I felt a Funeral in my Brain
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I felt a Funeral in my Brain
Arbeitsblätter des Anglistischen Seminars Heidelberg Contributions to the Study of Language, Literature and Culture www.as.uni-heidelberg.de/ejournal/ Beiträge zur Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft Volume 2009: 1 (edited by Frank Polzenhagen & Daniel Williams) Table of Contents Lena Endres Doom and Salvation in Joseph Conrad’s “Heart of Darkness” 1-22 Stefan Petri Geräusche und Gefühle in Emily Dickinsons “I felt a Funeral in my Brain” 23-32 Ricarda Wagner “Your left is my north”: Spatial Representation across Languages 33-50 Svenja Habermann Americanisms and the t-Flap in New Zealand English: A Common Feature? 51-66 Barbara Wilhelm The History of Slavery and its Significance in the Emergence of African American Vernacular English 67-82 Kai Egner The Acquisition of Phonology 83-96 Frauke Sonnentag Language Acquisition in the Womb 97-111 ISSN: 0000000 Anglistisches Seminar Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Kettengasse 12 69117 Heidelberg www.as.uni-heidelberg.de/ejournal/ Contributions to the Study of Language, Literature and Culture Vol. 2009: 1 Arbeitsblätter des Anglistischen Seminars Heidelberg www.as.uni-heidelberg.de/ejournal/ Beiträge zur Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft Stefan Petri Geräusche und Gefühle in Emily Dickinsons „I felt a Funeral in my Brain“ 1. 2. Einleitung Strophenanalyse 2.1. Strophe 1 2.2. Strophe 2 2.3. Strophe 3 2.4. Strophe 4 2.5. Strophe 5 3. Erfahrungen des Lesers Quellenangaben 1. Einleitung Das Gedicht I felt a Funeral in my Brain von Emily Dickinson, veröffentlicht im Jahr 1896, beschreibt die Erfahrungen eines lyrischen Ichs auf seinem Weg zu einem Nervenzusammenbruch. Der Weg dahin, die kontinuierliche Verschlechterung seines Zustandes bis hin zum Zusammenbruch, wird mit den Abschnitten einer Beerdigung verglichen. Das Außergewöhnliche an diesem Gedicht ist die Art und Weise, wie die Erfahrungen der Hauptperson präsentiert werden. In einem grotesk anmutenden Szenario nimmt sie an der eigenen Beerdigung teil, sie „fühlt“ sie. Gleichzeitig ist ihr einziger Zugang zu dem Begräbnis das eigene Gehör. Die Laute und Geräusche, die das lyrische Ich während der Zeremonie wahrnehmen kann, stehen metaphorisch für den eigenen Gesundheitszustand. Alles, was es hört, ist ein Abbild dessen, was es fühlt. Daher auch das passend gewählte Bild der Beerdigung: Der Geist des lyrischen Ichs ist im Begriff zu sterben und unter dem Wahnsinn begraben zu werden. 23 In dieser Arbeit soll nun untersucht werden, wie es Dickinson gelingt, in diesem Beerdigungsszenario eine perfekte Allegorie zum Geisteszustand des lyrischen Ichs zu entwerfen. Welche Mittel wendet sie an, um die Geräusche der Trauerfeier so eindrücklich und verstörend zu gestalten, dass der Leser ohne Weiteres nachvollziehen kann, dass sie das lyrische Ich in den Wahnsinn treiben? Um das festzustellen, ist es sinnvoll, die Strophen des Gedichtes nacheinander durchzuarbeiten, weil der Ablauf des Begräbnisses und damit auch die Verschlechterung des Zustandes der Hauptperson chronologisch geordnet sind. Dickinson konzentriert sich aber nicht nur darauf, was die Hauptperson hört. I felt a Funeral in my Brain ist so angelegt, dass es seine ganze Aussagekraft erst entfaltet, wenn man es hört. Auch dadurch werden Gefühle erzeugt, die denen des lyrischen Ichs sehr ähnlich sind. Wodurch das erreicht wird, wird in einem weiteren Abschnitt der Arbeit aufgezeigt, die das „Hörerlebnis“ des Lesers betrifft. 2. Strophenanalyse 2.1. Strophe 1 Schon in der ersten Zeile eröffnet sich dem Leser die entscheidende Information zum Verständnis des Gedichtes. Das lyrische Ich ist kein Besucher einer wirklichen Beerdigung, es „fühlt“ sie nur. Die Beerdigung findet in seinem Kopf statt: Etwas wird begraben. I felt a Funeral, in my Brain, Später wird klar, dass es sich um die Psyche des lyrischen Ichs handelt. Aus dem Gesamtbild des Gedichtes wird auch klar, dass der Sprecher die Außenwelt, also das, was während der Trauerfeier und des Begräbnisses vor sich geht, nur über sein Gehör wahrnehmen kann. Dickinson setzt somit ein Zeichen für den Fortgang des Gedichtes: Für den Sprecher ist eine Trennung zwischen Gehör und Gefühl nicht mehr möglich. Die Person in dem Sarg ist auf ihr Gehör so stark angewiesen, dass sie Ereignisse außerhalb nicht bloß hört, sie „fühlt“ sie. Zwischen dem simplen Vorgang des Hörens und der Wahrnehmung dieser Laute auf der Gefühlsebene gibt es keinen Unterschied mehr. Diese Verbindung beider Sinne wird etabliert und findet sich innerhalb Gedichtes fortwährend wieder. Wenn man sich den Vorgängen zuwendet, welche der Sprecher wahrnehmen kann, so findet sich in den nächsten Zeilen der erste Akt der Trauerfeier. Ein stetiger Strom von Abschied nehmenden Personen ergießt sich zum Sprecher. Das hin und her („to and fro“, Z. 2) lässt vermuten, dass die Anwesenden sich nacheinander von der verstorbenen Person verabschieden. Trotzdem bleiben sie für den Sprecher eine anonyme Masse (die Trauernden werden nie näher bestimmt, bleiben „them“ (Z.5) und 24 „they“ (Z.9)). Und diese Masse hat für das Lyrische Ich sogar etwas Bedrohliches. Denn der dominierende1 Laut, der von der Menge erzeugt wird, ist der Klang ihrer Stiefel (Z. 11). Ein stetiger Tritt hat auf den ersten Blick nichts Unheimliches. Aber hier ist der dumpfe, schwere Tritt2 ein düsterer Vorbote. Auch die Wiederholung und die Hervorhebung durch die Gedankenstriche erzeugen beim Leser eine unheilvolle Ahnung. Kept treading––treading––till it seemed That Sense was breaking through–– Hier findet sich zweimal „treading“, jeweils gefolgt von einem Gedankenstrich. Das zweite „treading“, abgetrennt von der übrigen Zeile und doch genau im Mittelpunkt stehend, hat eine noch stärkere Wirkung auf den Leser. Man empfindet es als lauter, energischer. Und durch kleine Pausen, die durch die Gedankenstriche bewirkt werden, erhält man einen widerhallenden Effekt: Das dumpfe Auftreten von schweren Stiefeln zum Sarg hin und wieder zurück. Diese Erfahrung des Sprechers wird dem Leser also sowohl im Klang – allein die Aussprache des Wortes „treading“ mit dem kurzen, stimmlosen Auftakt und dem lang gezogenen Ausklang weist bereits eine Ähnlichkeit mit einem Stiefelschritt auf – als auch im Schriftbild durch die Gedankenstriche dahinter zugänglich macht. Dadurch gelingt es Dickinson, die Erfahrungen des lyrischen Ichs dem Leser zugänglich zu machen.3 Sie nimmt ihn mit in diese Welt, in der nur noch die Laute der Außenstehenden Hilfe zur Orientierung geben. Und nun kann man es dem Sprecher wirklich nachfühlen, welche Wirkung dieser ständige, unaufhaltsame Tritt, auf ihn hat. Seine Wahrnehmung „zerbricht“.4 Aus dem „Treten“ der Stiefel wird ein „Zertreten“. Das Hin und Her der Stiefel hat seine Wahrnehmung zermürbt. Welche Wirkung das letztendlich haben wird, ist noch unklar, der finale Gedankenstrich weist darauf hin, dass diese Frage noch nicht beantwortet werden kann. 2.2. Strophe 2 Die zweite Strophe beginnt mit dem nächsten Akt der Trauerfeier. Die Trauergäste setzen sich schließlich hin, es beginnt der offizielle Teil. Und 1 2 3 4 Da keinerlei Laute erwähnt werden, ist es sogar wahrscheinlich, dass die Trauernden überhaupt keine anderen Geräusche verursachen. Treading kann auch als „stampfen“ übersetzt werden, um das bleierne Gewicht der Stiefel noch besser wiederzugeben. Eine ausführliche Behandlung dieses Gedankens findet sich in Abschnitt 3 dieser Arbeit. Ob break through in diesem Zusammenhang nun eine positive oder negative Bedeutung hat, kann nicht eindeutig geklärt werden. Der Leser wird hier im Dunkeln gelassen. Aus dem Kontext heraus erscheint eine negative Assoziation jedoch unwahrscheinlich. Siehe dazu auch Small (1990: 9f.). 25 dieser hat – ähnlich wie in der ersten Strophe – eine zutiefst erschütternde und zerstörerische Wirkung. Die Feier – bei der es sich aller Voraussicht nach um einen kirchlichen Trauergottesdienst handelt – fühlt sich für den Sprecher an wie eine Trommel, deren Schläge unbarmherzig und unaufhaltsam sind: A Service, like a Drum–– Kept beating––beating––till I thought My mind was going numb–– Es wird nicht klar, warum der Gottesdienst so unerträglich ist.5 Was jedoch eindeutig wird, ist dessen unerbittliche Wirkung auf den Betrauerten. Für ihn fühlt es sich an wie eine Trommel. Und jeder einzelne Abschnitt hat auf ihn die Wirkung wie ein harter, ohrenbetäubender Trommelschlag Emily Dickinson bedient sich hier ähnlicher Techniken wie in der vorherigen Strophe, und auch hier entfalten sie ihre Wirkung. Die zwei letzten Zeilen der Strophe sind genauso aufgebaut wie davor. Die jeweils dritten Zeilen fangen sogar genau gleich an. Und wieder findet sich mit „beating––beating––“ eine Wiederholung des Verbes mit anschließenden Gedankenstrichen. Die Trommelschläge wiederholen sich unablässig, das Echo zwischen den einzelnen Schlägen bohrt sich förmlich in den Sprecher hinein. Und hier eröffnet die mehrsinnige Bedeutung des Wortes „beat“, die im Deutschen mit „schlagen“ genauso übernommen werden kann, eine weitere Ebene: Das Schlag kann auch gegen den Sprecher selbst geführt werden. Nicht nur die Schläge auf der Trommel überwältigen ihn; es fühlt sich geradezu so an, als würde er selbst geschlagen! Jeden Schlag auf der Trommel spürt er so, als würde der Schlag gegen ihn selbst geführt. Das lyrische Ich wird also in zweierlei Hinsicht von der Trommel gequält: Zum Einen durch die dröhnenden, durchdringenden Schläge auf der Trommel, und zum Anderen dadurch, dass es den Anschein hat, als sei er selbst das Ziel dieser Schläge. Und dies geschieht so lange, bis es sich anfühlt, als sei sein Verstand betäubt. Wichtig ist hier wieder der Zusammenhang zwischen hören und fühlen: Durch die lauten Trommelschläge wird nicht etwa das Gehör des Lyrischen Ichs betäubt. Dieses ist davon nicht beeinträchtigt worden, wie man auch in der folgenden Strophe sehen kann. Die Trommelschläge betäuben den Verstand, den Geist. Es liegt also nicht an der puren Lautstärke der Trommelschläge. Es sind die dumpfen, paukenähnlichen Schläge, die sich immer wieder wiederholen und den Geist so lange terrorisieren, bis er in einen apathischen, benommenen Zustand hinübergleitet. Das lyrische Ich fühlt sich, als wäre sein Verstand völlig betäubt. Dieser Zustand ist jedoch noch nicht eingetreten, noch kann es die weiteren Vorgänge um sich herum wahrnehmen. 5 Hier bietet sich auch eine religiöse Lesart des Gedichtes in Verbindung mit der Einstellung Dickinsons zum christlichen Glauben an; siehe z.B. Wolff (2007). 26 2.3. Strophe 3 Die dritte Strophe beginnt direkt nach dem Trauergottesdienst („And then“, Z. 7). Das Lyrische Ich kann hören, wie eine „Kiste“ („box“) hochgehoben wird. Dabei handelt es sich offensichtlich um den Sarg, der nun zu seiner letzten Ruhestätte getragen werden soll. Auffällig ist, dass das Lyrische Ich hier den Bezug nicht erkennen kann. Wo es vorher von einem Begräbnis (Z.1), von Trauernden (Z.2) und von einem Gottesdienst (Z.6) berichten konnte, kann es die gehobene Kiste nicht mit dem Sarg in Verbindung bringen. Daran ist erkennbar, dass das Trampeln der Stiefel und das Dröhnen der Trommel bereits Wirkung zeigt. Das, was der Sprecher in den ersten zwei Strophen befürchtet hatte, ist also schon teilweise eingetreten. Und nun beginnt wieder der für ihn so grauenhafte Marsch der bleibeschwerten Stiefel von Neuem. And then I heard them lift a Box And creak across my Soul With those same Boots of Lead, again, Diesmal stampfen und trampeln die Stiefel nicht mehr. Diesmal knarren und knacken sie („creak“ Z. 10). Vorher knarrten sie nicht. Das liegt daran, dass sich das Gewicht verändert hat. Die Personen mit den Stiefeln tragen den Sarg zum Grab, durch das größere Gewicht kommt es zum Knarren. Hier findet sich wieder ein lautmalerisches Verb: „Creak“ ist in der Aussprache einem Knarren sehr ähnlich. Und auch hier wird wieder mit Wiederholung gearbeitet: Diesmal wird jedoch nicht das Verb wiederholt sondern wir finden einen Verweis auf die früheren Erfahrungen: „Those same boots of Lead, again“. Keine Gedankenstriche! Sofort werden dem Lyrischen Ich – und damit auch dem Leser – die tretenden Stiefel der ersten Strophe ins Gedächtnis gerufen. Das abwertende „Those“ sowie die eigentlich unnötige Doppelung von „same“ und „again“ lassen die Verzweiflung des Sprechers erahnen. Die gleichen Stiefel! Schon wieder! Und diesmal ist die Wirkung noch durchdringender: Diesmal „knarren“ die Stiefel über seine Seele. Interessant ist, dass sich insgesamt eine kontinuierliche Verschlechterung feststellen lässt: Der Sprecher wird in immer tieferen Schichten seines Seins verletzt. War es in der ersten Strophe noch sein „Sinn“ – seine Wahrnehmung – und in der zweiten sein Verstand, so dringen die entsetzlichen Laute diesmal bis an sein Innerstes vor und malträtieren seine Seele. Sein Zustand verschlechtert sich stetig. Man spürt, dass der entscheidende Augenblick bald kommen wird. Nach dieser Erfahrung zieht ein neues Ereignis die Aufmerksamkeit des Sprechers auf sich: Er hört Glockengeläut. Then Space––began to toll, 27 Das Verb „toll“ wird in Verbindung mit dem Läuten einer Glocke gebraucht, im Normalfall sogar mit dem Läuten der Totenglocke. Das gibt uns die Bestätigung, dass es sich um eine kirchliche Trauerfeier handelt. Für das Lyrische Ich klingt es, als würde der gesamte „Raum“ anfangen zu klingen – nicht etwa ein Zimmer, in dem sich der Sprecher befindet. Die gesamte Umgebung, alles, was sich innerhalb seiner Wahrnehmung befindet, ist vom Läuten der Glocken erfüllt.6 2.4 Strophe 4 As all the Heavens were a bell, And Being, but an Ear, Der Inhalt der vierten Strophe unterscheidet sich zum ersten Mal grundlegend von den vorherigen. Die Strophen 2 und drei waren von den vorausgegangenen Strophen inhaltlich abgetrennt, schlossen aber mit „and when“ (Z.5) beziehungsweise „and then“ (Z. 9) an die Strophen an. Hier ist das anders: Wir erfahren nichts mehr über die Vorgänge auf dem Begräbnis, der Sprecher nimmt nichts Neues wahr. Stattdessen konzentriert sich diese Strophe nur auf das Glockengeläut und folgt Zeile 12. Und dieses Läuten ist in der Wahrnehmung des Sprechers so dominant, dass daneben keine andere Erfahrung Platz hat. Es ist so umfassend und durchdringend, als bestünden die Himmel7 aus einer einzigen Glocke und das gesamte Dasein nur zu dem Zweck, dieses Läuten zu hören. Hier werden die Menschen als „Ohr“ beschrieben, auf diesen Aspekt ihres Seins reduziert. Als Ohr harmonieren sie prächtig mit den Glockenklängen, sie funktionieren entsprechend ihrer Bestimmung. Und das lyrische Ich? And I, and Silence, some strange Race Wrecked, solitary, here–– Plötzlich ist es nicht mehr überraschend, dass es uns nicht verrät, welche Gefühle diese himmlischen Glockenklänge bei ihm wecken. Es kann sie nicht hören. Während alle anderen „ganz Ohr“ werden, findet sich der Sprecher einsam und verlassen wieder (vgl. Garrido 2006). Sein einziger Begleiter: absolute Stille. Dadurch unterscheidet er sich so grundlegend von den Anderen, dass es keine Gemeinsamkeiten mehr zwischen ihnen gibt. Er ist allein, von allen verlassen. Er kann gar nicht von den anderen verstanden werden, die Wesensunterschiede („strange Race“) machen es unmöglich. Das lyrische Ich fühlt sich wie ein Schiffbrüchiger („wrecked“) auf einer einsamen Insel. Und dieser Zustand ist irreversibel. 6 7 Space kann auch mit „All“ wiedergegeben werden. Im Original heißt es Heavens. Es muss jedoch nicht zwangsweise eine religiöse Bedeutung vorhanden sein; Heavens kann auch mit „Lüfte“ übersetzt werden. 28 Die grausame Geräuschkulisse ist in diesen Zeilen plötzlich verschwunden. Das lyrische Ich hört nichts mehr. Aber das bringt keine Erleichterung, ganz im Gegenteil. Die undurchdringliche Stille ist fast noch schwerer zu ertragen als das Treten und Trommeln davor. In diesen Zeilen entdecken wir einen weiteren Umstand, der schließlich zum Zusammenbruch führt: Die Einsamkeit. Man ist allein mit seinen Schmerzen. Keiner kann verstehen, was im Sprecher vor sich geht. Statt Mitleid und Hilfe erntet man Unverständnis und Ablehnung. Und das beschleunigt nur die Abwärtsspirale – bis es in der letzten Strophe endlich soweit ist: 2.5 Strophe 5 And then a Plank in Reason, broke, And I dropped down, and down–– And hit a World, at every plunge, And Finished Knowing––then–– Die erste Zeile verweist vermutlich auf den letzten Akt einer Beerdigung: Der Sarg wird in die Erde gelegt. In dieser Strophe wird uns das Ergebnis der inneren Qualen nun schonungslos vor Augen geführt. All die Angriffe und die Isolation haben schließlich doch zum Zusammenbruch geführt. Im lyrischen Ich „zerbricht“ die Vernunft, was bleibt, ist der Absturz in den Wahnsinn. So wie auf Schiffen früher das Todesurteil vorsah, über eine Planke in die Unendlichkeit des Meeres zu stürzen, so stürzt das lyrische Ich in seinen „Tod“, in ein Schicksal ohne Hoffnung auf Rettung. Der Sturz ist end- und ziellos. Das lyrische Ich trifft auf endlose „Welten“, auf Ebenen innerhalb seines verworrenen Geistes, und kann doch keine betreten. Er stürzt weiter und weiter, bis er „aufhört, zu wissen“. Diese Strophe ist als Abschluss der vorausgegangenen Erfahrungen gedacht. 3. Erfahrungen des Lesers In I felt a Funeral in my Brain gelingt es Emily Dickinson nicht nur, dem Leser die verzweifelte Gemütslage des lyrischen Ichs über dessen Hörerlebnis schonungslos deutlich zu machen. Auch das „Hörerlebnis“ ist ein ganz Außergewöhnliches: Das Gedicht entfaltet seine ganze Wirkung erst, wenn man es hört – wenn man also auf die gleiche Wahrnehmungsebene angewiesen ist, wie die Person im Gedicht.8 Und hier ermöglicht Dickinson dem Hörer, die Erfahrungen des lyrischen Ichs zu teilen, und 8 Es finden sich zwar auch im Schriftbild Stilmittel, welche nur vom Leser erkannt werden können – wie die Groß- und Kleinschreibung -, jedoch ist das Gedicht vor allem auf den Hörer, und nicht so sehr auf den Leser angelegt. Daher ist von hier an vom „Hörer“ an Stelle vom „Leser“ die Rede. 29 zwar nicht etwa über die kognitive, sondern über die auditive Ebene. Nicht der Inhalt des Gedichtes ist entscheidend, sondern die Art und Weise, wie er präsentiert wird. Der Schlüssel dazu liegt im Rhythmus, im Reimschema und in den sprachlichen Stilmitteln, die Dickinson gewählt hat. Das Gedicht ist in klassischer Balladenform, englisch ballad meter, gehalten. Dieses von Dickinson bevorzugt gebrauchte Metrum, besteht aus sich abwechselnden drei- und vierhebigen Jamben und verleiht dem Gedicht eine ernste, fast düstere Stimmung.9 Es wird über das Gedicht kontinuierlich durchgehalten und zieht den Hörer in seinen Bann. Der Rhythmus erinnert mit seinem langsamen, nachdenklich stimmenden Effekt an die Atmosphäre auf einer Trauerfeier. Gleichzeitig hat es in seiner immer wiederkehrenden, monotonen Art eine unangenehme Wirkung auf den Hörer. Es entsteht eine beunruhigende und gleichzeitig betäubende Atmosphäre, ähnlich der durch das Stampfen der Stiefel und das Dröhnen der Trommel erzeugten Atmosphäre im Gedicht. Auch das Reimschema trägt seinen Teil dazu bei, das Hörerlebnis so besonders zu gestalten. Die jeweils zweiten und vierten Zeilen der Strophen reimen sich, die erste und dritte jedoch nicht. Dieses ABCBSchema gibt dem Hörer einen Hinweis: Irgend etwas passt hier nicht ganz zusammen, ist nicht in Ordnung. Und passend zu den Erlebnissen des lyrischen Ichs findet sich in der letzten Strophe nur noch ein schiefer Reim („down – then“), als wolle Dickinson dem Hörer zeigen, dass gerade etwas Entscheidendes geschehen sei. Und so ist es auch. Die Ordnung bricht zusammen, für das Rationale ist kein Platz mehr. So wie die Vernunft des lyrischen Ichs zerbricht, so „zerbricht“ auch hier auch das Reimschema. Wieder teilen die Person innerhalb des Gedichts und die Person außerhalb die gleiche Erfahrung. Weiterhin gebraucht Dickinson in I felt a Funeral in my Brain einige Stilmittel, die dazu beitragen, die Gefühle des lyrischen Ichs für den Hörer zugänglich zu machen. Hervorzuheben sind hier besonders die Wiederholungen. Wir finden sie mehrmals im Gedicht, in Zeile 3 (treading–– treading––), 8 (beating––beating) und 18 (down, and down). Darüber hinaus sind sich die ersten beiden Strophen im Aufbau so ähnlich, dass sie beim Hörer durchaus den Eindruck einer Wiederholung wecken können (dazu tragen zum Beispiel die ähnlichen Konstruktionen „till it seemed...“ – „till I thought...“ bei). Also macht nicht nur das lyrische Ich die Erfahrung von repetitiven Ereignissen, die ihn an den Rand des Wahnsinns und schließlich darüber hinaus treiben. Auch der Zuhörer durchlebt es. Eindrucksvoll verstärkt wird das ganze durch die Anapher „And“, die insgesamt 10 der 18 Zeilen einleitet. Durch den ständig gleichen Anfang der Zeilen erlebt der Hörer einerseits noch mehr Wiederholungen, andererseits auch eine Weiterentwicklung der „Handlung“. Je öfter er das Wort „And“ hört, desto sicherer kann er sich sein, dass er sich – genau wie auch das lyrische Ich – auf den Höhepunkt, auf die Entscheidung zu bewegt. 9 Zu Rhythmus und Reimschema siehe auch Garrido (2006). 30 Zudem erlebt er auch hautnah mit, wie die Ereignisse immer schneller und unkontrollierbarer werden: Beginnt in den ersten zwei Strophen nur jeweils eine Zeile mit „And“, so sind es in Strophe drei und vier schon je zwei Zeilen und in der letzten Strophe jede einzelne Zeile. Was langsam beginnt, steigert sich zum dramatischen Höhepunkt in der letzten Strophe. Dem Hörer bleibt kaum noch Zeit zum Luft holen, die Ereignisse überschlagen sich und reißen ihn mit, bis er die Kontrolle verliert – eine weitere Parallele zu den Erlebnissen der Hauptperson im Gedicht. Ein anderes, von Dickinson gern genutztes Stilmittel sind Alliterationen. Durch sie wird ein gewisser Fluss im Gedicht erzeugt und Passagen hervorgehoben. Beispiele sind „...and Silence, some strange Race“ (Z. 15) und „dropped down and down“ (Z. 18). Dickinson verbindet auch Alliterationen mit lautmalerischen Passagen, um eine besonders intensives Nachfühlen beim Hörer zu erreichen. Das Paradebeispiel ist „creak across“ in Zeile 10. Der Hörer kann die knarrenden Schritte förmlich hören! Andererseits wird das Gedicht häufig durch Gedankenstriche nach besonders wichtigen Passagen unterbrochen. Diese bewirken aber weniger einen Rhythmuswechsel, als dass sie dazu führen, das davor Gesagte etwas länger im Raum stehen zu lassen. Nun wirkt es nicht mehr endgültig und eindeutig. Der Hörer wird dazu gebracht, nachzudenken und Fragen zu stellen. Wo ist „here“ (Z. 16)? Was hat es mit der Bedeutung der letzten Zeile auf sich? Er sucht nach Antworten und wird so zum Leidensgenossen des lyrischen Ichs. Quellenangaben BookRags. 2007. I felt a Funeral in my Brain. Study guide. [www.bookrags.com/I_felt_a_Funeral%2C_in_my_Brain Zugang 30.09.07] eNotes.com. 2007. I felt a Funeral in my Brain. Study guide. [www.enotes.com/felt-funeral/ Zugang 30.09.07] Ernst, Katharina. 1992. „Death“ in the Poetry of Emily Dickinson. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag. Franklin, Ralph W. (Hrsg.). 1999. The Poems of Emily Dickinson. Cambridge: Belknap Press. Garrido, D.A. 2006. Emily Dickinson: Allegorical analysis of I Felt a Funeral in My Brain. Analysis of elements of poetry used by Emily Dickinson. Associated Content Forum. March 06, 2006. [www.associatedcontent.com/article/22969/emily_dickinson_allegorical_analysis. html Zugang 30.09.07] Melani, Lilia. 2003. Emily Dickinson: The inner world. Brooklyn College. English Department. [http://academic.brooklyn.cuny.edu/english/melani/cs6/funeral.html Zugang 30.09.07] 31 Mohr, Nicole. 2005. Emily Dickinson‘s poem I Felt a Funeral in My Brain. Pain and sound. Associated Content Forum. May 05, 2006. [www.associatedcontent.com/article/30742/emily_dickinsons_poem_i_felt_a_fun eral.html Zugang 30.09.07] Small, Judy Jo. 1990. Positive as Sound. Emily Dickinson's Rhyme. Athen: Georgia Press. Wardorp, Daneen. 2002. Emily Dickinson and the Gothic in Facsicle 16. In: The Cambridge Companion to Emily Dickinson, Hrsg. von Wendy Martin. Cambridge: Cambridge University Press. Wolff, Cynthia Griffin. 2007. On 280 (I felt a Funeral, in my Brain). Modern American Poetry. University of Illinois at Urbana-Champaign. Department of English. [www.english.uiuc.edu/maps/poets/a_f/dickinson/280.htm Zugang 30.09.07] Note This paper was prepared during the course “Introduction to Poetry: Emily Dickinson & Robert Frost” (PS Literaturwissenschaft; summer term 2007) held by Dr. Heiko Jakubzik. Stefan Petri (6. Fachsemester – Anglistik / Magister) may be contacted via <[email protected]>. 32