Im Fernsehen lief eine atemberaubende Schlacht

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Im Fernsehen lief eine atemberaubende Schlacht
Im Fernsehen lief eine atemberaubende Schlacht. Siegfried, der Herr über die Drachen
und gleichzeitig der Leiter der Top-Vier im weit entfernten Land Jotho, führte einen Kampf
gegen einen Trainer aus der Nachbarortschaft von Jonas. Der Trainer aus Trostu namens Oliver
setzte eine Art blauen Sack ein, der im Gegensatz zu der riesigen Seeschlange winzig erschien.
Neben Jonas auf der Couch saßen seine großen Brüder Valentin und Pascal, die beide mit
feurigem Eifer den Kampf beobachteten. Pascal war natürlich für Olivers Woingenau, schließlich
kannten sich die beiden schon aus dem Sandkasten. Obwohl Valentin auch ein Freund Olivers
war, räumte er dem kleinen Pokémon keine Chance ein, wenn es gegen ein so mächtiges
Pokémon wie Garados kämpfte. Jonas interessierte sich zwar nicht für Pokémonkämpfe, aber
hoffte insgeheim doch, seinen Brüdern zum Trotz und weil er Oliver nicht leiden konnte, dass
Siegfried das Woingenau wie ein Insekt zertreten ließ. Im Geiste stellte er sich vor, wie ein
Garados das wohl anstellen sollte, so gar ohne Füße, als plötzlich alle Lichter sowie der
Fernseher ausgingen. „Ist das ein Stromausfall?“, fragte Jonas. „Das Wetter dazu hätten wir ja.“
Das stimmte, denn draußen tobte ein Schneesturm, der es in sich hatte. Der Schnee lag auf den
brüchigen Dächern so schwer, dass diese fast zusammenbrachen. Der zugefrorene See ließ seine
Lage nur noch vermuten und das Feld des Bauern, in dem im Sommer immer die Miltanks
grasten, glitzerte vor lauter weißer Pracht. Pascal erwiderte: „Nein. Wie jedes Jahr schaltet unser
Vater den Strom ab, wenn wir in die…“ - „Kinder! Auf geht’s in die Kirche!“, unterbrach der Vater
der drei Kinder lauthals und mit einem fröhlichen Grinsen unter seinen wuscheligen braunen
Haaren, die ihm tief ins Gesicht hingen. „Wie jedes Jahr.“, stöhnte Valentin gelangweilt. „Können
wir nicht wenigstens den Kampf fertig schauen? Bei dem Wetter schaffen wir es ja doch nicht bis
zur Kirche.“ Jonas, der sich mittlerweile schon fertig angezogen hatte, mit Jacke, Handschuhen,
Schal und allem drum heran, wartete freudig darauf, in das Gestöber hinauszurennen. „Ist doch
eh klar, dass Oliver gewinnt, gehen wir.“ Weil der Jüngste nicht von seinen älteren Brüdern in
den Schnee getaucht werden wollte, tat er so, als ob er für Oliver gewesen wäre.
„Man, hat der Priester schon immer so langweilig gesprochen?“, fragte Valentin genervt, als die
vier die Kirche wieder verließen. Daraufhin entgegnete sein Vater: „Würdest du öfter mitgehen,
dann wüsstest du das auch.“ Es war nun schon 22 Uhr und die Kirchturmglocken klingelten taub
mit einem dumpfen Widerhall im nächtlichen Schneegestöber. Eisig wehte der Wind durch die
hohlen Gassen von Herzhofen, einer Stadt, die ihre wahre Schönheit eher im Sommer zeigte,
wenn die Sonne über den grünen Platz der Treue strahlte, die Blumengärten vor den riesigen
Wohnblöcken in die Höhe schossen und man am Horizont noch die Windräder von Flori wie
kleine Schatten erkennen konnte. Jonas fröstelte es. Er blickte den als Tannenbäume
verkleideten Shnebedecks nach, während sie auf dem Stadtplatz herumliefen. Zwischen dem
glitzernden Schnee entdeckte Jonas auf dem Boden, eine kleine rote Stelle, die schon fast
vollkommen im Schnee vergraben schien. Seine Brüder und sein Vater liefen eiligen Schrittes
voraus, um der Kälte zu entwischen, während Jonas den Pokéball vom Boden aufhob und die
leuchtenden Schneeflocken von ihm wegblies. Bevor er den anderen ins warme Heim folgte,
legte er den Ball geschützt unter einen Tannenbaum im Zentrum des Stadtplatzes. Zuhause
setzte Valentin sofort den Fernseher wieder in Gang, um zu sehen, ob der Kampf noch andauerte.
Doch mittlerweile kämpfte nicht mehr Oliver, sondern ein anscheinend aus Kanto stammender
Trainer gegen Siegfried. Sein Ursaring stürzte sich mit scharfen ausgestreckten Klauen an den
gewaltigen Pfoten auf seinen Gegner, ein schmächtiges Dragonir, das blitzschnell auswich um
einen Feuerball auf den Bären zu schießen. „Kinder, macht den Fernseher aus. Lasst uns dieses
besinnliche Fest so gut wie es geht, als Familie genießen.“ Ihr Vater schluckte. Dies war das erste
Weihnachten seit ihrer Heirat, dass seine Frau es nicht rechtzeitig geschafft hatte, aus Hoenn
nach Sinnoh zu fliegen. Die Fluggesellschaften streiken seit Tagen und Lisa wollte ihrem Tauboss
einen Flug durch die erschlagende Kälte nicht zumuten. So schaltete Jonas den Fernseher für
seinen Bruder aus, während Pascal in geschwätzigem Plauderton mit Oliver telefonierte und ihn
mit nervigem Ton über den Verlauf des Kampfes ausfragte. Nachdem er schließlich vollkommen
stolz auf seinen Freund erfahren hatte, dass er einen grandiosen Sieg davon getragen hatte,
wanderte auch Pascal ins Wohnzimmer, um die Geschenke auszupacken. Die Familie hatte viel
Geld und dementsprechend protzig sahen auch die Geschenke aus. Es war zum Großteil Zubehör
für die Pokémon. Nun konnte der Vater endlich auf seinem Gallopa reiten, ohne sich den Hintern
zu verbrennen. Auf das Golking von Pascal wartete ein neues größeres Aquarium und für das
Drifzepeli von Valentin gab es ein riesiges ICEA-Vordach, sodass es bei Windböen nicht angeleint
werden musste, sondern sich ganz geschützt im Freien aufhalten konnte. Das junge Ledyba von
Jonas erhielt einen gigantischen Sack seines Lieblingsfutters, dem Trockenfutter von „Pokímon
Food“, den es innerhalb von zwei Stunden verzehrte. Nachdem schließlich auch das Golking
umgezogen war und alle Familienmitglieder beisammen im Wohnzimmer saßen, um „Morgen
kommt das Botogel“ zu singen, klingelte es an der Tür.
„Ich komme schon.“, trällerte das Familienoberhaupt bereits leicht angetrunken. Fröhlich öffnete
er die Tür und rief: „Frohe Weihnachten allerseits!“ Vor ihm in der Tür stand eine Frau mit
kurzen, schwarzen Haaren über einem blassen runden Gesicht. Der Rest des Körpers war in
einem schwarzen Umhang verhüllt, dessen Kapuze auf dem Rücken der Person lag. Mit einem
gezielten Faustschlag traf sie den Vater am Kinn, sodass er rücklings zu Boden fiel. Sie schubste
ihn mit den Füßen beiseite und sprang dann großen Schrittes ins Wohnzimmer. Aus ihrer
Tasche holte sie vier pechschwarze Bälle, die sie auf Gallopa, Golking, Drifzepeli und Ledyba
warf. Dann fesselte sie mithilfe eines schwarz bemalten Ariadoses Pascal und Valentin an den
Weihnachtsbaum, wo sie hilflos zappelten. „Das hier ist nur zur Sicherheit, nicht dass ihr euch
wehrt. Ihr bekommt eure jämmerlichen Nullen schon wieder zurück. Nun zu dir.“ Bedrohlich
ging die Schwarzgekleidete auf Jonas zu. Dieser lief im gleichen Rhythmus rückwärts, bis er
schließlich an der Wand anstieß. Die Frau kam immer näher, so nah, dass Jonas ihren nach
Pfefferminzkaugummi riechenden Atem auf seiner Haut spürte. Ein eisiger Hauch durchfuhr
Jonas, als die Angreiferin mit sanfter und flüsternder Stimme sprach: „Nun, sag mir, Jonas, was
hast du mit dem Pokéball gemacht, den du heute gefunden hast? Los, gib ihn her.“ - „Ich habe ihn
nicht mehr, ich habe ihn wieder hingelegt!“, kreischte Jonas angsterfüllt. Die Unbekannte blickte
über die Schulter zu ihrem Ariados. Dieses verstand sofort und drückte das Spinnennetz enger.
„Noch meine ich es im Guten. Gib mir das Magmar zurück.“ - „Bitte, glauben sie ihm doch! Er hat
den Pokéball nicht!“, ächzte Pascal mit abgedrückter Luft, während hingegen Valentin verloren
zu Boden blickte. „Ich habe ihn an den großen Tannenbaum in der Mitte des Stadtplatzes gelegt.
Ich wollte nicht, dass das Pokémon friert, wenn es allein im Schnee liegt.“, beteuerte Jonas, mit
einem erschrockenen Blick auf seine Geschwister. Wieder sah die Schwarze nach hinten zu
seinem Ariados. Aus dem Augenwinkel erspähte sie den Vater mit einem Knüppel in der Hand.
Ein kurzes Augenzucken nur genügte und schon drehte sich das Ariados um seine Achse, sprang
auf den Vater zu und biss ihm in den Arm. Dieser wankte und stürzte zu Boden. „Nun, das Toxin
im Körper deines Vaters dürfte in spätestens fünf Minuten soweit sein, dass es ihn tötet. Wenn
du ihn retten willst, gib mir das Pokémon zurück.“ Das Ariados zischte bedrohlich. Auf einmal
kippte Jonas um. Er war bewusstlos. „Ihr zwei wisst nichts über den Verbleib des Magmars,
nehme ich an.“ Wie auf Kommando schüttelten Pascal und Valentin den Kopf. Die Frau warf die
vier Pokébälle auf den Boden, rief ihr Ariados in einen ebenso finsteren Ball und warf Pascal
einen Trank zu: „Das hier ist das Gegengift, ihr müsst es ihm einflößen. Ich komme wieder.“
Dann zerbrach sie das Fenster und verschwand. So schnell wie möglich gab Pascal seinem Vater
das Gegenmittel, während Valentin Jonas in sein Bett legte. Dann verbrachten die beiden
Größeren den Abend vor dem Fernseher, wo mittlerweile ein Sonderbericht über die grausame
Jagd nach Damhirplexen im Norden der Route nach Blizzach lief.
Panisch rannten die zuvor fröhlich spielenden Shnebedecks durch die einsame Straße. Alle
Menschen waren in ihren Häusern und aßen gemeinsam mit ihrer Familie. Keiner bemerkte,
dass die maskierte Frau in ihrem Frust über den Verlust seines Pokéballs die glücklichen
Pokémon verfolgte und sie von seinem Ariados an sämtliche Tannenbäume schlagen ließ. Dumpf
schwang eine Glocke am Kirchturm, als ein hilfloses Shnebedeck in seiner Verzweiflung einen
Eissturm aus seinen Armen schoss, der aber statt dem Ariados die Kirche traf. Mit voller Wucht
warf sich das Ariados auf das kleinere Pokémon, sodass, als es wieder heruntersprang, ein
Abdruck seiner Spinnenfüße auf dem Shnebedeck zu sehen war. Daraufhin rief die Schwarze das
Ariados zurück in seinen Pokéball und setzte sich niedergeschlagen und verloren in den Schnee.
Sie war nicht böse und wollte ihren Zorn eigentlich nicht an Schwächeren auslassen. Deswegen
erhob sie sich wieder, nahm das verletzte Shnebedeck und setzte sich erneut. Und mit dem
warmen Pokémon im Arm schlief sie ein.
Andernorts, im Städtchen Baumhausen, wo die Häuser mehrere 100 Meter in die Höhe wachsen,
saß Lisa mit einem Foto ihres Mannes Chris und ihrer Söhne Pascal, Jonas und Valentin vor dem
Kamin. Ihr Tauboss, welches schon bei ihr lebte, seit sie 5 Jahre alt war, schlief vor ihr auf dem
Ursaringfell. Ihre zeitweilige Zimmergenossin im Hotel „Tapfenzannen“ unterhielt sich über das
zurzeit einzige verfügbare Telefon im Hotel seit bereits zwei Stunden mit ihrer lesbischen
Ehefrau. Marianne und Maria, was für ein Traumpaar. Missmutig blickte Lisa aus dem
beschlagenen Fenster. Von Innen konnte sie nicht mehr erkennen, als unscharfe Eiszapfen vor
dem Fenster. Sie waren mit Sicherheit mehrere Dezimeter lang. Ausgerechnet im kältesten seit
68 Jahren musste sie verreisen. Sogar die heißen Quellen in Bad Lavastadt waren von einer
dünnen Eisschicht bedeckt und man konnte zu Fuß von Malvenfroh zum Beerenmeister gehen.
Und vorher war in den Radionachrichten tatsächlich auch ein Bericht über den Einsturz des
Indigo Plateaus in Kanto aufgrund der gewaltigen Schneemasse auf dessen Dach zu hören.
Erschrocken wandte sie sich wieder herum, weil ihr Tauboss sich gewandt hatte und dabei laut
krächzte. Fast schon wie im Zorn wirbelte es umher und hackte wild um sich. Mit gespreizten
Flügeln rannte es auf Marianne zu, die reflexartig zur Seite sprang. Dann fiel der Riesenvogel
wieder um. Vorsichtig schritt Lisa auf Tauboss zu und weckte es auf. „Hey“, sprach sie, „Tauboss,
was ist los? Geht es dir nicht gut? Du hast wohl einen Alptraum gehabt. Komm, wach auf.“ Müde
blinzelte Tauboss, war aber danach sofort hellwach. Es flog mit voller Wucht gegen das Fenster,
sodass dieses zerbrach und war in Sekundenschnelle im weißen Tod unsichtbar geworden.
Stöhnend wachte die Schwarze auf. Ihr Bein war bereits eingeschlafen, weil das Shnebedeck
nach wie vor auf diesem lag. Sacht schubste sie das Pokémon von ihrem Bein, sodass es sanft im
Schnee landete. Dann nahm sie aus ihrer Seitentasche ihr Handy, ein altbackenes Gerät, dass sie
vor zwei Jahren günstig in einem Second-Hand-Laden nahe von Sonnewik ersteigert hatte. Mit
dieser herausragenden Elektronik war es nicht einmal möglich, Musikdateien abzuspielen,
geschweige denn Fotos zu schießen, was für Handys schon fast zur Pflicht geworden ist. Ihr
Gerät war auf die zwei wichtigsten Funktionen beschränkt, nämlich telefonieren und
Nachrichten verschicken. Und tatsächlich war eine dieser Nachrichten auf ihrem Handy. „Jenny
where r u? miss u! komm bald wieder hdgdl Simon“ Erst da fiel ihr auf, dass sie gestern
Weihnachten vergessen hatte und ihren Freund alleine in Weideburg sitzen lassen hatte. Sofort
rief Verena ihr Kramshef aus einem schwarzen Pokéball und flog mit ihm in höchster Eile in die
Moorstadt.
Mittlerweile war das Tauboss schon im Herzen Sinnohs. Der Sturm war schon längst vorüber
und es genoss die warme Sonne, die den Schnee unter ihm glitzern ließ. Gemächlich überflog es
verschneite Wälder, wich am Kraterberg den weißen Gipfeln aus und fegte mit
Höchstgeschwindigkeit über das Kühnheitsufer, wo es seine Krallen durch das Wasser schleifen
ließ. Von der Höhle in der Mitte des Sees stieg es beinahe senkrecht nach oben und flog über
Weideburg nach Herzhofen. Auf dem Weg begegnete es einem Kramshef mit einer jungen Frau
auf dem Rücken, die ihm die Vorfahrt nahmen und einer Ibitakmutter, deren Kinder wohl gerade
den Jungfernflug übten. Es half dem Ibitak, als zwei seiner Kinder abstürzten, indem es sie auf
seinen weichen Rücken plumpsen ließ. Davon abgesehen verlief der Flug aber ohne weitere
Geschehnisse. Dann kam es bei seiner Familie an, wo das Drifzepeli es freudig begrüßte. Sofort
liefen Jonas, Pascal und Valentin hinaus, ihnen hinterher hinkte Chris, dem es mittlerweile
wieder besser ging. Das Ariados hatte nicht zu viel Gift verspritzt. Nachdem sie Tauboss begrüßt
hatten, suchten sie nach Lisa, doch sie war nirgends zu sehen. Auch ihren Anruf vor zwei
Stunden hatte keiner bemerkt. Tauboss ruhte sich nur kurz im Haus aus und schon flog es
weiter. Golking und Ledyba hatten ihm die Geschichte mit der Maskierten erzählt und Tauboss
wollte die Frau finden. Gallopa ritt ihm in einem beachtlichen Tempo hinterher, aber mit seinen
langen Beinen konnte es den Vogel mit seinen geübten Flügelschlägen nicht einholen.

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