2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick, 1968)

Transcription

2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick, 1968)
2001: A Space Odyssey
(Stanley Kubrick, 1968)
• Stanley Kubrick (1928‐1999)
– wichtigster amerikanischer Auteur zwischen den 60er und 90er Jahren
• Kubrick fing als Photograph an, begann Dokumentarkurzfilme zu drehen; erste zwei Spielfilme waren selbstfinanziert
• Durchbruch 1957 mit Paths of Glory, einem der besten Antikriegsfilme überhaupt • sehr wenige Filme (13), aber volle künstlerische Kontrolle und anfangend mit Spartakus (1960) „Big‐Budget‐Produktionen“
– Spartakus der einzige Film, bei dem Kubrick nicht die völlige künstlerische Kontrolle ausübte
– Kubrick profitiert stark vom Zusammenbruch des alten Studiosystems; weil er erwiesenermaßen profitable Filme drehte, konnte er die eigenen Bedingungen diktieren
» allein Barry Lyndon (1975) ein Flop; wirkte dennoch stark auf künftige historische Filme
– in England wohnhaft und arbeitend, um Distanz zum Hollywood‐Studio‐System zu gewähren; Kubrick produziert seine Filme selbst
• Filme durch Symbolik, Perfektionismus und intellektuellen Tiefengang gekennzeichnet
Kubricks Lebenswerk:
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1953: Fear and Desire
1955: Der Tiger von New York (Killer’s Kiss)
1956: Die Rechnung ging nicht auf (The Killing)
1957: Wege zum Ruhm (Paths of Glory)
1960 Spartacus (Spartacus)
1962 Lolita (Lolita)
1963 Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb)
1968: 2001: Odyssee im Weltraum (2001: A Space Odyssey)
1971: Uhrwerk Orange (A Clockwork Orange)
1975: Barry Lyndon (Barry Lyndon)
1980: Shining (The Shining)
1987: Full Metal Jacket (Full Metal Jacket)
1999: Eyes Wide Shut (Eyes Wide Shut)
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2001: A Space Odyssey
– der Kultfilm der 60er Jahre (ursprüngliche Werbungsparole: „The Ultimate Trip“)
– Gilt als einer der besten Filme aller Zeiten und als der beste Science‐Fiction‐
Film überhaupt; Einfluss auf spätere Science‐Fiction‐Epen wie Solaris, Star Wars Close Encounters of the Third Kind, Blade Runner, Alien usw.
– Kubrick schrieb Drehbuch zusammen mit Arthur C. Clarke; geht auf dessen Kurzgeschichte „The Sentinel“ zurück; Clarke schrieb später einen Roman „2001“, der expliziter als der Film ist und von diesem auch abweicht
– „2001“ bricht radikal mit Konventionen des Erzählkinos
– nur 40 Minuten Sprache in 140 Minuten Film – Hauptdarsteller erscheint erst nach 55 Minuten
– keine Erläuterung der Handlung
– „2001“ gewinnt Oscar für Special Effects, die für die Zeit ungewöhnlich aufwendig sind; Kubrick zieht u.a. Wissenschaftler und NASA‐Ingenieure heran, um die Raumfahrtszenen plausibel zu gestalten
– die kritische Rezeption war zunächst gespalten – einige namhafte Kritiker (darunter Pauline Kael von der Zeitschrift New Yorker) hielten den Film für langatmig, prätentiös und inhaltsleer
– der Film war dennoch einen Kassenschlager und erreichte wegen seiner atemberaubenden, psychedelisch wirkenden Kamerafahrten und wegen seiner allegorischen, vieldeutigen Thematik bald Kultstatus
– Kubrick selbst weigert sich, seinen enigmatischen Film zu erklären oder deuten:
Aus: Eric Nordern, „Playboy Interview: Stanley Kubrick“. In: Gene D. Phillips (Hg.), Stanley Kubrick Interviews. Jackson 2001 (urspr. 1968), S. 47‐48.
• Handlung
I.
II.
III.
„Dawn of Man“: Jemand (Außerirdische?) stellt einen Monolithen in der Wüste auf, der Intelligenz und Aggressivität auf einen Urmenschen entweder direkt oder indirekt überträgt. Der Anfang des Menschen wird also mit der Entdeckung des technischen Könnens und der Gewalt gleichgesetzt. „Mondmission“. Höfliche, sich banal verhaltende Menschen im technologischen Zeitalter entdecken einen Monolithen auf dem Mond. Dieser scheint ebenfalls eine höhere Form von Intelligenz auf die technologisch fortgeschrittenen, aber ansonsten banal‐bürgerlich agierenden Menschen zu übertragen; daraufhin erfolgt eine Mission auf den Mond, um den Monolithen zu erforschen. Jupitermission: Daraufhin erfolgt eine weitere Mission zum Jupiter, um der Quelle der Strahlungen nachzugehen. Der mit menschlicher Fürsorge und Heimtücke agierender Computer HAL will die Mission unbedingt durchsetzen. Als HAL befürchten muss, ausgeschaltet zu werden, tötet er den Astronauten Poole und drei andere im Tiefschlaf liegenden Forscher; anschließend wird er vom Astronauten Bowman überlistet, der sein Gedächtnis ausschaltet. „Stargate“‐Sequenz: Bowman fliegt weiter im Weltall und erlebt nach der Begegnung mit einem weiteren Monolithen in einem halbmodernen, halb im Rokoko‐Stil eingerichteten Zimmer seine eigene Alterung und seinen eigenen Tod, um als riesiger Fötus wieder geboren zu werden.
Viermaliges Erscheinen des Monolithen, den man
als eine unendlich offene Gesetzestafel interpretieren kann
• 2001: Kino bildet nicht nur die Zukunft ab, sondern gibt sich auch als Medium des neuen Zeitalters
– eröffnet neue zeit‐räumliche Dimension jenseits der Sprache
• extrem langsamer Schnittrhythmus und Ausrichtung auf quasi‐
abstrakte Kamerafahrten nähert sich dem experimentellen Kino an
• Panorama (Breitwandformat), 70mm‐Format und Stereo üben eine starke sinnliche Wirkung auf den Zuschauer aus • Die Musik von György Ligeti, Richard und Johann Strauß und Aram Chatschaturjan markiert distinktive Stimmungen innerhalb der Handlung:
– Ligeti: chaotische, unentschlüsselbare Neue Musik, die eine religiöse Thematik hat (Kyrie, Requiem) und mit dem Monolith bzw. mit dem leeren Weltall am Anfang verbunden ist
– Johann Strauß‘ Donau‐Walzer verleiht dem Weltraum gut erkennbare zeitlich‐
rhythmische Koordinaten, soll laut Kubrick „schön“ wirken und Klischees von Weltraummusik konterkarieren, – Richard Strauß‘ „Also sprach Zarathustra“ wirkt hoch dramatisch und ist ferner mit dem Thema des Übermenschen im Film verbunden
– Chatschaturjans Ballet (Raumschiffszenen mit Poole und Bowman) vermittelt Langeweile und Leere im Weltraumalltag
– „Daisy Bell“ (das Lied, das der sterbende HAL singt) ist ein populäres Lied des frühen 20. Jahrhunderts und spielt auf romantische Vorstellungen vom Mensch‐
Maschine‐Verhältnis an („But you‘ll look sweet upon the seat of a bicycle built for two“). » „Daisy“ ist auch ein Insider‐Witz für Technologie‐Freaks: es war eines der ersten Lieder, das (1961) von einem entsprechend programmierten Computer generiert wurde; die „Musik“ davon war als Schallplatte erhältlich und Kubrick vermutlich bekannt
• Lesearten von „2001“
I.
Allegorie der menschlichen Entwicklung
– Odysseus‐Epos: mythische Wiederkehr in der Handlung
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Bowman = Anspielung auf Bogen‐Episode aus „Odysseus“
HAL = einäugiger Zyklops, dessen Auge/Hirn „ausgestochen“ wird
Von der ganzen Mannschaft überlebt nur Bowman
Bowman kehrt zurück zur Erde
– Nietzsches „Zarathustra“ und Übermensch
• Überwindung des Menschlichen durch Bowman • „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muß“ (AsZ 199)
• „Aber im Manne ist mehr Kind als im Jünglinge, und weniger Schwermut: besser versteht er sich auf Tod und Leben.“ (AsZ 76)
• Sonnensymbolik wie in „Zarathustra“ (Kapitel „Vor Sonnen‐Aufgang“) , Motiv des „großen Mittags“ (AsZ 277‐279)
• „Das Zarathustra‐Wort vom großen Mittage, und was sonst ich über den Menschen aufhängte, gleich purpurnen zweiten Abendröten“ (AsZ 198)
• der Astronaut Poole („Becken“) fällt in den „unendlichen Brunnen der Ewigkeit“
bzw. des Weltalls (vgl. AsZ 278)
• ewige Wiederkehr des Gleichen am Ende
 Interpretation: Nachdem er HAL ausschaltet und nachdem sein „Doppelgänger“ Poole stirbt, gelangt Bowman in der Stargate‐Episode zur Individuation, er wird zum wahrhaften (Über‐)Menschen, dessen Schicksal allerdings offen bleibt; im Sinne von Nietzsche handelt es sich um eine in ihren Ergebnissen offene Figur der Wiederkehr, die man „ertragen“ muss
zitiert nach: Nietzsche, Also sprach Zarathustra. München: Carl Hanser Verlag 1976.
HAL als Zyklops/ Nietzscheanische Sonne
II.
Parodie und Satire auf die heutige Gesellschaft
– Banalität des Menschlichen
• Gewalt als Grundlage der Zivilisation („Dawn of Man“) und der höheren Intelligenz (HAL)
• Der technologische Mensch als bequemer Langeweiler
• HAL als „menschlichster“ Darsteller
• HAL mit fürsorglichen bzw. mit weiblichen oder mütterlichen Eigenschaften
• HAL zeigt menschliche Gefühle wie Zweifel, Dünkel usw.
• Menschen als Kinder, mit denen HAL spielt (Zeichnen) • die Maschine wird zum Menschen
• maschinelle Geschlechtssymbolik (Jupiter‐Raumschiff als Sperma‐
Zelle usw.) – Banalität der Sprache
• Rede des Wissenschaftlers besteht aus lauter Floskeln; die Möglichkeiten einer sprachlich fundierten Zivilisation scheinen begrenzt zu sein
– Der Stift, der sich im luftleeren Raum dreht, lässt sich auch mit dem Knochen und mit dem Raumschiff assoziieren
• zwischenmenschliche Umgangsformen bleiben banal (Gespräch Floyds mit Tocher, Geburtstagsgrüße der Eltern an Poole)
– Banalität der bürgerlichen Gesellschaft
• amerikanische Großfirmen im Weltall genauso präsent wie auf Erde
Um die Trinkquelle versammelt…
Das Raumschiff als riesige Spermazelle, die
den kosmischen Übermenschen „zeugt“
Doppelung: Ängstliche Augen im Urmenschen und Menschen