Kernspintomographie in der Pferdemedizin

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Kernspintomographie in der Pferdemedizin
Kernspintomographie in der Pferdemedizin
Neues Magnetresonanz-Verfahren (MRI, Kernspin)
Bracher, B., Goren, G., Schuette, A., Lutz, H.
Tierärztliche Klinik für Pferde
Gartenstraße 14
85609 Aschheim
[email protected]
Wie in der Humanmedizin schon seit Jahren als
Routineuntersuchung eingesetzt, gibt es auch
endlich
in
der
Pferdemedizin
immer
mehr
Möglichkeiten, um inzwischen viele Körperteile des
Pferdes
mittels
Kernspintomographie
zu
untersuchen. Bisher konnte man durch Stand-MRTGeräte nur die distale Gliedmaße (Zehe) bildlich
einigermaßen gut darstellen, nun erweitern sich mit
einem hochmodernen MRI-Gerät der Pferdeklinik
MRT Esaote Grande
Aschheim die Untersuchungsbereiche beim Pferd:
Carpus, Tarsus, Knie, Kopf und Hals. Bei Fohlen
und ähnlich kleinen Pferden und Ponys sind auch Ganzkörper-untersuchungen möglich.
Magnetfeldresonanzverfahren nutzen im Gegensatz zu anderen bildgebenden Verfahren keine
Strahlen (wie z.B. Röntgen oder Computertomographie) oder Radioaktivität (wie z.B. Szintigraphie);
stattdessen kann durch das Anlegen eines Magnetfeldes per Ausrichtung der Protonen des
Organismus spezifische Schnittbilder darstellen. Mit dem MRT kann man so viele Schnittbilder des
menschlichen und tierischen Körpers erzeugen, die eine Beurteilung gesunder Organe und vieler
krankhafter Organ-Veränderungen möglich machen.
Die Magnetresonanztomographie basiert auf sehr starken Magnetfeldern sowie elektromagnetischen
Wechselfeldern
im
Radiofrequenzbereich,
mit
(Wasserstoffkerne/Protonen) im Körper mittels Resonanz
denen
bestimmte
angeregt werden,
Atomkerne
die
dann
im
Empfängerstromkreis elektrische Signale induzieren. Im Gerät wird also keine belastende
Röntgenstrahlung oder andere ionisierende Strahlung erzeugt oder genutzt. Eine wesentliche
Grundlage für den Bildkontrast sind unterschiedliche Relaxationszeiten verschiedener Gewebearten.
Daneben trägt auch der unterschiedliche Gehalt an Wasserstoff-Atomen in verschiedenen Geweben
(z. B. Muskel, Knochen) zum Bildkontrast bei.
Durch verschiedene Softwaresequenzen können dann Bilder in verschiedenen „Gewichtungen“ erstellt
werden, was die Darstellung der einzelnen Gewebe in unterschiedlichen Graustufen bedeutet. Somit
ist sowohl die Knochen- als auch die Weichteildarstellung in höchster Qualität möglich; Sehnen,
Bänder, Knorpeloberflächen, tiefe Gelenkstrukturen, Menisken, Ansatzbereiche von Bändern, Gehirn,
Kopfhöhlen wie auch Zähne inklusive ihrer Pulpengänge sind erstmals in Gänze beurteilbar.
So können die Strukturen in feinster Auflösung abgebildet werden und durch den Vergleich der
Sequenzen kann auch eine Chronizität im Vergleich zu einem akuten Krankheitsgeschehen beurteilt
werden. Durch die Möglichkeit, den untersuchten Bereich in allen drei Ebenen darstellen zu können,
werden Befunde millimetergenau lokalisiert. Durch die dreidimensionale Aufnahmetechnik gibt es
noch nach Ende der laufenden Untersuchung die Möglichkeit, weitere Schnitte rechnerisch zu
erstellen.
Sinnvoll ist eine Untersuchung mittels Kernspintomographie bei vielen Indikationen: beispielsweise bei
unklaren Lahmheiten (die oft über Monate rezidivieren), bei welchen sich nur kurzfristige
Therapieerfolge einstellen und sowohl die Kosten als auch die Unzufriedenheit der Besitzer von
Untersuchung zu Untersuchung steigen. Hierfür ist eine genauere Diagnose sinnvoll, um sowohl die
Therapie anzupassen als auch um eine realistische Prognose abgeben zu können. Somit ist eine
Kernspinuntersuchung im Vergleich zu den Kosten mehrmonatiger Trainingspausen und aufwendigen
wie vage begründeten Therapieversuchen bereits frühzeitig lohnend. Eine weitere Indikation ist die
genaue OP-Planung für den operativen Zugang und das operative Vorgehen; die Kosten und das
Operationsziel sind konkret voraussehbar – oder eine Operation ist gar nicht nötig, wie es sich auch in
der Humanmedizin immer mehr zeigt – so sind zum Beispiel über 60% der Arthroskopien und
Bandscheiben-Operationen dort unnötig.
Die modernsten Geräte, wie unser MRI Esaote
VetGrande 0,5 Tesla, ermöglichen also nicht
mehr nur die Untersuchung der Zehe, sondern
darüber hinaus auch den proximalen Bereich
einschließlich das Knie. Das Kniegelenk war
bislang lediglich mittels Ultraschall der Menisken
(hier nur der äußere Anteil beurteilbar) oder
Röntgen
der
beteiligten
Knochen
bzw.
diagnostischer Arthroskopie (hier nur maximal
2/3
der
Knorpeloberfläche
untersuchen.
Lagerung eines linken Knies im MRT
Zur
einsehbar)
zu
Kernspinuntersuchung
des
Knies wird der Patient in Narkose auf einem
speziell gepolsterten Tisch gelagert. Das zu
untersuchende Bein wird gestreckt im Kernspinfeld fixiert. Durch diese Lagerung ist eine
Untersuchung unter annähernd physiologischen Bedingungen möglich. Die komplette Untersuchung
eines Knies dauerte ca. 75 Minuten, anschließend kann ggf. direkt ein operativer Eingriff durchgeführt
werden. So können Meniskus-, Kreuzband-, Knorpeldefekte und Knochenzysten effektiv wie frühzeitig
diagnostiziert werden.
Dorsale
Schnittebene
eines
Knie
in
PD-
Dorsale
Schnittebene
eines
Knie
in
STIR-
Gewichtung; Befund: Zerreißung im medialen
Gewichtung; Befund: degenerativer zystoider
Meniskus (s. Pfeil)
Defekt im proximalen Tibiaplateau
Ein weiterer Vorteil ist, dass durch die Lagerung in Rückenlage das Kniegelenk keiner
Gewichtsbelastung ausgesetzt ist und somit die Beurteilbarkeit des Gelenkknorpels verbessert wird.
Völlig neue Aspekte ergeben sich auch bei der MRI-Untersuchung des Kopfes. Bei neurologischen
Problemen können nun das Gehirn (bei Hypophysenveränderung des Equinen Cushing Syndroms
oder zum allgemeinen Kopf-Tumorscreening wie z.B. bei Siebbeintumoren im Frühstadium) und das
Auge untersucht werden. Bei Zahnpatienten oder Pferden mit Nebenhöhlenproblemen können alle
knöchernen und Weichteil-Strukturen, die knöchernen Zahnfächer, die ganze Zahnsubstanz, die
Pulpenkanäle
und
die
anteilige
Weichteilauskleidung der Nebenhöhlen effektiv
beurteilt werden.
Untersuchung des Gehirns in Seitenlage
Transversale
Schnittebene
vom
Kopf
eines
Sagittale
Schnittebene
vom
Kopf
eines
Headshakers (seit 2 Jahren auffällig) in PD-
Headshakers (seit 2 Jahren auffällig) in PD-
Gewichtung;
Gewichtung;
Befund:
Zahnwurzel-zyste
im
Befund:
Zahnwurzel-zyste
im
Wurzelbereich des 3. Backen-zahns (M3) im
Wurzelbereich des 3. Backen-zahns (M3) im
Oberkiefer
Oberkiefer
Bei Headshakern finden sich Befunde, die bislang
diagnostisch nicht erfasst werden konnten;
beispielsweise kommen typische Zahnwurzelzysten im Wurzelbereich des 3. Backenzahns (M3) im
Oberkiefer vor. Wird der Zahn entfernt, entleert sich die Zyste selber und die Ursache für das
Headshaking ist behoben.
Ein weiteres MRI - Einsatzgebiet ist, bei ataktischen Pferden (Wobbler), die Darstellung des
Rückenmarks: Wirbel, Wirbelkanäle und das Halsrückenmark werden bildlich in hoher Auflösung
dargestellt. Eine Nackenbandfistel,Talpa, kann prae operationem durch die Kernspinuntersuchung
vollständig beurteilt werden; die OP wie auch die Prognose lässt sich besser terminieren.
In der Lahmheitsdiagnostik wird die MRT-Untersuchung immer mehr an Bedeutung zunehmen:
Unvollständige/unklare
Vorberichte,
ansteigende
Agnostik
der
Besitzer/Reiter
(Heilpraktiker-
/Fütterungswahn), vermehrte Verschiebung der Fälle in die Paramedizin und zu seinen „Therapeuten“
führten
zu
einer
Verschleppung
der
Fälle;
gesteigerter
Tierarzttourismus
(besonders
im
professionellen Lager) und zunehmend Verdrängungsmechanismen erschweren die Fortschritte. Aus
alter Tradition heraus werden Abwarten wie Verdrängen benutzt, um der „Angst“ der Pferdebesitzer
entgegenzukommen. „Irgendwann wird’s von selber gut“.
Sagittale Schnittebene vom Tarsus in STIR-
Dorsale Schnittebene der Zehe in einer 3D T1-
Gewichtung; Befund: Fraktur des Talus,
Gewichtung:
umgebenden
Gewebe
Auflockerung
im
des
Knochengewebes sichtbar (sog. Mikrofrakturen in
Gelenkknorpels
genaue
vom
Darstellung
Hufgelenk
in
des
zwei
getrennten Schichten
der Trabekelstruktur oder „Knochenmarksödem“)
Je exakter die MRI-Schnittbilder sind, umso mehr Befunde können erhoben werden. Doch welcher
MRI-befund ist „alt“/irrelevant, welcher „neu“/akut, was ist klinisch relevant? Die Diagnoseansprüche
wachsen, die Differentialdiagnostik wird komplizierter, unter Umständen können Artefakte und
Befunde falsch interpretiert werden. Artefakte sind besonders in der Sonografie-Anwendung und
Auswertung gefürchtet, z.B. das Speckle-Rauschen und die Abschattung.
Beim MRT ergeben sich durch feinste Auflösung und Detailtreue unschlagbare wie exakte
Ergebnisse, die durch keine Artefakte beeinflussbar sind. Zum Einem ergeben sich Knochen- Gelenk-,
Bänder-, Sehnen-, Knorpel-Befunde in einem Bild und einem Untersuchungsgang, zum anderen ist
fast die komplette Gliedmaße inklusive Knie zu untersuchen. Knochenzysten z. B., im Anfangsstadium
ihrer langsamen pathologischen Ausformung, werden viel früher erkannt als im Röntgen- oder CTVerfahren.
Wann nun ist eine Kernspin-Untersuchung überfällig in der täglichen Pferdepraxis bei Lahmheiten?
Bei allen Patienten, deren Lahmheiten länger als 4 Monate bestehen, bei denen rezidivierende oder
sogar therapieresistente Lahmheiten sich zeigen. Des Weiteren ist bei widerspenstigen Pferden, bei
denen diagnostische Anästhesien nicht durchführbar sind - sowie bei Patienten, bei denen
Leitungsanästhesien zu widersprüchlichen Ergebnissen und Unklarheiten in der Interpretation führen eine Kernspinuntersuchung dringend anzuraten.
Auch nach verschiedenen Resultaten bei Wiederholungsuntersuchungen in Röntgen-, Sonographieund Szintigraphie-Verfahren und natürlich in dem Fall, dass keine abschließende klinische Diagnose
aus all diesen Verfahren möglich ist, ist eine
MRT-Untersuchung unumgänglich. Auch ein „Verdacht“ auf eine Insertions-Desmopathie am
Fesselträgerursprung wird im MRI oft als Knochenzyste, distales Carpaltunnelsyndrom oder
schmerzhaftes postmetacarpales Überbein entlarvt.
Weitere spezielle Indikationen für den Einsatz von Kernspintomographie in der Lahmheitsdiagnostik
sind oft alltägliche, aber undankbare Problemstellungen, die sowohl anamnestisch schwierig zu
erfassen sind oder diese bei der klinischen Untersuchung - oft fast täglich -
im klinischen Bild
variieren. Hierzu gehören : anhaltender klammer Gang, vermehrtes Stolpern, sogenannte „ZügelLahmheiten“, „Gegen die Hand gehen“ und „Einlauf-Lahmheiten“. Auch positive Beugeproben, aber
keine bisher aufgetretenen Lahmheits- „Vorstufen“ während der Arbeit sowie plötzlicher Formverlust
bei baldigem Turniereinsatz geben oft Rätsel auf, die mittels MRT zu lösen sind.
Ein
weiteres
Argument
für
eine
Kernspinuntersuchung findet sich unter dem
finanziellen Aspekt, im Vergleich MRT- Kosten
versus
allgemeine
Kosten:
Beispielsweise
übersteigen 4 nutzlose (in Sachen Nicht-Reiten)
Monatsmieten wegen Boxenruhe/Koppelgang
die Kosten für eine Kernspinuntersuchung,
ebenso die Kosten von mehr als 25 - 30
Röntgen-/Sono-/Szinti-Bilder über den Zeitraum
der Erkrankung des Pferdes. Ähnlich verhält es
sich mit alternativen Therapien; in etwa sind
Osteopathie-
oder
Chiropraxis-Kosten
usw.
durch deren Vielzahl an wenig sinnvollen
Wiederholungen genauso teuer.
Auch
teurer
Medikamenteinsatz
in
der
Lahmheits-Therapie ist zu überdenken, da die
Sagittale
Schnittebene
Gewichtung;
Strahlbein
Befund:
der
Zehe
zystoider
in
STIR-
Defekt
im
Kosten oft über viele Monate in kleinen Schritten
auflaufen, wie auch die Kosten für, nun durch
neuere Untersuchung festgestellt (Curriculum-
Kongress Berlin 2012, STADLER u.a.), die uneffektive Stammzellen-Therapie und deren Derivate,
immens hoch sind - eine MRT-Untersuchung klärt ab, ob dennoch sinnvoll.