Drucksache 16/07408 - Hessischer Landtag

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Drucksache 16/07408 - Hessischer Landtag
16. Wahlperiode
Drucksache
HESSISCHER LANDTAG
Kleine Anfrage
der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
vom 23.05.2007
betreffend Abgabe von Schweinsaffen an das Paul-Ehrlich-Institut
und
Antwort
des Ministers für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz
Vorbemerkung der Fragestellerin:
Einer Meldung in der Recklinghäuser Zeitung vom 5. Dezember 2006 ist zu entnehmen, dass mehrere Schweinsaffen vom Tierpark Recklinghausen wegen baulicher Mängel am dortigen Affenhaus an ein "wissenschaftliches Institut" abgegeben
worden sind. Die Tiere sollen nach Presseangaben des Leiters des Fachbereichs
Technische Dienste im Tierpark nicht in Tierversuchen eingesetzt werden.
Auf die schriftliche Frage 4/176 von MdB Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) zum Verbleib der Tiere antwortete der Parlamentarische Staatssekretär
Rolf Schwanitz am 4. Mai 2007, dass die Affen an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
in Langen abgegeben wurden und dort für die HIV-Forschung eingesetzt werden
sollen. Diese Aussage widerspricht den bisherigen Beteuerungen der Verantwortlichen. Die Affen befinden sich anscheinend doch zu Versuchszwecken in einer Forschungseinrichtung und dienen dort nicht ausschließlich als Zuchttiere, wie bislang
behauptet, sondern Forschungsarbeiten.
Nicht nur die Öffentlichkeit und Tierschutzorganisationen, sondern auch Wissenschaftler und Behörden diskutieren die Frage kritisch, ob die Verwendung von
Primaten in Versuchen zu rechtfertigen ist. In Berlin und München wurden im
vergangenen Jahr beantragte Tierversuche an Affen nicht genehmigt.
Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die
Kleine Anfrage wie folgt:
Frage 1.
Wie viele Schweinsaffen welchen Alters und Geschlechts (bitte angeben, ob kastriert oder unkastriert) hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen vom Tierpark
Recklinghausen erhalten?
Das PEI hat insgesamt 6 Schweinsaffen aus dem Tierpark Recklinghausen
erhalten, nachdem dieser über mehr als zwei Jahre lang im Bereich der Zootierhaltung keine Abnehmer für die Affen finden konnte und eine weitere
Haltung in Recklinghausen aus baulichen Gründen nicht mehr möglich war.
Im Einzelnen wurden an das PEI folgende Affen abgegeben:
Affe
Nem.
R1
Nem.
R2
Nem.
R3
Nem.
R4
Nem.
R5
Nem.
R6
Geburtsdatum
1977
Geschlecht
Bemerkungen (s. auch Frage 2)
weiblich
06.02.1993
weiblich
30 Jahre altes Tier; Grauer Star beiderseits;
Irisabriss rechts; Fehlstellungen/Deformationen der Finger an beiden
Händen; gering eingeschränkte Beweglichkeit der Extremitäten und des Rumpfes.
Vorbericht: Gicht
Linker Fuß in Höhe des Knöchels amputiert
25.12.1992
männlich
Kastriert
26.01.1994
männlich
Kastriert
09.04.1997
weiblich
Kurzer Schwanz (teilweise amputiert?)
27.07.1998
weiblich
Eingegangen am 30. Juli 2007 · Ausgegeben am 16. August 2007
Druck und Auslieferung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden
16/7408
30. 07. 2007
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Frage 2.
Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · Drucksache 16/7408
In welchem gesundheitlichen Zustand befanden/befinden sich die Tiere bzw.
welche Ergebnisse hat die Eingangsuntersuchung gezeigt?
Mit Einwilligung des Tierparks Recklinghausen wurden zunächst am 21.
Juni 2006 von allen Tieren Blut- und Mundtupferproben für die Untersuchung auf eine Infektion mit dem Herpes-B-Virus genommen. Alle Proben
wurden mittels PCR auf das Herpes-B-Virus und die Blutproben zusätzlich
auf Antikörper gegen das Virus untersucht. Eine Infektion mit Herpes-BVirus lag nicht vor.
Die klinischen Befunde vom 8. November 2006 sind in der oben aufgeführ ten Tabelle zusammengefasst. Seit der Übernahme lässt ausschließlich das
weibliche Tier mit der Nummer R1 klinische Erscheinungen erkennen: es
zeigt eine alters- und gesundheitsbedingte verminderte Bewegungsaktivität,
wobei das Allgemeinbefinden nicht deutlich reduziert ist.
Frage 3.
Unter welchen Bedingungen und in jeweils welcher Gruppierung werden die Affen
im PEI gehalten, z.B. in Einzel- oder Gruppenhaltung, in Käfigen, in gestalteten
Räumen oder in anderen Haltungsformen (bitte Gruppierung der Tiere und jeweilige Haltungsform angeben)?
Die Tiere werden in geschlossenen, klimatisierten Tierräumen gehalten.
Da Nem. R3 (kastrierter 15-jähriger männlicher Affe) aufgrund seiner Einzelhaltung in Recklinghausen nicht mehr in eine neue Gruppe integriert
werden kann, werden Nem. R1 und Nem. R3 (Muttertier und männlicher
Nachkomme) paarweise in einem Gruppenkäfig in einem separaten Raum
gehalten.
Nem. R4, männlicher kastrierter Affe, wird zusammen mit zwei anderen
männlichen Tieren in einem Gruppenkäfig in einem separaten Raum gehalten.
Die zuchtfähigen Weibchen Nem. R2, Nem. R5 und Nem. R6 werden zusammen mit einem männlichen Tier des PEI als Zuchtgruppe in einem
Gruppenkäfig (als Teil einer Dreier-Käfigeinheit mit einer Nachbargruppe
und temporärem Zugang zu einem zweiten Gruppenkäfig) ge halten.
Die Käfige haben grundsätzlich folgende Größe: Länge 3 m, Breite 1,25 m
und Höhe 2,25 m. Sie sind durch einen Tunnel mit den Nachbarräumen
verbunden; bei den zwei Affengruppen in einer Dreier-Käfigeinheit besteht
für die Tiere wechselnd die Möglichkeit, das mittlere Abteil zu nutzen, sodass sich die Käfiggröße temporär verdoppelt.
Die Tiere bekommen durch ein Enrichment-Programm Abwechslung geboten.
Frage 4.
Zu welchen Zwecken sollen die Tiere eingesetzt werden:
a) Zucht,
b) Routineeingriffe wie z.B. Blutentnahmen (bitte angeben wie oft und ob mit
oder ohne Narkose),
c) invasive Eingriffe wie z.B. Infektionsversuche, immunologische oder andere
Versuche (bei geplanten Eingriffen bitte die Durchführung detailliert beschreiben)?
Die zuchtfähigen Tiere (Nem. R2, Nem. R5 und Nem. R6) sollen derzeit
zur Zucht verwendet werden.
Die nicht zuchtfähigen Tiere (Nem. R1, Nem. R3 und Nem. R4) sollen künftig unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen für Versuche im Rahmen
der HIV/SIV-Forschung verwendet werden. Derzeit ist konkret vorgesehen,
bei den Tieren Blutproben in Ketamin/Xylazin-Injektionsnarkose (nach erfolgreichem Training in Form des "Positive Reinforcements" auch ohne Narkose)
zu entnehmen und die Zellen anschließend in Laboruntersuchungen zu verwenden.
Die Blutentnahmefrequenz und -menge sind abhängig vom Körpergewicht und
dem gesundheitlichen Zustand sowie dem Alter des entsprechenden Tieres.
Derzeit wird bei vergleichbaren PEI-Affen etwa in 6-wöchigem Abstand bis
zu 30 ml Blut entnommen. Dieser Durchschnittswert wird insbesondere bei
dem ältesten weiblichen Tier in der Frequenz nicht erreicht werden.
Ergänzend weist das Regierungspräsidium Darmstadt als zuständige Genehmigungsbehörde darauf hin, dass bei der Entnahme von Blutproben im
Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen grundsätzlich die gemeinsame Empfehlung des Ausschusses für Tierschutzbeauftragte in der GVSOLAS und des Arbeitskreises 4 der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz zur Blutentnahme bei Versuchstieren einzuhalten ist.
Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · Drucksache 16/7408
Frage 5.
Welche dieser Eingriffe sind laut Tierschutzgesetz anzeigepflichtig, welche genehmigungspflichtig?
Von den Tierversuchen im Sinne des § 7 Tierschutzgesetz abzugrenzen ist
unter anderem die Entnahme von Organen oder Geweben für wissenschaftliche Untersuchungen, wenn das Tier vorher im Hinblick auf die weiteren
Untersuchungen nicht behandelt wurde. Bei den vorgesehenen Blutentnahmen mit anschließender Untersuchung der Blutzellen handelt es sich daher
nicht um Tierversuche. Diese Blutentna hmen unterliegen aber der Anzeige pflicht beim Regierungspräsidium Darmstadt.
Das PEI hat im Juni 2006 eine Anzeige zur Blutentnahme bei nichtmenschlichen Primaten (Laufzeit bis 1. Januar 2008) beim Regierungspräsidium Darmstadt eingereicht. Bevor die oben angegebenen Schweinsaffen in
dieses Vorhaben einbezogen werden können, ist für diese allerdings eine
Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 2 Nr. 7 Tierschutzgesetz zu stellen,
da diese Tiere nicht speziell zur Verwendung zu wissenschaftlichen Zwe cken gezüchtet worden sind. Ein Antrag hinsichtlich einer Ausnahmegenehmigung wurde bisher nicht gestellt.
Frage 6.
Da die Affen seit Jahren in einem Tierpark gehalten wurden, sind sie möglicherweise nicht an das Handling gewöhnt, welches erforderlich ist, wenn z.B. Blut abgenommen oder andere Eingriffe durchgeführt werden sollen. Werden die Tiere
für den Forschungseinsatz trainiert, auf welche Weise und wird sichergestellt, dass
die Tiere keinem Stress ausgesetzt werden?
Die Affen wurden zunächst durch die Tierpfleger an das normale "Alltagsprocedere" der Haltung im PEI gewöhnt (z.B. die Benutzung der Tränke Flaschen).
Für experimentelle Blutentnahmen sollen die Affen mittels "Positive Reinforcement" (Klicker-Training) trainiert werden, um eine Narkose hierfür
entbehrlich zu machen und den durch das Procedere induzierten Stress so
gering wie möglich zu halten. Der Ausgang der Trainingsmaßnahme ist noch
offen.
Frage 7.
Wie lange sind Haltung und Einsatz der Schweinsaffen im PEI vorgesehen?
Eine konkrete Haltungsdauer für die übernommenen Affen kann derzeit
nicht angegeben werden.
a) Das älteste Weibchen wird sicherlich bald die Grenze der natürlichen
Lebenserwartung erreichen (auch aufgrund des eingeschränkten Gesundheitszustandes).
b) Experimentelle Blutentnahmen bei den kastrierten Männchen sollten die
Lebenserwartung nicht beeinträchtigen.
c) Dies gilt auch dann, wenn Weibchen, die derzeit zur Zucht vorgesehen
sind, zu Blutentnahmen herangezogen würden (siehe unten).
Frage 8.
Was soll im Anschluss mit den Tieren geschehen?
a) Sollen sie weiter zur Zucht eingesetzt werden?
b) Ist eine Tötung vorgesehen?
aa) Falls ja, wann, aus welchem Grund und mit welcher Methode?
bb) Falls nein, sollen die Tiere weiter im PEI gehalten oder an eine andere
Einrichtung abgegeben werden (bitte Einrichtung dann nennen)?
Wie zu Frage 4 bereits dargestellt, soll derzeit mit den zuchttauglichen Tieren gezüchtet werden. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Tiere nach
dem biologischen Abklingen der Gebärfähigkeit weiter als Blutspender ge nutzt und am PEI gehalten werden.
Für die übrigen Tiere ist derzeit eine Verwendung als Blutspender vorgese hen. Daher ist eine Tötung der Tiere nicht geplant; eine Abgabe an eine
andere Einrichtung (z.B. in Form einer Pensionshaltung) ist derzeit ebenfalls
nicht beabsichtigt.
Wiesbaden, 19. Juli 2007
In Vertretung:
Karl-Winfried Seif
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