkeitsentwicklung der Schüler bei, da sie ein positives Selbstkonzept
erhalten und ihr Selbstwertgefühl gestärkt wird. Zudem bietet das Kooperative Lernen
Raum für vielseitiges soziales Lernen, so dass die sozialen Kompetenzen und die
Kommunikationsfähigkeit, die für die Teamfähigkeit und die spätere Berufswelt
unerlässlich sind, gefördert und gestärkt werden.
Die Auswertung des Projektes zeigt allerdings auch deutlich, dass das Kooperative
Lernen und Arbeiten sicherlich nicht als Allheil- und Wundermittel missverstanden
werden darf, das es erlaubt, aus allen Schülern Musterschüler mit Bestnoten zu
machen. Auch das Kooperative Lernen garantiert nicht, dass wirklich alle Schüler
erreicht und dazu angeregt werden, das Beste aus sich herauszuholen. Dies geht in der
Literatur zum Kooperativen Lernen und Arbeiten leider häufig unter. Aufgrund der
Ergebnisse der Klassenarbeiten kann man davon ausgehen, dass das Wissen und die
Fertigkeiten im Fach Deutsch durchaus gefördert und ausgebildet wurden. Es kommt
demnach zu einem Leistungszuwachs bei den Schülern, der jedoch je nach Schüler
unterschiedlich ausgeprägt ist. Es hat sich erneut bewahrheitet, dass fleißige und gute
Schüler auch im Kooperativen Lernen und Arbeiten gute Resultate erzielen, während
Schüler, die stören, und faul sind, auch weiterhin stören und schlechte Leistungen
erbringen. All die ausprobierten Methoden sind schön und gut, doch muss deutlichst
unterstrichen werden, dass man keineswegs aus dem Blick verlieren darf, dass das
individuelle Lernen zu Hause absolut unerlässlich und eine wichtige Ergänzung ist.
Man muss ebenfalls ganz kritisch anmerken, dass das Kooperative Lernen den Lehrer
während der kooperativen Phasen zwar entlastet, allerdings im Vorfeld eines
langwierigen und zeitaufwendigen Planungsaufwandes bedarf, den man sicherlich in
diesem Maße nicht für sämtliche Klassen leisten könnte. Wenn man dann noch
leistungsdifferenzierte Aufgaben erstellen möchte, steigt der Arbeitsaufwand weiter.
Des Weiteren braucht das Kooperative Lernen mehr Zeit als der lehrerzentrierte
109
Unterricht, so dass man dies in den Lehrplänen berücksichtigen müsste, wenn man
verstärkt mit diesem Modell arbeiten möchte. Der Unterrichtsstoff müsste
entsprechend gekürzt werden und man müsste darüber nachdenken, ob es nicht
sinnvoller wäre, etwas weniger Stoff zu unterrichten, der aber dann dafür auch
wirklich von den Schülern angewandt werden kann. Zudem steht das Gelingen des
Unterrichts in einem großen Abhängigkeitsverhältnis zu den Schülern, denn wenn zu
viele Schüler keine Aufgaben dabei haben oder sich verweigern, ist die Kooperation
in Gruppen nahezu unmöglich und man muss als Lehrkraft kurzfristig darauf
reagieren können. Dies erfordert eine gewisse Unterrichtserfahrung und ist leider auch
nicht immer möglich. Als hinderlich zeigte sich ebenfalls die Länge der
Unterrichtseinheiten im luxemburgischen Schulsystem. Während die 50-minütigen
Einheiten von Vorteil für den lehrerzentrierten und fragend-entwickelnden Unterricht
sind, bräuchte man für die kooperativen Phasen mindestes 75-minütige, wenn nicht
sogar 100-minütige Einheiten, um den Unterricht sinnvoll abschließen zu können und
die Schüler nicht unter Zeitdruck zu setzen. Diese hatte ich jedoch nicht zur
Verfügung, so dass die Planung sehr stark von der Dauer der im Stundenplan
vorgesehenen Unterrichtseinheiten abhängig war. Der Raum der Klasse eignete sich
ebenfalls kaum für die Kooperation, da nicht genug Platz vorhanden war, um die
Bänke zügig und problemlos umstellen zu können. Die Gruppen saßen ebenfalls sehr
nah zusammen, was eine günstige Face-to-Face-Interaktion erschwerte. Negativ zu
bewerten ist ebenfalls, dass es oftmals nahezu unmöglich war, einen Computerraum
zu bekommen, der für die Arbeit an den Artikeln unerlässlich war. Die zeitliche und
logistische Planung war demnach enorm.
Sollten das Ministerium und die Schulen gerade im Hinblick auf eine „travail
d’envergure“ wirklich das selbständige Arbeiten über das Kooperative Lernen fördern
wollen, müssten im Bereich der Dauer der Schulstunden sowie der Ausstattung und
der Größe der Klassenräume sicherlich ein Umdenken und einschneidende Veränderungen stattfinden. Es müsste zunächst einmal eine geeignete Lernumgebung
geschaffen werden. Problematisch ist ebenfalls, wenn man als „Alleinkämpfer“ tätig
ist, denn dann muss man das gesamte Konzept des Kooperativen Lernens erst einmal
allein mit der Klasse einüben und umsetzen, was enorm zeitaufwendig ist und auf
Kosten der eigenen Unterrichtszeit geht. Es stellt sich einem doch die Frage, ob die
Ergebnisse den enormen Zeitaufwand rechtfertigen. Würde das Unterrichtsmodell
jedoch seit der siebten Klasse von mehreren Lehrern einer Klasse auch in anderen
110
Fächern verbindlich eingesetzt, hätten die Schüler Zeit, sich nach und nach daran zu
gewöhnen. Kurzfristig erreicht man während eines Schuljahrs wie ersichtlich wurde
sicherlich nur minimale Erfolge, das Kooperative Lernen und Arbeiten kann das
Arbeitsverhalten der Schüler kurzfristig nicht verbessern. Demnach muss so ein
Unterrichtsmodell langfristig über Jahre systematisch umgesetzt werden, damit
sowohl Schüler als auch Lehrer vollends von den Vorteilen profitieren können. Die
Resultate der Klasse zeigen zudem deutlich, dass die Schüler noch nicht wirklich
selbständig und eigenverantwortlich arbeiten können und so drängt sich mir die Frage
auf, wie diese Schüler in drei Jahren eine „travail d’envergure“ verfassen sollen.
Abschließend stellt sich allerdings die berechtigte Frage, ob man den gleichen
Lernzuwachs und eine ähnliche Kompetenzerweiterung nicht ebenfalls in einem
traditionellen Unterricht erreicht hätte. Hierzu wäre es interessant gewesen, parallel
eine 5e klassisch zu unterrichten und die Ergebnisse anschließend zu vergleichen.
111
112
VIII) Literaturverzeichnis
VIII. 1) Internetseiten
www.men.lu (4/12/2011)
www.men.lu: horaires et programmes : enseignement secondaire : division inférieure : 5e
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IX) Anhänge
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