Werkstatt:Dialog 3.2012
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Werkstatt:Dialog 3.2012
Wertschöpfungsquote und Handelsbetriebe Aktuelle steuerliche Entwicklungen für Werkstätten Werkstätten sind Einrichtungen zur Teilhabe behinderter Menschen am und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Soweit sie eine Anerkennung nach § 142 SGB IX besitzen, gelten sie gemeinnützigkeitsrechtlich als steuerbegünstigte Zweckbetriebe im Sinne des § 68 Nr. 3a Abgabenordnung (AO). Als Zweckbetrieb gelten dabei auch die Verkaufsstellen bzw. Werkstattläden, wenn dort von einer Werkstatt hergestellte Produkte veräußert werden. Der Verkauf anderer Waren ist nach Verwaltungsauffassung ein gesonderter steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb. Mit dem neuen Anwendungserlass zur Abgabenordnung vom 17. Januar 2012 (AEAO) hat sich das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hinsichtlich der Frage, wann Produkte einer Werkstatt den Stempel „Herstellung in einer Werkstatt“ tragen dürfen (sogenannte Wertschöpfungsquote) und der steuerlichen Zuordnung sogenannter Werkstatthandelsbetriebe neu beantwortet. Herstellung von Produkten und Wertschöpfungsquote Verkaufsstellen oder Werkstattläden sind grundsätzlich als Zweckbetriebe einzustufen, wenn in ihnen ausschließlich Produkte veräußert werden, die von einer Werkstatt hergestellt worden sind. Beim Verkauf von Produkten durch eine einen Werkstattladen ist also zu unterscheiden, ob die Produkte unter Verwendung von Roh- oder Grundmaterial in der Werkstatt hergestellt wurden (Zweckbetrieb, d. h. sieben Prozent) oder ob es sich um zugekaufte Waren (Handelswaren) handelt. Waren, die nicht in den Produktionsprozess der Werkstatt eingehen und unverändert weiterveräußert werden, gelten als steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb. Von der Herstellung in einer Werkstatt ist auszugehen, wenn die Produkte unter Verwendung von Roh- und Grundmaterial in der Werkstatt angefertigt wurden. Der Einkauf von Waren für die Produktion bleibt bei der Beurteilung der Zweckbetriebseigenschaft einer Verkaufsstelle außer Betracht. Es ist deshalb für die Anerkennung als „Herstellungsprozess“ ohne Bedeutung, zu welchem Anteil die von einer Werkstatt hergestellten Waren aus zugekauftem Material bestehen. Als zugekauft gelten nur Waren, die nicht in den Produktionsprozess der Werkstatt eingehen, also unverändert weiter veräußert werden, aber auch Produkte, die für den Ver- 52 kauf aufbereitet werden. Bei der Aufbereitung von Waren ist jedoch dann von einer „Herstellung durch eine Werkstatt“ auszugehen, wenn die Wertschöpfung (Veredelungsleistung) durch die Werkstatt mehr als 10 Prozent des Nettowerts (Bemessungsgrundlage) der zugekauften Waren beträgt (bisher Tz. 5, Satz 4 zu § 68 Nr. 3 AEAO a. F.). Diese Regelung wurde im Zuge des neuen Anwendungserlasses zur Abgabenordnung aufgehoben. Allerdings befindet sich eine gleich lautende Regelung seit 2009 im Anwendungserlass des Umsatzsteuergesetzes zur Besteuerung von Werkstätten. Der UStAE 12.9 Abs. 12 Satz 2 führt zum Verkauf von selbst hergestellten Waren aus: „Aus Vereinfachungsgründen kann davon ausgegangen werden, dass der Zweckbetrieb Werkstatt mit dem Verkauf dieser (selbst hergestellten) Waren sowie von zum Zwecke der Be- oder Verarbeitung zugekaufter Waren nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen dient, wenn die Wertschöpfung durch die Werkstatt mehr als zehn Prozent des Nettowerts (Bemessungsgrundlage) der zugekauften Waren beträgt.“ Mit der Aufhebung der Regelung im AEAO folgte das BMF erkennbar einer gleich lautenden Eingabe der BAG:WfbM in Zusammenarbeit mit der Curacon GmbH vom Juni 2011. Die Frage, wann Werkstätten bei Verwendung zugekaufter Produkte für ihre Produktions-, Verarbeitungs- oder Verkaufsleistungen diese dem steuerbegünstigten Zweckbetrieb oder einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuordnen müssen, ist zukünftig also unter Berücksichtigung der entsprechenden Verwaltungsregelungen des Umsatzsteuerrechts zu beurteilen. Der Zukauf von Fertigprodukten, die in den Produktionsprozess der Werkstatt eingehen bzw. als Teil eines Gesamtproduktes (mit) veräußert werden, ist danach unverändert als Bestandteil der Werkstattleistung dem Zweckbetrieb zuzuordnen. Er unterliegt weiter der ermäßigten Besteuerung. So können z. B. die von einer Werkstatt für das selbst hergestellte Produkt „Fahrzeug-Anhänger“ zugekauften bzw. verarbeiteten Halbfakrikate bzw. Fertigprodukte einheitlich mit dem ermäßigten Steuersatz angeboten werden. Bei der Be- oder Verarbeitung von zugekauften Fertigprodukten im Zuge einer sogenannten „Aufbereitung“ (z. B. Veredelung oder Kommissionierung) durch Werkstattbeschäftigte ist für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes weiterhin die sogenannte Wertschöpfungsquote nach AE 12.9 Abs. 12 Satz 2 UStG zu prüfen. Auf den Nettoeinkaufswert der für die Aufbereitungsleistung zugekauften RECHT | WERKSTATT:DIALOG 3.2012 Handelsbetriebe von Werkstätten Laut § 136 SGB IX sind Werkstätten mit dem Angebot möglicher Arbeitsplatzformen für Menschen mit Behinderungen nicht begrenzt, sondern können diese in den Bereichen Produktion, Dienstleistungen und Handel gleichermaßen anbieten. Das Angebot von Arbeitsplätzen im Handel für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen wurde von der Finanzverwaltung in der Vergangenheit zunächst für Integrationsprojekte nach § 68 Nr. 3c AO (vgl. CAPMärkte, Vfg. BayLfSt 20.2.2006) als steuerbegünstigter Zweckbetrieb akzeptiert. Da es keinen sachlichen Grund gibt, diese Form von Arbeitsplätzen nicht auch für Werkstätten als steuerbegünstigten Zweckbetrieb zuzulassen, hat das BMF im Zuge der Neufassung des AEAO eine entsprechende Regelung aufgenommen. Die neu eingefügte Tz. 7 zu § 68 Nr. 3 AEAO lautet: „Zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für (schwer-) behinderte Menschen schaffen Handelsbetriebe, die als wohnortnahe Einzelhandelsgeschäfte bspw. mit einem Lebensmittelvollsortiment und entsprechendem Einsatz von Fachpersonal betrieben werden. Mit dieser Beschäftigungsform soll behinderten Menschen eine Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch außerhalb von Werkstätten geboten werden. Handelsbetriebe, die keine Läden oder Verkaufsstellen von Werkstätten darstellen, können als Integrationsprojekt oder als zusätzlicher Arbeitsbereich, zusätzlicher Betriebsteil oder zusätzliche Betriebsstätte einer (anerkannten) Werkstatt gegründet werden. Im letzteren Fall muss die Werkstatt bei den Anerkennungsbehörden (§ 142 SGB IX) die Erweiterung der anerkannten Werkstatt um den zusätzlichen Arbeitsbereich, den Betriebsteil oder die zusätzliche Betriebsstätte ‚Handelsbetriebe‘ anzeigen und um deren Einbeziehung in die Anerkennung nach § 142 SGB IX ersuchen. Die Anerkennungsbehörden prüfen, ob die anerkannte Werkstatt auch mit einer solchen Erweiterung insgesamt noch die Anerkennungsvoraussetzungen als Werkstatt nach § 142 SGB IX erfüllt. […] Die von den Sozialbehörden vorgenommene sozialrechtliche Einordnung dieser Handelsbetriebe als Teil einer Werkstatt soll von der zuständigen Finanzbehörde regelmäßig WERKSTATT:DIALOG 3.2012 | RECHT übernommen werden. Dem zuständigen Finanzamt obliegt aber die abschließende rechtsverbindliche Entscheidung im Einzelfall. Dabei kommt den Bescheiden der Sozialbehörden (Anerkennungsbescheid nach § 142 SGB IX bzw. Bescheid über erbrachte Leistungen nach § 134 SGB IX) grundsätzlich Tatbestandswirkung zu. Die Bescheide stellen aber keine Grundlagenbescheide im Sinne von § 171 Abs. 10 AO dar.“ Die damit von der Finanzverwaltung geschaffene Regelung, Handelsbetrieben einer Werkstatt den Weg zur Anerkennung als Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 3c AO zu ermöglichen, zielt darauf ab, Handelsbetriebe von Werkstätten mit denen von Integrationsprojekten gleichzustellen. Dieser Ansatz ist zu begrüßen. Für die Praxis ergeben sich daraus allerdings zahlreiche Fragen. So etwa, nach welchen Kriterien die Finanzverwaltung zukünftig Verkaufsstellen/Läden und Handelsbetriebe von Werkstätten in der steuerlichen Beurteilung unterscheiden wird, wenn beide Betriebsformen erkennbar der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen dienen. Darüber hinaus genehmigen die Anerkennungsbehörden grundsätzlich keine neuen Arbeitsplätze in Werkstätten. Die Werkstätten haben daher für entsprechende Arbeitsplätze im Handel gegebenenfalls darauf hinzuwirken, Arbeitsplätze des Produktivbereichs z. B. für Handelsarbeitsplätze umzuwidmen. Fazit Mit dem neuen AEAO hat die Finanzverwaltung zwei wesentliche Veränderungen geschaffen, die es zu beachten gilt. Für von Werkstätten zugekaufte Produkte, die lediglich aufbereitet werden, gilt der ermäßigte Steuersatz auch weiterhin nur, wenn im Zuge des Weiterverkaufs eine Wertschöpfung von mehr als zehn Prozent nachgewiesen werden kann. Die Regelung zur Wertschöpfung wurde zwar im AEAO aufgehoben, hat aber durch eine gleich lautende Regelung im Umsatzsteuerrecht unverändert Gültigkeit. Darüber hinaus wurde für Handelsbetriebe von Werkstätten erstmalig eine Anspruchsgrundlage als steuerbegünstigter Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 3a AO geschaffen, die sehr zu begrüßen ist. Andreas Seeger Steuerberater und Partner, CURACON GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Foto: CURACON Produkte muss unverändert eine Wertschöpfung von mehr als zehn Prozent nachgewiesen werden können. Nur dann kann der ermäßigte Steuersatz angewendet werden. 53