Der Christus-Hymnus im Kolosserbrief – Teil II

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Der Christus-Hymnus im Kolosserbrief – Teil II
Neuapostolische Kirche International
Der Christus-Hymnus im Kolosserbrief – Teil II
Nachdem wir im ersten Teil Jesus Christus als das Ebenbild Gottes betrachtet
haben, beschäftigen wir uns in dieser Folge mit dem Sohn Gottes, dem Haupt
der Gemeinde, dem Erstgeborenen von den Toten und dem Versöhner.
Der Text
Er [der Sohn Gottes] ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
Denn in ihm ist alles geschaffen,
was im Himmel und auf Erden ist,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Herrschaften
oder Mächte oder Gewalten;
es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
Und er ist vor allem,
und es besteht alles in ihm.
Und er ist das Haupt des Leibes,
nämlich der Gemeinde.
Er ist der Anfang,
der Erstgeborene von den Toten,
damit er in allem der Erste sei.
Denn es hat Gott wohlgefallen,
dass in ihm alle Fülle wohnen sollte
und er durch ihn alles mit sich versöhnte,
es sei auf Erden oder im Himmel,
indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
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Jesus Christus, das Haupt der Gemeinde
Auf die grundlegende Aussage, dass der Gottessohn Ursprung und Ziel des Geschaffenen
ist, folgt in der Zwischenstrophe zunächst noch einmal der Hinweis auf das präexistente
und überzeitliche Sein des Sohnes: „Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm“
(Kolosser 1,17). Jesus sagte von sich in Johannes 8,58: „Ehe Abraham wurde, bin ich.“
Dieser Satz geht in dieselbe Richtung wie der aus dem Kolosserhymnus. Das Vor-allemSein, also der zeitliche Aspekt, findet seine Entsprechung in einer gleichsam ,örtlichen
Bestimmung’: „es besteht alles in ihm“. Alles, was ist, ist nicht nur von dem Gottessohn
geschaffen, er ist nicht nur die Bedingung des Seienden, sondern er ist auch der Garant,
die Lebensquelle des Seienden. Insofern konnte auch Jesus in Johannes 14,6 von sich
als dem „Leben“ sprechen, nämlich als von der Instanz, aus der Leben kommt und in der
allein Leben möglich ist. Jesus Christus ist Schöpfer und Erhalter des Geschaffenen!
Mit der sich anschließenden Aussage erscheint ein neuer thematischer Aspekt im Hymnus:
„Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde“ (Kolosser 1,18a). In den
vorangegangenen Versen war von dem Gottessohn als dem Ebenbild Gottes, dem
Erstgeborenen und dem Schöpfer die Rede. All dies zeichnet ihn als Herrscher aus. Das
Bild dafür ist das „Haupt“. Wenn Jesus Christus als „das Haupt“ bezeichnet wird, dann
bezeugt dies sein Herrschersein: Ausdrücklich wird gesagt, er ist „das Haupt des Leibes“.
Leib oder Körper war in der Antike oft das Symbol des Kosmos als Organismus; die Welt
erscheint als ein Leib. Im Kolosserbrief wird jedoch davon gesprochen, dass Jesus
Christus „das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde“ ist. Die Gemeinde – diese Bildsprache findet sich einige Male in den paulinischen Briefen – ist selber ein Leib, also ein
organischer Zusammenhang. In Römer 12,4-8 und 1. Korinther 12,12-20 wird die Ortsgemeinde als Leib Christi bezeichnet. Im Kolosserbrief hat sich der Blick nun geweitet:
Nicht mehr die einzelne Gemeinde ist gemeint, sondern die gesamte Kirche. Sie wird von
Jesus Christus regiert, in ihr zeigt sich am unmittelbarsten sein Herrschersein. Sie ist seine
Schöpfung und sie lebt von und aus ihm. Dieser Gedanke findet sich ähnlich in Epheser
1,22.23: „Alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn [Jesus Christus] gesetzt der
Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles
in allem erfüllt.“
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Jesus Christus, der Erstgeborene von den Toten
Wurde in der ersten Strophe des Hymnus gesagt, dass Jesus Christus das Ebenbild,
der Erstgeborene ist, so werden in der zweiten Strophe diese Aussagen ergänzt: „Er ist
der Anfang“ (Kolosser 1,18b). Ähnliches sagt in Sprüche 8,22.23 die Weisheit von sich:
„Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von
Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.“ Hier wird
das ewige Sein der Weisheit bei Gott ausgesagt und dies wird ins Verhältnis zum Geschaffenen gestellt. Auch der Gottessohn ist „Anfang“: Er ist Bedingung der Schöpfung. Davon
wurde schon in der ersten Strophe gesprochen. Er ist in einer weiteren Hinsicht „Anfang“,
nämlich als „der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei“. Die Aussage,
dass der Sohn „der Erstgeborene vor aller Schöpfung“ ist, wird hier aufgenommen und in
den Zusammenhang christlicher Zukunftshoffnung gestellt, nämlich in den der Auferstehung der Toten. Jesus ist der Erste, der von den Toten auferstanden ist. In ihm ist die
Auferstehungshoffnung begründet. Ähnlich wird in 1. Korinther 15,20-22 argumentiert und
zugleich wird Jesus als der neue Adam deutlich gemacht: „Nun aber ist Christus
auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch
einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle
lebendig gemacht werden.“ In der Auferstehung ist das begründet und zugleich vorweggenommen, was zukünftig geschehen wird: die Neuschöpfung des Menschen und der
Welt.
Der Schluss des Verses bekräftigt die herausragende Stellung des Gottessohnes und zeigt,
warum vom „Ebenbild“, vom „Erstgeborenen“, vom „Haupt“ und vom „Anfang“ gesprochen werden musste: „… damit er in allem der Erste sei.“
Jesus Christus, Versöhner
Nun wird die Begründung der herausragenden Stellung, die Jesus Christus in der
Schöpfung und in seiner Kirche innehat, gegeben: „Denn es hat Gott wohlgefallen, dass
in ihm alle Fülle wohnen sollte“ (Kolosser 1,19). Die Stellung des Sohnes als Schöpfer und
Erlöser ist Ausdruck göttlichen Willens. Zentral ist die Aussage, dass in dem Gottessohn
„alle Fülle wohnen sollte“. „Fülle“ ist der zentrale Begriff von Vers 19. Im griechischen Text
steht dafür das Wort „Pleroma“ (vgl. Johannes 1,16; Epheser 1,23). Dieser Begriff wird
von den Neutestamentlern unterschiedlich gedeutet, nämlich als „ganze Wesensfülle
Gottes“, „Inbegriff göttlichen Seins“, „Fülle der Gnadenkräfte, die Leben aus dem Tod
ermöglichen“ oder auch „das, was Gott zu Gott macht“. „Alle Fülle“ – eigentlich „die Fülle
der Fülle“ – bezeichnet vor allem wohl jene Gnaden- und Lebenskräfte, die allein durch
Jesus Christus zugänglich werden. Diese „Fülle“ wird in der Schöpfung offenbar seit der
Auferstehung Jesu von den Toten.
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Ausdruck göttlicher Fülle ist auch die „Versöhnung”, die durch Jesus Christus geschieht.
Der Hymnus spricht davon, dass Gott „durch ihn [Jesus Christus] alles mit sich versöhnte,
es sei auf Erden oder im Himmel“. Der Kolosserhymnus spricht von einer Versöhnung,
die alle Bereiche der Schöpfung betrifft, die unsichtbaren und die sichtbaren („Erde“,
„Himmel“). In ihr kommen der unbedingte Heilswille Gottes und seine Liebe zur gesamten
Schöpfung zum Ausdruck. Versöhnung und Friede gehören zusammen. Der Friede wird
durch das Opfer Christi gestiftet, nämlich durch „sein Blut am Kreuz“. Mit dem Hinweis
auf das Kreuz wird darauf verwiesen, dass Friede und Versöhnung ihren Grund in einem
geschichtlichen Geschehen haben. Das „Blut am Kreuz“ verweist konkret auf das Leiden
und den Tod Jesu, wie sie in den Evangelien bezeugt werden.
Im Kolosserhymnus werden Schöpfung und Erlösung in einen engen Bezug gestellt. Damit
wird eine Abwertung des Schöpfers und der Schöpfung, wie sie manche gnostischen
Irrlehrer betrieben haben, ausgeschlossen. Der Gottessohn ist Ursache und Herrscher
seiner Schöpfung, seine Herrschaft zeigt sich jedoch zunächst und am deutlichsten in
seiner Gemeinde, deren „Haupt“ er ist. Die Schöpfung ist trotz des Sündenfalls nicht verworfen, sondern Gegenstand der Erlösung. Diese Erlösung ist kein Werk des Menschen,
sondern ist in der Frieden stiftenden Tat Gottes begründet, der in Jesus Christus die Sünde
der Welt und jedes Einzelnen auf sich nahm.
Der Kolosserhymnus ist – ähnlich wie das Logoslied aus dem Johannesevangelium und
der Christushymnus aus dem Philipperbrief – eine der wichtigen Stationen auf dem Weg
zu dem Verständnis Jesu Christi, das schließlich darin mündet, von ihm als wahrem Gott
und wahrem Menschen zu sprechen.
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