verbesserung - Schulentwicklung NRW

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verbesserung - Schulentwicklung NRW
Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Textüberarbeitung im Deutschunterricht
und in der Lernstandserhebung
Didaktische Erläuterungen
In der kommenden Lernstandserhebung wird den Schülerinnen und Schülern die Aufgabe gestellt
werden, einen Text zu überarbeiten.
In der Praxis des Deutschunterrichts soll die Textüberarbeitung im Rahmen eines am
Schreibprozess orientierten Unterrichts zum schriftlichen Sprachgebrauch zur regulären Routine
werden (siehe Kernlehrpläne, Abschnitt „Schreiben als Prozess / Methoden und Arbeitstechniken“).
Im Folgenden soll für interessierte Kolleginnen und Kollegen zusammenfassend dargestellt werden,
wie die entsprechenden Überarbeitungskompetenzen in den Unterrichtsalltag schrittweise integriert
werden können.
Um eigene und fremde Texte spürbar verbessern zu können, benötigen Schülerinnen und Schüler
einige spezielle Schreibkompetenzen, die im Deutschunterricht vermittelt werden müssen.
Erfahrungsgemäß gelingt den Schülerinnen und Schülern eine Überarbeitung von Texten nur dann
zufriedenstellend, wenn sie einige Male die entsprechenden Methoden anwenden konnten.
Im Allgemeinen nehmen sich (erhalten) Schülerinnen und Schüler nur wenige Minuten Zeit, um
einen fertiggestellten Text zu verbessern. Für eine Textüberarbeitung, die mehr sein soll als das
Einfügen von Kommas und das Korrigieren von Flüchtigkeitsfehlern, ist es deshalb sinnvoll, dass
mit einigem Zeitabstand der erste Textentwurf kritisch neu gelesen wird – vom Autor selbst und
möglichst vorher von mindestens einem Lernpartner.
Textüberarbeitung in zwei Bearbeitungsschritten
In der Praxis hat sich gezeigt, dass zwei Bearbeitungsschritte in der Textüberarbeitung erforderlich
sind. Zunächst wird in einem ersten Bearbeitungsschritt an der „Textoberfläche“ verbessert, indem
die Fehler im Bereich der Orthographie und der Grammatik ausgebügelt werden. Danach erst ist es
möglich, in einem zweiten Bearbeitungsschritt auch tiefer gehende Überarbeitungen zur
Verbesserung der inhaltlichen Klarheit, der stilistischen Angemessenheit, der sachlichen
Folgerichtigkeit und anderer Textdimensionen anzugehen.
In der Tradition des Deutschunterrichts werden orthographische und grammatische Richtigkeit als
selbstverständliche Kriterien für gelungene Texte vorausgesetzt. Solche Fehler müssen zunächst
erkannt und markiert werden. Üblicherweise ist dies die Aufgabe der Deutschunterrichtenden bei
der Korrektur von Hausaufgaben oder Klassenarbeiten. Weil dies auch weiterhin eine gängige
Praxis im Deutschunterricht sein wird, kann die Gelegenheit der Rückgabe und Verbesserung von
Klassenarbeiten immer auch dazu genutzt werden, die Schreibüberarbeitung bezüglich
orthographischer und grammatischer Unglücksfälle zu trainieren.
Das folgende Beispiel „Best of Klassenarbeit“ aus der Jahrgangsstufe 7 einer Lerngruppe mit
hohem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund soll zeigen, dass dies relativ
unaufwendig möglich ist. Die Aufgabe der Klassenarbeit bestand darin, eine Person zu beschreiben,
die auf einem Filmplakat abgebildet war.
Bei einer entsprechenden Unterrichtstradition werden solche Best-of-Texte von Schülerinnen und
Schülern gerne gelesen und schwungvoll verbessert. Der Umgang mit Fehlern sollte grundsätzlich
nicht stigmatisierend sein, sondern als günstige Lerngelegenheit von den Schülerinnen und Schülern
erlebt werden. Hilfreich ist es in diesem Zusammenhang auch oft, wenn durch eine gelungene
Verbesserung die zunächst erreichte Note aufpoliert werden kann.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Best of Klassenarbeit –
Johnny Depp als Captain Sparrow ist ein Schauschpieler beim Fluch der Karibig. Den tüp den ihr
sieht ist ein behrümter starr in Hollywood. Hier schpielt er ein Pirat. Jeder der ihn kennt weiß das er
geschmikte braune Augen hat. Der blausilbrige Eyeliner mit dunkelbraunem Liedschatten erzeucht
einen schönen Kellerlocheffekt um die Augen als wenn er drei Monate nicht geschlafen hätte. Er
hat ein Kinbad und ein Schnurbad. Der Kinnbad ist dopelt geflochten. Überhaupt hat er sich schon
lange nicht mehr rasiert. Auf sein Kopf hat er geflochte schwarzbraune Rastahaare mit
schmuckkettchen drinne. Auf sein Haare trägt er ein rotes Peratenkopftuch. Die Haare sind bis über
die schultern lang, bis zur westentasche. Er trägt ein weißes Hemd auf sein Hemd trägt er eine lange
Weste. Ach ja, die Augenbraunen sind dunkel, mann kann sie unter dem Kopftuch gerade noch
hervorsehen. Um seine Hüften hat eine Bauchbinde (gestreifft). Darrin stecken seine Waffen, eine
Pistole und ein Dolch. An die Finger hat er fette ringe und dadrüber Armbänder am hantgelänk. Der
schmale ovale Kopf is ziehmlich stark gebreunt die Nase ist auch schmal und der Mund
ausdruksvoll durch die schön gefomte lippen. In seiner Rolle als pirat wirkt Johnny Depp auf alle
Mädchen sicha als Traumtyp, etwas verträumt, mit Schleierblik, garnich brutal aber trozdem wild
und abenteuerlustich. Ich würde ihn sofort heiraten, aber nur für ein paar Jahre, dann such ich mir
ein milljonär mit dem ich in die Karibik reise.
Herzlichen Dank an B, F, T, M, M, S, M, G, S und E für die interessanten Beispiele.
In einem Satz ist übrigens kein Fehler.
Aufgaben:
a) Markiere die Fehler mit Bleistift und vergleiche anschließend mit deinem Nachbarn.
b) Schreibe die Verbesserungen einzelner Sätze auf.
Das Textbeispiel zeigt in konzentrierter Form mehrmals typische Fehler, insbesondere im Bereich
der Rechtschreibung und Grammatik, und bietet zahlreiche Ansätze zur Wiederholung der
Rechtschreibregeln und der Fehlervermeidungsstrategien, weist auf Tücken der Schreibung hin und
zeigt den Lernenden insbesondere die Notwendigkeit, dass Erstfassungen eines Textes
überarbeitungsbedürftig sind.
In einem zweiten Überarbeitungsschritt geht es um die Anwendung von konkreten
Schreibkriterien auf einen / den eigenen Text einerseits und andererseits um die gezielte
Textrevision mit bestimmten Verfahren zur Textverbesserung. Dazu ist es generell wichtig, dass
die Schülerinnen und Schüler eigene Texte aus der Perspektive des künftigen Lesers sehen lernen.
Oft gelingt die Überarbeitung bei fremden Texten leichter, weil dort bereits mit dem Leserblick
geschaut wird und die Bindung an den eigenen Text nicht mehr den Blick trübt. In der kommenden
Lernstandserhebung werden die Schülerinnen und Schüler natürlich fremde Texte überarbeiten.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Anwendung von Schreibkriterien in typischen Unterrichtssituationen
In Rahmen der Lernstandserhebung Deutsch wurde eine allgemeine Matrix für die Qualität von
Texten entwickelt, die in allen Lernstandserhebungen Verwendung findet und dem
Deutschunterricht einen kriterialen Rahmen für die Beurteilung von Schülertexten zur Verfügung
stellt. Gerade auch Lernende sollen im Verlauf der Sekundarstufe I die dort beschriebenen
Textdimensionen
• Gehalt, Substanz, Ideen (eher quantitativ: Ideenreichtum, Ausführungsgrad; eher qualitativ:
Relevanz, Themenbezug, Eigenständigkeit, Weiterführung, Klarheit)
• Aufbau (Gedankengang, Gliederung, Struktur, Zusammenhang, Verwendung funktionaler
Textmuster, Stringenz)
• Vielfalt und Genauigkeit (bei Wortwahl, Satzbau, Verknüpfungen, passende Stilebene,
einfallsreiche Wirkungsmittel)
• Kommunikativer Bezug (Adressatenbezug, Situationsbezug, Intentionsgerechtigkeit)
• Schreibregeln / leserfreundliche Gestaltung (Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik,
Absatzbildung, Lesbarkeit)
• Originalität, Einfallsreichtum (persönlicher Stil, erkennbare Gestaltungsabsicht,
Risikobereitschaft)
und die Niveaustufen der Textqualität kennenlernen, verstehen und aufgabenbezogen anwenden
können.
(Die Matrix findet sich im Anhang zu diesem Text, ebenso wie die schreibdidaktischen
Erläuterungen zu dieser Matrix sowie Hinweise auf weitere Materialien zur prozessorientierten
Schreibdidaktik und zur Schreibberatung bei einzelnen zum Teil sehr individuellen
Schreibproblemen.
http://www.learn-line.nrw.de/angebote/qualitaetsentwicklung/download/d-schreibstrategie.pdf )
Vor dem Hintergrund eines kleinen, konkreten und vorher im Unterricht erarbeiteten Kriteriensatzes
sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, auch tiefgreifendere Überarbeitungen vorzunehmen, die
sich auf den Textaufbau und den Satzbau beziehen.
Im Rahmen eines Unterrichtsvorhabens über „Bilder und Leitbilder in den Medien“ standen
Filmplakate zur Verfügung, zu denen Personenbeschreibungen erstellt wurden. Vor der
Klassenarbeit wurde ein Lernplakat fertig gestellt, in dem die Erfahrungen aus den vorherigen
Schreibversuchen zusammengefasst wurden.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Lernplakat: Merkmale einer Personenbeschreibung
•
•
•
•
•
Gib einen möglichst genauen Eindruck von der Person, sieh genau hin.
Einleitung: Um welche Person handelt es sich?
Dein erster Eindruck?
Hauptteil:
Einzelheiten – von oben nach unten
Der Kopf und das Gesicht – Schwerpunkt
(Haare, Gesicht, Stirn, Nase, Kinn, Augen, Mund, …)
Kleidung – typisch für einen persönlichen Stil?
Körperhaltung – Arme, Hände, Beine, …
Besonderheiten ???
Schluss:
Gesamteindruck – Wirkung auf dich
Formuliere einen wirksamen, möglichst originellen Schluss(satz)!
Vorsicht:
Gefahr der Wiederholung von eintönigen Verben
(ist, ist, ist, hat, hat, hat, trägt, trägt, trägt)
Satzanfänge eintönig?
Umgangssprache und Kindersprache – bitte nein!
Benutze das Präsens!
In dem Lernplakat sind vor allem Hinweise zum Inhalt und zur Textstruktur aufgeführt. Die
stilistischen Hinweise beschränken sich auf die Problemzonen in der Wortwahl.
Grundsätzlich zeigt sich an dem Lernplakat die Vorgehensweise beim Umgang mit Kriterien im
Schreibunterricht. Zunächst werden hier für das zu lösende Schreibproblem einige
Lösungsvorschläge verallgemeinert. Danach stellt sich für alle am Lernprozess Beteiligten die
Frage, ob das jeweilige Merkmal/Kriterium im fertigen Text beachtet wurde. Daraufhin geht es um
die Frage, wie gut dieses Merkmal ausgeprägt ist.
Die unten beschriebenen Textüberarbeitungsverfahren stellen diese Fragen konkret noch einmal und
beinhalten insofern zugleich die zentralen Kriterien für einen gelungenen Text.
Schülerinnen und Schüler finden Textstellen mit verunglückten Formulierungen oft nicht auf
Anhieb, sondern zumeist erst in einem eigenen zweiten Arbeitsgang, der ausdrücklich auf den
Textaufbau und auf den Satzbau fokussiert wird. Die daraus sich ergebenden Eingriffe in den Text
sind für die meisten Schüler recht schwierig und gelingen ihnen nur, wenn sie geeignete Verfahren
kennen und diese auch hin und wieder anwenden (siehe unten).
Neben Best-of-Texten sind natürlich auch originale Schülerarbeiten mit dem Einverständnis der
Autorin bzw. des Autors aus Hausaufgaben und Klassenarbeiten ausgezeichnetes Lernmaterial.
Erfahrungsgemäß eignen sich eher gute Schülerarbeiten mit kleinem Überarbeitungsbedarf besser
als die so genannten „abschreckenden Beispiele“. Möglichst sollte vor jeder Klassenarbeit die
Gelegenheit bestehen, an einem solchen Beispiel noch einmal die Schreibkriterien zu wiederholen
und die Textüberarbeitung zu trainieren. Ein Beispiel dafür findet sich im Folgenden.
Ein überarbeitungsfreundliches Format mit einem breiten Korrekturrand hat sich bewährt; bei
liniertem Papier kann jeweils eine Zeile frei bleiben; bei Heften kann die rechte Seite frei gelassen
werden oder es kann auch ein leeres Blatt angelegt werden.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Verfahren zur Textverbesserung / Textüberarbeitung
Schülerinnen und Schüler verbessern Texte zumeist erst dann spürbar, wenn sie in geeignete
Verfahren eingeführt wurden, die sie zunehmend routinisieren können.
Aus den operationalen linguistischen Verfahren ist eine Textüberarbeitungsroutine mit dem Namen
ESAU-Verfahren abgeleitet worden.
ESAU-Verfahren meint Ergänzen, Streichen, Austauschen und Umstellen. Es handelt sich um ein
Verfahren, das im Übrigen schon von Schreibanfängern in der Grundschule praktiziert werden
kann. Schreibprofis verwenden diese vier Schritte im Allgemeinen ebenfalls.
Diese vier Schritte können natürlich in beliebiger Reihenfolge durchgeführt werden. Sie beziehen
sich auf die vier Hauptprobleme von Texten:
• fehlende Worte, Satzglieder, Gliedsätze, Gedanken und Abschnitte: Ergänzen (erweitern,
hinzufügen, ausbauen)
• überflüssige Worte, Satzglieder, Gliedsätze, Sätze, Gedanken und Abschnitte: Streichen
(weglassen, tilgen)
• unpassende Worte, Satzglieder, Gliedsätze, Gedanken und Abschnitte: Austauschen (an die
Stelle etwas anderes setzen)
• unstimmige Reihenfolge der Worte, Satzglieder, Gliedsätze, Gedanken und Textabschnitte:
Umstellen (verschieben)
Im Rahmen der Reflexion über Sprache sollen diese Verfahren möglichst bereits zu Beginn der
Sekundarstufe I eingeführt werden.
Neben diesen Grundverfahren sollten die Lernenden immer wieder auch die völlige
• Neukonstruktion / Umformulierung von misslungenen Abschnitten
versuchen, da manche Sprachunfälle einen Totalschaden verursachen, der irreparabel ist. Hier
helfen anfangs oft Lehrerbeispiele, die Möglichkeiten zu erkennen, die in einer Neuformulierung
stecken.
Hilfreich und meistens nützlich ist auch der allgemeine Tipp, den
• eintönigen Satz mit einer Umstandsbestimmung (schülergerechter formuliert: WieInformation) zu beginnen bzw. diese zu ergänzen.
Hinsichtlich des zunehmend bewussten Textaufbaus kann die Verpflichtung Wunder wirken,
• Leerzeilen einzufügen bzw. diese durch eine entsprechende Markierung am Rand zu fordern,
wenn ein neuer Anschnitt bzw. Gedanke beginnt.
Ausdrücklich sollen auch
• verbale Hinweise am Rand gegeben werden,
wie sie von Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern immer schon Verwendung finden.
Schülerinnen und Schüler lieben es, selbst Deutschlehrer zu spielen. Solche Formulierungen, die
Verbesserungen anregen, sind beispielsweise: Wie geht das? Verstehe ich nicht! Sag mal genauer!
Kann gar nicht sein! Stark! Besser wäre … Was hast du da gedacht? ….
Ungeübte Schreiber werden anfangs auch mit solchen Hinweisen und Verfahren nicht immer eine
Verbesserung erzielen, nicht selten finden sich auch „Verschlimmbesserungen“. Deshalb gilt für
alle Veränderungen der abschließende Verfahrensschritt:
• Prüfen,
ob der potentielle Leser nun den Text besser verstehen kann. Diese Leitfrage steht über allen
Überarbeitungsverfahren und das „Passt es jetzt besser?“ steht folglich am Schluss der Arbeit.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Wenn solche Aufgabenstellungen nicht nur als Berichtigungen von Klassenarbeiten in den
Unterricht integriert werden, sondern als Partnerarbeit und als Gruppenarbeit in Schreibkonferenzen
organisiert werden, entstehen lebendige Lernsituationen, in denen Texte und nicht Noten im
Mittelpunkt des Unterrichts stehen. Wenn ein fremder Leser den eigenen Text bearbeitet hat, ist
jedes Randzeichen und jede Bemerkung selbst ein Gesprächsanlass über Textqualität.
Textüberarbeitungen in kooperativen Lernsituationen, in denen gemeinsam erarbeitete
Schreibkriterien als Schreibhilfe zur Verfügung stehen, sollten in diesem Sinne einfach zu
praktizierende Standardsituationen des Unterrichts sein. Im Anfang sollte darauf geachtet werden,
dass immer nur ein bis zwei Verfahren neu eingeführt werden.
Mit dieser relativ übersichtlichen Methodik können Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe
I bei genügender Übung deutliche Schreibkompetenzzuwächse erzielen, indem sie ihre
Sprachaufmerksamkeit und ihr Sprachgefühl schulen.
Wichtig für den Deutschunterricht in der Sekundarstufe I ist in diesem Zusammenhang noch der
dringende Rat, das Schreiben nicht durch Kriterien und Normen zu einer Qual für ungeübte und
unsichere Schreiber werden zu lassen. Die zu recht und oft beklagte Textnörgelei und die
übermäßige Rotstifttaktik im Deutschunterricht ist häufig sicherlich auch ein Grund für manche
Demotivation.
Beispiel für eine Textüberarbeitung in einer komplexen Schreibsituation
Schülerinnen und Schüler am Ende der Jahrgangsstufe 8 haben oft nicht nur einen Text zu
verfassen, der mit einer standardisierten Textsorte vorstrukturiert ist und mit dessen Muster sie
vertraut sind. Sie sollen häufig auch in komplexen Schreibsituationen reagieren, in denen keine
Textordnungsmuster bereitstehen.
Hier ergeben sich die Kriterien zumeist aus der (möglichst gemeinsam entwickelten)
Aufgabenstellung.
In dem folgenden Beispiel geht es um einen Wahlkurs „Filmkunde“ (vertiefendes Angebot zum
Deutschunterricht), der es sich zum Ziel gesetzt hat, einmal im Halbjahr für die Jahrgangsstufe eine
Filmnacht zu veranstalten. Allen Mitschülerinnen und Mitschülern der Jahrgangsstufe sollen zu
Beginn des Abends drei Filmempfehlungen vorgelegt werden, die beiden Filme mit den meisten
Stimmen werden mit einer kurzen Einführung in das Filmgenre am betreffenden Abend per Beamer
auf großer Leinwand gezeigt.
Der Kurs einigte sich relativ schnell auf die wesentlichen Inhaltselemente für die Filmempfehlung:
1. Begründung für die besondere Aktualität des Filmvorschlags
2. Angaben zur Filmhandlung (Inhaltsangabe, ohne alles zu verraten/ Präsens!)
3. Informationen zu den Hauptdarstellern / Hauptrollen
4. Zuordnung zu einem Filmgenre (typische Genremotive)
5. Abschlussnote mit Gesamtcharakterisierung
Die weiteren Schreibvereinbarungen ergaben sich ebenfalls aus der Schreibsituation:
• werben und begründen
• Adressatenbezug: Mitschüler
• unterhaltsam schreiben: Keine Macht dem Drögen!
• immer gültige Regel: abwechslungsreich, lebendig und genau formulieren!
Das folgende Beispiel ist in diesem Kontext entstanden.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Mein Vorschlag für die nächste Filmnacht
Ich möchte den Film Fluch der Karibik für unsere nächste Filmnacht vorschlagen. Der Film ist ein
Piratenfilm. Und es gibt jetzt gerade im Kino den Teil 2 zu sehen. Viele sagen sich bestimmt, dass
ein Piratenfilm eigentlich nicht wirklich interessant sein kann, da der Film ja lange her ist und wen
kann das denn schon interessieren. Da irren sie sich aber gewaltig, denn im Fluch der Karibik
passiert viel richtige Spannung.
Im Mittelpunkt von der Handlung steht Captain Jack Sparrow. Jack Sparrow ist ein berüchtigter
Pirat, der von Johnny Depp supercool gespielt wird, was alleine sich schon lohnt sich anzugucken,
wie Johnny Depp den Captain spielt. Johnny Depp will wieder sein Schiff, die Black Pearl,
zurückkriegen. Sein Hauptfeind ist Barbossa, ein Zombie-Pirat, der früher mal der erste Offizier
war von dem Schiff, dann aber gegen Sparrow gemeutert hat. Barbossa ist mit der Black Pearl auf
der Jagd nach dem letzten Medaillon aus einem verfluchten Schatz, den er mal gestohlen hatte, der
dann aber mit dem Fluch verbunden war, dass der Räuber nicht mehr sterben und nichts mehr
fühlen kann. Dann wurde er also mit seiner ganzen Piratentruppe verflucht. Deshalb waren sie
manchmal bei Mondschein nur Skelette. Ein bisschen von einem Horrorfilm hat der Fluch der
Karibik deshalb auch, aber es ist meistens witzig, denn die Skelette sind ziemlich niedlich
anzugucken und meistens tun sie einem ein bisschen leid, wenn sie gerade ihr Holzauge suchen, das
sie gerade verloren haben. Zombies und Piraten haben jedenfalls schlechte Zahnhygiene und Angst
vor dem Zahnarzt. Soviel verfaulte schwarze Zähne kriegt man selten zu sehen.
Die Guten haben weiße Zähne und Captain Sparrow liegt irgendwie in der Mitte. Damit sind wir
nun bei den Guten. Die Guten in dem Film sind Elisabeth Swann, die von Keira Knightly gespielt
wird, und William Turner, der von Orlando Bloom gespielt wird. Und das Problem der beiden ist,
dass sie sich natürlich lieben, aber erst mal nicht kriegen dürfen, wie bei jedem richtigen
Liebesfilm, denn Orlando muss erst mal einige Abenteuer bestehen, bevor er seine Keira küssen
darf – natürlich beim Sonnenuntergang in der Karibik. Als echter Kerl zeigt er sich dann vorher:
edel, mutig, ehrlich, fit, flott, fleißig, intelligent, hilfsbereit, clever, unschlagbar – also einer wie
wir, einer, den man – sorry – den frau heiraten kann. Und die liebe Keira, die steht ihm überhaupt
nicht nach. Sie ist kein dummes und hilfloses Engelchen, das auf den Prinzen wartet. Nein, sie kann
auch ganz schön austeilen, hat vor nichts Angst, tut alles, um William zu retten, kennt sich mit
Piraterie bestens aus, sieht immer gut aus und heiratet aus Verzweiflung fast den Falschen.
Ergreifend. Was ich damit sagen will: Der Film ist auch was für Mädchen, die auf Liebesfilme
stehen.
Was gibt es noch zu sehen: coole Fechtszenen, super Kanonenduelle, einsame Schatzinseln,
Kaperungen der besonderen Art, Pirateninseln, doofe Soldaten, fiese Piraten, Ohnmachtsanfälle im
richtigen Moment, Schiffsuntergänge, super Explosionen, noch superere Stunts, Schlägereien,
Besäufnisse und immer wieder LMRs (last-minute-rescues – Rettungen in letzter Minute), wenn
Jack Sparrow am Galgen landet, wo er ja nun wirklich nicht hingehört – schließlich wollen wir den
zweiten Teil sehen.
Also: Kein Problemfilm, sondern superstarkes Popkornkino. Der Verstand wird nicht besonders
gefordert – den schonen wir für die Schule.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Die typische Aufgabenstellung zur Überarbeitung kann in dieser Altersstufe folgendermaßen
aussehen.
(Fortgeschrittene Kurse werden die methodischen Schritte als Routine „Textüberarbeitung“
selbstständig anwenden können.)
1. Notiere deine Anmerkungen und Fragen auf dem Rand (Gute Textstellen mit ++ kennzeichnen).
2. Markiere in dem Text die Textstellen (Wörter, Satzteile und ganze Sätze), die du für nicht
gelungen oder ganz falsch hältst.
Benutze die folgenden Kennzeichnungen: Ergänzen = E, Streichen = S, Austauschen = A,
Umstellen= U, Umformulieren = Umf, Wie-Information an den Anfang setzen = WI, Leerzeile
einfügen = <
3. Vergleiche mit deiner/m Nachbarin/n.
4. Überlege dir bessere Formulierungen und schreibe diese dann neben die Textstelle.
5. Tausche deine Überarbeitung mit deiner/m Nachbarin/n und entscheidet euch für eine
endgültige Textfassung.
In der Auseinandersetzung mit dem Text können vor dem Hintergrund der Kriterien und mit Hilfe
der Überarbeitungsverfahren einige Probleme des Textentwurfs erkannt und korrigiert werden.
Erfahrungsgemäß müssen oft aber noch Hinweise von den Lehrkräften zu speziellen Textproblemen
gegeben werden, damit diese bewusst werden und verbessert werden können.
Die Textüberarbeitung in der Lernstandserhebung
In der Lernstandserhebung wird in enger Anlehnung an die Unterrichtspraxis nur ein spezieller
Ausschnitt aus dem komplexen Feld der Textüberarbeitung zum Gegenstand der Untersuchung. Es
geht vornehmlich um die Überarbeitung im Hinblick auf Wortwahl und Satzbau. Die
Aufgabenformate lehnen sich eng an schulische Lernprozesse an, sollen aber die
Überarbeitungskompetenz schnell und möglichst eindeutig erfassen.
Dazu erhalten die Schülerinnen und Schüler erstens eine Liste von Schreibregeln, die sich auf eine
bestimmte Schreibsituation bezieht. Sie sollen nun einige unterstrichene misslungene
Formulierungen als Regelverstoß einer bestimmten Regel zuordnen.
Hiermit wird die Teilkompetenz Schreibkriterien anwenden erfasst.
Beispiel:
Gegeben sind zum Beispiel die verbreiteten allgemeinen Regeln
a) „Vermeide eintönigen Satzbau.“
b) „Vermeide Wiederholungen am Satzanfang.“
c) „Vermeide die Wiederholung einzelner Worte.“
In einem Textbeispiel finden sich die folgenden Sätze, in denen die misslungenen Textstellen
bereits unterstrichen wurden:
Dann sollte nach einer kleinen Pause die Hauptband auftreten. Darauf hatte das Publikum schon
lange gewartet. Dann (1) war es endlich soweit. Die Hauptband kam auf die Bühne und das
Publikum(2) war endlich (3) aus dem Häuschen.
Als Regelverstoß kann hier (1) der Regel (b), (2) der Regel (c) und (3) der Regel (a) oder (c)
zugeordnet werden.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Die Schülerinnen und Schüler sollen zweitens die missglückte Formulierung verbessern und ihren
Verbesserungsversuch einer der vorgegebenen Schreibregeln zuordnen.
Die Teilkompetenz Formulierungen überarbeiten wird so erfasst.
Beispiel:
Gegeben ist derselbe Satz von Regeln wie in der ersten Aufgabe. Die zu verbessernden Sätze
entstammen ebenfalls demselben Kontext. Die Aufgabe lautet nun:
Viele in der Halle waren begeistert und rasteten voll aus. Aber einige fanden die Band ziemlich
bescheuert und verhielten sich ätzend wie die Bekloppten.
Verstoßen wird hier gegen folgende Regel: _____
Besser im Sinne der Regel ist folgende Formulierung:
Drittens sollen die Schülerinnen und Schüler den Sinn bestimmter Schreibregeln reflektieren,
indem sie verschiedene Schreibgrundsätze vorgegebenen Zwecken zuordnen. Dies geschieht
dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler die Regeln mit Hilfe eines Pfeils dem entsprechenden
Regelsinn zuordnen.
Damit ist die Kompetenz Schreibkriterien reflektieren aufgerufen.
Beispiel:
Zu der Regel Verstecke die Hauptsache nicht in Nebensätzen, … passt die Begründung damit das
Wesentliche beachtet und hervorgehoben wird.
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Deutsch Textüberarbeitung 2006/2007
Anhang: Allgemeine Auswertungsmatrix für Aufgaben im Bereich „Schreiben“
LösungsstufenÆ
DimensionÈ
1) Gehalt, Substanz,
Ideen
eher quantitativ:
Ideenreichtum
Ausführungsgrad
eher qualitativ:
Relevanz
Themenbezug
Eigenständigkeit
Weiterführung
Klarheit
A
Aufgabe nicht oder nur in
sehr geringem Maße erfüllt
• nennt nur wenige und
begrenzte Ideen
• lässt wichtige Aspekte aus
• gibt keine Beispiele
• wiederholt sich häufig
•
•
•
• verwendet nur oberflächliche •
bzw. unpassende Ideen
• übernimmt einfach Gedanken •
• bezieht sich kaum auf Thema/
Aufgabe
• trifft unklare/falsche
•
Feststellungen
•
•
2) Aufbau
Gedankengang
Gliederung
Struktur
Zusammenhang
Verwendung
funktionaler
Textmuster
(berichten, erzählen,
argumentieren, ...)
Stringenz
3) Vielfalt und
Genauigkeit
bei Wortwahl,
Satzbau,
Verknüpfungen,
passende Stilebene,
einfallsreiche
Wirkungsmittel
• in den Aussagen assoziativ,
unzusammenhängend/widersprüchlich
• bezieht Ideen nicht auf eine
Gesamtidee
• nutzt die Möglichkeiten des
Textmusters nicht
• leitet nicht in das Thema ein,
schließt es nicht ab
• bleibt bei der Wortwahl oft
ungenau und farblos
• bildet die Sätze monoton,
wechselt selten die
Satzmuster
• formuliert
umgangssprachlich,
verkürzend oder
unangemessen
• wiederholt sich oft, wählt
keine Variationen/Proformen
•
•
•
•
•
5) Schreibregeln/
leserfreundliche
Gestaltung
Rechtschreibung,
Zeichensetzung,
Grammatik,
Absatzbildung,
Lesbarkeit
6) Originalität,
Einfallsreichtum
persönlicher Stil,
erkennbare
Gestaltungsabsicht,
Risikobereitschaft
•
•
•
•
C
Aufgabe
gründlich/umfassend erfüllt
• setzt sich aspektreich/differenziert
mit dem Thema auseinander
• entwickelt selbstständige und
kritische Gedanken
• wägt persönliche und allgemeine
Aspekte ab
• erfasst kritisch Probleme
• beachtet weiterführend größere
Zusammenhänge
• bleibt auch bei komplexen
Problemen meistens klar
• die Ausführungen sind
widerspruchsfrei
• Gedankengang durchweg
zusammenhängend formuliert
• Gedanken (begründend,
•
•
•
• wählt die Worte weitgehend
•
•
•
•
•
•
•
4) Kommunikativer • orientiert sich kaum am
Adressaten
Bezug
• beachtet wichtige
Adressatenbezug
Bedingungen der
Situationsbezug
Schreibsituation nicht
Intentionsgerechtig• bleibt in der Intention unklar
keit
B
Aufgabe
grundlegend erfüllt
führt mehrere Ideen zu
verschiedenen Aspekten des
Themas aus
wählt für Gesamtidee
bedeutsame Einzelheiten aus
bedenkt verschiedene
Sichtweisen
trifft klare und zutreffende
Feststellungen
führt zu den wesentlichen
Aspekten des Themas
bedeutsame Ideen aus
entwickelt in Ansätzen eigene
Sichtweisen
bezieht persönliche Erfahrungen
mit ein
Gedanken beziehen sich auf das
Thema
bezieht eigene Ideen auf eine
Gesamtidee
überwiegend zusammenhängend
entfaltet eigene Gedanken (z. B.
mit einigen Begründungen und
Beispielen)
nutzt ansatzweise
Möglichkeiten des Textmusters
formuliert einleitende und/oder
abschließende Sätze
•
•
•
treffend, angemessen,
sachbezogen und anschaulich
aktiviert den Wortschatz
erkennbar
variiert die Satzmuster, wechselt
sinnvoll zwischen kürzeren und
längeren Sätzen
achtet bei Satzfolge auf inneren
Zusammenhang
vermeidet unübersichtliche
Verschachtelungen
nutzt gelegentlich rhetorische
Mittel
orientiert sich ansatzweise am
Adressaten
beachtet situative Bedingungen
des Schreibkontextes
lässt eine persönliche Intention
erkennen
•
•
•
schlussfolgernd) aufeinander
bezogen
Ordnungsprinzip (z. B. folgernd,
antithetisch, linear-chronologisch,
…) erkennbar
verbindet einzelne Aussagen mit der
Gesamtaussage
nutzt Möglichkeiten einschlägiger
Textmuster
wählt Worte genau, nutzt den
Wortschatz differenziert,
abwechslungsreich und anschaulich
bildet Sätze gehaltvoll, der Funktion
entsprechend variationsreich und
elegant
achtet bei Satzfolgen auf passende
Verknüpfungen
strebt Lebendigkeit und Attraktivität
bewusst an
nutzt geschickt rhetorische Mittel
• stellt sich gut auf Adressaten und
Situation ein
• geht ein auf mögliche
Lesergedanken
• thematisiert die Situation/stellt
eigene Ansichten und Erfahrungen
in diesen Zusammenhang
verstößt häufig gegen Regeln • orthographische und
• weitgehend korrekte Orthographie
der Orthografie
grammatische Fehler stören, der und wenige grammatische Fehler
beachtet häufig grammatische Text bleibt aber insgesamt
• unterstützt durch die Interpunktion
Regeln nicht
den Leser und bildet die Absätze
verständlich
setzt Satzzeichen willkürlich • die Interpunktion ist z. T.
dem Gedankengang entsprechend
bildet keine Absätze
fehlerhaft, stört die Lesbarkeit
nur begrenzt
• bildet Absätze
• bleibt in der inhaltlichen und • eine inhaltliche/ästhetische
ästhetischen Gesamtidee
Gesamtidee ist erkennbar
• entwickelt einzelne passende,
unklar, klischeehaft,
phantasievolle Gedanken
reproduktiv
• bleibt inhaltlich und
• gestaltet einen originellen
sprachlich ideenarm, formlos,
Gedanken deutlich aus
stereotyp
• wählt Einfälle und Ideen ohne
Funktion für das Thema,
willkürlich
10
• gestaltet eine originelle inhaltliche
und ästhetische Gesamtidee
• wählt eine entsprechende Stilebene
• zeigt auch in einigen Details
Phantasie
• erzeugt durch ungewöhnliche oder
überraschende Formulierungen
Aufmerksamkeit

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