SZ vom 20.Juni 2011 Seite R11 München City (GSID=1421287)

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SZ vom 20.Juni 2011 Seite R11 München City (GSID=1421287)
Montag, 20. Juni 2011
Süddeutsche Zeitung Nr. 140 / Seite R 11
KULTUR
Atemberaubend
Nürnberg-Ballett begeistert mit „Kylián / Duato / Montero"
Dieter Rehm „Sean John (feat. Puff Daddy alias P. Diddy)“ negativ, 2008/2011
Foto: Dieter Rehm
Farbexplosionen
Dieter Rehms Fotoausstellung „Love Surrender Devotion“ in der Galerie Andreas Binder
Von Evelyn Vogel
München – Wer heutzutage auf Stichworte wie LSD und psychodelische Bildwelten stößt, fühlt sich leicht ein paar
Jahrzehnte zurückversetzt. In die Zeit, in
der bewusstseinserweiternde Experimente mit Drogen, fernöstliche Meditation
und Klanginspiration die Sehnsüchte besonders junger Menschen prägten. Und
doch steht LSD hier nicht vorrangig für
das als Rock’n’Roll-Droge der Sechziger
und Siebziger bekannte Halluzinogen,
sondern rekurriert in einer Wortverdrehung auf ein Album der beiden Gitarristen Carlos Santana und John
McLaughlin aus dem Jahre 1973 mit dem
Titel „Love Devotion Surrender“. Die Inspirationsquelle hat also in erster Linie
etwas mit der Hingabe an Spiritualität,
Transzendenz und musikalischem Experiment zu tun.
Im München des Jahres 2011 wird daraus „Love Surrender Devotion“, kurz
LSD, und ist der Titel einer Ausstellung
des Münchner Fotografen und Akademiepräsidenten Dieter Rehm in der Galerie
Andreas Binder. Rehm will damit, wie in
der Ausstellung zu lesen ist, auf „psychedelisch anmutende Bildwelten“ verweisen und eine Spur in die Musikwelt legen, „wo Übersteuerung und Anbetung,
Wiederholung und Verschiebung, Erfindung und Covering Hand in Hand gehen
und dem guten Sound zuliebe jede Konsequenz geopfert wird“.
Psychedelisch wirken die Farbexplosionen Rehms – meist Ilfochrome oder
C-Prints hinter Acryl oder Glas sowie
auf Dibond aufgezogene Foto-LeinwandDrucke – mitunter schon. Die großformatigen, analog fotografierten Stadträume
flirren in intensiven, unnatürlichen Farben, extrem ausgeführt beispielsweise in
der Negativ-Arbeit „Sean Jean (feat. P.
Diddy )“. Rehm wechselt zwischen positiven und negativen fotografischen Bearbeitungen, steuert in der Nachbearbeitung die Tonwerte so, dass Negative wie
Positive erscheinen und umgekehrt. Wo-
bei die vielfältigen Verschiebungen einzelner Farbwerte die Farbigkeit oft ins
comicartig Grellbunte steigern und für
zusätzliche Irritationen sorgen. Rehm,
der auch Malerei studiert hat, setzt mitunter aber auch auf einen malerischen
Gestus, wie in der Positiv-Ausführung
von „Sean Jean (feat. P. Diddy)“.
Durch Mehrfachbelichtung
verdichtet er die Urbanität
der Stadtkomposition.
Dass der Münchner Fotograf damit
auch auf die oft übermäßig gesteuerte,
von Filtern und Samples und allerlei
sonstigen technischen Spielereien manipulierte Musikwelt verweist, geht vermutlich auf seine enge Beziehung zum
Musikgeschäft zurück. 18 Jahre lang,
von 1978 bis 1996, war der 1955 in Memmingen geborene Fotograf, der seit 2001
eine Professur für Fotografie an der Aka-
demie der Bildenden Künste in München
inne hat und seit April 2010 deren Präsident ist, beim Label ECM Records im Bereich visuelle Gestaltung tätig.
Schon das Ausgangsmaterial für die
aufwendige Bearbeitung erfährt eine Verfremdung: Die Stadträume – unter anderem in Hongkong, Los Angeles, San Diego und Tijuana – fotografiert Rehm zumeist nachts mit einer Großbildkamera.
Mitunter (wie bei „Chorus Line“) wechselt er mehrfach die Perspektive und belichtet die gleiche Platte entsprechend
oft. Dadurch verdichtet er die Urbanität
der Stadtkomposition zusätzlich. Aus
der verwirrenden Vielfalt von Werbetafeln und Leuchtreklamen in Kombination mit der später hinzugefügten, extrem
künstlich wirkenden Farbigkeit entsteht
ein Vexierspiel, das einen leicht kirre machen kann – ganz wie LSD.
Dieter Rehm: Love Surrender Devotion,
Galerie Andreas Binder, bis 2. Juli, Di-Fr
12-18.30 Uhr, Sa 11-15 Uhr.
Spielball der Macht
Verena von Kerssenbrock inszeniert „Aida“ auf Gut Immling als Konflikt zwischen einem Naturvolk und einer Weltmacht
Von Klaus Kalchschmid
Immling – Am Ende gab es doch noch eine Pyramide – zusammengesetzt aus den
fahrbaren Treppen des Bühnenbilds von
Claus Hipp. In ihrer Spitze werden Aida
und Radames lebendig eingemauert,
aber ganz am Ende führt ein ganz klassisch tanzender, blauer Vogel als Todesengel die große Treppe hinauf ins Jenseits. Er verkörperte schon den ganzen
Abend das Prinzip Leben und die Erinnerung an die unversehrte Heimat der äthiopischen Prinzessin, die hier wohl wie im
Film „Avatar“ Pandora entstammt.
Mit diesem schönen, poetischen und
beziehungsreichen Bild endete Giuseppe
Verdis „Aida“ beim Opernfestival im
Sklaven reinigen
Totenköpfe mit der Bürste
zum Takt der Musik.
Chiemgau auf Gut Immling und brachte
die Inszenierung von Verena von Kerssenbrock auf den Punkt. Die Intimiät von
Nil-Akt und Finale gelangen ihr konzentrierter als die beiden ausladenden ersten Akte, in denen sie ihr Konzept vom
Zusammenprall der Kulturen nicht immer schlüssig umsetzen konnte.
Als Konflikt zwischen einem reinen
Naturvolk und einer alles zerstörenden
Weltmacht wollte sie den Krieg zwischen
Äthiopien und Ägypten inszenieren. Also
bekam Radamès eine Atombombe in die
Hand und vergaß darüber, dass er – im
Vorspiel wird es stumm gezeigt – von Aida als reinem Naturwesen eine gelbe Feder bekam. Doch die Weltmacht Ägypten, deren Priester wie ein Ku Klux Klan
mit Augenmasken und weißen Hüten aussehen, erweist sich als unerbittlich: Eine
große Erdkugel wird zum Spielball der
Das heilige Kriegsschwert aus der Originalfassung ist auf Immling eine Atomrakete, die Aida (Rossana Cardia) in Händen hält.
Foto: Opernfestival Immling
Mächtigen. Aufgeschnitten dient sie Amneris, als sei sie Cleopatra, zur Badewanne, und wie einst Charlie Chaplin in „The
Great Dictator“ tanzt der König (Andrzej Saciuk), der eine klobige Schärpe
aus Totenköpfen trägt, verzückt mit ihrer verkleinerten Kopie.
Im Triumph-Akt werden Marionetten
von Diktatoren wie Hitler, Stalin, Mao,
Mussolini, Gaddafi, Napoleon und Cäsar
(!) vom Volk zur Schau gestellt. Dabei
huldigt es gleichzeitig dem König und demonstriert mit Transparenten in arabischen Sprachen gegen die Herrschenden.
Hundert Choristen – wieder beeindruckend präzise gesungen vom weitgehend
aus Laien bestehenden Festivalchor Immling – laufen durch das Publikum und be-
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schallen die Halle zusammen mit den
Münchner Symphonikern unter Cornelia
von Kerssenbrock – auch dies eine starke
Szene! Schon im ersten Akt zeigte die Regisseurin die makabre Perversion der
Mächtigen, wenn Sklaven Totenköpfe
mit der Bürste zum Takt der Musik reinigen müssen, während andere schon ihre
Vergoldung polieren.
Musikalisch war die Aufführung respektabel. Die Münchner Symphoniker
erwiesen sich vor allem nach der Pause
als differenziert, in den Instrumentalsoli
immer feiner und klangschöner spielendes Orchester. Nicht minder gut besetzt
die drei Hauptpartien: Die erst 28-jährige Rossana Cardia sang eine berührende
Aida mit bestechend weichem, warmem
Piano in der Mittellage. Mit Mario Zhang
hatte sie als Radamès einen Partner, der
in seiner Paraderolle Sicherheit und einen souveränen, höhensicheren, wenn
auch nicht sehr strahlkräftigen Tenor
präsentierte. Yvonne Fontane besaß als
Amneris einen leichten, hellen Mezzo-Sopran und nicht den eigentlich erforderlichen dramatischen, dunklen Mezzo.
Doch sie nutzte ihre Mittel geschickt, um
die Partie der dem Materiellen verfallenen, hier nuttig und buchstäblich pfauenhaft gekleideten Prinzessin auszufüllen,
die wie die Sklavin Aida Radamès liebt.
Es darf als gutes Omen für das ganze
Festival, das noch bis 6. August dauert,
gelten, dass nach üppigem Dauerregen in
der Pause der „Aida“-Premiere der Himmel aufriss und ein wunderbarer, sich
langsam zur Abendröte wandelnder Sonnenuntergang zu erleben war. „Immling
liegt glücklicherweise auf einem Hügel,
da kann das ganze Wasser abfließen und
unsere Halle ist dicht“, scherzte Intendant Ludwig Baumann zu Beginn und
verwies auf die neue Klimaanlage, die
auch als Heizung nutzbar ist. An diesem
kühlen, nassen Premierenabend kam sie
erstmals zum Einsatz, und auch das warme Büffett mit guter italienischer, deutscher und thailändischer Küche fand vor
und nach der Vorstellung im großen, hohen blauen (Zirkus-)Zelt viele zufriedene Gäste.
Am 24. Juni (20 Uhr) hat Mozarts
„Don Giovanni“ Premiere (Dirigent: Georg Schmöhe); mit Antonio Vivaldis „Orlando furioso“ geht am 21. und 29. Juli
(19.30 Uhr) erstmals eine Barockoper
über die Bühne der ehemaligen Reithalle.
An den Nachmittagen des 26. Juni und
10. Juli gibt es wieder wie schon vor zehn
Jahren eine Kinder-„Zauberflöte“, in
der Ludwig Baumann, einst international erfolgreicher Bariton, selbst den Papageno gibt.
Nürnberg – Grandioses Finale, jubelnder
Beifall für den dreiteiligen Ballettabend
am Samstag im Nürnberger Opernhaus,
bei dem sich das junge Ensemble mit begeisterndem Elan und staunenswerter
Könnerschaft präsentierte. Goyo Montero, seit drei Jahren Direktor und Chefchoreograph des Staatstheater-NürnbergBalletts, demonstrierte bislang mit eigenen Choreographien („Romeo und Julia“, „Carmen“), dass er willens und fähig ist, das Nürnberg Ballett aus der provinziellen Enge früherer Jahre heraus zu
führen und seine Compagnie eigenwillig
zu formen. Nun befand er, dass die Zeit
dafür reif sei, seine zwanzig Tänzerinnen
und Tänzer mit Klassikern zeitgenössischer Choreographie herauszufordern,
mit Stücken seiner „Hausheiligen“ Jirí
Kylián und Nacho Duato.
Zum Auftakt Nacho Duatos „Duende“
aus dem Jahr 1991. Eintauchen in Claude
Debussys flirrende Klangwelt, Beschwörung naturmagischer Stimmungen mit elfenartigen und gnomischen Wesen. Die
ersten Soli und Pas-de-trois wurden
noch etwas verhalten und verhuscht dargeboten, aber mit dem furiosen MännerTrio (Carlos Lázaro, Max Zachisson,
Saul Vega) fand die Aufführung zu dem
typischen Duato-Bewegungsfluss, der
die Musik nicht illustriert, sondern sie
elektrisierend durch die Körper strömen
lässt. Duato war eigens aus St. Petersburg angereist, um zwei Proben zu leiten
und seine Verbundenheit mit Monteros
Arbeit zu bezeugen.
Als Mittelteil die Uraufführung von
Monteros „Treibhaus“ zu Musik Richard
Wagners (wie alle Musik des Abends von
Band eingespielt), die nicht gerade zur
Lieblingsmusik zeitgenössischer Choreographen zählt. „Es ist die Musik einer beladenen Seele“, notierte Thomas Mann
einst, „nicht tänzerisch zu den Muskeln
redend, sondern ein Wühlen, Sich-Schieben und Drängen.“ Montero, der Wagner
liebt, war sich dieses Umstands wohl bewusst und wählte die Bearbeitung von
Wagners „Lohengrin“- und „Tannhäuser“-Ouvertüren durch den Jazz-Musiker Uri Caine, um mit ironisch gebroche-
nen Wagner-Klangbildern sciencefictionartige Visionen vom Widerstreit zwischen Kollektivität und Individualität in
Szene zu setzen. Bedrückende Visionen,
die immer wieder ins Plakative und Überladene abrutschten, aber in den Ensemble-Bildern labyrinthischer Verschlingungen Eindringlichkeit gewannen.
Zum Finale Kylians berühmte „Sechs
Tänze“ zu Mozart-Musik. Eine tolle,
atemberaubende Burleske, satirische Dekonstruktion des klassischen Ballett-Vokabulars auf dem Niveau höchster Virtuosität, 1986 geschaffen. Eine Burleske,
die totentänzerische Abgründe aufreißt,
und der Rang des Ensembles zeigte sich
gerade darin, diese Kippmomente vom
Witz zum Unheimlichen tänzerisch und
pantomimisch brillant meistern zu können. Der Jubel des Publikums galt dem
klug komponierten choreographischen
Dreiklang des Abends und vor allem dem
Ensemble, auf das die Nürnberger zu
Recht stolz sein können. Rainer Gansera
Nächste Vorstellungen: Samstag 25.6.,
Mittwoch 29.6., Freitag, 1.7.
Nürnberg Ballett tanzt Goyo Monteros
Foto: Jesús Valinas
„Treibhaus“.
Werbung pur
Autor Michael Meyen über Journalismus in der DDR
Tabubücher, Kontrollanrufe, Gespräche
unter vier Augen: Das Politbüro ließ keine Möglichkeit aus, die DDR-Journalisten zu leiten und die Tagespresse nach
seinen Vorstellungen zu gestalten. Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität, ist Autor und gemeinsam mit Anke Fiedler Herausgeber
von zwei neuen Studien zu Journalisten
und Presse in der DDR. In mehr als 30 Interviews sowie in Inhaltsanalysen der Tagespresse zeichnet er ein differenziertes
Bild der DDR-Redakteure.
Herr Meyen, Sie vergleichen in Ihrem
Buch „Die Grenze im Kopf“ DDR-Journalisten mit der PR-Abteilung eines großen Unternehmens. Warum?
Journalisten in der DDR haben wenig
oder gar nicht recherchiert, sondern Informationen bekommen, die sie weiterverbreiten mussten. Man hat einem bestimmten Interesse gedient, nämlich
dem der herrschenden Partei. Man hatte
nicht den Anspruch, dem Bürger Informationen zur Verfügung zu stellen, die
ihm eine unabhängige Meinungsbildung
ermöglichen. Genauso arbeiten PR-Leute heutzutage auch.
Gilt das für alle DDR-Journalisten?
Das ist ein strukturelles Merkmal. Es
gab in der DDR keinen Journalisten, der
das Selbstverständnis hatte, Informationen in die Öffentlichkeit zu bringen, die
der Partei hätten schaden können.
Sie haben von 1988 bis 1992 in Leipzig
Journalistik studiert. Traf das also auch
auf Sie zu?
Regimekritik wäre mir fremd gewesen. Weil der Journalismus, den ich kannte, nicht so war. Aus heutiger Sicht ist
das schwer verständlich. Ich kann das
nur rekonstruieren: Ich komme aus einem DDR-freundlichen Haushalt und
wurde so erzogen, dass der Sozialismus
eine gute Sache ist, die man zu unterstützen hat. Dann überlegt man als junger
Mensch, was man werden kann. Und es
gab einfach auch Vorbilder, denen man
nacheifern wollte, zum Beispiel den
Sportreporter Heinz Florian Oertel.
In welchen Bereichen wurde Journalisten besonders auf die Finger geschaut?
Politik- und Wirtschaftsthemen wurden sehr stark reguliert. Große Artikel
mussten in der Wirtschaftsabteilung des
ZK der SED vorgelegt werden oder wurden da geschrieben und dann an die Redaktionen geschickt. Man hat Informationen gezielt von der Öffentlichkeit ferngehalten, denn es hätte alles vom Feind
im Westen genutzt werden können.
Und wo gab es weniger Regulierung?
Mehr Freiheit gab es in den politikfer-
nen Bereichen, im Kulturbereich, im
Sportbereich. Aber auch da waren immer Journalisten am Werk, die das Land
unterstützten. Die Schwierigkeit für
Journalisten bestand auch darin, dass ihre Arbeit immer an der aktuellen Linie
der Partei gemessen wurde. Und diese Linie hat sich geändert, in den Siebzigern
und Achtzigern zum Teil von Tag zu Tag.
Wie konnten Redakteure wissen, was
sie schreiben durften und was nicht?
Chefredakteure saßen immer in den
Parteisitzungen. Der Chefredakteur des
Neuen Deutschlands war zum Teil Mitglied oder Kandidat des Politbüros, wie
Günther Schabowski. Oder der Chefredakteur der Jungen Welt, Hans-Dieter
Schütt, er war zum Beispiel Mitglied im
Zentralrat der FDJ. Journalismus war
eher Teil des politischen Feldes als ein eigenes soziales Feld.
Wie nahm das Regime Einfluss?
Es gab regelmäßige Sitzungen, in denen Sprachregelungen vorgegeben wurden. Da kamen jede Woche 60 bis 80 leitende Redakteure hin. Und es wurde angerufen, vor allem in den Leitmedien
Neues Deutschland und Junge Welt. Da
wurde dann gefragt: Wie sieht bei euch
heute die Seite 1 aus? Es konnte sein,
dass die Zeitung dann völlig umgeworfen wurde. Die DDR-Führung saß auch
live vor dem Fernseher und gab nach der
Heute-Sendung Anweisungen, wie über
bestimmte Themen zu berichten war.
Wie haben die befragten Journalisten
derartige Eingriffe empfunden?
Sehr unterschiedlich. Ingrid Kirschey zum Beispiel, die 1987 Kulturchefin bei der Jungen Welt wurde, war nach
anderthalb Jahren der Meinung, dass sie
das nicht mehr aushält. Viele haben Richtung Wissenschaft geschielt. Die Meinung, dass die Eingriffe nicht mehr erträglich sind, war weit verbreitet gegen
Ende der Achtziger.
Interview: Sarah Schierack
Michael Meyen, Anke Fiedler: Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR, Panama Verlag, 400 Seiten
Michael Meyen, Anke Fiedler (Hrsg.): Fiktionen für das Volk: DDR-Zeitungen als
PR-Instrument, Lit Verlag, 331 Seiten
Michael Meyen
istProfessor für
Kommunikationswissenschaft an
der LMU München. Foto: privat
ubrandmueller
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