Klinikmagazin Universität Jena
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KM-Titel KM-Titel: Page 1 of 2 Parkinson Ambulante videogestützte Parkinson-Therapie: Über ein Videosystem nimmt der Patient seine aktuelle Bewegungsstörung auf, das Video wird dann an den behandelnden Arzt übermittelt, der die medikamentöse Therapie so an die häusliche Situation anpassen kann. Fotos: MVB, Koblenz; Schröder Arztbesuch per Video Medikamente, körperliches Training und Videoaufnahmen unterstützen die Parkinson-Therapie "Unwillkürliche Zitterbewegung bei verminderter Muskelkraft, in Körperteilen, die keine Tätigkeit ausführen, selbst dann, wenn sie unterstützt werden; mit dem Drang, den Rumpf vorzubeugen und vom Gehen zum Laufschritt überzuwechseln; dabei sind Sinne und Verstand unversehrt." Mit diesen Worten charakterisierte im Jahr 1817 der englische Arzt und Apotheker James Parkinson die ursprünglich als Schüttellähmung bezeichnete und später nach ihm benannte Erkrankung, der sich im November die Patientenakademie der Klinik für Neurologie des UKJ widmete. Ein Thema von enormem Interesse, wie der bis auf den letzten Platz gefüllte Hörsaal 9 auf dem Uni-Campus zeigte. Die Neurologin Dr. Almut Jentsch und der Leiter der Bewegungsstörungsambulanz der Klinik, Prof. Dr. Christoph Redecker, informierten die anwesenden Patienten, Angehörigen und Interessierten über frühe Symptome und neue Therapieoptionen der Parkinson-Erkrankung, die mit 200 Fällen auf 100.000 Einwohner zu den verbreitetsten neurologischen Erkrankungen gehört. "Jährlich verzeichnen wir zudem bis zu 20 Neuerkrankungen auf 100.000 Einwohner", sagte Dr. Jentsch. Das Risiko an Morbus Parkinson zu erkranken, erhöht sich mit steigendem Alter, der mittlere Krankheitsbeginn liegt zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr. Erkrankungen Unter-40-Jähriger sind eher selten, Männer sind etwas häufiger als Frauen betroffen. Parkinson-Erkrankungen werden überwiegend durch das primäre oder idiopathische Parkinson-Syndrom verursacht. Dabei handelt es sich um eine fortschreitende Zerstörung der "Substantia nigra", der "schwarzen Substanz" im Gehirn, in deren Zellen der für die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen wichtige Botenstoff Dopamin produziert wird. "Wenn 60 bis 80 Prozent dieser Zellen zugrunde gegangen sind, erkennen wir die typischen Parkinson-Symptome", sagte Dr. Almut Jentsch. Auch Medikamente, vor allem Neuroleptika, die Patienten mit Psychosen benötigen, können Parkinson-Erkrankungen auslösen. Eher selten sind das familiäre und das arteriosklerotische Parkinson-Syndrom nach einem Schlaganfall, ebenso Parkinson-Erkrankungen, die nach Hirntumoren oder -entzündungen, durch Unfälle (bspw. beim Boxen) oder Vergiftungen entstehen. Checkliste unterstützt Diagnostik Bereits zu Beginn des 19. Jh. hatte James Parkinson drei der vier Kardinal-Symptome der Erkrankung erkannt und beschrieben: den Rigor (die Muskelsteifigkeit), den Tremor (das Zittern von Arm und/oder Bein im Ruhezustand) und die Bradykinese (die Bewegungsarmut). "Das vierte Kardinal-Symptom ist die so genannte posturale Instabilität. Darunter verstehen wir Geh- und Haltungsschwächen, die mit Gleichgewichtsstörungen und einer verstärkten Sturzneigung verbunden sind", erläuterte Almut Jentsch. "Allerdings zeigen sich nicht bei jedem Patienten alle Symptome in der gleichen Intensität." Typisch ist außerdem der progrediente (voranschreitende) Verlauf, der auch durch moderne Medikamente nicht gestoppt, sondern lediglich verlangsamt werden kann. Sehr wichtig ist auch beim Morbus Parkinson die Früherkennung, denn je eher die Krankheit erkannt wird, desto effektiver kann sie in den meisten Fällen behandelt werden. Dr. Jentsch verwies auf verschiedene motorische, vegetative, sensible und Befindlichkeitsstörungen, die auf eine Parkinson-Erkrankung hindeuten können. Zu den motorischen Störungen gehört neben der zunehmenden Bewegungsarmut eine gestörte Feinmotorik. Parkinson-Patienten haben Probleme beim Nähen, Stricken oder Basteln, ihre Schrift wirkt ungelenk und wird immer kleiner. Typisch sind auch Stimmveränderungen – die Stimme wird leise und monoton – sowie eine zunehmende Versteifung der Gesichtsmuskulatur, wodurch mit der Zeit ein "Maskengesicht" entsteht. Zu den vegetativen Störungen gehören Verstopfungen, Blasen-, Schluckund Schlafstörungen sowie Störungen der Blutdruck- und Thermoregulation, was unter anderem zu verstärktem nächtlichen Schwitzen führt. Die sensiblen Störungen manifestieren sich vor allem als Riechstörungen, die oftmals schon Jahre vor dem Ausbrechen der Krankheit auftreten und sich besonders deutlich bei den Gewürzen Oregano und Vanille zeigen. Aber auch Farbsehstörungen, Muskelverspannungen und Schmerzen in der Schulter oder im Oberarm zählen dazu. Zu den wichtigsten Befindlichkeitsstörungen gehören depressive Verstimmungen, eine zunehmende Initiativlosigkeit, soziale Rückzugstendenzen, innere Unruhe und Angst sowie Gedächtnisstörungen. "Da die meisten Frühsymptome eher unspezifisch sind, ist es nicht einfach, diese immer richtig zuzuordnen. Helfen kann uns und unseren Patienten eine Checkliste mit 10 sehr präzisen Fragen zur Parkinson-Diagnostik. Denn je früher die Therapie beginnt, desto größer sind unsere Chancen, den Verlauf der Erkrankung zu verzögern", erläuterte Almut Jentsch. Ein sehr wichtiges Instrument zur Parkinson-Diagnostik ist der L-Dopa-Test, bei dem den Patienten ein Dopamin-Präparat verabreicht wird. Verringern sich die Symptome oder verschwinden sie vollständig, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Parkinson-Erkrankung vor. Wirksame Substanzen und Therapien "Wirklich effektive Präparate zur Behandlung der Parkinson’schen Erkrankung gibt es allerdings erst seit reichlich 40 Jahren", sagte Prof. http://www.med.uni-jena.de/klinikmagazin/archiv/km608/kmonline/titel.htm 11.02.2011 KM-Titel Page 2 of 2 Christoph Redecker. "Vor allem in den letzten Jahren wurden verschiedene sehr wirksame Substanzen entwickelt. Zu diesen gehören neue so genannten Dopaminagonisten, Medikamente, die die Wirkung des Dopamin nachahmen und damit den für die meisten Parkinson-Erkrankungen verantwortlichen Dopamin-Mangel im Gehirn ausgleichen. Zur Steigerung der Effektivität können sie mit weiteren Medikamenten kombiniert werden, die wie die COMT- bzw. MAO B-Hemmer, den Dopamin-Abbau im Gehirn verzögern und damit die Wirkung der Dopaminagonisten verlängern." Im Jahr 2006 wurde ein erstes Pflaster mit einem Dopaminagonisten entwickelt, das über die Haut statt über den Magen-Darm-Trakt wirkt und die tägliche Anwendung erleichtert. Ein ausgesprochen innovatives Angebot in der Behandlung von Parkinson-Patienten ist die ambulante videounterstützte Parkinson-Therapie, die es dem Patienten ermöglicht, seinen aktuellen Gesundheitszustand mit der Kamera aufzunehmen und so dem behandelnden Neurologen ein objektiveres Bild seiner Bewegungseinschränkungen im häuslichen Umfeld zu vermitteln. "Bei der Vorstellung in der Ambulanz sehen wir nur eine Momentaufnahme und oft können wir die Beweglichkeit unserer Patienten, die im Tagesverlauf häufig deutlich schwankt, nicht richtig beurteilen. Deshalb haben wir mitunter Probleme, die Medikation optimal einzustellen", Das Team der Bewegungsstörungsambulanz: Dr. Fanny Wurm, Dr. Almut Jentsch, Prof. sagte Prof. Redecker. Bei der ambulanten videounterstützten ParkinsonChristoph Redecker, Schwester Claudia Vollrath; Foto: Schröder Therapie wird in der Wohnung des Patienten für die Dauer von 30 Tagen eine Kamera installiert. Der Patient löst zu festgelegten Zeiten drei- bis viermal täglich eine etwa zweiminütige Videoaufnahme aus und dokumentiert so seine aktuelle Befindlichkeit. Die Videodateien werden dem Arzt nachts über die Telefonleitung übermittelt und bereits am nächsten Tag können eventuell erforderliche Therapie-Änderungen telefonisch besprochen und veränderte Medikationen über den an die Therapie-Einheit angeschlossenen Drucker ausgegeben werden. "Auf diese Weise vermeiden wir diagnostische Fehleinschätzungen, Über- oder Untermedikationen sowie unnötige stationäre Einweisungen", betonte Prof. Redecker. Körperliches Training hilft, motorische Blockaden und Störungen zu überwinden Neben der medikamentösen Behandlung sollten aber auch physio- und ergotherapeutische Maßnahmen, logopädische Übungen und Selbsttrainingsprogramme fester Bestandteil des Therapiekonzeptes sein. "Mit Hilfe aktivierender Übungen können oft auch die Symptome, die sich medikamentös nicht oder nur ungenügend behandeln lassen, wirksam therapiert werden. Dazu gehören vor allem Gleichgewichtsstörungen, motorische Blockaden sowie Sprech- und Schluckstörungen", sagte Christoph Redecker. Regelmäßiges Training in den Phasen guter Beweglichkeit hilft bspw. das Gleichgewicht zu verbessern und Stürze oder Verletzungen zu vermeiden. "Ein optimales Gangtraining ist das Nordic Walking, das Muskelverspannungen löst, den Armschwung verbessert und dabei auch noch die Gelenke schont. Nordic Walking", so Prof. Redecker, "ist für unsere Patienten wesentlich effektiver als das Spazierengehen ohne Stöcke." Zu den Gleichgewichtsübungen gehört unter anderem ein so genanntes "Schubs-Training". Unter Anleitung eines Physiotherapeuten durchgeführt, lassen sich damit die Standsicherheit verbessern und Stürze vermeiden. Der Verbesserung des Gleichgewichts dient auch das Stehen auf einem weichen Untergrund, bspw. einem Kissen. Diese Übungen können auf beiden Beinen oder auf einem Bein, mit offenen oder geschlossenen Augen, im Fersen- oder Zehenstand durchgeführt werden. Im Anschluss an die Vorträge gab es reichlich Zeit für Fragen und Diskussionen. Die etwa 120 Besucher der "Patientenakademie: Morbus Parkinson" erhielten zahlreiche Informationen zur Früherkennung und zu neuen Therapieoptionen. Die bislang erfolgreiche Patientenakademie der Klinik für Neurologie, die sich in diesem Jahr ganz verschiedenen Erkrankungen dieses Fachgebietes widmete, soll auch im nächsten Jahr fortgeführt werden. Der Morbus Parkinson wird dabei wieder ein Thema sein. mv Zehn Fragen zur Früherkennung des Morbus Parkinson 1. Kommt es vor, dass Ihre Hand zittert, obwohl sie entspannt aufliegt? 2. Ist ein Arm angewinkelt und schwingt dieser beim Gehen nicht mit? 3. Haben Sie eine vornüber gebeugte Körperhaltung? 4. Haben Sie einen leicht schlurfenden Gang oder ziehen Sie ein Bein nach? 5. Haben Sie einen kleinschrittigen Gang und kommt es häufig vor, dass Sie stolpern oder stürzen? 6. Leiden Sie an Antriebs- oder Initiativmangel? 7. Haben Sie häufig Rückenschmerzen im Nacken-Schulter-Gürtelbereich? 8. Haben Sie bemerkt, dass Sie sich von Ihren Freunden und Angehörigen zurückziehen, dass Sie Kontakte meiden und zu nichts Lust haben? 9. Haben Sie Veränderungen in Ihrer Stimme bemerkt? Ist diese monotoner und leiser als früher? 10. Haben Sie eine Verkleinerung Ihrer Schrift bemerkt? (Entwickelt vom Ärztlichen Beirat der Deutschen Parkinson Vereinigung, DPV) Bei mehr als drei bejahten Fragen könnten erste Anzeichen des Morbus Parkinson vorliegen. Zurück zum Seitenanfang Zurück zum Hauptmenü Zur Titelseite http://www.med.uni-jena.de/klinikmagazin/archiv/km608/kmonline/titel.htm 11.02.2011