Musiktypologien und Delinquenz im Jugendalter
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Musiktypologien und Delinquenz im Jugendalter
Jahrestagung 2012 Musiktypologien und Delinquenz im Jugendalter Ein Beitrag von Dr. Andreas Pöge (Universität Bielefeld) AKTUELL Szenen, die man ganz allgemein als Gesinnungsgemeinschaften von Personen auffassen kann, »bil den« sich zumeist um bestimmte Themen: Musik, Politik, Hobbys etc. In der jugendlichen Lebens welt findet man die quantitativ größten Szenen als Musikszenen (z.B. Techno-Szene, Hip-Hop-Sze ne, Punk-Szene). Sie lassen sich durch den Lebensstil ihrer Mitglieder unterscheiden, zu denen als sehr wichtige Bestandteile Kleidungsstil und Musikgeschmack zählen (aber auch andere, wie z.B. Sprachstil). Bestimmte nonkonforme Verhaltensmuster können direkt Bestandteile einer Szene bzw. eines zugehörigen Lebensstil sein: Graffiti oder Tags sprühen in der Sprayer-Szene, Marihuanakon sum in der Reggae-Szene. (Musik-)Szenen können aber auch indirekt auf das Erlernen antisozialer, devianter und delinquenter Verhaltensweisen wirken. Man kann nämlich davon ausgehen, dass Jugend-Musikszenen generell ein großer Anteil an der jugendlichen Sozialisation zukommt und sie daher sowohl für konforme als auch nonkonforme Verhaltensmuster wirksam sind. Musik (und mit ihr verbundene Medien) kann eine große Bedeutung bei der Vermittlung von geschlechtsspezifi schen sozialen Leitbildern und Verhaltensweise haben. In Rap-Videoclips (aber auch Clips anderer Musikarten wie Rock, Reggae usw.) finden sich in diesem Zusammenhang oftmals ausgeprägte geschlechtsrollenstereotype und sexistische Darstellungen, in den Texten populärer Musikstücke häufig die Verherrlichung von Drogen- und Alkoholmissbrauch, zum Teil auch von Gewalt. Es ist dabei zumindest wahrscheinlich, dass der Konsum solcher Clips und Songs Akzeptanz- und Nachah mungseffekte hervorrufen kann. Studien zu Rap-Musik und ihren möglichen Auswirkungen zeigen Anhaltspunkt für negative Effekte: Eine ältere Untersuchung von Johnson, Jackson und Gatto (1995) unter afroamerikani schen Jugendlichen ergab, dass der rund halbstündige Konsum von gewalthaltigen Rap-Videos die Gewaltakzeptanz (besonders gegenüber Frauen) und die Wahrscheinlichkeit eigenen Gewalthan delns erhöhte. In einer ähnliche Untersuchung zeigte sich solch ein Übernahmeeffekt sogar bei Konsum von nicht gewalthaltigen Musik-Videos sondern solchen, in denen Frauen als sexuell untergeordnet dargestellt wurden (vgl. Johnson, Adams u.a. 1995). Durch eine Analyse von Filmen er mittelten Barongan und Nagayama (1995) einen Zusammenhang von sexuell aggressivem Verhalten und frauenfeindlicher Rap-Musik. Auch neuere Studien liefern Hinweise auf den Zusammenhang von Rap-Musik und nonkon formen Verhaltensmustern. So hingen in einer Studie unter frankokanadischen Jugendlichen Präfe renzen für Rap-Musik (schwach) mit deviantem Verhalten zusammen (vgl. Miranda und Claes 2004). In einer recht aktuellen Studie führte das Hören frauenfeindlicher Songtexte bei Männern und das Hören männerfeindlicher Texte bei Frauen generell zu negativeren Einschätzungen und höheren Rachegefühlen gegenüber Frauen bzw. aggressiveren Antworten in Bezug auf Männer (vgl. Fischer und Greitemeyer 2006). Neuere Experimente im universitären Kontext ergaben, dass Studenten nach dem Hören gewalthaltiger Songtexte unterschiedlicher Genres feindseligere Gefühle und aggressivere Gedanken hatten als solche, die ähnliche Musikstücke mit nicht gewalthaltigen Texten vorgespielt bekamen (vgl. Anderson, Carnagey und Eubanks 2003). Auch wenn gegen jede Studie berechtigte Kritik vorgebracht werden kann (gerade auch im Hinblick auf die Übertragbarkeit auf Deutschland) und zweifelsfreie kausale Erklärungen zum größten Teil bis heute nicht eindeutig nachzuweisen sind, mehren sich doch die Anhaltspunkte für Zusammenhänge zwischen Rap-Musik und abweichendem Verhalten. Anhand dreier Datensätze der Jahre 2003, 2005 und 2009 (n=3392, n=3405 und n=3090) einer groß angelegten Duisburger Kriminalitätsbefragung sollen hier zentrale deskriptive Befunde vorgestellt werden, wie Musikgeschmack und abweichendes Verhalten zusammenhängen. Die im Durchschnitt 14 (2003), 16 (2005) und 20 (2009) Jahre alten Jugendlichen konnten bei der Befragung auf einer 21 Musikrichtungen umfassenden Fragebatterie ihre musikalischen Vorlieben angeben. Mit Hilfe des statistischen Instruments der Faktorenanalyse konnten diese Musikrichtungen zu vier grundlegenden Musikstilen zugefasst werden (vgl. Pöge 2007, 2011): 1) Black Music (Rap, Hip-Hop und Funk/Soul/R’n’B), 2) Dance (Techno und House), 3) Rock (Punk, Hardrock/Metal und Crossover) und 4) Neue E-Musik (Blues/Jazz und Klassik). Der beliebteste Musikstil in allen drei Jahren ist Black Musik: 66, 63 und 54 % finden ihn gut bzw. sehr gut. Mit deutlichem Abstand folgen die Stile Dance (23, 17 und 38 % Zustimmung), Rock (13, 17 und 20 % Zustimmung) und Neue E-Musik (8, 9 und 13 % Zustimmung). In einem weiteren Analyseschritt werden nun vier Musik-Kontrastgruppen von Jugendlichen gebildet, die die jeweiligen Musikstile präferieren (Nennungen »gut« oder »sehr gut«) und die übrigen Mu- 10 ............................BPJM-Aktuell 4/2012 reine Rapper Raver Rocker Klassik Durchschnitt 2003 51,8 60,5 48,7 18,4 41,2 2005 39,6 38,1 30,8 16,4 30,4 70 60 50 40 30 20 10 0 reine Rapper Raver Abbildung 1: Täteranteile Gesamtkriminalität in Duisburg (Jahresprävalenz in Prozent) sikstile ablehnen. So können die Gruppen 1) reine Rapper (Zustimmung zu Black Musik)1 2) Raver (Zustimmung zu Dance), 3) Rocker (Zustimmung zu Rock) und 4) Klassik/ Blueser/Jazzer (Zustimmung zu Neuer E-Musik) gebildet werden. Diese Gruppen werden im Hinblick auf ihre Kriminalitätsbelastung ausgewertet werden. Tabelle1 Im Fokus stehen hier die sogenannten Jahresprävalenzen, also ob die abgefragten Taten im vorangegangenen Jahr verübt wurden. Für die Analysen wurden dabei die erhobenen Einzeldelikte zu Gruppenindizes zusammengefasst. Der Index »Gewaltkriminalität« umfasst die Delikte Raub, 2009 Handtaschenraub, Körperverletzung mit Waffe und Körperverletzung ohne Waffe. Der Index »Sach 9,3 9,8 beschädigungskriminalität« enthält Scratching, Sachbeschädigung und Graffiti. »Eigentumskrimi 9,4umfasst Einbruchsdiebstahl, Hehlerei, Kfz-Diebstahl, Kfz-Aufbruch, Automatenaufbruch, nalität« 3,2 Fahrraddiebstahl, Ladendiebstahl und sonstigen Diebstahl. In den Index »Gesamtkriminalität« wird 8,8 zusätzlich zu den genannten Items noch Drogenhandel aufgenommen. Ganz generell lässt sich im Jahresvergleich zunächst der bekannte Verlauf der Kriminalitätsbelastung bei Jugendlichen erkennen: Nach einem starken Anstieg der Raten in der Jugendphase und einem Höhepunkt um das 14./15. Lebensjahr herum erfolgt ein ebenso starker Rückgang (vgl. Boers und Walburg 2007). Da die 2003 hier untersuchten Jugendlichen im Jahr 2003 bereits 2005 im Durchschnitt 14 Jahre alt sind, ist der Anstieg nicht 2009 zu beobachten, dafür aber der deutliche Rückgang in allen Kriminalitätsbereichen. Dieser Rückgang zeigt sich auch im Hinblick auf die gebildeten Mu sikgruppierungen, so dass im Jahr 2009 auf einem insgesamt sehr niedrigem Belastungsniveau kaum noch Rocker Klassik Durchschnitt Unterschiede zwischen den Gruppen auszumachen sind. Die hier im Vordergrund stehenden reinen Rapper weisen in den Jahren 2003 und 2005 dagegen deutlich erhöhte Gesamtkriminalitätsraten aus (siehe Abbildung 1). Die Sachbeschädigungskriminalität ist bei den jüngeren Jahrgängen deutlich, Eigentumskriminalität insgesamt nur leicht erhöht (ohne Abbildung). Im Hinblick auf die Gewaltkriminalität sind mit Ausnahmen von 2009 deutlich erhöhte Raten zu konstatieren (ohne Abbildung). Es zeigt sich jedoch, dass dieser Befund auch für die Musikguppierungen der Raver und Rocker gilt: Es sind ebenfalls überdurchschnittliche Raten festzustellen. Die Klassikfans hingegen sind erwartungsgemäß durchweg weniger auffällig. Zusammenfassend kann man also festhalten, dass Rapper in unserer Untersuchung in der Tat während der Jugendphase erhöhte Kriminalitätsraten aufweisen. Allerdings ist dieses Phänomen auch bei den Ravern und Rockern zu beobachten. Im Hinblick auf den Altersverlauf lässt sich sagen, dass auch bei den Rappern der bekannte Befund der Spontanbewährung vorliegt: Das meiste regelt sich mit der Zeit von selbst. Literatur Anderson, Craig A., Nicholas L. Carnagey und Janie Eubanks (2003). »Exposure to Violent Media: The Effect of Songs With Violent Lyrics on Aggressive Thoughts and Feelings«. In: Journal of Personality and Social Psychology 84.5, S. 960–971. Seite 1 Barongan, Christy und Gordon C. Nagayama (1995). »The influence of misogynous rap music on sexual aggression against women«. In: Psychology of Women Quarterly 19.2, S. 195–207. Boers, Klaus und Christian Walburg (2007). »Verbreitung und Entwicklung delinquenten und abweichenden Verhaltens unter Jugendlichen«. In: Delinquenz im Jugendalter. Erkenntnisse einer Münsteraner Längsschnittstudie. Hrsg. von Klaus Boers und Jost Reinecke. Münster u.a.: Waxmann, S. 79–96. Fischer, Peter und Tobias Greitemeyer (2006). »Music and Aggression: The Impact of Sexual-Aggressive Song Lyrics on Aggression-Related Thoughts, Emotions, and Behavior Towards the Same and the Opposite Sex«. In: Personality and Social Psychology Bulletin 32.9, S. 1165–1176. Johnson, James D., Mike S. Adams, Leslie Ashburn und William Reed (1995). »Differential Gender Effects of Exposure to Rap Music on African American Adolescents’ Acceptance of Teen Dating Violence«. In: Sex Roles 33.7–8, S. 597–605. Johnson, James D., Lee Anderson Jackson und Leslie Gatto (1995). »Violent Attitudes and Deferred Academic Aspirations: Deleterious Effects of Exposure to Rap Music«. In: Basic and Applied Social Psychology 16.1–2, S. 27–41. Miranda, Dave und Michael Claes (2004). »Rap Music Genres and Deviant Behaviors in French-Canadian Adolescents«. In: Journal of Youth and Adolescence 33.2, S. 113–122. Pöge, Andreas (2007). Soziale Milieus und Delinquenz im Jugendalter. Eine Untersuchung von Werte- und Musiktypologien. Münster: Waxmann. Pöge, Andreas (2011). »Musiktypologien und Delinquenz im Jugendalter«. In: Soziale Welt 62.3, S. 279–304. 1 Da der Musikstil Black Musik so außerordentlich beliebt ist, musste die Gruppenbildung etwas »strenger« erfolgen, da die Gruppe sonst viel zu stark besetzt wäre. Zustimmung musste hier also bei zwei der drei Items auf der höchsten Kategorie erfolgen und bei dem verbleibendem Item auf der zweithöchsten Kategorie. 11 BPJM-Aktuell 4/2012............................