Berliner Zeitung - Eine Krankheit für Einzelgänger

Transcription

Berliner Zeitung - Eine Krankheit für Einzelgänger
Kultur ­ 20.05.2015
BUCH „HERR PARKINSON“ VON RICHARD WAGNER
Eine Krankheit für Einzelgänger
Von Cornelia Geißler
Der Berliner Schriftsteller Richard Wagner leidet seit zwölf
Jahren an Parkinson. Erst jetzt hat er sich entschlossen, ein
Buch darüber zu schreiben, wie sich sein Leben seit der
Diagnose verändert hat. Eine Begegnung mit dem Autor.
Der Schriftsteller Richard Wagner im Garten
seines Wohnhauses in Berlin­Schöneberg
Foto: Benjamin Pritzkuleit
Herr Wagner tanzt. Er steht in der Tür seiner Wohnung, das linke Bein
befindet sich auf dem Boden, das rechte hüpft auf und ab und versetzt
den Mann in Schwung. „Im Grunde war es mein rechtes Bein, das
mich ins Unglück gestürzt hat“, beginnt sein neues Buch, „ohne dieses
Bein wäre mein Leben anders verlaufen.“
Richard Wagner, 1952 im rumänischen Banat geboren und 1987
gemeinsam mit seiner Ehefrau, der späteren
Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller nach West­Berlin ausgereist, hat früher geschrieben und schreibt immer
noch Bücher. Insofern hat sich sein Leben nicht verändert. Das jüngste Buch heißt „Herr Parkinson“. Es handelt
von ihm und einem schlechten Bekannten. Seit nämlich Herr Parkinson Wagners ständiger Begleiter ist, tanzt er
nicht nur zu unpassender Zeit. Er musste auf vieles verzichten.
MIT DEM KOPF WACKELT ER ANDERS
Er setzt sich in einen Ledersessel. So groß und breit ist der, dass Richard Wagner verloren darin wirkt. Der
Schriftsteller hat in seine Wohnung im sechsten Stock eines Hauses in Schöneberg eingeladen, das sich von
anderen Wohnhäusern nur dadurch unterscheidet, dass im Fahrstuhl ein Speiseplan aushängt. Bei Richard
Wagner baumelt neben dem Lichtschalter eine rote Schnur mit einem Plastikwürfel am Ende. Das ist der
Notrufknopf. Den kann er auch in Bad, Küche und Schlafzimmer bedienen.
Richard Wagner spricht ruhig, aber der Körper hält nicht still. Er wackelt mit dem Kopf anders als mit dem Bein.
Das sind die Überbewegungen, erklärt er als Experte in eigener Sache.
„Es gibt Krankheiten, über die in zehn Minuten alles gesagt ist, und es gibt Krankheiten, die nicht zu fassen sind,
mit Worten kaum zu beschreiben, wie es heißt.“ Dieser Satz aus dem Buch klingt wie ein Diktum. Richard
Wagner nimmt sich jedoch die Sprache dafür, dieser Krankheit zu Leibe zu rücken. Ihm war klar, dass er eines
Tages über sie schreiben würde, sagt er. Aber er dachte, er müsse sie besser kennen. Als sein Verleger das
Thema vorschlug, schien es ihm immer noch abwegig. Doch das war der Anstoß.
Tatsächlich sind die Erfahrungsberichte von Betroffenen meist in einer relativ frühen Phase der Krankheit
entstanden „Über Parkinson gibt es nur schlechte Bücher“, sagt Wagner. Er ist nicht diplomatisch in dieser
Sache. „Man hört so oft: Ich habe so viel erlebt, ich könnte einen Roman schreiben. Doch nicht die Erlebnisse
sind der Roman, sondern die Form, wie man erzählt.“
Und so zeugt sein Buch von hohem Formbewusstsein. Die Sprache ist auf das Wesentliche verknappt, viele
Sätze sind so verdichtete Beobachtung, dass sie sich beim Lesen einbohren. „Der Parkinson ist eine Krankheit
für Einzelgänger.“
In allen Winkeln der Seele
Wagner nähert sich dem mysteriösen Herrn in drei Teilen. „Taumel“ ist der erste überschrieben, da sucht der
Erzähler Ärzte auf, die aus den Zeichen des Körpers die Diagnose stellen. Da gibt es auch noch eine Frau, „meine
Liebe“ genannt, sie wird im Laufe des Buches kapitulieren. In diesem Teil erweitert sich das Vokabular des
Erzählers: „Der Tremor, der Rigor, das Freezing, die Dyskinesien.“ Der Tremor, das Zittern, ist das bekannteste
Symptom. Den Kabarettisten Ottfried Fischer veranlasste er zur Aussage, er machte keine Schüttelreime. Der
Rigor, die Versteifung bestimmter Muskelpartien, findet sich auch in dem alten deutschen Wort für die
Krankheit: „Schüttellähmung“. Freezing bezeichnet das plötzliche Erstarren, was den Betroffenen auf der Stelle
festhält. Die Dyskinesien schließlich sind die Überbewegungen, die Richard Wagner tanzen lassen, wenn ihm
nicht danach zumute ist.
„Honeymoon“ heißt der zweite Teil des Bandes. Hier glaubt der Erzähler, sich arrangieren zu können. Er hat ein
Medikament. „Vor dieser Flitterwochenzeit und ihrer Überbewertung kann ich nur warnen.“ Teil drei trägt
denselben Titel wie das Buch: „Herr Parkinson“. Da ist klar, wer gewonnen hat. „Herr Parkinson verwirrt den
Körper und lässt den Kopf zuschauen.“
Ottfried Fischer versuchte es mit Witzen über die Krankheit. Stefan Berg, Redakteur des Spiegel, schrieb nach
der Diagnose eine Erzählung mit dem Titel „Zitterpartie“. Der Schauspieler Michael J. Fox setzt sich für die
Forschung ein. Gunther von Hagens, der Körperwelten­Plastinierer, zeigt im Fernsehen seinen
Hirnschrittmacher. Diese prominenten Betroffenen kommen bei Richard Wagner vor, auch Papst Johannes Paul
II. und Wilhelm von Humboldt.
Im Grunde sei es ein autobiografisches Buch, sagt Richard Wagner, aber keine Autobiografie. War das schwerer
zu schreiben als die anderen Bücher? Wagner antwortet gern in Etappen. Er wirft erst eine einfache Lösung hin
und wartet deren Wirkung ab. „Ich gehe an so ein Buch heran wie an alle anderen, ich überlege mir vorher, wie
ich das mache. Ich bin Berufsschriftsteller. Das ist meine Arbeit.“ Geduld beim Zuhören wird belohnt mit einem
Zweifel: „Aber in den Details ist es hier natürlich etwas anderes. Ich war am Ende nicht sehr froh, aber
zufrieden.“
DIESE SCHLIMMEN SACHEN BENENNEN
Richard Wagner sitzt jetzt ruhig in seinem Sessel, man könnte sein Leiden übersehen, wenn nicht sein Kopf
etwas schiefer auf den Schultern sitzen würde als bei anderen. „Ich bin der Ansicht, wenn man so ein Buch
schreibt, muss man bereit sein, in alle Winkel der Seele zu gehen und das auch zu erzählen. Die Kunst besteht
darin, diese schlimmen Sachen zu benennen, ohne den Leuten einen Schreck einzujagen. Es hat keinen Sinn,
das aufzuschreiben, wenn man nicht klarmacht, wohin das führt.“ Mehrmals gebraucht er im Buch das Wort
„unheilbar“, das weniger deutliche „chronisch“ lässt er weg.
Wie schreibt jemand, dessen Hände mal hierhin, mal dorthin springen? Richard Wagner hatte es mit einem
Sprachprozessor versucht, doch er scheiterte an den vorgegebenen Bausteinen. Ein Schriftsteller kann mit der
automatischen Vervollständigung von Sätzen nichts anfangen. Seine jüngsten drei Bücher habe er wieder am
Laptop getippt: Eine Anthologie mit hundert deutschen Gedichten, seine historisch­literarische „Habsburg“­
Erkundung und nun dieses. Die Tastatur richtig zu treffen, sei eine Herausforderung. „Ich springe beim
Schreiben, da geht mal das Bein hierhin und die Hand trifft dorthin. Aber ich bin ja allein hier, ich kann turnen
so viel ich will.“ Der Laptop steht auf einem Tisch drei Schritte vom Sessel entfernt. Wagner zeigt, wie er die
Platte ausklappt. Manchmal ist es besser, wenn der Tisch größer ist.
„Wer Parkinson sagt, muss als nächstes Fragen beantworten“, schreibt er. Der Name der Krankheit ist geläufiger
als ihre Auswirkungen. Für die meisten Leute sehe er aus, als wäre er betrunken. Kinder hätten Angst vor ihm,
„so wie sie sich früher vor dem Dorfnarr fürchteten“. Halbstarke Jugendliche würden ihn anmotzen. Eine Frau
im Bus, die hinter ihm saß, beklagte sich lautstark bei ihrem Mann über den Zappler. „Eine Zeit lang bin ich auf
die Leute zugegangen und habe es gesagt. Das ging manchmal gut, aber manchmal auch nicht.“ Rund 300.000
Menschen leben in Deutschland mit Parkinson, viele verstecken sich irgendwann.
WIEDER EINE STUFEN­ANTWORT
Richard Wagner ist auch nach seiner Diagnose noch gereist, hat sich eingemischt. Doch als sich ein Streit um
den rumänischen Geheimdienst Securitate zuspitzte, fehlte ihm schon die Kraft, so beharrlich zu sein, wie er es
wollte. Im April 2011 musste er in München vor Gericht aussagen, er verlor den Prozess. Richard Wagner spricht
mit Verbitterung davon. Dass die Richter in München keine Ahnung vom Osten gehabt hätten, regt ihn auf. „Ich
hätte nach Bukarest fahren müssen, um mir die Akten anzusehen. Das konnte ich nicht.“ Ist darüber die
Beziehung zu seiner früheren Frau zerbrochen? Da wählt er wieder eine Stufen­Antwort: „Jeder ist frei zu
entscheiden, ob er jemanden weiterhin sehen will oder nicht. Ich kann das Herta Müller nicht verübeln.“
Getrennt haben sie sich schon 1990. Sie stelle die Dinge, die in Rumänien waren, etwas zugespitzt dar, sagt er.
Und: „Sie mag es nicht, wie ich darüber schreibe.“
Seit zwölf Jahren lebt Richard Wagner mit seiner Krankheit. Mit Parkinson in diesem Stadium kann man nicht
vor einer Schulklasse stehen, kann keine Maschine bedienen, nicht einmal eine Supermarktkasse. Man kann
nicht täglich pünktlich irgendwo zur Arbeit erscheinen. Man wird krankgeschrieben, erhält
Erwerbsminderungsrente, wird schließlich Rentner. „So etwas wie mich sehen die Sozialstaatsregelungen gar
nicht vor“, sagt er, „dass ich als freier Autor versuche, weiterzuarbeiten wie immer."
MITTAGS RUNTER ZUM ESSEN
Was das Schlimmste an seiner Situation sei? „Solch ein Ranking habe ich nicht.“ Richard Wagner sagt, er traue
sich kaum noch allein auf die Straße, seit er einmal mitten auf dem Damm stehengeblieben ist. Die Ampel
sprang auf Rot, aber er kam nicht vom Fleck. Und wie zur Illustration klingelt während unseres Gesprächs das
Telefon. Richard Wagner springt aus dem Sessel auf, aber dann geht er mit winzigen Trippelschritten auf der
Stelle. Plötzlich löst sich die Bewegung wieder, die Schritte werden größer. Er kommt trotzdem zu spät zum
Apparat. Nein, er gehe nicht mehr gern raus. Aber er darf auch nicht steif werden. Vor der Wohnungstür steht
ein Rollstuhl, für den Notfall. Schwierig sei auch das Schlafen. Man könne sich nicht im Schlaf umdrehen. Und
das so wichtige Dopamin, das als Medikament zugeführt wird, bewirkt auch Halluzinationen oder Albträume. „Es
gibt Sachen, die einem große Angst machen und Sachen, die einem eine kleine Angst machen“, sagt er. „Dann
versucht man, sich nur mit denen zu beschäftigen, die nur die kleine Angst machen.“
Richard Wagner stockt. Über die Krankheit zu sprechen ist etwas anderes, als darüber zu schreiben. Solange er
arbeiten könne und seine Bücher habe, gehe es ihm gut, sagt er. Seine Wohnung liegt in einem Haus für
betreutes Wohnen, der Hausarzt hat seine Praxis gegenüber, die Physiotherapeutin kommt zweimal die Woche,
eine Putzfrau auch, die Wäsche wird gewaschen. Mittags geht er runter zum Essen.
Was ist das Schlimmste, wenn fast nichts mehr so ist wie gewohnt? Man kann es sich aussuchen. Er ist immer
zur Berlinale gegangen, betritt aber heute kein Kino mehr, keinen Konzertsaal, kein Theater. „Ich störe da nur.“
Die Leute kämen ja nicht, um ihn zu hören, wie er mit dem rechten Bein den Takt schlage. Der Kulturbetrieb
aber beruhe auf Anwesenheit. „Wenn man als Autor nicht präsent ist, wird man vergessen.“ Er ist nicht
vergessen. Ende Oktober hat Richard Wagner das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der
Bundesrepublik Deutschland bekommen, für sein „bedeutendes literarisches Lebenswerk wie für sein mutiges
Engagement in der rumänischen Opposition“.
Die geliehene Stimme
Anfangs seien noch mehr Kollegen zu Besuch gekommen. Die Freunde seien weniger geworden. „Ich habe volles
Verständnis für die, die aus meinem Leben verschwunden sind“, sagt er und spricht wieder als Experte: „Es
ändert sich alles, die Körperlichkeit. Der Parkinsonkranke hat die Tendenz, sich sehr auf sich selbst zu beziehen,
sein Ego auszuleben, man bekommt sogar ein verstärktes Selbstbewusstsein durch die Medikamente, man
überschätzt sich, obwohl die Behinderung wächst.“ Er müsse aufpassen, seine verbliebenen Freunde nicht zu
sehr auszunutzen. Einer kaufe ein für ihn, einer helfe ihm bei den Formularen, die für alles Mögliche auszufüllen
seien.
Und einer leiht ihm, wenn es sein muss, die Stimme. Wie an dem Tag, als „Herr Parkinson“ im Grünen Salon der
Volksbühne vorgestellt wird. Erst erlischt das Licht und Nancy Sinatra singt: „These Boots Are Made For
Walkin’“. Dann geht der Autor nach vorn, begleitet von seinem Freund Helmuth Frauendorfer, auch aus
Rumänien gekommen, und der Schriftstellerin Felicitas Hoppe. Wagner liest die ersten Sätze aus seinem Buch.
Er wackelt nach rechts, er wackelt nach links. Die Stimme kämpft sich aus dem unruhigen Körper hin zum
Publikum. Es ist seine erste Lesung seit drei Jahren. Helmuth Frauendorfer übernimmt, liest mit großer Ruhe
und demselben osteuropäisch­harten R auf der Zunge weiter.
Etwa fünfzig Leute sind gekommen. Der Grüne Salon ist auch so etwas wie ein Club. An diesem Abend ist das
Durchschnittsalter vermutlich über sechzig. Man sieht Gehhilfen, die an Sesseln lehnen. Manch einer hat sich
unter Mühen die Treppe hochgequält.
Felicitas Hoppe sagt, sie habe sich Sätze angestrichen in dem Buch und irgendwann gemerkt, dass auf jeder
Seite Unterstreichungen waren, kaum noch Zeilen ohne. Richard Wagner weiß, welche Kraft es ihn gekostet
hat, so weit zu kommen. Er erzählt von den vielen Arbeitsgängen, die bei ihm ein Manuskript durchläuft. Von
diesem 144­Seiten­Buch hat er etwa tausend Seiten Manuskript zu Hause, wieder und wieder überarbeitet,
verdichtet, verkürzt. „Kurz heißt nämlich nicht, nicht lang zu sein“, sagt er, „sondern kurz heißt, nicht langweilig
zu sein.“
Artikel URL: http://www.berliner­zeitung.de/kultur/buch­­herr­parkinson­­von­richard­wagner­eine­krankheit­
fuer­einzelgaenger,10809150,30746024.html
Copyright © 2015 Berliner Zeitung

Documents pareils