frauen wollen nicht wieder opfer sein
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frauen wollen nicht wieder opfer sein
Infodienst Soziale Verantwortung konkret Frauen wollen nicht wieder Opfer sein Die Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeitslosen “María Elena Cuadra” (MEC) hat kürzlich in Managua, der Haupstadt Nicaraguas, ihr 11. Kolloquium zum Thema “Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf das Leben von Frauen – Suche nach Alternativen” durchgeführt. An ihm nahmen über 1.200 Arbeiterinnen der nicaraguanischen Maquila-Bekleidungsindustrie teil. Sie diskutierten die Auswirkungen der Krise und die Situation auf dem Arbeitsmarkt in diesem Sektor und formulierten gleichzeitig Vorschläge, damit nicht wieder Frauen die „Rechnung“ für den Zusammenbruch des neoliberalen Systems zahlen. Text: Giorgio Trucchi , Journalist, lebt und arbeitet in Managua. 24 schieht bei anderen bekannten Marken wie Nike und Levi’s. Im Gegensatz dazu hat die Supermarktkette WalMart eine Verkaufszunahme von 1,7 Prozent im Dezember und 6,1 Prozent im Januar verzeichnet, was zeigt, dass Unternehmen mit Billigware, wie auch Sears und Target, es schaffen, trotz der Finanzkrise Oberwasser zu behalten. Hintergrund seien die Veränderungen im Konsumverhalten nordamerikanischer KäuferInnen, die nun stärker auf den Kaufpreis als auf die Marke achten. „Ein weiteres Anzeichen“, so Yanz, „ist der Rückgang bei den Bekleidungsimporten der USA. Nach Mexico, das im Jahr 2008 bei den Bekleidungsexporten in die USA von Honduras und El Salvador überrundet wurde, ist Nicaragua das am stärksten von der Krise betroffene Land. Es wird geschätzt, dass im Maquila-Sector über 19.000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Im Januar 2009 haben die Textil- und Bekleidungsimporte aus Zentralamerika in die USA einen Rückgang von 22,7 Prozent zu verzeichnen und es sieht ganz so aus, als stünde das Schlimmste noch bevor”, erklärte die Referentin. Höhere Anforderungen In diesem Kontext ist es sehr wahrscheinlich, dass nur die größten und finanziell solventesten Lieferanten die Anforderungen der Einkäufer erfüllen können, die mehr Flexibilität und kürzere Lieferfristen fordern. Die gestiegenen Anforderungen haben direkte Auswirkungen auf die Arbeits- Presente Juni 2009Infodienst Frauen und Globalisierung Foto: Sabine Broscheit L ynda Yanz, Koordinatorin des „Netzwerkes Solidarität mit den Maquilas” aus Kanada sah in ihrem Referat “die Verkaufsrückgänge bei Bekleidung in den USA als Auswirkung der Finanzkrise auf den Textilsektor“. Sie betonte „die Tatsache, dass diese Rückgänge einige Unternehmen stärker treffen als andere”. Nach von Yanz vorgelegten Daten hat das Unternehmen GAP einen Verkaufsrückgang von 12 Prozent im Dezember 2008 und von 19 Prozent im Januar 2009 hinnehmen müssen. Abercrombie und Fitch, ebenfalls Marken, die Produkte aus nicaraguanischen Maquilas kaufen, hatten einen Verkaufsrückgang von 24 Prozent, American Eagle Outfitters von 17 Prozent. Das gleiche ge- bedingungen in den Maquilas, wie kurzfristige Arbeitsverträge, die immer wieder verlängert werden, Einschaltung von Vermittlungsagenturen und immer intensivere Arbeitszeiten, die sich mit auftragslosen Phasen abwechseln. Auf diese Weise wird die Zahlung von Sozialleistungen vermieden, beklagt Yanz, Gewerkschaften werden abgebaut, und es wird an allem gespart, was mit Aspekten der Hygiene und Sicherheit am Arbeitsplatz zu tun hat. Diese Art der beschleunigten Flexibilisierung wird vornehmlich Frauen betreffen, die ja die Mehrheit der Beschäftigen in der Maquilaindustrie stellen. Oft stellt ihre Arbeit das einzige Familieneinkommen dar. Die Unsicherheit des Arbeitsplatzes sowie die Notwendigkeit, lange und intensive Arbeitstage in Kauf zu nehmen, wenn es Aufträge gibt, werden die ohnehin schon existierenden negativen Folgen für die Gesundheit der Arbeiterinnen noch verstärken. Nach Informationen von Alberto Legall, Koordinator des Vereins für Soziale und Unternehmenskontrolle (Asociación de Profesionales para la Auditoría Social y Empresarial, PASE), „gibt es eine Reihe von Krankheiten, die sehr viel mit der Arbeit in der Maquila zu tun haben, wie z.B. Erkrankungen aufgrund hoher Geräuschpegel, Stoffflusen in der Atemluft, der Berührung mit spitzen Gegenständen, unzureichender Beleuchtung, Wärmestress, Umgang mit chemischen Produkten, unzureichende ergonomische Bedingungen am Arbeitsplatz oder aufgrund ständiger sich wiederholender Bewegungsabläufe, die Verletzungen an Schultern, Ellenbogen und Fingern hervorrufen, KarpalTunnel-Syndrome, Sehnenscheidenentzündungen, Lumbartrauma und Artritis. Während eines vollen Seminartages wurden diese Probleme von den Arbeiterinnen analysiert und Vorschläge formuliert, die nun an die staatlichen Institutionen und die Unternehmen weitergeleitet werden. Frauen als Opfer? Für Sandra Ramos, Koordinatorin des MEC, sind der Zusammenhalt und der Dialog unverzichtbar, um dieser schwierigen Situation zu begegnen. „Wir werden dieser Herausforderung der ökonomischen Krise nur begegnen können, wenn wir uns alle zusammenschließen: nicaraguanische Frauen, Männer, Entscheidungsträger, Produzenten. Es heißt, dass wir Frauen mal wieder die Rechnung für die Krise des kapitalistischen und patriarchalen Systems bezahlen müssen. Wir fragen uns jedoch: Warum sollten wir Frauen erneut diese Rechnung bezahlen, für die andere verantwortlich sind, die sich aufgrund ihrer moralischen Zersetzung und menschlichen Schwäche nur ihrer Bereicherung gewidmet haben, ohne an die Armen in der Welt zu denken? Wir Frauen und Arbeiterinnen sind nicht dazu bereit, uns diese ökonomische Krise aufbürden zu lassen”, so ihre Ausführungen. Schließlich wies Ramos auch Presente Juni 2009 25 Infodienst Soziale Verantwortung konkret noch darauf hin, dass Krise nicht gleichbedeutend sei mit „den Kopf hängen lassen” und nun keine Rechte mehr einzufordern. “Der Tag, an dem wir anfangen dies zu tun, werden wir die zukünftigen Generationen enttäuschen, und sie werden uns dafür zur Rechenschaft ziehen. Wir müssen weiterkämpfen, um die bereits erworbenen Rechte an die Frauen neuer Generationen weiterzugeben“, schloss sie ihren Beitrag. Bei der Schlussveranstaltung des Tages fordert die Parlamentsabgeordnete Mónica Baltodano alle Anwesenden auf, denjenigen keinen Glauben zu schenken, die die Unvermeid- barkeit des kapitalistischen Systems vertreten, und dass es keine anderen Wege als nur den des Grosskapitals gebe: „Es muss weiterhin für einen revolutionären Veränderungshorizont gekämpft werden, strukturelle Aspekte, die Armut und Ungleichheit verursachen, müssen weiterhin in Frage gestellt werden. Denn wir können uns nicht mit einer Politik und guten Gesetzen zufriedengeben, die Ausbeutung und Herrschaft nur humaner gestalten. In der ganzen Welt haben die irreguläre Arbeit von Frauen zugenommen, die langen Arbeitstage, die zusätzliche Haushaltsbelastung, die sexuelle Belästigung, die innerfamiliäre Gewalt und die Gewalt am Arbeitsplatz“, so Baltodano. „Frauen arbeiten zwei Drittel der gesamten Arbeitszeit auf der Welt, erhalten jedoch nur ein Zehntel der Einkommen. 20 Prozent der Frauen unseres Planeten sind Opfer von Vergewaltigung oder Misshandlung; in den USA wird alle 15 Sekunden eine Frau geschlagen. In diesem Sinne müssen wir weiterhin sehr grundsätzlich nach den Wurzeln all dieser Übel fragen”, schloss die Abgeordnete ihren Beitrag. Übersetzung: Dorothee Mölders MEC-Frauen kämpfen für ihre Rechte D urch die Krise der Bekleidungsindustrie in Nicaragua gingen fast ein Viertel der Arbeitsplätze in diesem Sektor durch Fabrikschließungen verloren. Ohne den Einsatz unseres Projektpartners Movimiento de Mujeres María Elena Cuadra (MEC) hätten viele der Entlassenen ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Entschädigungen auf der Straße gestanden. Doch durch Verhandlungen mit den Unternehmen und dem Arbeitsministerium konnte das MEC die Einhaltung des Arbeitsrechts durchsetzen. Diese Rolle zur Stärkung der Rechte der Textilarbeite- 26 rinnen übernimmt das MEC auch in den zahlreichen verbliebenen Fabriken. Der zentrale Ansatz ist hier jedoch die massive Schulung der Beschäftigten, die über ihre Rechte informiert und darin geschult werden, wie sie ihre Interessen in den Betrieben effektiv durchsetzen können. Über eine Struktur von hunderten ehrenamtlichen Promotorinnen ist das MEC in den meisten Bekleidungsfabriken des Landes vertreten. Und wenn sich ein Unter- nehmen weigert, Arbeitsrechtsverletzungen zu beenden und gar versucht, Kritikerinnen zu entlassen, tritt das MEC auf den Plan. Über seine juristische Abteilung und politische Intervention im Arbeitsministerium können die meisten Konflikte zu Gunsten der beschäftigten Frauen gelöst werden. Für diese Arbeit ist das MEC auf finanzielle Unterstützung von außen angewiesen. Bitte helfen Sie den Frauen mit Ihrer Spende. stichwort »MeC Nicaragua« Helfen Sie mit Ihrer Spende! Presente Juni 2009Infodienst Frauen und Globalisierung