Vorlesung 05_11_06 - Folien Anfechtung
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Vorlesung 05_11_06 - Folien Anfechtung
1 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff. InsO • Sinn und Zweck der Insolvenzanfechtung Masseanreicherung • Abgrenzung der Insolvenzanfechtung von... ü AnfG ü Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB ü (§§ 243 ff. AktG) • Relevante Vorschriften der InsO ü §§ 129, 137-147 InsO: Allgemeine Vorschriften für alle Anfechtungstatbestände ü §§ 130-136 InsO: Einzelne Anfechtungstatbestände 2 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Prüfungsaufbau Insolvenzanfechtung 1. Rechtshandlung, § 129 InsO Def.: jede Willensbetätigung, die eine rechtliche Wirkung auslöst, ohne dass der Wille auf deren Eintritt gerichtet sein muss. 2. Gläubigerbenachteiligung, § 129 InsO Def.: Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger, d.h. Vereitelung, Verminderung, Erschwerung oder auch nur Verzögerung. 3. Anfechtungsgrund ( §§ 130-136 InsO) a. Stille Gesellschaft , § 136 InsO b. Kapitalersetzende Darlehen, § 135 InsO c. Unentgeltliche Leistung, § 134 InsO d. Vertrag mit nahestehender Person, §§ 133 Abs. 2, 138 InsO e. Vorsätzliche Benachteiligung, § 133 Abs. 1 InsO f. Unmittelbar nachteilige Rechtshandlung, § 132 InsO g. Inkongruente Deckung, § 131 InsO h. Kongruente Deckung, § 130 InsO 4. Keine Verjährung, § 146 InsO 3 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung – Begriff der „Rechtshandlung“, § 129 InsO Def.: jede Willensbetätigung, die eine rechtliche Wirkung auslöst, ohne dass der Wille auf deren Eintritt gerichtet sein muss • Der Begriff der Rechtshandlung ist weit auszulegen, damit grundsätzlich alle Arten benachteiligender Maßnahmen Gegenstand einer Anfechtung sein können. • Positives Tun, insbesondere ü Willenserklärungen als Bestandteile von verpflichtenden und verfügenden Rechtsgeschäften aller Art: Abschluss von Kauf-, Miet-, Darlehens-, Gesellschaftsverträgen, Übereignung von Sachen und Abtretung von Rechten. ü Rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, also Handlungen, an die das Gesetz unabhängig von einem darauf gerichteten Willen Rechtswirkungen knüpft: Abtretungsanzeige nach § 409 BGB, Mahnung nach § 284 Abs. 1 BGB. ü Realakte im weitesten Sinne, d.h. gewollte reine Tathandlungen, die rechtserheblich sind, bei denen es aber nicht darauf ankommt, ob gerade der konkret eingetretene Rechtserfolg gewollt ist: Verbindung, Vermischung und Verarbeitung (§§ 946 ff. BGB), Kontosperren, Sitzverlegung oder Firmenänderung, Einstellung eines Geschäftsbetriebs. ü Prozesshandlungen, sofern sie einen materiellrechtlichen Gehalt haben: Verzicht, Rücknahme von Klage oder Rechtsmittel, Geständnis (§ 288 ZPO), Anerkenntnis (§ 307 ZPO), Vergleich. • Unterlassen, § 129 Abs. 2 InsO, wenn es wissentlich und willentlich geschieht. Nicht anfechtbar: fahrlässiges oder unbewusstes Unterlassen, „verpasste Chance“. Beispiele für anfechtbares Unterlassen: ü ü ü ü Unterlassung einer Irrtumsanfechtung (§ 142 BGB), Nichtunterbrechung einer Verjährungs- oder Ersitzungsfrist, das Schweigen im Fall des § 362 HGB, die bewusste Unterlassung des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid (§ 694 Abs. 1 ZPO); ü die Ermöglichung eines Versäumnisurteils durch bewusste Versäumung eines Termins, ü die unterlassene oder verspätete Erhebung bestehender Einreden und Einwendungen. • Maßgeblicher Zeitpunkt: § 140 InsO 4 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung – Begriff der „Gläubigerbenachteiligung“, § 129 InsO • Grundsatz: • Als Benachteiligung genügt allein der objektiv nachteilige Erfolg; ein auf die Benachteiligung der Gläubiger gerichteter Vorsatz ist allein in § 133 zusätzliche Anfechtungsvoraussetzung. • Voraussetzungen: Gläubigerbenachteiligung liegt dann vor, wenn die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt, d.h. vereitelt, vermindert, erschwert oder auch nur verzögert wird. (1) Verringerung der Insolvenzmasse (a) Bestandteile des Schuldnervermögens (b) Beeinträchtigung des Gläubigerzugriffs (2) Kausalität Grundsätzlich ist eine mittelbare Beeinträchtigung ausreichend. (3) Keine Ausnahme als Bargeschäft i. S. v. § 142 InsO • Ausnahme: Bargeschäft nach § 142 InsO Bei Vorliegen eines Bargeschäfts ist die Anfechtbarkeit ausgeschlossen, obwohl eine gläubigerbenachteiligende Masseverkürzung vorliegt. Regelungszweck: Wirtschaftliche Überlegung, dass ein Schuldner, der sich in der Krise befindet, „praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen“ würde, wenn selbst die von ihm abgeschlossenen wertäquivalenten Bargeschäfte der Anfechtung unterliegen würden. Voraussetzungen des Bargeschäfts: (1) Leistung Def.: jede Rechtshandlung, durch die das Vermögen des Schuldners vermindert wird, also insbesondere Verfügungen im Sinne des bürgerlichen Rechts. (2) Gleichwertigkeit der Gegenleistung d.h. es wird lediglich eine Vermögensumschichtung vorgenommen. (3) Verknüpfung durch Parteivereinbarung (4) Enger zeitlicher Zusammenhang (5) Keine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung i. S. v. § 133 Abs. 1 InsO 5 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung – Anfechtungstatbestände § 130 InsO: Kongruente Deckung Situation: Der Gläubiger hatte einen rechtlichen Anspruch auf die gewährte Sicherung oder Befriedigung und hat nichts anderes erlangt als die geschuldete Sicherung oder Befriedigung. a. Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO (1) Rechtshandlung, § 129 InsO (2) Rechtshandlung gewährt / ermöglicht einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung (3) Vornahme in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag, auf Grund dessen das Verfahren eröffnet wurde (4) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners z. Z. der Vornahme (§ 17 InsO) (5) Kenntnis des Gläubigers hinsichtlich der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bzw. der Indizien für die Zahlungsunfähigkeit. Gesetzliche Beweislastumkehr: Bei nahestehenden Personen (§ 138 InsO) wird die Kenntnis (widerlegbar) vermutet, § 130 Abs. 3 InsO. b. Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO (1) Rechtshandlung (§ 129 InsO) (2) Die Rechtshandlung gewährt / ermöglicht einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung (3) Vornahme nach dem Eröffnungsantrag, aber vor Eröffnung (4) Kenntnis des Gläubigers von Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnungsantrag bzw. den Indizien dafür (§ 130 Abs. 2 InsO). Bei nahe stehenden Personen (§ 138 InsO) wird die Kenntnis (widerlegbar) vermutet, § 130 Abs. 3 InsO. 6 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung – Anfechtungstatbestände § 131 InsO: Inkongruente Deckung Situation: der Gläubiger hatte einen rechtlichen Anspruch auf die bewirkte Leistung – Sicherung oder Befriedigung- durch den Schuldner „nicht“ oder „nicht in der Art“ oder „nicht zu der Zeit“. Voraussetzungen einer Anfechtbarkeit nach § 131 InsO: (1) Rechtshandlung (§ 129 InsO) (2) Die Rechtshandlung gewährt bzw. ermöglicht einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung (3) Der Gläubiger konnte die Sicherung bzw. Befriedigung nach dem ursprünglichen Schuldverhältnis nicht beanspruchen (a) „nicht...zu beanspruchen“: der Gläubiger hat gar keinen Anspruch gegen den Schuldner auf dessen Leistung, der Anspruch ist nicht durchsetzbar oder seiner Durchsetzung steht ein Einwand oder eine andauernde Einrede entgegen. (b) „nicht in der Art“: wenn dem Gläubiger zwar eine Befriedigung oder Sicherung zusteht, aber in einer Art, welche die Insolvenzgläubiger weniger benachteiligt als die konkret gewährte. (c) „nicht zu der Zeit“: wenn der Gläubiger die Leistung oder Sicherung früher erhält als geschuldet, also wenn der Anspruch darauf im Zeitpunkt der Erfüllung entweder noch nicht fällig oder befristet war. (4) Vornahme während der Krise (a) § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO: Vornahme im letzten Monat vor dem Eingang des Eröffnungsantrags oder zwischen dem Eingang und der Eröffnung (b) § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO: Vornahme im zweiten oder dritten Monat vor dem Eröffnungsantrag und Schuldner war zahlungsunfähig (objektives Kriterium) (c) § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO: Vornahme im zweiten oder dritten Monat vor dem Eröffnungsantrag und Kenntnis des Gläubigers hinsichtlich benachteiligender Wirkung der Handlung für die anderen Insolvenzgläubiger (subjektives Kriterium) – Beweiserleichterungen in § 131 Abs. 2 InsO. 7 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung – Anfechtungstatbestände § 132 InsO: Unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen Situation: Rechtsgeschäfte, deren Vornahme die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt, können angefochten werden, auch wenn die Voraussetzungen der §§ 130, 131 InsO nicht erfüllt sind. a. § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO (1) Rechtsgeschäft des Schuldners (2) Unmittelbare Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (3) in den letzten 3 Monaten vor dem Eröffnungsantrag (4) Schuldner ist bereits zahlungsunfähig (5) Kenntnis des Anfechtungsgegner hinsichtlich Zahlungsunfähigkeit b. § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO (1) Rechtsgeschäft des Schuldners (2) Unmittelbare Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (3) nach dem Eröffnungsantrag aber vor Eröffnung (4) Schuldner ist bereits zahlungsunfähig (5) Kenntnis des Anfechtungsgegners hinsichtl. Zahlungsunfähigkeit / Eröffnungsantrag 8 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung – Anfechtungstatbestände § 133 InsO: Vorsatzanfechtung Situation: • Ein Rechtserwerb, der auf einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung durch den Schuldner beruht, verdient gegenüber dem Interesse der Gläubiger an einer Anreicherung des haftenden Schuldnervermögens dann keinen Schutz, wenn der Geschäftsgegner den Vorsatz kannte (Abs.1); • nahe stehende Personen können die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des späteren Insolvenzschuldners leichter erkennen und seine Pläne besser durchschauen; ferner ist ihre persönliche und / oder wirtschaftliche Verbundenheit mit dem Schuldner ein Anreiz, sie zulasten anderer Gläubiger zu begünstigen (Abs. 2). a. § 133 Abs. 1 InsO (1) Rechtshandlung, § 129 InsO (2) innerhalb von 10 Jahren (§ 139 InsO) vor dem Eröffnungsantrag oder nach Eröffnungsantrag (3) Benachteiligungsvorsatz des Schuldners (4) Positive Kenntnis des Anfechtungsgegners von Benachteiligungsvorsatz (5) Gläubigerbenachteiligung (mittelbar genügt) b. § 133 Abs. 2 InsO (1) Entgeltlicher Vertrag (2) mit nahe stehender Person (§ 138 InsO) (3) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung durch den Vertrag (4) Vertrag wurde innerhalb von zwei Jahren vor dem Eröffnungsantrag geschlossen. 9 Vorlesung Insolvenzrecht SS 2006 – 11. Mai 2006 Insolvenzanfechtung – Geltendmachung der Anfechtung I. Beteiligte • Gem. § 129 Abs. 1 InsO steht das Anfechtungsrecht nur dem Insolvenzverwalter zu; im vereinfachten Verfahren den Insolvenzgläubigern (§ 313 Abs. 2 InsO). • Anfechtungsgegner ist der Insolvenzgläubiger, der an der anfechtbaren Handlung beteiligt war, sowie dessen Rechtsnachfolger nach Maßgabe des § 145 InsO. II. Art der Geltendmachung Im Gegensatz zur Anfechtung nach BGB ist für die insolvenzrechtliche Anfechtung die Abgabe einer formlosen Anfechtungserklärung nicht ausreichend. Grund: Bei der Insolvenzanfechtung handelt es sich nicht um ein Gestaltungsrecht, sondern um einen schuldrechtlichen Anspruch, der kraft Gesetzes mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht und der auf Rückgewähr gerichtet ist (§ 143 InsO). III. Zeitpunkt der Geltendmachung -Verjährung Vgl. § 146 InsO IV. Wirkung der Anfechtung, §§ 143, 144 InsO • Die Anfechtung wirkt nicht dinglich, sondern nur schuldrechtlich: Der Anfechtungsgegner ist verpflichtet, das aus dem Schuldnervermögen Weggegebene zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, § 143 InsO. • Die anfechtbare Zuwendung ist so zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, wie wenn ihre Weggabe aus dem Schuldnervermögen nicht erfolgt wäre, § 143 Abs. 1 S. 1 InsO. Grundsätzlich hat die Rückgewähr daher in Natur zu erfolgen. 10 • Ausnahmsweise ist Wertersatz zu leisten, wenn die Rückgewähr in Natur nicht möglich ist, § 143 Abs. 1 S. 2 InsO. Hierbei gilt der verschärfte Haftungsmaßstab, vor allem ist er Entreicherungseinwand nach § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. • Privilegierung des gutgläubigen unentgeltlichen Erwerbs in § 143 Abs. 2 InsO; in diesem Fall ist Entreicherungseinwand statthaft, Rückausnahme wird von § 143 Abs. 2 S. 2 InsO vorgesehen. • Gegenleistung des Anfechtungsgegners, § 144 InsO Ø § 144 Abs. 1 InsO erfasst Fälle, in denen eine Verbindlichkeit des Schuldners in anfechtbarer Weise getilgt worden ist; hierdurch hat die Insolvenzmasse die Befreiung von der Schuld erlangt; Absatz 1 ist nur anwendbar, wenn die erfüllte Verpflichtung nicht ihrerseits anfechtbar begründet wurde. Rechtsfolge: Aufleben der Forderung in derselben Form, wie sie vor der Erfüllung bestanden hat; regelmäßig wird dadurch eine normale Insolvenzforderung begründet, die als solche zum Insolvenzverfahren angemeldet werden kann. Ø § 144 Abs. 2 InsO erfasst die Fälle, in denen der Abschluss eines schuldrechtlich verpflichtenden Vertrages selbst –nicht die Leistung zu seiner Erfüllung- angefochten wird. Rechtsfolgen: Hierbei ist zu differenzieren ü Soweit sich die Gegenleistung noch in Natur (d.h. unterscheidbar) in der Insolvenzmasse befindet, ist sie zurückzugeben, § 144 Abs. 2 S. 1 InsO. ü Soweit sie sich nur noch ihrem Werte nach in der Insolvenzmasse befindet, hat der Anfechtungsgegner, weil die Masse insoweit ungerechtfertigt bereichert ist, einen Masseanspruch auf Rückerstattung, §§ 144 Abs. 2 S. 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO. ü Andernfalls –die Gegenleistung befindet sich weder in Natur noch ihrem Werte nach in der Insolvenzmasse- kann der Anfechtungsgegner den ihm etwa nach BGB zustehenden Anspruch auf Rückgewähr der Gegenleistung nur als Insolvenzforderung geltend machen, § 144 Abs. 2 S. 2 InsO.