Alpin- und Höhenmedizin - Online-Infomappe - Ö1
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Alpin- und Höhenmedizin - Online-Infomappe - Ö1
DIE RADIODOKTOR-INFOMAPPE Ein Service von: ORF A-1040 Wien, Argentinierstraße 30a Tel.: (01) 50101/18381 Fax: (01) 50101/18806 Homepage: http://oe1.ORF.at Österreichische Apothekerkammer A-1091 Wien, Spitalgasse 31 Tel.: (01) 404 14-600 Fax: (01) 408 84 40 Homepage: www.apotheker.or.at Österreichisches Bundesministerium für Gesundheit A-1030 Wien, Radetzkystr. 2 Tel.: (01) 71100-4505 Fax: (01) 71100-14304 Homepage: www.bmg.gv.at/ RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 1 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT Die Sendung Die Sendereihe „Der Radiodoktor“ ist seit 1990 das Flaggschiff der Gesundheitsberichterstattung von Ö1. Jeden Montag von 14.05 bis 14.40 Uhr werden interessante medizinische Themen in klarer informativer Form aufgearbeitet und Ö1- Hörerinnen und -Hörer haben die Möglichkeit, telefonisch Fragen an das hochrangige Expertenteam im Studio zu stellen. Wir über uns Seit September 2004 moderieren Univ.-Prof. Dr. Karin Gutiérrez-Lobos, Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Dr. Christoph Leprich die Sendung. Das Redaktionsteam besteht aus Mag. Xaver Forthuber, Mag. Nora Kirchschlager, Dipl. Ing. Eva Obermüller, Dr. Doris Simhofer, Dr. Michaela Steiner, Dr. Ronny Tekal und Dr. Christoph Leprich. Das Service Seit dem 3. Oktober 1994 gibt es das, die Sendereihe flankierende, Hörerservice, das auf größtes Interesse gestoßen ist. Die zu jeder Sendung gestaltete Infomappe mit ausführlichen Hintergrundinformationen, Buchtipps und Anlaufstellen wird kostenlos zur Verfügung gestellt und ist bereits am Sendungstag auf der Ö1-Homepage zu finden. Diese Unterlagen stellen in der Fülle der behandelten Themen ein MedizinLexikon für den Laien dar. Die Partner Ermöglicht wird die Radiodoktor-Serviceleiste durch unsere Partner: die Österreichische Apothekerkammer und das Österreichische Bundesministerium für Gesundheit. An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich bei unserem Partner für die gute Zusammenarbeit bedanken! Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit in dieser Infomappe zumeist auf die weiblichen Endungen, wie z.B. PatientInnen, ÄrztInnen etc. verzichtet haben RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 2 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN: RISIKEN BEIM TOURENGEHEN UND EXTREMBERGSTEIGEN Mit Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz 19. November 2012, 14.05 Uhr, Ö1 Sendungs- und Infomappengestaltung: Mag. Nora Kirchschlager Redaktion: Dr. Christoph Leprich RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 3 INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS RISIKEN BEIM TOURENGEHEN UND EXTREMBERGSTEIGEN 6 DAS LAWINENUNGLÜCK Möglichkeiten der Risikominimierung – Die Sicherheitsausrüstung Der Lawinen-Airbag Das Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS) Der Avalanche Ball AvalungTM 10 11 11 11 11 11 Wie nicht verschüttete Personen handeln sollten 11 Eine Frage der Zeit Maßnahmen bei Verschüttungsdauer bis 35 Minuten Maßnahmen bei Verschüttungsdauer ab 35 Minuten Behandlung von Verschütteten mit Kreislaufstillstand 12 13 13 13 UNTERKÜHLUNG Vorkommen Symptome 14 14 14 Was am Unfallort zu tun ist Behandlung der Unterkühlungsgrade I und II Behandlung einer Unterkühlung dritten Grades Behandlung einer Unterkühlung vierten Grades 15 15 15 15 Lokale Erfrierungen Symptome Folgen von Erfrierungen Erste-Hilfe-Maßnahmen im Freien Behandlung in warmer Umgebung 16 16 16 17 17 GESUNDHEITSRISIKEN IN EXTREMEN HÖHEN Regeln der Akklimatisation Höhentauglichkeit 18 18 19 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 4 INHALTSVERZEICHNIS Höhenspezifische Risikofaktoren 19 DIE AKUTE HÖHENKRANKHEIT Zerebrale Formen AMS - die „milde akute Höhenkrankheit“ HACE (Höhenhirnödem) 20 20 20 20 Pulmonale Formen HAPE (Höhenlungenödem) 21 21 Therapie der Höhenkrankheit Maßnahmen bei AMS Maßnahmen bei HACE Maßnahmen bei HAPE 22 22 22 22 ANLAUFSTELLEN INFOLINKS BUCHTIPPS SENDUNGSGÄSTE 23 25 26 27 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 5 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN – RISIKEN BEIM TOURENGEHEN UND EXTREMBERGSTEIGEN Bald schon werden sich wieder Millionen Sportbegeisterte in den heimischen Bergen tummeln und ihrer Ski- bzw. Snowboard-Lust fröhnen. In den vergangenen Jahren hat vor allem die Zahl jener Wintersportler, die sich abseits der gesicherten Pisten bewegen – also Skifahrer, Snowboarder, Skitourengeher und Schneeschuhwanderer – rasant zugenommen. Natürlich macht das Sporteln in den winterlichen Bergen große Freude. Es darf aber nicht vergessen werden, dass jährlich im Durchschnitt 50 Menschen auf Österreichs Pisten sterben, abseits der gesicherten Hänge sind es 25. Die häufigsten Todesursachen auf den präparierten Pisten sind Stürze und HerzKreislauf-Erkrankungen, bei den „Free-Ridern“ hingegen Lawinenunfälle (16 Tote in der Wintersaison 2011/2012). Zwar konnten Verschütteten-Suchgeräte und Airbag-Systeme Ganzverschüttungen und Mortalitätsraten senken, dennoch werden nach wie vor 85 Prozent aller von einer Lawine Verschütteten tot geborgen. Risiko-angepasstes Verhalten und das nötige alpinistische Wissen sind also nach wie vor durch nichts zu ersetzen. Ausreichende Kenntnisse um die möglichen Gefahren des Bergsteigens können auch dazu beitragen, die Zahl der Erkrankungen bzw. Todesfälle bei Expeditionen in große und extreme Höhen, wie etwa dem Himalaya-Gebiet, zu minimieren. Die meisten Todesfälle sind auf die verschiedenen Formen der Höhenkrankheit zurückzuführen. Die Zahl der Opfer hat in den vergangenen Jahren zugenommen, da sich viele so genannte „Gipfelfresser“, nicht mehr die nötige Zeit nehmen, um ihren Körper schrittweise an die unwirtlichen Bedingungen anzupassen. In dieser Infomappe informieren wir Sie über die Gefahren des Bergsports und darüber, wie sich diese Risiken eindämmen lassen bzw. wie die notfallmedizinische Versorgung im Ernstfall auszusehen hat. In vielen Fällen ist es die unzureichende Kommunikation zwischen den einzelnen Teilnehmern einer sportlichen Expedition, die zu Unfällen führt. Unser Sendungsgast Harry Grün beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema „Gruppendynamik“ und hat dazu für die Zeitschrift „Der Gebirgsfreund“ (Ausgabe RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 6 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN 01/2011) einen Artikel verfasst. Er sei zu Beginn dieser Infomappe zur Gänze abgedruckt: Rollenspiele mit Alpha-Tierchen – Gruppendynamik beim Bergsteigen Anspruchsvolle Bergtouren alleine durchzuführen gilt gemeinhin als riskant. Sicherer ist es da schon zu zweit. Auf Gletschern sollte man sich zumindest zu dritt bewegen. Bergsteigen in der Gruppe gilt gemeinhin als Ideal und tatsächlich hat es, wenn richtig durchgeführt, seine sozialen und auch sicherheitstechnischen Vorzüge in einer Gemeinschaft unterwegs zu sein. Allerdings: Fehlt eine sicherheitsfokussierte Interaktion der Gruppenmitglieder, dann nimmt das Gefahrenpotenzial auf Grund sehr interessanter und komplexer, sozialer und psychologischer Mechanismen wieder zu! Abgesehen davon, dass auch in manch bewährter Gruppe die Kompetenzdichte sehr inhomogen verlaufen kann, ist es ein oft beobachtetes Phänomen, dass durchwegs kompetente und erfahrene Individuen, haben sie sich einmal einer Gruppe angeschlossen, zu unkritischen Mitläufern mutieren. Gruppenteilnehmer sind generell bereit ein merklich höheres Risiko einzugehen, als sie es als Einzelpersonen tun würden und stehen riskanten Entscheidungen weniger kritisch gegenüber. Das grundsätzlich positive Sicherheitsgefühl in einer Gruppe kann sich so in kritischen Situationen in eine Gefahrenquelle verwandeln. Die Klassiker unter den Störfaktoren für eine sichere und erfolgreiche Gruppenfahrt sind: Gruppendenken, Gruppendruck, Konformitätsdruck, Erfolgsdruck, Expertenfallen, Missverständnisse, Kommunikationsmangel oder auch ganz einfach Ignoranz. In der Praxis heißt das: die Individuen verlassen sich jeweils auf den anderen oder die Gruppe. Auch ohne dass jemals eine gemeinsame Willensbildung stattgefunden hat, gibt es eine unausgesprochene Übereinstimmung, dass sich so viele Menschen nicht irren können. Individuen wollen den Touren-Ablauf nicht durch Ihre Bedenken „stören“. Sie denken „wenn das alle machen, wird das schon ok sein, schließlich sind ja so viele erfahrene Experten dabei.“ Diese Experten sind aber oft Gipfeljäger, die instinktiv fühlen, dass durch zu viel „Gerede“ ihr Tatendrang unnötig eingeschränkt werden könnte und neigen dazu, Risikofaktoren auszublenden. Wirklich explosiv kann die Situation werden, wenn obige Faktoren auch noch von unklaren Entscheidungsstrukturen überlagert werden. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 7 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN Eine gut organisierte und „aufgeklärte“ Gruppe kann durch die gesammelten Fähigkeiten ihrer Mitglieder der gefühlten Sicherheit und dem subjektiven Wohlbefinden eine reale Sicherheit und ein begründetes gutes Gefühl zur Seite stellen. Dazu müssen aber sicherheitszentrierte Interaktionen aller Gruppenmitglieder systematisch in den Touren-Ablauf integriert werden. Die Tourenvorbereitung beginnt natürlich schon zuhause mit dem Einholen von Schneelagebericht, Lawinenwarnstufen und Wetterbericht. Dann wird die Tour an Verhältnisse und das Vermögen der Teilnehmer angepasst. Die eigentliche Entscheidungsfindung über das Vorgehen im Gelände ist allerdings ein dynamischer Prozess, der sich durch eine Aneinanderreihung von Wahrnehmungen und deren Bewertungen von der Ankunft im Zielgebiet bis zum Abschluss der Tour von Etappe zu Etappe entwickeln muss. Idealerweise verfügt die Gruppe über eine Führungspersönlichkeit. Diese AlphaMenschen sind meist selbstbewusst und entscheidungsfreudig, idealerweise kommunikationsstark und verantwortungsvoll. In einer demokratisch organisierten Gruppe kommt ihnen in der Entscheidungsfindungsphase eher die Rolle des Diskussionsleiters zu. Nach gefundener Entscheidung sind sie auch die ersten Wächter über die Einhaltung der Vereinbarungen. Von Gruppenleitern wird auch Sensibilität für Alarmzeichen erwartet. Sowohl solche, die aus der Gruppe kommen (z.B. Fehlverhalten von Gruppenmitgliedern) als auch solche, die auf die Gruppe einwirken (z.B. Wetterumschwung oder Gefährdung durch andere Bergsteiger). Diese Alpha-Menschen müssen nicht zwangsläufig auch die Sachverständigen sein. Diese Rolle ist besser bei den Beta-Menschen aufgehoben. Das sind die „Spezialisten“, die durch Kurse, Literatur und Foren geschult sind. Sie sind viel unterwegs und haben Erfahrung, damit Theorie und Praxis zu vergleichen und zu analysieren. Bei Anfragen können sie mit erschöpfenden Expertisen aufwarten. Sie sollen die Rolle der unabhängigen Berater einnehmen. Am besten ist es, wenn ein Alpha-Mensch von zumindest einem, besser jedoch von zwei bis drei Beta-Menschen flankiert wird. Die Rolle der Gamma-Menschen (kritische Teilnehmer bis passive Mitläufer) ist es, möglichst klar ihre Erwartungen, Sorgen, Bedenken und allenfalls „komische Gefühle“ zu formulieren. Sie sollen die Entscheidungsträger auffordern, ihre Entschlüsse sachlich zu begründen und sollen auf selbige mit Feed-Back reagieren. Bei größeren Gruppen (ab ca. 10 Personen) ist es auch sinnvoll, einen RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 8 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN „Gegenführer“ (Agent provocateur) zu bestimmen, der Entscheidungen, bevor sie umgesetzt werden, noch einmal kritisch hinterfragen soll oder auch, um durch einen bewusst eingenommenen riskanten Standpunkt, Widerspruch zu provozieren. Bevor die Gruppe den Ausgangspunkt verlässt, sind abgesehen von der Rollenverteilung folgende Punkte festzulegen: Die Gruppe soll/muss Sichtund/oder Ruf-Kontakt halten können. Die an der Spitze gehende Person ist dafür verantwortlich, dass die Gruppe nicht auseinander reißt. Der Gruppenleiter soll in der Mitte der Gruppe gehen, an der Spitze wechseln sich besser die „Spezialisten“ ab. Am Ende der Gruppe sollen keinesfalls Konditionsschwache oder unerfahrene Teilnehmer gehen, sondern jemand Erfahrener, mit ruhiger Ausstrahlung, Durchsetzungsvermögen und idealerweise kraftvoller Stimme! Bei Schlecht-Wetter und in kritischen Situationen ist Sicht und Rufkontakt von größter Wichtigkeit! Weiters werden über den Routenverlauf Check-Points, an denen sich die Gruppe sammelt, festgelegt: Weggabelungen, Baumgrenze, steile Schneefelder, neue Witterungs-Exposition der Route oder auch schöne Pausenplätze können dazu Anlass geben. Hier müssen die der Tour-Entscheidung zugrunde liegenden Annahmen auf Übereinstimmung mit den wahrgenommenen Fakten überprüft werden und gegebenenfalls neu bewertet werden. Natürlich können auch nicht vorhergesehene Aspekte eine spontane Gruppenkonsultation und eine neuerliche Bewertung der Situation erzwingen. Bei Skitouren ist beim Abmarsch der LVS-Check zwingend! Ebenso die Einhaltung der Sicherheitsabstände. Erfahrungsgemäß wird die Bedeutung letzterer nicht ausreichend wahrgenommen. Sicherheitsabstände müssen von allen Teilnehmern auch anderen Gruppen gegenüber energisch eingemahnt werden! Sollte sich die Gruppe aus welchen Gründen auch immer teilen, sind u.a. folgende Punkte zu beachten: Beide Gruppen müssen mit ihrer Sicherheits- und Notfallausrüstung autark bleiben. Welcher Teilnehmer in welcher Gruppe weitergeht, muss explizit festgestellt werden. Verantwortungskompetenzen müssen klar verteilt werden. Der Treffpunkt muss örtlich klar definiert werden („weißt eh, dort bei dem großen Felsen/Baum“ kann leicht falsch interpretiert werden!!) und auch der Zeitpunkt. Nicht: „in ca. zwei Stunden“, sondern z.B. „um 13.30h“. Außerdem muss klar festgelegt werden, was unternommen wird, wenn eine Gruppe nicht beim Treffpunkt auftaucht. Ab wann wird Alarm ausgelöst? Oder: ab RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 9 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN wann geht die wartende Gruppe weiter, ohne das Eintreffen der anderen abzuwarten. Zeitlimit!! Achtung: Solche Anlässe sind sehr anfällig für Missverständnisse!! Die Person, die eine Anweisung oder Vereinbarung festlegt, ist dafür verantwortlich, dass die Botschaft auch „ankommt“. Um bei wichtigen Botschaften Missverständnissen vorzubeugen ist es angebracht, sich den Inhalt von den Empfängern wiederholen zu lassen. Bergunfälle passieren meistens nicht durch ein isoliertes „Pech“, einzelnes Fehlverhalten oder eine “Verkettung unglücklicher Umstände“, sondern sehr oft wegen einer Summe leicht vermeidbarer Nachlässigkeiten! Beobachtet man Menschen, die immer wieder „vom Pech verfolgt“ werden, so wird man meistens auf ein charakteristisches Verhaltensmuster stoßen: Sie setzen allzu oft ausschließlich auf die Glückskarte. Alles was sich dann nicht als der „gaG“ (größter anzunehmender Glücksfall) herausstellt, ist dann eben ein Pech! Kritische Beobachtung hilft bei der Früherkennung von Risiko-anfälligem Verhalten. Z.B. wenn eine Gruppe aufbricht, ohne sich vorher über sicherheitsrelevante Aspekte ausgetauscht zu haben oder wenn auf sicherheitsrelevante Anfragen nur mit dem Hinweis auf die Erfahrung des Führers gekontert wird, wenn bei Antritt einer Skitour kein LVS-Check gemacht wurde oder Partner-Check nach dem Anseilen unterlassen wird usw. Hier müssen bereits die Alarmglocken anschlagen! Von in Ehren ergrauten Bergsteigern habe ich den Ausspruch gelernt: Für eine erfolgreiche Bergfahrt braucht es ein Drittel gelerntes Handwerk, ein Drittel Hausverstand und ein Drittel Glück. Aber eben in dieser Reihenfolge! DAS LAWINENUNGLÜCK Es ist ein wunderschöner Wintertag und man befindet auf einer Skitour, in einem scheinbar sicheren Hang. Plötzlich ist ein dumpfer Knall zu vernehmen. Eine Lawine hat sich gelöst. Sinnvolle Maßnahmen in dieser Situation sind: falls möglich das Verlassen der Lawinenbahn durch Schussfahrt, wenn einen die Lawine erfasst - das Befreien von Skiern und Stöcken sowie die Durchführung von Schwimmbewegungen während des Lawinenabgangs. Umfragen zufolge haben sich jedoch die Einnahme einer Kauerstellung und das Halten der Hände vor das Gesicht als in der Notsituation am Durchführbarsten erwiesen. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 10 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN MÖGLICHKEITEN DER RISIKOMINIMIERUNG – DIE SICHERHEITSAUSRÜSTUNG Der Lawinen-Airbag Dabei handelt es sich um Kunststoffballons, die durch das Ziehen einer Reißleine mit Stickstoff und Luft gefüllt werden. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer Ganzverschüttung und damit eines möglichen Todes. Das Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS) Durch das LVS wurde die Überlebenswahrscheinlichkeit nach einer Ganzverschüttung in den vergangenen 30 Jahren deutlich vergrößert. Notwendig ist jedoch ein entsprechendes Wissen zum Umgang mit dem Gerät. Der Avalanche Ball Durch das Ziehen einer Reißleine entfaltet sich ein Ball, der während des Lawinenabgangs auf der Schneeoberfläche bleibt. Durch die Verfolgung der Schnur kann der Verschüttete schnell geortet werden. AvalungTM AvalungTM ist seit 1996 auf dem Markt. Dabei handelt es sich um eine Weste, ein Rucksack- oder Gurtsystem, das man am Oberkörper trägt. Während einer Verschüttung atmet der Betroffene über ein Mundstück die Luft aus dem Schnee ein. Die Ausatmung erfolgt über den Rücken zurück in den Schnee. Durch das getrennte Ein- und Ausatmungssystem wird eine Anreicherung der Inspirationsluft mit CO2 verhindert. All diese technischen Möglichkeiten haben in den vergangenen 30 Jahren zu einer deutlichen Senkung von Ganzverschüttungen sowie zu früheren Bergungen geführt. Die Letalität sank etwa in der Schweiz von 1977 bis 2006 von 60 auf 40 Prozent. WIE NICHT VERSCHÜTTETE PERSONEN HANDELN SOLLTEN Da die meisten Lawinenopfer nur innerhalb einer Zeitspanne von 18 Minuten gerettet werden können, ist eine rasche Bergung das Gebot der Stunde. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 11 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN Folgende Richtlinien sollten nicht verschüttete Personen beachten: 1. Den erfassten Skifahrer in der fließenden Lawine genau mitverfolgen, Verschwindepunkt markieren. 2. Sofortige Alarmierung über Handy oder Funkgerät, falls verfügbar. 3. Suche durch alle verfügbaren Personen für mindestens 18 Minuten. Erst anschließendes Abfahren und Alarmieren durch ein Gruppenmitglied (falls keine Alarmierung per Handy). 4. Ortung mit dem Verschütteten-Suchgerät bei gleichzeitiger Oberflächensuche mit Auge und Ohr. 5. Lage und Tiefe des Verschütteten mit der Tourensonde feststellen, Sonde steckenlassen. 6. Ausgraben mit allen verfügbaren Schaufeln nicht direkt von oben, sondern schräg von der Seite. 7. Bei Erreichen eines Körperteiles des Verschütteten sofort mit der Hand am Körper entlang einen Luftkanal zum Gesicht graben und Atemwege freilegen. EINE FRAGE DER ZEIT Ob jemand ein Lawinenunglück überlebt, hängt von vier Faktoren ab – nämlich Verschüttungsgrad, Verschüttungsdauer, dem Vorhandensein freier Atemwege (kein Schnee in den Atemwegen etc.) und einer Atemhöhle. Wird ein Mensch zur Gänze verschüttet, sprich, es werden mindestens Kopf und Oberkörper von den Schneemassen erfasst – beträgt die Sterberate 49 Prozent. Bleiben Kopf und Oberkörper frei (Teilverschüttung), liegt die Mortalität bei „nur“ drei Prozent. Zwischen 18 und 35 Minuten Verschüttungsdauer (bei Ganzverschüttung) sterben rund 50 Prozent der Betroffenen. Todesursachen sind die Verlegung der Atemwege durch Schnee oder Speichel sowie Brustkorbquetschung. Jene Ganzverschütteten, die nach 35 Minuten noch am Leben sind, verfügen über freie Atemwege und sehr oft über eine „Atemhöhle“, also einen Luftraum vor Mund und Nase. Wie lange diese Personen überleben, hängt vom Volumen der Atemhöhle und von der Schneedichte ab. Nur zehn Prozent überleben länger als drei Stunden in einer Lawine. Der Großteil stirbt zuvor am so genannten „Triple-H-Syndrom“. Darunter versteht man das RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 12 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN gleichzeitige Auftreten von Sauerstoffmangel (Hypoxie), einem erhöhten Kohlenstoffdioxidgehalt im Blut (Hyperkapnie) und Unterkühlung (Hypothermie). Rund fünf Prozent aller österreichischen Lawinentoten starben aufgrund eines mechanischen Traumas, z.B. Frakturen der Extremitäten, stumpfe Thorax- und Bauchtraumen sowie Schädelhirntraumen und Verletzungen der Halswirbelsäule. Maßnahmen seitens eines Notfallmediziners bei Verschüttungsdauer bis 35 Minuten Hier stehen Schnelligkeit der Bergung sowie das Freilegen verlegter Atemwege an erster Stelle. Liegt Ateminsuffizienz bzw. Atemstillstand vor, ist eine Beatmung bereits in der Bergungshöhle vonnöten. Bei Herzkreislaufstillstand erfolgt eine Reanimation in der Bergungshöhle oder in einem Behandlungszelt, um den Wind abzuhalten und damit ein allzu rasches Abkühlen des Geborgenen zu verhindern. Steht ein längerer Abtransport bevor, muss der Verunfallte mit chemischen Wärmebeuteln, Aluminiumfolie, Wolldecken, Biwaksack und Haube versorgt werden. Maßnahmen seitens eines Notfallmediziners bei Verschüttungsdauer ab 35 Minuten Es ist zuallererst festzustellen, ob der Verschüttete freie Atemwege aufweist. Anschließend sollte der Verunglückte vorsichtig und bewegungsarm geborgen werden. Über ein EKG können Arrhythmien und Kammerflimmern frühzeitig erkannt werden. Die wichtigste Maßnahme bei diesen Personen ist die Therapie der Unterkühlung – und zwar in einem windstillen Behandlungszelt. Ist das Lawinenopfer wach und weist über einen Schluckreflex auf, ist die Gabe von heißen, süßen Getränken sowie das Wechseln der Kleidung angezeigt. Unbedingt notwendig ist die Zufuhr von Sauerstoff. Die Standardtherapie bewusstloser, unterkühlter Personen umfasst: Sauerstoffgabe Monitoring der Kerntemperatur EKG-Monitoring Atemwegssicherung Behandlung von Verschütteten mit Kreislaufstillstand Wird ein Verschütteter ohne Atmung geborgen, erfolgt sofort die Reanimation durch den Notarzt - anschließend die Ableitung eines EKGs und die Messung der Kerntemperatur. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 13 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN Bei Verschüttungsdauer bis zu 35 Minuten und/oder eine Kerntemperatur bis 32 Grad setzt der Notarzt die Reanimation fort. Bei Erfolg wird das nächstgelegene Krankenhaus mit Intensivstation angeflogen. Bei längerer Verschüttungsdauer bzw. niedrigerer Kerntemperatur muss folgendes beachtet werden: 1. Sind die Atemwege frei, muss die Reanimation bis zur Einweisung in ein Krankenhaus mit Herz-Lungen-Maschine erfolgen. 2. Bei verschlossenen Atemwegen kann die Reanimation abgebrochen werden. 3. Bei Unklarheiten hinsichtlich des Zustandes der Atemwege wird wie in Punkt 1 beschrieben verfahren. Quelle: Das vorangegangene Kapitel zum Thema Lawinenunfall ist inhaltlich an die Abhandlung „Der Lawinenunfall“ (2012) von Hermann Brugger, Bruno Durrer und Günther Sumann angelehnt. UNTERKÜHLUNG Unter einer Unterkühlung (Hypothermie) versteht man ein Absinken der Körpertemperatur unter 35 Grad Celsius. Vorkommen Eine Unterkühlung kann Folge eines Wärmeverlusts sein, z.B. bei: Unbeweglichkeit durch Verletzung, Erschöpfung, Vergiftung oder Stoffwechselentgleisung Wasserunfall Lawinenunfall Gletscherspaltenunfall Symptome Zu den Symptomen einer Unterkühlung zählen – je nach Schweregrad Bewusstseinsstörungen bis zum Verlust des Bewusstseins, Zittern, gesteigerte Atmung bei beginnender sowie Verlangsamung der Atmung bei fortgeschrittener Unterkühlung (kann bis zum Atemstillstand führen). Weitere Anzeichen sind ein verlangsamter Herzschlag und ein niedriger Blutdruck. Zu einem Kreislaufstillstand kommt es in der Regel bei Körpertemperaturen unter 28°C. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 14 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN WAS AM UNFALLORT ZU TUN IST Das Handeln am Ort des Geschehens hängt vom jeweiligen Grad der Unterkühlung ab. Generell äußerst wichtig sind bewegungsarme Bergung und der Schutz vor weiterem Auskühlen. Dazu eignen sich: mehrschichtige Isolation (Isolationsdecke, Kleider, Decken, Schlaf-, Biwaksack) Windschutz (Biwak) Wechsel von nasser Kleidung engen Körperkontakt zu den Helfern chemische Wärmepackungen am Stamm (wegen möglicher Verbrennungsgefahr immer über den Kleidern) Verabreichung von feuchter Warmluft/Sauerstoff Behandlung der Unterkühlungsgrade I und II Bei einer leichten Hypothermie (Stadium I) friert der Patient und Puls-bzw. Atemfrequenz sind infolge des gesteigerten Sauerstoffbedarfs erhöht. Betroffene sollten sich bewegen und heiße, kohlenhydratreiche Getränke zu sich nehmen. Die Aufnahme in ein Krankenhaus empfiehlt sich speziell bei ganzverschütteten Lawinenopfern. Liegt eine „mäßige Hypothermie mit getrübtem Bewusstsein“ (Stadium II) vor, sind die Gabe von Sauerstoff, eine rasche Isolation sowie das Zuführen von heißen, kohlehydratreichen Getränken vonnöten. Behandlung einer Unterkühlung dritten Grades In Stadium III, also bei einer „tiefen Hypothermie mit Bewusstlosigkeit“ verringert die Gabe von Sauerstoff das Risiko eines Bergungstodes. Nach Möglichkeit sollte rasch ein intravenöser Zugang gelegt und die verunfallte Person intubiert werden. Dann ist es möglich, die unterkühlte Person mit warmem, feuchtem Sauerstoff zu beatmen. Andernfalls ist während des Transports in das Krankenhaus eine stabile Seitenlage und strengste Überwachung des Patienten indiziert. Behandlung einer Unterkühlung vierten Grades Das vierte und letzte Stadium der Unterkühlung, die „tiefe Hypothermie mit Kreislaufstillstand“ erfordert eine Reanimation und die Zufuhr von warmem, feuchtem Sauerstoff über ein Beatmungsgerät. Medikamente dürfen in Stadium IV keine verabreicht werden. Weiters sollten höchstens drei Defibrillationsversuche mit maximaler Energie durchgeführt werden. Das Zielkrankenhaus sollte über eine Herz-Lungen-Maschine verfügen. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 15 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN Quelle: Das vorangegangene Kapitel zum Thema Unterkühlung ist inhaltlich an die Abhandlung „Akzidentelle Hypothermie im Gebirge – Möglichkeiten und Grenzen der ärztlichen Versorgung“ (2012) von Bruno Durrer, Hermann Brugger und Günther Sumann angelehnt. LOKALE ERFRIERUNGEN Eine Erfrierung ist ein lokal begrenzter Kälteschaden. Dabei kommt es zu Eiskristallbildung, Zellschädigung oder –sterben sowie zu Durchblutungsstörungen in angrenzenden Bereichen. Betroffen sind häufig Zehen, Finger, Nase und Ohren. Risikofaktoren für lokale Erfrierungen sind: Enge Kleidungsstücke bzw. Schuhe Verlust von Kleidungsstücken Flüssigkeitsmangel Große Höhen Erschöpfung Symptome Das Warnzeichen schlechthin für eine beginnende örtliche Erfrierung ist anhaltende Gefühllosigkeit. Generell lassen sich lokale Erfrierungen in drei Grade einteilen: Grad eins ist gekennzeichnet durch blasses, kaltes, gering geschwollenes Gewebe, Schmerzlosigkeit und Taubheit. Eine vollständige Heilung ist üblich. Eine Erfrierung zweiten Grades zeigt sich durch blaurote Verfärbungen, Blasenbildung und Zerstörungen des Haut- und Unterhautgewebes. Typische Symptome einer Erfrierung dritten Grades sind harte, gefrorene Gewebeschichten sowie Taubheit und Schwellungen nach dem Auftauen. Wochen oder Monate später kommt es zu blauschwarzen Verfärbungen, Mumifizierung und einer scharfen Abgrenzung zum gesunden Gewebe sowie zu und einer Abstoßungsreaktion. Folgen von Erfrierungen Dauerschäden sind nach der Wiedererwärmung bei dunklen, blutgefüllten Blasen zu erwarten. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 16 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN Abgewartet wird eine Spontanabstoßung des zerstörten Gewebes, ein Prozess, der mehrere Monate dauern kann. Zu den möglichen Spätfolgen zählen Durchblutungsstörungen und ein erhöhtes Risiko für abermalige Erfrierungen. Lässt sich die Durchblutung eines erfrorenen Körperteils nicht innerhalb von 48 Stunden wiederherstellen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Amputation desselben sehr wahrscheinlich. Erste-Hilfe-Maßnahmen im Freien Windschutz in einem Biwaksack oder Schneeloch sowie Lockern von einengenden Kleidern oder Schuhen Warme Getränke Wechseln der nassen Kleidung Auflegen von warmen Händen auf die erfrorenen Stellen Aktive Bewegung (nur wenn nicht gleichzeitig eine allgemeine Unterkühlung vorliegt) Bei schweren Erfrierungen: lockere, warme Verbände, druckfreie Lagerung und passiver Abtransport KEIN Einreiben mit Schnee, da die Gefahr von Gewebsschädigungen droht Erfrorene Stellen NICHT in den Mund nehmen oder anhauchen – Gefahr von Verdunstungskälte! Erfrorene Stellen nur aufwärmen, wenn keine Gefahr des erneuten Einfrierens besteht Behandlung in warmer Umgebung Es sollten heiße, gezuckerte Getränke verabreicht werden. Weiters sollte ein rasches Auftauen der erfrorenen Körperteile erfolgen. Begonnen wird mit lauwarmem Wasser. Nach und nach wird heißeres Wasser nachgegossen, bis eine Temperatur von 38°C erreicht ist. Während dieses Vorgangs sollte der Betroffene die erfrorenen Körperteile bewegen. Anschließend wird ein keimfreier Wundverband angelegt und die betroffenen Extremitäten werden hochgelagert. Blasen nicht öffnen, sondern steril abdecken. Keine trockene Wärme (Feuer/Heizung) einsetzen, da aufgrund fehlender Temperaturempfindlichkeit die Gefahr von Verbrennungen besteht. Bei Erfrierungsgrad 2 und 3 ist für eine schnelle klinische Weiterbehandlung zu sorgen. Quellen: Kälteschäden im Gebirge http://85.25.34.248/bergmed/bergmed.php?section=13 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 17 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN Kälteschäden und Erfrierungen http://www.derdachstein.at/dachstein/de/img/content/medizin_01_2006.pdf Erste Hilfe für Bergsportler http://www.geo-coaching.net/template_geoc/pdf_doks/erste_hilfe.pdf GESUNDHEITSRISIKEN IN EXTREMEN HÖHEN Pro Saison sind mehr als 30.000 Trekker in der Region des Mount Everest unterwegs, mehr als 60.000 besteigen jährlich den Kilimanjaro. Während die Mortalität beim Trekking, das vorwiegend in Höhen unter 5.500 Metern Seehöhe stattfindet, bei 0,01 Prozent liegt, steigt diese beim Expeditionsbergsteigen auf drei Prozent. In manchen Jahren kosteten die Achttausender rund einem Viertel der Expeditionsteilnehmer das Leben. Zu den Hauptproblemen in extremen Höhen zählen Sauerstoffmangel (Hypoxie) Unterkühlung (Hypothermie), Nahrungsdefizit (Hypoglykämie) und Flüssigkeitsmangel (Dehydrierung). Ab einer Höhe von 2.500 Metern Höhe ist der Körper nicht mehr in der Lage, sich sofort an die Veränderungen der Umgebung anzupassen. Für jeden, der sich in diese Höhen und weiter hinauf begibt, ist daher eine schrittweise Akklimatisation vonnöten. Übertriebener Ehrgeiz und Selbstüberschätzung führen jedoch immer häufiger dazu, dass Bergsteiger viel zu schnell den Berg „hinaufrennen“. Unterschiedliche Formen der Höhenkrankheit sind demnach häufig, wie auch unser Sendungsgast, der Extrembergsteiger Harry Grün bestätigt. REGELN DER AKKLIMATISATION Ein Berg sollte nicht zu schnell bestiegen werden und ist man in einer Gruppe unterwegs, so sollte jeder sein eigenes Tempo gehen und sich nicht von anderen hetzen lassen. Von großer Bedeutung ist überdies eine gute Schlafhöhentaktik. Nach dem Erreichen der Schwellenhöhe (2.500 m) sollten Bergsteiger mehrere Nächte auf dieser Höhe schlafen oder bei kontinuierlichem Aufstieg tägliche Schlafhöhenunterschiede von mehr als 400 Meter vermeiden. Wichtig für eine erfolgreiche Akklimatisation sind außerdem bewusstes Hyperventilieren (heftiges Atmen), vermehrte Flüssigkeitszufuhr (täglich drei bis vier Liter) und kohlenhydratreiche Ernährung. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 18 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN HÖHENTAUGLICHKEIT Ob jemand von einer Höhenkrankheit betroffen ist, hängt übrigens nicht damit zusammen, wie fit und trainiert diese Person ist. Auch Geschlecht und Alter spielen keine Rolle. Die „Verträglichkeit“ der Höhe hängt neben der notwendigen Zeit der Akklimatisation ab von: Genetische Disposition Gesundheitszustand Ausmaß an Atemfrequenzsteigerung durch Hypoxie (Sauerstoffmangel) (HVR) Ausmaß der Lungengefäßdruckerhöhung durch Hypoxie Psychovegetative Verfassung HÖHENSPEZIFISCHE RISIKOFAKTOREN Dazu zählen: Lungenventilationsstörungen Lungendiffusionsstörungen Lungenperfusionsstörungen Rezidivierende Lungenembolie Pulmonale Hypertonie Koronare Herzkrankheit (mit oder ohne manifeste Risikofaktoren bei Männern über 45 und Frauen über 55 Jahren) Arterielle Durchblutungsstörungen Organische Herzerkrankungen (z.B. offenes Foramen ovale, paroxysmales Vorhofflimmern usw.) Instabiles Asthma bronchiale Lungenteilresektion Anamnestisch wiederholtes HAPE Ausgeprägte Varikositas, Thromboseanamnese Proktologische Erkrankungen (Hämorrhoiden) Nierensteinanamnese Latente oder manifeste Infektionsherde Anfallsleiden Raynaud-Syndrom Migräne Prä- und postklimakterische Hormontherapie Erfrierungsanamnese Zahn- und Kiefererkrankungen RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 19 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN Tropenerkrankungen Andere individuelle Gesundheitsschäden Gerinnungsstörungen DIE AKUTE HÖHENKRANKHEIT Unter diesem Überbegriff werden sämtliche Formen der Anpassungsstörung an Sauerstoffmangel in extremen Höhen. ZEREBRALE FORMEN AMS - die „milde akute Höhenkrankheit“ Sie tritt hauptsächlich in Höhen zwischen 2.500 und 6.000 Metern auf. Zu den Symptomen zählen: Kopfschmerz (Leitsymptom) - plus mindestens eines der folgenden Symptome: •Müdigkeit •Schwäche •Appetitlosigkeit •Übelkeit •Ruheherzfrequenzerhöhung über 20 % •Atemnot bei Anstrengungen •Schlaflosigkeit •Häufige nächtliche Apnoephasen •Apathie •Periphere Ödeme •Flüssigkeitsretention (verringerte 24-Stunden-Urinmenge) HACE (Höhenhirnödem) Dabei handelt es sich um eine generalisierte neurologische Störung, die häufig tödlich verläuft. Die Symptome sind: Ataxie (Störung der Bewegungskoordination) (Leitsymptom) •Schwerste, medikamentenresistente Kopfschmerzen •Übelkeit, Erbrechen •Schwindelzustände •Halluzinationen RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 20 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN •Lichtscheue Sehstörungen •Papillenödem •Vernunftwidriges Verhalten •Neurologische Veränderungen (Nystagmus, Pyramidenzeichen, Hemiparesen, Nackensteifigkeit, Augenmuskellähmungen) •Fieber •Bewusstseinsstörungen •Koma •24-Stunden-Urinmenge unter 0.5 Liter PULMONALE FORMEN HAPE (Höhenlungenödem) Diese Erkrankung kann unabhängig von AMS und HACE (siehe oben) auftreten, häufig aber auch in Kombination mit diesen. Die meisten Krankheitsfälle passieren zwischen 3.000 und 4.500 Metern Höhe. HAPE ist jene Höhenkrankheit, die am häufigsten zum Tode führt. Die Symptome der Erkrankung sind: Plötzlicher Leistungsabfall (Leitsymptom) Anfangs Atembeeinträchtigung bei Anstrengungen, mit verlängerter Erholungszeit •Später Atembeeinträchtigung in Ruhe Pulsanstieg Blauverfärbung der Haut Trockener Husten, später Husten mit blutig-schaumigen Auswurf Feinblasige Rasselgeräusche, später Distanzrasseln (frei hörbares Rasseln) Brennender Druck hinter dem Brustbein Erbrechen Fieber Flachlagerung unmöglich 24-Stunden-Urinmenge unter 0.5 Liter RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 21 ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN THERAPIE DER HÖHENKRANKHEIT Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei der akuten Höhenkrankheit ist immer Sauerstoff – entweder, sofern möglich, durch Abstieg/Abtransport in niedrigere Bereiche oder via Flasche bzw. Überdrucksack. Zusätzlich vonnöten sind körperliche Ruhe, Wärmezufuhr und einige höhenspezifische Medikamente. Maßnahmen bei AMS 1. Rasttag, eventuell vorrübergehender Abstieg 2. Medikamente: Ibuprofen, Naproxen Maßnahmen bei HACE 1. Abtransport 2. Sauerstoff (anfangs hohe Flussrate, später zwei bis vier Liter pro Minute) 3. Kortison (Dexamethason) initial mind. 8 mg, dann alle sechs Stunden 4 mg 4. Überdrucksack Maßnahmen bei HAPE 1. Abtransport 2. Sauerstoff (anfangs hohe Flussrate, später zwei bis vier Liter pro Minute) 3. Dexamethason initial mind. 8 mg, dann alle sechs Stunden 4 mg 4. Nifedipin retard 20 mg alle sechs Stunden 5. Überdrucksack 6. Kälteschutz Quelle: Das vorangegangene Kapitel zum Thema Höhenkrankheit ist inhaltlich an das „Handbuch der Trekking- und Höhenmedizin: Praxis der Höhenanpassung – Therapie der Höhenkrankheit“ (7. Auflage, 2009) von Franz Berghold und Wolfgang Schaffert angelehnt. RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 22 ANLAUFSTELLEN ANLAUFSTELLEN Univ.-Prof. Dr. Franz Berghold Allgemeinarzt, Sportarzt, Alpinarzt, Berg- und Skiführer Lehrender am Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften der Uni Salzburg Ordination: Wilhelm Fazokasstrasse 21 A-5710 Kaprun Tel.: +43/6547/8227 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.franzberghold.at/index.php Harry Grün Extrembergsteiger, von Beruf Tischler Österreichischer Alpenverein, Sektion Österr. Gebirgsverein Lerchenfelderstr. 28 A-1080 Wien Tel.: +43/664/525 61 92 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.gebirgsverein.at/OEAVEVENTS/news/index.php?zv=106&ve=1&gr=1&navid=127 Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin Lehnrain 30a A-6414 Mieming Tel.: +43/664/436 82 47 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.alpinmedizin.org/ Institut für Urlaubs- Reise- und Höhenmedizin Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) Eduard-Wallnöfer-Zentrum 1 A-6060 Hall in Tirol Tel.: +43/50/8648/3840 E-Mail: [email protected] RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 23 ANLAUFSTELLEN Homepage: http://ihm.umit.at/index.cfm ARGE Alpinmedizin - Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für Alpinmedizin an der Karl-Franzens-Universität Graz http://www.argealpinmed.at/ Österreichischer Alpenverein Olympiastr. 37 A-6020 Innsbruck Tel.: +43/512/59547 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.alpenverein.at/portal/index.php Rufnummer der österreichischen Bergrettung: 140 (in Vorarlberg 144) Österreichische Lawinenwarndienste http://www.lawine.at/ Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik http://www.zamg.ac.at/cms/de/aktuell Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin http://www.bexmed.de/ Forum Alpinum – Schweizerische Gesellschaft für Gebirgsmedizin http://www.forum-alpinum.ch/ International Society for Mountain Medicine http://www.ismmed.org/ RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 24 INFOLINKS INFOLINKS Variantenfahren, Freeriden und der freie Skiraum - Fakten statt Mythen http://www.alpinesicherheit.at/index.php?menuid=2508 Ernstfall Lawine http://www.bergnews.com/service/verhalten-lawinenunfall/verhaltenlawinenunfall.php Lawinenunfälle vermeiden! Was tun? http://www.bergrettung.at/Lawinentod.489.0.html Alpinmedizin - Sicher in den Bergen! http://minimed.at/index.php?action=9&kat=39&thema=299&PHPSESSID=9bqatmu s953jigcp6g4e4hrbl2 Kälteschäden http://www.high-mountains.de/Alpinmedizin/Kalt.pdf http://85.25.34.248/bergmed/bergmed.php?section=13 Unterkühlung http://www.bergrettung.at/Unterkuehlung.529.0.html Erste Hilfe für Bergsportler http://www.geo-coaching.net/template_geoc/pdf_doks/erste_hilfe.pdf Notfälle im alpinen Gelände http://www.rd-f.de/downloads/Vortraege/pdf/niag.pdf RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 25 BUCHTIPPS BUCHTIPPS Physiologie und Medizin der großen und extremen Höhen – Höhentrekking und Höhenbergsteigen, von Franz Berghold (zum Herunterladen) http://www.alpinmedizin.org/pdf/PhysiologieGuEHoehen.pdf Handbuch der Trekking- und Höhenmedizin, von Franz Berghold und Wolfgang Schaffert (zum Herunterladen) http://www.alpinmedizin.org/pdf/HandbuchTrekking.pdf Thomas Hochholzer, Martin Burtscher Trekking & Expeditionsbergsteigen - Ein medizinischer Ratgeber Panico Alpinverlag 2010 Thomas Küpper, Klaas Ebel, Ulf Gieseler (Hrsg.) Moderne Berg- und Höhenmedizin: Handbuch für Ausbilder, Bergsteiger, Ärzte Verlag Gentner 2009 ISBN-13: 978-3872476906 Stephan Harvey, Hansueli Rhyner, Jürg Schweizer Lawinenkunde: Praxiswissen für Einsteiger und Profis zu Gefahren, Risiken und Strategien Verlag Bruckmann 2012 ISBN-13: 978-3765457791 Markus Stadler Skitouren: Ausrüstung - Technik - Sicherheit Bergverlag Rother 2012 ISBN-13: 978-3763360338 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 26 SENDUNGSGÄSTE SENDUNGSGÄSTE In der Sendung Radiodoktor – Medizin und Gesundheit vom 19. November 2012 waren zu Gast: Univ.-Prof. Dr. Franz Berghold Allgemeinarzt, Sportarzt, Alpinarzt, Berg- und Skiführer Lehrender am Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften der Uni Salzburg Ordination: Wilhelm Fazokasstrasse 21 A-5710 Kaprun Tel.: +43/6547/8227 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.franzberghold.at/index.php Harry Grün Extrembergsteiger, von Beruf Tischler Österreichischer Alpenverein, Sektion Österr. Gebirgsverein Lerchenfelderstr. 28 A-1080 Wien Tel.: +43/664/525 61 92 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.gebirgsverein.at/OEAVEVENTS/news/index.php?zv=106&ve=1&gr=1&navid=127 RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT 27