Das Bankensystem in den Beitrittsländern am Vorabend des
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Das Bankensystem in den Beitrittsländern am Vorabend des
Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ndern am Vorabend des EU-Beitritts Marianne Kager1) 1 Einleitung Wie kann die Osterweiterung die europa‹ische Bankenszene beeinflussen? Wie werden die europa‹ischen Banken auf den um 104 Millionen Einwohner erweiterten Binnenmarkt reagieren und wie wird ihre Strategie in Osteuropa sein? Wie werden die osteuropa‹ischen Banken auf die vera‹nderten Rahmenbedingungen des Binnenmarktes reagieren? Auf diese Fragen und die damit in Zusammenhang stehenden mo‹glichen Vera‹nderungen soll in der vorliegenden Studie na‹her eingegangen werden. Es ist hinla‹nglich bekannt, dass fu‹r eine erfolgreiche und langfristig stabile wirtschaftliche Entwicklung auch stabile Finanzma‹rkte notwendig sind. Andererseits ist auch die Entwicklung der Finanzma‹rkte von einem stabilen o‹konomischen Umfeld abha‹ngig. Wa‹hrend also der Konjunkturverlauf wie auch die Geld- und Fiskalpolitik durch eine Reihe von U‹bertragungsmechanismen den Finanzsektor beeinflussen, sind auch ein anhaltendes Wirtschaftswachstum und eine effiziente Geldpolitik ohne einen soliden Finanzsektor nicht mo‹glich, da auch in diesem Fall die U‹bertragungsmechanismen nicht funktionieren wu‹rden. Strukturelle A‹nderungen und externe Schocks wirken sich ebenso auf die Volatilita‹t des Finanzmarktes aus wie einzelne wirtschaftspolitische Ma§nahmen. Steuerpolitische Ma§nahmen, wie etwa die Abschreibbarkeit von Dotierungen von Kreditvorsorgen oder bankspezifische Steuern, ko‹nnen die gesunde Entwicklung des Finanzsektors ebenso beeinflussen wie auf der geldpolitischen Seite z. B. unerwartete Erho‹hungen der Mindestreservesa‹tze, ungenu‹gende Aufsichtsbestimmungen und vieles andere mehr. Je stabiler die Finanzma‹rkte in ihrem Fundament und je besser die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen und die Unabha‹ngigkeit der Notenbanken sind, desto besser sind die Finanzma‹rkte gegen unerwartete Schwankungen abgesichert. In diesem Sinn spielen die Finanzma‹rkte eine entscheidende Rolle fu‹r die notwendige Konvergenz und die erfolgreiche Integration der mittel- und osteuropa‹ischen Beitrittsla‹nder (MOEL), die einen EU-Beitritt anstreben. Die Europa‹ische Union (EU) definiert in den Kopenhagener Kriterien als Voraussetzung fu‹r einen EU-Beitritt die Entwicklung der Kandidatenla‹nder zu funktionierenden Marktwirtschaften, damit ihre Unternehmen dem Wettbewerbsdruck und den in der EU wirkenden Marktkra‹ften standhalten ko‹nnen. Gleichzeitig ist der Zugang zu Finanzierungsmitteln aber eine Voraussetzung fu‹r die Restrukturierung und das effiziente Funktionieren des Unternehmenssektors. Im Hinblick auf den EU-Beitritt spielt daher der Finanzsektor bei der Finanzierung eines stabilen Wachstums in diesen La‹ndern eine zentrale Rolle. Nur durch einen gesunden und reformierten Finanzsektor ko‹nnen stabile Rahmenbedingungen fu‹r das Wirtschaftswachstum geschaffen werden. Schon Tobin meinte, dass es die zentrale Aufgabe der Banken sei ªto supply, allocate and monitor financial funds for investment. Entscheidend wird daher sein, ob der Finanzsektor Osteuropas diesen Anforderungen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt gerecht wird. 1 Bank Austria AG, Chief Economist, Leiterin der Abteilung Konzernvolkswirtschaft und Marktanalysen, Postfach 35, 1011 Wien. E-Mail: [email protected]. Berichte und Studien 2/2002 227 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts 2 Die Bankenreform in Osteuropa in den Neunzigerjahren: Trotz aller Schwierigkeiten ein Erfolg Trotz der Schwierigkeiten und Ru‹ckschla‹ge, denen die Bankenreform in den Beitrittskandidatenla‹ndern seit 1990 ausgesetzt war, waren — und das sei hier eingangs sehr bewusst erwa‹hnt — die Bankenreform und die Bewa‹ltigung der Bankenkrise in diesen La‹ndern u‹ber weite Strecken ein Erfolg. Blenden wir kurz zuru‹ck zu den Verha‹ltnissen in den Planwirtschaften Osteuropas, in denen der Bankensektor nicht mit einem Bankensystem in Westeuropa vergleichbar, sondern eher einem nationalen Buchhaltungssystem a‹hnlich war: Auf der einen Seite wurden Ersparnisse gesammelt, auf der anderen Seite Finanzierungen den Unternehmen zugeteilt, ohne dass diese Zuteilung an irgendwelchen Performance-Kriterien der Unternehmen gemessen worden wa‹re. Schon auf Grund der Tatsache, dass eine Trennung zwischen Notenbank- und Gescha‹ftsbankenfunktionen nur in Ansa‹tzen vorhanden war, ist das Monobankensystem der osteuropa‹ischen Zentralwirtschaften in keiner Weise mit einem westlichen Bankensystem vergleichbar. Die vordringliche Aufgabe in den fru‹hen Reformjahren war daher, dieses Monobankensystem in ein zweistufiges Bankensystem — mit einer Notenbank auf einer Seite und Kommerzbanken auf der anderen Seite — aufzugliedern. Nach dieser Aufgliederung standen der Notenbank im Staatsbesitz befindliche Kommerzbanken gegenu‹ber, die jedoch mit zahlreichen Problemen behaftet waren. Neben dem generellen massiven o‹konomischen Niedergang in diesen La‹ndern — der auch in anderen Staaten ein Bankwesen schwer bescha‹digt ha‹tte — sahen sich diese staatlichen Banken einer Reihe besonders erschwerender Umsta‹nde gegenu‹ber. So hatten all diese Banken aus der kommunistischen A‹ra das Erbe uneinbringlicher Forderungen mitbekommen. Weder waren die Managementkapazita‹ten fu‹r ein Bankwesen westlichen Musters vorhanden, noch gab es geeignete Risiko- und Rechnungswesenvorschriften bzw. ein Konkursrecht, die einen geordneten Bankbetrieb ermo‹glicht ha‹tten. Es wundert daher nicht, dass alle Kandidatenla‹nder in den ersten Jahren der Transformation von einer oder sogar mehreren Bankenkrisen geschu‹ttelt wurden. Letztlich waren bei der U‹berwindung der Bankenkrise und bei der Restrukturierung des Bankensektors in diesen La‹ndern vier Problemkreise zu bewa‹ltigen: — Die Lo‹sung des aus der kommunistischen A‹ra geerbten Problems der uneinbringlichen Forderungen, — die Rekapitalisierung des Bankensektors, — die Einfu‹hrung von Bewertungs- und Rechnungslegungsstandards sowie ada‹quater Beaufsichtigungssysteme, und schlie§lich — die Privatisierung des Bankensektors. Die Ex-post-Analyse ergibt, dass es im Grunde von der Abfolge der Lo‹sung dieser Probleme abha‹ngig war, wie erfolgreich die Restrukturierung des Bankensystems in den einzelnen La‹ndern war und zu welchen gesamtwirtschaftlichen Kosten diese erfolgte. So hat Polen, das seinen Bankensektor wohl am schnellsten und am ªkostengu‹nstigsten reorganisierte, z. B. zuna‹chst neue Bewertungs- und Rechnungslegungsstandards eingefu‹hrt, sodann die verstaatlichten Banken in Kapitalgesellschaften u‹bergefu‹hrt und schlie§lich rekapi- 228 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts talisiert. Die Abschreibung der notleidenden Kredite musste in Polen von den Banken selbst oder gemeinsam mit strategischen Partnern bewa‹ltigt werden. Schlie§lich wurden die Banken in Polen privatisiert. Die Gesamtkosten der Bankensanierung in Polen sind bei weitem die niedrigsten in Osteuropa und werden auf rund 6% des BIP gescha‹tzt. Ein anderes Beispiel sind die Tschechische Republik und die Slowakische Republik, wo mit der (Voucher-) Privatisierung der Banken und der Auslagerung der notleidenden Kredite begonnen wurde und so genannte Soft-Budget-Constraints und nach wie vor bestehende Querverbindungen in den Eigentumsverha‹ltnissen zwischen Banken und Industrieunternehmen dazu fu‹hrten, dass das Problem der notleidenden Kredite nicht gelo‹st, sondern perpetuiert und damit verscha‹rft wurde, was die Bankensanierung in diesen La‹ndern besonders teuer machte. Man scha‹tzt mittlerweile die Kosten fu‹r die Slowakische Republik und die Tschechische Republik auf 25 bis 30% des BIP. So teuer und schmerzhaft die Bankensanierung fu‹r die La‹nder Osteuropas auch war, man muss im Vergleich mit dem internationalen Umfeld (Tabelle 2) doch einra‹umen, dass die Kosten in Osteuropa bei weitem geringer waren als in anderen Emerging Markets — ein Faktum, das vielfach vergessen wird. Das Problem der notleidenden Kredite (Tabelle 1) ist in den zentraleuropa‹ischen La‹ndern insoweit gelo‹st, als diese aus den Bankbilanzen der kommerziellen Banken mittlerweile ga‹nzlich oder gro§teils herausgelo‹st wurden. Allerdings sind die entsprechenden Zahlen, verglichen mit Daten westeuropa‹ischer Bankensysteme, nach wie vor sehr hoch. Tabelle 1 Notleidende Kredite in Prozent der Gesamtkredite 1998 1999 2000 in % . 26.4 10.4 10.9 31.7 10 4 Tschechische Republik Ungarn Polen Slowakische Republik Slowenien . 32.1 8.8 13.7 23.7 11 5 . 29.5 7.9 13.2 15.2 12 6 Quelle: Wagner und Jakova (2001). Tabelle 2 Kosten der Bankenrestrukturierung in Prozent des BIP von bis in % Tschechische Republik Ungarn Polen 1991 1991 1990 Argentinien Indonesien Spanien 1980 1997 1977 2000 2000 2000 331) 13 6 1982 55 laufend 33 1985 15 bis 17 Quelle: Szapa«ry (2001). 1 ) Scha‹tzung, da im Jahr 2000 die Bankensanierung noch nicht abgeschlossen war. Ru‹ckblickend ist die Bankenrestrukturierung und -sanierung in jenen La‹ndern, die voraussichtlich 2004/05 der EU beitreten werden, im Prinzip gelungen, wenn es auch, und dies insbesondere hinsichtlich des bevorstehenden Berichte und Studien 2/2002 229 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts EU-Beitritts, eine Reihe von ªHausaufgaben gibt, die von den Beitrittswerbern in der na‹chsten Zeit zu machen sein werden. 3 Charakteristika des Bankenmarktes in Osteuropa am Vorabend des EU-Beitritts Nach zehn Jahren Transformation ist die Frage berechtigt, wie sich der Bankenmarkt in den Kandidatenla‹ndern am Vorabend des EU-Beitritts darstellt und ob dieser Sektor seine grundlegenden Funktionen der Transformation von Finanzmitteln effizient wahrnimmt. Der osteuropa‹ische Markt la‹sst sich wie folgt beschreiben: — klein in absoluten Werten, — niedriger Intermediationsgrad, — hoher Anteil an Banken in ausla‹ndischem Eigentum, — trotz niedriger Produktivita‹t ertragreich mit guten Wachstumsaussichten, aber sich verscha‹rfender Konkurrenz. 3.1 Gro‹§e des Bankensystems in Osteuropa Um die Bedeutung des Bankwesens in Osteuropa fu‹r den Binnenmarkt zu verstehen, muss man sich zuna‹chst die absoluten Gro‹§enordnungen verdeutlichen. Das Bankwesen ist in absoluten Zahlen, gemessen an westlichen Standards, sehr klein. Wie spa‹ter gezeigt wird, ist dies nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in relativen Zahlen, wie z. B. in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, der Fall. Die aggregierte Bilanzsumme der Banken der Grafik 1 Bankenmarkt in den Kandidatenländern Vergleich der Bilanzsummen 2000 in Mrd EUR 250 200 150 100 50 Estland Raiffeisenverband Salzburg (755) Litauen Sparkasse Ulm (751) Lettland Sparkasse Neuss (673) Bulgarien Sparkasse Münster (658) Rumänien Raiffeisen LB NÖ-Wien (448) Slowenien Österr. Volksbanken (329) Slowakische Republik Stadtsparkasse Köln (278) Ungarn Hamburger Sparkasse (186) Tschechische Republik Artesia Banking Corporation (98) Polen Svenska Handelsbanken (76) MOEL-10 Crédit Mutuel (36) 0 Länder Banken Quelle: Bank Austria AG. Anmerkung: Die Ziffern in Klammer bezeichnen den Rang weltweit. 230 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Beitrittskandidaten belief sich im Jahr 2001 auf 324 Mrd EUR (2000: 287 Mrd EUR). Gemessen an der aggregierten Bilanzsumme des Eurosystems im Jahr 2001 in Ho‹he von 18.200 Mrd EUR (2000: 17.200 Mrd EUR) sind das lediglich 1.7%. Anschaulich werden diese Gro‹§en in einem anderen Vergleich: Die aggregierte Bilanzsumme der Kandidatenla‹nder im Jahr 2000 entsprach ungefa‹hr der Bilanzsumme der Cre«dit Mutuel. Nun kann man nicht behaupten, dass dies eine besonders gro§e Bank wa‹re. Betrachtet man die Bankenbilanzsummen der einzelnen La‹nder, so wird dieser Vergleich noch plastischer. Polen erreicht damit gerade die Bilanzsumme der Svenska Handelsbanken, Ungarn jene der Hamburger Sparkasse und das Schlusslicht bildet Estland, dessen aggregierte Bilanzsumme knapp der Bilanzsumme des Raiffeisenverbands Salzburg entspricht. Selbst wenn wir relativ optimistische, durchaus berechtigte Annahmen hinsichtlich des Wachstums des Bankenmarktes treffen, wird die aggregierte Bankenbilanzsumme dieser Region im Jahr 2005 nur ungefa‹hr der Bilanzsumme der Royal Bank of Scotland im Jahr 2000 entsprechen. Angesichts dieser Zahlen wird klar, dass Osteuropas Bankwesen wohl kaum auf die Konkurrenzfa‹higkeit westeuropa‹ischer Banken Einfluss nehmen wird. Eine andere Frage ist allerdings, wie die westeuropa‹ischen Banken auf dem osteuropa‹ischen Markt im Rahmen eines Binnenmarktes agieren wu‹rden und welche Konsequenzen dies auf das osteuropa‹ische Bankwesen, seine Ertragskraft, seine Effizienz und seine Konzentration ha‹tte. A‹hnliches gilt auch fu‹r andere Bilanzkennzahlen wie Kredite und Einlagen. So ergab die aggregierte Kreditsumme der Beitrittsla‹nder im Jahr 2001 einen Betrag von 134 Mrd EUR (2000: 122 Mrd EUR). Zum Vergleich, die Verbindlichkeiten der Deutsche Telekom AG betrugen Ende 2000 60 Mrd EUR. 3.2 MOEL-Finanzmarkt: ªOverbanked in Underbanked Markets Nicht nur in absoluten Gro‹§en ist der Bankenmarkt in Osteuropa sehr klein, auch hinsichtlich seiner Finanzintermediation, das hei§t der Fa‹higkeit ªto supply, allocate and monitor financial funds for investment, um nochmals Tobin zu zitieren, ist er nach wie vor unterentwickelt. Dass die Finanzintermediation, die in der Regel mit Indikatoren wie Bilanzsumme, Kredite oder Einlagen in Prozent des BIP gemessen wird, so gering ist, ist auf eine Reihe von Gru‹nden zuru‹ckzufu‹hren, die sicherlich auch in den besonderen Umsta‹nden der ersten Jahre der Transformationswirtschaften gelegen sind. Wirtschaftskrise und hohe Inflation haben die Bankbilanzen erodiert, mangelnde Kapitalausstattung und faule Kredite haben zu Bankenkrisen gefu‹hrt und die Kreditfa‹higkeit der Banken extrem eingeschra‹nkt. Die mangelnde Erfahrung mit einem Kommerzbankensystem ebenso wie das fehlende Vertrauen der Bevo‹lkerung in die Banken, die geringe Kreditwu‹rdigkeit der Wirtschaft wie auch die niedrigen Einkommensniveaus bildeten das Umfeld der ersten Ha‹lfte der Neunzigerjahre fu‹r die osteuropa‹ischen Banken. Obwohl sich die Situation in den letzten Jahren verbessert hat und in den meisten Beitrittsla‹ndern die Kennzahlen fu‹r den Intermediationsgrad nun wieder langsam steigen, ist das Niveau weit unter jenem der EU-Staaten. Im Durchschnitt der Kandidatenla‹nder liegt die aggregierte Bilanzsumme bei etwa 75% des BIP (Tabelle 3), wa‹hrend sie sich im Euroraum auf 220% bela‹uft. A‹hnliche Verha‹ltnisse finden wir bei den Krediten und den Einlagen vor. Berichte und Studien 2/2002 231 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Tabelle 3 Kennzahlen des MOEL-Bankensektors in Mrd EUR Aggregierte Bilanzsumme Kredite an Nichtbanken Einlagen von Nichtbanken in % des BIP 324 122 165 75 31 43 Quelle: Notenbanken, Bank Austria AG. Kann das niedrige Niveau der Einlagen von Nichtbanken in Prozent des BIP noch mit dem niedrigen Einkommensniveau und der damit in Zusammenhang stehenden geringen Sparneigung der Bevo‹lkerung erkla‹rt werden, so bieten sich fu‹r die Kennzahl Kredite an Nichtbanken in Prozent des BIP mehrere Erkla‹rungsfaktoren an: — Bad Loans Das nicht gelo‹ste Problem der notleidenden Kredite hat die Kreditexpansion gehemmt bzw. eine Risikoaversion der Banken verursacht. — Gesetzliche und institutionelle Faktoren Ungenu‹gende Besicherungs-/Hypothekarvorschriften, mangelnde Durchsetzung von Rechtsvorschriften bzw. lange Dauer der Durchsetzung von Rechtstiteln sind weitere mo‹gliche Erkla‹rungsfaktoren. — Strukturelle Gru‹nde der Nachfrageseite: FDIs und Direktfinanzierung multinationaler Unternehmen Ein gro§er Teil der Investitionen in diesen Staaten wurde in der Vergangenheit durch ausla‹ndische Direktinvestitionen finanziert, die an dem jeweiligen nationalen Bankensektor vorbeigingen. Dazu kommt, dass diese La‹nder einen hohen Anteil an internationalen (ausla‹ndischen) Unternehmen aufweisen, die sich zu einem Gutteil durch so genannte Intercompany Loans oder auch direkt durch Bankkredite aus dem Ausland finanzieren. Ferner haben hohe Realzinsen nicht nur die Kreditnachfrage negativ beeinflusst, sondern auch die Unternehmen, so weit es ihnen mo‹glich war, veranlasst, sich in Fremdwa‹hrung direkt bei ausla‹ndischen Banken zu finanzieren. So ist die direkte Verschuldung der Unternehmen im Ausland in Polen, Ungarn und Slowenien fast gleich hoch wie deren Verschuldung bei den inla‹ndischen Banken. Nur in der Tschechischen Republik ist der Unternehmenssektor mit etwas mehr als 60% deutlich sta‹rker bei inla‹ndischen als bei ausla‹ndischen Banken verschuldet. Tabelle 4 Verschuldung der Unternehmen im Jahr 2001 Polen Ungarn in Mrd EUR in % Bei inla‹ndischen Banken Im Ausland . 48.1 38 2 in Mrd EUR in % . 55.7 44 3 . 15.8 13 9 . 53.2 46 8 Tschechische Republik Slowenien1) in Mrd EUR in % in Mrd EUR in % . 16.5 10 9 . 60.2 39 8 . 4.8 43 . 52.7 47 3 Quelle: Notenbanken, Bank Austria AG. 1 ) Daten fu‹r das Jahr 2000. 232 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts — Kreditwu‹rdigkeit Der vierte Faktor, der fu‹r den niedrigen Intermediationsgrad bei Krediten eine Rolle spielt, ist die mangelnde Kreditwu‹rdigkeit (Fa‹higkeit von Kleinund Mittelbetrieben einerseits und Konsumenten andererseits). Kredite an private Haushalte sind, vielleicht mit Ausnahme von Slowenien, in Osteuropa kaum vergeben. Selbst in den ªreichen La‹ndern Zentral. europas liegen sie lediglich zwischen 6 und 7 5% des BIP. Im Vergleich dazu ‹ sterreich auf rund 30% des BIP. belaufen sich die Konsumentenkredite in O Gru‹nde dafu‹r du‹rften sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite liegen. Einerseits sind die Haushalte auf Grund der niedrigen Einkommensniveaus nur beschra‹nkt kreditfa‹hig, andererseits machen die extrem hohen Realzinsen fu‹r Privatkredite eine Kreditnachfrage so gut wie unmo‹glich. Tabelle 5 Kredite an private Haushalte in Prozent des BIP 2000 2001 in % Polen Ungarn Tschechische Republik Slowenien ‹ sterreich O . 7.0 46 .x 12.2 29 0 . 7.5 6.0 6.5 11.8 30 0 Quelle: Notenbanken, Bank Austria AG. Dieser sowohl auf der Aktiv- als auch auf der Passivseite der Bankbilanzen niedrige Intermediationsgrad findet sich analog in den Produktnutzungsstatistiken wieder. — Produktnutzung Umfragen haben gezeigt, dass in Zentraleuropa (Slowakische Republik, Tschechische Republik und Polen) nur etwa 70% der Bevo‹lkerung u‹ber 15 Jahren u‹ber ein Bankkonto verfu‹gen. In Polen, dem weitaus gro‹§ten Land dieser Region, liegt dieser Prozentsatz noch deutlich unter 60%, in su‹dosteuropa‹ischen La‹ndern wie Bulgarien und Ruma‹nien haben in dieser Bevo‹lkerungsgruppe lediglich 19% (Bulgarien) und 34% (Ruma‹nien) eine ‹ sterreich de Kontoverbindung mit einer Bank. Im Vergleich dazu haben in O facto 100% der Bevo‹lkerung u‹ber 15 Jahren eine Bankverbindung. Ganz ‹ahnliche Werte finden wir auch bei anderen Produkten. Haben in der Slowakischen Republik und Slowenien 50% der Bevo‹lkerung ein Sparbuch, in Polen und Ungarn aber lediglich 10%, ist der Anteil jener, die Wertpapiere besitzen, noch geringer. Abgesehen von Slowenien, wo immerhin 9% der erwachsenen Bevo‹lkerung u‹ber Wertpapiere verfu‹gen, liegt in allen anderen Staaten der Prozentsatz zwischen 1 und 3%. Bankkredite haben in Polen 14% der Bevo‹lkerung, in der Slowakischen Republik hingegen nur 4% und in Ungarn 9%. Zusammenfassend la‹sst sich sagen, dass der Intermediationsgrad des Bankwesens in all diesen La‹ndern extrem gering ist, was einerseits am wirtschaftlichen Umfeld (Einkommensniveau und Kreditwu‹rdigkeit) liegt, andererseits auf nach wie vor bestehende Ineffizienzen, wie z. B. mangelnde Rechtsdurchsetzung, mangelnde hypothekarische Besicherungsmo‹glichkeiten und schlie§lich auf hohe Realzinsen zuru‹ckzufu‹hren ist. So ist es nicht verwunder- Berichte und Studien 2/2002 233 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts lich, dass der osteuropa‹ische Bankenmarkt als der Wachstumsmarkt schlechthin angesehen wird, und auch im Hinblick auf den ku‹nftigen EU-Beitritt von den westeuropa‹ischen Banken in den letzten Jahren zunehmend vereinnahmt wurde. 3.3 Auslandsbanken dominieren den Markt Die Globalisierung und Liberalisierung der Finanzma‹rkte hat weltweit zur Erho‹hung des Anteils ausla‹ndischer Banken in den Emerging Markets beigetragen. In den Neunzigerjahren hat sich zudem das Pha‹nomen herausgebildet, dass die Emerging Markets immer mehr von so genannten Regional Evolvers dominiert werden, das hei§t von Banken, die ihre Aktivita‹ten auf eine bestimmte Region fokussieren. Dieser Umstand trifft z. B. auf spanische Banken in Su‹damerika, aber auch auf deutsche, o‹sterreichische, belgisch-niederla‹ndische Banken in Osteuropa und auf japanische und australische Banken in Asien zu. Dass sich dieser Prozess in den Kandidatenla‹ndern innerhalb weniger Jahre vollzogen hat, ist auch darauf zuru‹ckzufu‹hren, dass die Bankenkrisen der fru‹hen Transformationsjahre zur Folge hatten, dass die Rekapitalisierung des Finanzsystems ohne strategische Investoren kaum mo‹glich gewesen wa‹re. Das Ergebnis dieses Prozesses ist, dass heute das Bankwesen in Mittel- und Osteuropa von westeuropa‹ischen Banken dominiert wird. In fast allen La‹ndern dieser Region haben die ausla‹ndischen Banken mittlerweile einen Marktanteil von u‹ber 60%, fast 100% in Estland. Einzige Ausnahme bildet Slowenien, wo der Anteil ausla‹ndischer Banken mit rund 16% nach wie vor sehr gering ist. Tabelle 6 Marktanteil der Auslandsbanken 1 ) in den MOEL 1996 1997 1998 1999 2000 in % . 26 .x 16.0 13.6 11.0 58 0 .x 53 Estland Lettland Polen Slowakische Republik Tschechische Republik Ungarn Litauen Slowenien2) . 23 .x 18.6 26.0 18.2 55 4 .x 17 4 . 90 2 .x 27.9 25.9 21.3 59 4 .x 16 9 . 89 8 .x 65.5 31.1 49.0 53 9 .x 16 3 . 97.4 69.8 65.7 65.4 63.0 61.9 59.9 15 7 Quelle: Bank Austria AG. 1 ) Banken, die sich zu mindestens 50% in ausla‹ndischem Eigentum befinden. 2 ) Ab 1997 inklusive SKB Banka d.d. Haben am Anfang der Transformationszeit ausla‹ndische Banken vielfach eigene To‹chter in diesen La‹ndern gegru‹ndet, so kam es im Zuge der Privatisierung immer mehr zur U‹bernahme der gro§en Retailbanken in diesen La‹ndern durch ausla‹ndische Investoren. Das Ergebnis ist, dass heute von den 25 gro‹§ten Banken der Beitrittskandidaten bereits 20 mehrheitlich in ausla‹ndischem Besitz sind, wobei es sich hier fast ausschlie§lich um westeuropa‹ische Banken handelt. Die einzige Ausnahme ist die amerikanische CitiBank, die nach anfa‹nglichen Greenfield Investments nun auch eine gro§e Retailbank in Polen gekauft hat. Der Marktanteil dieser Top 25-Banken in der Region betra‹gt 60%, wobei die 20 Institute im ausla‹ndischen Eigentum einen Gesamtmarktanteil von rund 46% aufweisen. Man kann also zu Recht behaupten, dass am Vorabend des EU-Beitritts der Bankenmarkt in Osteuropa von westeuropa‹ischen Banken dominiert wird. 234 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Tabelle 7 Ranking 2000 der Top 25-Banken in den MOEL-5 Bank 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 PKO Bank Polski SA PekaO Cesk. Obchodni banka Komercni banka Ceska Sporitelna OTP Bank Ltd. Powszechny Bank Kredytowy SA Bank Handlowy Bank Slaski Bank Gospodarki Zywnoseciowej SA Bank Przemyslowo-Handlowy SA Kredyt Bank Slovenska Sporitelna BRE Bank Nova Ljubljanska banka BIG Bank Gdanski Vseobecna uverova banka Wielkopolski Bank Kreditowy SA Commerzbank Hungarian Foreign Trade Bank Ltd. Citibank Polska Central-European International Bank Ltd. Bank Zachodni Kereskedelmi es Hitelbank Rt. HypoVereinsbank Top 25, insgesamt Land Polen Polen Tschechische Republik Tschechische Republik Tschechische Republik Ungarn Polen Polen Polen Polen Polen Polen Slowakische Republik Polen Slowenien Polen Slowakische Republik Polen Tschechische Republik Ungarn Polen Ungarn Polen Ungarn Tschechische Republik Bilanzsumme Auslandsanteil1) in Mio EUR in % 18.064 17.803 15.555 13.601 12.882 7.245 5.941 5.456 4.955 4.749 4.722 4.544 4.317 4.228 4.237 4.216 3.762 3.525 3.237 2.966 2.906 2.576 2.493 2.339 2.242 158.563 .x 59.8 89. 8 71 .62) 62 7 .x 65.0 91.4 86 9 .x 86.1 87.5 87.2 50 0 .x 57 1 .x 60.1 100.0 95.7 100.0 100.0 81.6 98.5 100 0 Quelle: The Banker, Bank Austria AG. 1 ) Auslandsanteil unter 50%. 2 ) Socie«te« Ge«ne«rale hat im Ja‹nner 2002 einen 60-Prozent-Anteil u‹bernommen. Tabelle 8 Marktanteil der Top 25-Banken in den MOEL-5 im Jahr 2000 Bilanzsumme Marktanteil Anteil an den in den MOEL-5 Top 25 in Mio EUR in % MOEL-5 261.775 x x TOP 25 in den MOEL-5, insgesamt davon Top 20-Auslandsbanken1)2) Top 5-Inlandsbanken3) 158.563 120.505 38.057 . 60.6 46.0 14 5 . 100.0 76.0 24 0 Quelle: The Banker, Bank Austria AG. 1 ) Inklusive Komercni banka und Vsobecna uverova banka. 2 ) Mehrheitlich im Auslandsbesitz. 3 ) Mehrheitlich inla‹ndische Eigentu‹mer. 3.4 Profitabilita‹t und Effizienz: Hohe Ertra‹ge, niedrige Produktivita‹t Die Profitabilita‹t des Bankensektors ergibt fu‹r die Kandidatenla‹nder ein recht unterschiedliches Bild, was unter anderem auch mit dem unterschiedlichen Zeitpunkt der Bankensanierung zusammenha‹ngt. Dennoch ist das Bankensystem verglichen mit anderen Emerging Markets profitabel:1) 1 Siehe BIZ (2001). Berichte und Studien 2/2002 235 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Tabelle 9 Bankenprofitabilita‹ t in Osteuropa im Jahr 2000 Return on Equity Zinsertrag Wertberichtigung in % des Eigenkapitals in % der durchschnittlichen Bilanzsumme Provisionsergebnis Handelsergebnis Verwaltungsaufwand Cost/ Income Ratio Sonstiges bzw. au§erordentliches Ergebnis1) Steuern Net Income Eigenkapital in % der durchschnittlichen Bilanzsumme Polen Ungarn Slowakische Republik Tschechische Republik Slowenien . 13.3 11.6 6.6 6.8 67 . 4.27 4.09 3.74 2.02 4 19 . 1.09 0.58 0.66 1.43 1 27 . 1.42 1 00 . 1.12 1 04 . 0.39 0 45 . 4.36 3.85 2.54 2.01 2 93 . 63.0 66.1 107.7 99.4 55 3 . 0.21 0.44 1.21 2.00 0 63 . 0.46 0.23 0.10 0.08 0 43 . 1.11 1.04 0.56 0.57 0 68 . 8.2 9.4 7.0 9.5 99 . 0.66 1 29 Durchschnitt2) Top 253) . 14 4 . 45 . 08 . 17 . 09 . 38 64 . 01 . 04 . 18 . 12 5 18 westeuropa‹ische Banken4) . 18 6 . 16 . 02 . 12 . 04 . 22 . 69 5 . 04 . 03 . 07 . 39 Quelle: Geschftsberichte, Bank Austria AG. 1 ) Finanzanlagen, Abschreibung von Firmenwerten, sonstiges bzw. au§erordentliches Ergebnis. 2 ) Ungewichtet. 3 ) MOEL-Banken: siehe Tabelle 7. 4 ) Westeuropa‹ische Banken: KBC, Lloyds TSB, Citigroup, Socie«te« Ge«ne«rale, Union Bank of Switzerland, ABN-Amro, BNP-Paribas, Deutsche Bank, Nordea, Credit Suisse, UniCredito, Hongkong Shanghai Banking Corp., Banco Bilbao Viscaya Argentaria, Dresdner Bank, Bank Austria, Intesa, Commerzbank, HypoVereinsbank. — Hohe Ertra‹ge (in Relation zur Bilanzsumme), aber auch hohe Verwaltungsaufwa‹nde und fu‹r Emerging Markets zwar relativ geringe, im Vergleich zur EU jedoch hohe Wertberichtigungen kennzeichneten die Bankbilanzen der Neunzigerjahre. — Eine Auswertung fu‹r das Jahr 2000 besta‹tigt dieses Bild (Tabelle 9). Hohen Ertra‹gen stehen hohe Verwaltungsaufwendungen und Vorsorgen gegenu‹ber. Dennoch liegt der Jahresu‹berschuss nach Steuern in den Kandidatenla‹ndern signifikant u‹ber dem EU-Niveau. — Eine Auswertung der Bilanzen der 25 gro‹§ten Banken in Osteuropa, verglichen mit 18 gro§en westeuropa‹ischen Banken, ergibt ein a‹hnliches Bild. Ertra‹ge, Aufwendungen, Net Income sind signifikant ho‹her als bei den westlichen Vergleichsbanken. Der niedrigere Return on Equity (RoE) bei den osteuropa‹ischen Banken ist hauptsa‹chlich auf den Umstand zuru‹ckzufu‹hren, dass die Eigenkapitalausstattung (bilanzielles Eigenkapital) ein Vielfaches jener der westlichen Banken ist, das hei§t, dass die osteuropa‹ischen Banken weniger ªleveraged sind. — Eine weitere Kennzahl, die stets als Indikator fu‹r die Effizienz des Bankensystems herangezogen wird, sind Zinsspreads. Die Spreads sind in den Kandidatenla‹ndern seit 1995 zuru‹ckgegangen, was einerseits auf eine Verringerung des Risikos (und der Inflation) zuru‹ckzufu‹hren ist, andererseits aber auch auf eine Intensivierung des Wettbewerbs hindeutet. Am niedrigsten sind die Spreads in Ungarn, jenem Land, das schon 1996/97 sein Bankensystem privatisiert hatte und wo die Mehrheit der Banken ausla‹ndische Eigentu‹mer hat. — Die Produktivita‹t des Bankensektors (gemessen an der Bilanzsumme pro Mitarbeiter) ist in den MOEL-5 generell gering, am niedrigsten davon in 236 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts . Polen mit 0 65 Mio EUR (Tabelle 10). Im Durchschnitt der MOEL-5 betra‹gt sie 0.93 Mio EUR, wa‹hrend sie im EU-Raum1) durchschnittlich 8 Mio EUR betra‹gt. — Durch die hohe Auslandspra‹senz ist in Osteuropa zwar schon heute in Teilbereichen ein starker Wettbewerb und entsprechender Druck auf die Margen zu verspu‹ren, was sicherlich fu‹r den Firmenkunden-/Gro§kundenbereich zutrifft. Im Retailbereich ist der Wettbewerb bisher noch wenig ausgepra‹gt, was auch die enormen Differenzen in den Zinssa‹tzen zwischen Unternehmens- und Haushaltsfinanzierungen belegen. Die hohen Produktivita‹tsreserven im osteuropa‹ischen Bankensystem lassen jedoch auch in Zukunft u‹berdurchschnittliche Net-Income-Relationen erwarten. Am Vorabend des EU-Beitritts pra‹sentiert sich das Bankensystem der Kandidatenla‹nder wie folgt: — Es ist in allen La‹ndern nach den Bankenkrisen in den Neunzigerjahren die Reform des Bankwesens im Wesentlichen erfolgreich abgeschlossen. — Der Gesamtmarkt ist, verglichen mit westeuropa‹ischen Verha‹ltnissen, nicht nur in absoluten Werten (324 Mrd EUR) klein, auch die Durchdringung mit Bankdienstleistungen ist nach wie vor gering (Bilanzsumme: 75% des BIP). Mittlerweile wird er von ausla‹ndischen Banken (deren Marktanteil bei weit u‹ber 60% liegt) dominiert, die sich in den letzten Jahren in diesen Markt eingekauft haben. — Trotz niedriger Produktivita‹tsniveaus ist die Profitabilita‹t gro‹§er als in der EU bzw. in den G-3 (USA, Japan, Deutschland).2) Grafik 2 Zinsspreads in den Kandidatenländern in % 8'0 7'0 6'0 5'0 4'0 3'0 2'0 1995 1996 Polen Ungarn Tschechische Republik 1997 1998 1999 2000 2001 Slowakische Republik Slowenien Quelle: IWF, International Financial Statistics. 1 2 Durchschnitt der Bilanzsumme pro Mitarbeiter fu‹r die La‹nder Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, O‹sterreich, Belgien und die Niederlande. OECD Bank Profitability (2000), eigene Scha‹tzung fu‹r 2000. Siehe BIZ (2001). Berichte und Studien 2/2002 237 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Tabelle 10 1 Kennzahlen der Banken in den MOEL-5 ) im Jahr 2000 Bilanzsumme und Mitarbeiteranzahl Bilanzsumme Mitarbeiter Kommmerzbanken Durchschnitt- Mitarbeiter liche Bilanzsumme Bilanzsumme pro Mitarbeiter in Mrd EUR in 1.000 Anzahl in Mio EUR in Mio EUR . 111.8 31.9 76.9 19.3 14.8 254 8 Polen Ungarn Tschechische Republik Slowakische Republik Slowenien MOEL-5, insgesamt . 171.2 26.7 42.4 22.3 10.5 273 2 73 42 40 23 25 203 1.532 760 1.923 838 594 1.255 durchschnittliche Anzahl 2.346 637 1.060 971 420 1.346 . 0.653 1.194 1.814 0.863 1.413 0 933 Quelle: Notenbanken, Bank Austria AG. 1 ‹ ) Uberwiegend Aktienbanken. 4 Osteuropas Banken als Teil des Bankenbinnenmarktes der EU 4.1 Auswirkungen auf den EU-Bankenbinnenmarkt Fu‹r den Bankenmarkt der EU-15 du‹rften die Auswirkungen der Integration des Bankwesens in Osteuropa auf Grund der geringen Monetarisierung eher bescheiden sein. Wie bereits erwa‹hnt, entspricht die aggregierte Bilanzsumme der MOEL-Beitrittsla‹nder jener der Cre«dit Mutuel. Dementsprechend gering . . wird der Anteil an der Bilanzsumme (1 2%), an den Krediten (1 2%) und an . den Einlagen (2 1%) des erweiterten EU-Bankenbinnenmarktes sein. Angesichts der Gro‹§e des Bankwesens in Osteuropa sind daher fu‹r den Bankenmarkt der EU-15 in Summe vom erweiterten Binnenmarkt nur wenig Auswirkungen — in Form struktureller Vera‹nderungen oder systemischer Risiken — zu erwarten. Nur fu‹r einzelne Teilma‹rkte oder einzelne Banken oder Bankengruppen ist in sta‹rkerem Umfang mit Ru‹ckwirkungen zu rechnen. Wenn auch das Finanzsystem in Osteuropa noch einen geringen Intermediationsgrad aufweist und in manchen Bereichen sicher noch Ineffizienzen gegeben sind, kann man doch davon ausgehen, dass diese Systeme an sich Grafik 3 Anteil der MOEL am EU-Bankenbinnenmarkt in Mrd EUR 20.000 1'2% 98'8% 15.000 10.000 1'2% 5.000 98'8% 2'1% 97'9% 0 Bilanzsumme Kredite Einlagen EU-15 MOEL1) Quelle: Notenbanken, Bank Austria AG. 1) Ohne baltische Staaten. 238 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts stabil sind und ihre Intermediationsfunktion im Prinzip wahrnehmen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass auf Grund der absoluten Gro‹§e des Bankwesens in den Kandidatenla‹ndern kein wesentlicher Effekt kurzfristig auf das Bankensystem in der EU ausgehen wird, wenn auch ein zusa‹tzlicher Markt von 104 Millionen Menschen (das sind immerhin 28% der EU-Bevo‹lkerung) mittelfristig ein betra‹chtliches Kundenpotenzial darstellt. Allerdings haben natu‹rlich Osteuropa und der osteuropa‹ische Bankenmarkt fu‹r einzelne Teilma‹rkte innerhalb der EU eine besondere Bedeutung; in regionaler Hinsicht ‹ sterreich. betrifft das sicherlich besonders O 4.2 Auswirkungen auf den Bankenmarkt in den Beitrittsla‹ndern Sind die Auswirkungen der Erweiterung auf den EU-Bankenmarkt gering, so werden umgekehrt die Auswirkungen des Binnenmarktes auf die neuen Teilnehmer aus Osteuropa ungleich sta‹rker sein. Am ehesten kann man die Wirkung des Beitritts mit der Wirkung der Einfu‹hrung des Bankenbinnenmarktes — und in weiterer Folge der Euroeinfu‹hrung — auf den damaligen EUBankenmarkt vergleichen. Dabei la‹sst sich teilweise nur schwer analysieren, was auf den Binnenmarkt, was auf den Euro, was auf die zunehmende internationale Globalisierung und was auf neue Technologien zuru‹ckzufu‹hren ist. Die damaligen Erwartungen1), denen zufolge der Binnenmarkt Druck auf die Gewinne erzeugt, was schlie§lich durch versta‹rkte Konzentration in Form von ‹ berkapazita‹ten auf nationaler Fusionen und U‹bernahmen zur Reduzierung von U Ebene und zu einer sta‹rkeren Internationalisierung und geografischen Diversifikation auf internationaler Ebene fu‹hrt, haben sich, wenn auch in unterschiedlichem Ausma§, erfu‹llt. Zusa‹tzlich ist natu‹rlich die Besonderheit des Transformationsprozesses zu beru‹cksichtigen: Wa‹hrend er bereits bisher deutlich vera‹nderte Strukturen auf dem Finanzmarkt entstehen lie§ (Internationalisierung), u‹berlagert der Transformationsprozess (wie bereits beschrieben) ganz wesentlich Angebot und ‹ berlegungen zu den Effekten des Nachfrage bei Finanzprodukten. All den U Binnenmarktes auf die Banken in Osteuropa muss die makroo‹konomische Wirkung der voranschreitenden Transformation, die durch den EU-Beitritt deutliche Unterstu‹tzung erfa‹hrt, vorangestellt werden, na‹mlich gro‹§ere Stabilita‹t und steigende Einkommen. — Auswirkungen von gro‹§erer Stabilita‹t und steigenden Einkommen: Die Finanzierung der in den na‹chsten Jahren zu erwartenden hohen Wachstumsraten ist durch einen verbesserten Zugang zur Liquidita‹t gesichert. So kann die zusa‹tzliche Liquidita‹t durch den freien Kapitalverkehr und das sinkende La‹nder- und Wechselkursrisiko (verbessertes Rating durch den EU-Beitritt, Wechselkursanbindung im Rahmen des WKM-II) wie auch das geringere Schuldnerrisiko (Rechtsangleichung, Aufsichtsbestimmungen) billiger als bisher angeboten werden, sodass es keine angebotsseitigen Beschra‹nkungen fu‹r ein u‹berdurchschnittliches Wachstum der Aktivseite (Kredite) der Bilanzen gibt und der Intermediationsgrad des Bankwesens dieser La‹nder, vor allem im Kreditbereich, zunehmen wird. Wachstumsraten, die 7 Prozentpunkte (bei der Bilanzsumme 5 Prozentpunkte) u‹ber 1 EZB (1999). Berichte und Studien 2/2002 239 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts der jeweiligen nominellen BIP-Wachstumsrate liegen, sind fu‹r die Jahre nach dem EU-Beitritt — unter der Annahme, dass es zu keiner gravierenden Anpassungsrezession kommt — durchaus realistisch. — Unterdurchschnittliche Zuwachsraten bei der Staatsschuld (MaastrichtKriterien) und bessere Finanzierungsbedingungen fu‹r diese Staaten auf den internationalen Kapitalma‹rkten werden insbesondere die Verzinsung von Staatsanleihen in nationaler Wa‹hrung sinken lassen, was die Risikostruktur der Aktivseite vera‹ndern (erho‹hen) wird. Aufsichtsrechtliche Vorschriften (Basel II) werden zudem neue Ma§sta‹be in der Risikobeurteilung der Aktiva setzen. Der EU-Beitritt und die zunehmende Wechselkursstabilisierung werden auch bei der Veranlagung mehr Mo‹glichkeiten der Portfoliodiversifikation bringen. Die Stabilisierung der Wa‹hrung wird aber vor allem die Dollarisierung (Bargeld in ausla‹ndischer Wa‹hrung) einda‹mmen. Die Wahrscheinlichkeit einer Kapitalflucht nach dem EU-Beitritt — einer vo‹llig legalen Veranlagung (Kapitalverkehrsfreiheit) im Ausland, die dem nationalen Bankwesen Finanzierungsmittel entzieht — ist aus folgenden Gru‹nden als gering anzusehen: — Vorla‹ufig sind die Zinsen ho‹her als bei einer Veranlagung im Euroraum bzw. in vielen anderen Wa‹hrungen. — Das Vertrauen in das eigene Bankwesen nimmt deutlich zu, da entsprechend den EU-Regelungen Einlagensicherungen einzurichten sind. — Der Anteil ho‹herwertiger Veranlagung (Wertpapiere, Fonds, Lebensversicherungen) wird prima‹r u‹ber den nationalen Markt vertrieben werden. Trotz gro‹§erem Angebot ist nicht zu erwarten, dass Spareinlagen direkt in Aktienportfolios umgeschichtet werden, obwohl relativ rasch eine Veranlagungsdiversifikation zu erwarten ist und der Binnenmarkt einmal zugelassene Produkte (insbesondere im Wertpapier- und Fondssegment) unmittelbar in jedem Mitgliedstaat zu vertreiben erlaubt. Auf Grund der noch geringen Ho‹he des Geldvermo‹gens und der tendenziell zunehmenden Bedeutung des Sparens — die Absicherung gegenu‹ber unerwartet eintretenden Ereignissen wie etwa Arbeitslosigkeit erscheint derzeit wichtiger als der Vermo‹gensaufbau fu‹r den vergleichsweise absehbaren und spa‹ter eintretenden Ruhestand — ist realistischerweise nur mit einer schrittweisen Portfoliodiversifikation zu rechnen. Die Stabilisierung der Wirtschaft, die Zunahme der Wechselkursstabilita‹t und die offenen Geld- und Kapitalma‹rkte werden aber auch die Tendenz der Angleichung des Zinsniveaus auf der Passivseite versta‹rken. Lang anhaltende negative reale Zinssa‹tze sind nach dem EU-Beitritt mittelfristig unrealistisch. Insgesamt stellt sich die Frage, ob von der Stabilisierung der eigenen Wa‹hrung (vor allem nach einem mo‹glichen EU-Beitritt) die Banken nicht mehr profitieren hinsichtlich des Volumens des von ihnen verwalteten Geldvermo‹gens als durch die neuen Mo‹glichkeiten, auch ausla‹ndische Veranlagungskana‹le zu nutzen. Beim privaten Geldvermo‹gen in Osteuropa spielen jene Bereiche, die im Umfeld der Euroeinfu‹hrung in den La‹ndern des Euroraums zu einer enormen internationalen Diversifizierung fu‹hrten — Aktien und Anleihen — noch keine so gro§e Rolle. Zudem steht einer sta‹rkeren Diversifizierung der Portfolios aus Risikostreuungsgru‹nden ein mo‹glicherweise niedrigerer Ertrag bei Veranlagungen im Ausland gegenu‹ber (etwa im Rentenbereich). 240 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts — Steigende Konkurrenz — steigender Druck auf Gewinne — sta‹rkere Konzentration? Neben den gesamtwirtschaftlichen Wirkungen von steigender Stabilita‹t und ho‹heren Einkommen wirkt der EU-Beitritt auf den Bankenmarkt natu‹rlich auch durch die vera‹nderten gesetzlichen Bestimmungen. Der Anpassungsbedarf, der ‹ bernahme des Acquis Communautaire fu‹r das Bankenaufsichtsrecht aus der U und damit fu‹r die Banken resultiert, betrifft vor allem die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, die die Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt in den MOEL vera‹ndern wird, etwa auch durch den leichteren Zugang fu‹r Niche Players. Die Auswirkungen der sta‹rkeren Konkurrenz auf die Gewinne der Banken sind schwer abscha‹tzbar und ha‹ngen von der Fa‹higkeit, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen, ab. In einem ersten, bereits jetzt feststellbaren Prozess senkt der Konkurrenzdruck die heute noch vorherrschenden hohen Margen, was, um die Gewinne konstant zu halten, zu Effizienzsteigerungen fu‹hren muss. Angesichts der derzeit noch hohen Aufwandskennzahlen gibt es dafu‹r sicherlich Potenzial. Allerdings werden jene Banken, die bereits jetzt weniger profitabel sind und denen es nicht gelingt, die Kosten parallel zu den Margen zu senken, aus dem Markt gedra‹ngt werden. Dass dieser Konzentrationsprozess, wenn er abgeschlossen ist, wieder ho‹here Margen erlauben wird, ist zu bezweifeln. Analysen des Bankwesens in der EU zeigen, dass eine durch das Ausscheiden nicht profitabler Banken versta‹rkte Konzentration keine eindeutigen Auswirkungen auf die Margen der Banken hat.1) Die heute in Osteuropa vorherrschenden standardisierten Produkte wie Einlagen und Kredite, vor allem an gro§e Unternehmen, sind sowohl auf u‹berbesetzten als auch auf konzentrierten Ma‹rkten starker Konkurrenz ausgesetzt, was ho‹here Margen auch bei ho‹herer Konzentration verhindert und sich in einem starken Druck in Richtung Effizienzsteigerungen auswirkt. Etwas differenzierter ko‹nnte sich die Entwicklung in jenen Bereichen gestalten, die ein gro‹§eres lokales Know-how beno‹tigen (Finanzierung im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen und bei Haushalten, ta‹gliche Bankgescha‹fte wie im Girokontenbereich). Zwar wird sich mit dem EU-Beitritt der Vorteil des lokalen Know-how mittelfristig reduzieren, trotzdem wird hier ein Vor-ort-Sein ho‹here Gewinne ermo‹glichen. Dies ist einerseits auf das umfangreichere Know-how bei der Einscha‹tzung der lokalen Kunden und andererseits auf die ho‹here lokale Preissetzungskraft zuru‹ckzufu‹hren. Dies gilt bei zuku‹nftig steigender Konzentration fu‹r jene, die ªu‹berleben, sogar noch mehr.2) Druck auf die Margen der Banken wird auch durch den Wegfall noch bestehender (kurzfristiger) Kapitalverkehrsbeschra‹nkungen und eine generell durch den EU-Beitritt ausgelo‹ste Reduktion des La‹nder- wie auch des Kreditnehmerrisikos (z. B. durch Rechtsangleichung) hervorgerufen. Direktfinanzierungen aus dem Ausland sind mit weniger Risiko behaftet, nicht mehr 1 2 Corvoisier und Gropp (2001) Corvoisier und Gropp (2001). Berichte und Studien 2/2002 241 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts nur auf — meist multinationale — Gro§kunden beschra‹nkt und ko‹nnen somit Druck auf die Margen in lokaler Wa‹hrung ausu‹ben. Aus diesen Gru‹nden ist durchaus mit einer Intensivierung des Wettbewerbs mit Druck auf die Margen und Kosten und nachfolgender, leicht steigender Konzentration zu rechnen. Der Druck auf die Margen kann jedoch u‹ber entsprechende Produktivita‹tssteigerungen (siehe Abschnitt 3.4 ªProfitabilita‹t und Effizienz) ausgeglichen werden, was entsprechende Investitionen in die Infrastruktur notwendig machen wird. Striktes Kosten- und Risikomanagement wird mehr als bisher auch fu‹r die (westlichen) Banken in Osteuropa erforderlich sein. Der Druck auf Margen und Gewinne wird somit im Durchschnitt die Konzentration erho‹hen. Bereits heute haben die fu‹nf gro‹§ten Banken in den MOEL in der Regel Marktanteile, die u‹ber 50% liegen, die Top 10 Anteile von zwei Dritteln bis vier Fu‹nftel des Marktes. Damit weisen die osteuropa‹ischen La‹nder eine Konzentration ihres Marktes auf, die weit ho‹her ist als wir sie in der EU vor In-Kraft-Treten des Binnenmarktes vorfanden und die heute auch nur in ganz wenigen Mitgliedstaaten (z. B. in den Niederlanden) anzutreffen ist. Tabelle 11 Konzentration im MOEL-Bankensektor Anteile an den Bilanzsummen Top 5 Top 10 in % Tschechische Republik Polen Ungarn Slowakische Republik Slowenien Litauen Estland 64 51 53 62 63 90 95 74 67 72 80 82 x x Quelle: Bankbilanzen, Notenbanken, Bank Austria AG. Dennoch ist eine weitere Konzentration nicht auszuschlie§en, was nicht nur durch den bereits beschriebenen Druck auf die Gewinne durch die sta‹rkere Konkurrenz begru‹ndbar ist, sondern auch andere Ursachen hat. So haben Fusionen zwischen westeuropa‹ischen Banken auch ihre Auswirkungen auf die Marktanteile in Osteuropa, etwa in Polen, wo aus den jeweiligen Tochterbanken der Bank Austria AG (BA) und der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG (HypoVereinsbank — Powszechny Bank Kredytowy und Bank Przemyslowo Handlowy — die drittgro‹§te Bank des Landes entstand. Ein weiterer Grund, der die Konzentration erho‹hen wird, wird die ªBereinigung des Marktes durch den Ru‹ckzug einiger ausla‹ndischer Banken sein. Die beschriebene zunehmende Konkurrenz bei sinkenden Margen bedeutet eine Produktivita‹tssteigerung mittels Rationalisierungen. Bei der ªKleinheit der Banken in absoluten Werten ist auf mittlere Frist mit einer Bereinigung des Marktes in der Form zu rechnen, dass sich einige der derzeitigen Player vom Ostbankenmarkt wieder zuru‹ckziehen. So rechnen manche Analysten damit, dass ausla‹ndische Banken, die nicht 2 bis 3% Marktanteil erreichen, wieder aus dem Markt aussteigen werden. 242 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Schlie§lich setzt die Tatsache, dass der osteuropa‹ische Markt in absoluten Gro‹§en sehr klein ist und die durchschnittliche Gro‹§e der Kommerzbanken . (Bilanzsumme der MOEL-5: 1 3 Mrd EUR) weit unter dem Niveau westlicher Banken liegt, mo‹glichen oder ku‹nftigen Effizienzsteigerungen, die auf Skalenertra‹gen beruhen, eine enge Grenze. Dies gilt gerade auch im Retailbereich, der von kostenintensiven EDV-Investitionen gekennzeichnet ist, obwohl er jenes Marktsegment ist, das mit steigenden Einkommensniveaus wahrscheinlich das gro‹§te Marktpotenzial hat. Allerdings du‹rfte der Binnenmarkt den Auslandsanteil im Bankwesen der MOEL nur mehr geringfu‹gig erho‹hen. Nimmt man die EU als Richtschnur, so ist zuna‹chst festzustellen, dass der Bankenmarkt in Osteuropa heute mit einem Auslandsanteil von u‹ber 60% bedeutend ªinternationaler ist als es der EU‹ sterreich als kleines EU-Land mit einem hohen Bankenmarkt je war. Selbst O Prozentsatz ausla‹ndischer Banken hat nur einen Anteil von 40%. Der Auslandsanteil wird mo‹glicherweise in dem einen oder anderen Land noch steigen, doch durch den Abschluss der Privatisierung sind keine gro§en Vera‹nderungen mehr zu erwarten. Insgesamt la‹sst sich schwer abscha‹tzen, wie und vor allem in welcher zeitlichen Abfolge die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, die zuerst die Konkurrenz erho‹ht und damit die Margen und Gewinne unter Druck setzt, schlie§lich wieder zu ho‹herer Konzentration fu‹hren wird. Erschwert wird die Abscha‹tzung zusa‹tzlich durch die allgemein im Bankwesen vorherrschenden Tendenzen im Produkt- und Technikbereich. 4.3 Auswirkungen auf die o‹sterreichischen Banken Wenn auch auf Grund der absoluten Gro‹§e des Finanzmarktes in den osteuropa‹ischen La‹ndern die EU-Erweiterung nur geringe direkte Effekte auf die Finanzma‹rkte der EU als Gesamtes haben du‹rfte, so sind dennoch Auswirkungen auf einzelne Banken oder Teilma‹rkte zu erwarten. Das gilt insbesondere fu‹r den o‹sterreichischen Bankensektor, der auf Grund eines weit u‹berproportionalen Marktanteils wie kein anderer im EU-Raum auf dem Bankenmarkt in Osteuropa engagiert ist. — Die Bilanzsumme der o‹sterreichischen Tochterbanken betra‹gt rund 16% der Bilanzsumme der MOEL-81) (Werte fu‹r 2000 basieren auf Bilanzwerten 2000, Eigentu‹merstruktur Mitte 2001), in einzelnen La‹ndern wie der Tschechischen Republik oder der Slowakischen Republik bedeutend mehr. — Die Tochtergesellschaften der o‹sterreichischen Banken haben rund ein Viertel des Marktvolumens der Auslandsbanken in Osteuropa. — Gemessen am Gescha‹ftsvolumen der o‹sterreichischen Mutterha‹user bedeutet dies eine hohe regionale Konzentration. Die Bilanzsumme der Tochterbanken in Osteuropa im Jahr 2000 in Ho‹he von 46 Mrd EUR entspricht 8% der aggregierten Bilanzsumme o‹sterreichischer Banken. — Das Engagement auf Einzelinstitutsebene ist au§erordentlich hoch: Die osteuropa‹ischen Tochterunternehmen der Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG (Erste Bank) erreichen 25%, jene der Raiffeisen Zentralbank 1 MOEL-8: Polen, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Ruma‹nien, Kroatien. Berichte und Studien 2/2002 243 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts ‹ sterreich AG (RZB) 20% und jene der BA u‹ber 11% der KonzernbilanzO summe (Werte fu‹r das Jahr 2000). — Die Tochterbanken in Osteuropa sind fu‹r o‹sterreichische Banken ein wesentlicher Ertragsfaktor (im Jahr 2000 erwirtschafteten die BA und die RZB rund 40% ihres jeweiligen Jahresu‹berschusses in den osteuropa‹ischen Tochterbanken, die Erste Bank sogar 86%). Welche Konsequenzen hat die Osterweiterung angesichts dieser Zahlen fu‹r den o‹sterreichischen Markt bzw. die o‹sterreichischen Banken? Wir haben es hier einerseits mit Effekten zu tun, die von der Makroebene ausgehen und andererseits aus den zuvor geschilderten Vera‹nderungen der Marktverha‹ltnisse in Osteuropa resultieren. — ªRisikoabschlag auf Grund makroo‹konomischer Effekte: — Osteuropa wird mit der Erweiterung von einem Emerging Market zu einem EU-Markt. Die mit der EU-Integration verbundenen Stabilita‹tsauflagen (der Stabilita‹tspakt gilt fu‹r alle EU-Mitglieder) sollten dazu beitragen, das La‹nderrisiko zu senken. — Die (erwartete) Einbindung in den WKM II senkt das Wechselkursrisiko, das mit dem Eintritt dieser La‹nder in die Wirtschafts- und Wa‹hrungsunion u‹berhaupt entfa‹llt. — Die Rechtsangleichung und bessere Rechtsdurchsetzung senkt das Adressenrisiko. — Wenn durch den EU-Beitritt die osteuropa‹ischen Staaten, wie allgemein angenommen, mittelfristig ho‹here Wachstumsraten erzielen, so sinkt auch dadurch das Adressenrisiko der Banken. — Konsequenzen aus der Marktentwicklung: ‹ sterreichische Banken sind u‹berdurchschnittlich auf dem ku‹nftigen — O EU-Wachstumsmarkt vertreten. Wenn unsere Annahme stimmt, dass die Wachstumsraten der Bankbilanzen in den Kandidatenla‹ndern um 5 Prozentpunkte u‹ber der nominellen BIP-Wachstumsrate dieser La‹nder liegen werden, so bedeutet dies ja‹hrliche Wachstumsraten von 12 bis 15%, was sich entsprechend in den Konzernbilanzen niederschlagen wird. — Wird es infolge des EU-Beitritts zu einer gewissen Marktbereinigung in Osteuropa kommen — das hei§t, nur jene ausla‹ndischen Banken verbleiben im Markt, die einen bestimmten Marktanteil (2 bis 3%) erreichen — so ist auf Grund der Marktpra‹senz der o‹sterreichischen Institute anzunehmen, dass diese ihre Marktanteile halten bzw. ausbauen ko‹nnen. — Mittelfristig ist auch in Osteuropa mit sinkenden Margen zu rechnen (siehe dazu Abschnitt 4.2). In Zukunft wird die Ho‹he des Ertragsbeitrags der osteuropa‹ischen Tochterbanken fu‹r o‹sterreichische Banken davon abha‹ngen, ob es gelingt, die Produktivita‹t zu steigern. Da fu‹r keine der Banken die Effekte aus der Reorganisation der in den letzten Jahren gekauften osteuropa‹ischen Tochterbanken bereits voll wirken, ist zumindest fu‹r die na‹chsten Jahre mit weiterhin hohen Ergebnisbeitra‹gen zu rechnen. In Summe wird die Osterweiterung die Risiken fu‹r o‹sterreichische Banken in diesen La‹ndern senken und die Wachstumschancen erho‹hen. Auf Grund ihrer 244 Berichte und Studien 2/2002 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Tabelle 12 ‹ sterreichische Institute (Tochterbanken) in den MOEL 1 ) O im Jahr 2000 2 ) in Mrd EUR Bilanzsumme o‹sterreichischer Banken in MOEL-5 2000 dies entspricht: Anteil am Gesamtmarkt MOEL-5 Anteil an Auslandsbanken MOEL-5 Anteil der o‹sterreichischen Tochterbanken in MOEL-5 an der aggregierten Bilanzsumme o‹sterreichischer Banken in % 46 16 26 8 in Mio EUR Jahresu‹berschuss 2000 o‹sterreichischer Tochterbanken in MOEL-53) dies entspricht: Anteil am Jahresu‹berschuss aller Banken in MOEL-5 Anteil am Jahresu‹berschuss aller Auslandsbanken in MOEL-5 Anteil am gesamten Jahresu‹berschuss o‹sterreichischer Banken in % 519 26 35 22 Quelle: Gescha‹ftsberichte o‹sterreichischer Banken. 1 ) Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Slowenien, Kroatien, Ruma‹nien, Bulgarien. 2 ) Inklusive Ceska sporitelna und Slovenska sporitelna. 3 ) Nur fu‹r Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik, Slowenien. starken Pra‹senz auf diesem Markt sind die Effekte nicht nur fu‹r einzelne Banken gro§, sondern auch fu‹r den o‹sterreichischen Bankensektor insgesamt spu‹rbar. 5 Resu ‹ mee Nach dem Abschluss der Transformation des Monobankensystems, der Sanierung der Banken und schlie§lich der Privatisierung stellt der Binnenmarkt die na‹chste Herausforderung an das Bankwesen in den MOEL. Trotz des bereits heute hohen Konkurrenzdrucks und der Internationalisierung wird der Binnenmarkt zusa‹tzlich Druck auf die derzeit noch hohen Ertra‹ge ausu‹ben. Effizienzsteigerungen, die bei sinkenden Ertra‹gen die Gewinne sichern mu‹ssen, werden die Konzentration erho‹hen und mo‹glicherweise auch noch die Internationalisierung. Gleichzeitig werden jedoch auch ausla‹ndische Banken den Markt wieder verlassen. Insgesamt du‹rften die Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Banken Osteuropas jedoch geringer ausfallen als jene auf das Bankwesen der EU im Jahr ‹ ffnung und 1992. Zudem stehen der Herausforderung durch die zunehmende O der damit einhergehenden Konkurrenz die zu erwartenden Mo‹glichkeiten durch den EU-Beitritt der MOEL-Region gegenu‹ber. Die dadurch zu erwartende Stabilisierung — vor allem im moneta‹ren Bereich — und das steigende Wohlstandsniveau werden mehr und neue Mo‹glichkeiten im Bankgescha‹ft bringen. Diese Chancen werden jedoch nur die effizientesten Banken nu‹tzen ko‹nnen, die Stu‹ckkostendegression mit lokalem Know-how zu verbinden im Stande sind. ‹ sterreich — und einzelne TochterFu‹r einzelne Teilma‹rkte — wie z. B. O banken wird der Beitritt Osteuropas zum EU-Binnenmarkt allerdings erhebliche Auswirkungen haben. Einem enormen Wachstumsmarkt und einem geringen Risiko (Makrostabilisierung) auf der einen Seite stehen sinkende Margen und steigender Konkurrenzdruck auf der anderen Seite gegenu‹ber. Es wird fu‹r die Banken eine betriebswirtschaftlich anspruchsvolle Aufgabe sein, auf diese neuen Herausforderungen entsprechend zu reagieren. Berichte und Studien 2/2002 245 Das Bankensystem in den Beitrittsla‹ ndern am Vorabend des EU-Beitritts Literaturverzeichnis BIZ — Bank fu‹r Internationalen Zahlungsausgleich (2001). The Banking Industry in the Emerging Market Economies: Competition, Consolidation and Systemic Stability. BIZ Paper Nr. 4, August, 6. Corvoisier, S., Gropp, R. (2001). Bank Concentration and Retail Interest Rates. EZB Working Paper Nr. 72, Frankfurt. EZB — Europa‹ische Zentralbank (1999). Possible Effects of EMU on the EU Banking Systems in the Medium to Long Term. Frankfurt. OECD — Organisation fu‹r wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2000). Bank Profitability, Financial Statements of Banks. Szapa«ry, G. (2001). Banking Sector Reform in Hungary: Lessons Learned, Current Trends and Prospects. NBH Working Paper 2001/5, 13. Wagner, N., Jakova, D. (2001). Financial Sector Evolution in the Central European Economies, Challenges in Supporting Macroeconomic Stability and Sustainable Growth. IWF Working Paper 01/141, 7. 246 Berichte und Studien 2/2002