AMBASSADE DE FRANCE - Französische Botschaft

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AMBASSADE DE FRANCE - Französische Botschaft
Frankreich – Info
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15.6.2010
Ansprache
von Botschafter Bernard de Montferrand
anlässlich der Verleihung der Insignien
eines Chevalier de la Légion d’honneur
an Sir Simon Rattle
Berlin, den 14. Juni 2010
Sehr geehrter Sir Simon Rattle,
Sehr geehrte Magdalena Kožena,
Sehr geehrter Herr Schmitz,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich habe heute die große Ehre, hier in der Französischen Botschaft dem Chefdirigenten und
Künstlerischen Leiter der Berliner Philharmonie die Insignien eines Chevalier de la Légion
d’Honneur zu verleihen.
Sir Simon,
Sie zählen zu den großen Künstlern, die den kulturellen Glanz Berlins ausmachen; Sie sind
sozusagen ein „großer Diener der Musik“. Mit dieser Auszeichnung will Frankreich einen
Musiker von außergewöhnlichem Talent, einen Mann des sozialen Engagements und einen
guten Freund unseres Landes ehren. Bevor ich Ihnen diesen Orden überreiche, will ich, wie es
üblich ist, einige Worte zu Ihrem Werdegang sagen.
Ihr brillanter Weg ist in erster Linie die Geschichte einer Leidenschaft – eine Geschichte,
wie es sie vielleicht nur in der Musik gibt.
Ihre Berufung zeigt sich schon sehr früh: Mit drei oder vier Jahren bekommen Sie ein MiniSchlagzeug geschenkt und spielen so lange darauf, bis es kaputt geht. Während andere Kinder
sich für Comics begeistern, verschlingen Sie Partituren. Ihr Schlüsselerlebnis haben Sie dann,
als Ihre Eltern Sie zu einem Konzert mitnehmen. Sie hören die 2. Sinfonie von Mahler, die
sogenannte Auferstehungssinfonie. „Ich hatte das Gefühl, wiedergeboren zu werden; war wie in
Trance“, so schildern Sie Ihren Eindruck. Von da an sind Sie der Musik gänzlich verfallen. Mit
15 Jahren dirigieren Sie zum ersten Mal ein Orchester. Mit 19 gewinnen Sie die John Player
Conducting Competition und werden somit Assistenzdirigent des Orchesters von Bournemouth.
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Über Ihre Anfänge haben Sie einmal gesagt, ich zitiere: “I think all my education was to do
with realizing that a lot of good things take time. “ Ihre Ausdauer und Beharrlichkeit bei der
Arbeit und Ihre Treue zu den Orchestern sind ganz sicher eines der Geheimnisse Ihres
Erfolges.
Mit 25 Jahren beginnen Sie Ihre Zusammenarbeit mit dem Orchester von Birmingham - damals
ein recht unbekanntes Orchester in einer von der Wirtschaftskrise stark gezeichneten Region.
Diesem Orchester bleiben Sie 18 Jahre treu - hieven es auf Weltniveau und beschaffen ihm
einen neuen Konzertsaal. Ein französischer Journalist hat einmal gesagt, ich zitiere: „Sie haben
der Musik in Großbritannien ein neues Gesicht gegeben.“
Sie können sich vor Angeboten kaum retten, lehnen jedoch alle ab – alle bis auf eines, das
Angebot aus Berlin. Sie werden Chefdirigent der Berliner Philharmoniker – ein Posten, der
weltweit seinesgleichen sucht.
In Berlin haben Sie das Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Berlin ist für Sie, ich darf Sie zitieren,
„der Ort, wo das große Klassikrepertoire entstanden ist, der Ort, an dem die Musik mehr als
anderswo im Leben der Menschen präsent ist.“ Ihrem Stil bleiben Sie auch in Berlin treu: Sie
nehmen sich die notwenige Zeit, um eine enge Verbindung, eine Art blindes Verständnis mit
dem Orchester aufzubauen – Sie sprechen in Ihrer humorvollen Art oft von einem Bund der
Ehe, den Sie mit Ihrem Orchester eingegangen sind.
Die Berliner Philharmoniker - ein Traditions-Orchester, das nicht selten als „konservativ“
bezeichnet wird - erleben mit Ihnen an der Spitze eine richtige kleine Revolution.
Zuerst eine Revolution des Repertoires. Ohne zu zögern setzen Sie Ihre musikalischen
Präferenzen durch. Die Komponisten des 20., vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts:
Strawinsky, Schönberg, Sibelius und insbesondere Mahler. Ihr erstes Konzert in der
Philharmonie ist ein wahrhaftes Manifest. Sie dirigieren Mahler und Adès. Mit Ihnen erweitert
das Orchester sein Repertoire auch um Werke der Alten Musik - Haydn und Bach - und um
zeitgenössische Kompositionen.
Auch auf institutioneller Ebene lassen Sie einen neuen Wind wehen. Ihren Vertrag mit dem
Orchester unterzeichnen Sie nur unter der Bedingung, dass die Musiker eine Gehaltserhöhung
bekommen. Außerdem gründen Sie die Stiftung Berliner Philharmoniker und stärken damit die
Unabhängigkeit des Orchesters gegenüber der Stadtverwaltung.
Und nicht zuletzt hauchen Sie der Philharmonie auch einen neuen sozialen Geist ein: Einmal
pro Woche gibt es ein kostenloses Konzert; und das Orchester leitet pädagogische Projekte mit
Schulen aus ganz Berlin.
Sie geben dem Orchester eine neue Rolle in der Gesellschaft von heute. Ein Journalist der
Times hat es ganz treffend formuliert, ich zitiere: „By such bold initiatives he is redefining what
21-century orchestras can and should be doing.”
Wir Franzosen freuen uns sehr, dass ein Künstler Ihres Niveaus einen besonderen Bezug
zur französischen Musik hat; und dass Sie unserem Land in echter Freundschaft
verbunden sind.
Sie sagen, Sie lieben die französische Musik schon von Kindesbeinen an. Die Berliner
Philharmoniker haben in den vergangenen Jahren ein breitgefächertes französisches
Repertoire interpretiert. Eine Musik, die, wie Sie sagen, „keine Bodenhaftung hat, sie fliegt,
bleibt dabei aber enorm präzise und zielgerichtet“. Darüber hinaus entdecken Sie – das kann
vielleicht nur ein britisches Ohr hören - ganz erstaunliche Zusammenhänge zwischen
französischen und deutschen Werken. Für Sie hat Wagner der französischen Musik (die er
angeblich verachtete) einiges zu verdanken. Und umgekehrt sehen Sie viele Ähnlichkeiten
zwischen Debussys Pelléas et Mélisande und Wagners Parsifal.
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Wir verdanken Ihnen ganz wunderbare CD- Einspielungen französischer Werke. Einige
dieser Aufnahmen gelten als die besten Interpretationen, die heute existieren.
Sie haben zahlreiche Kontakte zu französischen Musikern. Emmanuelle Haim oder Pierre
Boulez, von dem sie sich in Ihrem musikalischen Ansatz oft inspirieren lassen, und den Sie
schon seit über 30 Jahre kennen.
Alle Ihre Konzerte in Frankreich sind uns in besonderer Erinnerung geblieben. Ob im Théâtre
des Champs-Elysées oder beim Festival d’art lyrique in Aix-en-Provence, wo Sie vier Jahre in
Folge (von 2006-2010) mit der Wagner-Tetralogie Der Ring der Nibelungen aufgetreten sind.
Der Leiter des Festivals von Aix-en-Provence, Bernard Foccroulle, war ganz angetan von Ihren
Auftritten beim Festival, ich zitiere: „In all diesen Jahren war ich überwältigt von dem
außergewöhnlichen Engagement von Sir Simon und seiner Musiker – bei jeder Probe, jedem
Konzert, jedem Auftritt […]. Besonders beeindruckt hat mich das Engagement, das der Dirigent
und die Musiker mit ihren Schulprojekten und Kreativworkshops an den Tag legen; dass sie die
jungen Leute zu Ihren Proben einladen; dass sie ebenso großen Wert auf diese soziale
Dimension legen wie wir.“
In der Tat, denn Sie sind nicht nur ein Ausnahme-Musiker, sondern Sie haben vor allem
auch eine starke Persönlichkeit: Sie handeln aus Überzeugung, und Sie können Ihre
Überzeugungen und Ihren Stil durchsetzen.
Egozentrik ist in der Musikwelt nichts Ungewöhnliches - das ist übrigens nicht der einzige
Bereich. Das gilt nicht für Sie. Einige Ihrer berühmten Vorgänger spielten ganz geschickt mit der
großen Wirkung und Präsenz, die die Rolle des Chefdirigenten verleiht. Sie jedoch sehen in
Ihrem Beruf ganz andere Möglichkeiten und Chancen, ich zitiere Sie: „Dieser Beruf hat mir
ermöglicht, künstlerische Welten zu ergründen, die meinen eigenen Horizont übersteigen.“
Ihre britische Bescheidenheit ist vor allem für Ihre Arbeit sehr effizient. Sie bauen Ihre
Beziehungen mit dem Orchester auf Respekt und Vertrauen auf. Eine Eigenschaft, die sich
offensichtlich bezahlt macht. Sie stellen sich voll und ganz in den Dienst der Musiker und des
Publikums. Sie sind, wie eine Orchestermusikerin über Sie sagt, „a musicians musician“.
Das Leben ist für Sie nicht „Musik von morgens bis abends“. Sie legen großen Wert darauf,
Ihren Sohn morgens selbst zur Schule zu bringen. Dieser Kontakt mit dem realen Leben kann
dem Musiker Ihrer Meinung nach nur gut tun.
Sie sind sehr aufmerksam gegenüber Ihren Mitmenschen. Es ist erstaunlich, mit welcher
Beständigkeit Sie sich sozial engagieren, und welche Energie und Ernsthaftigkeit Sie dabei an
den Tag legen. In der Berliner Philharmonie haben Sie mehrere Projekte mit Schulen aus
Problemvierteln auf den Weg gebracht. Das ist eine einzigartige Möglichkeit für die
Jugendlichen, einen ersten Zugang zur Musik zu finden. Das Kinderballett z.B., das Sie in
Treptow aufgeführt haben, hat mich persönlich sehr berührt. Ganz zu Recht wurden Sie und Ihr
Orchester 2007 zu UNICEF-Botschaftern ernannt.
Eine Ihrer größten Stärken jedoch, verehrter Simon Rattle, ist Ihre Entschlossenheit, Ihre
Begeisterung für die Musik an Ihre Mitmenschen weiterzugeben. Ihr soziales Engagement und
diese Entschlossenheit scheinen eins zu sein. Man spürt bei Ihnen den - fast naiven - Glauben,
dass die Musik die Welt ändern kann, dass sie jeden Einzelnen und damit unsere ganzen
Gesellschaften zu besseren Menschen machen kann. Aber warum könnte Sie es nicht?
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Diese Auszeichnung ist für uns auch eine Gelegenheit,
einen
Moment
darüber
nachzudenken, welchen Platz die Musik künftig in unseren Gesellschaften einnehmen
soll.
Ein Thema, das Ihnen sehr wichtig ist. Die digitale Revolution hat zu einem Einbruch bei den
CD-Verkäufen geführt. Damit stellt sich die Frage, wie in Zukunft das Verhältnis zwischen den
Musikschaffenden und ihrem Publikum aussehen wird.
Auf diese neuen Herausforderungen liefern Sie moderne und großzügige Antworten, zum
Beispiel mit der Einrichtung eines Digital Concert Hall in der Philharmonie. Die Konzerte werden
gefilmt und in hoher Qualität direkt übertragen, sodass alle Welt den Klängen der Berliner
Philharmoniker lauschen kann. Damit wollen Sie erreichen, dass wir die Musik brauchen wie
das Wasser zum Leben.
Eine Verbreitung von Musikwerken über die Ländergrenzen hinaus ist heute wichtiger denn je.
Wenn wir ein Europa der Kultur aufbauen wollen, eine geeinte Gesellschaft mit gemeinsamen
Werten und einer gemeinsamen Kultur, dann können wir Projekte mit internationaler Tragweite,
wie Sie sie auf den Weg bringen, dringend brauchen.
Wir fragen uns hin und wieder: Wie europäisch sind die Briten eigentlich? Wie groß ist ihr
Interesse an Europa? Ein Blick auf Ihre Person genügt: Sir Simon, Sie sind Brite, leiten in Berlin
ein deutsches Orchester und spielen mit großer Leidenschaft französische Werke. Geht es
überhaupt noch europäischer? Sie verkörpern - über sämtliche Ländergrenzen hinaus - auf
ganz wunderbare Weise den europäischen Geist.
Der französische Musikwissenschaftler Ivan A. Alexandre hat, wie ich finde, ganz treffend auf
den Punkt gebracht, welche Bedeutung Sie heute in der Musik-Landschaft haben, ich zitiere:
„Simon Rattle ist der perfekte Chefdirigent dieses Jahrhunderts. Es gelingt ihm, das Berliner
Orchester auf seinem unerreichbaren Niveau zu halten, Bewährtes zu bewahren und zugleich
Neues zuzulassen, mit der Zeit zu gehen. Ewiges Orchester, neue Zeit.“
Lieber Simon Rattle,
Frankreich freut sich sehr, heute in Ihnen einen Künstler ehren zu dürfen, der für eine bessere
Welt eintritt: mit Ihrer Musik, mit Ihrem Engagement, mit Ihren Zielen und Visionen für die
Zukunft.