Sparbereinigung der Einkommensteuer
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Sparbereinigung der Einkommensteuer
Sparbereinigung der Einkommensteuer Eine verfassungsrechtliche Beurteilung DISSERTATION der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Rechtswissenschaft vorgelegt von Patrick Waldburger von Stein (Appenzell Ausserrhoden) Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Klaus A. Vallender und Prof. Dr. Heinz Hauser Dissertation Nr. 2966 Gutenberg Druckerei AG, Schaan Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 14. Juni 2004 Der Rektor: Prof. Dr. Peter Gomez Zahlreiche Personen haben direkt oder indirekt unterstützend gewirkt bei der Ausarbeitung der vorliegenden Dissertation. Die wichtigsten möchte ich an dieser Stelle nennen und ihnen meinen herzlichen Dank aussprechen: Wertvoll war der Kantonsschulunterricht in den Fächern Wirtschaft und Recht, den ich bei Frau Dr. Dorle Vallender geniessen durfte. Dieser Unterricht weckte bereits früh mein Interesse an wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen und vermittelte ein Grundgerüst an Wissen und Vorgehensweise, das weit über die Kantonsschulzeit hinaus Bestand hatte. Es war denn auch in jenem Unterricht, dass ich das erste Mal von der Idee der Sparbereinigung der Einkommensteuer gehört habe. Sodann ist Herr Prof. Dr. Klaus A. Vallender in zweierlei Hinsicht besonders zu erwähnen. Zum einen aufgrund der äusserst lehrreichen (steuerrechtlichen) Assistenztätigkeit, die ich in seinem Lehrstuhl in einer sehr angenehmen Arbeitsatmosphäre verbringen konnte. Zum anderen wegen seiner Betreuung der Dissertation als Hauptreferent. Dabei stand seine Türe stets offen für Fragen und Anliegen und aus Diskussionen mit ihm stammen bedeutende Impulse für die Arbeit. Allgemein war es überaus motivierend, dass Herr Vallender der Ausgangsfrage und dem Vorankommen der Arbeit ein grosses Interesse entgegenbrachte. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Heinz Hauser, der sich freundlicherweise bereit erklärte, das Koreferat zu übernehmen und schon im frühen Stadium wichtige Anregungen gab. Ein ganz besonderer Dank gebührt meiner lieben Mutter. Erst ihre finanzielle Unterstützung ermöglichte mir überhaupt meine akademische Ausbildung. Diese Arbeit wurde anfangs Januar 2004 an der Universität St. Gallen eingereicht. Literatur und Rechtsprechung sind teilweise bis Mitte September 2004 berücksichtigt worden. St. Gallen, im September 2004 Patrick Waldburger Inhaltsübersicht v Inhaltsübersicht Teil I: Übersicht über die Vordenker und Darstellung der verfassungsmässigen Vorgaben 2 § 1 Vordenker A. Thomas Hobbes 2 2 B. John Stuart Mill C. Irving Fisher 3 6 D. Nicholas Kaldor E. Hall/Rabushka 8 9 F. Manfred Rose, Joachim Lang G. Zahlreiche weitere Vorschläge zur konsumorientierten 11 Ausgestaltung der Einkommensteuer § 2 Sparbereinigung und verfassungsmässige Vorgaben für die Steuergesetzgebung A. Formelle Vorgaben B. Inhaltliche Vorgaben Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 12 14 15 18 73 § 3 Das Leistungsfähigkeitsprinzip A. Verankerung im Schweizer Steuerrecht B. Fundamentalprinzip gerechter Steuerlastverteilung C. Geistesgeschichtlicher Hintergrund 73 73 73 75 § 4 Relevanz des Leistungsfähigkeitsprinzips für einen Steuerwechsel A. Fragestellung B. Unbestimmtheit des Leistungsfähigkeitsprinzips C. Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips D. Methodische Konsequenz 78 78 78 80 82 § 5 Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer 84 A. Ausgangsmodell 84 B. Steuergut und Steuerobjekt C. Steuerberechnungsgrundlage 92 97 D. Zeitliche Bemessung E. Steuerprogression 140 150 F. Steuerliche Behandlung des Existenzminimums 163 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 167 § 6 Einbettung in die internationale und nationale Steuerordnung A. Internationaler Kontext 167 167 B. Einbettung in die nationale Steuerordnung § 7 Weitere Überlegungen zur Umsetzung A. Allgemeine Bemerkung B. Ausklammerung der Ersparnisbildung und einzelne Praktikabilitätsfragen Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 188 195 195 196 221 § 8 Kernsätze 221 § 9 Entwurf zur DBG-Anpassung in Richtung sparbereinigte Einkommensteuer 224 Inhaltsverzeichnis vii Inhaltsverzeichnis Teil I: Inhaltsübersicht v Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis vii xvii Materialien xxxi Abkürzungsverzeichnis Einleitung xxxiv 1 Übersicht über die Vordenker und Darstellung der verfassungsmässigen Vorgaben § 1 Vordenker A. Thomas Hobbes B. C. D. E. F. G. John Stuart Mill Irving Fisher Nicholas Kaldor Hall/Rabushka Manfred Rose, Joachim Lang Zahlreiche weitere Vorschläge zur konsumorientierten Ausgestaltung der Einkommensteuer I. Kurzer Überblick II. Ausklammerung der Zinsbereinigung im Folgenden § 2 Sparbereinigung und verfassungsmässige Vorgaben für die Steuergesetzgebung A. Formelle Vorgaben I. Legalitätsprinzip im Abgaberecht 1. Inhalt 2. Wechsel zur Sparbereinigung II. Verfassungsvorbehalt 1. Verankerung der Steuerkompetenzen auf Verfassungsstufe 2. Wechsel zur Sparbereinigung B. Inhaltliche Vorgaben I. Materieller Gehalt der Kompetenznormen 1. Einleitung 2. Materieller Gehalt der einkommensteuerlichen Bundeskompetenz 2 2 2 3 6 8 9 11 12 12 13 14 15 15 15 16 17 17 17 18 18 18 19 Inhaltsverzeichnis viii 2.1. Steuertarif und Steuersubjekt 19 2.1.1. Steuertarif 2.1.2. Steuersubjekt 19 20 2.1.3. Wechsel zur Sparbereinigung 2.2. Steuerobjekt und Steuerberechnungsgrundlage 21 22 2.2.1. Verfassungsmässige Umschreibung des Steuerobjektes und verfassungsmässige Vorgaben hinsichtlich der Berechnungsgrundlage 2.2.2. Wechsel zur Sparbereinigung 22 23 a) Ausschluss einer definitiven Sparbereinigung b) Befristete Sparbereinigung 23 23 aa) bb) Im Grundsatz Anknüpfung an die bestehende Ordnung 23 Implizite steuerliche Ausnahme der marktüblichen Kapitalverzinsung 24 2.3. Zeitliche Bemessung 26 2.3.1. Periodizitätsprinzip im Verhältnis zur Sparbereinigung 26 2.3.2. Zur Frage, ob das Periodizitätsprinzip durch den materiellen Gehalt der Kompetenzbestimmungen vorgegeben ist 27 3. Hinreichende Verfassungsgrundlage für befristete Sparbereinigung 28 II. Inhaltliche Besteuerungsgrundsätze 29 1. Überblick und Fragestellung 29 2. Allgemeinheit der Besteuerung 33 2.1. Inhalt 33 2.2. Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer 35 3. Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 37 4. Allokativ optimale Besteuerung 41 4.1. Problematik 41 4.2. Relevanz für die sparbereinigte Einkommensteuer 43 4.3. Normativer Anspruch 44 4.3.1. Fragestellung 44 4.3.2. Staatszielbestimmungen 46 4.3.3. Konstitutivwirkung der Grundrechte 49 a) Allgemeines 49 b) Wirtschaftsfreiheit 50 c) Eigentumsgarantie 52 Inhaltsverzeichnis 4.3.4. Verhältnismässigkeit 53 4.3.5. Abwägung und Begrenzung 4.4. Ausdrückliche Verankerung in der Verfassung? 54 56 4.4.1. Grundsatzcharakter 4.4.2. Verfassungswürde 56 57 a) Anknüpfung an die Verfassungstradition (1. Kriterium) aa) Bundesebene 58 58 bb) Kantonsverfassungen b) Wesentlichkeit, Wichtigkeit, Grundsätzlichkeit (2. Kriterium) 59 62 c) Inhaltliche Bestimmtheit, Klarheit und Rechtsverbindlichkeit (3. Kriterium) 67 d) Dauerhaftigkeit (4. Kriterium) 69 4.4.3. Ausdrückliche Verankerung als Vorschlag III. Konstitutivwirkung von Grundrechten Teil II: ix Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 70 71 73 § 3 Das Leistungsfähigkeitsprinzip A. Verankerung im Schweizer Steuerrecht B. Fundamentalprinzip gerechter Steuerlastverteilung C. Geistesgeschichtlicher Hintergrund 73 73 73 75 § 4 Relevanz des Leistungsfähigkeitsprinzips für einen Steuerwechsel A. Fragestellung B. Unbestimmtheit des Leistungsfähigkeitsprinzips C. Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips D. Methodische Konsequenz 78 78 78 80 82 § 5 Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer A. Ausgangsmodell I. Grundskizze II. 1. Präzisierung: Zur Belegung von Ersparnisauflösungen und -bildungen III. 2. Präzisierung: Zur Schuldenbehandlung IV. 3. Präzisierung: Zur Kapitalgewinnbesteuerung 1. Ausgangslage 2. Situation bei Sparbereinigung der Einkommensteuer 84 84 84 85 85 86 86 87 Inhaltsverzeichnis x 2.1. Praktikabilitätsprobleme infolge der Steuerfreiheit privater Kapitalgewinne 87 2.2. Praktikabilitätsvorteile bei der Besteuerung von privaten Kapitalgewinnen 2.3. Fazit 88 89 3. Ergänzungen bezüglich der Besteuerung privater Kapitalgewinne bei einer sparbereinigten Einkommensteuer 89 V. Modellhafte Grundidee als Ausgangsbasis B. Steuergut und Steuerobjekt I. II. Begriffliches Einkommen als Hauptsteuergut und -objekt III. Historischer Exkurs: Verzögerte Entwicklung in der Schweiz 91 92 92 93 94 IV. Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer 96 1. Steuergut 96 2. Steuerobjekt 96 C. Steuerberechnungsgrundlage 97 I. Steuerrechtlicher Einkommensbegriff 98 1. Geschichtliche Entwicklung – Reinvermögenszugangstheorie und Quellentheorie 98 2. Einkommensbegriff im DBG 100 2.1. Rechtsprechung 101 2.2. Lehre 101 2.2.1. Pragmatische Vorgehensweise 101 2.2.2. Ablehnung der pragmatischen Vorgehensweise durch die herrschende Lehre 102 2.2.3. Referenz an Markteinkommenskonzept 102 2.2.4. Zuflussprinzip 103 2.3. Geringe Abweichungen in der praktischen Konsequenz 104 II. Gesamtreineinkommensbesteuerung 104 1. Gesamteinkommensteuer 105 2. Reineinkommensteuer 106 2.1. Objektive Leistungsfähigkeit 107 2.2. Subjektive Leistungsfähigkeit 108 III. Behandlung von Ersparnissen und Aufwendungen für Vorsorgeversicherungen im geltenden Einkommensteuerrecht 109 1. Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (1. Säule) 110 Inhaltsverzeichnis 2. Berufliche Vorsorge (2. Säule) xi 112 2.1. Rechtliche Regelung 112 2.2. Die steuerliche Behandlung der Beiträge für die berufliche Vorsorge als bedeutende befristete Sparbereinigung 113 2.3. Leistungsfähigkeitsbezüge der Abzugsfähigkeit von Beiträgen für die berufliche Vorsorge 2.3.1. Obligatorisch zu leistende Beiträge 114 114 a) Durch den Gesetzgeber geschaffene Einkommensbindung b) Durchbrechung des Periodizitätsprinzips und Verkleinerung der 114 Berechnungsgrundlage 2.3.2. Überobligatorische und freiwillige Beitragszahlungen 115 116 2.3.3. Teilweise geübte Kritik an der geltenden Regelung 117 3. Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) 118 4. Freie Selbstvorsorge (Säule 3b) 119 4.1. Abzüge für rückkaufsfähige Lebensversicherungen und Zinsen auf Sparkapitalien 119 4.1.1. Abzüge für Lebensversicherungen 119 4.1.2. Abzüge für Zinsen aus Sparkapitalien 120 4.1.3. Leerlauf der bezweckten Begünstigung des Vorsorgesparens 120 4.2. Freistellung des Ertrags aus rückkaufsfähiger Kapitalversicherung 121 IV. Sparbereinigung 123 1. Nebeneffekt: Besteuerung privater Kapitalgewinne 123 2. Gänzliche Sparbereinigung 123 3. Befristete Sparbereinigung 125 3.1. In erster Linie Frage der zeitlichen Bemessung 126 3.2. Wegfall der marktüblichen Kapitalverzinsung aus der Berechnungsgrundlage 127 3.2.1. Ausgangsproblem 127 3.2.2. Terminologisches: „Beschränkte Zinsausnahme“ 131 3.2.3. Betrachtung im Hinblick auf die Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips 131 a) Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 131 b) Kein Freiraum für einen Wechsel des Leistungsfähigkeitsindikators 132 Inhaltsverzeichnis xii c) Herstellung der Neutralität zwischen Konsum- und Sparentscheidung d) Verfassungsauftrag zur Förderung der Selbstvorsorge 135 137 e) Bereits existierende beschränkte Zinsausnahmen f) Gesamtbeurteilung 138 139 D. Zeitliche Bemessung I. Periodizitätsprinzip und Postnumerandobesteuerung mit Gegen- 140 wartsbemessung Relativierung des Periodizitätsprinzips in der Schweizer 140 II. Rechtsordnung 142 1. Verlustvortrag, Sofortabschreibungen und Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge unselbständig Erwerbender 142 2. AHV (1. Säule) 143 3. Berufliche Vorsorge (2. Säule) 144 4. Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) 145 5. Zur „Gleichheit in der Zeit“ 145 5.1. Einzelne Stimmen in der deutschen Steuerwissenschaft 145 5.2. Entkräftigung durch DORENKAMP 146 5.3. Weitere Anmerkungen mit Bezug auf das Schweizer Steuerrecht 147 III. Wechsel zu einer befristeten Sparbereinigung 148 E. Steuerprogression 150 I. Gesetzeslage 151 II. Rechtsprechung 153 III. Wissenschaftliche Aspekte hinsichtlich Steuerprogression 154 1. Begründungsschwierigkeiten 154 2. Befürwortung in der herrschenden Lehre trotz wissenschaftlicher Begründungsdefizite 155 2.1. Gerechtigkeitsargumente 155 2.2. Sozialpolitische Überlegungen 155 3. Problematik des weitgehenden gesetzgeberischen Progressionsfreiraumes 158 4. Weitere Kritikpunkte 159 IV. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung 160 1. Besteuerung während der Steuerpflicht 161 2. Besteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht 162 Inhaltsverzeichnis F. Steuerliche Behandlung des Existenzminimums I. II. Keine generelle Freistellung des Existenzminimums BGE 122 I 101; Vollstreckungsschutz III. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung xiii 163 163 164 166 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 167 § 6 Einbettung in die internationale und nationale Steuerordnung A. Internationaler Kontext 167 167 I. Persönlicher Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung 168 1. Natürliche Personen mit unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht in der Schweiz 168 1.1. Praktikabilitätsgründe gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf beschränkt Steuerpflichtige 168 1.2. Gleichbehandlungsgründe für die Ausdehnung auch auf beschränkt Steuerpflichtige 169 1.2.1. Ausgangsbeispiel 169 1.2.2. Bilaterales Abkommen über die Personenfreizügigkeit 170 1.3. Folgerungen 173 2. Sonderfragen 174 2.1. Quellensteuerpflichtige natürliche Personen 174 2.1.1. Art. 91 ff. DBG 174 2.1.2. Art. 83 ff. DBG 176 2.2. Aufwandbesteuerung 176 II. Vereinbarkeit mit DBAs 177 III. Umsetzungsmassnahmen im internationalen Verhältnis 178 1. Problemstellung 178 2. Auslandseinkünfte von Steuerinländern 179 2.1. Freistellungsmethode 179 2.1.1. Ausgangslage 179 2.1.2. Progressionsvorbehalt 179 2.1.3. Im Ausland abschliessend besteuertes Einkommen, das gespart wird 179 2.2. Anrechnungsmethode 180 2.2.1. Nettobesteuerung 180 2.2.2. Pauschale Steueranrechnung 181 3. Inlandseinkünfte von Steuerausländern 182 Inhaltsverzeichnis xiv 3.1. Freistellungsmethode 182 3.2. Anrechnungsmethode IV. Wegzugsbesteuerung 182 183 1. Ausgangslage 2. Zentrale Überlegungen DORENKAMPs zur Wegzugsbesteuerung 183 184 2.1. „Bachmann“ 2.2. „Wielockx“ 184 184 2.3. Quintessenz 185 2.4. Steuerstundung und Ratengewährung als Ausfluss des Verhältnismässigkeitsgebots 3. „Hughes de Lasteyrie du Saillant“ 185 186 3.1. Kernaussagen 186 3.2. Auswirkungen auf die obige Argumentation zur Wegzugsbesteuerung B. Einbettung in die nationale Steuerordnung I. 187 188 Verhältnis zur Mehrwertsteuer 1. Befristete „Konsumorientierung“ der Einkommensteuer 2. Überlegungen zur optimalen Allokation II. Gewinnbesteuerung juristischer Personen III. Verhältnis zum kantonalen Steuerrecht 1. Grundzüge 2. Frage des interkantonalen Umzugs 2.1. Ausgangslage 2.2. Lösungsansätze 188 188 189 190 193 193 193 193 194 § 7 Weitere Überlegungen zur Umsetzung A. Allgemeine Bemerkung B. Ausklammerung der Ersparnisbildung und einzelne Praktikabilitätsfragen I. Bestimmung der abzugsfähigen Sparanlagen und deren Geltendmachung 1. Abzugsfähige Sparanlagen 1.1. Geld und Kapitalforderungen jeder Art 1.1.1. 1. Exkurs: Versicherungsmässiges Vorsorgesparen 1.1.2. 2. Exkurs: Darlehensproblematik 1.2. Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen 195 195 196 197 197 198 199 200 201 Inhaltsverzeichnis xv 1.3. Grundeigentum 203 1.4. Sonstige Vermögensanlagen 2. Geltendmachung des Sparabzuges 206 209 3. Hinweis auf die Idee der Verwaltung durch „qualifizierte Sparinstitute“ gemäss LANG 210 4. Konsequenz: Ersatz bestehender Sparbegünstigungen II. Ersparnisse aus nicht der Einkommensteuer unterliegenden oder bereits mit der Einkommensteuer belasteten Vermögenszuflüssen 1. Fragestellung 211 212 212 2. Nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse 213 3. Auflösung von Sparvermögen, das aus nicht steuerbarem Einkommen gebildet wurde bzw. von Vermögensaltbeständen III. Graduelle Einführung? 214 216 IV. Stundungsmöglichkeiten und Sicherungsmassnahmen 1. Stundungsmöglichkeiten 217 217 2. Sicherungsmassnahmen 218 Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 221 § 8 Kernsätze 221 § 9 Entwurf zur DBG-Anpassung in Richtung sparbereinigte Einkommensteuer 224 Literaturverzeichnis xvii Literaturverzeichnis Aaron, Henry J./Galper, Harvey: Assessing Tax Reform, Washington D.C. 1985. Agner, Peter/Jung, Beat/Steinmann, Gotthard: Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Zürich 1995. Alexy, Robert: Theorie der Grundrechte, 2. 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Art. ASA Aufl. BankG anderer Meinung Anmerkung Artikel Archiv für Schweizerisches Abgaberecht Auflage Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (SR BVR bzgl. bzw. ca. 952.0). Betriebs-Berater, Zeitschrift für Recht und Wirtschaft Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Band Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 9. Dezember 1940 Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts Berner Tage für die juristische Praxis Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 8. April 1999 (SR 101) Entscheidungen des Deutschen Bundesverfassungsgerichts Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (SR 831.40) Bernische Verwaltungsrechtsprechung bezüglich beziehungsweise circa DBA DBG Doppelbesteuerungsabkommen Bundesgesetz 1990 über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember (SR ders. d.h. dies. 642.11) derselbe das heisst dieselbe/dieselben diesbzgl. Diss. DStJG EDV diesbezüglich Dissertation Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft Elektronische Datenverarbeitung BB BBl Bd. BdBSt BGE BTJP BV BVerfGE BVG Abkürzungsverzeichnis xxxv EO EStG EStV et. al. EU Erwerbsersatzordnung Deutsches Einkommensteuergesetz vom 16. April 1997 Eidgenössische Steuerverwaltung und andere Europäische Union EuGH EuGHE ev. f./ff. FA FIFO FN Europäischer Gerichtshof Entscheid des Europäischen Gerichtshofs eventuell und folgende (Seite/Seiten) Finanzarchiv first in, first out Fussnote Fr. FS Schweizer Franken Festschrift GG i.c. i.d.R. inkl. insb. IV i.V.m. i.S. i.S.v. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl 1949,1) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Herausgeber/Herausgeberin Verordnung über das Handelsregister vom 7. Juni 1937 (SR 221.411) in casu in der Regel inklusive insbesondere Invalidenversicherung in Verbindung mit im Sinne im Sinne von JöR KS Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Kreisschreiben KV SG/ZH... LeGes Lfg. lit. Mia. Kantonsverfassung St. Gallen/Zürich... Gesetzgebung heute, Mitteilungsblatt der Schweizerischen Gesellschaft für Gesetzgebung Lieferung litera (Buchstabe) Milliarde/Milliarden Mio. m.Vw. Million/Millionen mit Verweis/Verweisen m.w.Nw. m.w.Vw. MwStG N mit weiteren Nachweisen mit weiteren Verweisen Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer vom 2. September 1999 (SR 641.20) Note/Noten HFR Hrsg. HRV Abkürzungsverzeichnis xxxvi NBER National Bureau of Economic Research nBV Nr. Nw. neue Bundesverfassung; Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) Nummer Nachweis/Nachweise NZZ OECD Neue Zürcher Zeitung Organization for Economic Cooperation and Development OECD-MA OR OECD-Musterabkommen Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911/18. Dezember 1936 QStVO (SR 220) Verordnung über die Quellensteuer bei der direkten Bundessteuer vom 19. ST StE StR StRKE Oktober 1993 (SR 642.118.2) Rechenschaftsbericht Rechtsprechung Seite/Seiten Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe sogenannt Systematische Sammlung des Bundesrechts Steuergesetz des Kantons St. Gallen/Appenzell Ausserrhoden... Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (SR 642.14) Der Schweizer Treuhänder Der Steuerentscheid Steuer Revue Entscheid der Steuerrekurskommission StuW StVO SG Steuer und Wirtschaft Steuerverordnung des Kantons St. Gallen vom 20. Oktober 1998 u.a. ÜbBst. URP U.S. U.S.A. v. unter anderen Übergangsbestimmung Umweltrecht in der Praxis United States United States of America von/vom v.a. VE VerwGE vgl. vol. VVDStRL vor allem Vorentwurf Verwaltungsgerichtsentscheid vergleiche volume (Band) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Vw. WuR Verweis/Verweise Wirtschaft und Recht RB Rsp. S. SKOS sog. SR StG SG/A.Rh. ... StHG Abkürzungsverzeichnis xxxvii z.B. zum Beispiel ZBl Ziff. zit. ZSR Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht Ziffer zitiert Zeitschrift für Schweizerisches Recht ZStP z.T. Zürcher Steuerpraxis zum Teil Einleitung 1 Einleitung Die Idee der Sparbereinigung der Einkommensteuer weist eine seltene Langlebigkeit auf. Schon seit Jahrhunderten vermag sie sich auf der finanzwissenschaftlichen Forschungs- und Empfehlungsagenda zu behaupten. Zahlreiche bedeutende Finanzwissenschafter und Staatsphilosophen haben diese Idee bereits untersucht und im Grundsatz auch befürwortet. Dabei beruht die Befürwortung zusammenfassend ausgedrückt auf diversen Gerechtigkeitsüberlegungen sowie auf volkswirtschaftlichen Argumenten. Auch in den aktuellen Diskussionen um Steuerreformen kommt der Idee der Sparbereinigung der Einkommensteuer breite Aufmerksamkeit und Unterstützung zu. Bei der Sparbereinigung der Einkommensteuer geht es darum, dass die aus dem Einkommen gebildeten Ersparnisse von der einkommensteuerlichen Berechnungsgrundlage ausgenommen werden sollen. Erst bei Auflösung der Ersparnisse soll nachgelagert eine Besteuerung greifen. Der wesentliche Unterschied zur geltenden Einkommensteuerordnung ist ein zeitlicher: Während weiterhin die Stromgrösse Einkommen besteuert werden soll, verschiebt sich „lediglich“ der Zeitpunkt des steuerlichen Zugriffes. Die Einkommensteuer wird nicht bei Zufluss, sondern bei konsumtiver Verwendung des Einkommens erhoben. Wird der Frage nachgegangen, ob eine sparbereinigte Einkommensteuer in der Schweiz umgesetzt werden soll bzw. eine Umsetzung verdient, stellt sich aus rechtswissenschaftlicher Sicht vorgängig folgende Ausgangsfrage: Inwiefern ist eine Sparbereinigung der Einkommensteuer überhaupt mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere mit den verfassungsrechtlichen Steuervorgaben in Einklang zu bringen? Dieser Ausgangsfrage wird in der vorliegenden Arbeit weiter nachgegangen, sie bildet den zentralen Untersuchungsgegenstand. Bei der Behandlung dieser Frage wird der Fokus auf die Ebene der Bundessteuer gerichtet. Das heisst, der Untersuchung wird konkret die Frage zugrunde gelegt, wie eine Sparbereinigung der Bundeseinkommensteuer aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beurteilen ist. Anschliessend an diese auf die Bundesrechtsordnung fokussierte Fragestellung wird zudem beleuchtet, ob eine Sparbereinigung im internationalen Umfeld eingebettet werden kann und wie das Verhältnis zum kantonalen Recht zu beurteilen ist. Ausserdem werden ebenfalls noch einzelne Umsetzungs- und Praktikabilitätsfragen erörtert. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 2 Teil I: Übersicht über die Vordenker und Darstellung der verfassungsmässigen Vorgaben § 1 Vordenker „There can be few ideas in the field of economics which are so revolutionary in their implications and yet can look back on so respectable an ancestry.“1 Die bereits Jahrhunderte andauernde Diskussion über die Sparbereinigung der Einkommensteuer wird nachfolgend anhand ausgewählter2 Positionen punktuell vorgestellt3. Dieser geistesgeschichtliche Überblick soll unter anderem dazu beitragen, die Fixierung auf die bestehende Ordnung zu lösen und Grundlagen für eine breitere Betrachtung schaffen. A. Thomas Hobbes In seinem berühmten, 1651 erstmals veröffentlichten staatsphilosophischen Werk „Leviathan“ schnitt HOBBES (1588-1679) auch Steuerfragen an. HOBBES forderte, den Konsum anstatt den Verdienst zu besteuern. Seine Gedanken fasste er in folgende vielzitierte4 Aussage: „...the Equality of Imposition, consisteth rather in the Equality of that which is consumed, than of the riches of the persons that consume the same. For what reason is there, that he which laboureth much, and sparing the fruits of his labour, consumeth little, should be more charged, then he that living idlely, getteth little, and spendeth all he gets; seeing the one hath no more protection from the Common-wealth, then the other? But when the Impositions, are 1 2 3 4 Nicholas Kaldor über die „expenditure tax“, die als sparbereinigte Einkommensteuer ausgestaltet ist; Kaldor, Expenditure Tax, S. 11. Bei der Auswahl wurden v.a. gewichtet: Tiefe der vorgenommenen Studien und historische Bedeutung der Autoren. Siehe auch die Darstellung bei Zumstein, S. 3 ff. Siehe i.S. einer kleinen Auswahl: Kaldor, Expenditure Tax, S. 5; Lang, Konsumbesteuerung, S. 303; Musgrave, S. 40, Zumstein, S. 4 FN 5; Dorenkamp, S. 62. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 3 layd upon those things which men consume, every man payeth Equally for what he useth: Nor is the Common-wealth defrauded, by the luxurious waste of private men.“5 Erwähnenswert ist, dass rund drei Jahrhunderte später auch JOHN RAWLS in “A Theory of Justice” auf vergleichbare Begründungen zugunsten einer (proportionalen) „expenditure tax“ zurückgriff: „Leaving aside many complications, it is worth noting that a proportional expenditure tax may be part of the best tax scheme. For one thing, it is preferable to an income tax (of any kind) at the level of common sense precepts of justice, since it imposes a levy according to how much a person takes out of the common store of goods and not according to how much he contributes (assuming here that income is fairly earned).”6 B. John Stuart Mill JOHN STUART MILL (1806-1873) setzte sich in seinem umfangreichen, 1848 erschienenen Werk „Principles of Political Economy“ ausführlich mit Fragen der Besteuerung auseinander. Die vier Steuergrundsätze von ADAM SMITH7 als Leitplanken heranziehend8, entwickelte er ein eingehend begründetes und differenziertes Steuersystem. In Bezug auf die Einkommensteuer kommt folgender Überlegung zentrale Bedeutung zu: MILL argumentierte, dass der Empfänger von sog. „permanent income“ (z.B. Erträge aus Land- oder Wertschriftenbesitz) über eine höhere Leistungsfähigkeit verfüge als der Empfänger von „terminable income“ (z.B. Arbeitslohn oder Unternehmungsgewinn). Dies auch dann, wenn die Einkommenshöhe identisch sei, da der Empfänger von „terminable income“ Rücklagen für die Familie und einkommenslose Zeiten bilden müsse. Dies im Gegensatz zum Empfänger von „permanent income“, der bereits hohe Reserven besitze, nämlich den Vermögenswert, aus dem das „permanent in- 5 6 7 8 Hobbes, N 181. Aus dem Zitat wird ersichtlich („seeing the one hath no more protection from the common-wealth, then the other“), dass Hobbes die Steuer als Prämie für staatlichen Schutz rechtfertigte und somit als Vertreter der sog. Assekuranztheorie eingestuft werden kann. Vgl. zu den Assekuranztheorien des 16. und 17. Jahrhunderts auch Mann, S. 105 ff.; siehe zur Assekuranztheorie darüber hinaus Tipke/Lang, § 4 N 87. Rawls, S. 246; vgl. auch Dorenkamp, S. 61 f. Smith, S. 786 ff. Grob lassen sich diese Steuergrundsätze wie folgt wiedergeben: 1. Gleichheit der Besteuerung; 2. Voraussehbarkeit der Besteuerung; 3. grösstmögliche Annehmlichkeit („convenience“) der Besteuerung; 4. effizienzoptimale Besteuerung. Mill, S. 805 ff. 4 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben come“ fliesst9. Zur Verwirklichung des 1. SMITHSCHEN Steuergrundsatzes (Gleichheit der Besteuerung) forderte JOHN STUART MILL daher die steuerliche Freistellung des Sparanteils bei „terminable income“10. MILL fügte in einem nächsten Gedankenschritt ergänzend hinzu, dass die undifferenzierte Einkommensbesteuerung ohnehin zu einer unerwünschten Doppelbelastung des Sparanteils führe, da die daraus erzielten Erträge wiederum der Besteuerung unterlägen, während ausgegebenes Einkommen nicht mehr besteuert werde11. Da sowohl das „terminable“ als auch das „permanent income“ von dieser Doppelbelastung betroffen sind, befürwortete MILL eine generelle Sparbereinigung12, das heisst auch mit Bezug auf das „permanent income“. MILL vertrat somit die Ansicht, dass grundsätzlich nur eine Einkommensteuer zu befürworten sei, bei welcher die Ersparnisse von der Steuer ausgenommen würden13. Jedoch befürchtete er, dass eine derart ausgestaltete Steuer ein erhebliches Ausmass an Steuerhinterziehung und Steuerbetrug mit sich führen könnte, weil die vom Steuerpflichtigen tatsächlich gebildeten Sparrücklagen schwierig zu überprüfen seien14. In Weiterentwicklung seiner Ausführungen schlug er daher vor, eine auf die Einkommensquelle angepasste Sollsparrate zu Grunde zu legen und in der Folge das „terminable income“ zu einem tieferen Steuersatz zu besteuern als das „permanent income“. Zu dieser Steuersatzdifferenzierung erklärte MILL, dass der Festsetzung der Relationen zwischen den zwei Steuersätzen unvermeidbar etwas Willkürliches anhafte15. Er schlug dann vor – gestützt auf seine Beobachtung, dass Empfänger von „terminable income“ tendenziell ein Viertel zur Bildung von Sparrücklagen verwen9 10 11 12 13 14 15 Mill, S. 814 f. Mill, S. 815. Diese Überlegung zeigt Nähe auf zur Begründung der höheren Belastung des sog. fundierten Einkommens, d.h. von Vermögenserträgen (Fundustheorie; dazu Tipke/Lang, § 4 N 100 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 775 ff.) , wobei beide im Gegensatz stehen zur aktuell diskutierten und in einigen nordeuropäischen Ländern implementierten dual income-tax. Zur dual income-tax u.a. Sörensen, S. 57 ff.; vgl. auch Kari, S. 1: „Whereas in an ideal global income tax system all economic income is subject to a simple progressive tax schedule, the Nordic innovation made a sharp distinction between capital income an earned income (labour income, pension and social benefits). The former category of income is taxed at a proportional and fairly low rate while the latter is subject to a conventional progressive tax schedule.“ Mill, S. 816. Das Argument der Doppelbelastung des Sparanteils findet sich u.a. wieder auch bei Fisher, dazu gleich unten, § 1 C., S. 6. Mill, S. 816. Mill wird denn auch regelmässig prominent in der Ahnengalerie der Befürworter einer direkten Konsumsteuer angeführt. Siehe u.a.: Kaldor, Expenditure Tax, S. 11; Fisher, Double Taxation, S. 118; Zumstein, S. 6 ff.; Dorenkamp, S. 2 FN 13. Mill, S. 816 f. Mill, S. 817. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 5 deten – den Steuersatz für diese Einkommensart um einen Viertel tiefer anzusetzen als für „permanent income“16. Ein weiteres Kernelement der Einkommensteuerkonzeption von MILL war die steuerliche Freistellung des Existenzminimums, die er aus Gründen der Steuergleichheit – somit ebenfalls in Befolgung des 1. SMITHSCHEN Steuergrundsatzes – forderte17. Im indirekt progressiven Effekt, der bei einem proportionalen Steuertarif in Verbindung mit der Freistellung des Existenzminimums erzielt wird, sah MILL eine genügende Erfüllung des Gebotes der Steuergleichheit und er ging davon aus, dass eine allgemeine Steuerprogression nicht erforderlich sei. Gegen einen progressiv verlaufenden Steuertarif führte MILL auch an, dass es nicht möglich sei, die Ausgestaltung eines solchen wissenschaftlich zu erarbeiten18 und darüber hinaus derjenige bestraft werde, der mehr leiste19. Zusammengefasst schwebte MILL somit eine Einkommensteuer vor mit einem proportionalen Steuertarif unter Freistellung des Existenzminimums und zwei unterschiedlichen Steuersätzen: einen höheren für „permanent income“ und einen tieferen für „terminable income“. Dennoch wandte er sich nach weiteren Überlegungen aus Praktikabilitätsgründen von der Einkommensteuer ab, da er davon ausging, dass es den Steuerbehörden nicht möglich sei, die steuerbaren Einkommen hinlänglich zu erfassen und daher einzig Selbstdeklarationen der Steuerpflichtigen Bemessungsdaten bieten könnten. Diese Selbstdeklarationen seien aber in höchstem Mass unzuverlässig und könnten nicht Grundlage zur Besteuerung bieten20. Aus diesen Gründen wollte MILL trotz den theoretischen Überlegungen, welche für seine Einkommensteuerkonzeption sprachen, auf andere Weise die Staatsmittel beschaffen und nur in Notzeiten die Einkommensteuer erheben21. Namentlich in der „house tax“22 und in einer Steuer auf Luxuswaren (v.a. Importwaren)23, sah MILL Möglichkeiten der Mittelbeschaffung, die ihm praktikabel, aber auch den Steuergrundsätzen von SMITH verpflichtet schienen. 16 17 18 19 20 21 22 23 Mill, S. 817. Zur Behandlung des Existenzminimums im geltenden Steuerrecht siehe unten, § 5 F., S. 163 ff. Mill, S. 810. Mill, S. 810 f. Mill, S. 831 f. Mill, S. 832. Mill, S. 833 ff. mit weiteren Ausführungen und Begründungen. Mill, S. 868 ff. mit weiteren Ausführungen und Begründungen. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 6 C. Irving Fisher Wie JOHN STUART MILL war auch IRVING FISHER (1867-1947) der Ansicht, dass die Besteuerung des Einkommens und der Ersparniserträge eine Doppelbelastung mit sich führe24 und forderte, den Sparanteil von der Besteuerung auszunehmen25. Gegen die Doppelbelastung führte FISHER an, dass sie auf einem unzulänglichen Reineinkommensbegriff beruhe26 und zudem stossend ungerecht sei. Ausserdem verzerre sie die volkswirtschaftlichen Kapitalströme künstlich, da das Sparen und somit auch das Investieren benachteiligt werde, was das Wirtschaftswachstum erheblich beeinträchtige27. FISHER machte darauf aufmerksam, dass bereits zahlreiche bedeutende Ökonomen28 die Problematik der traditionellen Einkommensbesteuerung erkannt hätten und vom Grundsatz her ebenfalls eine sparbereinigte Einkommensteuer, d.h. eine (direkte) „spendings tax“ befürworten würden, aber eine solche Steuer nicht für praktikabel hielten29. Fisher legte jedoch dar, wie das Praktikabilitätsproblem überwunden werden kann: 24 25 26 27 28 29 Fisher, Capital and Income, S. 253: „...whereas the saver is made the victim of that too frequent concomitant of fallacious economic theory, - double taxation; for he is first taxed (...) on his accumulation of capital (...), and thereafter is taxed again on the income which he derives from that same accumulation.“ Er stützte sich dabei auf die Überlegung, dass das Kapital dem diskontierten Einkommenszufluss daraus entspreche und daher wertmässige Identitäten gegeben seien; Fisher, Capital and Income, S. 230 ff. und S. 255; Practical Schedule, S. 106; vgl. aber auch Theory and Practice, S. 56. Kritisch ist anzumerken, dass dies theoretisch-modellhaft stimmen mag, aber faktisch die Kapitalwerte regelmässig nicht abnehmen, wenn Einkommen aus ihnen fliesst. Das kann anhand von Immobilienwerten oder Sparguthaben beispielhaft veranschaulicht werden: Der Ertragszufluss mindert den Grundstock nicht und stellt daher neues, Leistungsfähigkeit indizierendes Einkommen dar. Daher ist auch fragwürdig, ob auf das Verhältnis von Kapital und Kapitalerträgen der von Fisher (Capital and Income, S. 255) zitierte Spruch zutrifft: „You cannot eat your cake and have it too“. Dazu auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 12 Fisher verstand unter Reineinkommen nur den Nutzenzufluss, aber nicht den Zufluss von Kapitalwerten; Fisher, Capital and Income, S. 101 ff.; Practical Schedule, S. 106 ff. Dies hatte wiederum Rückwirkungen auf den Ausschluss des Sparanteils. Dazu Kaldor, Expenditure Tax, S. 80: „If income is to be defined (as Irving Fisher defined it) to mean simply Consumption, the exemption of Savings from 'income taxation' follows, of course, purely as a matter of definition.” Fisher, Capital and Income, S. 253; zum Argument der Wachstumsbeeinträchtigung vgl. auch ders., Income Taxation, S.157 und S. 234 f. Fisher erwähnt John Stuart Mill, Alfred Marshall, Arthur Pigou und Luigi Einaudi; Fisher Income Taxation, S. 166. Fisher, Income Taxation, S. 166. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 7 „It is strange that those who recognize that ‚spendings‘ are the only fair and logical base for taxable income often fail to realize how practical and simple is its application. How do we figure what we spent in a day? We need only two data: 1. The amount we had to spend; that is, what we had or received during the day. 2. The amount we did not spend; that is, the amount left over as determined by counting at the end of the day. (…) We propose, then, to reckon the taxable spendings, not by adding together the separate items spent for food, clothing, rent, amusements, etc., but by adding together the gross receipts from all sources and then deducting all items of outgo other than ‚spendings‘.“30 Für ein gesamtes Steuerjahr kann die Steuerbasis analog ermittelt werden, indem von den addierten jährlichen „gross receipts“ alle nicht unter „spendings“ fallenden Ausgaben abgezogen werden. Gemäss FISHER sollten namentlich Investitionen und die Bildung von Bargeldbeständen als abzugsfähige Ersparnisse gelten31. Daneben wollte FISHER u.a. auch das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und von ihm unterstützter Personen, die Steuerausgaben, medizinische Kosten und gewisse Versicherungskosten zum steuerwirksamen Abzug zulassen32. Ergänzend sah er einen progressiven Tarif vor33 und wollte einer durch die „spendings tax“ begünstigten Akkumulation und Konzentration von Riesenvermögen durch hohe Schenkungs- und Erbschaftssteuern entgegentreten. Jedoch sollte der Vermögensbegründer nach FISHER die Möglichkeit haben, sein Vermögen bzw. Teile davon unbesteuert selbst gewählten gemeinnützigen Zwecken widmen zu können. In Aufnahme der Überlegungen von FISHER legte das U.S.-Schatzamt 1942 unter MORGENTHAU einen Entwurf einer direkten Ausgabensteuer vor, die ergänzend zu den schon bestehenden Steuern hätte erhoben werden sollen und die Kriegsfinanzierung und die Einschränkung des privaten Konsums bezweckte. Der Vorschlag scheiterte jedoch bereits im Finanzausschuss des Senats34. 30 31 32 33 34 Fisher, Income Taxation, S. 166 f.; siehe auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 191 f. und Musgrave, S. 42, welche die Bedeutung dieser Überwindung des „Praktikabilitätsproblems“ deutlich machen. “Investments” und “cash”; Fisher, Income Taxation, S. 169 f. Fisher, Income Taxation, S. 167 ff. Wobei er aber ausdrücklich hervorhob, dass er auch einem proportionalen Steuertarif (flat tax) zustimmen würde, falls dieser nicht zu hoch und die Steuerfreibeträge grosszügig bemessen seien: Fisher, Income Taxation, S. 263 ff. und S. 368 FN 14. Vgl. dazu auch: Zumstein, S. 22 f.; Kaldor, Expenditure Tax, S. 12 f. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 8 D. Nicholas Kaldor NICHOLAS KALDOR (1908-1986) veröffentlichte 1955 das Buch „An Expenditure Tax“, in dem er die Ausgabenbesteuerung untersuchte und mit anderen Steuerarten, insbesondere mit der herkömmlichen Einkommens- und Gewinnbesteuerung, verglich35. Sein Fazit war, dass der Wechsel zu einer Besteuerung des konsumierten Einkommens positive volkswirtschaftliche Auswirkungen habe und insbesondere fördernd sei hinsichtlich der Ersparnisbildung36, der unternehmerischen Risikobereitschaft37 und des Anreizes, Arbeit zu erbringen38. Aber auch aus Gerechtigkeitsüberlegungen39 sei die Einkommensverwendung als Ausgangsgrösse für die Besteuerung zu nehmen. Denn es sei nicht möglich, das zufliessende Einkommen zuverlässig zu erfassen und daraus aussagekräftige Schlüsse über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuersubjektes zu gewinnen, was zu stossenden Ungleichbehandlungen führe. Hingegen liesse sich die Verwendung des Einkommens besser erfassen und gebe Aufschluss darüber, wie leistungsfähig sich das Steuersubjekt selber einschätze40. KALDOR trat nicht für eine sofortige Abschaffung der herkömmlichen Einkommensbesteuerung ein, sondern vermutete erhebliche Administrationsprobleme bei einer Neueinführung einer „Expenditure Tax“. Daher wollte er diese zunächst neben der bisherigen Einkommensteuer einführen und letztere dann graduell abbauen41. Die Überlegungen von KALDOR fanden in der Wissenschaft grosse Beachtung und führten auch zu der (vorübergehenden) Einführung einer „Expenditure Tax“ in Indien und Sri Lanka42. Von erheblicher Bedeutung sind auch KALDORS Ausführungen zur 35 36 37 38 39 40 41 42 Vgl. zur „expenditure tax“ von Kaldor u.a. auch Zumstein, S. 24 f. Kaldor, Expenditure Tax, S. 79 ff. Kaldor, Expenditure Tax, S. 102 ff. “Incentive to Work“; Kaldor, Expenditure Tax, S. 130 ff. Gerade die Gerechtigkeitsüberlegungen waren für Kaldor von grosser Bedeutung und er betrachtete die Mitberücksichtigung von Gerechtigkeitsaspekten als gewichtige Neuerung gegenüber den Untersuchungen seiner Vordenker: „But in fact neither Mill nor any of the other advocates did full justice to the case for an expenditure tax on grounds of equity – they did not even suspect it. This case does not really rest on the element of ‚double taxation‘ of savings involved in an income tax, but arises from more fundamental shortcomings of the concept of ‚income‘ as a measuring-rod of taxable capacity.” Kaldor, Expenditure Tax, S. 13. Kaldor, Expenditure Tax, S. 47. Kaldor, Expenditure Tax, S. 223 ff. Die „Expenditure Tax“ trat in den genannten Ländern neben die herkömmliche Einkommensteuer, wie es Kaldor vorgeschlagen hatte. Administrative Probleme und geringe Erträge führten jedoch 1963 zur Aufgabe in Sri Lanka und 1966 in Indien; Zumstein, S. 26; vgl. auch Seidl, S. 408 FN 8: „These experiments resulted, however, in complete failures, which was certainly also a Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 9 Besteuerung von Unternehmungsgewinnen. Er legte dar, dass Gewinnsteuern längerfristig auf die Konsumenten überwälzt würden. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass die Gewinnsteuern Allokationsineffizienzen hervorrufen, da sie volkswirtschaftliche Entscheidungsprozesse verzerren und etablierte Grossunternehmungen gegenüber „start ups“ begünstigen würden. Daher sei eine direkte Konsumbesteuerung unter Abschaffung der Gewinnsteuer zu empfehlen. Die Belastungswirkungen wären dieselben, die volkswirtschaftlichen Ineffizienzen fielen aber weg43. E. Hall/Rabushka Das Modell der Flat Tax ist (v.a. in den U.S.A.) in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in die Diskussion über Steuerrechtsreformen eingegangen. Das Flat Tax-Modell gewann insbesondere an Bedeutung, weil es in der U.S.-Politik Unterstützung findet44. Als „Väter“ des flat tax-Modells gelten ROBERT HALL und ALVIN RABUSHKA. Sie publizierten 1985 das Buch „The Flat Tax“, in welchem sie Vorschläge machten zur Ausgestaltung eines Systems der Gewinn- und Einkommensbesteuerung45, das ihres Erachtens zu höheren Steuereinnahmen und mehr Gerechtigkeit, weniger Wohlfahrtsverlusten und geringeren Administrationskosten führen sollte. HALL/RABUSHKA streben grundsätzlich eine einfache Form der Gewinn- bzw. Einkommensermittlung an. Die von ihnen vorgeschlagenen Steuerformulare sind beispielsweise nicht grösser als Postkarten46. Bei der Gewinnbesteuerung auf Unternehmungsstufe47 können alle Investitionen ausser den Zinsen48 steuerwirksam vom Ertrag abgezogen werden. Auf 43 44 45 46 47 48 consequence of the backward state of the economy and the tax administration in these countries.“ Vgl. auch Mitschke, S. 52: “Die Erprobung scheiterte an vorhersehbaren Gründen und Umständen, die keinerlei generelle Schlussfolgerungen und Beurteilungen zulassen.”; Kaldor selbst meinte dazu in ders., Reports, S. 238: „In fact, as the example of India shows, it is just as easy to make a mockery of an expenditure tax as it has been with progressive income tax. The Expenditure Tax Bill, introduced by the Finance Minister (...) in 1957, was so severly mauled in its passage through the Lokh Saba (the Indian Parliamant) that the outcome was a joke – incapable of enforcement, and a sheer waste of time for the tax administration.” Kaldor, Expenditure Tax, S. 169 f. Der Tax Reform Act von 1986 unter Reagan nahm z.T. die Anliegen einer „flat rate“ auf (Hall/Rabushka, S. 44). Zudem geht auf die Politiker Armey und Shelby ein Gesetzesvorschlag zur Verwirklichung einer flat tax zurück („The Freedom and Fairness Restoration Act“). Hall/Rabushka in „The Flat Tax“, erstmals publiziert 1985. Hall/Rabushka, S. 52. Inkl. selbständig Erwerbenden; Hall/Rabushka, S. 60 ff. Zinszahlungen sind dafür im Gegenzug beim Empfänger auch nicht steuerbar; Hall/Rabushka, S. 58 und S. 74. 10 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Stufe der Individualbesteuerung werden grundsätzlich Einkommen aus dem Angestelltenverhältnis und Pensionseinkünfte erfasst, nicht hingegen Zinsen, Dividenden oder Kapitalgewinne49. Hinzu kommt, dass jeder Steuerpflichtige einen Existenzminimum-Freibetrag für sich ($ 9‘500 für Alleinstehende, je $ 8‘250 für Verheiratete) und für allfällige von ihm unterstützte Personen ($ 4‘500 pro Person) abziehen kann, ansonsten Abzüge aber nicht erlaubt sind50. Allgemein, d.h. auf Gewinn und Einkommen, soll ein proportionaler51 Steuertarif von 19% greifen52. MÜHL-SCHIMMELE53 bringt hinsichtlich der in dieser Arbeit interessierenden Einkommensteuer den HALL/RABUSHKA-Vorschlag treffend auf den Punkt: „Es handelt sich folglich um eine zinsbereinigte Einkommensteuer, die in Form einer reinen ‚Wage Tax‘ erhoben wird.“ Auch wenn die genannten Autoren argumentieren, ihr Ansatz folge dem Prinzip der konsumorientierten Besteuerung54, ist herauszustreichen, dass nur auf Unternehmungsstufe eine Investitionsbereinigung erfolgt. Auf Einkommensstufe ist hingegen weiterhin der Einkommenszufluss aus unselbständiger Erwerbstätigkeit steuerbar. Damit stellen sich Fragen nach der Gerechtigkeit und es dürfte schwierig zu vermitteln sein, dass zum Beispiel ein nicht berufstätiger „Kapitalist“, der aus Dividenden- oder Zinseinkünften lebt, trotz vorhandener Leistungsfähigkeit der Einkommensbesteuerung entgehen kann55. Zudem legen HALL/RABUSHKA nicht dar, warum sie mit der Besteuerung auf Unternehmungsstufe ansetzen wollen, obwohl die Unternehmungsbesteuerung in der Wissenschaft kritisiert wird56. Insbesondere die Intransparenz darüber, wer letztlich die Last der Unternehmungssteuer trägt sowie die verschiedenen steuervermindernden und -vermeidenden Möglichkeiten der internationalen Steuerplanung und die teilweise Ausbalancierung der Unternehmungssteuern durch Subventionen machen ein Anknüpfen auf Unternehmungsstufe fraglich57. 49 50 51 52 53 54 55 56 57 Hall/Rabushka, S. 58 ff. Hall/Rabushka, S. 59. Daher „Flat Tax“. Hall/Rabushka, S. 59. Mühl-Schimmele, S. 93. Hall/Rabushka, S. viii. Zu den Akzeptanzproblemen einer zinsbereinigten Einkommensteuer auch unten, § 1 G. II., S. 13. Dazu Kaldor oben, § 1 D., S. 8 f., und auch die Ausführungen unten, § 6 B. II., S. 190 ff. Zur Gewinnbesteuerung auch unten, § 6 B. II., S. 190 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben F. 11 Manfred Rose, Joachim Lang Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts intensivierte sich im deutschsprachigen Raum die wissenschaftliche Diskussion bezüglich einer konsumorientierten Umgestaltung der direkten Steuern, wobei u.a. MANFRED ROSE und JOACHIM LANG Hauptbeiträge leisteten. Der Finanzwissenschafter ROSE machte zugunsten der direkten Konsumbesteuerung geltend, die Steuern würden letztlich immer von den Konsumenten getragen, unabhängig davon, wo sie auferlegt werden58. Wie u.a. bereits MILL und FISHER verwies er auf die der traditionellen Einkommensteuer innewohnende Doppelbelastung59. Darüber hinaus führte er an, dass durch einen Wechsel zu einer direkten Konsumsteuer die Ineffizienzen gesenkt werden könnten60, auch die Lastentransparenz besser gewahrt sei61 und zusätzlich Gerechtigkeitsüberlegungen dafür sprächen62. Als eine mögliche Variante, die seines Erachtens am ehesten politische Zustimmung finden dürfte, schlug ROSE vor, bei der Unternehmungssteuer eine (kalkulatorische) Normalverzinsung des Eigenkapitals63 und bei der Individualeinkommensteuer die Zinserträge steuerlich freizustellen64. Aus praxisbezogener Sichtweise ist bedeutend, dass die Vorschläge von ROSE für die Periode 1994-2001 massgeblich Aufnahme in das geltende Steuerrecht Kroatiens fanden65. Der deutsche Steuerrechtsprofessor JOACHIM LANG hat die Bedeutung der volkswirtschaftlichen Diskussion über die Konsumsteuer frühzeitig erkannt und die Untersuchungen von einer rechtswissenschaftlichen Warte aus weiter voran getrieben. LANG 58 59 60 61 62 63 64 65 Nicht nur bei Einkommensteuern, sondern auch bei Unternehmungssteuern stellt gemäss Rose die endgültige Reallast ein Konsumopfer dar; Rose, Plädoyer S. 14. Rose, Plädoyer, S. 24; zu Mill und Fisher vgl. oben, §1 B., S. 3 ff., resp. § 1 C., S. 6 ff.. Rose, Plädoyer, S. 23 ff.; vgl. u.a. S. 25 f.: „...unter Berücksichtigung der intertemporalen Konsumentscheidungen und der Entscheidungen zwischen Konsum und Freizeit hat die traditionelle Einkommensteuer offensichtlich höhere individuelle Nutzenverluste zur Folge als eine persönliche Konsumsteuer.” Rose, Plädoyer, S. 22 f. Rose, Plädoyer, S. 28 ff., m.Vw. auf Kaldor, Expenditure Tax, S. 53. D.h. es handelt sich um eine Sollzinsrate; Rose, Plädoyer, S. 32. Rose, Plädoyer, S. 12 und 30 ff.; vgl. zur zinsbereinigten Einkommen- und Gewinnsteuer auch Hackmann, Vergleich, S. 18 f. (zinsbereinigte Einkommensteuer); Richter, S. 18 ff. (zinsbereinigte Einkommensteuer) und S. 28 f. (zinsbereinigte Gewinnsteuer). Dazu z.B. Gress/Rose/Wiswesser, S. 34 ff.; Dorenkamp, S. 43 inkl. FN 246, mit zahlreichen weiteren Verweisen; vgl. auch Mühl-Schimmele, S. 76 f.; hinsichtlich der Erfahrungen in Kroatien mit der nach einer Sollzinsrate bemessenen Zinsbereinigung der Unternehmungssteuer: Keen/King, S. 401 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 12 fordert, dass in Deutschland das herkömmliche System der Einkommensbesteuerung nebst den volkswirtschaftlichen Gründen auch aus Gerechtigkeitsgründen überdacht werden müsse, da das geltende deutsche Steuerrecht zu kompliziert sei und viele Steuerschlupflöcher biete, die zu einer Ungleichbehandlung führten66. Auch sei gegenwärtig ein übermässiger Konsum auf Kosten der Umwelt und zukünftiger Generationen zu beobachten, was ein zusätzliches Argument zur Besteuerung des Konsums liefere67. Lang erarbeitete einen konkreten Entwurf eines Steuergesetzbuches68, der mit Bezug auf Gewinn- und Einkommensteuern grundsätzlich eine konsumorientierte Besteuerung vorsieht: Unternehmungen können von dem nach regulärer Methode69 ermittelten Gewinn steuerwirksam einen Zinsfreibetrag70 abziehen und bei der Einkommensbesteuerung können nebst einem Existenzfreibetrag auch Spareinlagen vom Einkommen abgezogen werden, die bei einer der Steuerkontrolle unterliegenden Einrichtung (Bank, Versicherung etc.) einbezahlt werden71, 72. G. Zahlreiche weitere Vorschläge zur konsumorientierten Ausgestaltung der Einkommensteuer I. Kurzer Überblick Neben den vorgestellten „klassischen“ Vordenkern und den aktuell bedeutenden Vertretern LANG, ROSE und HALL/RABUSHKA haben sich eine Reihe von weiteren Autoren in den letzten Jahrzehnten mit der Frage nach einer konsumorientierten Ausgestaltung der Einkommensteuer auseinander gesetzt, wobei für die Haushaltsebene entweder Varianten einer sparbereinigten Einkommensteuer (im Sinne der Grundkonzepte von FISHER, KALDOR und LANG) oder Varianten einer zinsbereinigten 66 67 68 69 70 71 72 Lang, Konsumbesteuerung, S. 291 f. Lang, Konsumbesteuerung, S. 292. Lang, Entwurf; diese Arbeit beruht auf dem Auftrag der Bundesrepublik Deutschland, für die Beratung mittel- und osteuropäischer Staaten in Fragen der Steuergesetzgebung ein Mustersteuergesetz auszuarbeiten. Vermögensstandsgewinn, korrigiert um allfällige Einzahlungen/Auszahlungen: Lang, Entwurf, §155 Abs. 1. Dieser soll sich nach dem Eigenkapital bemessen und in Anpassung an Marktzins und Geldwert jährlich neu festgelegt werden: Lang, Entwurf, § 162. Es handelt sich somit wie beim Vorschlag von Rose um eine Sollzinsrate. Lang, Entwurf, N 473; ebenda, § 123. Joachim Lang war ebenfalls an der Beratung Kroatiens beteiligt. Bezüglich Einkommensteuer wurde hingegen von seinem Entwurf einer sparbereinigten Einkommensteuer Abstand genommen zugunsten der von Rose vertretenen zinsbereinigten Einkommensteuer; Seer, S. 308 FN 80. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 13 Einkommensteuer (Grundkonzept HALL/RABUSHKA und ROSE) vorgeschlagen wurden. Mit Bezug auf die sparbereinigte Einkommensteuer sind namentlich die Entwürfe von BRADFORD73, des MEADE-COMMITTEE74, LODIN75, AARON/GALPER76, KAY/KING77 und MITSCHKE78 zu erwähnen, zur zinsbereinigten Einkommensteuer die Vorschläge von MCLURE/ZODROW79 und WENGER80. Bei KAISER findet sich eine konzise Darstellung dieser verschiedenen Reformvorschläge81. Die rege zeitgenössische steuerwissenschaftliche Tätigkeit im Bereich der konsumorientierten Einkommensteuer verdeutlicht, dass eine breite Front von Wissenschaftern die fundamentalen Argumente für eine konsumorientierte Ausrichtung der Einkommensteuer aufnimmt und entsprechend Vorschläge präsentiert werden, damit der empfohlene Steuerwechsel in die Realität überführt werden kann. II. Ausklammerung der Zinsbereinigung im Folgenden Wie bereits in der Einleitung aufgezeigt, stellt in der vorliegenden Arbeit die Sparbereinigung der Einkommensteuer den Untersuchungsgegenstand dar. Auf die oben erwähnte Zinsbereinigung wird dementsprechend nachfolgend nicht weiter eingegangen. Zwei Hinweise sollen hier genügen, um die Grundprobleme des Zinsbereinigungsansatzes anzudeuten: Zum einen ist – was oben anhand der Flat Tax Darlegung fand – fraglich, oder zumindest nicht leicht zu vermitteln, inwiefern der Zinsbereinigungsansatz aus Gerechtigkeitsüberlegungen zu rechtfertigen ist. Das könnte zu erheblichen Akzeptanzproblemen führen82. Illustrativ ist das Beispiel vom reichen Privatier, der von seinen Vermögenserträgen lebt („Kapitalist“), die der Einkommensbesteuerung nicht unterliegen, während das Arbeitseinkommen von Erwerbstätigen besteuert wird. Zum anderen ist aus ökonomischer Sicht unklar, ob Spar- und Zinsbereinigung zu einer Belastungsäquivalenz des Steuerpflichtigen führen. DORENKAMP führte anhand 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 Bradford/US Treasury Tax Policy Staff, “Blueprints for Basic Tax Reform”. Meade, S. 175 ff. Lodin, “Progressive Expenditure Tax – an Alternative?”. Aaron/Galper, S. 66 ff. Kay/King, S. 88 ff. Mitschke, S. 53. Betrifft in erster Linie die Behandlung von Erbschaften und Schenkungen bei einer zinsbereinigten Einkommensteuer: McLure/Zodrow, S. 117 ff.; vgl. auch McLure, S. 309 ff. Wenger, S. 227 ff. Kaiser, S. 75 ff.; siehe auch Dorenkamp, S. 43 mit zahlreichen Nw. Dazu bereits oben, § 1 E., S. 10; Kirchgässner, S. 70; Dorenkamp, S. 51. 14 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben von Modellrechnungen aus, dass bei Investitionsprojekten, deren Rendite über oder unter dem der Zinsbereinigung zugrunde gelegten kalkulatorischen Normalzinssatz liegt, durchaus Belastungsdivergenzen auftreten83. Bei überrentierlichen Investitionen verfügt der Steuerpflichtige bei einer Sparbereinigung über einen höheren Anteil am Investitionsergebnis als bei einer Zinsbereinigung. Demgegenüber verbleibt dem Steuerpflichtigen bei unterrentierlichen Investitionen bei einer Zinsbereinigung ein grösserer Anteil als bei einer Sparbereinigung84. Es überrascht aus diesen Gründen nicht, dass selbst Vertreter des Ansatzes der Zinsbereinigung die theoretische Überlegenheit der Sparbereinigung anerkennen85 und die Zinsbereinigung von den Befürwortern vor allem aus Praktikabilitätsgründen favorisiert wird86. Insbesondere wird diesbezüglich angeführt, dass die Sparbereinigung eine aufwändige Aufzeichnung über verschiedenste Einkommens- und Ausgabenflüsse sowie die Ersparnisbildung erforderlich macht87. In diesem Zusammenhang gelangte jedoch zum Beispiel DORENKAMP in seiner auf das deutsche Steuerrecht bezogenen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die administrativen Nachteile einer Sparbereinigung geringer zu gewichten seien als die Nachteile der Belastungsdivergenz und des Akzeptanzproblems bei der Zinsbereinigung88. § 2 Sparbereinigung und verfassungsmässige Vorgaben für die Steuergesetzgebung Nachdem verschiedene theoretische Überlegungen zur Sparbereinigung der Einkommensteuer vorgestellt wurden, wird nachfolgend näher beleuchtet, ob die Verwirklichung einer Sparbereinigung überhaupt mit den Grundfesten der Schweizer Rechtsordnung verträglich ist. Namentlich wird gefragt, inwiefern eine Sparbereinigung in 83 84 85 86 87 88 Dorenkamp, S. 46 ff. Siehe dazu Dorenkamp, S. 46. Z.B. Rose, einfaches Steuersystem, S. 428: „Als Ökonom präferiere ich die sparbereinigte Einkommensteuer, weil hiermit die effektive und die gewünschte und die finanzpolitisch wünschenswerte Steuerwirkung direkt zusammenfallen.“; vgl. auch Dorenkamp, S. 52, der ebenfalls die Anerkennung der theoretischen Überlegenheit der sparbereinigten Einkommensteuer durch Anhänger der zinsbereinigten Einkommensteuer anführt. Seidl, S. 417 ff.; McLure/Zodrow, S. 134 ff., Rose, Plädoyer, S. 31; vgl. dazu auch Dorenkamp, S. 44 inkl. FN 250. McLure/Zodrow, S. 134 f.; siehe auch Dorenkamp, S. 44; Seidl, S. 433 ff. und S. 441. Dorenkamp, S. 46 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 15 den Rahmen passt, der dem Steuergesetzgeber durch die verfassungsmässigen Vorgaben gezogen wird. Eine Modifizierung der Steuerordnung in Richtung sparbereinigte Einkommensteuer kann nicht frei vorgenommen werden, sondern hat mit den verfassungsmässigen Vorgaben für die Steuergesetzgebung vereinbar zu sein89. Als solche Vorgaben kommen im Wesentlichen die formellen Vorgaben hinsichtlich Normstufe und die inhaltlich lenkenden und begrenzenden Vorgaben in Betracht. Unter die verfassungsmässigen formellen Vorgaben hinsichtlich Normstufe fallen das Legalitätsprinzip im Abgaberecht und der Verfassungsvorbehalt. Zu den verfassungsmässigen inhaltlichen Vorgaben zählen insbesondere der materielle Gehalt der Kompetenznormen, die eigentlichen inhaltlichen Besteuerungsgrundsätze und die steuerrechtlich besonders relevanten Grundrechte. Nachfolgend wird daher untersucht, ob und in welcher Ausgestaltungsform eine Sparbereinigung der Einkommensteuer sich mit dem vielgestaltig strukturierten verfassungsmässigen Rahmengebilde vereinbaren lässt90. A. Formelle Vorgaben I. Legalitätsprinzip im Abgaberecht 1. Inhalt Das die gesamte Schweizer Rechtsordnung beschlagende Legalitätsprinzip91 dient einerseits der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns („no taxation without representation“), verwirklicht andererseits die Ideen der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit (rechtsstaatliche Funktion92) und bezweckt darüber hinaus den Schutz des 89 90 91 92 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Steuergesetzgebung auch die rechtsvergleichende Arbeit von Christian Waldhoff. Zu der Frage der Vereinbarkeit einer Sparbereinigung mit dem Völkerrecht – namentlich den Doppelbesteuerungsabkommen – siehe unten, § 6 A. II., S. 177 f. Diese Problematik wird erst weiter unten behandelt, weil in einem ersten Schritt geprüft werden soll, welche innerstaatliche Möglichkeiten der Steuergesetzgeber hat. Erst nach dieser (autonomen) Betrachtung und daraus fliessenden Schlüssen wird gefragt, inwiefern eine allfällige Sparbereinigung im internationalen Kontext eingebettet werden kann. Vgl. zum Legalitätsprinzip u.a. Cottier, S. 1 ff.; G. Müller, aBV Kommentar N 6 ff. zu Art. 4; Häfelin/Müller, N 368 ff.; Moor, § 16 N 1 ff.; aus rechtsvergleichender Sicht Waldhoff, S. 120 ff. Vgl. aber allgemein zu der – insbesondere im Vergleich zur Demokratieidee – zaghaften Entwicklung und Institutionalisierung des Rechtsstaatsgedanken im Schweizer Recht: Riklin, S. 236 ff.; Riklin/Möckli, S. 66; Waldhoff, S. 108 f. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 16 Einzelnen93. Das Legalitätsprinzip hat im Abgaberecht besondere Beachtung und Ausgestaltung durch die Rechtsprechung erfahren94 und wird nebst seinem Prinzipiengehalt auch als eigenständiges verfassungsmässiges Recht im Sinne von Art. 189 Abs. 1 lit. a BV anerkannt95. Bezüglich Steuern gilt gemäss einer langjährigen und mittlerweile auch in Art. 127 Abs. 1 BV96 kodifizierten Rechtsprechung, dass ohne Ausnahmen die wesentlichen Elemente (Steuersubjekt, Steuerobjekt, Grundzüge der Bemessung) in einem Gesetz im formellen Sinne zu verankern sind97. 2. Wechsel zur Sparbereinigung Das Legalitätsprinzip steht einem Steuerwechsel nicht entgegen, sofern die Anforderungen an genügende gesetzliche Verankerung beachtet werden. Das liesse sich durch eine entsprechende Anpassung von Bundessteuergesetz bzw. DBG in Richtung Besteuerung des sparbereinigten Einkommens technisch leicht bewerkstelligen. In Würdigung des oben Ausgeführten wären im Steuergesetz die Grundzüge (Steuersubjekt, -objekt und -mass) der sparbereinigten Einkommensteuer festzulegen. Weiter unten findet sich ein Entwurf, der die Grundstrukturen eines möglichen DBGs skizziert, das die Sparbereinigung der Einkommensteuer vorsieht98. 93 94 95 96 97 98 Zur Multifunktionalität des Legalitätsprinzips: Cottier, S. 14 ff., insb. S. 16 f.; Häfelin/Müller, N 371 ff.; Moor, § 16 N 18 ff.; Vallender, Kausalabgabenrecht, S. 149; Waldburger/Wiederkehr, S. 63. Aus der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtsprechung BGE 128 II 247 (251 f.); BGE 127 I 60 (64 f.); BGE 126 I 180 (182 f.); BGE 125 I 173 (179 f.); BGE 125 I 182 (193); BGE 123 I 248 (249 f.); je mit weiteren Judikaturnachweisen. Vgl. auch Cottier, S. 59 ff.; Widmer, S. 67 ff.; Waldhoff, S. 127 ff.; Waldburger/Wiederkehr, S. 59 ff. Jedoch gilt das Legalitätsprinzip ausserhalb des Abgaberechts nicht als verfassungsmässiges Individualrecht, dessen Verletzung selbständig mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann; siehe dazu BGE 127 I 60 (68) mit weiteren Ausführungen und Judikaturnachweisen. Diese Rechtsprechung kritisiert u.a. Kovacs, S. 10. Vgl. auch die analoge Regelung hinsichtlich Abgaben allgemein in 164 Abs. 1 lit. d BV. Vgl. die in FN 94 angeführte Rsp., welche hinsichtlich des Legalitätsprinzips im Abgaberecht nur für gewisse Arten von Kausalabgaben unter bestimmten Umständen eine Lockerung erlaubt. Vgl. auch Widmer, S. 67; Waldhoff, S. 128 f.; Waldburger/Wiederkehr, S. 65; siehe auch Botschaft VE 96, S. 346. Weiter unten, § 9, S. 224 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben II. Verfassungsvorbehalt 1. Verankerung der Steuerkompetenzen auf Verfassungsstufe 17 Bei den Bundessteuern werden an die gesetzliche Grundlage Anforderungen gestellt, die über das allgemeine, eine formell-gesetzliche Grundlage fordernde Legalitätsprinzip hinausreichen: Es ist die Verankerung auf der höchsten Normstufe, das heisst in der Verfassung, erforderlich. Damit wird der bundesstaatlichen Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen nachgelebt, welche vorsieht, dass nur durch Einzelermächtigung in der Bundesverfassung dem Bund Kompetenzen zugeteilt werden können (Art. 3 BV). Diese Kompetenzausscheidung greift auch im Steuerrecht99, und entsprechend müssen die Steuerbefugnisse des Bundes in der BV festgelegt werden. Bemerkenswert ist der konstante Widerwille von Volk und Ständen, für die bedeutendsten Bundessteuern (direkte Bundessteuer und Mehrwertsteuer bzw. deren Vorläufer) dem Bund eine unbefristete Erhebungskompetenz einzuräumen100, weshalb der steuerrechtliche Verfassungsvorbehalt auch eine zeitlich-konditionale Komponente aufweist und von einer befristeten Normgeltung gesprochen werden kann101. 2. Wechsel zur Sparbereinigung Bei der Frage nach der Kompetenzgrundlage für eine Sparbereinigung der Bundeseinkommensteuer wird der Bezug zu den inhaltlichen Vorgaben der Kompetenznormen 99 100 Vallender/Jacobs, S. 72 f.; Blumenstein/Locher, S. 44; Höhn/Waldburger, § 4 N 20; Hangartner, Bundesstaat, S. 403. Vgl. auch Waldhoff, S. 52 ff., insb. S. 56 ff.; Cottier, S. 154 f. In der Lehre wird darauf hingewiesen, dass die BV eine Zweiteilung der Bundeskompetenzordnung konstituiere: Einerseits sei eine Enumeration bzgl. der Bundesaufgaben gegeben. Andererseits dürfe der Bund für die Steuererhebung aber nicht an diese materiellen Aufgabenkompetenzen anknüpfen. Dafür seien vielmehr ausdrückliche Besteuerungskompetenzen in der BV erforderlich. Das Erfordernis der ausdrücklichen Besteuerungskompetenzen wird v.a. mit dem Schutz des kantonalen Steuersubstrats und der begrenzten Mittelzuweisung an den Bund erklärt. Vgl. dazu: Vallender, Besteuerungsbefugnisse, S. 25; Vallender, Lenkungsabgaben, S. 78 f.; Vallender/Jacobs, S. 74; Fleiner, S. 311; Höhn, Aspekte, S. 221. Vgl. bezüglich des Sonderfalles der Lenkungsabgaben: Vallender/Jacobs, S. 74 ff.; Beusch, S. 112 ff.; Kappeler, S. 111. Bis heute ist „jeder Versuch, eine Umsatzsteuer (Mehrwert- oder Warenumsatzsteuer) und direkte Bundessteuer unbefristet in der Verfassung zu verankern, in der Abstimmung von Volk und Ständen gescheitert (...). Seit 1945 ist das nicht weniger als fünfmal geschehen.“ Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 18 zu Art. 41ter; siehe ebenda, N 17 f., auch mit Hinweis auf kritische Stimmen und deren Entgegnung; siehe zur Befristung auch: Vallender, Besteuerungsbefugnisse, S. 26; ders., BV Kommentar, N 33 ff. zu Art. 128; Waldhoff, S. 65; Blumenstein/Locher, S. 44 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 18 offensichtlich. Wie gleich nachfolgend näher dargelegt wird, sind in den steuerlichen Kompetenznormen auch verschiedene inhaltliche Vorgaben an den Gesetzgeber enthalten102. Dies gilt auch für die Kompetenznorm hinsichtlich der Bundeseinkommensteuer (Art. 128 BV): Durch die Kompetenznorm sind inhaltliche Züge der Ausgestaltung der Bundeseinkommensteuer vorgegeben. Zur Beantwortung der Frage, ob eine genügende Verfassungsgrundlage für eine Sparbereinigung der Einkommensteuer vorliegt, ist daher zunächst zu beleuchten, welche inhaltlichen Vorgaben für die Einkommensteuer in der Bundesverfassung zu finden sind. Erst anschliessend kann eine Aussage darüber getroffen werden, inwiefern eine sparbereinigte Einkommensteuer mit den verfassungsmässigen inhaltlichen Vorgaben übereinstimmt und bereits eine genügende Kompetenzgrundlage findet. Andernfalls wäre auf dem Weg der Verfassungsänderung eine ausreichende Kompetenzgrundlage zu schaffen. Infolge des aufgezeigten schrittweisen Vorgehens wird die Frage nach dem Verfassungsvorbehalt erst im folgenden Kapitel (unter B. I. 3.) beantwortet, nachdem die inhaltlichen Vorgaben für die Einkommensteuer näher untersucht wurden. B. Inhaltliche Vorgaben I. Materieller Gehalt der Kompetenznormen 1. Einleitung Wie eben erwähnt, muss die Steuererhebungskompetenz dem Bund auf höchster Normstufe, d.h. in der Verfassung zugesprochen werden. Durch die Befolgung dieser formellen Vorgabe erwachsen dem Bundesgesetzgeber auch inhaltliche Vorgaben: Werden die Bundessteuerkompetenzen in der Verfassung verankert, erfolgen erste inhaltliche Konturierungen der zulässigen Steuern. Es handelt sich mit den Worten von PAUL KIRCHHOF um eine „Vorformung der Gesetzesinhalte durch den kompetenzrechtlichen Sachbereich“103. In der deutschen Lehre wurde in diesem Zusammenhang der Ausdruck des „materiellen Gehalts“ der steuerlichen Kompetenznormen geprägt104. Vor diesem Hintergrund kann zum einen allgemein untersucht werden, wel- 101 102 103 104 Gemäss Art. 196 Ziff. 13. ÜbBst. zu Art. 128 BV und Ziff. 14 ÜbBst Abs. 4 zu Art. 130 BV ist die aktuelle Bundesfinanzordnung bis Ende 2006 befristet. § 2 B. I., S. 18 ff. Kirchhof, Besteuerungsgewalt, S. 72; siehe auch Waldhoff, S. 183. Waldhoff, S. 182 ff., mit zahlreichen Verweisen. Wie Waldhoff, S. 182 f., mit Bezug auf die deutsche Lehre ausführt, ist diese Terminologie von den üblichen unter den Stichwörtern „materielles“ Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 19 cher Steuerbegriff durch die Verfassung skizziert wird105, zum anderen eröffnet sich die Frage nach der inhaltlichen „Vorformung“ der einzelnen Steuern. Für die vorliegende Arbeit ist letztere Fragestellung relevant und zwar mit Blick insbesondere auf die inhaltliche Vorformung der Einkommensteuer durch die Kompetenznorm von Art. 128 BV. 2. Materieller Gehalt der einkommensteuerlichen Bundeskompetenz 2.1. Steuertarif und Steuersubjekt Betreffend Steuertarif und Steuersubjekt der Einkommensteuer sind in der Bundesverfassung relativ bestimmte Vorgaben niedergelegt: 2.1.1. Steuertarif Für den Steuertarif bildet die Festsetzung der Höchstsätze der Bundeseinkommensteuer in Art. 128 Abs. 1 lit. a BV die bedeutendste Vorgabe. Diese Regelung entspricht konstanter Verfassungstradition, wonach für die wichtigsten Steuerarten (i.c. direkte Bundessteuer und Mehrwertsteuer bzw. deren Vorläufer) in der Bundesverfassung Höchstsätze angeführt werden106. Die Festsetzung der Höchstsätze dient – zusammen mit der Auflistung der Steuerarten in der Bundesverfassung – zum einen dem bundesstaatlichen Steuerkompetenzgedanken, das heisst dem Schutz des kantonalen Steuersubstrates107 und der begrenzten Zuteilung von Bundesmitteln108. Sie stellt zum anderen aber auch sicher, dass der politischen Bedeutung der Bundessteuern Rechnung getragen wird und auf höchster Konsensebene unter Entscheidungsbeteiligung von Volk und Ständen die Grundzüge der Bundessteuerordnung verfasst und namentlich der Steuergewalt des Bundes Grenzen gesetzt werden109. 105 106 107 108 109 oder „positives“ Kompetenzverständnis verstandenen Funktionen zu trennen. Bei letzteren handelt es sich um die Frage nach dem Ineinanderwirken von Grundrechten und Kompetenznormen, d.h. um die Frage nach der grundrechtsbeschränkenden Auswirkungen von Kompetenznormen. Waldhoff, S. 183. Vallender, Besteuerungsbefugnisse, S. 27.; Blumenstein/Locher, S. 47 f.; vgl. auch Botschaft VE 96, S. 347, wo auf die hohe politische Bedeutung der Steuerbelastung hingewiesen wird, die zur Aufnahme von Höchstsätzen in die Verfassung geführt hat. Fleiner, S. 311; Vallender, Lenkungsabgaben, S. 79; Vallender/Jacobs, S. 74. Die Begrenzung der Einnahmen wirkt gleichzeitig begrenzend bzw. steuernd auf die Aufgabenverwirklichung des Bundes: Vallender/Jacobs, S. 74. Vallender, BV Kommentar, N 14 zu Art. 128; ders., Besteuerungsbefugnisse, S. 25; Vallender/Jacobs, S. 74; Höhn, Verfassungsmässigkeit, S. 87 f.; Morandi, S. 190 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 20 Während von der erstmaligen Erhebung der direkten Bundessteuer im Jahr 1915 bis zur Finanzordnung 1971 stets die Steuerprogression in der Bundesverfassung vorgeschrieben war, enthält die Verfassung seither keine Vorgabe mehr darüber, ob der Steuertarif proportional oder progressiv auszugestalten ist110. Das ist darauf zurückzuführen, dass Bundesrat und Bundesversammlung 1969 einen Verfassungsentwurf unterbreiteten, der dem eidgenössischen Gesetzgeber Freiheit in der Tarifgestaltung eingeräumt hätte und diesbezüglich keine Höchstsätze mehr vorsah111. Dieser finanzpolitische Vorstoss scheiterte aber 1970 am Ständemehr, und in der Folge wurden in der Finanzordnung 1971 wieder Höchstsätze verankert, die Progression hingegen – mittlerweile unumstrittener Bestandteil der direkten Bundessteuern – wurde nicht mehr aufgenommen. Eine Progressionsvorgabe an den Bundesgesetzgeber existiert daher nicht mehr. Niedergelegt ist aber weiterhin, mit Bezug auf eine anerkanntermassen zulässige progressive Ausgestaltung des Einkommensteuertarifes durch den Bundesgesetzgeber, die Vorschrift zur periodischen Ausgleichung der Folgen der kalten Progression (Art. 128 Abs. 3 BV). Von geringer, wenn auch nicht gänzlich zu vernachlässigender Bedeutung ist das in Art. 128 Abs. 2 BV verankerte „Rücksichtsgebot“, wonach der Bundesgesetzgeber bei der Festsetzung der Tarife auf die Belastung durch die direkten Steuern der Kantone und Gemeinden Rücksicht zu nehmen hat112. 2.1.2. Steuersubjekt Art. 128 Abs. 1 lit. a BV bestimmt als Steuersubjekte der Einkommensteuer die „natürlichen Personen“. Aus dieser Umschreibung folgt, dass grundsätzlich sämtliche natürlichen Personen, unabhängig von Zivilstand und Alter, subjektiv steuerpflichtig sind, sofern die steuerrechtliche Zugehörigkeit zur Schweiz gegeben ist113. Dem entspricht namentlich die Regelung, wonach auch verheiratete Frauen in ungetrennter Ehe, bei denen die sog. „Zusammenveranlagung“ zur Anwendung kommt, Steuersub- 110 111 112 113 Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 106 zu Art. 41ter. Botschaft Änderung der Finanzordnung (1969), S. 749 ff.; vgl. auch a.a.O., S. 1582 f. Dazu Vallender, BV Kommentar, N 27 f. zu Art. 128, m.Vw. u.a. auf Botschaft Änderung der Finanzordnung (1969), S. 749 ff. und S. 770.; vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 20 Vorbemerkungen; Waldhoff, S. 197. So auch der Grundsatz in Art. 3 DBG; vgl. Höhn/Waldburger, § 13 N 18 inkl. FN 16 mit ausdrücklichem Bezug auf Kinder, die unter elterlicher Gewalt stehen. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 21 jekte darstellen114. Ausserdem ist logischer Ausfluss, dass unter elterlicher Gewalt stehende Kinder ebenfalls als Steuersubjekte erfasst werden, wenn auch eine Steuersubstitution durch den Inhaber der elterlichen Gewalt greift115. 2.1.3. Wechsel zur Sparbereinigung Die in der Bundesverfassung zum Ausdruck gelangenden inhaltlichen Vorgaben für Steuertarif und Steuersubjekt stehen einer Sparbereinigung der Einkommensteuer nicht entgegen. Es sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, die bei einer Sparbereinigung eine Abweichung von den genannten inhaltlichen Vorgaben erforderlich machen. Daher können die inhaltlichen Vorgaben bei einem Einkommensteuergesetz (DBG), das eine Sparbereinigung vorsieht, übernommen werden. Es ist demzufolge bei einer allfälligen Abänderung des DBG in Richtung Sparbereinigung bezüglich des Steuertarifs weiterhin an den Höchstsätzen festzuhalten, und bei progressiver Besteuerung ist weiterhin ein Ausgleich der kalten Progression vorzunehmen. Ebenfalls ist dem Gebot zur Rücksichtnahme auf die Belastung durch die direkten Steuern von Kanton und Gemeinden weiter nachzuleben. Als Steuersubjekte sind bei Vorliegen der steuerrechtlichen Zugehörigkeit116 grundsätzlich sämtliche natürlichen Personen zu erfassen. Konkret kann bei einer Abänderung des DBG in Richtung Sparbereinigung mit Blick auf die erläuterten Punkte die geltende DBG-Regelung übernommen werden117. Zusammenfassend ergibt sich: Eine Sparbereinigung der Bundeseinkommensteuer ist mit den inhaltlichen Verfassungsvorgaben für Steuertarif und Steuersubjekt vereinbar und diesbezüglich ist in Art. 128 Abs. 1 lit. a BV eine hinreichende, auch die Sparbereinigung abdeckende Kompetenzgrundlage gegeben. 114 115 116 117 Zur Zusammenveranlagung und zum Einfluss des Gebotes der Gleichbehandlung der Geschlechter (Art. 8 Abs. 3 BV) u.a. Höhn/Waldburger, § 13 N 13; Blumenstein/Locher, S. 77 f. Höhn/Waldburger, § 13 N 18; Blumenstein/Locher, S. 76 f. Bei der Steuersubstitution von Kindern durch den Inhaber der elterlichen Gewalt wird das Einkommen letzterem zugerechnet (Art. 9 Abs. 2 DBG), und diese Person übt alle Rechte und Pflichten im Steuerverfahren aus und haftet primär für die Steuerschulden; siehe die eben genannten Literaturstellen. Liegt hingegen Erwerbseinkommen des Kindes vor, wird dieses nicht dem Inhaber der elterlichen Gewalt zugerechnet, sondern das Kind ist dafür selbständig steuerpflichtig (Art. 9 Abs. 2 DBG), und der Inhaber der elterlichen Gewalt tritt als gesetzlicher Stellvertreter auf; Höhn/Waldburger, § 13 N 19. Vertiefend zur Frage des personellen Anwendungsbereichs der Sparbereinigung unten, § 6 A. I., S. 168 ff. Zum Entwurf eines DBG, das die Sparbereinigung vorsieht, unten, § 9, S. 224 ff. 22 2.2. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Steuerobjekt und Steuerberechnungsgrundlage 2.2.1. Verfassungsmässige Umschreibung des Steuerobjektes und verfassungsmässige Vorgaben hinsichtlich der Berechnungsgrundlage Eine genaue Umschreibung des Steuerobjekts der Einkommensteuer ist in der Bundesverfassung nicht niedergelegt118. In Art. 128 Abs. 1 lit. a BV wird lediglich bestimmt, dass der Bund eine direkte Steuer auf dem „Einkommen“ erheben kann. Eine Konkretisierung dessen, was als steuerbares Einkommen zu verstehen ist, findet sich in der Verfassung jedoch nicht. In der Lehre wird allgemein die Ansicht vertreten, der Verfassungsgeber gehe immerhin von zwei bestimmten inhaltlichen Vorgaben aus, wobei diese thematisch bereits den Bereich der Berechnungsgrundlage119 berühren. Zum einen sei durch den Gesetzgeber grundsätzlich sämtliches Einkommen für steuerbar zu erklären120. Zum anderen sei nur das Reineinkommen zu erfassen121. Letzteres geht auch aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip hervor122 und war in der aBV noch ausdrücklich verankert123. Eine weitere, wenn auch vage Vorformung des Steuerobjekts der Einkommensteuer durch Verfassungsvorgaben ist in der Entstehungsgeschichte der Schweizer Steuerordnung zu erblicken. Es kann davon ausgegangen werden, dass dem Verfassungsgeber, als er 1958 die Einkommensteuer in ordentlichem Verfassungsrecht verankerte124 bzw. 1999 bestätigte125, die bis dahin geltende Einkommensteuerordnung vorschwebte und er die Vorstellung hatte, dass auch nachfolgend die Einkommensbesteuerung diesen Grundzügen entsprechen sollte126. Ebenfalls kann aus der erwähnten Begriffsverankerung bzw. -bestätigung geschlossen werden, der Verfassungsgeber ak- 118 119 120 121 122 123 124 125 126 Vgl. auch Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; Vallender/Höhn, aBV Kommentar, N 93 zu Art. 41ter; Waldhoff, S. 195 inkl. FN 75. Eingehend zur Steuerberechnungsgrundlage unten, § 5 C., S. 97 ff. Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 93 zu Art. 41ter. Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 94 zu Art. 41 ter; Locher, DBG Kommentar, N 13 Vorbemerkungen. Dazu eingehender unten, § 5 C. II. 2., S. 106 ff. Art. 41ter Abs. 5 lit. c aBV. Zur bewegten Vorgeschichte der Kompetenzgrundlage für die Einkommensteuer bzw. allgemein zu den Kompetenzgrundlagen für die direkte Bundessteuer und auch die Mehrwertsteuer (bzw. Warenumsatzsteuer): Blumenstein/Locher, S. 44 f.; Höhn/Vallender, aBV Kommentar, Entstehungsgeschichte zu Art. 41ter. Volksabstimmung vom 16. April 1999. Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 2 zu Art. 41ter. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 23 zeptiere die bis dahin geltende Einkommensteuerordnung stillschweigend als zulässige Ausgestaltungsmöglichkeit. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass dem Gesetzgeber nur grob umrissense Grundvorgaben durch die Verfassung gesetzt sind und ihm bei der Umschreibung des Steuerobjektes und der Berechnungsgrundlage der Einkommensteuer eine erhebliche Gestaltungsfreiheit zukommt127. 2.2.2. Wechsel zur Sparbereinigung a) Ausschluss einer definitiven Sparbereinigung Theoretisch denkbar ist eine definitive Sparbereinigung der Einkommensteuer in der Weise, dass die aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse erst zur Besteuerung gelangen, wenn sie für konsumtive Zwecke verausgabt werden; sei dies durch das ursprünglich sparende Steuersubjekt selbst oder durch dessen Vermögensnachfolger (Erbe/Beschenkter). Eine solche definitive, auch den Vermögensnachfolger erfassende Sparbereinigung stösst sich jedoch an den aufgezeigten Verfassungsvorgaben bezüglich des Steuerobjektes und der Berechnungsgrundlage. Ist grundsätzlich sämtliches Reineinkommen des betreffenden Steuersubjektes zu besteuern, verbietet sich eine steuerfreie Übertragung eines unbesteuerten Einkommensteils – i.c. der aus Einkommen gebildeten Ersparnisse – auf ein anderes Steuersubjekt. Eine definitive, vom Ersparnis bildenden Steuersubjekt losgelöste Sparbereinigung der Einkommensteuer ist daher aufgrund entgegenstehender Verfassungsvorgaben auszuschliessen128. b) Befristete Sparbereinigung aa) Im Grundsatz Anknüpfung an die bestehende Ordnung Nach Ausschluss einer definitiven Sparbereinigung eröffnet sich die Frage, ob eine auf das sparende Steuersubjekt begrenzte Sparbereinigung mit dem materiellen Gehalt der Kompetenznorm vereinbar ist. Eine auf das sparende Steuersubjekt begrenzte Sparbereinigung ist gegeben, sofern die aus eigentlich steuerbarem Einkommen gebildeten 127 128 Zu diesem „Spielraum der Gestaltung“ auch: Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; ders., DBG Kommentar, N 8 zu Art. 1. Vgl. auch Vallender/Jacobs, S. 228 f. Es ist aus dem Kontext zu schliessen, dass die Autoren an der genannten Stelle eine definitive, d.h. über das sparende Steuersubjekt hinaus wirkende Sparbereinigung und nicht die im Nachfolgenden behandelte befristete Sparbereinigung vor Augen hatten. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 24 Ersparnisse steueraufschiebend erst besteuert werden, wenn diese durch das betreffende Steuersubjekt für konsumtive Zwecke (inkl. Schenkungen) ausgegeben werden, oder wenn das Steuersubjekt aus der Steuerpflicht austritt (im Falle von Tod oder Wegzug). Mittels einer derartigen befristeten Sparbereinigung wird den materiellen Vorgaben, wonach sämtliches Reineinkommen der Einkommensbesteuerung zu unterstellen ist, grundsätzlich nachgelebt. Es erfolgt „lediglich“ ein Steueraufschub, der aber nicht über das ursprünglich sparende Steuersubjekt hinaus wirkt. Da bei einer befristeten Sparbereinigung im Grunde nur dieser zeitliche Effekt, das heisst der Steueraufschub, zum Tragen kommt, kann hinsichtlich Umschreibung des Steuerobjektes grundsätzlich weiterhin an die geltende Regelung angeknüpft werden. Durch die gegebene Anknüpfungsmöglichkeit wird auch der Überlegung Rechnung getragen, dass dem Verfassungsgeber bei Erlass bzw. bei Bestätigung der einkommensteuerlichen Kompetenzbestimmungen die inhaltlichen Grundzüge der bis dahin geltenden Einkommensteuerordnung vorschwebten129. bb) Implizite steuerliche Ausnahme der marktüblichen Kapitalverzinsung Es bleibt allerdings darauf hinzuweisen, dass mit dem zeitlichen Aufschub immerhin implizit eine Abweichung vom status quo verbunden ist: Der zeitliche Aufschub führt mit sich, dass die marktübliche Verzinsung auf dem Ersparniskapital, das aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen gebildet wurde, implizit von der Besteuerung ausgenommen wird130, 131. Kurz formuliert gilt, dass bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer die Zinserträge, soweit sie angespart werden, nicht jährlich durch die Einkommensteuer gekürzt werden. Das heisst, das Sparkapital kann ohne Steuerabzug um die vollen Zinserträge weiter anwachsen. Bei einem Barwertvergleich132 zeigt sich, dass das sparende Steuersubjekt durch dieses steuerlich ungehemmte und somit auch schnellere Anwachsen des Sparkapitals von einer Ausnahme der marktüb- 129 130 131 132 Oben, § 2 B. I. 2.2.1., S. 22. Dorenkamp, S. 33 ff.; Homburg, S. 137 f. Diese „beschränkte Zinsausnahme“ wird unten im Zusammenhang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und der Berechnungsgrundlage eingehender behandelt und um Redundanzen zu vermeiden, muss zur tiefergehenden Erläuterung auf weiter unten (§ 5 C. IV. 3.2., S. 127 ff.) verwiesen werden. Auch für verschiedene andere Begriffe, die hier nur angeschnitten werden, muss auf Stellen weiter unten verwiesen werden. Siehe unten, § 5 C. IV. 3.2.1., S. 130. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 25 lichen Kapitalverzinsung von der Besteuerung profitiert. Das Pendant dazu bildet die Situation des Steuergläubigers, dem durch den Steueraufschub seine Einnahmen erst später zufliessen und er einen Zinsnachteil erfährt. Zur Vereinbarkeit mit den materiellen Kompetenzvorgaben kann zusammenfassend Folgendes festgehalten werden: Der Gesetzgeber lebt auch bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer weiterhin den Kompetenzvorgaben bezüglich Steuerobjekt und Steuerberechnungsgrundlage nach und unterstellt grundsätzlich sämtliches Reineinkommen der Besteuerung. Der beschriebene Zinseffekt resultiert erst implizit und steht materiell im Zusammenhang mit dem zeitlichen Steueraufschub. Darüber hinaus sind keine Anzeichen erkennbar, wonach der Verfassungsgeber den Einkommensbegriff auch bezüglich der Frage, wann das zugeflossene Einkommen zu besteuern ist, festlegen wollte133. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet besteht genügend Freiraum für eine zeitlich verschobene Besteuerung inkl. „beschränkter Zinsausnahme“. Darüber hinaus ist die im Bereich der 2. Säule und der Säule 3a bereits bestehende Form der Sparbereinigung zu beachten. Allein mittels der 2. Säule werden durch das versicherungsmässige Vorsorgesparen Sparbeträge steueraufschiebend behandelt, die quantitativ die freie Ersparnisbildung deutlich übersteigen134. Dadurch, dass der Verfassungsgeber anlässlich der BV-Revision daran nichts geändert hat, zeigt sich, dass dem Gesetzgeber ein weiter Freiraum belassen wird bei der steuerlichen Behandlung von gespartem Einkommen. Dieser Freiraum umfasst anscheinend insbesondere auch die zeitlich verschobene Besteuerung. Anzumerken ist, dass dieser Freiraum bzw. die steuerliche Förderung des Sparens infolge des Förderungsauftrags von Art. 111 Abs. 4 BV135 verfassungsmässig gefordert wird. Mit anderen Worten wirkt die Förderungsbestimmung von Art. 111 Abs. 4 BV als Reflex mit ein auf die Skizzierung des verfassungsmässigen Einkommensbegriffes. Dabei liegt freilich nicht einmal eine besondere Förderung, sondern schlicht die Herstellung von Neutralität vor, wenn mit einer Reihe von Ökonomen davon ausgegangen wird, die Sparbereinigung der Einkommensteuer gewährleiste die Besteuerungsneutralität zwischen der Konsum- und Sparentscheidung136. 133 134 135 136 Dazu auch sogleich unten, unter „Zeitliche Bemessung“. Ausführlicher unten, § 5 C. III. 2.2., S. 113 f. Art. 11 Abs. 4 BV: „Er [der Bund] fördert in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Selbstvorsorge namentlich durch Massnahmen der Steuer- und Eigentumspolitik.“ Vgl. dazu die dargestellten entsprechenden Positionen der Vordenker, § 1, S. 2 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 26 Die dargelegten Erwägungen führen insgesamt dazu, auch die mit der befristeten Sparbereinigung verbundene implizite Ausnahme der marktüblichen Kapitalverzinsung von der Besteuerung als mit dem materiellen Kompetenzgehalt hinsichtlich Steuerobjekt und – soweit ein entsprechender materieller Kompetenzgehalt gegeben ist – bezüglich Steuerberechnungsgrundlage als vereinbar zu betrachten. 2.3. Zeitliche Bemessung Da bei einer befristeten Sparbereinigung ein Steueraufschub erfolgt, ist in einem nächsten Schritt zu untersuchen, ob aus dem materiellen Gehalt der einkommensteuerlichen Kompetenznorm von Art. 128 BV Vorgaben zur zeitlichen Bemessung fliessen. Ausdrückliches ist in der Bundesverfassung nicht niedergelegt. Allfällige Vorgaben können sich jedoch ebenfalls aus der Überlegung ergeben, dass der Verfassungsgeber bei Aufnahme bzw. Bestätigung des Begriffes der Einkommensteuer die inhaltlichen Grundzüge der bislang erhobenen Einkommensteuer übernehmen wollte. Konkret ist daher zu prüfen, ob aus dieser stillschweigenden Festschreibung der Grundzüge der bereits bestehenden Einkommensteuerordnung auch zeitliche Bemessungsvorgaben fliessen. 2.3.1. Periodizitätsprinzip im Verhältnis zur Sparbereinigung Bei Anknüpfung an die hergebrachte Einkommensteuerordnung ist offensichtlich, dass mit Bezug auf zeitliche Vorgaben das sog. Periodizitätsprinzip zur Anwendung kommt. Diesem zufolge wird das Einkommen jener Bemessungsperiode zugeordnet, in der es zugegangen ist137. Das Periodizitätsprinzip zieht somit dem Steuerobjekt den zeitlichen Rahmen, indem es regelt, in welcher Periode das Einkommen der Besteuerung zugeführt werden soll. Mit Blick auf eine befristete Sparbereinigung wird klar, dass sich eine damit verbundene überperiodische Sparbereinigung der Einkommensteuer am Periodizitätsprinzip stösst. Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesetzgeber zwingend an das Periodizitätsprinzip gebunden ist, bzw. ob das Periodizitätsprinzip zu den inhaltlichen Grundzügen gehört, die der Verfassungsgeber mittels der Kompetenzbestimmungen dem Gesetzgeber vorgeben wollte. 137 Eingehend zum Periodizitätsprinzip unten, § 5 D., S. 140 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 27 2.3.2. Zur Frage, ob das Periodizitätsprinzip durch den materiellen Gehalt der Kompetenzbestimmungen vorgegeben ist Wie in einem späteren Teil der Arbeit noch eingehend Darstellung findet138, wird in der geltenden Einkommensteuerordnung vom Periodizitätsprinzip als technisch-budgetärer Grundregel ausgegangen. Der Gesetzgeber hat jedoch zahlreiche und weitgehende Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips vorgenommen139. Zu nennen sind diesbezüglich die Möglichkeiten, die Geschäftsverluste auf mehrere Bemessungsperioden vorzutragen und die Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge unselbständig Erwerbender über mehrere Bemessungsperioden zu verteilen, falls die steuerliche Berücksichtigung im Anschaffungsjahr zu unsachgemässen Folgen führen würde, sowie die in bestimmten Kantonen erlaubte Sofortabschreibung140. Sodann ist von erheblicher Bedeutung, dass gemäss DBG die Beiträge für die 2. Säule (berufliche Vorsorge) und in beschränktem Umfang auch bestimmte Einkommensverwendungen für die 3. Säule vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden können141. Im Falle der 2. Säule und der Säule 3a wird die Besteuerung aufgeschoben, bis eine Auszahlung aus der entsprechenden Säule erfolgt. Allein durch den steuerlichen Abzug der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für die 2. Säule wurden 1998-2001 durchschnittlich rund Fr. 29.55 Mia. pro Jahr nicht in der ursprünglichen Einkommensperiode der Besteuerung unterstellt142. Hinzu kommen die Nettokapitalerträge der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule, die ebenfalls steueraufschiebend behandelt143 und erst bei allfälliger Auszahlung von BVG-Leistungen besteuert werden. Die Nettokapitalerträge betrugen 1998-2001 durchschnittlich Fr. 13.85 Mia. pro Jahr144. Damit wurde 1998-2001 im Rahmen der 2. Säule durchschnittlich für rund Fr. 43.4 Mia. pro Jahr die Besteuerung aufgeschoben bis zu einer späteren Auszahlung der gesammelten Kapitalien als 138 139 140 141 142 143 144 Unten, § 5 D., S. 140 ff. Eingehender dazu unten, § 5 D. II., S. 142 ff. Zu diesen Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips unten, § 5 D. II. 1., S. 142 f. Eingehender unten, § 5 D. II. 3. und 4., S. 144 ff. Internet-Quelle: www.bsv.admin.ch/statistik/details/d/svs/bv_1_1.pdf (11.12.2003); siehe die eingehendere Darstellung unter § 5 C. III. 2.2., S. 113 f. Vgl. Art. 80 Abs. 2 BVG. Internet-Quelle: www.bsv.admin.ch/statistik/details/d/svs/bv_1_1.pdf (11.12.2003); siehe die eingehendere Darstellung unter § 5 C. III. 2.2., S. 113 f. 28 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Versicherungsleistung. Eine eingehendere Darstellung dieses gesetzlich verankerten Steueraufschubs findet sich weiter unten145. Aus den verschiedenen Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips geht deutlich hervor, dass der Gesetzgeber das Periodizitätsprinzip nicht als zwingende Vorgabe betrachtet. Insbesondere mit Blick auf die Frage der Sparbereinigung ist hervorzuheben, dass der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung der 2. Säule und die zugehörigen steuerlichen Bestimmungen eine Situation geschaffen hat, in der für die in der Schweiz gebildeten Ersparnisse146 bereits mehrheitlich eine Form der befristeten Sparbereinigung zur Anwendung kommt. Der Gestaltungsfreiraum, den der Gesetzgeber für sich in Anspruch nimmt, indem er das Periodizitätsprinzip nicht als zwingendes Prinzip betrachtet und weitgehende Durchbrechungen vorsieht, wird durch den Verfassungsgeber stillschweigend akzeptiert. Bei der Festlegung der Einkommensbesteuerung in der neuen BV, die am 1. Januar 2000 in Kraft trat, wurden im Prozess der Verfassungsgebung keinerlei Anstrengungen unternommen, dem Gesetzgeber inhaltliche Vorgaben bezüglich der zeitlichen Erfassung des Einkommens zu setzen147. 3. Hinreichende Verfassungsgrundlage für befristete Sparbereinigung Aus den obigen Darlegungen resultiert, dass eine befristete Sparbereinigung i.S. einer auf das sparende Steuersubjekt begrenzten Sparbereinigung mit dem materiellen Gehalt der Kompetenzbestimmungen vereinbar ist148. 145 146 147 148 § 5 C. III. 2., S. 112 ff.; sowie die Würdigung unter dem Aspekt des Periodizitätsprinzips, § 5 D. II. 3., S. 144 ff. Frei gebildete Ersparnisse und BVG-Kapitalien umfassend. Vgl. allgemein zur Bedeutung des „Stillschweigens“ durch den Verfassungsgeber auch Vallender, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 1, wo ausgeführt wird, dass bei Erlass der Bundesverfassung vom 18. April 1999 bzgl. der Einkommensteuerordnung keine Modifizierungen oder Verdeutlichungen angebracht und auch keine Aufträge erteilt wurden, so dass angenommen werde dürfe, dass der Verfassungsgeber die Konkretisierung des Einkommensbegriffes durch den Bundesgesetzgeber als eine verfassungskonforme und sachlich vertretbare Umschreibung bewerte. Vgl. auch Vallender, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 1, der darauf hinweist, dass Art. 128 BV eine sparbereinigte Einkommensteuer zuliesse. Für Deutschland geht Dorenkamp ebenfalls von einer „Finanzverfassungskonformität“ aus; Dorenkamp, S. 73 f.; vgl. auch Vogel, Artikel 106 GG, S. 95, der bezüglich einer direkten Konsumsteuer immerhin erwägen will, „ob solch eine Steuer noch unter den Begriff der Einkommensteuer fiele, sofern sie von einem nach herkömmlichen Grundsätzen ermittelten Einkommen ausgeht und lediglich den Abzug der Ersparnisse vorsieht.“ Kritisch hingegen (mit Bezug auf die deutsche Rechtsordnung und primär eine direkte Ausgabensteuer fokussierend) Birk, Grenzen, S. 359 f. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 29 Mit diesem Ergebnis kann nun eine noch ausstehende Frage bezüglich der formellen Verfassungsvorgaben beantwortet werden: Oben149 wurde die Frage nach einem hinreichenden Verfassungsvorbehalt für die Sparbereinigung der Einkommensteuer offen gelassen, da dafür eine vorgängige Abklärung des materiellen Gehalts der Kompetenzbestimmungen erforderlich war. Durch die entsprechende Abklärung ergibt sich, dass eine dem Verfassungsvorbehalt entsprechende hinreichende Verfasssungsgrundalge für eine auf das sparende Steuersubjekt begrenzte, also für eine befristete Sparbereinigung gegeben ist, nicht jedoch für eine über das sparende Steuersubjekt hinaus wirkende, definitive Sparbereinigung. Sollten allerdings im politischen Prozess ernsthafte Zweifel an einer hinreichenden Verfassungsgrundlage aufkommen, wäre es freilich wünschbar, eine einschlägige Ergänzung des Verfassungswortlautes vorzunehmen. Dazu wäre im Rahmen einer Verfassungsabstimmung vorzuschlagen, die Zulässigkeit einer befristeten Sparbereinigung ausdrücklich in der BV zu verankern. Durch eine solche Abstimmung könnte unter maximaler Berücksichtigung der demokratischen sowie föderalistischen Elemente des Schweizer Bundesstaates auf höchster Normstufe eine klare Legitimation für eine befristete Sparbereinigung geschaffen werden. II. Inhaltliche Besteuerungsgrundsätze 1. Überblick und Fragestellung Die in Art. 127 Abs. 2 BV150 niedergelegten Grundsätze der Allgemeinheit der Besteuerung, der Gleichmässigkeit der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirt149 150 § 2 A. I. 2.2., S. 18. Jedoch mit einer einschränkenden Einleitung (Hervorhebung durch Kursivschrift nur hier): „Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten.“ Damit kommt im Wesentlichen die althergebrachte Ansicht zum Ausdruck, wonach die direkten Steuern eine Besteuerung nach der persönlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (dazu unten, § 3, S. 73) am besten gewährleisten, während bei indirekten Steuern die subjektiven Verhältnisse aufgrund der Konzeption als Objektsteuern nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden. Ob und inwieweit den verfassungsmässigen inhaltlichen Besteuerungsgrundsätzen – und eben insbesondere dem Leistungsfähigkeitsprinzip – auch Geltung bei den indirekten Steuern zukommt, ist umstritten. Da vorliegend nur die Einkommensteuern interessieren, kann auf diesen Themenkomplex nicht weiter eingegangen werden. Eine Übersicht über die (konträren) Lehrmeinungen findet sich bei Senn, S. 134 f. Siehe neuerdings auch BGE 128 I 155 (160): „Dabei ist zu beachten, dass die erwähnten Grundsätze auf die direkten Steuern zugeschnitten sind. Dieser Überlegung hat das Parlament durch Beifügung des Passus ‚soweit es 30 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben schaftlichen Leistungsfähigkeit bilden die klassische Trias der inhaltlichen Besteuerungsgrundsätze. Sie haben sich als steuerspezifische Konkretisierungen des Gleichheitssatzes entwickelt151 und verleihen über den ausdrücklichen Prinzipiengehalt hinaus justiziable Individualansprüche152. Wenn auch in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der genannten Steuergrundsätze nicht von Grundrechten die Rede ist153, stellen sie in ihrem Rechtscharakter verfestigte Grundrechtspositionen dar154, was auch ihrer Ableitung aus dem Grundrecht der Gleichbehandlung entspricht. Darüber hinaus wurde in der jüngeren Rechtsprechung hinsichtlich der Kostenanlastungssteuer eine zusätzliche steuerspezifische Konkretisierung des Gleichheitssatzes herausgearbeitet und eine entsprechende Grundsatzregelung im Sinne einer Forderung nach „Gruppenäquivalenz“ formuliert155. In der Lehre wird daher in Aufgreifung dieser Rechtsprechungsentwicklung zum Teil vorgebracht, die klassische Trias sei mit Bezug auf die Kostenanlastungssteuern um das Prinzip der Gruppenäquivalenz zu erweitern156. Da die Kostenanlastungssteuern für die vorliegende Problemstellung nicht 151 152 153 154 155 156 die Art der Steuer zulässt’ Rechnung getragen (…).“ Siehe ebenfalls das begründete Eintreten für eine allgemeine Leitfunktion des Leistungsfähigkeitsprinzips bei Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 17 und N 38 ff. zu Art. 127. Z.B. BGE 128 I 155 (160); 126 I 76 (78); BGE 122 I 101 (103); BGE 116 Ia 321 (323); je mit Hinweisen auf weitere Judikatur; vgl. darüber hinaus Klett, Gleichheitssatz, S. 58 ff.; Yersin, S. 164 ff.; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 171; Rivier, S. 83; Saladin, Fairness, S. 64 ff. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 134; vgl. auch Senn, S. 112 ff. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; Senn, S. 114, m.Vw. auf Hangartner, Erbschafts- und Schenkungssteuern, S. 72 f. FN 15, der davor warnt, die genannten Steuererhebungsprinzipien als selbständige Grundrechte neben dem Gleichheitssatz zu qualifizieren. Seiner Meinung nach würde dies erhebliche dogmatische Probleme verursachen und könnte der Verfolgung ausserfiskalischer Zielsetzungen entgegenstehen. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 172; Senn, S. 114 m.w.Nw. BGE 128 I 155 (160); BGE 124 I 289 (291 ff.); BGE 122 I 305 (313 ff.). Danach setzen Kostenanlastungssteuern voraus, “dass sachlich haltbare Gründe bestehen, die betreffenden staatlichen Aufwendungen der erfassten Personengruppe anzulasten. Zudem muss die allfällige Abgrenzung nach haltbaren Kriterien erfolgen (…)”, in: BGE 128 I 155 (160); vgl. auch BGE 124 289 (292); BGE 122 I 305 (314): „Il ne saurait cependant mettre à la charge d'un groupe restreint de citoyens des dépenses concernant l'ensemble de la population si ce groupe n’en retire pas un avantage économique particulier ou s’il n’existe pas de motifs objectifs et raisonnables de les mettre à leur charge.“ Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689 f.; Vallender/Jacobs, S. 34 und S. 111; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 28 ff. zu Art. 127; vgl. auch Locher, Verfassungsrecht, § 77 FN 6, der auf Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689 f., verweist. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 31 relevant sind, wird im Folgenden auch nicht weiter auf den Grundsatz der Gruppenäquivalenz Bezug genommen. Für die konkrete Frage nach den verfassungsmässigen Vorgaben bei Umgestaltungen des Steuergesetzes in Richtung sparbereinigte Einkommensteuer steht die programmatische Funktion der genannten Besteuerungsgrundsätze im Vordergrund. Die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung und das Leistungsfähigkeitsprinzip bringen als steuerbezogene Konkretisierungen des Gleichheitssatzes Grundvorstellungen gerechter Steuerlastverteilung zum Ausdruck und bilden in diesem Sinne dem Steuergesetzgeber in verbindlicher Weise Richtungsweiser und Massstab bei der Ausgestaltung einer gerechten Steuerordnung157, 158. 157 158 Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Vallender/Jacobs, S. 11 und S. 26 f.; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 98 f.; ders., Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 16 f.; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 171 f.; Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 134; Senn, S. 110 m.w.Nw. In Übertragung der im deutschen Recht als herrschend anerkannten Wertungsjurisprudenz (BVerfGE, 1 BvR 709/97 v. 22.7.1999, N 21; BVerfGE, 2 BvR 2232/94 v. 28.9.1998, N 17; BVerfGE 98, 169 [200]; BVerfGE 96, 375 [399 f.]; BVerfGE 93, 85 [95]; zur Rechtsprechung auch Schefer, S. 43 f., mit weiteren Angaben und Erläuterungen. In der Lehre sind bedeutende Befürworter: Larenz, S. 119 ff., Canaris, S. 40 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 123 ff.) auf das Steuerrecht haben Tipke/Lang materiale Grundwertungen des Steuerrechts identifiziert und sie in Steuerprinzipien gekleidet, die das „innere System“ (dazu Canaris, S. 40 ff.; Larenz/Canaris, S. 302 ff. (es erscheint demnächst neue, 4. Aufl., wird eingearbeitet sobald verfügbar); Larenz, S. 474 ff.) des Steuerrechts tragen (Tipke/Lang, § 4 N 9 ff.; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 67 ff.). Dabei sind die Prinzipien „richtunggebende Masstäbe, die durch den rechtsethischen Konsens rechtliche Entscheidungen zu rechtfertigen vermögen“ (Tipke/Lang, § 4 N 11 m.Vw. auf Larenz, S. 474; siehe auch Larenz/Canaris, S. 302) und in der Rechtsordnung in gegenseitiger Abwägung (Optimierungsgebot) zu konkretisieren sind (Tipke/Lang, § 4 N 12). Gesetzgebung wie Rechtsprechung müssen die Prinzipien berücksichtigen, sie aufeinander abstimmen und in der Rechtsordnung folgerichtig vollziehen (Canaris, S. 16; Tipke/Lang, § 4 N 9 ff. und N 70). In der Schweiz konnte sich die Wertungsjurisprudenz hingegen nie durchsetzen (Breiter, S. 37 ff.; Schefer, S. 42 ff.; vgl. auch Saladin, Wandel, S. 457 f. inkl. FN 111; Forstmoser, § 1 N 109; implizite Gegenposition auch bei Burckhardt, S. 121 ff. und S. 168; davon abweichend finden sich Elemente einer objektiven Wertlehre bei Huber, Gewerbefreiheit und Eigentumsgarantie, S. 541 f.). Insbesondere gegen die Gewinnung von objektiven Wertgehalten aus den Grundrechten, wie dies in Deutschland erfolgt (siehe Judikaturverweise oben; Tipke/Lang, § 4 N 70 ff.; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 111), wird vorgebracht, dass die Grundrechte zwar spezifische Wertüberzeugungen zum Ausdruck bringen, dass aber nach Schweizer Konzeption der Schutzgrund nicht darin, sondern im Individualschutz der Grundrechtsträger liegt: „...wo mit dem Schutz des Einzelnen die Garantie eines Werts verbunden ist, beschränkt sich diese auf die konkreten Schutzbedürfnisse und darf nicht objektiviert werden.“ (Schefer, S. 43) In diesem Sinne setzen gerade die Grundrechte einer demokratisch formulierten objektiven Wertordnung Schranken, indem sie den Einzelnen davor schützen, in existentiellen Kernbereichen den Wertvorstellungen einer Mehrheit unterworfen zu werden (Schefer, S. 42). Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass im Schweizer Steuerrecht kein objektives „inneres (Werte-) System“ aus der Steuerordnung extrahiert und ver- 32 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Jedoch kann dies nicht so verstanden werden, als wäre dem Gesetzgeber ein eindeutig instruktives Prinzipienkorsett vorgegeben, aus dem er nur noch mechanisch die Rechtssätze abzuleiten habe159. Vielmehr hat der Gesetzgeber beträchtliche Gestaltungsfreiräume160 und kann die einzelnen Grundsätze in unterschiedlichem Mass verwirklichen, wobei auch die Gehalte anderer Grundrechte, weitere verfassungsmässige Rechtsprinzipien sowie die Staatszielbestimmungen zu berücksichtigen sind. Das heisst, der Steuergesetzgeber muss darauf bedacht sein, den Verwirklichungsgrad der Steuergrundsätze untereinander und in Zusammenspiel mit weiteren verbindlich-programmatischen Verfassungsvorgaben zu optimieren (sog. Optimierungsgebot)161. Hinzu kommt, dass die Steuergrundsätze nicht statisch zu verstehen sind, sondern dem unvermeidbar eintretenden Wandel hinsichtlich ethischen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen offen sind162. Der Gesetzgeber kann daher bestehende Regelungen abändern und die Steuergrundsätze in neuer Weise umsetzen. Die Steuergrundsätze können zudem durch den Verfassungsgeber auch in ihrer Grundanlage umgeworfen 159 160 161 162 bindlich formuliert werden kann. Wohl haben sich aus Grundrechten bindende Steuerprinzipien konkretisiert (siehe § 2 B. II. 2. und 3., S. 33 ff. und S. 37 ff.) und geben die Grundrechte dem Gesetzgeber darüber hinaus – ebenfalls mit bindender Wirkung – punktuelle Anleitung (siehe § 2 B. III., S. 71 f). Dies aber nicht zur Verwirklichung objektiver, vom Grundrechtsträger gelösten Wertvorstellungen, sondern durchwegs mit der Abzielung auf Schutzpositionen der Einzelnen. Auch die Staatszielbestimmungen (vgl. zu den Staatszielbestimmungen § 2 B II. 4.3.2., S. 46 ff.) bringen Wertentscheidungen zum Ausdruck, jedoch sind diese ebenfalls punktueller Natur, bilden kein hierarchisches System, stellen keine objektiven Rechte dar und bedürfen der Konkretisierung durch den Gesetzgeber (siehe auch Breiter, S. 44). Dazu auch Senn, S. 109 f.: „Die Steuererhebungsprinzipien dienen somit als ‚starting points‘ guter Gesetzgebung; hingegen ist es nicht möglich, aus ihnen durch formallogische Deduktion die gesamte Steuerordnung abzuleiten. Die regelbildende Konkretisierung, die Umsetzung der Steuererhebungsprinzipien ist nach dem Legalitätsprinzip grundsätzlich Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, welchem bei seiner Aufgabe ein Beurteilungsspielraum zukommt.“; vgl. auch Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 110 und ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 17. BGE 126 I 76 (78 f.): BGE 122 I 101 (105); BGE 114 Ia 221 (224); BGE 96 I 560 (567); Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Reich, Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 175; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 111; Senn, S. 109; siehe ebenfalls Häfelin, S. 118 ff. Vgl. zum Begriff des Optimierungsgebotes: Alexy, Grundrechte, S. 75 f.; siehe auch Vallender/Jacobs, S. 11 f. Es wird in diesem Zusammenhang auch von der Schaffung von „praktischer Konkordanz“ zwischen den verschiedenen Prinzipien gesprochen: Vallender/Jacobs, S. 12; Alexy, Grundrechte, S. 152; Hesse, Grundzüge, N 72; Habermas, S. 255, jedoch kritisch gegenüber dem Begriff des „Optimierungsgebotes“ hinsichtlich Prinzipien, da dadurch ihr deontologischer Geltungssinn ausgehöhlt würde. Siehe in diesem Zusammenhang auch: Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 121 f. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 33 und neu gewonnen werden163, sofern dies in einem demokratischen Verfahren164 und in rechtsstaatlich genüglicher Weise165 erfolgt. In Würdigung des oben Ausgeführten wird nachfolgend beleuchtet, inwieweit sich unter Gewährung des erwähnten Gestaltungsfreiraumes eine Steuermodifikation in Richtung sparbereinigte Einkommensteuer mit den einzelnen inhaltlichen Besteuerungsgrundsätzen der Schweizer Rechtsordnung verträgt166. 2. Allgemeinheit der Besteuerung 2.1. Inhalt Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts gebietet der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung 167: “...die steuerliche Erfassung aller Personen und Personengruppen nach derselben gesetzlichen Ordnung. Er verbietet eine unbegründete Ausnahme einzelner Personen oder Personengruppen von der Besteuerung, da der Finanzaufwand des Gemeinwesens für die allgemeinen öffentlichen Aufgaben grundsätzlich von der Gesamtheit der Bürger getragen werden soll (...).”168 163 164 165 166 167 168 Da, wie bereits erwähnt, vorliegend unter Steuergrundsätzen elementare und tragende Grundsätze der Steuerrechtsordnung verstanden werden, wird für ihre Abschaffung bzw. Neuformulierung die höchste Konsensebene, d.h. die Verfassung vorbehalten; vgl. zur Frage der Konsensebene: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 34 f. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 122. Zu denken ist dabei v.a. daran, dass Grundrechte auch als institutionelle Garantien wirken und dadurch im Dienste der Rechtsstaatlichkeit eine den Mehrheitsentscheid begrenzende Funktion einnehmen; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 56; J.P. Müller, aBV Kommentar, N 28 ff. Einleitung; Joos, S. 489; Hüglin, S. 296. In diesem Sinne der Forderung von Reich hinsichtlich Steuerreformvorschlägen nachkommend (Reich, neues Steuerrecht, S. 1387): „(...) gilt es doch, wie dargelegt, die ökonomischen Vorschläge mit dem Bezugsrahmen der geltenden Rechtsordnung in Übereinstimmung zu bringen. Hier haben die Juristen zu prüfen, inwieweit sich die neuen Ideen mit den verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines gerechten Steuersystems vertragen. Reformvorschläge, die sich nicht mit den Grundprinzipien vereinbaren lassen, sind durch kompatible Lösungsansätze zu ersetzen.“ Vgl. auch BGE 128 I 155; BGE 126 I 76; BGE 116 Ia 321; BGE 114 Ia 221; BGE 99 Ia 638; jeweilen mit weiteren Judikatur- und Literaturhinweisen. In der Lehre u.a. grundlegend: Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99 ff.; Reich, Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 171 ff.; Hangartner, Allgemeinheit, S. 91 ff. BGE 114 Ia 221 (224). 34 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Historisch stammt die Forderung nach der Allgemeinheit der Besteuerung aus dem Kampf gegen die feudalistische Steuerfreiheit von Adel und Klerus169 und verlangt eine allgemeine Steuerpflicht ohne Berücksichtigung von persönlichen Merkmalen wie Stand, Religion, Abstammung oder Rasse170. Aus dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung fliesst, „dass alle Einwohner (...) einen – wenn auch unter Umständen bloss symbolischen – Beitrag an die staatlichen Lasten zu leisten haben“171, so wie auch jeder von den Leistungen des Staates profitiert172, womit unter anderem auch die Idee der Solidarität der Steuerpflichtigen ausgedrückt wird173. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung betrifft die subjektive Seite des Steuerrechtsverhältnisses und die Frage lautet, „wer muss einer bestimmten Steuerart unterworfen werden“174, wobei sich der Kreis der Steuerpflichtigen vor allem nach Ziel, Zweck und Natur der Steuer zu richten hat175. So dienen zum Beispiel die direkten Steuern auf Einkommen/Gewinn bzw. Vermögen/Kapital176 überwiegend der allgemeinen Staatsfinanzierung ohne Berücksichtigung der individuellen Inanspruchnahme der staatlichen Leistungen und der individuellen Kostenverursachung zulasten des Gemeinwesens177. Diese Zwecksetzung der direkten Hauptsteuern „bedingt eine Konzeption der Steuerpflicht auf breitester Grundlage“178, was bedeutet, dass die Besteuerung mit diesen Steuern die Regel und die Nichtbesteuerung die Ausnahme sein muss179. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung beeinflusst aber auch die 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; Mann, S. 67 ff., S. 97 ff. und S. 119 f.; vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 60. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 172. BGE 122 I 101 (104); vgl. auch Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; Vallender/Jacobs, S. 27. Senn, S. 145, mit Hinweisen auf entsprechende kantonale Verfassungsnormen (Art. 122 KV JU; § 119 Abs. 1 KV AG; Art. 60 Abs. 1 KV UR; § 133 Abs. 1 lit. a KV BL) und weitere Literaturstellen. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; siehe auch ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 172; Blumenstein/Locher, S. 161; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 10 zu Art. 127. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; Senn, S. 142. Wobei die Vermögens- bzw. Kapitalsteuer nur noch auf kantonaler Ebene greift: Art. 2 Abs. 1 lit. a und b StHG. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100. BGE 114 Ia 221 (224); BGE 99 Ia 639 (652); Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127; Hangartner, Allgemeinheit, S. 92; Senn, S. 142 f.; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 10 zu Art. 127. Das verbietet gemäss Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127, aber nicht, „dass Steuern, die auf anderen Objekten erhoben werden (z.B. Stempelabgaben und andere Verkehrssteuern), nur von einer kleinen Anzahl von Steuerpflichtigen erhoben werden.“ Zudem schliesst die Allgemeinheit der Besteuerung „als konzeptionelles Prinzip (...) nicht aus, dass auch bei den Hauptsteuern Aus- Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 35 Auswahl des Steuerobjekts, da die Erklärung eines bestimmten Lebenssachverhalts zum Steuerobjekt den durch die Steuer belasteten Kreis der Steuerpflichtigen von vorneherein in unzulässiger Weise einschränken könnte180. Namentlich fliessen aus dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung ein Privilegierungsverbot, das untersagt, einzelne Personen oder Personenkreise ohne sachliche Gründe von der Steuerpflicht auszunehmen, sowie ein Diskriminierungsverbot, das verbietet, einer kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit grössere Lasten aufzuerlegen als der Masse der übrigen Steuerpflichtigen181. In dieser Ausprägung enthält der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung auch einen verfassungsmässigen Minderheitenschutz182. Diesbezüglich spricht das Bundesgericht auch von dem sonst im öffentlichen Recht verwendeten Prinzip der Lastengleichheit, wonach von keinem Bürger verlangt werden kann, dass es für die Gemeinschaft eine unverhältnismässig schwere Last trägt, ein Sonderopfer erbringt183. Demgemäss soll in steuerlicher Hinsicht „der Finanzaufwand für die allgemeinen öffentlichen Aufgaben bzw. die Kosten des Aufwands für das Gemeinwohl grundsätzlich von der Gesamtheit der Bürger getragen werden“184. 2.2. Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer Wird die Ersparnis steuerlich freigestellt, ist denkbar, dass jemand, der sein Einkommen hauptsächlich spart und nur das Existenznotwendige konsumiert, steuerfrei belassen185 oder nur geringfügig mit Steuern belastet wird, auch wenn ein sehr hohes Ein- 180 181 182 183 184 185 nahmen von der Besteuerung gemacht werden können, wenn diese eine Minderzahl der Steuerpflichtigen betreffen und sachlich begründet sind. Ebensowenig ist es verboten, bei Vorliegen unterschiedlicher Verhältnisse unterschiedlich zu besteuern.“ (ebenda, S. 127). Vgl. auch BGE 90 I 159 (162); Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 172 f.; Klett, Gleichheitssatz, S. 68 ff.; Vallender/Jacobs, S. 28; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 10 zu Art. 127. BGE 114 Ia 321 (323); BGE 114 Ia 221 (224); BGE 112 Ia 240 (244); BGE 99 Ia 639 (653); Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100 ff.; Hangartner, Allgemeinheit, S. 93; Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Vallender/Jacobs, S. 27. Hingegen will Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 128, das Privilegierungsverbot unter den Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung subsumieren. BGE 99 Ia 638 (653); Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100 ff.; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173; Vallender/Jacobs, S. 28. BGE 99 Ia 638 (652); Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 102; Senn, S. 144 f. BGE 99 Ia 638 (652); Vallender/Jacobs, S. 27 f.; Senn, S. 144. Unter der Voraussetzung, dass ein steuerfreies Existenzminimum gewährt wird. Vgl. zur steuerlichen Behandlung des Existenzminimums in der Schweiz unten, § 5 F., S. 163 ff. 36 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben kommen gegeben ist186. Bei statischer Betrachtung scheint eine Verletzung der Allgemeinheit der Besteuerung gegeben zu sein, da Steuerpflichtige, die sich in ihrer Lebensführung beschränken, der Steuerzahlpflicht gänzlich bzw. weitestgehend entgehen könnten, obwohl genügend steuerliches Zugriffssubstrat vorhanden wäre. Die Verteilung der Staatslasten auf die Allgemeinheit der Bevölkerung könnte auf diese Weise untergraben werden. Diese Bedenken werden dadurch verstärkt, dass in der Schweiz auf Bundesebene keine Erbschaftssteuern existieren187, womit das zugeflossene Einkommen (mittlerweilen als Vermögen gespeichert) auch nicht bei dessen Abfluss in Erbschaftsform zur Tragung der Staatslasten herangezogen wird. Dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung kann hingegen auch bei einer Umstellung zur sparbereinigten Einkommensteuer Rechnung getragen werden, indem die Steuerordnung dynamisch begriffen und gefragt wird, wie sie auszugestalten wäre, damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung nachgelebt werden kann. Zwei Varianten scheinen besonders prüfenswert: Der ersten Variante liegt die Überlegung zugrunde, dass das Vermögenssubstrat beim Erben weiter erhalten bleibt (sog. „dynastive“ Betrachtung) und der steuerliche Zugriff in jenem Zeitpunkt erfolgen kann, wenn auf dieser Stufe188 die Ersparnisauflösung bzw. der Konsum erfolgt. Die zweite Variante sieht eine Besteuerung der angesparten Einkommensteile bei Austritt aus der Steuerpflicht vor. Dies hätte gegenüber der ersten Variante unter anderem die Vorteile, dass die Steuerpflicht gewiss ist, für den Staat die Einnahmen besser berechenbar sind und darüber hinaus einer demokratisch fragwürdigen Konzentration von Kapital und Macht entgegengewirkt werden könnte189. Zudem erhellt im Zusammen- 186 187 188 189 Vgl. dazu auch Hall/Rabushka, S. 123 ff. Wie bereits einleitend angeführt, wird im Rahmen dieser Arbeit reduzierend nur die Bundesebene betrachtet. Es ist aber im Zusammenhang mit den Erbschafts- und Schenkungssteuern darauf hinzuweisen, dass diese in einem Kanton (SZ) nicht existieren und in der Mehrheit der anderen Kantone Erbschaften und Schenkungen an Ehegatten und direkte Nachkommen von der Erbschafts- und Schenkungssteuer befreit sind. Siehe auch Höhn/Waldburger, § 27 N 12 und N 19. Bzw. auf nachfolgenden Stufen bei weiteren Erben. Erwähnenswert ist auch, dass „Superreiche“ in den U.S.A. mit überwältigender Mehrheit für die Erbschaftssteuern eintreten, da sie der Ansicht sind, diese würden einen gerechten Ausgleich schaffen und dass in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft die aristokratische Akkumulation von grossem Kapital und damit verbundener Macht abzulehnen sei; vgl. dazu NZZ vom 17. Februar 2001, Amerikas Millionäre für die Erbschaftssteuer, S. 21; in diesem Artikel wird über eine Kampagne einer Gruppe der reichsten Amerikaner gegen Pläne zur Abschaffung der Erbschaftssteuer berichtet. Eine Abschaffung wird von ihnen als „gewissenlos“ aufgefasst. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 37 hang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip190, dass die Einkommensbesteuerung individuumsbezogen verstanden wird, was die zweite Variante aufdrängt. Ergänzend ist anzufügen, dass auch im geltenden Steuerrecht die Einkommensbesteuerung (bzw. die fehlende Einkommensbesteuerung) zum Teil in Konflikt gerät mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung. Namentlich ist darauf hinzuweisen, dass private Kapitalgewinne, die mitunter beträchtliche Ausmasse annehmen können, nicht besteuert werden191. 3. Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Das Bundesgericht äussert sich zur Gleichmässigkeit der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit192 wie folgt193: „Nach dem Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung sind Personen, die sich in gleichen Verhältnissen befinden, in derselben Weise mit Steuern zu belasten und müssen wesentliche Ungleichheiten in den tatsächlichen Verhältnissen zu entsprechend unterschiedlicher Steuerbelastung führen (...). 190 191 192 193 Zum Leistungsfähigkeitsprinzip unten § 2 B. II. 3., S. 37 f. und v.a. § 3, 4 und 5, S. 73 ff. Vgl. auch Vallender, Interview in: Cash vom 16.1.1998, S. 47 („Ich würde sofort eine Energiesteuer einführen“). Erfasst werden nur auf kantonaler und kommunaler Ebene Kapitalgewinne auf Grundstücken; Höhn/Waldburger, § 22 N 1 ff. Vgl. BGE 114 Ia 221, in welchen sich das Bundesgericht mit der Frage der Steuerfreiheit von privaten Kapitalgewinnen beschäftigt (S. 228): „Hauptsächlich rügt der Beschwerdeführer, es verletze die aus dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 4 BV) hergeleiteten Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung, von einer Steuer auf Kapitalgewinnen auf beweglichem Privatvermögen völlig abzusehen. Für diese Diskriminierung (Privilegierung der Pflichtigen, die solche Gewinne erzielen) könnten keine stichhaltigen Rechtfertigungsgründe angeführt werden. (...) Jeder Systemeinbruch ist wegen der konsequenten Besteuerung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit nicht leicht zu nehmen, so auch ein solcher bei Kapitalgewinnen auf beweglichem Privatvermögen - die unter Umständen ein erhebliches Mass erreichen können (...).“ Das Bundesgericht akzeptierte jedoch die Freistellung der privaten Kapitalgewinne aus Gründen der Praktikabilität und der Veranlagungsökonomie (hoher Veranlagungsaufwand, mangelnde Durchsetzbarkeit, geringer Ertrag). Vgl. dazu auch weiter unten, § 5 C. II. 1., S. 106 und § 5 C. IV. 1., S. 123. Siehe zu diesen Grundsätzen auch: Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 102 ff.; Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Vallender/Jacobs, S. 28 ff.; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 5 ff. (zum Leistungsfähigkeitsprinzip); Oberson, Capacité Contributive, S. 125 ff. (zum Leistungsfähigkeitsprinzip); Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 13 ff. zu Art. 127. BGE 114 Ia 221 (224 f.); vgl. auch BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (103); jeweilen mit zahlreichen weiteren Judikaturnachweisen. 38 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Mit diesem Grundsatz hängt derjenige der verhältnismässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zusammen, der verlangt, dass jeder Bürger im Verhältnis der ihm zur Verfügung stehenden Mittel und der seine Leistungsfähigkeit beeinflussenden persönlichen Verhältnissen zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfs beitragen soll. Im System der allgemeinen Reineinkommens- und Reinertragsbesteuerung hat der Gesetzgeber alle Personen, die tatsächlich Einkommen und Gewinn erzielen, nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Steuer heranzuziehen.“ Es fällt auf, dass das Bundesgericht die Grundsätze der Allgemeinheit der Besteuerung sowie der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit inhaltlich präzis und umfassend umschreibt, jedoch hinsichtlich der Gleichmässigkeit der Besteuerung keine eigenständigen, über das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot hinausreichenden Darlegungen zu finden sind194. Vielmehr rückt das Bundesgericht die Gleichmässigkeit der Besteuerung regelmässig in die Nähe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit195 und nimmt letztere als anleitenden Massstab, um der Gleichmässigkeit der Besteuerung inhaltlich Konturen zu verleihen196. Demnach „müssen die Steuerpflichtigen nach Massgabe der ihnen zustehenden Mittel gleichmässig belastet werden“197. Mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt ein bedeutender Teil der Lehre dec??kungsgleich, der die Ansicht vertritt, angesichts des Leistungsfähigkeitsprinzips als zentraler Lastenverteilungsregel sei der Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung inhaltslos und stelle keinen eigenständigen Grundsatz neben dem 194 195 196 197 Dies findet sich im eben zitierten Passus (BGE 114 Ia 221 [224 f.]) veranschaulicht. Vgl. auch Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127. Gestützt auf einen Bundesgerichtsentscheid aus den 70er Jahren (BGE 99 Ia 638 [653]) wird vereinzelt erwähnt, das Bundesgericht setze die Gleichmässigkeit der Besteuerung dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung gleich: Richli, Umsatzsteuer und Stempelabgaben, S. 402 f.; Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127 f. Jedoch ist im besagten Entscheid nicht die Rede vom spezifischen Begriff der „Gleichmässigkeit der Besteuerung“, sondern es finden sich Ausführungen über die „Gleichheit der Besteuerung“ und in Zusammenhang mit der ausdrücklichen Anlehnung an BGE 90 I 159 (162) wird deutlich, dass das Bundesgericht von der steuerlichen Relation des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots sprach, dessen enge Verbindung zur Allgemeinheit der Besteuerung bereits oben dargelegt wurde. Ausserdem wird in 99 Ia 638 (653) in direktem Bezug zur Allgemeinheit und Gleichheit der Besteuerung ausgeführt: „Das bedeutet, dass zu einer (...) Hauptsteuer (...) grundsätzlich alle Personen nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit heranzuziehen sind.“ Dies unterstreicht, dass auch in diesem Entscheid davon ausgegangen wird, die Gleichheit bemesse sich anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (103); BGE 114 Ia 221 (225); BGE 110 Ia 7 (14 f.); BGE 99 Ia 638 (652 f.). BGE 122 I 101 (103). Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 39 allgemeinen Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 BV) dar198. Es ist daher auch verständlich und nur konsequent, wenn in der Lehre zum Teil die Meinung geäussert wird, der Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung könne ersatzlos gestrichen werden199. Andererseits sind in der Doktrin auch Stimmen zu finden, die einen „Wiederbelebungsversuch“ der Gleichmässigkeit der Besteuerung anstrengen, ihm eigenen Gehalt zuschreiben und ihn gegen die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgrenzen wollen. Namentlich wird geltend gemacht, der Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung betreffe die Steuerlastverteilung in einem anderen Bereich als der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Während sich ersterer auf den horizontalen Vergleich der Steuerbelastung beziehe und somit verlange, dass Steuerpflichtige, die sich in gleichen oder gleichartigen steuerlich relevanten Verhältnissen befinden, in Bezug auf eine einzelne Steuer gleich behandelt werden, sei letzterer auf den vertikalen Vergleich der steuerlichen Belastung anzuwenden und diene als Massstab bei der Beurteilung ungleicher wirtschaftlicher Verhältnisse200. M. HUBER201 stützt diese Einteilung mit dem Argument, diese Unterscheidung fände sich bei NEUMARK202 und das Bundesgericht berufe sich in einem Urteil203 ausdrücklich auf die finanzwissenschaftlichen Erwägungen von NEUMARK. Darüber hinaus wird von BLUMENSTEIN/LOCHER204 vorgebracht, die historische Entwicklung spreche für die Trennung dieser Grundsätze, da ursprünglich beide Aspekte dem Gleichmässigkeitsgrundsatz zugehörig gewesen seien und erst im Laufe der Zeit der Leistungsfähigkeitsgrundsatz die vertikale Dimension im Sinne einer progressiven Besteuerung für sich in Anspruch genommen habe. Jedoch scheint der Ansatz von M. HUBER fragwürdig, zum einen, weil das Bundesgericht in dem besagten (älteren) Urteil NEUMARK nur einmal und in genereller Weise zur Frage der Allgemeinheit der Besteuerung, nicht aber zur Gleichmässigkeit oder Leistungsfähigkeit zitiert und zudem die betreffenden Aussagen deutlich als fi- 198 199 200 201 202 203 204 Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 103 f.; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173; Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 129; Vallender/Jacobs, S. 29; Yersin, S. 165 f.; Morandi, S. 141 f.; Senn, S. 146 f. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173. M. Huber, S. 113 ff.; Blumenstein/Locher, S. 161 f. inkl. FN 10; Völlmin, S. 170. M. Huber, S. 113 f. Neumark, Grundsätze, S. 90 ff. BGE 99 Ia 638 (652). Blumenstein/Locher, S. 161 f. FN 10. 40 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben nanzwissenschaftliche Aussagen deklariert werden und sie dadurch eine Abgrenzung zu Aussagen über normativ verbindliche Gehalte erfahren205. Zum anderen weist NEUMARK lediglich darauf hin, dass die Begriffe der „horizontal“ und „vertical equity“ im angelsächsischen Schrifttum verwendet würden, hält sie aber selber für „nicht sehr zweckmässig“206. Auch die historische Argumentation von BLUMENSTEIN/LOCHER wirft Zweifel auf, da nicht erst mit einer progressionsbegründenden Deutung des Leistungsfähigkeitsprinzips dieses für die Gleichmässigkeit einen Massstab bot, sondern sich der Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung von Anbeginn weg anhand einer massstabsbildenden Bezugsgrösse entwickelt hat207 und ein eigenständiger Inhalt nie gegeben war. Dies ist einleuchtend, wenn man sich vor Augen führt, dass die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes – auch was die horizontale Gleichheit betrifft – immer einer Bezugsgrösse bedarf, anhand derer die Gleichheit gemessen werden kann208. Die Aussage, dass Personen in gleichen Verhältnissen gleich und solche in ungleichen Verhältnissen ungleich zu besteuern sind, hat nur Orientierungsfunktion, sagt aber noch 205 206 207 208 BGE 99 Ia 638 (652). Neumark, Grundsätze, S. 92; M. Huber räumt dies in einer Fussnote auch ein (S. 113 f. FN 115). Bereits der französische Finanzwissenschafter Vauban, der von Mann, S. 116 f., als Begründer der systematischen Finanzlehre bezeichnet wird und in seinem wegbereitenden, gegen die absolutistische Steuerordnung gerichteten Werk „Dixme Royale“ (Erstausgabe 1707) nebst dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung auch die Gleichmässigkeit der Besteuerung propagierte, verwendete die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Bezugsgrösse für die Gleichmässigkeit. Bezeichnenderweise vermied er in „Dixme Royale“ sogar den Ausdruck der Gleichmässigkeit der Besteuerung, obwohl es ihm, was entstehungsgeschichtlich klar nachweisbar ist, gerade darum ging. Vauban knüpfte direkt bei der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (jedoch verstanden im Sinne der Assekuranztheorie; zur Assekuranztheorie bereits oben, FN 5) an, weil diese Maxime seiner Ansicht nach die die Gleichmässigkeit gewährleistende Lastenverteilungsregel darstellt (zitiert nach Mann, S. 117 ff.). Auch im Anschluss an Vauban war stets eine Bezugsgrösse gegeben und als die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung in der amerikanischen Verfassung von 1787 und der frz. Revolutionsverfassung von 1791 verankert wurden, war es selbstredend, dass die Gleichmässigkeit im Verbund mit einer Massstabsgrösse verstanden wurde, damals gebildet durch die äquivalenztheoretisch interpretierte Leistungsfähigkeit (vgl. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 21; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 119; siehe zum Äquivalenzprinzip, das sich aus den Assekuranztheorien entwickelt hat [Tipke/Lang, § 4 N 87], unten, § 3 C., S. 75). Ebenfalls formulierte Adam Smith, S. 786 f., seine Forderungen nach Besteuerungsgleichheit (1. Maxime) anhand des im Sinne der Assekuranztheorie verstandenen Leistungsfähigkeitsprinzips; vgl. dazu Mann, S. 147 ff. Dass auch der horizontale Vergleich einer Masseinheit bedarf, kommt in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung deutlich zum Ausdruck. Siehe u.a.: BGE 126 I 76 (78); BGE 122 I 101 (108); BGE 110 Ia 7 (14 f.); es wird ausgeführt, die horizontale Vergleichbarkeit bemesse sich anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Vgl. auch die Darlegungen bei Rivier, S. 85. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 41 nichts Näheres über die Ausgestaltung der Steuer aus. Es bleibt zu klären, aufgrund welcher Kriterien den nach dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung ausgewählten Personen209 die Steuern aufzuerlegen sind. Es fragt sich, welche Sachverhalte (Steuerobjekte) anhand welcher Bemessungsgrundlagen wie stark (Ausgestaltung des Steuertarifs) zu besteuern sind, und hier greift der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Leitlinie210. Erst dieser steuerliche Fundamentalgrundsatz, der von der Finanzwissenschaft entwickelt und in Rechtslehre und Rechtsprechung als zentraler Besteuerungsmassstab aufgenommen wurde, gibt Aufschluss darüber, wie die Steuerordnung inhaltlich ausgestaltet werden darf bzw. welche Art der Steuerlastverteilung als gerecht akzeptiert werden kann211. Demgemäss stellt bei einem Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer die Vereinbarkeit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip aus rechtlicher Sicht die Kernfrage dar. Es ist diesbezüglich zu prüfen, inwiefern eine entsprechende Steuerordnung mit den fundamentalen Gerechtigkeitsvorstellungen über die Besteuerung in Einklang gebracht werden kann. In Anbetracht der zentralen Bedeutung dieser Fragestellung wird ihr ein eigener Teil (Teil II) eingeräumt, in dem zunächst die Konturen des Leistungsfähigkeitsprinzips und dessen Konkretisierung im Schweizer Steuerrecht herausgeschält werden und dann näher untersucht wird, inwiefern sich eine sparbereinigte Einkommensteuer mit diesem Grundsatz verträgt. 4. Allokativ optimale Besteuerung 4.1. Problematik Steuern verursachen neben den Kosten zur Begleichung der Steuerschuld volkswirtschaftliche Zusatzkosten aufgrund der sog. excess burdens und der mit der Steuererhebung verbundenen administrativen Kosten. Excess burdens212 entstehen dadurch, dass infolge der Besteuerung nebst dem unvermeidlichen Einkommenseffekt213 auch Substitutionseffekte eintreten bzw. auf die Be- 209 210 211 212 Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 174. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173 f. Vgl. dazu z.B. Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 7 ff.; Tipke/Lang, § 4 N 81 ff.; siehe allgemein zu diesem Prinzip unten § 3, S. 73 ff. Excess burdens werden auch deadweight losses, welfare losses oder auf deutsch Zusatzlasten genannt. Vgl. zu den excess burdens u.a.: Stiglitz, S. 111 und S. 518 ff.; Rosen, S. 283 ff.; Sandmo, S. 70 ff.; Kirchgässner, S. 38 ff. 42 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben steuerung mit allokativ suboptimalen Verhaltensveränderungen reagiert wird, um die Steuerlast zu reduzieren: Die Besteuerung eines bestimmten Verhaltens (zum Beispiel Einkommenserzielung) gibt Anreize, dieses Verhalten durch ein anderes (zum Beispiel Freizeit) zu substituieren, das in geringerem Masse oder nicht der Besteuerung unterliegt214. Modellhaft kann jedoch regelmässig davon ausgegangen werden, dass in der Ausgangslage ein höherer Produktivitätsgrad gegeben war und die Ressourcen effizienter eingesetzt waren als in der Ausweichsituation215. Eine Ausnahme hinsichtlich excess burdens bildet nur die sog. lump sum-tax216, welche sich bekanntlich dadurch definiert, dass sie grundsätzlich nicht durch das Verhalten der Steuerpflichtigen beeinflusst werden kann (zum Beispiel Kopfsteuer217). Da jedoch lump sum-taxes in der Regel die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steuersubjekte nicht berücksichtigen können218, verstossen sie gegen elementare Vorstellungen über gerechte Besteuerung und finden daher – obwohl volkswirtschaftlich optimal – in der Praxis kaum Anwendung. Unter den administrativen Kosten können diejenigen bei den Steuerbehörden und den Steuerpflichtigen anfallenden realen Kosten verstanden werden, die mit der Auferlegung, Einziehung und Zahlung der Steuern verbunden sind219. In Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Zusatzkosten entwickelte sich in der Finanzwissenschaft der optimal taxation-Ansatz (Optimalsteuertheorie)220, bei dem Steuersysteme unter dem Kriterium der ökonomischen Effizienz betrachtet und Vorschläge zur Steuerausgestaltung mit allokativ optimalen Wirkungen formuliert wer- 213 214 215 216 217 218 219 220 Darunter sind Änderungen im Nachfrage- oder Angebotsverhalten aufgrund der durch die Steuererhebung verursachten Reduktion des verfügbaren Einkommens zu verstehen. Vgl. u.a. Stiglitz, S. 520 f. (bzgl. Konsumgüterbesteuerung) und S. 535 f. (bzgl. Besteuerung von Arbeitseinkommen); Rosen, S. 290. Rosen, S. 290 und S. 537; Stiglitz, S. 520; Posner, S. 523; Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 103 ff. Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 92 f., S. 105 und S. 107; Posner, S. 523 f.; Stiglitz, S. 520 ff. Siehe dazu z.B. Stiglitz, S. 462 f.; Rosen, S. 285 f. Denkbar ist nur die drastische Ausweichmassnahme der Emigration; Posner, S. 524. Da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit über Indikatoren (Vermögen, Einkommen etc.) gemessen wird, erscheint eine leistungsfähigkeitsorientierte lump-sum tax als unmöglich, weil die Steuersubjekte durch ihr Verhalten die Indikatoren und damit ihre Steuerlast beeinflussen können. Sandmo, S. 71; siehe auch Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 90 ff. Zur Entwicklungsgeschichte der optimal taxation mit ausführlichen Literaturnachweisen: Sandmo, S. 70 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 43 den221. Dabei geben gemäss breitem Konsens innerhalb der Finanzwissenschaft nicht die Effizienzmaximierung und die damit verbundenen, eben erläuterten lump sum-taxes das Leitbild vor222, sondern die Effizienzoptimierung unter Berücksichtigung von bindenden Gerechtigkeitsüberlegungen hinsichtlich der Verteilungswirkungen223. 4.2. Relevanz für die sparbereinigte Einkommensteuer Den ökonomischen Aspekten und deren rechtlicher Qualifikation kommt für die vorliegende Arbeit erhebliche Bedeutung zu. Viele Befürworter der Sparbereinigung – was oben bereits übersichtsmässig Darlegung fand – bringen vor, dass die gegenwärtige Ausgestaltung der Einkommensteuer zu vermeidbaren excess burdens führe, d.h., dass sie vermeidbare volkswirtschaftliche Verzerrungen verursache224. Insbesondere sei die Neutralität zwischen Konsum und Sparen verletzt, was zu einem Spar- und damit Investitionsrückgang führe. Darüber hinaus würden negative Anreize für die Einkommenserzielung gesetzt. Neuere volkswirtschaftliche Studien über einen Wechsel der hergebrachten Einkommensteuer zur konsumorientierten Einkommensbesteuerung (konkret sind mit letzterem die sparbereinigte Einkommensteuer und die zinsbereinigte Einkommensteuer gemeint) tendieren zu vergleichbaren Aussagen. Auch wenn die entsprechenden Studien stark von den jeweiligen Modellannahmen abhängen, weisen viele Analysen darauf hin, dass bei dynamischer Betrachtung insgesamt positive 221 222 223 224 Anzumerken ist, dass sich die Überlegungen zur optimal taxation stark auf die excess burdens fokussieren und die administrativen Kosten noch nicht befriedigend eingebunden sind: Vgl. Sandmo, S. 71; Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 90. Ausdrücklich auch die administrativen Kosten berücksichtigend: Posner, S. 533. Wie Kirchgässner, S. 26 f., zu Recht heraushebt, hat hinsichtlich der excess burdens nicht eine statische Betrachtung zu erfolgen, sondern es sind, was in der entsprechenden modernen Literatur auch meist erfolgt, die breitgestreuten, dynamischen Ausund Rückwirkungen der Besteuerung auf verschiedene volkswirtschaftliche Faktoren zu berücksichtigen. Dazu von Oehsen, S. 2: „Die optimal taxation bezieht als eine zusätzliche Restriktion in ihre Modelle ein, dass Kopf- und Pauschalsteuern praktisch bedeutungslos und als steuerpolitische Instrumente für den Staat nicht verfügbar sind. Diese Restriktion macht die optimal taxation zu einem Spezialfall der Theorie des Zweitbesten.“ Vgl. u.a.: Stiglitz, S. 552 f.; Rosen, S. 286 f.; Rose/Wiegart, S. 53 ff.; Sandmo, S. 71 f.; Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 93; Posner, S. 533. Siehe insbesondere die obigen Ausführungen bzgl. Fisher (§ 1 C., S. 6), Kaldor (§ 1 D., S. 8) und Rose (§1 F., S. 11); vgl. auch Dorenkamp, S. 246 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 44 volkswirtschaftliche Auswirkungen von einem Wechsel zu einer konsumorientierten Ausgestaltung der Einkommensteuer zu erwarten sind225. 4.3. Normativer Anspruch 4.3.1. Fragestellung Aus juristischer Perspektive stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern ökonomische Erwägungen für die Gesetzgebung relevant sind. Insbesondere scheint prüfenswert, ob nebst den oben besprochenen, den Gleichheitssatz konkretisierenden Steuergrundsätzen von einem weiteren Grundsatz, konkret von einem Grundsatz der allokativ optimalen Besteuerung, auszugehen ist, der den Gesetzgeber leitet und somit auch zu berücksichtigen ist bei einem allfälligen Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer. Mit anderen Worten, es ist zu untersuchen, inwieweit den in den Optimalsteuerüberlegungen betonten Effizienzoptimierungszielen normatives Gewicht zukommt und ob sie für die Rechtsgestaltung massgebend sein können und dürfen. Diesbezüglich ist anzumerken, dass durch das bei der Optimalsteuertheorie verwendete Effizienzkriterium deutlich wird, welcher „Schule“ die Optimalsteuertheorie zu- 225 Siehe nebst den bei den „Vordenkern“, § 1, S. 2 ff., dargelegten Positionen u.a. auch Boadway, S. 45 ff.; Bradford, Consumption Tax, S. 96 ff.; Auerbach/Kotlikoff, S. 77 ff.; Folkers, S. 123 ff.; vgl. auch Hirt, S. 83 f.; zur Verzerrung durch die Zinsbesteuerung bzw. zu den allokativen Vorteilen einer zinsbereinigten Einkommensteuer: Ohmer, S. 139 ff. Kritisch zu den vorgebrachten Allokationsvorteilen Hinterberger/Müller/Petersen, S. 427, die in einer auf Deutschland bezogenen Untersuchung geltend machen, dass eine Aufkommensgleichheit einer sparbereinigten Einkommensteuer zu stark progressiven Steuertarifen führen würde, was Zweifel an der allokativen Effizienz aufkommen liesse. Jedoch wurde der erwähnten Untersuchung eine „Komsumausgabensteuer“ zugrunde gelegt und nicht eine befristete, auf das sparende Steuersubjekt begrenzte Sparbereinigung der Einkommensteuer. Bei letzterer sind – abgesehen von einer Übergangsperiode (zu diesbezüglichen Lösungsansätzen unten, § 7 B. III., S. 217) – weniger Probleme zur Sicherung der Aufkommensgleichheit zu erwarten, da auch die nicht konsumierten, d.h. gesparten Einkommensteile zur Besteuerung gelangen, sobald das Steuersubjekt aus der Steuerpflicht austritt (Tod/Wegzug). Ebenfalls bezieht sich die von Homburg, S. 186 und S. 189 f. geäusserte Skepsis bzgl. allokativer Effizienz (wiedergegeben von Dorenkamp, S. 211) auf eine andere als hier vorgeschlagene Besteuerungsform. Homburg beleuchtet an der genannten Stelle die Abschaffung der Kapitaleinkommensteuer bei gleichzeitiger aufkommensneutraler Verschärfung der Arbeitseinkommensteuer. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass der Kern einer Sparbereinigung in der impliziten Steuerausnahme von Kapitaleinkommen liegt (Dorenkamp, S. 36 f.; Homburg, S. 137 f.), gilt auch hier, dass die Aufkommensgleichheit bei einer befristeten Sparbereinigung (d.h. Besteuerung des angesparten Einkommens bei Ersparnisauflösung oder spätestens bei Austritt aus der Steuerpflicht) leichter zu gewährleisten ist als bei einer über das Steuersubjekt hinaus wirkenden Sparbereinigung und die Einkommensteuersätze tiefer gehalten werden können. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 45 gehört: Sie bildet einen Teilbereich der ökonomischen Theorie des Rechts226, womit die Frage nach dem normativen Anspruch von steuerlichen Effizienzoptimierungszielen in einen breiteren Zusammenhang gerückt wird, nämlich in den der allgemeinen Frage des normativen Anspruchs von Aussagen der ökonomischen Theorie des Rechts. Diese Legitimationsfrage bildet eines der Kernprobleme der ökonomischen Theorie des Rechts. Während ihr analytisch-deskriptiver Ansatz weitgehend akzeptiert wird, ist umstritten, ob und in welchem Ausmass effizienzorientierte Folgerungen für Rechtsprechung und Rechtsetzung massgebend sind. Zum einen steht eine breite Front von Juristen einem normativen Anspruch von aus der ökonomischen Theorie des Rechts entwickelten Aussagen prinzipiell ablehnend gegenüber227. Zum anderen herrscht bei den Befürwortern grosse Uneinigkeit, wo das Effizienzkriterium rechtstheoretisch zu verorten ist und welcher Stellenwert ihm zuzuerkennen ist. Ausserdem ist strittig, ob sich der normative Anspruch auf Rechtsetzung und/oder Rechtsprechung beziehen soll228. Unter Anhängern einer Berücksichtigung des Effizienzkriteriums in der Rechtsprechung existieren wiederum unterschiedliche Ansichten darüber, in welcher Form dies zu erfolgen habe. Diskutiert werden namentlich der Thesen: Ob das Effizienzkriterium ein eigenständiges Rechtsprinzip darstelle, ob es als Wertmassstab zur Ausführung unbestimmter Rechtsbegriffe beigezogen werden müsse oder ob es ein weiteres Auslegungselement sei229. 226 227 228 229 In diesem Sinne auch die Ausführungen von Posner, S. 533 f. Zur Bezeichnung „Ökonomische Theorie des Rechts“ siehe Kirchner, S. 5 f., der begründet darlegt, dass die wortbehaftete deutsche Übersetzung von „Economic Analysis of Law“ in „Ökonomische Analyse des Rechts“ breiten Raum biete für Missverständnisse, wo hingegen die von ihm vorgeschlagene Bezeichnung „Ökonomische Theorie des Rechts“ verdeutliche, dass es nicht nur um das Effizienziel gehe, sondern die Ökonomische Theorie des Rechts eine Unterdisziplin der Rechtstheorie und somit der Rechtswissenschaft darstelle. Vgl. dazu die Ausführungen und Erklärungsansätze von Eidenmüller, S. 7 ff. Mastronardi, Juristisches Denken, N 271, spricht davon, dass die Ökonomie nur bei der Folgenbewertung von Normen als Realie des Rechts zu beachten sei, dass ihr aber keine normativen Ansprüche zukommen würden. Siehe auch ders., BV Kommentar, N 18 zu Art. 170, mit der Überlegung, dass Effizienz Teil sei des Verfassungsprinzips der Effektivität und zu letzterem in einem „dienenden Verhältnis“ stehe. Eidenmüller, S. 7 ff. Eidenmüller äussert in seinem Grundlagenwerk, dass in Deutschland die ökonomische Theorie des Rechts primär als Gesetzgebungstheorie zu betrachten sei, wobei dem Gesetzgeber aber nicht eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Berücksichtigung ihrer Grundsätze zukomme. In der Rechtsprechung sieht er nur sehr beschränkte Anwendungsbereiche; ebenda, S. 414 ff. und S. 443 ff. Hingegen vertreten u.a. Ott und Schäfer die Ansicht, die ökonomische Theorie des Rechts habe vor allem bei der richterlichen Anwendung des Zivilrechts Gewicht; Schäfer, S. 19 ff.; Ott, S. 25 ff. Eidenmüller, S. 450 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 46 Es ist für die vorliegende Problemstellung nicht erforderlich, die gesamten Aspekte der Legitimationsfrage der ökonomischen Theorie des Rechts zu durchforsten230. Vielmehr wird reduzierend und in der Hoffnung, einen auch für andere Gebiete der ökonomischen Theorie des Rechts fruchtbaren induktiven Ansatz zu verfolgen, nachfolgend betrachtet, inwieweit den Optimalsteuerüberlegungen steuerlicher Grundsatzcharakter (im Sinne eines normkonzipierenden Grundsatzes der allokativ optimalen Besteuerung) und somit Legitimationsgehalt zur Formulierung von Gesetzgebungsvorschlägen zukommen kann. Als allfällige rechtliche Abstützung der Optimalsteuerüberlegungen werden die nachstehenden Punkte beleuchtet: a) Staatszielbestimmungen (4.3.2.); b) Konstitutivwirkungen der Grundrechte (4.3.3.); c) Verhältnismässigkeitsprinzip (4.3.4.). 4.3.2. Staatszielbestimmungen Als Staatszielbestimmungen sind im Kontext mit der Optimalsteuertheorie der Zweckartikel der Bundesverfassung (Art. 2 BV) sowie die „Wohlfahrtsbestimmung“ in Art. 94 Abs. 2 BV in Betracht zu ziehen231. Der Zweckartikel umschreibt, am Anfang der BV platziert und somit die Richtung für die weiteren Normen weisend, die Staatszwecke und sieht unter anderem vor, dass die Eidgenossenschaft auch die „ge230 231 Eine entsprechende Grundsatzuntersuchung steht hinsichtlich des Schweizer Rechts noch aus. In Deutschland hat sich Eidenmüller (Effizienz als Rechtsprinzip; vgl. auch FN 228) einlässlich mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt. Zur terminologischen Unsicherheit bzgl. Abgrenzung Staatszweck – Staatsziele – Staatsaufgaben vgl. Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 4 ff. In der vorliegenden Arbeit werden in Anlehnung an Breiter, S. 162, der Zweckartikel und die Wohlfahrtsbestimmung unter den allgemeinen Begriff der Staatszielbestimmungen gefasst: „Im Gegensatz zu Zielnormen, die nur ein beschränktes Sachgebiet beschlagen, ist die Staatszielbestimmung auf die prägende Gestaltung der gesamten staatlichen Aktivität gerichtet. Ein Ziel wird gesetzt, ohne Mittel und Organe zu bestimmen, welche ermöglichen sollen, es zu erreichen. Staatszielbestimmungen sind Verfassungsgrundsätze oder ‚offene Prinzipien‘, die sich auf allgemeine Grundeinstellungen staatlichen Wirkens beziehen und eine Richtung weisen.“; siehe auch Rhinow, aBV Kommentar, N 9 zu Art. 31bis. Breiter ging in seiner 1980 publizierten Diss. davon aus, dass in der Schweiz v.a. der Zweckartikel und der Wohlfahrtsartikel als Staatszielbestimmungen in Frage kommen; ebenda, S. 65 und S. 162 ff. Nach heutiger Lage ist infolge der inzwischen ausdrücklich in der BV verankerten Sozialziele (Art. 41 BV) anzunehmen, dass auch die Sozialstaatlichkeit zu den Staatszielbestimmungen zu zählen ist. In diesem Sinne auch BGE 126 II 377 (391) m.Vw. auf Botschaft VE 96, S. 200; Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 47 meinsame Wohlfahrt“ fördert. Diesen Zweck aufgreifend, findet sich dann in Art. 94 Abs. 2 BV eine im „Wirtschaftsabschnitt“ angesiedelte, aber in ihrem Grundsatzgehalt die gesamte Verfassung überziehende Ausprägung232, wonach Bund und Kantone die Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft zu wahren und zusammen mit der privaten Wirtschaft zur Wohlfahrt und zur wirtschaftlichen Sicherheit der Bevölkerung beizutragen haben. Der Begriff der Wohlfahrt ist vielschichtig und wandelbar, er enthält aber auch eine materiell-ökonomische Komponente233, die zweifellos begünstigt wird, wenn die Steuern effizient und unter Minimierung der volkswirtschaftlichen Zusatzkosten erhoben werden234. Die Nichtbeachtung der gesamtökonomischen Auswirkungen der Besteuerung kann unnötigerweise zur Vernichtung wirtschaftlicher Ressourcen sowie zur Verzerrung der Wirtschaftsaktivitäten führen und daher in beträchtlichem Mass wohlfahrtsmindernd235 wirken. Mit Blick auf die Ausgangsfrage stellt sich sodann die Frage, ob den Staatszielbestimmungen rechtliche Relevanz in dem Sinne zukommt, dass sie den Steuergesetzgeber anweisen, Optimalsteuerüberlegungen zu berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass Staatszwecknormen hauptsächlich geschichtlichen Wert236 haben, der normative Gehalt jedoch gering ist: Sie begründen keine Kompetenzen des Bundes237 und sind nicht unmittelbar anwendbar238. Dennoch ist mit der herrschenden Lehre vom Grundsatz auszugehen, dass die Staatszwecke programmatischen Gehalt aufweisen und den staatlichen Organen vorgeben, in welche Richtung sie ihre Aufgaben auszuführen haben239. Bedeutend ist dies vor allem für den Gesetzgeber, der somit bei der 232 233 234 235 236 237 238 239 Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 33 f.; Rhinow, Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsverfassung, S. 173; Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 1 ff. zu Art. 41. Rhinow, aBV Kommentar, N 9 zu Art. 31bis. Gemäss herrschender Lehre sind unter der „Wohlfahrt“ neben der ökonomisch-materiellen noch weitere, immaterielle Komponenten zu verstehen, die allgemein auch als „Lebensqualität“ bezeichnet werden können (Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, Volksgesundheit, kulturelles Wohlbefinden, Volksbildung usw.); Vgl. Rhinow, aBV Kommentar N 13 zu Art. 31bis; Ehrenzeller, BV Kommentar, N 17 zu Art. 2. Siehe auch Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 433. D.h. eben einen welfare loss (vgl. FN 212) verursachen. Aubert, aBV Kommentar, N 20 zu Art. 2; Botschaft VE 96, S. 126. Aubert, aBV Kommentar, N 21 ff. zu Art. 2; Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 31; Sulser, S. 24 f.; Botschaft VE 96, S. 126. Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 31; Sulser, S. 25; Botschaft VE 96, S. 126. Aubert, aBV Kommentar, N 28 zu Art. 2; vgl. auch Bertschi/Gächter, S. 19 ff., wo u.a. dargelegt wird, dass im Laufe der Jahrzehnte die Lehre den Staatszwecknormen ein wenig mehr juristischen Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 48 Ausführung der ihm zugewiesenen Aufgaben die übergeordneten Staatszwecke mit zu berücksichtigen und ihnen zur Verwirklichung zu verhelfen hat240. Der normative Gehalt der Wohlfahrtsbestimmung von Art. 94 Abs. 2 BV kann vergleichbar veranschlagt werden. Weder begründet sie Bundeskompetenzen noch einklagbare Rechte, aber sie gibt den staatlichen Organen – und damit auch dem Gesetzgeber – in verbindlicher Weise die Ziele vor, welche die staatlichen Organe mit ihrer Tätigkeit zu erreichen haben241. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Staatszielbestimmungen geben dem Steuergesetzgeber verbindlich vor, bei den ihm von der Verfassung übertragenen Gesetzgebungsaufgaben das Effizienzkriterium zu beachten bzw. Optimalsteuerüberlegungen vorzunehmen und leiten ihn an, die Steuerordnung so auszugestalten, dass die volkswirtschaftlichen Zusatzkosten minimiert werden242. Wohl findet sich nicht eine explizite entsprechende Vorgabe in der Bundesverfassung; eine solche kann aber dem anerkannten Aussagegehalt des Zweckartikels (Art. 2 BV) und der Wohlfahrtsbestimmung von Art. 94 Abs. 2 BV entnommen werden und wird in den Materialien zur direkten Bundessteuer auch ausdrücklich anerkannt: 240 241 242 Gehalt und Anspruch zubilligte. Jedoch ist auch nach jüngster Lehre der normative Gehalt immer noch sehr beschränkt und so äussern z.B. Bertschi/Gächter, S. 21 f., dass Staatszwecknormen aus rechtlicher Perspektive v.a. programmatischen Charakter aufwiesen und als Auslegungshilfen zu berücksichtigen seien; siehe auch: Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 31; Ehrenzeller, BV Kommentar, N 8 ff. zu Art. 2; Botschaft VE 96, S. 126. Dazu auch Bertschi/Gächter, S. 22 inkl. FN 115; Breiter, S. 233 f.; Ehrenzeller, BV Kommentar, N 12 zu Art. 2. Rhinow, aBV Kommentar, N 15 ff. zu Art. 31bis; S. Vogel, S. 211 f.; Vallender, BV Kommentar, N 11 zu Art. 94; vgl. auch Botschaft VE 96, S. 200, wo auf den identischen normativen Gehalt von Staatszielbestimmungen allgemein hingewiesen wird. Zu beachten insb. Rhinow, aBV Kommentar N 24 zu Art. 31bis: „Der Wohlfahrtsartikel als Staatszielbestimmung ist verbindliche Norm. (...) Er erteilt allen angesprochenen Organen den bindenden und verpflichtenden Auftrag, mit den je verfassungsmässig zur Verfügung stehenden Mitteln und im Rahmen ihrer funktionalen Eignung auf die in Art. 31bis Abs. 1 BV [Art. 94 Abs. 2 der geltenden BV; Anm. des Zitierenden] fixierten Ziele hinzuwirken. Da es, um diese Ziele zu verfolgen, zunächst und vor allem der Rechtsetzung bedarf, ist insbesondere der (Verfassungs- und) Gesetzgeber verpflichtet, aktiv zu werden und das Rechtsetzungsverfahren in Gang zu setzen, wenn sich eine Regelung bzw. das Treffen einer gesetzgeberischen Massnahme im Hinblick auf die gesetzten Ziele als notwendig erweist.“ Wobei eine Optimierung bzw. Abwägung mit anderen Vorgaben zu erfolgen hat und dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsfreiraum zukommt; dazu oben, § 2 B. II. 4.1., S. 43 f., und unten, § 2 B II. 4.3.5., S. 55. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 49 „Der auf Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt gerichtete Staatszweck verlangt, dass die Steuerordnung die nachteiligen Wirkungen der Abgabeerhebung nach Möglichkeit beschränke. Da diesem Gebot bei gesteigertem Finanzbedarf des Staates besonderes Gewicht zukommt, ist es sehr verständlich, dass sich in den letzten Jahren die Öffentlichkeit in vermehrtem Masse mit den Fragen befasst hat, wie sich einerseits die Steuerbelastung und die verschiedenen Methoden der Besteuerung auf den Wirtschaftsprozess auswirken und wie anderseits durch Vereinfachung der Steuerordnung übersichtlichere Verhältnisse geschaffen und durch zweckmässigere Gestaltung des Besteuerungsverfahrens die Belästigung der Wirtschaft mit Umtrieben vermindert werden könnten.“ 243 4.3.3. Konstitutivwirkung der Grundrechte a) Allgemeines Neben den Staatszielbestimmungen sind auch die Grundrechte leitend für die staatlichen Tätigkeiten. Grundrechte weisen ausser ihrem individualrechtlichen, direkt anspruchsbegründenden Gehalt die Funktion von objektiven Grundsatznormen auf, an denen sämtliches Handeln des Staates auszurichten ist244. Die Grundrechte sind demgemäss als Verfassungsnormen zu verstehen, die über konstitutive Kraft verfügen und „bis in die feinsten Verästelungen der Rechtsordnung ausstrahlen“245. Ihnen wird erst Genüge getan, „wenn die gesamte einschlägige Rechtsordnung darauf angelegt wird, die Verwirklichung ihrer Grundideen zu erstreben“246, wobei sich aus dieser konstitutiven Grundrechtswirkung grundsätzlich jedoch kein Anspruch auf einklagbare staatliche Handlungen ergibt247. 243 244 245 246 247 Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 433 unter dem Titel „Das Erfordernis der Vermeidung wirtschaftsschädlicher Auswirkungen“. Für die deutsche Rechtsordnung wies Eidenmüller in einer allgemeineren Fragestellung darauf hin, dass de lege lata keine Staatszielbestimmungen existierten, die ausdrücklich die Berücksichtigung des Effizienzgedankens verlangten; Eidenmüller, S. 443. Zu den Folgerungen von Eidenmüller auch unten, FN 275. Saladin, Wandel, S. 295 ff.; J.P. Müller, aBV Kommentar, N 21 ff. und N 41 f. Einleitung; ders., Elemente, S. 8 ff. und S. 15 ff.; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 55 f. Saladin, Wandel, S. 295. Saladin, Wandel, S. 295. J.P. Müller, aBV Kommentar, N 41 f. Einleitung ; ders., Elemente, S. 5 f.; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 55. Anzumerken ist, dass bei den Grundrechten nicht bestimmte objektivierte Werte im Mittelpunkt stehen, sondern es in der Hauptsache immer um den Schutz konkreter Menschen geht; vgl. dazu oben, FN 158. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 50 Im Rahmen der „Nachführung“ der BV wurde die Konstitutivwirkung der Grundrechte ausdrücklich in Art. 35 BV verankert und betont, dass bei allem Staatshandeln eine Verpflichtung besteht, den Grundrechtsideen zur Verwirklichung zu verhelfen248. Dadurch ist namentlich auch der Gesetzgeber gebunden249, was hinsichtlich Optimalsteuertheorie zur konkreten Frage führt, ob und welche Grundrechte den Steuergesetzgeber anleiten, bei der Ausgestaltung der Steuerordnung das Effizienzkriterium zu berücksichtigen und folglich die volkswirtschaftlichen Zusatzkosten der Steuererhebung zu minimieren. Anknüpfend an diese Fragestellung werden nachstehend die in Art. 27 BV und 94 BV gewährleistete Wirtschaftsfreiheit und die in Art. 26 BV zugesicherte Eigentumsgarantie auf ihre konstitutive Wirkung bezüglich Steuerordnung untersucht. b) Wirtschaftsfreiheit In ihrem individualrechtlichen Gehalt schützt die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 und Art. 94 BV) grundsätzlich jede private auf Erwerb gerichtete Tätigkeit250. Als konstitutives Ordnungsprinzip bringt sie zum Ausdruck, dass die Verfassung eine grundsätzlich staatsfreie Wirtschaft vorsieht, die auf dem Gedanken der Privatautonomie beruht und sich an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiert251. In diesem Zusammenhang 248 249 250 251 Art. 35 Abs. 1 BV: „Die Grundrechte müssen in der gesamten Rechtsordnung zur Geltung kommen.“ Abs. 2: „Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen.“ Dazu auch Botschaft VE 96, S. 192 f.; J.P. Müller; Verfassungsrecht, § 39 N 29 ff.; Schweizer, BV Kommentar, N 1 ff. zu Art. 35. Saladin, Wandel, S. 309 ff.; J.P. Müller, aBV Kommentar, N 22 f., N 35 ff. und N 41 f. Einleitung; ders., Verfassungsrecht, § 39 N 30; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 55; Hauser/Vallender, S. 9. BGE 128 I 3 (9); vgl. auch den Wortlaut von Art. 27 Abs. 2 BV; Vallender/Veit, S. 9; grundlegend zur Wirtschaftsfreiheit: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 60 ff.; ders., BV Kommentar, N 1 ff. zu Art. 27; Rhinow, aBV Kommentar N 31 ff. zu Art. 31; Biaggini, Verfassungsrecht, § 49 N 1 ff. Botschaft VE 96, S. 174; J.P. Müller, Grundrechte, S. 637 f.; Vallender/Veit, S.22; Vallender, Verfassungsrecht, § 61 N 4 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; ders., BV Kommentar, N 67 zu Art. 27; Biaggini, § 49 N 24. Die ordnungspolitische Dimension der Wirtschaftsfreiheit findet in Art. 94 BV erhellenden Ausdruck; dazu auch Botschaft VE 96, S. 294 und S. 296; Vallender, BV Kommentar, N 70 zu Art. 27; Vallender/Veit, S. 8 ff.; ebenda, S. 22: „Insbesondere durch Art. 94 i.V.m. Art. 96 nBV verankert der Verfassungsgeber nun ausdrücklich die Grundentscheidung für eine marktorientierte Privatwirtschaft und bringt die bisher ungeschriebene Gewährleistung der Verfassung der Privatwirtschaft nun auch explizit zum Ausdruck, indem er sich grundsätzlich für das Wirtschaftsordnungsprinzip des Wettbewerbs entscheidet; daneben behalten allerdings im Bereich des Arbeitsrechts Gruppenvereinbarungen ihre Geltung. (...) Mit dieser Konkretisierung für den Grundsatz einer Wettbewerbsordnung klärt der Verfassungsgeber die Bedeutung der Wirtschaftsfreiheit.“ Zu beachten ist, dass die grundsätzlich private Wirtschaftsordnung ergänzt wird Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 51 spricht denn das Bundesgericht auch von einer „wirtschaftspolitischen Grundentscheidung für ein System des freien Wettbewerbs“252. Für den Staat bedeutet eine Bindung an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit demnach in erster Linie, den Wettbewerb unverfälscht, unverzerrt seinem freien Lauf zu überlassen253, was das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zum individualrechtlichen Gehalt der Wirtschaftsfreiheit durch die folgenden drei Grundsätze konkretisiert hat: Den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität staatlichen Handelns254, den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen255 und den Grundsatz der Einheit des Wirtschaftsraumes256. In seinem Gehalt als Ordnungsprinzip leitet die Wirtschaftsfreiheit aber den Staat nicht nur an, die Privatwirtschaftsordnung zu gewährleisten, sondern fordert auch eine aktive Grundrechtspolitik, insbesondere eine entsprechende Gesetzgebung, damit sich eine grundsätzlich freiheitlich-marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsordnung auch faktisch entfalten kann257. Der Grundentscheid zugunsten einer marktorientierten Privatwirtschaft gründet darin, dass der Verfassungsgeber davon ausgeht, die Gewährleistung der Wirtschaftsfreiheit, kombiniert mit weiteren institutionellen Voraussetzungen, stelle nicht nur die Freiheit der Bürger, sondern tendenziell auch die gesamtwirtschaftliche Effizienz sicher und führe zu einer optimaleren Nutzung knapper Ressourcen als dies bei alternativen Koordinationsmechanismen258 der Fall wäre259. In Übertragung auf die aufgeworfene Fragestellung ergibt sich, dass auch der Steuergesetzgeber verpflichtet ist, die Grundentscheidung für eine private marktwirtschaftliche Ordnung zu beachten und dazu beizutragen hat, dass sich die private Wirt- 252 253 254 255 256 257 258 259 namentlich durch Sozial- und Umweltziele und diese ebenfalls in den Staatsgestaltungsprozess miteinfliessen; Vallender/Veit, S. 53 ff. und S. 73 ff.; Rhinow, Verfassungsrecht, § 35 N 12 f. BGE 116 Ia 237 (240); vgl. auch BGE 124 I 25 (31). Vallender/Veit, S. 13. BGE 120 Ib 142 (144); BGE 118 Ia 175 (177); BGE 91 I 457 (462). BGE 128 I 136; BGE 125 I 431; BGE 121 I 129 (135); BGE 121 I 279; BGE 120 Ia 236. BGE 116 Ia 237 (240); dazu auch Art. 95 Abs. 2 BV und das Binnenmarktgesetz. Vgl. auch Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 85 f.; Hauser/Vallender, S. 9. Zur Verpflichtung des Gesetzgebers, aktive Grundrechtspolitik zu betreiben siehe auch: G. Müller, Privateigentum, S. 43 ff., m.w.Nw. Zu den verschiedenen Koordinationsmechanismen: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 4 ff. BGE 124 I 25 (31): „Die marktwirtschaftliche Ordnung, die durch die institutionelle oder wirtschaftspolitische Komponente von Art. 31 BV [Art. 27 i.V.m. Art. 94 nBV; Anmerkung des Zitierenden] geschützt wird, findet ihre Legitimation darin, dass dadurch die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung möglichst effizient und preisgünstig befriedigt werden sollen (...).“; vgl. auch Vallender/Veit, S. 12. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 52 schaftstätigkeit optimal260 entfalten kann und eine effiziente Allokation der Ressourcen gewährleistet ist. Das bedeutet, der Steuergesetzgeber hat Effizienzüberlegungen vorzunehmen261 und muss darauf bedacht sein, die volkswirtschaftlichen Kosten im Rahmen der ihm von der Verfassung übertragenen Aufgaben zu minimieren. Zum einen folgt daraus, dass der Steuergesetzgeber den freien wirtschaftlichen Lauf möglichst nicht stören darf (Wettbewerbsneutralität262) und entsprechend das Ziel zu verfolgen hat, die excess burdens so weit als möglich zu reduzieren. Zum anderen wird der Steuergesetzgeber angewiesen, auf die Minimierung der administrativen Kosten der Besteuerung hinzuwirken. c) Eigentumsgarantie Als Bestandes- und Institutsgarantie hat die Eigentumsgarantie zunächst einmal den Charakter eines Abwehrrechts263. Daneben stellt sie ein konstitutives Element der Wirtschaftsverfassung dar und bildet eine Grundlage der an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierten Privatwirtschaft, wobei ihr Ordnungs- und Koordinationsfunktionen zukommen264. In diesem Zusammenhang hat die Eigentumsgarantie nebst der Dezentralisationsfunktion die Aufgabe, Anreize zu setzen, welche zu einer optimalen Allokation führen265. Als objektives Ordnungsprinzip verlangt die Eigentumsgarantie demnach zum einen eine Rechtsordnung, die geeignete Voraussetzungen zur Bildung und Erhaltung von Eigentumspositionen schafft und fordert zum anderen eine Konkretisierung, „welche die anspornende und die Wirtschaft im Sinne der Dezentralisierung ordnende Wirkung genügend berücksichtigt. Der Eigentümer muss ein ‚Organ der Wirtschaftsverfassung‘ sein können, das wesentlich Anteil hat an der Steuerung 260 261 262 263 264 265 Im Sinne eines Optimierungsgebotes; dazu oben, § 2 B. II. 1., S. 32 inkl. FN 161. Für Deutschland kommt Eidenmüller, S. 443 ff., zu einem gegenteiligen Schluss, da im Grundgesetz kein Entscheid für eine bestimmte Wirtschaftsordnung niedergelegt ist und demnach auch keine Konstitutivwirkung der (Wirtschafts-)Grundrechte bestehe, welche den Gesetzgeber zur Beachtung des Effizienzkriteriums verpflichten könnte; ebenda, S. 444 f. Dazu auch gleich unten, FN 275. Verstanden in einem weiten, allgemein anleitenden Sinn. Vgl. zur Einzelausprägung in Art. 1 Abs. 2 MwStG sowie zur Wettbewerbsneutralität unter „Gewerbegenossen“: Vallender/ Wiederkehr, BV Kommentar, N 34 ff. zu Art. 127. Dazu Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 115 ff.; Vallender, BV Kommentar, N 26 ff. zu Art. 26; Vallender/Veit, S. 14 ff.; G. Müller, aBV Kommentar N 12 ff. zu Art. 22ter aBV; Riva/MüllerTschumi, § 48 N 7 ff. Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 135 f.; Vallender/Veit, S. 17. Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 136; Vallender/Veit, S. 17; G. Müller, Privateigentum, S. 76 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 53 des Wirtschaftsprozesses.“266 Daraus fliesst für den Steuergesetzgeber die Pflicht, nicht unnötige Zusatzkosten zu verursachen, da dadurch Wohlfahrtsverluste ausgelöst und letztlich auch konkrete Eigentümerpositionen geschmälert werden. Zudem hat der Steuergesetzgeber Neutralitätsverletzungen möglichst zu vermeiden, weil diese im Spannungsfeld stehen zur freien Eigentumsdisposition (i.c. Disposition über Produktionsfaktoren) und den privatwirtschaftlichen Steuerungsprozess beschränken. 4.3.4. Verhältnismässigkeit Der in Art. 5 Abs. 2 BV verankerte Grundsatz der Verhältnismässigkeit, der sämtliche staatliche Organe267 und daher auch den Steuergesetzgeber bindet, fordert, dass eine staatliche Massnahme geeignet sein muss, das angestrebte Ziel zu erreichen (Geeignetheit), dass sie nicht schärfer eingreift, als dies für die Erreichung des Ziels erforderlich ist (Erforderlichkeit) und darüber hinaus muss die Massnahme in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen (Verhältnismässigkeit im engeren Sinne bzw. Zumutbarkeit)268. Im Kontext der ökonomischen Theorie des Rechts ist insbesondere das Element der Erforderlichkeit (zum Teil auch als Notwendigkeit umschrieben) von Relevanz. Unter Erforderlichkeit wird verstanden, dass eine staatliche Massnahme zu unterbleiben hat, wenn eine gleich geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreichen würde269. Demgemäss darf die Massnahme in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht über das Notwendige hinaus gehen270. Mit Bezug auf die Besteuerung und die dadurch verursachten volkswirtschaftlichen Zusatzkosten bedeutet dies, dass eine bestimmte, grundsätzlich verfassungsmässige (d.h. vor allem eine die oben genannten Besteuerungsgrundsätze271 berücksichtigende) Art der Besteuerung zu unterbleiben hat, wenn eine andere, ebenfalls den verfassungsmässigen Vorgaben verpflichtete Art der Besteuerung die selben Einnahmen generiert, aber geringere volkswirtschaftliche Zusatzkosten verursacht. 266 267 268 269 270 271 G. Müller, Privateigentum, S. 79; siehe auch Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 135. BGE 96 I 234 (242); vgl. auch Huber, Verhältnismässigkeit, S. 24 ff.; P. Muller, S. 213; Hotz, S. 5 f. Botschaft VE 96, S. 133 f.; Zimmerli, S. 12 ff.; Häfelin/Müller, N 486 ff.; Hangartner, BV Kommentar, N 33 ff. zu Art. 5. BGE 124 I 40 (44 f.); BGE 117 Ia 472 (483); BGE 107 Ia 64 (67); Zimmerli, S. 14; Hotz, S. 13 ff.; Häfelin/Müller, N 496 ff. BGE 124 I 40 (44 f.); Zimmerli, S. 14 f. m.w.Nw.; Häfelin/Müller, N 496 ff. Dazu oben, § 2 B. II. 2. und 3., S. 33 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 54 Demgemäss kann auch aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, namentlich aus dem Teilelement der Erforderlichkeit, die Vorgabe an den Steuergesetzgeber entnommen kann, beim Erlass von Besteuerungsnormen das Effizienzkriterium zu beachten272, 273. 4.3.5. Abwägung und Begrenzung Wie dargelegt wurde, kann aus den Staatszielbestimmungen, der Konstitutivwirkung von Wirtschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie sowie dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit eine grundsätzlich nicht einklagbare274, jedoch verbindliche Vorgabe an den Steuergesetzgeber gewonnen werden, bei seiner Rechtsetzungstätigkeit das Effizienzkriterium zu berücksichtigen und darauf bedacht zu sein, eine allokativ optimale Steuerordnung auszugestalten275. Bei legislativer Tätigkeit im Steuerbereich wird zum 272 273 274 275 Vgl. auch Veit, S. 15; siehe zudem Mastronardi, BV Kommentar, N 18 Art. 170, der ausführt, dass Effizienz allgemein zwar kein Verfassungsprinzip darstelle, dass aber bei der Verfolgung staatlicher Ziele auch in wirtschaftlichem Sinne das Verhältnismässigkeitsprinzip zu berücksichtigen sei. Staatliche Ziele müssten demnach auch auf möglichst wirtschaftliche Weise erreicht werden. Anzumerken ist, dass der Grundsatz der Verhältnismässigkeit wohl das gesamte staatliche Handeln und somit auch den Steuergesetzgeber beschlägt, hinsichtlich Justiziabilität aber Probleme aufwirft (dazu auch Huber, Verhältnismässigkeit, S. 25 f.). Mit Bezug auf durch den Steuergesetzgeber zu verantwortende unverhältnismässige bzw. nicht erforderliche volkswirtschaftliche Zusatzkosten kann nur von einer sehr begrenzten Justiziabilität ausgegangen werden, was jedoch nicht die normative Kraft auf den Gesetzgeber mindert, sondern nur die beschränkte richterliche Überprüfungsmöglichkeit aufzeigt (bei Steuergesetzen des Bundes wäre das Bundesgericht ohnehin nicht befugt, das Gesetz ausser Kraft zu setzen; es greift das Anwendungsgebot von Art. 191 BV). Abgesehen von der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit für Bundesgesetze (Anwendungsgebot von Art. 191 BV) ergibt sich die Vorgabe zur optimalen Allokation aus nicht direkt-anspruchsbegründenden Verfassungspositionen (Staatszielbestimmungen/Konstitutivwirkung der Grundrechte), und die Verhältnismässigkeitsforderung scheint in diesem Zusammenhang nicht genügend justiziabel, wobei Ausnahmen in Fällen krasser excess burdens bzw. administrativer Kosten theoretisch denkbar sind. Aber auch dann ist hinsichtlich Bundesgesetzen die Einklagbarkeit aufgrund Art. 191 BV verwehrt. Wie bereits oben, FN 261, erwähnt wurde, gelangt Eidenmüller in seiner auf Deutschland bezogenen Untersuchung über ein allgemeines Effizienzprinzip zum Schluss, dass dem Gesetzgeber keine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gegeben sind, das (allgemeine) Effizienzkriterium zu beachten. Er begründet dies mit dem Fehlen einschlägiger Staatszielbestimmungen (Eidenmüller, S. 443) und insbesondere der relativen Offenheit der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes (S. 443 ff.): „Wenn das Grundgesetz den Gesetzgeber nicht einmal auf die freie oder soziale Marktwirtschaft festgelegt hat, dann kann man schwerlich die These vertreten, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet sein soll, Recht nach Gesichtspunkten der ökonomischen Effizienz zu setzen.“ (Eidenmüller, S. 444 f.) Diese Aussage kann aber nicht – oder nur Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 55 Teil auch deutlich, dass sich die gesetzgebenden bzw. gesetzesvorbereitenden Organe des Allokationsproblems durchaus bewusst sind und dementsprechend Effizienzüberlegungen anstellen276, womit der Effizienzvorgabe partiell bereits nachgekommen wird. Der Gesetzgeber hat die Vorgabe der allokativ optimalen Steuerordnung in Abwägung mit den anderen Steuergrundsätzen umzusetzen277. Dabei zeigen namentlich die Vorgaben der horizontalen Gleichmässigkeit und das Erfordernis der vertikalen Differenzierung zum einen sowie das tradierte Verständnis des Leistungsfähigkeitsprinzips zum anderen dem Effizienzdenken Richtung und Schranken auf278. Die Implementierung eines Steueraufschubes auf gespartem Einkommen bis zum Zeitpunkt der Sparauflösung oder des Austritts aus der Steuerpflicht, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen, scheint diesbezüglich eine taugliche harmonisierende Abwägung des Effizienzgedankens mit den klassischen Steuergrundsätzen: Ohne prinzipielle Abweichung von der bestehenden Steuerordnung und deren Bindung an die klassischen Steuer- 276 277 278 „umgekehrt“ – auf die Schweizer Rechtsordnung übertragen werden. Anerkanntermassen kennt das deutsche Grundgesetz keine Wirtschaftsverfassung im Sinne eines ordnungspolitisch geschlossenen Systems (Scholz, GG Kommentar, N 77 zu Art. 12). Gemäss Rechtsprechung (z.B. BVerfGE 4, 7 [17 f.]; BVerfGE 30, 292 [317 f.]; BVerfGE 50, 290 [336 ff.]) und h.L. (Scholz, GG Kommentar, N 77 zu Art. 12 GG, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG Kommentar, N 61 Einleitung; R. Schmidt, § 83 N 15 ff.; vgl. auch Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 28 ) ist das Grundgesetz wirtschaftspolitisch weitgehend offen. Anders – man könnte fast sagen, mit umgekehrten Vorzeichen – stellt sich hingegen die Ausgangslage in der Schweiz dar: Die Schweizer Wirtschaftsverfassung ist, wie eben erläutert wurde, geschlossener und enthält auch Zielrichtungen für und Vorgaben an den Gesetzgeber. Nebst der bereits auf S. 49 f. angeführten Stelle sind z.B. auch die Überlegungen in der Botschaft zur Reform der Unternehmungsbesteuerung (1997), S. 1175, aussagekräftig: „Insgesamt sollen die Rahmenbedingungen für die schweizerische Wirtschaft und damit die Wachstumsaussichten verbessert werden. Das Steuersystem stellt ein wesentliches Element dieser Rahmenbedingungen dar. Die Höhe der Steuerbelastung einerseits und die Struktur der Steuersystems andererseits sind von grosser Bedeutung für die Standortattraktivität eines Landes. Bei der Wahl der Produktionsfaktoren spielt deren steuerliche Belastung eine nicht zu unterschätzende Rolle. (...) Die Leistungserbringung der öffentlichen Hand hat in jedem Fall bestimmten Anforderungen zu genügen. So sollen erstens die öffentlichen Aufgaben möglichst effizient, d.h. zu minimalen Kosten erbracht werden. Zweitens soll das Steuersystem idealerweise die wirtschaftlichen Entscheide von Haushalten und Unternehmen nicht verzerren. Diesem Ideal kann in der Wirklichkeit kein Steuersystem vollumfänglich genügen. Das Ziel einer Steuerreform sollte jedoch sein, vorhandene Verzerrungen des Steuersystems möglichst zu beseitigen.“ Vgl. auch die Überlegungen auf kantonaler Ebene, unten, § 2 B. II. 4.4.2. bb), S. 60 ff. Zur Abwägung/Optimierung oben, § 2 B II. 1., S. 32 inkl. FN 161. Zu diesen inhaltlichen Vorgaben (Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) oben, § 2 B. II. 3., S. 37 ff. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 56 grundsätze wird durch die Massnahme eines Steueraufschubes – so die oben referierten Ansichten279 – ein allokativer Mehrwert erzielt. Hinsichtlich der vorgenommenen Begründung der Effizienzanweisung an den Steuergesetzgeber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass unsicheres Terrain beschritten wird, wenn wie vorliegend aus einzelnen Verfassungsideen Aussagen abgeleitet werden, die nicht ausdrücklich niedergeschrieben sind, denen man dann aber normkonzipierenden Grundsatzgehalt zuschreibt. Auch wenn konkret verschiedene Argumente für die aufgezeigte Effizienzanweisung sprechen, besteht allgemein die Gefahr, dass die Verfassung mit subjektiven Wertungswünschen gelesen280 und überstrapaziert281 und ihr mehr entnommen wird, als sie gewähren will. Aus diesen Gründen wird vorgeschlagen, den demokratischen Diskurs zu beschreiten und zur Absicherung der erfolgten Darlegungen auf politischem Wege zu prüfen, ob der Steuergesetzgeber an einen Grundsatz der möglichst effizienten Besteuerung gebunden ist bzw. sein soll. Von der Grundidee her sollte ein solcher Grundsatz den Gesetzgeber anleiten und wäre folglich auf einer über dem Gesetz stehenden Stufe, konkret auf Verfassungsstufe, zu normieren. Es wird daher im Folgenden abgeklärt, ob aus rechtswissenschaftlicher Sicht eine Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber überhaupt als Steuergrundsatz in die Verfassung aufgenommen werden kann. 4.4. Ausdrückliche Verankerung in der Verfassung? 4.4.1. Grundsatzcharakter Rechtsgrundsätze wirken in erster Linie programmatisch und stellen verbindliche Richtlinien für den Gesetzgeber dar. Demgemäss bedürfen Rechtsgrundsätze der Konkretisierung und Entfaltung in der Gesetzgebung282. Die dargestellte steuerliche Effizi279 280 281 282 § 2 II. B. 4.2., S. 43. Zur Gefahr des Rechtssubjektivismus u.a. Lang, das Ethische, S. 9; vgl. auch Kruse, S. 1077. Bzgl. Überstrapazierung der Konstitutivwirkung von Grundrechten: J.P. Müller, aBV Kommentar, N 24 Einleitung. Larenz, S. 474; Larenz/Canaris, S. 302 f.; Canaris, S. 46 ff.; Esser, Grundsatz und Norm, S. 5 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 132; Tipke/Lang, § 4 N 11; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 68 ff. Zu den „rechtssatzförmigen Prinzipien“ u.a. Larenz, S. 479. Anzufügen ist, dass die genaue Definition dessen, was ein Prinzip (Prinzip und Grundsatz werden in dieser Arbeit synonym verwendet) ausmacht und insbesondere die Abgrenzung des Prinzips zur Norm in der Lehre umstritten ist; dazu Alexy, Grundrechte, S. 72 ff. m.w.Nw. Siehe zu den Grundsätzen auch Senn, S. 108, wobei jedoch anzumerken ist, dass sich gemäss heute herrschender Lehre ein Prinzip nicht mehr durch dessen „generellen Charakter“ auszeichnet: Esser, Grundsatz und Norm, S. 51; Alexy, Grundrechte, S. 73 inkl. FN 9. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 57 enzvorgabe, deren Herleitung von den das Gleichheitsgebot konkretisierenden Steuergrundsätzen abweicht, weist ebenfalls Grundsatzcharakter auf. Sie leitet den Gesetzgeber an in der Rechtsordnung, das heisst im Steuerrecht im Speziellen283, eine bestimmte Grundidee zur Verwirklichung zu bringen. 4.4.2. Verfassungswürde Weiter ist zu prüfen, ob der steuerlichen Effizienzanweisung Verfassungswürde zukommt. Wenn auch der Verfassungsgeber – abgesehen von rechtsstaatlich-materialen Schranken284 – grundsätzlich frei über den Verfassungsinhalt verfügen kann, ist er durch faktische Verfassungsvorgaben und Einbindungen gebunden285 und es sind bestimmte „Erfahrungssätze, Ratschläge und unverbindliche Maximen“286 zu beachten. In ihrer auf die Schweizer Rechtslage und das Schweizer Verfassungsverständnis abstellenden Untersuchung über die verfassungsrechtliche Verankerung von anerkannten Besteuerungsgrundsätzen hat SYLVIA MARIA SENN nachstehende vier Kriterien entwickelt287, an denen sich der Verfassungsgeber in der Regel auszurichten hat. Dabei betrifft das erste Kriterium die faktischen Schranken und die anderen drei stellen verfassungstheoretische Kriterien dar: 283 284 285 286 287 Dabei wird offensichtlich, dass es sich um einen lokalen Rechtsgrundsatz handelt. Siehe zur Begriffsabgrenzung lokales/globales Rechtsprinzip Eidenmüller, S. 464. Weil hier nur das Steuerrecht untersucht wird, können keine Aussagen darüber gemacht werden, ob und inwiefern Effizienz als ein weiter reichendes Rechtsprinzip der Schweizer Rechtsordnung zu verstehen ist. J.P. Müller, aBV Kommentar, N 28 ff. Einleitung; ders., Elemente, S. 37 f.; ders., Materiale Schranken, S. 195 ff.; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 56; Hangartner, Grundzüge, S. 218; siehe dazu auch bereits oben, § 2 B. II. 1., S. 33 inkl. FN 165. Grundlegend Häfelin, Verfassungsgebung, S. 128 f.: „Die Verfassung ist nicht frei machbar. Da sie ihre Geltungskraft nicht von einer höheren Ordnung ableitet, hat die Verfassung um ihre Anerkennung und Wirksamkeit selbst besorgt zu sein. Das bedeutet, dass die Verfassungsgebung einerseits auf Realien, auf die sozialen und politischen Gegebenheiten, Rücksicht nehmen muss und anderseits die bisherige Rechtsentwicklung, soweit sie noch lebendig ist, nicht unbeachtet lassen darf. Realitätsbezogenheit und Anknüpfung an die Verfassungstradition sind wichtige Voraussetzungen für die Wirkungskraft der Verfassung. Beide schränken allerdings die Entscheidungsfreiheit des Verfassungsgebers ein.“ Vgl. auch Hesse, Kraft, S. 8 ff.; ders., Grundzüge, S. 18; J.P. Müller, Soziale Grundrechte, S. 739; Schlussbericht (1973), S. 29; Imboden, S. 309 f.; siehe darüber hinaus auch Mösle, S. 14 f.; Senn, S. 75 f. Eichenberger, Möglichkeiten, S. 11; G. Müller, Inhalt und Formen, S. 86 ff. und S. 107 ff.; siehe auch Senn, S. 75. Senn, S. 75 ff., mit eingehender Begründung und Herleitung der Kriterien. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 58 a) Anknüpfung an die Verfassungstradition b) Wesentlichkeit, Wichtigkeit, Grundsätzlichkeit c) Inhaltliche Bestimmtheit, Klarheit und Rechtsverbindlichkeit d) Dauerhaftigkeit In Anlehnung an SENN wird im Folgenden anhand dieser vier Kriterien beleuchtet, ob ein Grundsatz der möglichst effizienten Besteuerung Verfassungsrang beanspruchen kann. a) Anknüpfung an die Verfassungstradition (1. Kriterium) Das Tradierte, das sich in der Vergangenheit als sachlich tauglich erwiesen hat und dessen Sinngehalt weiterhin anerkannt ist, wird ein vernünftiger Verfassungsgeber nicht abschneiden wollen288. Durch Anschluss an das Hergebrachte wird eine stetige, stufenförmige Verfassungsentwicklung ermöglicht289 und die Implementation neuen Rechts erleichtert290. Verfassungsschöpfung im bestehenden Staat tritt dementsprechend ein Erbe an und steht unter dem „Gewicht des Gewordenen“291. Die Verfassung will „behalten und hegen, was als Traditionsgut teuer und als Erfahrungsgut bewährt ist“292. aa) Bundesebene In Bezug auf ein steuerliches Effizienzprinzip greift auf Bundesebene der Versuch eines Verfassungsanschlusses ins Leere. Wurden erst – und entgegen der ursprünglichen Vorlage des Bundesrates293 – mit der auf 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Verfassungsrevision die „anerkannten“ Besteuerungsgrundsätze der Allgemeinheit der Be288 289 290 291 292 293 Eichenberger, Möglichkeiten, S. 5 f.; Senn, S. 78 f., m.w.Nw. Senn, S. 78, mit zahlreichen weiteren Hinweisen. Eichenberger, aBV Kommentar, N 70 Verfassungsrechtliche Einleitung; Senn, S. 78. Imboden, S. 309; Senn, S. 79. Eichenberger, Sinn, S. 220; Senn, S. 79; Ehrenzeller, Verfassungsreform, S. 976; vgl. auch Botschaft VE 96, S. 116 und S. 120. Erläuterungen VE 95, S. 132; Anmerkungen VE 95, S. 71; Botschaft VE 96, S. 345 und S. 616 (Art. 118). Erst im Differenzbereinigungsverfahren wurde dem Ansinnen des Nationalrates nachgekommen und die inhaltlichen Besteuerungsgrundsätze in den Verfassungsentwurf aufgenommen: Amtl. Bull. NR, 6. Oktober 1998, S. 2036.; Amtl. Bull. StR, 1. Dezember 1998, S. 1163. Dazu auch Senn, S. 283, mit umfassenden Nachweisen; Richli, Finanzverfassung, S. 65 f.; Locher, Verfassungsrecht, § 77 N 3 inkl. FN 9. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 59 steuerung, Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ins formelle Bundesverfassungsrecht aufgenommen und war ein Effizienzgrundsatz bislang auch bundespolitisch noch nicht in der Diskussion, ist festzustellen, dass eine steuerliche Effizienzanweisung den Rahmen der Bundesverfassung sprengt. Leicht abgeschwächt werden kann diese Aussage jedoch durch die Gesetzgebungsrealität, die aufzeigt, dass bei der Steuergesetzgebung Effizienzüberlegungen miteinfliessen294, was darauf hindeutet, dass sich die gesetzgebenden bzw. gesetzesvorbereitenden Bundesorgane faktisch bereits einer steuerlichen Effizienzverpflichtung bewusst sind. bb) Kantonsverfassungen Hinsichtlich Verfassungstradition ist aber der Blick nicht nur auf die Bundesverfassung zu richten, sondern es sind auch die kantonalen Verfassungen einzubeziehen, die in wesentlichem Masse die Verfassungstradition des Schweizer Bundesstaates mitprägen295. Bei Revisionen kantonaler Verfassungen erfolgt zumeist ein Prozess der „Textstufenentwicklung“, und der kantonale Verfassungsgeber nimmt durch das Bundesgericht entwickeltes ungeschriebenes Verfassungsrecht, wissenschaftliche Entwicklungen oder die gesellschaftliche und politische Diskussion auf und schreibt diese in der Verfassung nieder296. Dadurch widerspiegeln die kantonalen Verfassungen nicht selten genauer als die BV die gelebte und auch aktuell legitimierte297 Verfassungswirklichkeit. Bei der jüngst erfolgten „Nachführung“ der BV wurde zwar der Anschluss an die Verfassungswirklichkeit gesucht, bezüglich der Besteuerungsgrundsätze wurden hingegen „lediglich“ die vom Bundesgericht als Bundesverfassungsrecht anerkannten, subjektive Rechte vermittelnden Steuergrundsätze (Legalitätsprinzip im Abgaberecht, Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung, Besteuerung nach der wirt- 294 295 296 297 Siehe oben, § 2 B. II. 4.3.5., S. 54 f. Häberle, Neuere Verfassungen, S. 355, spricht in diesem Zusammenhang vom „durchlässigen“ Bundesstaat. Dazu grundlegend: Häberle, Textstufen, S. 555 ff.; ders., Neuere Verfassungen, S. 368 ff.; ders., Entwicklungsstufe, S. 436 f; siehe im steuerlichen Bereich auch Waldhoff, S. 307 und 342 f. Zur Legitimation durch Gegenwartsbezug siehe auch Zippelius, S. 25. 60 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben schaftlichen Leistungsfähigkeit) verankert, womit der Rahmen einer „Nachführung“298 eingehalten wurde. Bei den meisten der in den letzten Jahrzehnten totalrevidierten Kantonsverfassungen zeigt sich aber ein fruchtbares Spriessen von darüber hinausgehenden, an den Gesetzgeber gerichteten Steuervorgaben. Bei diesen Kantonsverfassungen wird daher in zweifacher Hinsicht eine neue „Textstufe“ betreten: Zum einen, da sie die bislang höchstrichterlich gewährten individualrechtlichen Besteuerungsgrundsätze kodifizieren299. Zum anderen, weil weitergehend aus der aktuellen (politischen) Diskussion und der Wissenschaft stammende Anregungen aufgenommen und zu verbindlichen Vorgaben an den Steuergesetzgeber300 ausgeformt wurden. Aus optimal taxation-Perspektive ist in erster Linie der sinngemäss in fünf301 (totalrevidierten) Kantonsverfassungen niedergeschriebene Passus bedeutend, wonach die Besteuerung so zu erfolgen hat, dass „der Leistungswille der Einzelnen erhalten bleibt“. Zusätzlich zu moralischen und gerechtigkeitsverpflichteten Aspekten, nämlich dass der Fleissige nicht mit übermässigen Steuern „bestraft“ werden solle302, enthält diese Formulierung auch ökonomische Aspekte. Das wird offensichtlich, wenn man die Folgen der Beeinträchtigung des Leistungswillens bedenkt: Vormals produktives Verhalten wird infolge der drohenden Besteuerung reduziert oder eingestellt, was nebst einem Entgang der Steuern auch das Sinken der volkswirtschaftlichen Produktivität zur Folge hat. Mit anderen Worten, aus der Hemmung des Leistungswillens resultieren Allokationsineffizienzen bzw. excess burdens. Ein dagegen anwirken fordert hingegen 298 299 300 301 302 Zum Begriff der Nachführung auch Botschaft VE 96, S. 45; zum Nachführungsauftrag ebenda, S. 115 ff. Waldhoff, S. 307; Senn, S. 202 Z.B. § 119 Abs. 2 KV AG: „Die Steuern sind so zu bemessen, dass die gesamte Belastung der Steuerpflichtigen mit Abgaben nach sozialen Grundsätzen tragbar ist, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nicht überfordert, der Wille zur Einkommens- und Vermögenserzielung nicht geschwächt wird und die Selbstvorsorge gefördert wird.“ Vgl. auch den inhaltlich fast gleichlautenden Wortlaut von Art. 60 Abs. 2 KV UR. Sehr ausführlich der Katalog in § 133 I KV BL: „Bei der Ausgestaltung der Steuern sind zu beachten: a. die Grundsätze der Allgemeinheit, der Solidarität und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, b. die Erhaltung des Leistungswillens des einzelnen, c. die Schranken der Eigentumsgarantie und die Gesamtbelastung der Steuerpflichtigen mit Abgaben, d. die Auswirkungen auf Wirtschaftsablauf und Wettbewerbsverhältnisse, e. die Möglichkeit der Steuerflucht und der Verringerung des Steuersubstrates, f. die Gleichbehandlung juristischer Personen, ungeachtet ihrer Rechtsform, unter Vorbehalt gesetzlicher Steuerbefreiung in besonderen Fällen.“ § 119 Abs. 2 KV AG; Art. 104 Abs. 2 KV BE; § 133 Abs. 1 lit. a KV BL; Art. 133 Abs. 1 KV SO; Art. 60 Abs. 2 KV UR. Vgl. dazu auch die oben dargestellten Überlegungen von Mill; § 1 B., S. 5. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 61 der dargelegte Verfassungspassus, der somit eine sachlich beschränkte Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber darstellt. Sachlich beschränkt insofern, als sich die Vorgabe nur auf den Leistungsaspekt, das heisst den einkommens- und ertragssteuerlichen Aspekt, bezieht und allfällige Ineffizienzen bei der Besteuerung von nicht produktiven Sachverhalten (z.B. Konsumbesteuerung) ausser Acht lässt. Für den optimal taxation-Ansatz ist des Weiteren § 133 I KV BL von hoher Relevanz303. Nebst der in lit. b postulierten Forderung nach dem Erhalt des Leistungswillens wird der Gesetzgeber angewiesen, bei der Steuerausgestaltung zu beachten: lit. d „die Auswirkungen auf Wirtschaftsablauf und Wettbewerbsverhältnisse“ und lit. e „die Möglichkeit der Steuerflucht und der Verringerung des Steuersubstrates“. Während lit. e implizit durch den Effizienzgedanken geprägt ist, bringt ihn lit. d in aller Deutlichkeit zum Ausdruck und stellt eine umfassende Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber dar304. Ergänzend ist anzufügen, dass bei Kantonsverfassungs-Totalrevisionen vereinzelt auch der Versuch unternommen wurde, fundamentale Reformen der Steuerordnung vorzunehmen, um die Erkenntnisse der Steuerwissenschaft inkl. der Optimalsteuertheorie umzusetzen. So wurde zum Beispiel im Kanton St. Gallen von der Verfassungskommission diskutiert, eine sparbereinigte Einkommensteuer einzuführen. Aufgrund entgegenstehender zwingender Vorgaben des Bundesrechts wurde jedoch davon abgesehen305: „Die Verfassungskommission hatte zu Beginn ihrer Beratungen in Betracht gezogen, eine sparbereinigte Einkommensteuer, wie sie in der Rechtswissenschaft zur Zeit diskutiert wird, zu ermöglichen. Danach könnte das Steuersubjekt auch das Gesparte abziehen, so dass nur noch der Konsum besteuert würde. Eine solche sparbereinigte Einkommensteuer kann jedoch der kantonale Gesetzgeber nicht selbständig einführen, weil das Steuerharmonisierungsgesetz in Art. 9 die zulässigen Abzüge abschliessend bestimmt und dabei das Gesparte nicht als abzugsfähig anerkennt.“ Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber teilweise an die Verfassungstradition anknüpfen kann. Wohl fehlen auf 303 304 305 Die Materialien zeigen auf, dass diese Norm im Verfassungsrat unumstritten war und keine weiteren Diskussionen auslöste. Bezüglich der Steuergrundsätze konzentrierte sich die Diskussion vielmehr auf eine Bestimmung, welche die prozentuale Begrenzung der Gesamtsteuerbelastung vorsah. Diese Begrenzungs-Bestimmung wurde dann aber vom Verfassungsrat abgelehnt. Vgl. dazu: Begleitbericht, S. 149; Dokumente 1980-82, S. 135 Lediglich die administrativen Kosten fanden keine eindeutige Berücksichtigung. Botschaft und Entwurf KV SG, S. 372. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 62 Bundesebene entsprechende Verfassungsnormierungen, jedoch sind in den meisten „modernen“ Kantonsverfassungen Einzelausprägungen des optimal taxation-Gedankens enthalten (Erhaltung des Leistungswillens) und in der Kantonsverfassung von Basel-Land findet sich eine Rücksichtnahme auf allokative Auswirkungen der Besteuerung sogar ausdrücklich niedergeschrieben. Somit steht eine allfällige steuerliche Effizienzvorgabe zwar nicht unter dem „Gewicht des Gewordenen“, stellt aber auch keine willkürliche „Neuerung“ dar, sondern nimmt vielmehr das „im Werden Begriffene“ auf und sichert – gerade wenn im Verfahren der Verfassungsrevision darüber abgestimmt wird – die aktuelle Legitimation der verfassungsmässigen Besteuerungsvorgaben. b) Wesentlichkeit, Wichtigkeit, Grundsätzlichkeit (2. Kriterium) Die Rechtsordnung ist ein pyramidenförmiger Bau, der sich in verschiedene Stufen des Rechts von unterschiedlicher Ranghöhe gliedert306. Zwischen den einzelnen Stufen besteht ein hierarchisches Verhältnis, indem die Akte einer höheren Stufe den Akten der unteren Stufe gegenüber derogieren307. Die Stufenordnung der Rechtsetzungsformen zeichnet die Rangfolge der Rechtsetzungsorgane nach, wobei sich im demokratischen Rechtsstaat der Rang des Rechtsetzungsorgans nach dem Grad der demokratischen Legitimation bestimmt308. Weil in einer demokratischen Rechtsordnung der Verfassungsgeber im Allgemeinen am stärksten demokratisch legitimiert ist309, nimmt dementsprechend die Verfassungskodifikation im Stufenbau der innerstaatlichen Erlasse regelmässig den obersten Rang innerhalb der Rechtspyramide ein310. Der obersten formalen Stufe und dem damit zusammenhängenden „höchsten Mass“ an demokratischer Legitimation entspricht es, wenn die Normen dieser Stufe auch inhaltlich die obersten bzw. die grundlegenden, den Staat konstituierenden Normen bil- 306 307 308 309 310 G. Müller, Inhalt und Formen, S. 11, m.w.Nw.; Senn, S. 84, m.w.Nw. G. Müller, Inhalt und Formen, S. 11, m.w.Nw.; Mösle, S. 35; Senn, S. 84, m.w.Nw. Hingegen ist die derogative Kraft des Bundesverfassungsrechts gegenüber den Bundesgesetzen nicht durchsetzbar: Es greift das Anwendungsgebot von Art. 191 BV. G. Müller, Inhalt und Formen, S. 107; Mösle, S. 36. In der Schweiz namentlich durch das obligatorische Verfassungsreferendum: Art. 140 Abs. 1 lit. a BV bzgl. eidgenössischer Stufe und Art. 51 Abs. 1 BV hinsichtlich kantonaler Ebene. Zum Verfassungsvorrang siehe auch Eichenberger, aBV Kommentar, N 26 ff. Verfassungsrechtliche Einleitung; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 34; Senn, S. 84, m.w.Nw. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 63 den311. Demzufolge sind in einer Verfassung die wichtigsten, wesentlichsten Normen einer Rechtsordnung niederzulegen312. Eine mathematisch genaue Definition dessen, was als das Wichtigste und entsprechend als verfassungswürdiger Norminhalt zu qualifizieren ist, gibt es verständlicherweise nicht313, und die Frage wird bis zu einem gewissen Grad auch immer Streitpunkt bilden314. Als Leitlinie schlägt GEORG MÜLLER fünf Gesichtspunkte vor, die zur Bewertung der Wichtigkeit einer Norm herangezogen werden können315: 1. Grösse des Adressatenkreises der Norm und Zahl der geregelten Sachverhalte 2. Intensität, mit welcher die Norm in Grundrechtspositionen eingreift 3. Bedeutung der Norm für das politische System 4. Finanzielle Auswirkungen der Regelung 5. Akzeptanz, mit welcher eine Norm bei den Betroffenen bzw. den Stimmberechtigten oder im Parlament rechnen kann Gemäss GEORG MÜLLER sind darüber hinaus bei der Unterscheidung, ob es sich um eine wichtige Norm, die im Gesetz zu regeln ist, oder um eine wichtigste, in der Verfassung zu statuierende Norm handle, auch die Funktion der Verfassung sowie die 311 312 313 314 315 G. Müller, Inhalt und Formen, S. 107 f.: „Eine Hierarchie der Rechtssetzungsformen ergibt sich aber auch aus ihrem Inhalt und ihrer Funktion: An oberster Stelle stehen die Formen, welche die wichtigsten, den Staat konstituierenden Normen enthalten. Auf einer nächsten Stufe folgen Formen, die wichtige Regelungen zum Gegenstand haben, auf der untersten schliesslich diejenigen, deren Inhalt Bestimmungen von geringerer Bedeutung bilden. (...) Die Rechtsetzung kann ihre politische Funktion nur erfüllen, wenn sichergestellt ist, dass über eine Rechtsnorm dasjenige Organ entscheidet, das hiezu demokratisch legitimiert erscheint. Dies setzt eine Einteilung der Normen nach ihrer Wichtigkeit und eine Zuordnung der so geschaffenen Normenkategorien (Rechtssetzungsformen) zu den verschiedenen Organen nach dem Grad ihrer demokratischen Legitimation voraus.“ Zur Korrelation von demokratischer Legitimation der Normsetzungsstufe und Bedeutung einer Norm auch G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 112; Expertenkommission Kompetenzverteilung (1995), S. 445 f.; Gesetzgebungsleitfaden (1995), S. 170 f.; Sägesser, S. 682 ff.; Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, S. 21 f.; Seiler, S. 314 ff. Vgl. auch Kägi, S. 59 ff. und S. 66 ff.; Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, S. 21 f., Seiler, S. 314 ff.; Mösle, S. 37 f.; Senn, S. 86; zur Grundsätzlichkeit der Verfassung auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 108 ff. Senn, S. 87. Eichenberger, aBV Kommentar, N 15 Verfassungsrechtliche Einleitung; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 109 ff.; Senn, S. 90 f., m.w.Nw. und S. 213. G. Müller, Inhalt und Formen, S. 111 ff.; ders., Rechtssetzungslehre, S. 112 f. Diese Kriterien werden auch verwendet bei Senn, S. 87. 64 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Stellung und die Aufgaben des Verfassungsgebers mitzuberücksichtigen316. Zur Abklärung der Wichtigkeit einer Norm schlägt er demnach ein zweistufiges Vorgehen vor317: Zunächst soll unter Anwendung der oben genannten Kriterien eruiert werden, ob ein Norminhalt als wichtig bezeichnet werden kann. Anschliessend ist mit Blick auf Funktion und Bedeutung des Verfassungsorgans die Feinausmarchung vorzunehmen und das Wichtigste vom „lediglich“ Wichtigen zu trennen. Unter Anwendung dieses zweistufigen Verfahrens wird nachstehend geprüft, ob eine steuerliche Effizienzvorgabe zu den wichtigsten, in der Verfassung zu regelnden Materien gehört. Mit Bezug auf die Grösse des Adressatenkreises der Norm und Zahl der geregelten Sachverhalte ist anzuführen, dass die Effizienzvorgabe die Steuerordnung betrifft und sich daher auf sämtliche Steuerpflichtigen und alle mit diesen verbundenen steuerpflichtigen Sachverhalte auswirkt. Die Relevanz für Eingriffe in Grundrechtspositionen ist ebenfalls zu bejahen. Zwar greift die Effizienzanweisung nicht direkt in geschützte Grundrechtspositionen ein, sie steht aber im Zusammenhang mit der in Eigentumsrechte eingreifenden Besteuerungsgewalt318. Befolgt der Gesetzgeber die Effizienzanweisung, kann dies zu Veränderungen an der Steuerordnung und einer damit einhergehenden Umstrukturierung steuerrechtlicher Eingriffe in Eigentumspositionen führen. Hinsichtlich der Bedeutung der Norm für das politische System kann in Anlehnung an den vorigen Punkt auch von der Regelungsintensität für das betroffene Gemeinwesen gesprochen werden: Über fundamentale Fragen der Machtverteilung sollen nicht Richter oder Verwaltung bestimmen319. Eine diesbezügliche Einteilung der in Frage stehenden Effizienzanweisung scheint nicht eindeutig vorgenommen werden zu können. Da sie keine Neuzuweisungen von Steuer- oder anderweitigen Befugnissen beinhaltet, zudem sachlich einen auf Steuerangelegenheiten reduzierten Wirkungskreis aufweist und auch inhaltlich durch vorgegebene Gerechtigkeitswerte beschränkt wird, kann m.E. davon ausgegangen werden, dass sie nicht als grundlegender Eingriff in das politische System eingestuft werden kann und sich aus dieser Warte die Verfassungsstufe nicht aufdrängt. 316 317 318 319 G. Müller, Inhalt und Formen, S. 109; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 76; Senn, S. 86 f. G. Müller, Inhalt und Formen, S. 109. Zum Verhältnis Eigentumsgarantie/Besteuerungsgewalt, insbesondere auch zur Berührung der Bestandesgarantie durch Steuerforderungen, siehe u.a. G. Müller, aBV Kommentar, N 7 zu Art. 22ter; Groth, S. 116 ff. und S. 149 f.; Höhn, Schranken, S. 245 f.; Morandi, S. 160 ff. G. Müller, Inhalte und Formen, S. 114. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 65 Anders sieht es wiederum aus, wenn man sich die finanziellen Auswirkungen der Regelung vergegenwärtigt. Ohne diesen Punkt weiter auszuführen, genügt ein Hinweis darauf, dass es sich um eine für die gesamte Bundessteuerordnung relevante Bestimmung handelt und somit den Nerv der staatlichen Mittelbeschaffung trifft. Eine vermehrte Berücksichtigung von effizienzgerichteten Besteuerungsaspekten kann zu überaus gewichtigen Umlagerungen von Finanzierungsströmen führen320. Mit der Frage nach der Akzeptanz, mit welcher eine Norm bei den Betroffenen bzw. den Stimmberechtigten oder im Parlament rechnen kann, ist der Gedanke verbunden, dass das Umstrittene einer besonders starken demokratischen Legitimation bedarf und daher gilt: Je umstrittener ein Regelungsgegenstand ist, desto höher muss die Regelungsstufe sein321. Der steuerliche Effizienzgedanke findet in einem Kanton (BL) generell und in mehreren anderen Kantonen in Einzelausprägungen bereits in der Verfassung Ausdruck und wird auch bei der Erarbeitung von Bundessteuergesetzen beachtet. Politischer Widerstand gegen entsprechende Überlegungen, die sich immer innerhalb des Rahmens der verfassungsmässig vorgegebenen Gerechtigkeitsziele bewegen, ist nicht ersichtlich322. Es kann davon ausgegangen werden, dass es einem breit abgestützten Wunsch entspricht, auch allokative Folgen der Besteuerung zu berücksichtigen. Die Festlegung einer steuerlichen Effizienzvorgabe auf höchster Legitimationsstufe, das heisst in der Verfassung, scheint demgemäss unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz bzw. der eventuell mangelnden Akzeptanz nicht zwingend erforderlich. Als Zwischenbilanz lässt sich festhalten, dass unter Berücksichtigung der obengenannten Kriterien eine Effizienzanweisung an den Steuergesetzgeber zu den wichtigen Normen gezählt werden kann. Insbesondere der breite Adressatenkreis der Norm, die Betroffenheit in Grundrechtspositionen sowie die finanziellen Auswirkungen sprechen dafür. Wird nun in einem zweiten Schritt der Grad der Wichtigkeit im Kontext der 320 321 322 Schätzungen über den welfare loss der Schweizer Einkommensteuer gegenüber einer sparbereinigten Einkommensteuer liegen nicht vor. Für die U.S.A. wird der welfare loss der Einkommensteuer gegenüber einer lump-sum tax unterschiedlich eingeschätzt. Je nach Modellannahmen gehen die Forscher davon aus, dass der welfare loss 2.5% bis zu 30% der gesamten Einkommensteuereinnahmen ausmache; Feldstein, S. 1 m.w.Nw. und S. 12 ff. mit eigener Studie, in der er Steuereinsparungsmassnahmen (d.h. legale Steuervermeidung) mituntersucht und eben zu den 30% gelangt. G. Müller, Inhalt und Formen, S. 116 f. Bezeichnend dafür ist, dass die bereits dargelegten Bestimmungen von § 133 Abs. 1 KV BL im Prozess der Verfassungsgebung ersichtlicherweise nicht umstritten waren: Vgl.dazu oben, § 2 B. II. 4.4.2., S. 61 inkl. FN 303. 66 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben Verfassungsfunktion und des schweizerischen Verfassungsverständnisses geprüft323, ist vor Augen zu führen, dass die Verfassung entweder vorwiegend als „instrument of government“ verstanden werden kann und folglich nur die organisatorischen Grundzüge regelt, das heisst kurz, knapp und offen ist324. Oder die Verfassung ist geschlossener und enthält „eine eingehende Regelung mit materiellen Grundentscheidungen, Richtlinien für die Gesetzgebung, Umschreibungen der Staatsaufgaben usw.“325 Die Bundesverfassung ist der zweiten Art zuzurechnen, da sie eine relativ hohe Regelungsdichte aufweist, „insbesondere wegen der Kompetenzausscheidung zwischen dem Bund und den Kantonen und dem Misstrauen gegenüber dem einfachen Gesetzgeber, dem vielfach Ziele auferlegt oder Schranken gesetzt werden.“326 Die als Zielnorm327 zu qualifizierende steuerliche Effizienzvorgabe wäre demnach in der Bundesverfassung zu verankern. Das ergibt sich auch schon aus dem Gedanken, wonach Anweisungen an den Gesetzgeber in der höherrangigen Normstufe, d.h. in der Verfassung festzulegen sind328. Summierend kann geschlossen werden, dass eine steuerliche Effizienzvorgabe eine wichtige Norm ist und im Lichte der Funktion der Schweizer Bundesverfassung zu den „wichtigsten“ in der Verfassung zu regelnden Normen gehört. 323 324 325 326 327 328 Zu Verfassungsfunktion und Verfassungsverständnis vgl. G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105 f., m.w.Nw. G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105. G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105. G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105; vgl. auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 115, gegen ein zu weites Verständnis der Geschlossenheit: „Will die Verfassung Grundordnung sein, so muss sie eine gewisse Geschlossenheit aufweisen. Das bedeutet aber nicht, dass sie als ein geschlossenes System verstanden werden kann.“; vgl. auch Eichenberger, aBV Kommentar, N 50 ff. Verfassungsrechtliche Einleitung. Eine genaue Zuteilung zu einem „Verfassungstypus“ kann selbstredend nicht vorgenommen werden und über genauere Ausformungen des Schweizer Verfassungsverständnis besteht auch Uneinigkeit. Vgl. dazu auch die gleich nachfolgenden Ausführungen zur „Bestimmtheit“. G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105, fügt ergänzend an, dass auch die Volksinitiative auf Partialrevision der Bundesverfassung (Art. 139 BV), welche oft der Durchsetzung von Partikularinteressen dient, zur Aufnahme von Detailnormen führt. Zur Kritik an der Überladenheit der BV siehe auch die Nachweise bei Senn, S. 89. Dazu FN 231, Breiter, S. 162, zitierend, wonach eine Zielnorm im Unterschied zur Staatszielbestimmung nur ein beschränktes Sachgebiet beschlägt. Am Rande sei angemerkt, dass dies einen weiteren Grund dafür darstellt, dass die auf die deutsche Rechtsordnung zugemünzte Aussage von Eidenmüller, S. 414 ff., das (allgemeine) Effizienzprinzip bzw. die ökonomische Theorie des Rechts sei in erster Linie als Gesetzgebungstheorie zu verstehen (vgl. oben, FN 228 und FN 275), nur bedingt auf die Schweizer Rechtslage übertragen werden kann. Dem Gesagten zufolge müsste in der Schweiz die ökonomische Theorie des Rechts Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben c) 67 Inhaltliche Bestimmtheit, Klarheit und Rechtsverbindlichkeit (3. Kriterium) Bis etwa in die siebziger Jahre wurde in der herrschenden Lehre auch bzgl. Verfassungsnormen regelmässig grosser Wert auf Bestimmtheit, das heisst ein hohes Mass an Determiniertheit und Gebundenheit der rechtsanwendenden Instanzen329, gelegt: „Die Verfassung kann ihrer Funktion als normative Ordnung nur gerecht werden, wenn ihre Sätze klar formuliert sind. Die inhaltliche Bestimmtheit und Klarheit entscheiden weitgehend über das Mass, in dem die Verfassung ihre Ordnungsfunktion entfalten kann. Von unbestimmten Verfassungsnormen, welche sich widersprechende Auslegungen offen lassen, ist keine ordnende Kraft zu erwarten. (...) Unklare Rechtssätze vermögen weder Grenzen zu ziehen noch Garantien zu bieten.“330 Es ist hingegen festzustellen, dass auch die Vertreter einer konservativeren Haltung davon ausgingen, dass die Bestimmtheitsgrade von Verfassungsnormen variieren können und es teilweise sinnvoll ist, wenn sich der Verfassungsgeber in materiellen Fragen darauf beschränkt, lediglich Grenzen abzustecken und gewisse Richtlinien aufzustellen331. Im Zentrum der Unbestimmtheitsbedenken standen daher nicht einzelne sachspezifische, materiell konkretisierbare Leitlinien, sondern vor allem allgemeine Staatszielbestimmungen und programmatische Leitgrundsätze332. Insbesondere wirtschaftspolitische Staatszielbestimmungen waren Gegenstand heftiger Kritik. Es wurde vorgebracht, sie seien Resultat der Unfähigkeit zu einer klaren Lösung und sie hätten „ärmliche normative Kraft“333. Wie SENN aber hervorhebt, hat sich in der gegenwärtigen Verfassungstheorie mehrheitlich die Auffassung durchgesetzt, dass die Verfassung des heutigen Lenkungs- und Leistungsstaates notwendigerweise Normen unterschied- 329 330 331 332 333 als eine „Verfassungsgebungstheorie“ aufgefasst werden, zumindest was die grundlegenden Normierungen anbelangt. G. Müller, Inhalt und Formen, S. 87 FN 280; siehe auch Senn, S. 93 FN 183. Häfelin, Verfassungsgebung, S. 105; siehe auch Meier-Hayoz, S. 313 ff.; Schlussbericht (1973), S. 34 f.; Senn, S. 93, m.w.Nw. Häfelin, Verfassungsgebung, S. 116 f. und S. 120. Häfelin, Verfassungsgebung, S. 94 f., S. 106 ff.; Meier-Hayoz, S. 316 f.; siehe auch Senn, S. 94, m.w.Nw. So Huber, Aspekte, S. 23 ff.; vgl. auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 106. 68 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben licher normativer Dichte und Bestimmtheit aufweisen muss334. Ausgehend von einem materiellen Verfassungsverständnis335 vertritt demnach die herrschende Lehre nunmehr die Ansicht, der Dynamik eines sich stets weiterentwickelnden Sozialstaates könne der Verfassungsgeber nur unter Verwendung unterschiedlicher Normativstärken und Normstrukturen begegnen336. Daher wird die frühere Skepsis und Zurückhaltung gegenüber Zielbestimmungen und programmatischen Normen nicht mehr geteilt337. Ebenfalls hat in der Lehre Beachtung gefunden, dass Rechtssätze nicht nur eine Streitentscheidungsfunktion, sondern darüber hinaus auch eine Entlastungsfunktion wahrnehmen, indem sie den rechtsanwendenden Instanzen einen Rahmen ziehen und „als sinnkonstituierende Prämissen, nicht mehr als Themen fungieren“338. Da auch die programmatischen Normen diese Entlastungsfunktion erfüllen, gewinnen sie zusätzlich an Legitimationsgehalt339. Eine Effizienzvorgabe scheint kein Problem der mangelnden Bestimmtheit aufzuwerfen. Selbst bei den strengeren Kriterien der älteren Lehre dürfte eine genügende Bestimmtheit zu bejahen sein. Es handelt sich nicht um eine allgemeine Staatszielbestimmung oder einen allgemeinen Verfassungsleitsatz, sondern vielmehr um eine sachlich beschränkte, genaue und klar operable Anweisung an den Gesetzgeber. Für die Effizienzuntersuchungen stehen den gesetzesvorbereitenden bzw. -gebenden Organen die ökonomischen Wissenschaften zur Verfügung. Diesbezüglich ist denkbar, dass sich verschiedene Theorien widersprechen, doch sollten doch gewisse Trends resp. übereinstimmende Aussagen ermittelbar sein, die Mindestanleitungen für die Steuerausgestaltung bieten können340. Das Fortschreiten der ökonomischen Wissenschaften und der Gewinn neuer Erkenntnisse verunmöglicht denn auch, Bestimmteres in der Verfassung zu fixieren. Eine relative Offenheit gewährt in dieser Hinsicht den erforderlichen Freiraum, um flexibel neue Erkenntnisse gesetzgeberisch umzusetzen. In diesem Zusammenhang wird auch ersichtlich, dass – soweit es um die programmatische Anleitungsfunktion geht – das Bestimmtheitsproblem nicht bei der Effizienz- 334 335 336 337 338 339 340 Senn, S. 227; Bericht Totalrevision (1985), S. 98; G. Müller, Inhalt und Formen, S. 133 ff., insb. S. 138; Schmid, S. 315 ff.; Eichenberger, Sinn, S. 189 FN 44; Breiter, S. 253; Aubert, Constitution, S. 133. Vgl. dazu auch Gut, S. 345 ff.; Waldhoff, S. 351 f. Senn, S. 227, mit zahlreichen w.Nw. Senn, S. 227, m.w.Nw. Grimm, S. 498; vgl. auch G. Müller, Inhalt und Formen, S. 134; Senn, S. 227 f. Senn, S. 228. Vgl. auch Lang, Entwurf, N 351. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 69 vorgabe, sondern bei den gerechtigkeitsorientierten Besteuerungsgrundsätzen liegt. Kann die ökonomische Analyse grundsätzlich nach wissenschaftlichen Methoden vorgenommen werden, fehlt hingegen bei der Beurteilung der Gerechtigkeitsverwirklichung ein entsprechendes Instrument. Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Umsetzung der vage gehaltenen Besteuerungsgrundsätze ist erheblich, und eine genaue Leitlinie fehlt. Wenn aber den anerkannten Besteuerungsgrundsätzen der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die genügende Bestimmtheit zugerechnet wird341, hat dies mit einem argumentum a maiore ad minus auch für die Effizienzvorgabe zu gelten. Ferner ist zu berücksichtigen, dass nebst den Steuergrundsätzen die einzelnen Steuerbefugnisse des Bundes mit einem im Vergleich zu anderen Regelungsbereichen hohen Bestimmtheitsgrad in der Verfassung festgelegt sind342. Werden allfällige bedeutende Änderungen in der Bundessteuerordnung vorgenommen, müssen sie demnach in der Bundesverfassung verankert werden. Die Steuergrundsätze sind daher nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit den weiteren, detaillierteren steuerrechtlichen Ausführungen des Verfassungsgebers. Mit anderen Worten ergibt sich ein höherer Grad an Bestimmtheit auf Verfassungsstufe, wenn in Beachtung der allgemeinen Steuergrundsätze die Besteuerungsordnung konkretisiert wird. Sollte z.B. infolge von neuen Erkenntnissen über effiziente Besteuerung eine wesentliche Steuerumstellung erfolgen, bliebe es nicht allein bei der Effizienzvorgabe, sondern es würden noch bestimmtere und ausführende Steuernormen in der Verfassung aufgenommen. d) Dauerhaftigkeit (4. Kriterium) Die Verfassung stellt eine auf Wesentlichkeit ausgerichtete Grundordnung dar und sollte dementsprechend Beständigkeit aufweisen343. Beständigkeit sichert die Funktion der Verfassung als „oberstes Gesetz“, trägt zu ihrem Ansehen344 bei und schützt das Vertrauen in sie345. Die Verfassung „möchte keine Windfahne sein, vielmehr mit Sta- 341 342 343 344 345 So Senn, S. 223 ff., mit ausführlichen Darlegungen in Bezug auf die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Zu den Gründen oben, § 2 A. II. 1., S. 17. Siehe auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112: „Grundsätzlichkeit und Dauerhaftigkeit sind miteinander verknüpft.“ Ebenfalls ist zu erwähnen, dass Dauerhaftigkeit in einem Spannungsverhältnis zur inhaltlichen Bestimmtheit stehen kann; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112. Vgl. auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112. Senn, S. 101, m.w.Nw. 70 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben bilität, Konstanz und Dauerhaftigkeit dem ohnehin labilen und vielfach gefährdeten Gemeinwesen Sicherheiten verleihen.“346 Jedoch ist die Schweizer Bundesverfassung nicht „heilig“ und „unberührbar“. Vielmehr ist sie durch ihre Revisionsmöglichkeiten darauf angelegt, dem dynamischen Wandel der verschiedenen Gesellschafts- und Umweltbereichen zeitgemäss zu antworten347 und dadurch ihre Grundwerte in einem veränderten Umfeld angepasst zum Ausdruck zu bringen348. Die Aufnahme der Effizienzvorgabe in die Verfassung ist mit Bezug auf die Dauerhaftigkeitsperspektive unproblematisch, da sie keine kurzlebige, aus Tagesaktualitäten heraus geborene Norm verkörpert, sondern langfristig dazu dienen soll, die Besteuerung in eine bestimmte Richtung zu lenken. 4.4.3. Ausdrückliche Verankerung als Vorschlag Die obenstehenden Ausführungen über Grundsatzcharakter und Verfassungswürde einer allfälligen steuerlichen Effizienznorm zusammenfassend, kann festgehalten werden, dass eine steuerliche Effizienznorm einerseits als (lokaler) Rechtsgrundsatz qualifiziert werden und bei gesamthafter Betrachtung der Kriterien hinsichtlich Verfassungswürde auch aufgrund verfassungstheoretischer Überlegungen in die Verfassung aufgenommen werden kann. Den Kriterien der Wesentlichkeit und Dauerhaftigkeit wird mit einer steuerlichen Effizienznorm Genüge getan und auch die Bestimmtheit wird gewahrt. Ebenfalls kann der Traditionsanschluss teilweise erfolgen; immerhin liegt ein beschränkter Anschluss an kantonale Verfassungen vor. Nachdem gemäss obiger Argumentation eine steuerliche Effizienznorm auch aus rechtstheoretischer Sicht in der Verfassung niedergelegt werden kann, steht dem bereits349 formulierten Vorschlag, zur Absicherung der Diskussion den demokratischen Weg zu beschreiten, nichts mehr entgegen. Daher wird angeregt, per Verfassungsreferendum Volk und Ständen die Frage zu unterbreiten, ob sie der Verankerung einer steuerlichen Effizienznorm in der Verfassung zustimmen. Denkbar ist entweder eine in der Formulierung allgemein gehaltene Norm, die sich wie folgt in die BV integrieren liesse: 346 347 348 Eichenberger, aBV Kommentar, N 65 Verfassungsrechtliche Einleitung. Eichenberger, aBV Kommentar, N 65 Verfassungsrechtliche Einleitung; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112; Senn, S. 102. Eichenberger, aBV Kommentar, N 65 Verfassungsrechtliche Einleitung. Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben 71 Art. 127 BV 2 Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung, der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Grundsatz der effizienzoptimalen Besteuerung zu beachten. Oder eine ausgedehntere und auch konkretere Formulierung im Sinne von KV BL § 133 Abs. 1: Art. 127 BV 2 Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten. 3 4 Bei der Ausgestaltung der Steuern sind zudem zu beachten: Die Erhaltung des Leistungswillens des Einzelnen, die Auswirkungen auf Wirtschaftsablauf und Wettbewerbsverhältnisse, die Möglichkeit der Steuerflucht und der Verringerung des Steuersubstrats sowie die Kosten der Erhebung. Die interkantonale Doppelbesteuerung ist untersagt. Der Bund trifft die erforderlichen Massnahmen. Abs. 3 beruht auf KV BL § 133 Abs. 1 lit. b, d und e, ergänzt um den Gedanken der „Kosten der Erhebung“. III. Konstitutivwirkung von Grundrechten Die Grundrechte strahlen durch ihre sog. Konstitutivwirkung auf die ganze Rechtsordnung aus und lenken und begrenzen auch den Gesetzgeber bei seiner Tätigkeit350. Im Bereich der Steuergesetzgebung sind in diesem Kontext in erster Linie die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV), die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV), die Ehefreiheit (Art. 14 BV) und die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) von Relevanz. Für die fokussierte Fragestellung bezüglich einer Implementierung einer Sparbereinigung in- 349 350 § 2 B. II. 4.3.5., S. 56. Dazu bereits oben, § 2 B. II. 4.3.3.a), S. 49 f. 72 Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben teressieren indes hauptsächlich die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie351. Da die Konstitutivwirkung dieser Grundrechte bereits referiert wurde, kann an dieser Stelle darauf verwiesen werden352. Ebenfalls kann auf die in jenem Zusammenhang gemachten Ausführungen hinsichtlich positiver allokativer Auswirkungen der Sparbereinigng der Einkommensteuer verwiesen werden. Darüber hinaus ergeben sich bei einer Sparbereinigung noch weitere Berührungspunkte zur Wirtschaftsfreiheit und zur Eigentumsgarantie. Aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsfreiheit ist zu bemerken, dass durch die Sparbereinigung mehr Geld für investive Tätigkeiten verfügbar ist und dadurch die Voraussetzungen zur passiven Anlage wie aber auch zur Anlage in eigene Unternehmungen oder in aktive Beteiligungen erheblich gefördert werden. Allgemein ist zu erwarten, dass die Möglichkeit zur privatwirtschaftlichen Betätigung gesteigert wird. Aus der Perspektive der Eigentumsgarantie ist vergleichbar hervorzuheben, dass mehr Geld für Eigentumserwerb und -erhaltung zur Verfügung stehen wird und somit die Voraussetzungen hinsichtlich Ausübung und Möglichkeiten der Eigentumsfreiheit verbessert werden. 351 352 Mit Bezug auf die deutsche Rechtsordnung vgl. auch die Ausführungen von Dorenkamp, S. 65 ff. zur allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und zur Eigentumsgarantie (Art. 14 GG). Siehe oben, § 2 B. III., S. 71 ff. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Teil II: Besteuerung nach Leistungsfähigkeit der 73 wirtschaftlichen § 3 Das Leistungsfähigkeitsprinzip A. Verankerung im Schweizer Steuerrecht Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist in der Bundesverfassung ausdrücklich in Art. 127 Abs. 2 normiert353 und zusätzlich in zahlreichen Kantonsverfassungen354 verankert355. In der Schweizer Rechtsprechung blickt der Grundsatz auf eine lange Tradition zurück356 und erfuhr wesentliche sachbezogene Ausdifferenzierung357. B. Fundamentalprinzip gerechter Steuerlastverteilung Gleichmässige Besteuerung bedarf eines Vergleichsmassstabes, an dem die Gleichbehandlung ausgerichtet werden kann358. Dabei geht es – getreu des Grundsatzes, wonach Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe 353 354 355 356 357 358 Einschränkend die auf alle drei normierten Steuergrundsätze bezogene Wendung „soweit es die Art der Steuer zulässt“; dazu bereits oben, FN 150. Vgl. dazu Senn, S. 197 ff. Zur Normierung in ausländischen Kodifikationen vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 488 ff. (wobei jedoch das angeführte Beispiel der frz. Menschenrechtserklärung von 1789 sich eher auf die Äquivalenztheorie stützt; vgl. FN 207). Interessant ist, dass in Deutschland, wo die Lehre Wesentliches zur Entwicklung und Systematisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips hervorgebracht hat, dieses nicht in der Verfassung niedergelegt ist, sondern von Rechtsprechung und Lehre als normkonzipierender Grundsatz anerkannt ist. Dazu Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 491 f. und S. 71; Tipke/Lang, § 4 N 17 und N 81; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 125; BVerfGE, 2 BvR 400/98 v. 4.12.2002, N 50 ff.; BVerfGE, 2 BvR 443/01 v. 19.8.2002, N 75; BVerfGE 82, 60 (89 f.). BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (103); BGE 114 Ia 221 (223 ff.); BGE 112 Ia 240 (243 ff.); BGE 110 Ia 7 (13 f.); BGE 99 Ia 638 (651 ff.); BGE 84 I 77; BGE 38 I 341 (378); bereits vor der Verankerung in der BV von 1999 anerkannte das Bundesgericht das Leistungsfähigkeitsprinzip – zusammen mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung – als Ausfluss des Gleichheitssatzes nach Art. 4 aBV. Z.B. bzgl. der Ehegattenbesteuerung (BGE 120 Ia 329, in Distanzierung zu BGE 110 I a 7), der Eigenmietwertbesteuerung (BGE 128 I 240; BGE 125 I 65; BGE 123 II 9; BGE 114 Ia 221) und der Beachtung des Existenzminimums (BGE 122 I 101). Vgl. auch Grünblatt, S. 171 ff. Siehe dazu bereits oben, § 2. B. II. 3., S. 40. 74 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln ist359 – nicht um eine absolute, sondern um eine relative Gleichbehandlung360. Es hat somit nicht der Steuerbetrag gleich zu sein, sondern die durch die Besteuerung hervorgerufene wirtschaftliche Belastung der Individuen361. Bezüglich dieser geforderten relativen Gleichbehandlung greift das Leistungsfähigkeitsprinzip, das als zentraler Massstab der Steuerlastverteilung anerkannt ist362. Gemäss dem Leistungsfähigkeitsprinzip bemisst sich die Steuerbelastung nach den objektiv verfügbaren wirtschaftlichen Mitteln363 unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse364. Nach allgemeiner Anschauung365 dient der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Verwirklichung des Postulats gerechter Besteuerung366. Der Grundsatz beruht auf einer „tief verwurzelten moralischen Überzeugung“367 und resultiert aus einem längeren steuerlichen Evolutionsprozess, der insbesondere die Entwicklung der Einkommensteuer mitgeprägt hat368. Das Leistungsfähigkeitsprinzip wird denn in der Lehre auch als sachgerechtes Fundamentalprinzip des Steuerrechts bezeichnet369. 359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 Z.B. BGE 125 I 166 (168); BGE 124 II 193 (213); BGE 123 I 1 (7); Schweizer, BV Kommentar, N 22 zu Art. 8, m.Vw. auf Aristoteles, Nikomachische Ethik. Ossenbühl, S. 83 f.; Klein, S. 21; Leibholz, S. 245; vgl. auch Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; Senn, S. 151. Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; Senn, S. 151. Klett, Gleichheitssatz, S. 107; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104. Die Entwicklung von der bis Mitte des 19. Jahrhunderts dominierenden äquivalenztheoretisch begründeten Besteuerung nach dem Gegenwert der staatlichen Leistungen hin zu einer Besteuerung nach der individuellen Opfer- bzw. Leistungsfähigkeit wird u.a. dargelegt in: Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24 ff. „Fähigkeiten“ ist ein Ausdruck für wirtschaftliche Mittel i.S.v. Einkommen, Ertrag, Vermögen und Kapital: Mann, S. 125; vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 108. BGE 122 I 101 (103); Klett, Gleichheitssatz, S. 129; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 16; ders., Steuererhebungsprinzipien, S. 105; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 16 zu Art. 127. Tipke/Lang, § 4 N 83 gehen davon aus, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip „weltweit und in allen steuerwissenschaftlichen Disziplinen als Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung anerkannt“ ist. Vgl. dazu auch Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 488 ff. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 479 ff.; Walz, S. 155; vgl. auch Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 52; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 107 f. Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10 m.Vw. auf Tipke, Steuerrecht, S. 31; Klett, Gleichheitssatz, S. 107. Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10; Klett, Gleichheitssatz, S. 107. Klett, Gleichheitssatz, S. 107; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 6 und S. 28; ders., Steuererhebungsprinzipien, S. 104; in der deutschen Lehre grundlegend u.a.: Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 479 ff.; Tipke/Lang, § 4 N 13 und N 81 ff.; Senn, S. 191 f., m.w.Nw., auch auf abweichende (deutsche) Minderheitsstimmen. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit C. 75 Geistesgeschichtlicher Hintergrund Ab Ende des 18. Jahrhunderts führten verschiedene hauptsächlich mit der Aufklärung verbundene Gedankenströmungen zu einer folgenreichen Umwälzung der Steuerideale. Die bis dahin vorherrschende äquivalenztheoretische Steuerbegründungs- und verteilungskonzeption370 wurde zunehmend durch die Vorstellung verdrängt, eine gerechte Besteuerung habe sich an der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bemessen371. Zum einen wurde im Schrifttum teilweise die progressive Besteuerung befürwortet mit der Begründung, die Steuern hätten sich nicht allein an den objektiven Fähigkeiten von Einkommen und Vermögen zu bemessen, sondern vielmehr seien auch die individuellen Bedürfnisse der Steuerpflichtigen mitzuberücksichtigen372. Demnach sei keine Steuerfähigkeit unterhalb des Existenzminimums gegeben und dieses konsequenterweise steuerfrei zu belassen (indirekte Progression). Das darüber Hinausgehende sei dann in der Weise zu besteuern, dass der mittlere Einkommens-/Vermögensbereich tiefer belastet wird als das „überflüssige“ Luxuseinkommen. Mit anderen Worten bildete sich die Vorstellung über einen sinkenden Grenznutzen zusätzlicher Wirtschaftskraft heraus373. Zum anderen kam die Forderung auf, die Besteuerung nicht mehr mit der gedanklichen Figur des Tauschgeschäfts im Sinne der Äquivalenztheorie zu begründen. Die Steuerentrichtung wurde nicht länger lediglich als Entgelt für die staatliche Gewährleistung von Sicherheit und die Schaffung von beschränkten rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen zur Entfaltung der wirtschaftlichen Freiheit betrachtet. Verschiedene Philosophen der Aufklärung postulierten die Ausdehnung der Staatstätigkeit auch auf soziale Aufgaben und legten dadurch Grundsteine zur Entwicklung des sozialen 370 371 372 373 Zur Äquivalenztheorie und der damit eng verwandten Assekuranztheorie u.a.: Mann, S. 104 ff. und S. 132; Ossenbühl, S. 22 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 21; Tipke/Lang, § 4 N 87. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 11; Oechslin, S. 35. Zur Frühgeschichte der Progressionsforderungen: Mann, S. 263 ff. mit Hinweisen u.a. auf Montesquieu, Rousseau und Say. Vgl. auch Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10 ff.; Mann, S. 165 f. und 268 f., hebt hervor, dass eine beschränkte Form der Progression, nämlich die Freilassung des Existenzminimums (indirekte Progression), auch bereits im englischen Utilitarismus des 18. Jahrhunderts duch Bentham und Mill befürwortet wurde. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass bereits in den indischen Sanskrit-Gesetzen ausdrücklich die Idee des sinkenden Grenznutzens verankert und eine progressive Besteuerung vorgesehen war. Ebenfalls hätten im antiken Athen progressive Steuern existiert. Dazu: M. Huber, S. 3; Mann, S. 161. Zur Grundlage im Neuen Testament Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24 f. 76 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Rechtsstaats374. Dies kann unter anderem anhand von KANT aufgezeigt werden375, der ausführte, der Staat habe für die Bedürftigen zu sorgen und deren Existenz zu sichern, wobei die dazu notwendigen Finanzen durch Besteuerung zu erheben seien376. Das Beitragen der Steuerpflichtigen zum Erhalt der Gesamtgesellschaft und die sich dadurch manifestierende soziale Verpflichtung kappte den der Äquivalenztheorie zugrunde liegenden, marktwirtschaftlich orientierten Gedanken des „do ut des“ von Steuer und Staatsleistung (Tauschgeschäft). Die Steuer wurde nunmehr als ein nicht an direkt zurechenbare Vorteile geknüpftes „Opfer“377 des Einzelnen zur Finanzierung des Gemeinwesens verstanden. Konsequenterweise konnte vor diesem Hintergrund auch das äquivalenztheoretische Steuerverteilungsmodell gemäss den objektiven Fähigkeiten nicht mehr herangezogen werden. Es sollte nicht die Gleichmässigkeit von Steuer und Gegenleistung, sondern die Gleichmässigkeit der Belastungswirkung („Opfergleichheit“378) auf die Steuerpflichtigen ausschlaggebend sein und in Anlehnung an 374 375 376 377 378 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 446 f.; Fichte, S. 16, S. 38 f. und S. 59 ff.; Rousseau, S. 187 (Band I, Kapitel 9); zu Rousseau auch Klett, Progressive Einkommenssteuer, S. 604; vgl. auch Mann, S. 316 f. mit Verweis auf Wagner, S. 45 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12 f.; Überlegungen zur Sozialpflicht des Staates finden sich ebenso bei den in der oberen Fussnote genannten Philosophen, wenn auch bei unterschiedlichen Vorstellungen über die Ausgestaltung der Sozialaktivitäten. Kant, S. 446: „Dem Oberbefehlshaber steht indirekt, d.i. als Übernehmer der Pflicht des Volks, das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner (des Volks) eigenen Erhaltung zu belasten, als da sind: das Armenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen, sonst milde, oder fromme Stiftungen genannt. Der allgemeine Volkswille hat sich nämlich zu einer Gesellschaft vereinigt, welche sich immerwährend erhalten soll, und zu dem Ende sich der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten. Von Staatswegen ist also die Regierung berechtigt, die Vermögenden zu nötigen, die Mittel der Erhaltung derjenigen, die es, selbst den notwendigen Naturbedürfnissen nach, nicht sind, herbei zu schaffen; weil ihre Existenz zugleich als Akt der Unterwerfung unter den Schutz und die zu ihrem Dasein nötige Vorsorge des gemeinen Wesens ist, wozu sie sich verbindlich gemacht haben, auf welche der Staat nun sein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das Ihrige beizutragen.“ Haller, Steuern, S. 14 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24. Neumark, Steuer, S. 96, wandte sich gegen die Bezeichnung der Steuer als „Opfer“ mit der Begründung, im Begriff des “Opfers” liege ein Element der Freiwilligkeit, das in schroffem Gegensatz zur obligatorischen Natur der Abgabe stehe. Ossenbühl, S. 89, weist darauf hin, dass auch bei Anerkennung der Argumentation Neumarks die als Opfer benannte Sache bestehen bleibt. Vgl. auch Häuser, S. 16 ff., der darlegt, dass aus historischer Perspektive eine klare Abgrenzung von Opfer und Steuer schwierig ist, da schon seit der Frühzeit die Opferfreiwilligkeit meist nur beschränkt gegeben war und die Opfergaben auch für allgemeine, nicht direkt religiöse Dienste zugunsten des Gemeinwesens verwendet wurden. Die Steuerpflichtigen haben demgemäss ein gleiches relatives Steueropfer zu entrichten. Dazu auch Haller, Steuern, S. 14 f. und S. 74 ff.; Ossenbühl, S. 87; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24 f. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 77 die im oberen Abschnitt dargestellten Ideen rückte die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Massstab gerechter Steuerbelastung in den Mittelpunkt379. Die sozial verpflichtete, opfertheoretische Steuerbegründung und die Bemessung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts zu den prägendsten Ideen im steuerwissenschaftlichen Schrifttum. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermochte sich das Leistungsfähigkeitsprinzip definitiv als eigenständiges Prinzip zu etablieren380 und fand weitere Ausdifferenzierung. So erfolgte, wie unten noch dargestellt wird381, eine überaus intensive Auseinandersetzung mit der Frage nach den geeigneten Indikatoren der individuellen Leistungsfähigkeit. Auch wurde die Vorstellung vom sinkenden Grenznutzen näher beleuchtet und angestrebt, Grundlagen zur Nutzenmessung zu erarbeiten, die einer wissenschaftlichen Untermauerung der Steuerprogression dienen sollten382. Bedeutungsvoll war darüber hinaus, dass Schrifttum und Politik zum Teil die Steuerprogression losgelöst von fiskalischen Zielsetzungen als sozialpolitisches Mittel zur Vermögensumverteilung einsetzen wollten383. 379 380 381 382 383 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 21 f.; vgl. dazu auch Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 118; Oechslin, S. 35. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24. § 5 B. II., S. 93 f. Gewichtig waren u.a. die Wiener Grenznutzenschule (u.a. Sax und von Wieser) und die darauf aufbauende schwedische Schule (u.a. Wicksell und Lindahl), die den bereits im ersten Gossenschen Gesetz zum Ausdruck kommenden sinkenden Grenznutzen mit Bezug auf das Einkommen untersuchten und Nutzenkurven hinsichtlich des Einkommens entwickelten. Vertreter der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (die vorgenannten Schulen befürworteten die sog. Wahlhandlungstheorie, eine moderne Form der Äquivalenztheorie; dazu Ossenbühl, S. 34 ff.) griffen diese Überlegungen auf und versuchten, sie zur Bemessung der Opfergleichheit bei variierenden Einkommen zu verwenden, um gestützt darauf die Steuersatzausgestaltung bei Steuerprogression zu bestimmen. Zu nennen sind diesbezüglich u.a. Neumann, Wagner, Schäffle und Meyer. Siehe zu den genannten Schulen und der Rezeption durch Anhänger der Leistungsfähigkeitsbesteuerung: Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 25 m.w.Nw. und den einschlägigen Literaturangaben. In der Finanzwissenschaft grundlegend: Wagner, S. 383 ff. Vgl. auch Mann, S. 314 ff., mit Hinweisen auf Schäffle und Frantz. Nicht nur in der wissenschaftlichen Untersuchung, ebenfalls in der Politik kam Deutschland hinsichtlich sozialpolitisch motivierter Besteuerung eine Pionierrolle zu. Es war v.a. die Sozialdemokratische Partei, die aus redistributiven Gründen die Steuerprogression forderte, aber unter dem Einfluss von Industrialisierung und Proletarisierung des 19. Jahrhunderts wuchs auch die gemässigte Befürwortung in bürgerlichen Kreisen. Vgl. Mann, S. 303 f. und S. 315. (Ders., S. 284 ff. und S. 298 f., führt aus, dass bei den kommunistischen Ideen von Marx und Engels die Steuerprogression, ja die Steuerpolitik überhaupt, nicht im Vordergrund stand. Lediglich zur Destabilisierung der Bourgeoisie und als Mittel zur Umwälzung wurde eine stark progressive Besteuerung gefordert.) Gegen die sozialpolitisch-redistributive Zielsetzung Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 78 § 4 Relevanz des Leistungsfähigkeitsprinzips für einen Steuerwechsel A. Fragestellung Ist das Leistungsfähigkeitsprinzip das Fundamentalprinzip der Steuerordnung, stellt die Frage, wie sich eine sparbereinigte Einkommensteuer mit ihm verträgt, offensichtlich die Kernfrage dieser Arbeit dar. Es ist diesbezüglich nicht nur eng danach zu fragen, ob und in welcher Form eine sparbereinigte Einkommensteuer mit dem direkt justiziablen verfassungsmässigen Recht auf Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vereinbar ist. Vielmehr ist weitergehend und unter Berücksichtigung der Grundwertungen des Leistungsfähigkeitsprinzips zu untersuchen, inwiefern dieses als Rechtsprinzip anleitend für die Ausgestaltung und Feinbestimmung einer sparbereinigten Einkommensteuer wirkt. Jedoch tritt bei dieser Fragestellung eine in dieser Hinsicht problemverursachende Eigenschaft des Leistungsfähigkeitsprinzips, nämlich dessen geringer Bestimmtheitsgrad, zutage. Es fällt aufgrund der mangelnden Bestimmtheit schwer, einen operablen Aussagegehalt aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu gewinnen, anhand dessen sich die Vereinbarkeit beurteilen und eine prinzipiengeleitete Ausgestaltung der sparbereinigten Einkommensteuer vornehmen liesse. In den nachfolgenden Abschnitten wird daher zunächst näher auf die Bestimmtheitsproblematik eingegangen. Anschliessend werden die Konsequenzen für die weitere Vorgehensweise gezogen. B. Unbestimmtheit des Leistungsfähigkeitsprinzips „Ja, kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?“ LUDWIG WITTGENSTEIN384 384 meldeten sich aber auch kritische Stimmen. Illustrativ die bei Wackernagel, S. 437, wiedergegebene Kritik aus den Schweizer „Progressionsursprüngen“ (vgl. auch Klett, Progressive Einkommensteuer, S. 603 FN 20): Als in den parlamentarischen Vorberatungen zu der in Basel Stadt 1840 infolge desolater Finanzlage eingeführten allgemeinen, progresssiv ausgestalteten Einkommensteuer zugunsten der Progression angeführt wurde, der Staat müsse zur Deckung des Finanzbedarfs jene in Anspruch nehmen, die zahlen könnten, rief ein Ratsmitglied aus, dies sei die Sprache eines Räuberhauptmannes. Wittgenstein, S. 280. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 79 Der Einwand, das Leistungsfähigkeitsprinzip sei unbestimmt, begleitet diesen Grundsatz schon seit dessen Anfängen und bildet den Haupteinwand, der gegen ihn vorgebracht wird: „Die Leistungsfähigkeit aber an sich ist vorerst ein leerer Begriff, mit dem man ohne nähern Inhalt nichts thun kann, man mag ihn drehen und wenden wie man will. Was der Einzelne zu einem bestimmten Zwecke beitragen könne, darüber gibt es so viele Urtheile, als es Menschen gibt. Das Princip der Beitragsfähigkeit lässt nur eine Auflösung zu: nimm, wo es geht; dieser und jener kann schon noch etwas zahlen.“385 Dieser vielzitierte Ausspruch von GUSTAV SCHMOLLER aus dem Jahr 1863 zeigt den Kern der Unbestimmtheitskritik auf, die bis heute geübt wird. In der jüngeren Literatur sind es unter anderen LITTMANN386, PAHLKE387 und OBERSON388, die hauptsächlich bemängeln, das Leistungsfähigkeitsprinzip sei zu vieldeutig und lasse keine konkrete Schlüsse zu389. Mehrheitlich wird jedoch das Leistungsfähigkeitsprinzip in der Lehre anerkannt, wenn auch allgemein zugestanden wird, dass es nicht sehr bestimmt ist. Unbestimmtheit liegt allerdings in der Natur jeden Rechtsprinzips390 und das Leistungsfähigkeitsprinzip ist eher weniger unbestimmt als viele andere Rechtsprinzipien391. Zur Unbestimmtheit von Rechtsprinzipien und in Erwiderung auf das oben angeführte Zitat von SCHMOLLER sei daher die treffende Feststellung von BYDLINSKI wiedergegeben: „Im Bedarfsfall pflegen freilich orthodoxe Rechtspositivisten (...) zu grosse Vagheit und Allgemeinheit der (...) auffindbaren rechtsethischen Prinzipien ins Treffen zu führen, soweit sie deren positive Existenz nicht zu leugnen vermögen. Daran ist richtig, dass diese Prinzipien umso allgemeiner und daher vager sein müssen, je fundamentaler und universaler sie zugleich sind. Daran (...), dass sie (...) in jeder Sozietät (...) weithin (...) konkretisiert werden müssen, um den normativen Orientierungsbedarf ihrer Mitglieder zureichend zu befriedigen, 385 386 387 388 389 390 391 Gustav Schmoller, zitiert nach Pohmer/Jurke, S. 454; vgl. auch Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 23; Senn, S. 161. Littmann, S. 113 ff. Pahlke, S. 42 ff. Oberson, Capacité Contributive, S. 125 ff. Vereinzelt wird zudem vorgebracht, hinter dem Leistungsfähigkeitsprinzip und der damit zu begründen versuchten Steuerprogression verberge sich in erster Linie eine auf Umverteilung und wirtschaftliche Nivellierung abzielende Sozialpolitik: Leisner, S. 97 ff. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 492; Birk, Theoriediskussion, S. 296; Larenz/Canaris, S. 161; Senn, S. 163. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 492. 80 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kann kein Zweifel bestehen (...) Das schliesst aber nicht aus, dass auch allgemeine Prinzipien einen gewissen Aussageinhalt aufweisen und daher (...) determinierend wirken können (...). Was einem an Aussagen anderer nicht passt, mit Überlegenheitsanspruch als „Leerformel“ zu erklären, auch wenn man zur Lösung bestimmter Probleme selbst nichts Besseres anzubieten hat, ist demgegenüber eine (...) untaugliche Diskussionsstrategie.“ 392 Dementsprechend sind Rechtsprinzipien typischerweise unbestimmt, aber bestimmbar393. Der universale Prinzipiencharakter muss inhaltlich ausdifferenziert und auf engere Rechtsbereiche und -verhältnisse bezogen werden. Das heisst, das Leistungsfähigkeitsprinzip bedarf seinem abstrakten Prinzipiencharakter gemäss der konkretisierenden Entfaltung394. C. Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips Hinsichtlich der Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist von einer nachvollziehbaren Grundwertung („Steuerbelastung nach den objektiv verfügbaren Mitteln unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse“) auszugehen, die einer rechtsethisch angeleiteten Strukturierung des Steuerrechts dient395 und zu der es gemäss den Worten von TIPKE/LANG „keine Alternative eines geeigneten Prinzips, sondern nur die Alternative fundamentaler Prinzipienlosigkeit gibt.“396 Es ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, die vorgegebene Grundwertung aufzunehmen und in der Steuerordnung zu konkretisieren397. Weil der Grundsatzgehalt 392 393 394 395 396 397 Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 12 f.; u.a. auch zitiert bei Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 492 f. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; vgl. auch Lang, Bemessungsgrundlage, S. 125: „Es entspricht dem Rang und der Natur einer fundamentalen Wertaussage, dass sie vieldeutig ist.“ Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 52; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 28; vgl. zur Prinzipienentfaltung auch Larenz/Canaris, S. 161; Bydlinski, Methodenlehre, S. 132; Esser, Grundsatz und Norm, S. 39 ff. Tipke/Lang, § 4 N 83; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 479 ff.; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 125; vgl. auch Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 28: „Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht heute in seinen wesentlichen Aussagen der allgemeinen Rechtsanschauung und hat sich in den Einkommensteuergesetzen als Fundamentalprinzip durchgesetzt, so dass er einen ungleich stärkeren normativen Gehalt aufweist als das Rechtsgleichheitsgebot, aus dem er abgeleitet wird.“ Vgl. auch die Argumentation von Walzer und Hirt, wonach die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auch bei Anwendung eines Entscheidungsverfahrens vom Rawlsschen Typ (“veil of ignorance“) gewählt würde; Walzer, S. 108 ff.; Hirt, S. 17 ff. Tipke/Lang, § 4 N 83; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 479 ff. Vgl. u.a. Canaris, S. 16; Larenz/Canaris, S. 161; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; vgl. auch Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 98 f., der in Anlehnung an J.P. Müller, Einleitung, N 40 f., Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 81 der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit relativ offen ist, kommt dem Gesetzgeber bei der Konkretisierung ein erheblicher Gestaltungsfreiraum zu398, den er in der Regel und idealerweise unter Beachtung der jeweils im betreffenden Gemeinwesen geltenden Auffassungen über gerechte Besteuerung ausübt399. Hinsichtlich der Aussage, in erster Linie habe der Gesetzgeber die Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips vorzunehmen, ist anzumerken, dass gemäss Schweizer Rechtsordnung dadurch nicht nur der einfache Gesetzgeber, sondern ebenfalls der Bundesverfassungsgeber erfasst wird: Aufgrund der auch die Besteuerungsbefugnisse betreffenden Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen (Art. 3 BV) darf der Bund nur jene Steuern erheben, die ihm die Bundesverfassung zuweist400. Dabei bedient sich der Verfassungsgeber bei der Formulierung und inhaltlichen Konkretisierung der Kompetenznormen unterschiedlicher Normtypen401. In der Bundesverfassung sind die Steuerarten, damit verbunden in Grobform auch meist Steuerobjekt und Steuersubjekt, sowie bei den Mehrwertsteuern zusätzlich die vom Steuerobjekt abweichende Berechnungsgrundlage402 und ausserdem bei den bedeutendsten Steuern die zulässigen Höchstsätze festgelegt. Dadurch werden bereits auf Verfassungsstufe dem Leistungsfähigkeitsgedanken erste Konturen verliehen. Bei der Konkretisierungsarbeit wird der Gesetzgeber sekundiert durch Rechtsprechung403 und Lehre404: Im Rahmen der ihr zugewiesenen Befugnisse sichert die Recht- 398 399 400 401 402 403 404 vom „programmatischen Gehalt“ spricht. In diesem Zusammenhang unterscheidet Birk zwischen zwei Konkretisierungsstufen im gesetzgeberischen Prozess: Den Primärableitungen, die noch Grundwertungen darstellen und den Sekundärableitungen, welche aufbauend auf die Grundwertungen Einzelwertungen zum Ausdruck bringen. Vgl. mit weiteren Ausführungen, Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 54 ff.; siehe auch Lang, Bemessungsgrundlage, S. 14 ff. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 54; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 18; vgl. auch BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (105); BGE 114 Ia 221 (224 und 231 f.); Alexy, Verfassungsrecht, S. 28 ff., spricht bei Grundrechten in diesem Zusammenhang vom „normativen epistemischen Spielraum“; ders., a.a.O., S. 33: „Normative Erkenntnisspielräume betreffen direkt den materiellen Gehalt der Verfassung. Ihre Existenz heisst, dass der durch die Verfassung direkt Gebundene bis an die Grenzen des Spielraumes selbst über den Inhalt der Bindung entscheiden darf.“ Ossenbühl, S. 91, m.w.Nw.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 53; Senn, S. 163, m.w.Nw. Dazu oben, § 2 A. II. 1., S. 17. Vallender, Besteuerungsbefugnisse, S. 25. Art. 130 Abs. 1 i.V.m. Art. 196 Ziff. 14 lit. f ÜbBst. zu Art. 130 BV. Auf diese „Sekundierung“ des Gesetzgebers durch die Rechtsprechung weisen u.a. hin: Larenz/Canaris, S. 161; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493. Siehe Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493, der die „geistige Unterstützung“ des Gesetzgebers durch Wissenschaft (und Rechtsprechung) hervorhebt. 82 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sprechung zum einen die Durchsetzung der gesetzgeberischen Entscheide gegenüber den rechtsanwendenden Behörden. Zum anderen hat sie den (kantonalen405) Gesetzgeber in die „Leistungsfähigkeitsschranken“ zu weisen, wenn er Bestimmungen erlassen hat, die aus der Perspektive der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als unhaltbar und willkürlich erscheinen406. Dabei veranschaulicht die Rechtsprechung den Gehalt des Leistungsfähigkeitsprinzips, setzt ihn verbindlich durch und nimmt fallbezogen eine nähere (Teil-)Bestimmung vor. Die Lehre unterstützt die Rechtsprechung bei der Auslegung der leistungsfähigkeitsorientierten Vorgaben des Verfassungs- und Gesetzgebers. Zudem trägt sie durch ihre Entdeckungs- und Antriebsfunktion407 dazu bei, dem Gesetzgeber aufzuzeigen, wie das Leistungsfähigkeitsprinzip und die geltenden Auffassungen über Steuergerechtigkeit effektiv und effizient in der Gesetzgebung umgesetzt werden können. D. Methodische Konsequenz Als Konsequenz wird im Folgenden näher beleuchtet, wie sich die sparbereinigte Einkommensteuer mit den Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips insbesondere im Einkommensteuerrecht verträgt. Für die Beurteilung eines Wechsels zur sparbereinigten Einkommensteuer werden daher die in diesem Kontext relevant erscheinenden Grundregeln der leistungsfähigkeitsgebundenen Steuerlastverteilung im Einkommensteuerrecht herausgeschält. Anhand dieser Grundregeln – sie können auch als Subprinzipien der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bezeichnet werden – wird geprüft, ob eine sparbereinigte Einkommensteuer mit ihnen vereinbar ist und inwiefern die vorgefundenen Konkretisierungen Vorgaben für eine Feinausgestaltung der sparbereinigten Einkommensteuer bieten. Mit Bezug auf die Identifizierung der Leistungsfähigkeitskonkretisierungen im Steuerrecht ist anzumerken, dass die Gefahr einer irreführenden Tautologie nahe liegt, wenn angenommen wird, es würden alle Regeln der Steuerlastverteilung Ausflüsse des Lei- 405 406 407 Auf Bundesebene greift diesbezüglich das Anwendungsgebot von Art. 191 BV; Bundesgesetze können demgemäss vom Bundesgericht nicht aufgehoben werden. Vgl. u.a. BGE 124 I 145 zur Eigenmietwertbesteuerung; BGE 110 Ia 7 zur Ehegattenbesteuerung, wobei wohl festgehalten wurde, dass die angefochtene Bestimmung Art. 4 aBV verletze, die Bestimmung aber nicht aufgehoben wurde, weil „sich die Rechtsgleichheit (...) nur durch eine positive Gesetzesänderung erreichen lässt“ (anzufügen bleibt, dass sich das Bundesgericht in BGE 120 Ia 329 in wesentlichen Zügen von BGE 110 Ia 7 distanzierte). Vgl. auch Canaris, S. 72 f. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 83 stungsfähigkeitsprinzips darstellen, weil der Gesetzgeber grundsätzlich an das Leistungsfähigkeitsprinzip gebunden sei. Auch wenn aus den Materialien ersichtlich ist, dass sich Verfassungs- bzw. Gesetzgeber vom Leistungsfähigkeitsgrundsatz leiten lassen408, finden sich aus verschiedenen Gründen im Schweizer Steuerrecht diverse Durchbrechungen des Leistungsfähigkeitsprinzips in unterschiedlichen Intensitätsstufen. Eine Darstellung von Leistungsfähigkeitskonkretisierungen, wie sie nachstehend sachlich begrenzt vorgenommen werden soll, erfolgt daher unausweichlich mit einer bestimmten „Leistungsfähigkeitsbrille“409 und ist durch sie zu prüfen. Der Vorgang kann in Abwandlung einer berühmten Formulierung von Engisch beschrieben werden als ein „Hin- und Herwandern des Blicks“410 zwischen dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den in Betracht gezogenen Ausgestaltungen der Steuerordnung, wobei die Auffassung über den Grundsatzgehalt wie auch die Auswahl und Beleuchtung der in Betracht zu ziehenden Ausgestaltungen der Steuerordnung vom Vorverständnis411 des Autors mitbeeinflusst werden und sich gestützt darauf zu überprüfende Sinn-Erwartungen bilden412. Kann die in Betracht gezogene Norm bzw. Normgruppe als mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar qualifiziert werden, wird dieses wiederum durch die Norm konkretisierend beschrieben und 408 409 410 411 Z.B. Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 432 f.; Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 156 ff. Bzgl. des Ausdrucks „Brille“ Anlehnung an Aubert, Traité, S. 615 N 1717 und Kaufmann, S. 165, wobei der Ausdruck von den erwähnten Autoren jedoch mit Bezug auf die Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts verwendet wird. Herauszustreichen ist, dass diese Formulierung einem anderen Kontext entstammt: Engisch, S. 15, mit Bezug auf den Untersatz des juristischen Syllogismus, d.h. die Zuordnung eines bestimmten Sachverhalts zu einer Rechtsnorm (zur eher zurückhaltenden Verwendung des Begriffes „Subsumtion“ vgl. Larenz/Canaris, S. 93 ff.). Larenz/Canaris, S. 27 ff., machen aber auch deutlich, dass das „Hin- und Herwandern des Blicks“ und die damit verbundene „wechselseitige Erhellung“ des einen durch das andere in der Jurisprudenz als allgemeiner hermeneutischer Prozess, d.h. nicht nur bezüglich des Untersatzes des Syllogismus, von grosser Bedeutung ist. Zusätzlich stellen Larenz/Canaris, S. 28, heraus, dass dabei das Bild eines „hermeneutischen Zirkels“ nicht genau ist, da „die Kreisbewegung des Verstehens nicht einfach an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt – dann würde es sich um eine Tautologie handeln – (...)“, sondern das Verständnis „auf eine neue Stufe hebt“. Treffender ist es daher, von einer „hermeneutischen Spirale“ zu sprechen; vgl. dazu Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S. 84 m.Vw. auf Hassemer, S. 107 f.; vgl. auch Vallender, Erkenntnis, S. 78 f. Zum hermeneutischen Zirkel siehe auch: Heidegger, S. 152 ff.; Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 250 ff. Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S. 66; Vgl. auch Larenz/Canaris, S. 29 f., m.Vw. auf Gadamer, Wahrheit und Methode, S. S. 250 ff.; dazu auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung. Zur „Bewusstmachung“ des Vorverständnisses: Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S. 83 und S. 85, m.Vw. auf Gadamer, Kleine Schriften I, S. 127. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 84 besitzt vermehrte Aussagekraft bei der Untersuchungen weiterer Normen. Nachfolgend werden nur die Auswahlergebnisse mit Hinweis auf Grund der Übereinstimmung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip aufgeführt, auf den Auswahlprozess wird nicht weiter eingegangen. § 5 Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer A. Ausgangsmodell I. Grundskizze Es war, wie bereits erwähnt wurde, IRVING FISHER, der die Praktikabilität einer „spendings tax“ im Sinne einer sparbereinigten Einkommensteuer als erster aufzeigte413. Diese Überlegungen aufgreifend, wäre bei einer Sparbereinigung die bestehende steuerliche Einkommenserfassung wie folgt abzuändern: Neu sind die gesparten Einkommensteile von der Berechnungsgrundlage abziehbar, während Auflösungen von Sparkapitalien, die aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen gebildet wurden, in die Berechnungsgrundlage einfliessen. Es gilt somit: sämtliches steuerbares Einkommen (wie bisher)414 + Auflösung von Sparkapitalien, die aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen gebildet wurden - Ersparnisbildung aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen - sonstige Abzüge und Freibeträge (wie bisher) = Steuerberechnungsgrundlage Dazu sind noch Präzisierungen anzufügen: 412 413 414 Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S. 66; Larenz/Canaris, S. 28 f. Siehe oben, § 1 C., S. 6 f. Es ergibt sich ein Praktikabilitätsproblem, wenn in einer Steuerordnung nicht alle Einkünfte steuerbar sind. Es stellt sich dann insbesondere die Frage, wie mit Ersparnissen umzugehen ist, die aus nicht steuerbaren Einkünften gebildet wurden und folglich auch nicht steuerwirksam von der Einkommensberechnungsgrundlage abgezogen werden dürfen. Diese Frage wird hinten, § 6 A. III. 2.1.3., S. 179 f. und § 7 B. II., S. 212, eingehender behandelt. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit II. 85 1. Präzisierung: Zur Belegung von Ersparnisauflösungen und -bildungen Bei einer Umsetzung der sparbereinigten Einkommensteuer ist erforderlich, dass das Steuersubjekt einerseits Belege dafür einreicht, was es für Zuflüsse hatte, die für die Bestimmung der Einkommensberechnungsgrundlage relevant sind. Nebst Lohnausweisen und Zinsbelegen sind neu insbesondere auch sämtliche Belege über die Verkäufe von steueraufschiebend behandelten Sparanlagen einzureichen. Andererseits hat das Steuersubjekt allfällige abzugsfähige Ersparnisbildungen zu belegen415. Bei Transaktionen (Kauf/Verkauf von Sparanlagen) über Banken könnten die Bankformulare entsprechend angepasst werden, indem Verkäufe und Ankäufe auf einem Jahresschlussblatt ausgewiesen werden. III. 2. Präzisierung: Zur Schuldenbehandlung Schulden stellen Reduktionen des Nettovermögens dar. Die Aufnahme von Schulden ist daher als Ersparnisauflösung zu behandeln bzw. die Schuldentilgung als Ersparnisbildung416. Es sind folglich die im betreffenden Steuerjahr eingegangen Schulden zum steuerbaren Einkommenszufluss zu rechnen resp. die getilgten Schulden vom grundsätzlich steuerbaren Einkommen abzuziehen417. Erforderlich sind wiederum sämtliche Belege des Steuersubjekts über Schuldenaufnahme und -tilgung. Erfolgt eine Nettoverschuldung418, sind die Nettoschulden bis zu einem allfälligen späteren Ausgleich nicht als Ersparnisauflösung zu behandeln. Steuerlich ist vielmehr zu warten, bis die Nettoverschuldung wieder durch Ansparen von Einkommen ausgeglichen ist. Dann kann eine Besteuerung des ausgeglichenen Nettoschuldenteils greifen. Dem liegt die 415 416 417 418 Zur Geltendmachung des Sparabzuges auch unten, § 7 B. I. 2., S. 209 f. Die aufgezeigte Schuldenbehandlung ist im System der sparbereinigten Einkommensteuer allgemein anerkannt. Vgl. nur schon Fisher, Income Taxation, S. 170 und S. 174; vgl. auch McLure/Zodrow, S. 123. Ausschlaggebend für die Besteuerung ist dabei nicht der eigentliche Zufluss von geliehenen Vermögenswerten resp. die Rückzahlung derselben, sondern der Umstand, dass es sich um eine Ersparnisauflösung resp. Ersparnisbildung handelt. Von dieser Warte aus muss auch nicht das obige Grundmodell umformuliert werden, da die Schuldenaufnahme unter die steuerbare Ersparnisauflösung und die Schuldentilgung unter die abzugsfähige Ersparnisbildung subsumiert werden kann. Aus Praktikabilitätsgründen und um auf die Besteuerung des Einkommens abzuzielen, sollten für die Frage, ob eine Nettoverschuldung vorliegt, die Eingangswerte der Aktiv- bzw. Passivposten massgebend sein. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 86 Überlegung zugrunde, dass die sparbereinigte Einkommensteuer weiter eine Einkommensteuer ist. Wird hingegen auch eine Nettoverschuldung als Ersparnisauflösung behandelt, werden Teile besteuert, für die gar kein Einkommen zugeflossen ist. Es würde dann eine Besteuerung desjenigen Konsums erfolgen, für den die Schulden verwendet wurden419. Für die Behandlung der Schulden als Reduktion des Sparvermögens spricht nebst der hinreichenden materiellen Begründung auch die Gefahr einer möglichen Steuerumgehung: Ohne Abzug vom Sparvermögen könnte der Konsum über Schulden finanziert werden und die Steuerpflichtigen könnten einer steuerpflichtigen Ersparnisauflösung bzw. einer steuerpflichtigen Direktverwendung des Einkommens420 entgehen oder zumindest bis spätestens zum Austritt aus der Steuerpflicht aufschieben. Andererseits könnten durch Schulden auch das Sparvermögen aufgebläht und entsprechend der Abzug von der Steuerberechnungsgrundlage erhöht werden. IV. 3. Präzisierung: Zur Kapitalgewinnbesteuerung 1. Ausgangslage Im geltenden Einkommensteuerrecht421 sind „Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen“ steuerfrei (Art. 16 Abs. 3 DBG). Wie oben bereits angeschnitten wurde und nachstehend noch weiter ausgeführt wird, bedeutet diese steuerliche Ausnahme eine Durchbrechung von verfassungsmässigen Steuergrundsätzen422. Gemäss Rechtsprechung kann diese Durchbrechung jedoch gestützt auf Erwägungen der Praktikabilität und der Veranlagungsökonomie gerechtfertigt werden423. 419 420 421 422 423 Sollte der Realwert des Aktivvermögens über dem Eingangswert liegen, ist denkbar, dass für Steuerzwecke eine Nettoverschuldung angenommen wird, obwohl faktisch keine vorliegt. Da aber bei Auflösung des Aktivvermögens die realen Werte zugrunde gelegt werden, wird der nicht besteuerte Nettoschuldenanteil spätestens dann in Anrechnung gebracht und der Besteuerung zugeführt. D.h. ohne vorheriges Ansparen. Mit der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fokussierung auf die Bundessteuerordnung wird die kantonal erfolgende Besteuerung von Gewinnen auf unbeweglichem Vermögen ausgeklammert. Hinsichtlich der Allgemeinheit der Besteuerung oben, § 2 B. II. 2.2., S. 37; hinsichtlich des Leistungsfähigkeitsprinzips gleich unten, § 5 C. II. 2., S. 106. BGE 114 Ia 221; ebenda, S. 231 f.: „Es [das Bundesgericht] hat auch eingeräumt, dass vereinfachende Vorschriften (z.B. Minimalbeträge) in sachlich vertretbaren Grenzen rein veranlagungsökonomisch begründet sein mögen (...). Dem kantonalen Gesetzgeber ist zuzubilligen, dass er sich bei der Ausgestaltung der Steuernormen von praktischen und veranlagungsökonomischen Gesichtspunkten noch weitergehend leiten lässt. Die vom Regierungsrat angeführten veranla- Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 2. Situation bei Sparbereinigung der Einkommensteuer 2.1. Praktikabilitätsprobleme infolge der Steuerfreiheit privater 87 Kapitalgewinne Wird an Art. 16 Abs. 3 DBG, das heisst an der geltenden steuerlichen Ausnahme der privaten Kapitalgewinne, festgehalten, ergeben sich erhebliche Probleme bei der Erfassung von Ersparnisauflösungen. Diese Erfassungsprobleme lassen sich auf reale und nominale Wertschwankungen zurückzuführen und zeigen sich bei Finanz- und Sachanlagen wie folgt: Die genannten Anlagen unterliegen monetär bemessen regelmässig Schwankungen im Realwert, die bei der steuerlichen Ausnahme privater Kapitalgewinne unbeachtlich sind. Demzufolge ist für die Steuerberechnung auf die ursprünglichen Werte der aus steuerlich abgezogenem Einkommen erworbenen Sparanlagen abzustellen. Zur Durchführung müssen die Ausgangswerte bekannt sein. Dies kann dadurch erreicht werden, dass der Steuerpflichtige bei Sparauflösung bzw. bei Austritt aus der Steuerpflicht auf die konnexe ursprüngliche Ersparnisbildung verweist und mit dem zugehörigen steuerlichen (Abzugs-) Beleg den Ausgangswert dokumentiert. Aufgrund von Schwankungen des Geldwertes (Inflation/Deflation) können aber auch die Ausgangswerte nicht unbesehen übernommen werden. Um steuerlich an diejenige wirtschaftliche Leistungskraft anzuknüpfen, die ursprünglich im Betrag des Sparabzugs verkörpert war, ist bei Sparauflösung eine Inflationsbereinigung erforderlich, die mittels Indexierungstafeln erfolgen kann. Analog ist bei eigenaufbewahrtem Geld – sofern es als abzugsfähige Sparanlage akzeptiert wird424 – bei Sparauflösung 424 gungsökonomischen bzw. finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkte sind sachlicher Art. Das Bundesgericht hat solche Gründe so lange zu respektieren, als sie nicht bloss vorgeschützt werden, um ein mit den aus Art. 4 BV fliessenden Grundsätzen einer rechtsgleichen Besteuerung schlechthin unvereinbares Privileg zu begründen. (...) Die praktischen Gesichtspunkte sind zusammengenommen nicht unwesentlich, selbst wenn sie jeder für sich in Frage gestellt werden können und der streitige Verzicht auf jede Veranlagung der Kapitalgewinne auf beweglichem Privatvermögen andere praktische Schwierigkeiten mit sich bringt. Das Bundesgericht hat dem kantonalen Gesetzgeber zuzubilligen, dass er die praktischen Gründe für den Verzicht auf ihre Veranlagung höher bewertete. Es kann den angefochtenen Erlass deshalb nicht als unhaltbar bezeichnen und als verfassungswidrig aufheben, dies umso weniger, als der Kanton Basel-Landschaft mit der Abschaffung der Besteuerung von Kapitalgewinnen auf beweglichem Privatvermögen nur der grossen Mehrheit der Kantone folgte.“; vgl. auch bereits oben, § 2 B. II. 2.2., S. 37 inkl. FN 191; vgl. zu Art. 16 Abs. 3 DBG u.a. auch Reich, DBG Kommentar, N 43 ff., insb. N 46 zu Art. 16; Hirt, S. 213 ff.; Locher, DBG Kommentar, N 70 ff. zu Art. 16. Zur Frage, was als abzugsfähige Sparanlagen festgelegt werden soll, unten, § 7 B. I. 1., S. 197 ff. 88 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine Inflationsbereinigung vorzunehmen, damit die ursprüngliche Leistungsfähigkeit erfasst wird. Es ist offensichtlich, dass ein solches Vorgehen erhebliche Praktikabilitätsprobleme mit sich führt. Zum Beispiel ist die erforderliche Belegung und die Inflationsbereinigung allgemein aufwendig425 und darüber hinaus stellen sich bei Anlagen in identische Sparanlagen Schwierigkeiten infolge ev. fehlender Unterscheidungsmerkmale bei getrenntem Verkauf. Problematisch sind ferner zu erwartende steuerlich konditionierte, verzerrte Verhaltensweisen426. Als Lösung könnte diesbezüglich die FIFO427-Regelung etabliert werden428. Demnach greift die Fiktion, dass in chronologischer Nachbildung der Erwerbsreihenfolge die zuerst gekauften Objekte der fraglichen identischen Sparanlagen zuerst verkauft werden. 2.2. Praktikabilitätsvorteile bei der Besteuerung von privaten Kapitalgewinnen Die Situation präsentiert sich hingegen anders, und zwar viel praktikabler, bei Besteuerung der Kapitalgewinne auf den Sparanlagen: Zum einen ist bei einer Sparbereinigung hinreichende Dokumentation der Sparaktivitäten vorhanden, so dass auf breiter Grundlage praktikable Voraussetzungen für die Besteuerung privater Kapitalgewinne geschaffen werden. Dass die erforderliche Dokumentation über die Sparanlagen – zumindest über deren Anschaffung – vorhanden sind, liegt bei einer sparbereinigten Einkommensteuer im ureigenen Interesse der Steuersubjekte. Erst durch Belegung der Sparanlagen können sie von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden. Zum anderen fällt das Inflationsproblem weg, das sich bei der Beibehaltung von Art. 16 Abs. 3 DBG stellen würde: Bei Verkauf von Sparanlagen, für die ein Sparabzug geltend gemacht wurde, ist der zufliessende Erlös steuerrelevant und Schwankungen im Realsowie Nominalwert werden dadurch automatisch mitberücksichtigt429. Darüber hinaus 425 426 427 428 429 Zur Inflationsbereinigung u.a. auch McLure/Zodrow, S. 127. Z.B. bei einem geplanten Teilverkauf von Aktien, die über einen längeren Horizont hinweg gekauft wurden und einen schwankenden Wertverlauf aufweisen, werden diejenigen mit dem geringsten Eingangswert veräussert. First in, first out. Dazu schon Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 192 f.; die FIFO-Regelung wurde auch im Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 47, mit Bezug auf die empfohlene Besteuerung privater Kapitalgewinne vorgeschlagen; vgl. auch McLure/Zodrow, S. 128. Beispiel: Angenommen, eine Aktie wurde 1980 unter Geltendmachung eines Sparabzuges für Fr. 100 gekauft und 1999 für Fr. 950 verkauft. Weiter sei angenommen, der nominelle Wertzuwachs belaufe sich auf Fr. 150 und der reale Kapitalgewinn auf Fr. 700. Wird der Erlös von Fr. 950 nicht wieder einer Sparform zugeführt, sondern konsumtiv verwendet, fliesst der ganze Betrag in die Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 89 entfallen Anreize zu steuerlich konditioniertem Verkaufsverhalten bei identischen Sparanlagen. 2.3. Fazit Bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer stellt sich das Praktikabilitätsproblem umgekehrt dar als bei der traditionellen Einkommensteuer: Während unter geltendem Steuerrecht namentlich Erwägungen der Praktikabilität und der Veranlagungsökonomie zum Verzicht auf die Erhebung einer privaten Kapitalgewinnsteuer führen, sind bei einer Sparbereinigung nicht nur die Praktikabilitätsvoraussetzungen geschaffen430, sondern zur Vermeidung von Praktikabilitätsproblemen ist eine Besteuerung auch der privaten Kapitalgewinne geradezu erforderlich. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, im Zuge der Sparbereinigung auch Art. 16 Abs. 3 DBG zu streichen, das heisst, auch die privaten Kapitalgewinne für steuerbar zu erklären431. Damit trägt die Sparbereinigung auch dazu bei, eine der gewichtigsten Durchbrechungen der verfassungsmässigen Besteuerungsgrundsätze zu schliessen432. 3. Ergänzungen bezüglich der Besteuerung privater Kapitalgewinne bei einer sparbereinigten Einkommensteuer Mit Bezug auf die Besteuerung privater Kapitalgewinne bleibt anzufügen, dass infolge der hier vorgeschlagenen (einfachen) Ausgestaltung einerseits Gewinne, andererseits aber auch Verluste automatisch bei Zufluss des Veräusserungserlöses Berücksichti- 430 431 432 Berechnungsgrundlage für die Einkommensteuer. Somit werden zum einen Fr. 250 erfasst, welche die Leistungsfähigkeit des 1980 vorgenommen Sparabzuges über Fr. 100 inflationsangepasst ausdrücken, und zudem wird der reale Kapitalgewinn von Fr. 700 berücksichtigt. Vgl. auch McLure/ Zodrow, S. 128, mit dem Hinweis, dass ein echtes Inflationsproblem nur bei hyperinflationärer Inflation auftreten würde, „wenn die Inflationsrate so hoch ist, dass es schon wegen der Zeitspanne zwischen der eigentlichen Entstehung der Steuerschuld und der Abgabe der Steuererklärung zu Verzerrungen kommt.“ Vgl. auch Bradford, Untangling, S. 313; Dorenkamp, S. 209. Siehe auch McLure/Zodrow, S. 128. Die steuerliche Erfassung auch der Veräusserungsgewinne gehört denn auch zum allgemein vertretenen Grundkonzept der sparbereinigten Einkommensteuer: Fisher, Practical Schedule, S. 114, mit weiteren Erläuterungen und der Betonung, dass es sich dabei um eine „true tax on income“ und nicht um eine „true tax on capital-gain“ handle; vgl. auch McLure/Zodrow, S. 123 und S. 128. Vgl. zur Aufhebung dieser Durchbrechung der Steuergrundsätze auch Expertenbericht Steuerlüc??ken (1998), S. 19 ff. Die Expertenkommission Steuerlücken formulierte sodann mit Bezug auf das geltende, d.h. traditionelle Einkommensteuersystem, die Forderung, auch private Kapitalgewinne steuerlich zu erfassen: Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 70 ff. 90 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gung finden. Fraglich ist, ob der Bund auch Kapitalgewinne auf unbeweglichem Privatvermögen besteuern soll. Dagegen spräche die Erwägung, das entsprechende Steuersubstrat sei bislang bewusst den Kantonen vorbehalten worden433. Hingegen ist aus Gründen der Gleichbehandlung, namentlich in deren Ausprägungen der Allgemeinheit der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine Differenzierung nach beweglichem und unbeweglichem Vermögen schwerlich vertretbar434. Denkbar wäre auch eine Ausgestaltung, bei welcher der Bund die Steuererträge auf Kapitalgewinnen aus unbeweglichem Privatvermögen an die Kantone weiterleitet. Dadurch bliebe den Kantonen das entsprechende Steuersubstrat erhalten. Ferner ergibt sich aus dem hier entwickelten Vorschlag, dass nur private Gewinne von Sparanlagen erfasst werden. Gewinne und Verluste auf Konsumgütern sind einkommensteuerlich weiterhin unbeachtlich. Zur Begründung dieser Nichtbeachtung ist nebst den etwaigen Praktikabilitätsproblemen anzuführen, dass Konsumgegenstände, insofern es sich um Hausrat und um Gebrauchsgegenstände des persönlichen Bedarfs handelt (besonders wertvolle Konsumgegenstände wie Autos, bestimmte Kunstwerke435 etc. fallen somit ausser Betracht), nicht für die Vermögensbesteuerung herangezogen werden436 und deshalb kein Vermögen im steuerrechtlichen Sinn darstellen437. Noch gewichtiger ist aber folgende Überlegung, die grundsätzlich sämtliche Konsumgegenstände, das heisst auch die wertvollen, betrifft: Konsumgegenstände „unterliegen in der Regel einer durch Gebrauch bedingten Entwertung und können ausserdem, selbst wenn der innere Wert infolge Nichtgebrauchs nicht gesunken ist, von Personen, welche nicht im Handel mit solchen Gegenständen beschäftigt sind, nicht mehr zu ihrem vollen Wert veräussert werden.“438 Es sind somit in der Regel Kapitalverluste auf 433 434 435 436 437 438 Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 21. Im Gesetzesvorschlag weiter unten wird daher Art. 16 Abs. 3 DBG in der geltenden Form gänzlich gestrichen und neu formuliert in Richtung Besteuerung der Kapitalgewinne auf privaten Sparanlagen. Denkbar wäre auch, dass der Bund die Steuererträge auf Kapitalgewinnen aus unbeweglichem Vermögen an die Kantone weiterleitet. Dadurch bliebe den Kantonen das entsprechende Steuersubstrat weiter gesichert. Zur Frage, ob Kunstwerke als Sparanlagen zu qualifizieren sind: Siehe unten, § 7 B. 1.4., S. 207 f. Betrifft die kantonale Vermögensbesteuerung (Art. 2 Abs. 1 lit. a StHG), der Bund erhebt keine Vermögensteuer. Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69. Gestützt im Wesentlichen auf diese Begründung wollte die Expertenkommission Steuerlücken mit Bezug auf die von ihr vorgeschlagene Besteuerung privater Kapitalgewinne Hausrat und persönliche Gebrauchsgegenstände ebenfalls ausnehmen; Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 28 f. Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 91 Konsumgegenständen zu gewärtigen439. „Da der Gebrauch dieser Gegenstände zur Lebenshaltung gehört, käme der Abzug von Verlusten aus der Veräusserung von Gebrauchsgegenständen dem Abzug von Lebenshaltungskosten gleich. Die Lebenshaltungskosten stellen aber nach allgemeiner Anschauung Einkommensverwendung dar. Ihr Abzug ist deshalb bei der Berechnung des Einkommens ausgeschlossen. Da somit ein Verlust aus der Veräusserung von Gebrauchsgegenständen nicht abzugsfähig sein kann und andererseits Gewinne nicht in Frage kommen, sind die Gebrauchsgegenstände bei der Gewinnbesteuerung überhaupt ausser Acht zu lassen.“440 Anzumerken bleibt, dass bei einer Implementierung einer umfassenden Kapitalgewinnsteuer daher nur noch Sparanlagen zu erfassen wären – bzw. müsste die Dokumentation dafür sichergestellt werden – die aus nicht einkommensteuerpflichtigen Vermögenszugängen gebildet wurden441; ansonsten bestehen hinreichende Unterlagen zur praktikablen Veranlagung. V. Modellhafte Grundidee als Ausgangsbasis Das bezüglich der Sparbereinigung modellmässig Dargelegte und hinsichtlich einzelner Punkte Präzisierte soll im Folgenden auch die Grundidee sein. Anhand dieser modellhaften Grundidee soll geprüft werden, ob eine sparbereinigte Einkommensteuer mit den Grundwertungen und -konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im Schweizer Einkommensteuerrecht vereinbar ist und inwiefern allfällige Modifikationen der Grundidee erforderlich und möglich sind. Diese Prüfung wird vorgenommen anhand der Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips in den folgenden Bereichen: Steuergut und Steuerobjekt (B.), Steuerberechnungsgrundlage (C.), Zeitliche Bemessung (D.), Steuerprogression (E.) sowie steuerliche Behandlung des Existenzminimums (F.). 439 440 441 Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69. Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69 f. Art. 34 lit. a DBG statuiert die (grundsätzliche) Nichtabziehbarkeit von Lebenshaltungskosten ausdrücklich; vgl. auch Reich, DBG Kommentar, N 3 f. zu Art. 34; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 3 ff. zu Art. 34; Locher, DBG Kommentar, N 4 ff. zu Art. 34. Damit allfällige Verkäufe erfasst bzw. überprüft werden können. Weitergehend wäre diesbezüglich noch zu prüfen, ob für die nicht über einen Sparabzug gebildeten Sparanlagen eine Inflationsbereinigung zur Gewinnberechnung vorzunehmen wäre. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 92 B. Steuergut und Steuerobjekt I. Begriffliches Als Steuergut wird der wirtschaftliche Sachverhalt bezeichnet, der steuerlich erfasst werden soll442. Dabei erfolgt eine materielle Bestimmung dessen, was als „besteuerungswürdig“ erkannt wird443. Bei der Einkommensteuer bildet zum Beispiel das Einkommen das Steuergut, bei der Vermögensteuer das Vermögen und bei der Mehrwertsteuer der Konsum. Allgemein erwächst aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip die Vorgabe, an solche wirtschaftliche Sachverhalte bzw. Steuergüter anzuknüpfen, die Indikatoren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit darstellen444. Mit dem Begriff Steuerobjekt wird bezeichnet, was der Steuergesetzgeber im Gesetz als steuerauslösenden Tatbestand normiert445. Auch wenn der Gesetzgeber bei der rechtlichen Normierung ein bestimmtes Steuergut anvisiert, müssen sich Steuergut und Steuerobjekt nicht immer decken. Sie können aus technischen Gründen teilweise oder gänzlich auseinander fallen. Ein gänzliches Auseinanderfallen ist zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer gegeben, bei welcher der Konsum das Steuergut bildet446, aus steuertechnischen Erwägungen jedoch bestimmte Umsätze447 als Steuerobjekte normiert wurden448. Hinsichtlich Einkommensteuer ist hingegen von einer grundsätzlichen Deckung zwischen Einkommen als Steuergut und Einkommen als Steuerobjekt auszugehen. 442 443 444 445 446 447 448 Blumenstein/Locher, S. 154; Burmester, S. 221 ff. Tipke/Lang, § 7 N 23. Tipke/Lang, § 7 N 26. Blumenstein/Locher, S. 153; vgl. auch Höhn/Waldburger, § 10 N 1; Oberson, Droit fiscal, § 5 N 6. Der Gesetzgeber deklariert dies bereits in Art. 1 Abs. 1 MwStG, wo er festhält, dass die MwSt eine „allgemeine Verbrauchssteuer“ sein soll. Vgl. auch Camenzind/Honauer/Vallender, N 50; Höhn/Waldburger, § 24 N 11. Konkret unterliegen der MwSt folgende durch MwSt-pflichtige Personen getätigten Umsätze (Art. 5 MwStG): a) im Inland gegen Entgelt erbrachte Lieferung von Gegenständen; b) im Inland gegen Entgelt erbrachte Dienstleistungen; c) Eigenverbrauch im Inland; d) Bezug von Dienstleistungen gegen Entgelt von Unternehmungen mit Sitz im Ausland. Art. 5 MwStG; Höhn/Waldburger, § 24 N 58; Blumenstein/Locher, S. 219 und S. 221; Camenzind/Honauer/Vallender, N 51. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit II. 93 Einkommen als Hauptsteuergut und -objekt Die geschichtliche Entwicklung des Einkommens als Steuergut und dessen Normierung als Steuerobjekt ist auf das Engste mit der Etablierung des Grundsatzes der Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verknüpft449. Die Anhänger des letzteren, der, wie oben ausgeführt wurde, im Anschluss an Gedankenströmungen der Aufklärung entstanden ist und sich im Laufe des 19. Jahrhundert allmählich zum steuerlichen Hauptgrundsatz entwickelte450, waren der Auffassung, dass sich ihre Forderungen am besten mit einer allgemeinen Einkommensteuer einlösen liesse: Zum einen zeigt das Einkommen deutlicher als die bis dahin tradierte Akzise (Verbrauchs- und Verkehrssteuer)451 die verfügbaren wirtschaftlichen Mittel auf und erscheint daher als geeigneterer Gradmesser wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit452. Zum anderen sind bei der Einkommensteuer Anpassungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mittels Abzügen und Steuerprogression möglich. In der Folge vermochte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ansicht durchzusetzen – wobei der deutschen Finanzwissenschaft die Vorreiterrolle zukam – es sei hauptsächlich das Einkommen als geeignetster Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit heranzuziehen453. Diese Auffassung fand ihren Niederschlag in der Steuergesetzgebung454, und seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Einkommensteuer in den westlichen Industrieländern zur weiteren Hauptsteuer455 nebst den Verbrauchsund Verkehrssteuern, an denen trotz Kritik aus der Wissenschaft meist festgehalten wurde. Bis heute ist allgemein anerkannt, dass „im Einkommen eines Individuums 449 450 451 452 453 454 455 Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10. Oben, § 3 C., S. 75 ff. Zu den Akzisen u.a. Mann, S. 50 ff. Vgl. die Erläuterungen bei Ossenbühl, S. 28; Mann, S. 132; Oechslin, S. 34 f. Z.B. Fuisting, S. 107: „Die Bedeutung der Einkommensbesteuerung beruht darauf, dass das Einkommen der vollendetste Ausdruck der persönlichen Leistungsfähigkeit ist, eine auf dieser Grundlage aufgebaute Steuer also den Anforderungen der Gerechtigkeit am meisten entspricht. Die Grundlage kann aber nur das wirkliche Einkommen jedes einzelnen Steuerträgers, das individuelle Einkommen, sein. (...) Individualität und Subjektivität sind die unerlässlichen Vorbedingungen einer vollkommenen Einkommensbesteuerung.“ Vgl. auch Schäffle, S. 41 ff., insb. S. 43; Meyer, S. 341. I.d.R. unterstützt durch Geldbedarf der Gemeinwesen, der die Erschliessung neuer Einnahmequellen nahelegte; vgl. zu den „handfesten“ Hintergründen der Einkommensteuer z.B. die entstehungsgeschichtlichen Darlegungen bei Grossfeld, S. 7 ff. und S. 26 ff.; vgl. auch Neumark, Einkommensteuer, S. 233. Vgl. dazu u.a. Buchholz, S. 56 ff.; Grossfeld, S. 42 ff.; vgl. auch Neumark, Einkommensteuer S. 233; Oechslin, S. 37 f. 94 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwar nicht die einzige, aber doch die klarste Manifestation seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“456 liegt. Durch die Auswahl der Einkommensteuer und ihrer Ausgestaltung als Hauptsteuer wird die erste und wesentlichste Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips vorgenommen457. In Übereinstimmung mit diesen Darlegungen steht es denn auch, wenn in der Schweiz das Einkommen als Steuergut ausgewählt bzw. gesetzlich als Steuerobjekt niedergelegt wurde458. Dabei ist in der Schweiz die Einkommensteuer die Hauptsteuer. Sie stellt gesamthaft, das heisst bei Einbeziehung von Bund, Kantonen und Gemeinden, die bedeutendste, die Verbrauchssteuern (inkl. Mehrwertsteuer) ertragsmässig deutlich übersteigende Steuer dar459. III. Historischer Exkurs: Verzögerte Entwicklung in der Schweiz Aus historischer Sicht ist anzumerken, dass der „Aufstieg“ der Einkommensteuer zur Hauptsteuer in der Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Industrieländern etwas verzögert erfolgte. Im 19. Jahrhundert stellte die Vermögensteuer in der Schweiz die wichtigste direkte Steuer dar460. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in den Kantonen, nicht zuletzt aufgrund zusätzlichen Finanzbedarfs461, die Vermögensteuer allmählich durch die Einkommensteuer462 ergänzt463. Auch als 1916 dem Bund im Rahmen der „Kriegssteuer“ erstmalig die Kompetenz zur Erhe- 456 457 458 459 460 461 462 463 Reich, Leistungsfähigkeit, S. 11; siehe auch Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 560 m.w.Nw.; Senn, S. 169, m.w.Nw. Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 11; vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 114 f. Art. 128 Abs. 1 lit. a BV; Art 1 lit. a und Art. 16 ff. DBG; vgl. auch Art. 2 Abs. 1 lit. a und Art. 7 StHG. In der Schweiz war man jedoch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Ansicht, die Vermögensteuer sei aus Leistungsfähigkeitsaspekten der Einkommensteuer vorzuziehen. Daher wollte man z.B. 1915 bei Erlass der Kriegssteuer die Vermögensteuer bedeutend stärker gewichten als die Steuer auf Erwerbseinkommen: Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 156 und auch S. 164. 1997 bis 2001 brachten die Einkommensteuern durchschnittlich rund 42,14% der gesamteidgenössischen Steuereinnahmen; die Verbrauchssteuern (inkl. MwSt) durchschnittlich rund 26,87%. Dabei machte die MwSt alleine 63,6% der Verbrauchssteuern bzw. 17,09% der gesamteidgenössischen Steuereinnahmen aus. Quelle: Öffentliche Finanzen (2003), S. 6 und S. 144. Siehe zur Entwicklung der Vermögensteuer in der Schweiz Oechslin, S. 44 f. Oechslin, S. 42 f. Zur Ausgestaltung der Einkommensteuer Oechslin, S. 45: „Belastet wurden zuerst die unfundierten Einkommen, also der Erwerb, der Arbeitsertrag, später teilweise auch die fundierten, d.h. jene Einkommen, die sich aus dem Kaptialertrag ergaben.“ Dazu Oechslin, S. 45, der auch erwähnt, dass Basel-Stadt bereits früher eine Einkommensteuer kannte. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 95 bung einer direkten Steuer zugesprochen und in Bezug auf natürliche Personen eine Vermögens- sowie Erwerbsteuer vorgesehen wurde464, lag das Schwergewicht klar bei der Vermögensteuer465. Dabei blieb es auch bei der Verlängerung der Kriegssteuer (sog. zweite Kriegssteuer) im Jahre 1920466. Erst mit der durch dringlichen Bundesbeschluss vom 13. Oktober 1933 beschlossenen Krisenabgabe467 änderte sich dies. Zum einen wurde mit der Krisenabgabe eine umfassende Einkommensteuer statuiert, die nebst dem Erwerbseinkommen auch Kapitalerträge erfasste468. Zum anderen wurde die Belastung des Einkommens gegenüber der zweiten Kriegssteuer verdoppelt und die Vermögensteuer weniger progressiv ausgestaltet469. Damit kehrten sich die Verhältnisse und der Ertrag aus der Einkommensteuer wurde weit bedeutender als der Ertrag aus der Vermögensteuer470. Im weiteren Verlauf verlagerte sich das Verhältnis noch stärker in Richtung Einkommensteuer471, bis 1958 die Vermögensteuer auf Bundesebene im Zuge der ordentlichen verfassungsmässigen Verankerung der Steuerkompetenzen des Bundes gänzlich gestrichen wurde472. 464 465 466 467 468 469 470 471 472 D.h., der Kapitalertrag blieb steuerfrei; Oechslin, S. 82. Nach Vorausberechnungen sollten rund Fr. 58.5 Mio. aus der Vermögensteuer und Fr. 5 Mio. aus der Erwerbsteuer fliessen; Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 164; vgl. aber auch Oechslin, S. 85, der anhand von Daten der EStV gesamthaft für die sog. erste Kriegssteuer ein tatsächliches Verhältnis von rund 80,8% (Ertrag Vermögensteuer) zu 19,2% (Ertrag aus Erwerbsteuer) aufzeigt. Zur hauptsächlichen Heranziehung des Vermögens als Steuerobjekt wurde bei der Gesetzgebung ausgeführt (Botschaft Art. 42bis BV [1915], S. 156): „Es bedarf keiner Begründung, dass bei der Erhebung der Kriegssteuer in erster Linie das Vermögen in Betracht kommen soll, weil in diesem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zum deutlichsten Ausdruck kommt und der Vermögensbesitz gerade in Zeiten, wie die jetzige, dem Besitzer eine verhältnismässige Sicherheit bietet, die der Vermögenslose, der auf den Erwerb angewiesen ist, schmerzlich vermisst.“ Vgl. Bericht des Bundesrates über den Bundesratsbeschluss vom 21. Juni 1920; siehe darüberhinaus zur zweiten Kriegssteuer die Ausführungen von Oechslin, S. 111 ff., insb. S. 114, wo das weitere Überwiegen der Vermögensteuer über die Erwerbsteuer dargestellt wird. Diese wurde ab 1934 erhoben; vgl. Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933), S. 197 ff.; siehe auch Blumenstein, S. 225 ff.; Blumenstein/Locher, S. 44. Dazu Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933); vgl. auch Oechslin, S. 115 f. Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933); Oechslin, S. 116. Vgl. zu dieser Verhältnisumkehr Oechslin, S. 121. Siehe die Darstellung bei Oechslin, S. 203. Siehe dazu Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 93 (inkl. FN 263) zu Art. 41ter. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 96 IV. Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer 1. Steuergut Durch eine Sparbereinigung der Einkommensteuer, sofern es sich um eine definitive, über das Steuersubjekt hinaus wirkende Sparbereinigung handelt, wird nicht mehr das Einkommen als Steuergut anvisiert. Durch eine derartige Sparbereinigung würde sich die Einkommensteuer zu einer Einkommensverwendungssteuer, das heisst zu einer direkten Konsumsteuer wandeln. Damit würde der Konsum als Steuergut herangezogen. Dadurch ergäbe sich aber eine grundlegende Abweichung von der jetzigen Ausgestaltung der Einkommensteuer: Nach geltender Ausgestaltung der Einkommensteuer wird grundsätzlich das Einkommen als zu besteuernder Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit anerkannt und nicht der Konsum (Einkommensverwendung). Eine definitive, vom Steuersubjekt gelöste Sparbereinigung der Einkommensteuer ist daher nicht mit den im Schweizer Einkommensteuerrecht erfolgten Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips vereinbar473. Unterschiedlich ist die Sparbereinigung der Einkommensteuer zu beurteilen, wenn es sich um eine befristete Sparbereinigung handelt, bei welcher dem sparenden Steuersubjekt nicht eine definitive Sparbereinigung, sondern nur einen Steueraufschub auf dem gesparten Einkommen gewährt wird. Wird zum Beispiel bis zum Zeitpunkt der Ersparnisauflösung oder dem Austritt aus der Steuerpflicht ein entsprechender Steueraufschub gewährt, stellt weiterhin das Einkommen das steuerliche Belastungsziel dar. Es greift nur eine zeitlich verschobene Besteuerung bezüglich der aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse474. Bei einer solchen Ausgestaltung der Sparbereinigung würde in Übereinstimmung mit den Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips immer noch das Einkommen das Steuergut der Einkommensteuer bilden. 2. Steuerobjekt Bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer erfolgt keine Änderung am Steuerobjekt, da aus steuertechnischer Sicht „lediglich“ eine andere Steuerbemessung vorge473 474 Zur Unvereinbarkeit mit dem Prinzip der Allgemeinheit der Besteuerung oben, § 2 B. II. 2.2., S. 36; zur Unvereinbarkeit mit dem materiellen Gehalt der steuerlichen Kompetenznormen oben, § 2 B. I. 2.2.2., S. 23. Oben wurde die Ansicht vertreten, dass eine derartige befristete Sparbereinigung auch mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung (§ 2 B. II. 2.2., S. 36) und dem materiellen Gehalt der einkommensteuerlichen Kompetenznorm von Art. 128 BV (§ 2 B. I. 3., S. 28) vereinbar ist. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 97 nommen wird, indem die gebildeten Nettoersparnisse475 von der Einkommensberechnungsgrundlage abgezogen werden können. Daher bildet immer noch das Einkommen den steuerauslösenden Tatbestand, also das Steuerobjekt. Und zwar auch dann, wenn bei einer über das sparende Steuersubjekt hinaus wirkenden Sparbereinigung materiell eine Einkommensverwendungs- bzw. Konsumsteuer vorliegt. Dies macht deutlich, dass das Steuerobjekt ein formales Element ist476, das nicht viel Materielles über den tatsächlichen Steuervorgang auszusagen vermag477. Nicht nur ist allein anhand des Steuerobjektes unter Umständen kein direkter Schluss auf das Steuergut möglich; auch kommt die steuerliche Leistungsfähigkeit als gerechter Steuerbelastungsmassstab nicht im Steuerobjekt, sondern in der Steuerberechnungsgrundlage zum Ausdruck478. Von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung eines Steuerwechsels ist dementsprechend die nähere Untersuchung der Steuerberechnungsgrundlage. C. Steuerberechnungsgrundlage Die Steuerberechnungsgrundlage ist jene Messgrösse, auf welche das Steuermass bezogen ist, damit der Steuerbetrag im Einzelfall berechnet werden kann479. Mit Blick auf die Einkommensteuer umschreibt die Steuerberechnungsgrundlage den der Einkommensteuer unterliegenden Teil des Einkommens. Diesbezüglich ist einleitend zu klären, was steuerrechtlich unter „Einkommen“ als ökonomischem Wertzufluss verstanden wird. Erst nach Erhellung des steuerrechtlichen Einkommensbegriffes kann weiter untersucht werden, welcher Teil des steuerrechtlich relevanten Einkommens steuerbar ist. 475 476 477 478 479 Nettoersparnis = neu gebildete Ersparnis minus aufgelöste Ersparnis. Höhn/Waldburger, § 10 N 2; Tipke, Steuerrechtsverhältnis, S. 407. Tipke, Steuerrechtsverhältnis, S. 406 ff. Tipke, Steuerrechtsverhältnis, S. 407. Höhn/Waldburger, § 11 N 3. Anstelle der Bezeichnung „Steuerberechnungsgrundlage“ wird oft der Ausdruck „Bemessungsgrundlage“ verwendet, vgl. z.B. Blumenstein/Locher, S. 227 ff.; Tipke/Lang, § 7 N 31 f. Daran üben jedoch Höhn/Waldburger, § 11 N 3, begründete Kritik, indem sie darauf hinweisen, dass unter Steuerbemessung herkömmlicherweise die Ermittlung der Messgrösse, auf welche das Steuermass zu beziehen ist (Ermittlung eben der Steuerberechnungsgrundlage bzw. – in der kritisierten Terminologie – der Steuerbemessungsgrundlage), verstanden wird (vgl. auch Höhn/Waldburger, § 11 N 4). Dabei „kann aber die Messgrösse als das Produkt der Steuerbemessung nicht auch die ‚Grundlage‘ dieser Bemessung darstellen“ (Höhn/Waldburger, § 11 N 3). Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 98 I. Steuerrechtlicher Einkommensbegriff 1. Geschichtliche Entwicklung – Reinvermögenszugangstheorie und Quellentheorie Wurde, wie bereits oben erwähnt480, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der deutschen Finanzwissenschaft von bedeutenden Stimmen die Auffassung vertreten, das Einkommen bilde den geeignetsten Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, entwickelte sich in der Folge eine intensive Debatte darüber, wie der steuerlich relevante Einkommensbegriff zu definieren sei, damit er dem Gerechtigkeitspostulat der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht481. Bedeutung erlangten diesbezüglich in erster Linie die durch VON SCHANZ ausgearbeitete Reinvermögenszugangstheorie und die von FUISTING vertretene Quellentheorie. Gemäss der Reinvermögenszugangstheorie umfasst der Einkommensbegriff den Reinvermögenszugang eines bestimmten Zeitabschnitts und schliesst unter anderem unrealisierte Vermögenswertveränderungen, Eigennutzungen, geldwerte Leistungen Dritter, Erbschaften, Schenkungen und Lotteriegewinne mit ein482. Der Quellentheorie zufolge soll hingegen auf die Konstanz der Einkommensquelle abgestellt werden: Zum Einkommen zählt, was aus regelmässig fliessenden Ertragsquellen vereinnahmt wird, und es scheiden zum Beispiel realisierte wie auch unrealisierte Vermögenswertsteigerungen, Erbschaften und Schenkungen aus483. Aufgrund der Beschränkung auf Erträge aus 480 481 482 483 Oben, § 5 B. II., S. 93. Vgl. zu dieser Debatte auch die Hinweise von v. Schanz, Einkommensbegriff I, S. 6; siehe auch Neumark, Einkommenstheorie, S. 23 ff. Von Schanz, Einkommensbegriff I, S. 7: „Es ist aber zweifellos, dass man, um die Summe von Mitteln zu erhalten, die man für seine Zwecke verwenden kann, ohne in seinem (bisherigen) Vermögen zurückzukommen, nicht bloss die verschiedenen Reinerträge in der oben angedeuteten Umgrenzung inklusive der Nutzungen, Wertsteigerungen, geldwerten Leistungen Dritter, sondern auch alle Anfälle und Zuwendungen Dritter, wie Geschenke, Mitgift, Lotteriegewinne, Erbschaften u.s.w. berücksichtigen muss; denn wenn jemand einen Lotteriegewinn oder eine Erbschaft u. dergl. erhält und sie verbraucht, so ist er nicht ärmer als er vor dem Anfall war. Ebenso ist eine notwendige Konsequenz dieser Begriffsaufstellung, dass Schuldzinsen und Vermögensverluste Abzugsposten sind. Wenn jemand eine Darlehensforderung verliert oder Aktien besitzt, die wertlos geworden sind, so ist er in seinem (bisherigen) Vermögen zurückgekommen. Das Einkommen stellt sich bei konsequenter Festhaltung des Begriffs als Zugang von Reinvermögen in einer Wirtschaft während einer gegebenen Periode dar.“; vgl. auch ders., a.a.O., S. 24.; ders., Einkommensbegriff II, S. 505 ff. Fuisting, S. 110 und S. 147 ff.; ders., S. 110: „Hiernach ist Einkommen die Gesamtheit der Sachgüter, welche in einer bestimmten Periode (Jahr) dem Einzelnen als Erträge dauernder Quellen der Gütererzeugung zur Bestreitung der persönlichen Bedürfnisse für sich und für die auf den Be- Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 99 dauerhaften Quellen vermag jedoch die Quellentheorie dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht gerecht zu werden, im Gegensatz zur Reinvermögenzugangstheorie, die sämtlichen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfasst484. Das Quellenkonzept diente als Grundlage bei der bedeutenden preussischen Einkommensteuerreform von 1891 (MIQUELSCHE Steuerreform)485, während das deutsche Reichseinkommensteuergesetz von 1920 (ERZBERGERSCHE Steuerreform) wieder davon abwich und sich an die Reinvermögenszugangstheorie anlehnte486. Wenn auch die Reinvermögenszugangstheorie allgemein als Idealkonzept zur Ermittlung steuerlicher Leistungsfähigkeit bezeichnet wird487, führt sie erhebliche Praktikabilitätsdefizite mit sich, da die genaue Reinvermögenszugangserfassung, vor allem hinsichtlich endogener Reinvermögenszugänge (diese bestehen aus unrealisierten Vermögenszuwächsen und zugerechneten Einkünften, wobei letztere Eigenleistungen verschiedenster Art sowie den Wert der Eigennutzung von Vermögenswerten umfassen) unmöglich ist. Das führt in der Praxis zu einem unverhältnismässigen Ansteigen des Verwaltungsaufwands488 und infolge unzulänglicher Erfassung des Reinvermögenszugangs zu Verletzungen des Leistungsfähigkeitsprinzips. Praktische Probleme führten denn auch bereits 1925 wiederum zu einer Abänderung des deutschen Reichseinkommensteuergesetzes, bei welcher der Gesetzgeber die Anlehnung an die Reinvermögenszugangstheorie in wesentlichen Punkten beschnitt und in pragmatischer Weise eine abschliessende Enumeration der steuerbaren Einkunftsarten vornahm489. Das Enumerationskonzept vermochte das deutsche Einkommensteuerrecht nachhaltig zu prägen, und auch das geltende deutsche Einkommensteuergesetz beruht darauf490. Gestützt auf Konkretisierungen der Einkünfteaufzählung durch die Judikatur491 geht 484 485 486 487 488 489 490 491 zug ihres Lebensunterhaltes von ihm gesetzlich angewiesenen Personen (Familie) zur Verfügung stehen.“ Vgl. auch Neumark, Einkommenstheorie, S. 30, u.a. mit Verweisen auf weitere Anhänger der Quellentheorie. Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 564; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 37 f. Tipke/Lang, § 9 N 51; Grossfeld, S. 44 f. Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 564; Tipke/Lang, § 9 N 51; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 37 ff.; Hirt, S. 130. Vgl. Reich, DBG Kommentar, N 8 ff. zu Art. 16 DBG; Tipke/Lang, § 8 N 32. Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 565 f.; Tipke/Lang, § 8 N 32; Hirt, S. 129. Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 564 f.; Tipke/Lang, § 9 N 51; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 42. Tipke/Lang, § 9 N 51; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 43. Siehe § 2 Abs. 1 EStG. Tipke/Lang, § 8 N 30: „Gemeinsames Merkmal dieser Einkunftsarten ist, ‘dass die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen auf eine grösserer Zahl von Jahren gesehen der Erzielung positiver Einkünfte oder Überschüsse dienen’. Diese Formulierung des grossen 100 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die deutsche Lehre davon aus, dass dem Einkommensteuergesetz grundsätzlich der sog. Markteinkommensbegriff zugrunde liegt492. Der Markteinkommensbegriff basiert im Prinzip auf der Reinvermögenszugangstheorie, klammert aber diejenigen Einkommensteile aus, die sich nicht in praktikabler Weise gleichmässig erfassen lassen493. Im Ergebnis umfasst der Markteinkommensbegriff das aus einer Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr bzw. am Marktgeschehen mit Gewinnabsicht realisierte Einkommen494. Konsumierbare Vermögenszugänge, die ohne Beteiligung am Marktgeschehen erworben werden, sind demnach vom geltenden deutschen Einkommensteuerrecht nur erfasst, wenn sie ausdrücklich für steuerbar erklärt werden495. Bleibt zu bemerken, dass die Reinvermögenszugangstheorie in ihrer „ungeschliffenen“ Fassung starke Auswirkungen auf Finanzwissenschaft und Gesetzgebung in den U.S.A. hatte496. 2. Einkommensbegriff im DBG Abgesehen vom Hinweis auf die breite Fassung des Einkommensbegriffes497 findet sich im DBG keine nähere Umschreibung desselben. Die Konturen des dem DBG zugrunde liegenden Einkommensbegriffes zeichnen sich erst ab durch Auslegung der verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen über steuerbare und steuerfreie Vermögenszugänge498. 492 493 494 495 496 497 498 Senats (BFH BStBl. 1984, 766) beruht auf st. höchstrichterlicher Rspr. seit dem Grundsatzurteil des RFH v. 14.3.1929 (RStBl. 1929, 329). Damit hat die Judikatur das Einkommensteuerobjekt ‘Summe der Einkünfte’ als sog. Markteinkommen konkretisiert.“ Tipke/Lang, § 9 N 52 m.w.Nw. Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 566; Tipke/Lang, § 8 N 31; Hirt, S. 133. Tipke/Lang, § 9 N 52 und § 8 N 30, am letztgenannten Ort mit Hinweis darauf, dass bereits Wilhelm Roscher den Markteinkommensbegriff im Ansatz formuliert hat; Ruppe, N 17 Einführung EStG; Zugmaier, N 10 zu § 2; Reich, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 16; Hirt, S. 132 f. Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 567; Reich, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 16. Namentlich Haig und Simons waren bedeutende Vertreter der Reinvermögenszuganstheorie in den U.S.A., und die Reinvermögenszuganstheorie erhielt die Bezeichnung „SHS-Einkommenskonzept“ (v. Schanz, Haig, Simons). Konkret ist denn der U.S. Internal Revenue Code auch breit angelegt; section 61 (a): “Except as otherwise provided in this subtitle, gross income means all income from whatever source derived, including [but not limited to] the following items…”; vgl. Tipke/Lang, § 8 N 32. Art. 16 Abs. 1 DBG: „Der Einkommensteuer unterliegen alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte.“; zur Generalklausel auch gleich anschliessend, § 5 C. II. 1., S. 105. Locher, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 16. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 101 Auch wenn die Reinvermögenszugangstheorie einen massgebenden Einfluss auf den Einkommensbegriff des DBG hatte, ist unbestritten, dass sie nicht in ihrer Reinform übernommen wurde499. Allgemein kann festgehalten werden, dass sich der Einkommensbegriff des DBG nicht auf eine Theorie reduzieren lässt, sondern komplex geschichtet ist. 2.1. Rechtsprechung Das Bundesgericht geht grundsätzlich von der Reinvermögenszugangstheorie aus, nimmt aber an, dass dieser bei natürlichen Personen ohne buchführungspflichtige Unternehmung nur eingeschränkt Geltung zukomme500 und dort das steuerbare Einkommen nicht nach einer generell verbindlichen Einkommenstheorie, sondern in pragmatischer Vorgehensweise im konkreten Einzelfall anhand der im Steuergesetz (nicht abschliessend) positiv und (abschliessend) negativ aufgezählten Beispiele zu ermitteln sei501. 2.2. Lehre 2.2.1. Pragmatische Vorgehensweise Der bundesgerichtlichen Auffassung am nächsten steht die Äusserung von HÖHN/WALDBURGER, wonach aufgrund der komplexen Struktur des gemäss positivem Recht steuerbaren Einkommens kein eindeutiger Einkommensbegriff gewonnen werden könne, sondern pragmatisch anhand des Gesetzeswortlautes zu ermitteln sei502. 499 500 501 502 Locher, DBG Kommentar, N 8 f. zu Art. 16; Reich, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16. BGE 115 Ib 238 (240); BGE 108 Ib 227 (229 f.). Dies gestützt auf die Überlegung, dass die Ermittlung des Reinvermögenszuganges die Berücksichtigung von Vermögensveränderungen bedinge, was nur bei buchführungspflichtigen Unternehmungen möglich sei; BGE v. 20.6.1986, in: ASA 56, 61 (64). Siehe auch Ryser, S. 126; Ryser/Rolli, S. 154 f. und S. 156 f; Cagianut, S. 44; vgl. auch Haller, Umstrittene Fragen, S. 28. A.M. Locher, DBG Kommentar, N 10 zu Art. 16, m.w. Ausführungen; auch Blumenstein/Locher, S. 172. BGE 117 Ib 1 (2 f.); BGE v. 20.6.1986, in: ASA 56, 61 (64). Höhn/Waldburger, § 14 N 8 f. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 102 2.2.2. Ablehnung der pragmatischen Vorgehensweise durch die herrschende Lehre Die herrschende Lehre wendet sich jedoch gegen ein rein pragmatisches Vorgehen503. Zwar anerkennt sie, dass das gesetzgeberische „Programm“ wohl nur undeutlich sichtbar und lückenhaft umgesetzt worden ist504. Aber auch wenn keine präzise Einkommensdefinition gewonnen werden kann, bringt die herrschende Lehre meines Erachtens zu Recht vor, dass es dennoch hilfreich ist, den Einkommensbegriff soweit als möglich herauszukristallisieren505. Dadurch können Grundwertungen offen gelegt werden, die als Auslegungspunkte massgebend sind506 und eine begründete Behandlung von Unklarheiten ermöglichen. Eine rein pragmatische, einzelfallorientierte Betrachtung vermag nicht zu erklären, was gemeint ist, wenn grundsätzlich „alle Einkünfte“ (Art. 16 Abs. 1 DBG) der Einkommensteuer unterstellt werden und lässt weite Fragenbereiche offen. Nur durch Aufdeckung eines anleitenden Einkommensbegriffes kann für zahlreiche der Vermögenszugänge, die nicht ausdrücklich im DBG geregelt sind, eine begründete Beurteilung der Steuerbarkeit vorgenommen werden507. Bei den Befürwortern der Umschreibung eines Einkommensbegriffes weichen die Meinungen wiederum auseinander und nachfolgend finden sich die bedeutendsten Auffassungen veranschaulicht. 2.2.3. Referenz an Markteinkommenskonzept BLUMENSTEIN/LOCHER gehen von der Reinvermögenszugangstheorie aus, die sie um das Markteinkommenskonzept dergestalt ergänzen wollen, dass nur jene Reinvermögenszugänge steuerlich relevant seien, die aus einer Teilnahme am Marktgeschehen resultierten508. Sie räumen dabei selber ein, dass im Schweizer Steuerrecht nicht das „reine“ Markteinkommenskonzept verwirklicht worden sei. Vielmehr erfahre es eine 503 504 505 506 507 508 Reich, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16; Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16 DBG; Oberson, Droit fiscal, § 7 N 4 ff. Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16. Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16 DBG; Reich, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16 DBG. Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16 DBG. Vgl. auch Reich, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16 DBG. Blumenstein/Locher, S. 171 ff.; so auch Locher, DBG Kommentar, N 2 ff. zu Art. 16 DBG. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 103 Relativierung durch die steuerliche Berücksichtigung von bestimmten nicht am Markt erzielten, zugerechneten Einkünften509, 510. RIVIER vertritt die Ansicht, wonach im Schweizer Steuerrecht grundsätzlich wohl die Reinvermögenszugangstheorie normiert worden sei, der Gesetzesanwender sich bei der Interpretation jedoch durch das Markteinkommenskonzept habe leiten zu lassen511. 2.2.4. Zuflussprinzip REICH verwirft das Markteinkommenskonzept mit dem Hinweis darauf, dass dieses in der deutschen Doktrin entwickelt worden sei, jedoch im schweizerischen Recht der Einkommensbegriff viel umfassender konzipiert sei als im deutschen Recht512. So sind Erbschaften und Schenkungen sowie Genugtuungsleistungen und gewisse Unterstützungsleistungen im DBG ausdrücklich vom steuerbaren Einkommen ausgenommen513. Auch sind in der Schweiz Einkünfte aus Liebhaberei, Fund oder aus unerlaubter Handlung aufgrund der Generalklausel steuerbar, ohne dass dies spezifisch normiert wäre514. Ebenfalls folgt die Alimentenbesteuerung515 anders als im deutschen Steuerrecht gerade nicht dem Markteinkommenskonzept516. REICH hält dafür, dass die Reinvermögenszugangstheorie zu ergänzen sei durch das Zuflussprinzip (Einkommen als „Reinvermögenszufluss“), da gemäss Gesetzeslage in Abweichung von der Reinvermögenszugangstheorie nur jene Vermögenszugänge als Einkünfte erfasst würden, die auf Zuflüsse von aussen zurückzuführen seien517. Dies hat zur Folge, dass sog. endogene Vermögenszugänge518 unbesteuert bleiben, solange sie nicht ausdrücklich für steuerbar erklärt werden. Endogene Vermögenszugänge sind somit nach dem Zuflussprinzip, anderslautende gesetzliche Regelungen vorbehalten, einkommensteuer509 510 511 512 513 514 515 516 517 518 Zugerechnete Einkünfte: Eigenleistungen verschiedenster Art sowie Wert der Eigennutzung von Vermögenswerten. Dazu bereits oben, § 5 C. I. 1., S. 99. Blumenstein/Locher, S. 171 f.; Locher, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 16 DBG. Rivier, S. 301. Reich, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 16 DBG. Art. 24 lit. a, d, e und g DBG. Reich, DBG Kommentar, N 27 zu Art. 16; vgl. auch VerwGE Zürich v. 26.11.1981, in: RB ZH 1981 Nr. 46. Art. 23 lit. f DBG. Reich, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 16 DBG; siehe zu den steuerpflichtigen Einkünften im deutschen Steuerrecht u.a. Tipke/Lang, § 9 N 120 ff. Reich, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16 DBG; auch Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 15 zu Art. 16, gehen davon aus, dem DBG liege das Reinvermögenszuflussprinzip zugrunde. Zu diesem Begriff oben, § 5 C. I. 1., S. 99. 104 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit lich erst dann relevant, wenn sie realisiert, das heisst in eine andere Wertform umgesetzt werden, die Vermögenssphäre des Steuerpflichtigen verlassen und dadurch ein korrelierender, von aussen her eintretender und daher steuerbarer Zufluss eines neuen geldwerten Vorteils ausgelöst wird519. 2.3. Geringe Abweichungen in der praktischen Konsequenz Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über den theoretischen Einkommensbegriff bleibt anzufügen, dass die unterschiedlichen Ansichten nur zu wenigen abweichenden Beurteilungen von konkreten Fällen führen520 und zudem der Theorienstreit in heiklen Punkten in der Regel durch gesetzliche Regelung unterbunden wird521. Ebenfalls herrscht in der Fallbeurteilung im Ergebnis weitestgehend Einklang mit dem sehr pragmatischen bundesgerichtlichen Einkommensbegriff. II. Gesamtreineinkommensbesteuerung Im DBG ist das Prinzip der Gesamtreineinkommensteuer verwirklicht522: Zum einen durch die grundsätzliche Erfassung sämtlichen Einkommens im Sinne des DBG, zum anderen durch die an die Leistungsfähigkeit angepasste Reineinkommensbesteuerung. 519 520 521 522 Reich, DBG Kommentar, N 13 ff. zu Art. 16 DBG. V.a. betreffend: Einkommen aus Liebhaberei (vgl. dazu Reich, DBG Kommentar, N 27 zu Art. 16; Locher, DBG Kommentar, N 14 f. zu Art. 18) und Fund (Reich, DBG Kommentar, N 27 zu Art. 16); von aussen zufliessende, nicht am Markt erzielte Einkommen aus unerlaubter Handlung; Eigenarbeiten ausserhalb der selbständigen Erwerbstätigkeit, die zu objektiver Wertvermehrung führen und realisiert werden (Veräusserung) sowie – was den gewichtigsten Unterschied bildet (Locher, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16; Gurtner/Locher, S. 602) – betreffend der Eigennutzung dauerhafter Vermögenswerte. Siehe zu den Unterschieden u.a. Reich, DBG Kommentar, N 27 ff. zu Art. 16; Locher, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16; Hirt, S. 145 f.; Gurtner/Locher, S. 602. Z.B. ist in Art. 21 Abs. 1 lit. b DBG die Steuerbarkeit der Eigennutzung von Liegenschaften ausdrücklich niedergelegt, und die Steuerfreiheit der Eigennutzung beweglicher dauerhafter Vermögenswerte ergibt sich mit einem argumentum e contrario aus Art. 21 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 20 Abs. 1 DBG. Der genannte Umkehrschluss beruht darauf, dass in Art. 21 Abs. 1 lit. b DBG die Eigennutzung von Liegenschaften ausdrücklich der Besteuerung unterstellt wird, in Art. 20 Abs. 1 DBG jedoch eine entsprechende Bestimmung fehlt. BGE 125 II 113 (119); Reich, DBG Kommentar, N 18 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 8 zu Art. 16. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 1. 105 Gesamteinkommensteuer Wird davon ausgegangen, das Einkommen bilde den deutlichsten Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit523, offenbart sich im DBG eine zentrale Bindung an den Leistungsfähigkeitsgedanken durch die Generalklausel in Art. 16 Abs. 1, gemäss welcher grundsätzlich sämtliches Einkommen steuerbar ist524. In Art. 17-23 DBG sind die wichtigsten Einkünfte beispielhaft aufgezählt und näher umschrieben525. In Art. 16 Abs. 3526 und Art. 24 DBG finden sich dann einzeln und abschliessend die Einkünfte aufgelistet, die von der direkten Bundessteuer ausgenommen sind527. Diese Ausnahmen von der Gesamteinkommensteuer erfolgten unter anderem aus sozialen Überlegungen und sind insofern z.T. aus Leistungsfähigkeitsperspektive geboten, was im nächsten Abschnitt dargestellt wird. Einige Befreiungen sind hingegen vor allem steuertechnisch528, wirtschaftspolitisch529 oder föderal530 begründet531 und lösen sich von der grundsätzlichen Orientierung am Leistungsfähigkeitsprinzip532. 523 524 525 526 527 528 529 Dazu oben, § 5 B. II., S. 93 f. Bezüglich Leistungsfähigkeitsprinzip und breitem Einkommensbegriff auch: Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 11; Klett, Gleichheitssatz, S. 121; dies., Progressive Einkommenssteuer, S. 610; Senn, S. 171. Zur Einkommensgeneralklausel: BGE 125 II 113 (119); Reich, DBG Kommentar, N 2 f. zu Art. 16 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 8 ff. zu Art. 16; Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 24; Locher, DBG Kommentar, N 2 ff. zu Art. 16 DBG; Oberson, Droit fiscal, § 7 N 5; a.M. Höhn/Waldburger, § 14 N 13, wonach das DBG im Unterschied zum BdBSt keine Generalklausel mehr enthalte; vgl. zu der Auffassung von Höhn/Waldburger die Ausführungen in: Locher, DBG Kommentar, N 5 zu Art. 16; Reich, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16. BGE 125 II 113 (119); Reich, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 10 zu Art. 16; Locher, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 16. Wobei dieser Absatz gesetzessystematisch falsch eingeordnet ist. Eigentlich müsste er bei Art. 24 DBG, d.h. bei den anderen einkommensteuerbefreiten Einkunftsarten, aufgeführt sein. Die Fehleinteilung ist darauf zurückzuführen, dass im DBG-Entwurf des Bundesrates in Art. 16 Abs. 3 ursprünglich eine beschränkte Besteuerung von Gewinnen auf privat gehaltenen Beteiligungen vorgesehen war, diese Idee dann aber in den parlamentarischen Beratungen umgestossen und statt dessen die Steuerfreiheit der Kapitalgewinne auf Privatvermögen statuiert wurde. Dazu Reich, DBG Kommentar, N 44 f. zu Art. 16. Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 24; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 16; a.M. Locher, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16 und N 1 zu Art. 24. Steuertechnisch motiviert ist z.B. die steuerliche Befreiung privater Kapitalgewinne aus der Veräusserung von beweglichem Privatvermögen: Art. 16 Abs. 3 DBG; dazu gleich nachfolgend im Text. Art. 24 lit. b DBG; vgl. zu dieser Norm auch Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 24; Locher DBG Kommentar, N 22 zu Art. 24. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 106 Besonders hervorzuheben ist die bereits verschiedentlich erwähnte Ausnahme privater Kapitalgewinne von der Einkommensteuer (Art. 16 Abs. 3 DBG)533, die eine gewichtige Durchbrechung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit darstellt534. Kapitalgewinne steigern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und eine Besteuerung ist folglich nach dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geboten. Fragwürdig ist aus steuerlichen Gerechtigkeitsüberlegungen insbesondere der Umstand, dass über Kapitalgewinne zum Teil erhebliche Vermögenszuwächse realisiert werden, die bei der geltenden Regelung nicht besteuert werden. Die gleichmässige Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird dadurch untergraben und zudem auch die Allgemeinheit der Besteuerung535 verletzt, indem bestimmte Gruppen (Erzieler privater Kapitalgewinne) nicht zur Tragung der staatlichen Lasten herangezogen werden. In der Rechtsprechung des Bundesgerichts536 wird die steuerliche Ausnahme der privaten Kapitalgewinne akzeptiert gestützt auf steuertechnische Gründe, konkret aus Gründen der Praktikabilität und der Veranlagungsökonomie537. 2. Reineinkommensteuer Eine die Leistungsfähigkeit berücksichtigende Besteuerung kann sich nicht auf die Gesamtheit der Bruttoeinkünfte als endgültige Berechnungsgrundlage stützen. Vielmehr sind verschiedene Abzüge vorzunehmen, um der objektiven und subjektiven Leistungsfähigkeit bzw. dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip zu entsprechen. 530 531 532 533 534 535 536 537 So soll z.B. das Steuersubstrat aus Erbschaften und Schenkungen vollumfänglich den Kantonen überlassen werden; Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 5 zu Art. 24; Höhn/Waldburger, § 14 N 21. Dasselbe gilt für die Grundstückgewinnsteuer; dazu Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 21. Dazu auch Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12. Reich, DBG Kommentar, N 46 zu Art. 16 DBG. Vgl. BGE 114 Ia 221 (mit Bezug auf eine kantonale Steuerordnung; dazu bereits oben, FN 191; BGE 115 Ib 238 (240). Reich, DBG Kommentar, N 46 zu Art. 16; Klett, Gleichheitssatz, S. 125 f.; Locher, DBG Kommentar, N 72 zu Art. 16; Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 275 f.; Expertenbericht Steuerlüc??ken (1998), S. 19 f. und S. 70 f.; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 37. Zur Allgemeinheit der Besteuerung bereits oben, § 2 B. II. 2., S. 33 ff. Zu kantonalen Gesetzen, bei eidgenössischen Gesetzen gilt das Anwendungsgebot von Art. 16 Abs. 3 DBG. BGE 125 II 113 (119); BGE 114 Ia 221 (dazu oben, FN 191); vgl. u.a. auch: Reich, DBG Kommentar, N 46 zu Art. 16; Hirt, S. 73 ff.; Klett, Gleichheitssatz, S. 125 f.; Yersin, S. 211 f.; Locher, DBG Kommentar, N 72 zu Art. 16; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 37. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 2.1. 107 Objektive Leistungsfähigkeit Vom Roheinkommen sind die Gewinnungskosten abzuziehen. Unter Gewinnungskosten, die auch organische Kosten genannt werden, fallen die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erzielung des Einkommens stehenden Aufwendungen538. Im DBG sind solche Abzugsmöglichkeiten vorgesehen: Namentlich die Gewinnungskosten unselbständig Erwerbender (Berufskosten; Art. 26 DBG), die Gewinnungskosten selbständig Erwerbender (geschäfts- bzw. berufsmässig begründeter Aufwand; Art. 27 ff. DBG), die Verwaltungskosten beweglichen und unbeweglichen Privatvermögens (Vermögensverwaltungskostenzüge; Art. 32 Abs. 1 und Abs. 2 DBG) sowie die Unterhaltskosten von Liegenschaften (Unterhaltskostenabzüge; Art. 32 Abs. 2 DBG) werden als Gewinnungskostenabzüge zugelassen. Zudem können einige der als „allgemeine Abzüge“ in Art. 33 DBG abzugsberechtigten Aufwandarten, insbesondere die Schuldzinsen und Vorsorgeaufwendungen, je nach konkreter Situation Gewinnungskostencharakter aufweisen539. Umstritten ist in der Lehre, ob durch Art. 25 ff. DBG eine Gewinnungskostengeneralklausel zum Ausdruck gebracht wird540, was eine folgerichtige Entsprechung zur Einkommensgeneralklausel wäre und mit der Regelung im StHG (Art. 9) gleich läge541. Durch den Abzug der organischen Kosten wird das Reineinkommen ermittelt, das dem Steuerpflichtigen zur Bestreitung weiterer, nicht unmittelbar durch die Einkommenserzielung veranlassten Kosten zur Verfügung steht und demgemäss die objektive Lei- 538 539 540 541 BGE 124 II 29 (32); BGE 113 Ib 114 (117); BGE 100 Ib 480 (481); Reich, DBG Kommentar, N 8 zu Art. 25; Locher, DBG Kommentar, N 1 und N 9 ff. zu Art. 25; Höhn/Waldburger, § 14 N 110; vertiefend: Funk, S. 226 ff. Reich, DBG Kommentar, N 17 zu Art. 25 DBG; Locher, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 33 DBG. Eine Gewinnungskostengeneralklausel bejahend: Reich, DBG Kommentar, N 11 f. zu Art. 25; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 25; Locher, DBG Kommentar, N 2 ff.. zu Art. 25; an beiden Orten weitere Begründungen. Eine Gewinnungskostengeneralklausel ablehnend: Höhn/Waldburger, § 14 N 11 ff., u.a. auf den abweichenden Wortlaut von 25 DBG und der thematisch analogen Regelung im StHG hinweisend. Auch das Bundesgericht geht anscheinend eher davon aus, in 25 ff. DBG werde keine Gewinnungskostengeneralklausel statuiert: BGE 125 II 113 (123 f.); Locher, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 25; vgl. zum StHG auch BGE 128 II 66. Hingegen nahm das Verwaltungsgericht Fribourg im Urteil v. 31.8.1998 (StE 1999 B 27.7 Nr. 14) an, im DBG sei eine Gewinnungskostengeneralklausel niedergelegt. Reich, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 25; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 25; Locher, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 25. 108 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stungsfähigkeit542 widerspiegelt. Daher wird in diesem Zusammenhang auch vom objektiven Nettoprinzip gesprochen543. 2.2. Subjektive Leistungsfähigkeit Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fordert zudem eine Anpassung der Berechnungsgrundlage an die persönlichen Verhältnisse544. Dazu sind weitere Abzüge erforderlich. Verschiedene Einkommensbindungen545, die durch die individuelle Situation des Steuerpflichtigen bedingt sind, reduzieren das disponible Einkommen546 und vermindern somit die subjektive Leistungsfähigkeit547. In Befolgung des sog. subjektiven Nettoprinzips548 hat der Steuergesetzgeber dem teilweise Rechnung getragen und legte im DBG entsprechende Regelungen fest: Zum einen können gemäss Art. 33 DBG unter dem Titel „allgemeine Abzüge“ bestimmte anorganische Kosten in Abzug gebracht werden549. Anorganische Kosten stehen, anders als die organischen Kosten, nicht in unmittelbarer Verbindung zur Einkommenserzielung, sondern stellen eigentlich Lebenshaltungskosten dar550, und diese können grundsätzlich steuerlich nicht abgezogen werden (Art. 34 lit. a DBG). Aus sozialen Gründen, um eben die individuelle wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen, wurden mit den Abzugsmöglichkeiten für anorganische Kosten gemäss Art. 33 DBG Ausnahmen gewährt551. Zum anderen sieht Art. 35 DBG als „Sozialabzüge“ genau 542 543 544 545 546 547 548 549 550 551 Dazu Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12: „Das so ermittelte Reineinkommen als Überschuss der Einkünfte über die Aufwendungen schafft einen objektiven Vergleichsmassstab der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Das Reineinkommen zeigt den Zuwachs der einem Steuerpflichtigen zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stehenden Mittel an.“ Siehe auch Klett, Gleichheitssatz, S. 115; Grünblatt, S. 180 ff.; Senn, S. 172. Reich, DBG Kommentar, N 5 zu Art. 25. Oben, § 3 C., S. 75. Dazu Klett, Gleichheitssatz, S. 129 f.; Senn, S. 173. Vgl. Grünblatt, S. 184 f. Klett, Gleichheitssatz, S. 129. Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 33 DBG; Reich, DBG Kommentar, N 17 zu Art. 25. Beispielsweise Unterhaltsbeiträge (lit. c); Aufwendungen für Prämien und Beiträge an Lebensund Krankenversicherungen (lit. g); Krankheits-, Invaliditäts- und Unfallkosten (lit. h). Vgl. zu den anorganischen Kosten u.a.: Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 ff. zu Art. 33; Locher, DBG Kommentar, N 1 ff. zu Art. 33; Grünblatt, S. 187 f. Wie oben, § 5 C. II. 2.1., S. 107, bereits hervorgehoben wurde, sind nicht alle in Art. 33 DBG geregelten Aufwendungen zwingend anorganische Abzüge. Einige der Kosten können je nach Sachverhalt auch organische Kosten darstellen. Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 33. Klett, Gleichheitssatz, S. 129 FN 590, geht davon aus, dass private Schuldzinsen, Einlagen für Kapitalversicherungen und freiwillige Beiträge an gemeinnützige Institutionen die subjektive Lei- Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 109 festgelegte Kinder- und Unterstützungsabzüge vor, mit denen, schematisch und auf die zwei genannten Abzugsarten beschränkt, individuelle wirtschaftliche Verhältnisse berücksichtigt werden552. Zusätzlich wird der subjektiven Leistungsfähigkeit Rechnung getragen, indem das DBG eine Einkommensfreigrenze553 bis Fr. 12‘800 einräumt (Art. 214 Abs. 2 DBG). Anzumerken ist, dass aus Leistungsfähigkeitsperspektive die gänzliche steuerliche Ausnahme des Existenzminimums von der Berechnungsgrundlage geboten ist. Was zur Deckung des Existenzminimums verwendet werden muss, stellt keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dar. Dazu ist jedoch auf weiter unten zu verweisen, wo näher auf die steuerliche Behandlung des Existenzminimums im Schweizer Steuerrecht eingegangen wird554. III. Behandlung von Ersparnissen und Aufwendungen für Vorsorgeversicherungen im geltenden Einkommensteuerrecht Wenn auch im geltenden Einkommensteuerrecht der Grundsatz gilt, dass das zugeflossene Reineinkommen steuerbar ist und Einkommensverwendungen nicht von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden können555, ergibt sich bei näherer Betrachtung der steuerlichen Behandlung der Ersparnisbildung ein differenziertes Bild. Insbesondere dann, wenn auch das versicherungsmässige Vorsorgesparen miterfasst wird. So sind unter anderem zur Verwirklichung einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Aufwendungen für die Altersvorsorge im Rahmen der 1. und 2. Säule abzugsfähig556 bzw. fliesst der Arbeitgeberanteil, obwohl ihm funktionell Lohn- 552 553 554 555 556 stungsfähigkeit grundsätzlich nicht mindern. Diese Abzüge müssen von dieser Warte aus als rein sozialpolitisch motiviert betrachtet werden. Anzumerken ist, dass die privaten Schuldzinsen u.U. Gewinnungskostencharakter haben können und die Abzugsfähigkeit dann unter das objektive Leistungsfähigkeitsprinzip fällt. Dazu Locher, DBG Kommentar, N 1 ff. zu Art. 35; Grünblatt, S. 186 f. Bei den Freigrenzen handelt es sich um Grenzminima; überschreitet die Berechnungsgrundlage den genannten Grenzbetrag, so wird die Berechnungsgrundlage im gesamten Umfang besteuert und nicht nur im Ausmass eines allfälligen Mehrbetrages. Hingegen können sog. Freibeträge als Abzugsminima ungeachtet der Einkommenshöhe von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Vgl. zur diesbezüglichen Terminologie Herzog, S. 18. § 5 F., S. 163 ff. Klett, Gleichheitssatz, S. 126 und S. 128; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12. Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG für die Arbeitnehmerbeiträge. 110 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit charakter zukommt557, nicht in die Berechnungsgrundlage des Arbeitnehmers ein. Zudem sind in Abstützung auf den verfassungsmässigen Auftrag zur Förderung der Selbstvorsorge558 zum Teil weitere Vorsorgeaufwendungen sowie betragsmässig limitiert Zinsen von Sparkapitalien abzugsfähig559 und bestimmte Einkünfte aus Vorsorge werden gar für steuerfrei erklärt560. Nachfolgend wird ein Überblick über die einzelnen Spar- bzw. Vorsorgebehandlungen und deren rechtliche Grundlagen gegeben. 1. Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (1. Säule) Die gesetzlich vorgeschriebenen Beiträge „zum Erwerb von Ansprüchen aus der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung“ sind gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG von der Steuerberechnungsgrundlage abziehbar bzw. bilden die Arbeitgeberbeiträge nicht Bestandteil der Einkommensberechnungsgrundlage des Begünstigten561. Eine Besteuerung erfolgt nach Art. 22 Abs. 1 DBG erst bei Zufluss der AHV-Renten. Die rechtliche Einordnung der steuerlichen Behandlung der AHV-Beiträge eröffnet ein vielschichtiges Bild: Vieles spricht dafür, die AHV-Beiträge als organische Kosten zu qualifizieren562, da sie unmittelbar der Gewinnung zukünftigen Einkommens in Risikolagen dienen und in einem direkten ursächlichen Zusammenhang zu diesem Einkommen stehen563. Demgemäss würde es bereits das oben erläuterte objektive Nettoprinzip fordern, dass die Beiträge von der steuerlichen Berechnungsgrundlage abgezogen werden564. Unter Umständen stellen aber nicht sämtliche AHV-Beiträge Gewinnungskosten dar. Denn gemäss AHV-Gesetzgebung steigen zwar die Beitragsleistungen proportional mit dem Einkommen an, die monatliche Rentenzahlung hingegen ist gegen oben begrenzt565. Folglich stellen bei materieller Betrachtung die Beiträge ab 557 558 559 560 561 562 563 564 565 Und entsprechend vom Arbeitgeber auch als geschäftsmässig begründeter Aufwand abgezogen werden kann: Art. 27 DBG inkl. der Sonderbestimmung von Art. 57 Abs. 2 lit. c DBG und Art. 58 DBG inkl. der Sonderbestimmung von Art. 59 Abs. 1 lit. b DBG. Art. 111 Abs. 4 BV. Art. 33 Abs. 1 lit. e und g DBG. Art. 24 lit. b DBG. Beim Arbeitgeber stellen diese Beiträge geschäftsmässigen Aufwand dar, vgl. eben FN 557. Vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 33; Reich, DBG Kommentar, N 17 zu Art. 25. Zur Umschreibung organischer Kosten in Praxis und Lehre oben, § 5 C. II. 2.1., S. 107 inkl. FN 538. Bzw. ausgenommen werden, so wie es bei den Arbeitgeberbeiträgen der Fall ist. Für Alleinstehende ist die Maximalrente auf Fr. 2‘110.- begrenzt, für Ehepaare auf Fr. 3‘165.(Ehepaarente; Art. 35 AHVG); vgl. Art. 34 Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung 03 über die Anpassung an die Lohn und Preiseintwicklung bei der AHV/IV/EO. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 111 einer bestimmten Einkommensstufe nicht mehr Aufwendungen zur Gewinnung eigenen zukünftigen Einkommens dar, sondern ihnen kommt (Zweck-)Steuercharakter zu. Bereits dies lässt nicht mehr alle AHV-Beiträge als organische Kosten erscheinen. Es ist jedoch ein anderer Punkt, an dem die Begründung der Abzugsfähigkeit der AHVBeiträge durch Zuordnung zu den organischen Kosten letztlich scheitert. Nach konstanter Rechtsprechung werden als abzugsfähige organische Kosten ausschliesslich solche Kosten aufgefasst, die nicht nur sachlich, sondern auch zeitlich in engem Zusammenhang mit der Einkommenserzielung stehen: Demnach finden in Abstützung auf das Periodizitätsprinzip nur jene Aufwendungen als abziehbare organische Kosten Berücksichtigung, denen in der gleichen Steuerperiode ein damit zusammenhängender Einkommenszufluss entgegen steht566. Da die AHV-Leistungen regelmässig nicht in der Beitragsperiode zufliessen, stellen sie – wenn auch funktionell die Nähe unbestritten ist – keine abzugsfähigen organischen Kosten im Sinne der Rechtsprechung dar. Anzumerken ist, dass mit Bezug auf die AHV-Beiträge wenig praktischer Anlass besteht, die sich an das Periodizitätsprinzip bindende Rechtsprechung zu den organischen Kosten kritisch zu hinterfragen567: Die AHV-Beiträge sind nämlich ohnehin, und zwar gestützt auf ausdrückliche Gesetzesbestimmung568, von der Steuerberechnungsgrundlage abziehbar. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass bei materieller Betrachtung die AHV-Beiträge, zumindest insoweit sie noch rentenbildend sind und keinen Steuercharakter aufweisen, auch aus Gründen des subjektiven Nettoprinzips zum Abzug vom steuerbaren Einkommen zuzulassen sind, da sie der Existenzsicherung in zukünftigen Risikolagen dienen569 und somit das disponible Einkommen reduzieren. Der entscheidende Grund für die Abzugsfähigkeit der AHV-Beiträge ist hingegen darin zu finden, dass der Verfassungsgeber die AHV-Beiträge für obligatorisch erklärt 566 567 568 569 BGE v. 20.12.1985, in: ASA 56, 132 (134 f.); VerwGE Luzern v. 26.7.2000, in: StE 2001 B 23.44.2 Nr. 3; VerwGE Zürich v. 26.5.1999, in: StE 1999 B 22.3 Nr. 68; VerwGE Zürich v. 7.6.1994, in: StE 1994 B 21.2 Nr. 7; vgl. dazu auch Richner, S. 183 f.; Locher, DBG Kommentar, N 22 zu Art. 25; Funk, S. 42 f. Anders ist dies bei den “regulären” Gewinnungskosten. Vgl. diesbezüglich auch Richner, S. 184, der die aufgezeigte Rechtsprechung als zu einschränkend kritisiert und eine Abkehr vom Periodizitätsprinzip bei den Gewinnungskosten fordert. Dabei weist er darauf hin, dass das Periodizitätsprinzip im Zusammenhang mit den Gewinnungskosten ohnehin bereits verschiedentlich von Gesetzgeber und Rechtsprechung durchbrochen wurde. Ebenso Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 8 zu Art. 25; vgl. zu dieser Thematik auch Funk, S. 234 ff. Siehe oben, FN 556 und FN 557. Die AHV-Renten sollen den Existenzbedarf angemessen decken: Art. 112 Abs. 2 lit. b BV. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 112 hat570. Damit liegt faktisch eine die Beiträge in ihrer Gesamtheit, das heisst auch die nicht mehr rentenbildenden Anteile, beschlagende subjektive Einkommensbindung vor. Die Beiträge sind zwangsweise zu leisten und mindern die aktuelle subjektive Leistungsfähigkeit. Demzufolge entspricht die allgemeine Abzugsfähigkeit der AHVBeiträge der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit571. Die bei Auszahlung der AHV-Renten gemäss Art. 22 Abs. 1 DBG greifende Besteuerung wiederum ist aus Leistungsfähigkeitsgründen geboten, insofern dann frei verfügbares Einkommen zufliesst. Zu beachten ist allerdings, dass eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – wie soeben oben dargelegt wurde – eine Freistellung des Existenzminimums gebieten würde und demnach die den Existenzbedarf deckenden AHV-Renten letztlich steuerfrei zufliessen könnten, insoweit keine anderen Einkommensquellen gegeben sind oder sonstig zu berücksichtigendes Vermögen vorliegt. 2. Berufliche Vorsorge (2. Säule) 2.1. Rechtliche Regelung Wie bei der AHV können Einlagen des Arbeitnehmers in die berufliche Vorsorge von der Steuerberechnungsgrundlage abgezogen werden572 bzw. fallen Einlagen des Arbeitgebers nicht in die einkommensteuerliche Berechnungsgrundlage des Arbeitnehmers573. Die auf den Guthaben der beruflichen Vorsorge anfallenden Erträge sind ebenfalls steuerfrei574. Erst bei Zufluss der Leistungen aus beruflicher Vorsorge erfolgt eine Besteuerung575. 570 571 572 573 574 575 Art. 112 Abs. 2 lit. a BV. Klett, Gleichheitssatz, S. 129 f. Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG; siehe auch Maute/Steiner/Rufener, S. 139 ff. Der Einkauf von Beitragsjahren wird jedoch durch das Erfordernis der Angemessenheit sowie durch die Limitierung in Art. 79a BVG eingeschränkt. Vgl. dazu Maute/Steiner/Rufener, S. 141 f. inkl. FN 149; Höhn/Waldburger, § 14 N 130. Die durch den Arbeitgeber geleisteten Einlagen stellen abzugsfähigen Geschäftsaufwand dar; vgl. auch Maute/Steiner/Rufener, S. 148 ff. Art. 80 Abs. 2 BVG. Art. 22 Abs. 1 DBG. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 2.2. 113 Die steuerliche Behandlung der Beiträge für die berufliche Vorsorge als bedeutende befristete Sparbereinigung Im Unterschied zur AHV, die – abgesehen vom Mindestbeitrag des Ausgleichfonds – über das Umlageverfahren finanziert wird576, beruht die berufliche Vorsorge auf dem Kapitaldeckungsverfahren. Beim Kapitaldeckungsverfahren werden die Beiträge inkl. deren Zinserträgnisse derart individuell zurechenbar angespart, dass im versicherten Risikofall die Leistungen aus dem angesparten Guthaben gedeckt werden können577. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Idee der Sparbereinigung dem Schweizer Steuerrecht bereits bekannt ist und namentlich im Bereich der beruflichen Vorsorge eine befristete Sparbereinigung statuiert wurde. Eindrücklich ist die quantitative Bedeutung dieser befristeten Sparbereinigung: private Ersparnis verfügbares Bruttoeinkommen der privaten Haushalte BVGKapital 12.3 Mia 30.4 Mia 279.3 Mia 455 Mia 29.5 Mia 14.2 Mia 21.5 Mia 263.8 Mia 474.3 Mia 1999 26.8 Mia 15.2 Mia 22.9 Mia 257.6 Mia 458.8 Mia 1998 29 Mia 13.7 Mia 21.4 Mia 250.4 Mia 413.6 Mia BVG-Beiträge (Arbeitnehmer und -geber) Nettokapitalertrag der berufl. Vors. 2001 32.9 Mia 2000 Quelle: Bundesamt für Sozialversicherung578 und Statistisches Jahrbuch 2004 Der Nettokapitalertrag der beruflichen Vorsorge wurde für die vorliegende Tabelle ermittelt aus: Bruttokapitalertrag der beruflichen Vorsorge – (Unkosten der Vermögensverwaltung, Passivzinsen und Verwaltungsaufwand). 576 577 578 Helbling, S. 700. Zur Definition des Umlageverfahrens: Th. Locher, § 2 N 20: “Von einem Umlageverfahren spricht man dann, wenn die Renten des laufenden Jahres durch die gleichzeitig eingehenden Beiträge finanziert werden. In diesem System findet grundsätzlich keine Ersparnisbildung statt, sondern es erfolgt eine direkte Umverteilung der Beiträge der zur Zeit Erwerbstätigen auf die nicht mehr oder nur noch beschränkt erwerbstätigen Rentner/-innen. Daraus folgt: Im Bereich der AHV bedeutet Umlageverfahren eine ‚Solidarität der Generationen‘, d.h. die jetzt erwerbstätige Generation leistet ihre Beiträge in der Erwartung, dass bei Eintritt des Rentenfalles die nachfolgenden Generationen ebenfalls die für die Finanzierung der Leistungen notwendigen Beiträge bezahlen wird (...).“ Th. Locher, § 2 N 23. Internet-Quelle: www.bsv.admin.ch/statistik/details/d/svs/bv_1_1.pdf (11.12.2003). 114 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Die Ersparnis entspricht dem Saldo des Einkommensverwendungskontos; bezeichnet den Anteil des verfügbaren Einkommens, der nicht für den letzten Verbrauch verwendet wurde. Im Rahmen der beruflichen Vorsorge wurden somit im Durchschnitt der Jahre 19982001 jährlich rund Fr. 29.55 Mia. als Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberbeiträge von der Besteuerung ausgenommen. Zusätzlich fielen durchschnittlich Nettokapitalerträge von rund Fr. 13.85 Mia. an. Bezogen auf diese Beträge, konkret für durchschnittlich Fr. 43.4 Mia., erfolgt im Sinne einer befristeten Sparbereinigung erst bei eventuellem späteren Zufluss als Rentenleistung nachgelagert eine Besteuerung. Die quantitativen Ausmasse der bereits verankerten befristeten Sparbereinigung werden besonders deutlich im Verhältnis zum freien privaten Sparen: Während sich die steueraufschiebend behandelten BVG-Beiträge und Nettokapitalerträge jährlich (Durchschnitt 1998-2001) auf rund Fr. 43.4 Mia. summierten, betrug der Anteil des Volkeinkommens, der privat gespart wurde, für die Jahre 1998-2001 im jährlichen Durchschnitt rund Fr. 24 Mia. Die im Rahmen der BVG-Regelungen bereits Anwendung findende befristete Sparbereinigung erfasst somit Beträge, die um einiges höher sind als die privat gebildeten Ersparnisse. 2.3. Leistungsfähigkeitsbezüge der Abzugsfähigkeit von Beiträgen für die berufliche Vorsorge 2.3.1. Obligatorisch zu leistende Beiträge a) Durch den Gesetzgeber geschaffene Einkommensbindung Die Beiträge für die berufliche Vorsorge besitzen wie die AHV-Beiträge eine funktionelle Nähe zu den organischen Kosten. Eine Begründung der steuerlichen Abzugsfähigkeit scheitert aber wiederum am Periodizitätsprinzip, das heisst am zeitlichen Auseinanderfallen von Beiträgen und Auszahlungen. Auch kann die Abzugsfähigkeit grundsätzlich nicht über die Gebundenheit der Mittel für die Existenzsicherung begründet werden. Denn zur Deckung des Existenzbedarfs in Risikolagen sollten nach schweizerischer Vorsorgekonzeption bereits die AHV-Mindestrenten ausreichen579. Demgemäss können bei wesensgemässer, vom Obligatorium580 gelöster Betrachtung die Aufwendungen für die berufliche Vorsorge anders als die AHV-Beiträge zu kei579 Art. 112 Abs. 2 lit. b; Helbling, S. 23. Effektiv erfüllt die AHV gemäss dem Drei-Säulen-Bericht (1995), S. 27, diesen Auftrag nicht gänzlich. Daher ist in vielen Fällen die Entrichtung von sog. Ergänzungsleitungen (Art. 196 Ziff. 10 ÜbBst. zu Art. 112 BV) erforderlich. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 115 nem Teil als subjektive Einkommensbindung eingestuft werden. Die materielle Begründung für die Abzugsfähigkeit der Beiträge findet sich erst im Obligatorium. Dadurch, dass die Beiträge für obligatorisch erklärt wurden, zumindest bei unselbständig Erwerbenden mit einem Einkommen über Fr. 14‘880.-581, stellen sie gebundene Einkommensbestandteile dar und tragen bis zur Rückzahlung nicht zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen bei. Die steuerliche Freistellung der Einzahlungen entspricht daher dem subjektiven Nettoprinzip582. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber durch die Verankerung eines Obligatoriums bei den BVG-Beiträgen eine Einkommensbindung geschaffen hat, die eigentlich nicht vorgegeben ist583. Es sind nicht Ausflüsse aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip, sondern Motive der Vorsorgeförderung584, die zur Schaffung dieser Einkommensbindung geführt haben. b) Durchbrechung des Periodizitätsprinzips und Verkleinerung der Berechnungsgrundlage Aus der beschriebenen, durch den Gesetzgeber geschaffenen Einkommensbindung folgt eine befristete Sparbereinigung, bei der zweierlei auffällt. Erstens hat der Gesetzgeber eine Durchbrechung des Periodizitätsprinzips statuiert, da vom periodisch zu bemessenden Einkommen die Beiträge an die berufliche Vorsorge abgezogen werden können und erst bei späterem Leistungszufluss in die Berechnungsgrundlage fallen. Zweitens ist mit der befristeten Sparbereinigung eine Verkleinerung der Berechnungsgrundlage gegenüber der traditionellen Besteuerung des Einkommens verbunden, indem die Kapitalerträge auf den BVG-Ersparnissen, sofern von einer marktüblichen Kapitalverzinsung ausgegangen wird, von der Besteuerung ausgenommen werden585. Da die Durchbrechung des Periodizitätsprinzips und die steuerliche Befreiung der Kapitalerträge offensichtlich bei der Prüfung einer gänzlichen Sparbereinigung ebenfalls 580 581 582 583 584 585 Art. 113 Abs. 2 lit. b BV. Art. 113 Abs. 2 lit. b BV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 BVG. Dazu oben, § 5 C. II. 2.2., S. 108; vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 129 f. Insofern die BVG-Beiträge nicht zur Existenzsicherung einbezahlt werden, was gemäss theoretischer Konzeption nicht der Fall sein sollte. Art. 111 BV. Zwar wird die Besteuerung auch der Kapitalerträge bei Leistungsauszahlung nachgeholt, aber wie aus einem Barwertvergleich hervorgeht, wird die marktübliche Kapitalverzinsung ausgenommen. Dieses Problem der „beschränkten Zinsausnahme“ wurde oben, § 2 B. I. 2.2.2. b) bb), S. 24 f., bereits kurz angeschnitten und wird weiter unten, § 5 C. IV. 3.2., S. 127 ff., eingehender behandelt. 116 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wichtige Fragen aufwerfen, wird auf diese Punkte weiter unten noch näher eingegangen586. Dabei soll insbesondere das Verhältnis zum Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgeleuchtet werden. 2.3.2. Überobligatorische und freiwillige Beitragszahlungen Bei überobligatorischer BVG-Versicherung von Arbeitnehmern587 sowie bei freiwilliger Beitragszahlung von selbständig Erwerbenden588 kann in Abstützung auf das vorstehend Angeführte von einer die subjektive Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden Einkommensbindung nur insoweit ausgegangen werden, als dadurch der Existenzbedarf in Risikolagen abgesichert wird589, wobei – wie eben ausgeführt wurde – dafür gemäss schweizerischer Vorsorgekonzeption theoretisch bereits die AHV-Mindestrenten reichen sollten590. Demgemäss stellen freiwillige Beiträge von selbständig Erwerbenden für die berufliche Vorsorge sowie überobligatorische Beiträge von Arbeitnehmern über die existenzielle Sicherung hinausgehende freiwillige Zahlungen dar und sind grundsätzlich nicht als subjektive Einkommensbindungen aufzufassen591. Anzufügen ist, dass es faktisch fraglich ist, ob nicht auch ein Teil der freiwilligen Zahlungen selbständig Erwerbender einer subjektiven Einkommensbindung unterliegt, da die AHV-Sicherung unter Umständen entgegen der gesetzlichen Konzeption das Existenzminimum nicht zu decken vermag. Diese Frage stellt sich bei der überobligatorischen Versicherung unselbständig Erwerbender nicht. Im letzteren Fall ist das Existenzminimum durch die AHV und die obligatorische BVG gedeckt. Durch die Abziehbarkeit auch der überobligatorischen bzw. der freiwilligen Beiträge und der Besteuerung erst bei Leistungszufluss hat der Gesetzgeber, ohne dass es aus Leistungsfähigkeitsgründen geboten wäre – sofern von demjenigen Teil der freiwilli586 587 588 589 590 591 Bzgl. der steuerlichen Ausnahme des Kapitalertrages unten, § 5 C. IV. 3.2, S. 127 ff. Bzgl. des Periodizitätsprinzips unten, § 5 D., S. 140 ff. Säule 2b, vgl. dazu u.a. Maute/Steiner/Rufener, S. 108 f.; Helbling, S. 101 ff. Es werden bei freiwilliger Bildung einer 2. Säule durch Selbständigerwerbende nur Einzahlungen an die Vorsorgeeinrichtung des Betriebes, an die Vorsorgeeinrichtung des Berufsverbandes oder an die Auffangeinrichtung steuerlich zum Abzug zugelassen; Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 24 zu Art. 33, mit weiteren Erläuterungen und Hinweisen. Klett, Gleichheitssatz, S. 130. Oben, § 5 C. III. 2.3.1. a), S. 114 inkl. FN 579. Klett, Gleichheitssatz, S. 130. Die Autorin lässt offen, ob freiwillige Vorsorgebeiträge im Hinblick auf eine angemessene Weiterführung der gewohnten Lebensverhältnisse als gebunden einzustufen sind und der steuerliche Abzug als mit dem subjektiven Nettoprinzip vereinbar zu betrachten ist. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 117 gen Beiträge selbständig Erwerbender abgesehen wird, der faktisch der Deckung des Existenzminimums in Risikolagen dient –, eine befristete Sparbereinigung verankert. Im Unterschied zu den obligatorischen Beiträgen liegt, da die Beiträge freiwillig geleistet werden, nicht einmal eine „künstlich“ durch den Gesetzgeber geschaffene Einkommensbindung vor. Zur Förderung des Vorsorgesparens wurde somit ohne Leistungsfähigkeitsvorgabe eine befristete Sparbereinigung auch für die überobligatorischen bzw. freiwilligen Beiträge der beruflichen Vorsorge statuiert. Damit sind wiederum eine Durchbrechung des Periodizitätsprinzips sowie eine Verkleinerung der Berechnungsgrundlage durch die steuerliche Ausnahme der Kapitalerträge verbunden. 2.3.3. Teilweise geübte Kritik an der geltenden Regelung Allerdings stösst die geltende steuerliche Behandlung der beruflichen Vorsorge zum Teil auf Kritik. Dabei bildet die fehlende Limitierung des versicherbaren Lohnes bei der überobligatorischen Vorsorge einen der Hauptkritikpunkte592. Bezüglich der fehlenden Limitierung wird bemängelt, dass bei hohen Löhnen der Versicherungsschutz über das verfassungsmässige Ziel einer „angemessenen“ Vorsorge593 hinaus schiessen könne594. In der Botschaft zum Bundesgesetz über das Stabilisierungsprogramm 1998 wurden in teilweiser Abstützung auf den Expertenbericht Steuerlücken595 weitreichende Beschränkungen der bisherigen steuerlichen Behandlung der beruflichen Vorsorge vorgeschlagen596. So unter anderem auch die Limitierung des versicherbaren Lohnes. Im 592 593 594 595 596 Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 85 f. und auch S. 90. Art. 113 Abs. 2 lit. a BV. Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 85 f. Zwar wird die Kritik im Expertenbericht Steuerlüc??ken (1998), S. 85, in eine relativ vage Formulierung gekleidet: „Ob sich diese gesetzgeberische Lösung mit Art. 34quater Abs. 3 BV [Art. 113 Abs. 2 lit. a in der nBV; Anm. des Zitierenden], der als Vorsorgeziel die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise vorsieht, verträgt, ist fraglich. (...) Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine steuerliche Förderung, die im Einzelfall ganz erheblich sein kann, ohne Rücksicht auf den Umfang dieser Vorsorge vor dem Hintergrund der Bundesverfassung zulässig ist.“ Aus den im Expertenbericht Steuerlücken präsentierten Schlussfolgerungen geht aber klar hervor, dass die fehlende Limitierung als nicht vertretbar betrachtet wird. Denn es wird deutlich eine gesetzgeberische Limitierung des versicherbaren Lohnes gefordert, um zu gewährleisten, dass die „Angemessenheit“ der Vorsorge nicht überschritten werde (Expertenbericht Steuerlücken [1998], S. 90). Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 85 ff. Konkret wurden vorgeschlagen: Die Begrenzung des maximal versicherbaren Lohnes bzw. Einkommens auf das Vierfache des oberen Grenzbetrages gemäss BVG, die Beschränkung der ma- 118 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Parlament wurden jedoch diese Vorschläge bis auf die Begrenzung des steuerfreien Einkaufs von Beitragsjahren597 abgelehnt598. Der Bundesrat hat anlässlich der 1. BVG Revision dennoch erneut den Vorschlag unterbreitet, eine Limitierung des versicherbaren Jahreseinkommens gesetzlich zu statuieren. Konkret sollte die Limitierung auf das fünffache des oberen Grenzbetrages von Art. 8 Abs. 1 BVG, das heisst auf Fr. 361‘800.- (Stand 1999), festgelegt werden599. Diesem Vorschlag folgte das eidgenössische Parlament nur beschränkt, indem es zwar die Idee der Limitierung übernahm, die Limitierung betraglich aber erheblich ausdehnte. Das maximal versicherbare Jahreseinkommen wurde nämlich auf das zehnfache des oberen Grenzbetrages nach Art. 8 Abs. 1 BVG angesetzt600, was Fr. 759‘600.- entspricht (Stand 2003). 3. Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) Eine befristete Sparbereinigung ist ebenfalls bei der gebundenen Vorsorge vorgesehen: Die Beiträge können betragsmässig limitiert601 steuerlich in Abzug gebracht werden (Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG), und bei der Auszahlung greift dann die volle Besteuerung (Art. 22 Abs. 1 DBG)602. Die Beitragsleistung mindert die subjektive Leistungsfähigkeit – analog zu überobligatorischen bzw. freiwilligen Zahlungen in die 2. Säule – nur insoweit, als dadurch der Existenzbedarf in Risikolagen abgesichert wird, wobei auch 597 598 599 600 601 602 ximal versicherten Leistungen, eine stärkere Besteuerung der Kapitalleistungen, die Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Beiträge sowie die Begrenzung des steuerfreien Einkaufs von Beitragsjahren. Eingehend dazu: Botschaft Stabilisierungsprogramm 1998, S. 86 ff.; siehe auch Helbling, S. 292. Siehe Art. 79a BVG; vgl. jedoch die Kritik von Helbling, S. 292, m.w.Nw. Vgl. dazu auch Helbling, S. 292. Entwurf von Art. 79c BVG; Botschaft 1. BVG Revision (2000), S. 2701 und S. 2723. Art. 79c; BBl 2003, S. 6671. Die Referendumsfrist gegen die Gesetzesänderung läuft am 22. Januar 2004 ab. Für das Bemessungsjahr 2003 beträgt der erlaubte Abzug Fr. 6‘077 für Steuerpflichtige mit 2. Säule und Fr. 30‘384 für Steuerpflichtige ohne 2. Säule (KS W03-002 D vom 14.01.2003). Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch der im Rahmen des Steuerpakets 2001 von der Bundesversammlung vorgeschlagene Bausparabzug (Art. 33a; BBl 2003, S. 4509 und S. 4511 f.). Dabei war in Nachahmung des „Baselbieter Modells“ vorgesehen, dass Steuerpflichtige bis zum 45. Altersjahr jährlich einen steuerwirksamen Bausparabzug bis zum Doppelten des bisher zugelassenen Abzugs für die Säule 3a geltend machen können. Dieser Bausparabzug sollte sich somit für Alleinstehende auf rund Fr. 12‘000.- und für Verheiratete zusammen auf Fr. 24‘000.- belaufen. Bei Investition des angesparten Kapitals in ein Eigenheim wäre das Kapital inkl. der darauf angefallenen Zinsen steuerfrei geblieben. Andernfalls wäre die Besteuerung nachgeholt worden. Bekanntlich wurde jedoch das aus verschiedenen Gründen politisch höchst umstrittene Steuerpaket 2001 in der Referendumsabstimmung vom 16. Mai 2004 abgelehnt (BBl 2004 3943). Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 119 hier anzumerken ist, dass dafür grundsätzlich die AHV vorgesehen ist. Wie bei den überobligatorischen bzw. freiwilligen Beiträgen zugunsten der beruflichen Vorsorge ist auch hier keine Leistungsfähigkeitsvorgabe erkennbar, die den Gesetzgeber zu einer befristeten Sparbereinigung anhalten würde. Vielmehr waren auch bei der Säule 3a Motive zur Förderung des Vorsorgesparens und nicht Leistungsfähigkeitsüberlegungen ausschlaggebend, die zur Statuierung einer befristeten Sparbereinigung geführt haben. Damit verbunden sind wiederum eine Durchbrechung des Periodizitätsprinzips sowie eine Verkleinerung der Berechnungsgrundlage durch die Ausnahme der Kapitalerträge. 4. Freie Selbstvorsorge (Säule 3b) 4.1. Abzüge für rückkaufsfähige Lebensversicherungen und Zinsen auf Sparkapitalien Gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG sind Einlagen, Prämien und Beiträge für die Lebens, die Kranken- und die nicht unter Art. 33 Abs. 1 lit. f DBG fallende Unfallversicherung sowie die Zinsen von Sparkapitalien des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Personen betragsmässig limitiert abzugsfähig. Für verheiratete Personen, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, beträgt der Gesamtbetrag Fr. 2‘800.- und für die übrigen Steuerpflichtigen Fr. 1‘400.-603. Nachfolgend wird auf die Abzüge für die Lebensversicherungsbeiträge sowie für Zinsen auf Sparkapitalien eingegangen, da diese Abzugsmöglichkeiten Begünstigungen des Vorsorgesparens darstellen. 4.1.1. Abzüge für Lebensversicherungen Die Abzugsfähigkeit der Beiträge für Lebensversicherungen weist funktionell eine Nähe zu den organischen Kosten auf. Jedoch hält, was bereits oben ausgeführt wurde604, die Rechtsprechung zur Abzugsfähigkeit von organischen Kosten grundsätzlich daran fest, dass die Aufwendung und der sachlich damit zusammenhängende Erlös in der gleichen Periode anfallen müssen. Die materielle Begründung für die durch den Gesetzgeber festgelegte, beschränkte Abzugsfähigkeit der Lebensversicherungsbeiträge kann somit nicht über deren Qualifikation als organische Kosten erfolgen. Eine 603 604 Stand 2003. § 5 C. III. 1., S. 111. 120 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit derartige Begründung der Abzugsfähigkeit scheitert, wie dies auch bei den AHV- und BVG-Beiträgen der Fall ist, am Periodizitätsprinzip. Darüber hinaus sind keine anderen Gründe ersichtlich, die es als ein Gebot des Leistungsfähigkeitsprinzips erscheinen lassen würden, die Lebensversicherungsbeiträge für abzugsfähig zu erklären. Die im Gesetz statuierte Abzugsfähigkeit entspringt somit nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern fusst auf der gesetzgeberischen Absicht, das Vorsorgesparen zu fördern605. Aus dieser Warte ist die Abzugsfähigkeit der Lebensversicherungsbeiträge vergleichbar mit der Abzugsfähigkeit der überobligatorisch von Arbeitnehmern und der freiwillig von selbständig Erwerbenden geleisteten Beiträge an die berufliche Vorsorge sowie der Abzugsfähigkeit der Einlagen in die Säule 3a. 4.1.2. Abzüge für Zinsen aus Sparkapitalien Die Behandlung der Zinsen auf den Sparkapitalien stellt eine partielle steuerliche Befreiung von Erträgen aus beweglichem Vermögen i.S.v. Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG dar. Auch diese Sparbegünstigung ist aus Gründen der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht geboten, sondern beruht wiederum auf der gesetzgeberischen Absicht, das Vorsorgesparen zu fördern606. 4.1.3. Leerlauf der bezweckten Begünstigung des Vorsorgesparens Der Gesetzestext und die dadurch bezweckte Begünstigung der freien Selbstvorsorge607 läuft in der Realität jedoch weitestgehend ins Leere, da die erlaubten Abzugssummen mit insgesamt Fr. 2‘800.- für verheiratete Steuerpflichtige bzw. Fr. 1‘400.für die übrigen Steuerpflichtigen niedrig angesetzt sind608 und in der Regel nach Anrechnung der in Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG ebenfalls erwähnten Krankenversicherungskosten bereits ausgeschöpft sind609. 605 606 607 608 609 Zigerlig/Jud, N 30 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 45 und S. 95. Zigerlig/Jud, N 30 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 45 und S. 95. Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 30 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 95. Vgl. oben, § 5 C. III. 4.1., S. 119. Siehe auch Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 30 zu Art. 33; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 119 zu Art. 33; Locher, DBG Kommentar, N 73 zu Art 33; Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 107. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 4.2. 121 Freistellung des Ertrags aus rückkaufsfähiger Kapitalversicherung Art. 24 lit. b DBG klammert den Vermögensanfall aus rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen von der einkommensteuerlichen Berechnungsgrundlage aus610. Dabei sind entsprechende Kapitalversicherungen, die mit Einmalprämie finanziert wurden, im Erlebensfall oder bei Rückkauf nur steuerbefreit611, wenn sie der Vorsorge dienen (Art. 24 lit. b i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG)612. Die steuerliche Freistellung der Rückzahlung des eingelegten Kapitalstocks drängt sich auf, da die Einlagen regelmässig aus vorbesteuertem Einkommen erfolgen613. Eine echte Steuerbefreiung stellt hingegen die steuerliche Ausklammerung von Zins- und Gewinnanteilen dar614, welche auf dem gesetzgeberischen Willen beruht, das private Vorsorgesparen zu fördern615. Namentlich wurde die Förderung der Spartätigkeit von Personen in bescheidenen Verhältnissen bezweckt, wobei eine periodische Prämienzahlung als Hinweis auf entsprechende wirtschaftliche Verhältnisse gewertet wurde616. Die Steuerbefreiung des Zins- und Gewinnanteils stellt eine Ausnahme von der Einkommensbesteuerung dar und bedeutet eine Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Da die steuerliche Förderung der Selbstvorsorge als Auftrag in der Verfassung (Art. 111 Abs. 4 BV) vorgegeben ist617, kann nicht einseitig das Leistungsfähigkeitsprinzip verfolgt werden, vielmehr ist praktische Konkordanz618 zwischen den Verfassungsvorgaben anzustreben. Diesbezüglich ist fraglich, ob der Gesetzgeber die Zielabwägung zwischen Besteuerung nach der 610 611 612 613 614 615 616 617 618 Vgl. dazu Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 9 ff. zu Art. 24 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 38 ff. zu Art. 24; Locher, DBG Kommentar, N 21 ff. zu Art. 24. Im Todesfall sind auch Kapitalversicherungen mit Einmalprämie, die nicht der Vorsorge dienen, steuerbefreit: Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG spricht nur von „Erlebensfall“ und „Rückkauf“, zudem greift auch Art. 24 lit. a DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 80 zu Art. 20; Locher, DBG Kommentar, N 29 zu Art. 20. Vgl. Reich, DBG Kommentar, N 22 ff. zu Art. 20 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 82 f. zu Art. 20; Locher, DBG Kommentar, N 26 ff. zu Art. 20. Anders ist es nur, insoweit bei der Einzahlung zugunsten der Kapitalversicherung ein Abzug i.S.v. Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG geltend gemacht werden konnte, was aber aufgrund der betragsmässigen Beschränkung, wie im obigen Abschnitt dargelegt wurde, selten der Fall ist. Vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24. Locher, DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 38 zu Art. 24. Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 24; Locher, DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24; Agner/Jung/Steinmann, N 3 zu Art. 24 m.w.Nw. auf Materialien und Rechtsprechung. Locher, DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24. Mader, N 13 zu Art. 111. Vgl. auch § 2 B. II. 1., S. 32. 122 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der steuerlichen Förderung der Selbstvorsorge verhältnismässig aufgelöst hat619. Mit der getroffenen Massnahme und der daraus resultierenden Abweichung vom Leistungsfähigkeitsprinzips liess er es zu einem Zielkonflikt anschwellen. Das wäre nicht erforderlich gewesen, da andere, in Bezug auf die Leistungsfähigkeitsdurchbrechung mildere Massnahmen zur Förderung der Selbstvorsorge denkbar sind. Namentlich eine analoge Regelung zu den Säulen 1, 2 und 3a, das heisst Abzugsfähigkeit bei Einzahlung der Beiträge zugunsten rückkaufsfähiger Kapitalversicherungen620 und volle Besteuerung bei der Auszahlung, würde erhebliche steuerliche Anreize zur privaten Selbstvorsorge bieten, ohne einen Grundsatzbruch mit dem Leistungsfähigkeitsgedanken auszulösen, da im Grundsatz nicht eine Steuerausnahme, sondern ein Steueraufschub (mit allfällig damit verbundenem Zinsvorteil621) gewährt würde. Darüber hinaus wirft die Bestimmung von Art. 24 lit. b DBG Zweifel auf, weil das Versicherungssparen gegenüber anderen Sparformen einseitig privilegiert wird. In der Lehre wird vorgebracht, die steuerliche Begünstigung der Selbstvorsorge könne aus sachlichen Gründen nicht auf eine einzige Vorsorgeform beschränkt werden622 und die Expertenkommission Steuerlücken qualifizierte diese Privilegierung als offensichtlichen Verstoss gegen Art. 4 aBV623. Zudem stösst die Privilegierung auch von rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen mit Einmalprämien auf Kritik624: Von dieser Sparbegünstigung profitieren – entgegen der die Begünstigung von rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen leitenden ursprünglichen Gesetzesteleologie – kaum mehr Personen in bescheidenen Verhältnissen. 619 620 621 622 623 624 Zur Bindung des Gesetzgebers an das Verhältnismässigkeitsprinzip bereits oben, § 2 B. II. 4.3.4., S. 53. Wobei die Analogie zur Säule 3a nur beschränkt gilt, da dort eben nur beschränkte Abzugsfähigkeit gegeben ist. Zur „beschränkten Zinsausnahme“ unten, § 5 C. IV. 3.2., S. 127 ff. Locher, DBG Kommentar, N 22 zu Art. 24 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 39 zu Art. 24. Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 117 f.; vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 22 zu Art. 24, m.Nw.; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 39 zu Art. 24; Frischkopf, S. 397. Auch meinte das Bundesgericht mit Bezug auf die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Rentenversicherungen und nicht rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen einerseits und rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen andererseits, dass „Gründe für diese unterschiedliche Privilegierung (...) nicht leicht ersichtlich“ sind (BGE 107 Ib 315 [320]). Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 24 m.w.Nw. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 123 IV. Sparbereinigung 1. Nebeneffekt: Besteuerung privater Kapitalgewinne Bevor näher auf die Varianten der definitiven oder der befristeten Sparbereinigung eingegangen wird, ist ein aus Leistungsfähigkeitsperspektive überaus bedeutender Aspekt hervorzuheben: Die Sparbereinigung führt – und zwar unabhängig davon, ob sie definitiv oder befristet wirkt – zur Aufhebung einer der anerkanntermassen gewichtigsten Durchbrechungen des Leistungsfähigkeitsprinzips, nämlich der bisherigen steuerlichen Ausnahme privater Kapitalgewinne von der Besteuerung625. Denn wie bereits bei der Darstellung und Präzisierung des Grundmodells der Sparbereinigung erläutert wurde, drängt sich bei einer Sparbereinigung aus Praktikabilitätsgründen eine Besteuerung der privaten Kapitalgewinne auf den Sparanlagen auf626. 2. Gänzliche Sparbereinigung Obenstehend wurde aufgezeigt, wie das Leistungsfähigkeitsprinzip die Bestimmung der steuerlichen Berechnungsgrundlage beeinflusst hat. Nachfolgend soll nun untersucht werden, inwiefern eine definitive Sparbereinigung mit diesen Leistungsfähigkeitskonkretisierungen im Bereich der Berechnungsgrundlage vereinbar ist. Wie dargestellt wurde, sieht der Gesetzgeber hinsichtlich der Beiträge für die AHV und die berufliche Vorsorge bereits vor, dass sie von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden können. Diese Abzugsmöglichkeiten im Bereich der Vorsorge (AHV) und des obligatorischen Vorsorgesparens (obligatorische berufliche Vorsorge) decken sich mit dem Gehalt des Leistungsfähigkeitsprinzips: Da die AHV-Beiträge sowie die Beiträge für die berufliche Vorsorge obligatorisch zu leisten sind, reduzieren sie das disponible Einkommen627. Die genannten Beiträge stellen daher Einkommensbindungen dar, welche die subjektive Leistungsfähigkeit mindern. Aus diesem Grund gebietet das subjektive Nettoprinzip628 die Abzugsfähigkeit der Beiträge für die AHV und die berufliche Vorsorge. 625 626 627 628 Zu dieser Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips oben, § 5 C. II. 1., S. 106. Oben, § 5 A. IV. 2., S. 87 ff.; ebenda bzgl. der steuerlichen Unbeachtlichkeit von Kapitalgewinnen/-verlusten auf Konsumgütern. Vgl. auch oben, § 5 C. III. 1., S. 111. Dazu oben, § 5 C. II. 2.2., S. 108. 124 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Bei einer gänzlichen Sparbereinigung werden sämtliche gebildeten Nettoersparnisse629 von der Berechnungsgrundlage abgezogen. Bei der freien Ersparnisbildung ist jedoch – anders als bei der AHV-Vorsorge oder dem Vorsorgesparen im Rahmen der obligatorischen beruflichen Vorsorge – nicht ersichtlich, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip einen Abzug von der Berechnungsgrundlage fordern würde. Zum einen werden die Ersparnisse freiwillig aus dem zugeflossenen Einkommen gebildet. Zum anderen dienen sie grundsätzlich nicht der Existenzsicherung, da dafür bereits die AHV vorgesehen ist630. Es sind daher keine Gründe erkennbar, wonach die freie Ersparnisbildung einer Einkommensbindung unterliegt. Die freie Ersparnisbildung mindert die subjektive Leistungsfähigkeit nicht und demgemäss gebietet das subjektive Nettoprinzip auch keinen Abzug von der Berechnungsgrundlage. Weitergehend könnte noch die Frage aufgeworfen werden, ob die angesparten Beträge organische Kosten (Gewinnungskosten) darstellen, welche die objektive Leistungsfähigkeit mindern und aufgrund des objektiven Nettoprinzips von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden müssten. Eine Einordnung der frei gebildeten Ersparnisse zu den organischen Kosten scheitert aber nicht nur an der in der Rechtsprechung geforderten zeitlichen Nähe zwischen Aufwendung und daraus gelöstem Einkommen631. Die Einordnung scheitert nämlich bereits an der grundlegenden Tatsache, dass die Bildung von Ersparnissen buchhalterisch gesprochen keine Aufwendung darstellt, sondern in einem Aktivposten Ausdruck findet. Somit kann nicht von einer Aufwendung zur Erzielung späterer Einkünfte gesprochen werden, was auch intuitiv einleuchtet, da mit der freien Ersparnisbildung kein Vermögensabfluss verbunden ist. Dem Ausgeführten zufolge kann eine gänzliche Sparbereinigung weder mit dem subjektiven noch dem objektiven Nettoprinzip begründet werden. Vielmehr erfolgt die freiwillige Ersparnisbildung aus dem frei verwendbaren Einkommen. Aber gerade das frei verwendbare Einkommen, und zwar sämtliches (Gesamtreineinkommen), wurde als vornehmlicher Indikator der Leistungsfähigkeit erkannt632. Das frei verwendbare Einkommen bildet dementsprechend bedeutendstes Besteuerungsziel des Schweizer 629 630 631 632 Nettoersparnis = neu gebildete Ersparnis minus aufgelöste Ersparnis. Zumindest theoretisch (siehe oben, § 5 C. III. 2.3.1. a, S. 114), wobei der Existenzbedarf aber immerhin zusammen mit – sofern in ordentlicher Weise vorhanden – der beruflichen Vorsorge abgedeckt wird und somit bei Personen mit 1. und 2. Säule die freie Ersparnisbildung nicht der Existenzsicherung dient, sondern darüber hinausgehende Bedürfnisse deckt. Zur diesbezüglich geforderten Einhaltung des Periodizitätsprinzips oben, § 5 C. III. 1., S. 111. § 5 B. II., S. 93 f., und § 5 C. II., S. 104 ff. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 125 Steuerrechts allgemein633 bzw. alleiniges Besteuerungsziel des Einkommensteuerrechts. Demzufolge steht eine Ausnahme der frei gebildeten634 Ersparnisse von der einkommensteuerlichen Berechnungsgrundlage mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Konflikt. Eine gänzliche Sparbereinigung lässt sich mit dem Fundamentalprinzip des Steuerrechts, das heisst mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip, wie es in den Bestimmungen des Schweizer Steuerrechts über die Berechnungsgrundlage Konkretisierung gefunden hat, nicht vereinbaren. Dies liegt in einer Linie mit den weiter oben gewonnenen Erkenntnissen, wonach eine gänzliche Sparbereinigung ebenfalls nicht mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung und dem materiellen Gehalt der Kompetenznorm vereinbar ist. Es lässt sich hingegen – wie dies bereits oben bezüglich Allgemeinheit der Besteuerung und dem materiellen Gehalt der Kompetenznormen erfolgte635 – in dynamischer Weise fragen, wie eine Sparbereinigung ausgestaltet werden könnte, damit eine Vereinbarkeit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip gegeben ist. Namentlich drängt sich auch hier die Frage auf, ob eventuell eine befristete Sparbereinigung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip in Übereinstimmung zu bringen ist. Für den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung und den materiellen Gehalt der Kompetenznormen wurde dies weiter oben bejaht. Wie es sich diesbezüglich mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verhält, soll im nächsten Abschnitt untersucht werden. 3. Befristete Sparbereinigung Wie oben dient als Grundmodell einer befristeten Sparbereinigung die Vorstellung, dass die aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden können und eine Besteuerung erst greift, wenn die Ersparnisse aufgelöst werden oder das Steuersubjekt aus der Steuerpflicht austritt (Tod/Wegzug). 633 634 635 Siehe dazu oben, § 5 B. II., S. 94 inkl. FN 459. D.h. eben ohne Zwang wie bei der AHV-Vorsorge oder dem Vorsorgesparen im Rahmen der obligatorischen beruflichen Vorsorge. Bzgl. Allgemeinheit der Besteuerung oben, § 2 B. II., 2.2., S. 36 und bzgl. des materiellen Gehalts der Kompetenznormen oben, § 2 B. I. 3., S. 28. 126 3.1. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit In erster Linie Frage der zeitlichen Bemessung Durch das zugrunde gelegte Modell der befristeten Sparbereinigung wird grundsätzlich auf sämtliches Einkommen des Steuerpflichtigen abgezielt. Im Unterschied dazu könnte bei einer gänzlichen Sparbereinigung gespartes Einkommen steuerlich unbelastet auf die nächste Generation bzw. auf die Erben des Steuersubjektes übertragen werden. Auf Stufe der Erben würde dann modellmässig erst bei einer Sparauflösung eine Besteuerung greifen. Dadurch würden beträchtliche Einkommensbestandteile nicht mehr individuumsbezogen beim Steuersubjekt besteuert und die Einkommensteuer würde sich materiell zu einer Konsumsteuer wandeln. Bei einer befristeten Einkommensteuer im Sinne des aufgezeigten Grundmodells bleiben jedoch Charakter und Wirkung einer Einkommensteuer erhalten. Es wird immer noch auf die Besteuerung sämtlichen Reineinkommens abgezielt. Lediglich wird für gespartes Einkommen ein Steueraufschub gewährt, bis es konsumtiv verwendet wird oder das Steuersubjekt aus der Steuerpflicht austritt. Aus dieser Perspektive ist weniger fraglich, ob die befristete Sparbereinigung mit den Leistungsfähigkeitskonkretisierungen hinsichtlich der Berechnungsgrundlage vereinbar ist. Denn es wird beabsichtigt, wie dies auch bei der geltenden Einkommensteuer der Fall ist, früher (bei Gegenwartskonsum) oder später (bei späterem Konsum oder bei Austritt aus der Steuerpflicht) grundsätzlich sämtliches zugeflossenes Einkommen steuerlich zu erfassen. Vielmehr stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage der zeitlichen Bemessung. Es ist zu klären, inwiefern die Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im Bereich der zeitlichen Bemessung einem solchen Steueraufschub Raum gewähren. Diese Abklärung wird unten erfolgen (§ 5 D.). Mit Blick auf die generelle Aussage, bei einer befristeten Sparbereinigung werde, wie bei der bisherigen Einkommensteuerordnung, grundsätzlich sämtliches Reineinkommen erfasst, ist noch eine unerlässliche Präzisierung anzubringen. Ein Teil des Einkommens wird nämlich unter Umständen nicht erfasst. Konkret geht es um Folgendes: Wird davon ausgegangen, dass die aus Einkommen gebildeten Ersparnisse zum Marktzinssatz verzinst werden, wird das Kapitaleinkommen aus den Ersparnissen steuerlich nicht erfasst. Mit anderen Worten fallen bei einer Marktzinssatz-Rendite die Zinsen nicht in die Steuerberechnungsgrundlage. Das bedeutet eine Steuerlücke und bedarf im nächsten Abschnitt einer näheren Untersuchung. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 3.2. 127 Wegfall der marktüblichen Kapitalverzinsung aus der Berechnungsgrundlage 3.2.1. Ausgangsproblem Im Unterschied zur traditionellen Einkommensbesteuerung unterliegen bei einer Sparbereinigung die aus Ersparnissen anfallenden Erträge, soweit sie gespart werden, nicht der Einkommensbesteuerung636. Angesparte Kapitalerträge werden somit bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer nicht jährlich durch die Einkommensteuer auf den Erträgen beschnitten. Erst bei Auflösung der Ersparnis bzw. bei Austritt aus der Steuerpflicht folgt eine Besteuerung des Sparkapitals inkl. der darauf angefallenen und gesparten Zinsen. Dabei kann das Sparkapital bei einer Sparbereinigung schneller wachsen, da die Zinserträge nicht um den „Steuerkeil“637 gekürzt werden. Da auf dem angesparten Kapital inkl. den angesparten Kapitalerträgen (aufgeschobenes) Steuersubstrat ruht, wäre auf den ersten Blick der Schluss nahe liegend, dass bei einer Sparbereinigung im Vergleich zur traditionellen periodischen Einkommensbesteuerung auch das Steuersubstrat beschleunigt wächst. Jedoch zeigt sich im Barwertvergleich, dass trotz des beschleunigten Kapitalwachstums bei einer Sparbereinigung – unter der Annahme einer marktüblichen Kapitalverzinsung – der zu entrichtende Steuerbetrag niedriger ist als bei der traditionellen Einkommensteuer. In der Tabelle unten ist ein Barwertvergleich dargestellt638. Die Ausgangsdaten lauten wie folgt: Einkommen von Fr. 1‘000.- im Jahr 0, das über 50 Jahre hinweg angelegt wird. Die marktübliche Verzinsung beträgt 4%, der Steuersatz 40%. In der linken Kolonne ist die Entwicklung bei einer Variante der Sparbereinigung bzw. des Steueraufschubes bis zum Konsum und in der rechten Kolonne die geltende Variante der periodischen Besteuerung zunächst des Einkommens von Fr. 1‘000.- und anschliessend des darauf anfallenden Ertrages dargestellt. Bei der Variante der Sparbereinigung ist ersichtlich, dass die Erträge aus dem marktüblich verzinsten Kapital nur nominal zu einer Erhöhung der Berechnungsgrundlage für die Auflösungs- bzw. Austrittsabrechnung geführt haben, barwertmässig jedoch nicht durch die Einkommensteuer erfasst werden639. Ohne periodische Einkommensbesteuerung, sondern mit einer einmaligen Steuer bei Auflösung (Konsum) des Sparkapitals beträgt der Barwert-Gesamtsteuerbetrag in der Darstellung nach 50 636 637 638 639 Siehe dazu auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 84 f.; Homburg, S. 137 f.; Dorenkamp, S. 33 ff.. Dorenkamp, S. 34. Einen solchen Barwertvergleich nahm bereits Einaudi 1929 vor (dazu Kaldor, S. 84). Barwertvergleiche sind u.a auch zu finden bei: Kaldor, Expenditure Tax, S. 84 f.; Dorenkamp, S. 32 f. Siehe auch Dorenkamp, S. 34. 128 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Jahren Fr. 400.-, während sich mit periodischer Einkommensbesteuerung (rechte Kolonne) der Barwert-Gesamtsteuerbetrag auf Fr. 723.64 beläuft640. Diese Erkenntnisse lassen sich damit erklären, dass der Steuergläubiger bei einer Sparbereinigung befristet einen Besteuerungsverzicht übt. Durch den Besteuerungsaufschub hat der Steuergläubiger jedoch einen Nutzenentgang, da er keine Zinsen auf dem ihm zustehenden Steuerbetrag erhält bzw. – von der anderen Seite her betrachtet – sich die erforderlichen Finanzmittel am Kapitalmarkt beschaffen muss. Dieser Nutzenentgang entspricht modellmässig dem Marktzins. Um den Barwert eines Sparkapitals zu ermitteln, dem in früheren Perioden ein Steueraufschub gewährt wurde und das nun infolge dessen Auflösung oder wegen Austritt des sparenden Steuersubjekts aus der Steuerpflicht zur Besteuerung kommt, ist daher eine Diskontierung vorzunehmen. Da der Nutzenentgang modellmässig durch den Marktzinssatz quantifiziert wird, bestimmt letzterer den Diskontierungsfaktor641. Durch die erforderliche Abdiskontierung eines zur Besteuerung gelangenden Sparkapitals wird betragsmässig jedoch exakt der bisherige Zinsertrag subtrahiert642. Somit führt die Entsprechung von Abdiskontierungsfaktor und Zinsertrag643 dazu, dass der Steuergläubiger letztlich nicht am Kapitaleinkommen des Steuerpflichtigen teil hat644 respektive der Steuerpflichtige das Kapitaleinkommen einkommensteuerfrei vereinnahmen kann. Anzumerken bleibt, dass bei einer unter- oder über dem Marktzinssatz liegenden Verzinsung der Ersparnisse sich wiederum ein anderes Bild ergibt. Liegt die Verzinsung unter dem Marktzinssatz, reduziert sich für den Steuergläubiger das Steuerguthaben um die Abweichung zum Marktzins. Der Steuergläubiger partizipiert an der unterrentierlichen Vermögensentwicklung und ihm entgeht mehr als nur das Kapitaleinkommen. Barwertmässig erhält der Steuergläubiger in diesem Fall weniger, als wenn er das Einkommen ohne Aufschub gleich bei dessen Zufluss besteuert hätte. Umgekehrt sieht es bei überrentierlicher Verzinsung aus. Der Steuergläubiger erhält bei Sparauflösung bzw. Austritt aus der Steuerpflicht die Steuern auf einem Sparvermögen, das sich um 640 641 642 643 Der Barwert wurde jeweilen in der Periode der Steuererhebung bemessen. D.h., es wurde für jedes Jahr der angefallene Steuerbetrag abdiskontiert. Vgl. auch Dorenkamp, S. 34 inkl. FN 194. Wiederum unter der Annahme, das Kapital rentiere zum Marktzinssatz. Zur Entsprechung von Abdiskontierungsfaktor und marktüblichem Zinsertrag auch Dorenkamp. S. 34. Realistischerweise ist davon auszugehen, dass der Marktzinssatz im Zeitablauf schwankt. Die Identität von Diskontierungsfaktor und Marktzinssatz ist aber dann immer noch gegeben, nur wird die Berechnung des Barwerts (Abdiskontierung) durch eine Mehrzahl von Zinssätzen erschwert. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 129 die Differenz zum Marktzinssatz auch für den Steuergläubiger barwertmässig vorteilhaft entwickelt hat. Das heisst, der Steuergläubiger kann durch das überrentierliche Anwachsen des Sparvermögens Steuern auf einem Kapital erheben, das barwertmässig über den einzelnen Einkommensbestandteilen liegt, die angespart wurden. Tendenziell kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die tatsächlich erzielte Rendite in den meisten Fällen in der Nähe des Markzinssatzes liegt oder sich Abweichungen in weiten Teilen ausgleichen. Daher wird im Folgenden mit der vereinfachenden Annahme gearbeitet, in der Realität herrsche eine Rendite zum Marktzinssatz vor. 644 Dorenkamp, S. 34. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 130 Marktzins: Steuersatz: Anfangskapital (in Fr.) gebildet aus Einkommen im Jahr 0: Gesamtkonsum im Jahr: 4% 40% 1'000 51 Steueraufschub bis zum Konsum periodische Einkommensbesteuerung Kapitalentwicklung 1'000.00 1'040.00 1'081.60 1'124.86 Kapitalentwicklung 1'000.00 614.49 629.15 644.25 5'616.52 6'570.53 6'833.35 7'106.68 1'703.53 1'873.05 1'918.00 1'964.03 Kapital zu Beginn Jahr 51 (nominal): 7'106.68 1'964.03 Steuer im Jahr 51: 2'842.67 0.00 2'842.67 400.00 4'264.01 600.00 1'309.36 723.64 1'964.03 276.36 Jahr 0 1 2 3 48 49 50 Gesamtsteuerbetrag nominal: Barwert-Gesamtsteuerbetrag: Konsumrestbetrag nominal: Barwert-Konsumrestbetrag: Tabelle: Kapitalentwicklung mit und ohne periodischer Einkommensbesteuerung Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 131 3.2.2. Terminologisches: „Beschränkte Zinsausnahme“ Als terminologische Einkleidung für das beschriebene Problem wird nachfolgend die Bezeichnung „beschränkte Zinsausnahme“ verwendet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine steuerliche Ausnahme von Zinsen handelt und diese Ausnahme eine beschränkte ist. Die Beschränkung ist eine zweifache: Zum Ersten wird nur die marktübliche Rendite ausgenommen, das heisst, überrentierliche Investitionen erhöhen barwertmässig die Berechnungsgrundlage. Wenn zum Beispiel ein Steuersubjekt seine Ersparnisse erfolgreich anlegt und bei einem Marktzinssatz von 5% eine jährliche Rendite von 20% erzielt, partizipiert der Fiskus anteilsmässig an 15%. Zum Zweiten werden nur Kapitalerträge ausgenommen, die auf solche Sparkapitalien anfallen, die aus steuerbarem Einkommen gebildet wurden und infolge der Sparbereinigung einen zeitlichen Besteuerungsaufschub erfahren. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise bei einem reichen Erben, der seine Kapitalerträge spart, nicht eine Zinsausnahme im Umfang der Marktrendite auf dem ererbten Vermögen greift. Denn das Zinseinkommen ist weiterhin steuerbares Einkommen und erhöht die Berechnungsgrundlage für die spätere Sparauflösung bzw. den Austritt aus der Steuerpflicht. Wenn der reiche Erbe zum Beispiel einen Betrag von Fr. 1 Mia. geerbt hat und auf dieser Summe einen Kapitalertrag in Höhe des Marktzinssatzes von 5% erzielt, den er anspart, stellen diese 5% steuerbares Einkommen dar. Sie erhöhen demnach die Berechnungsgrundlage für die aufgeschobene Besteuerung. Steuerlich ausgenommen werden bei einer befristeten Sparbereinigung nur jene zum Marktzinsniveau anfallenden Zinsen, die aus dem zusätzlichen Kapital fliessen, das der Erbe aus angesparten Zinsen gebildet hat. Aus den genannten Gründen scheint der terminologische Hinweis auf die „Beschränktheit“ überaus bedeutend und wirkt vor allem der Vorstellung entgegen, es handle sich um eine generelle steuerliche Ausnahme des Kapitaleinkommens. 3.2.3. Betrachtung im Hinblick auf die Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips a) Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Allgemein wurde das Reineinkommen durch den Gesetzgeber als erstrangiger Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erkannt und soll mittels der Einkommensteuer Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 132 grundsätzlich gesamthaft steuerlich erfasst werden645. In Art. 20 und 21 DBG werden sodann die Kapitalerträge ausdrücklich als steuerbares Einkommen bestimmt. Wenn nun ein Teil des Reineinkommens, namentlich in beschränkter Weise das Kapitaleinkommen, der Einkommensbesteuerung entgeht, stellt dies offensichtlich eine Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dar646. b) Kein Freiraum für einen Wechsel des Leistungsfähigkeitsindikators DORENKAMP rechtfertigt die mit der befristeten Sparbereinigung verbundene beschränkte Zinsausnahme mit dem Hinweis darauf, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip unbestimmt sei und unter dem Gesichtspunkt des deutschen Verfassungsrechts dem Gesetzgeber ein genügend grosser Freiraum zukomme, anstatt des periodischen Einkommens das Konsumeinkommen, das heisst das konsumierte Einkommen, für steuerbar zu erklären647. Dabei will DORENKAMP neben dem periodischen Konsum ergänzend auch das sog. „Lebensendvermögen“ erfassen, damit grundsätzlich sämtliches Lebenseinkommen des Steuerpflichtigen – wenn auch zeitlich aufgeschoben und dadurch implizit eine beschränkte Zinsausnahme gewährend – erfasst wird648. Es ist, wie oben bereits dargelegt wurde649, nicht umstritten, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip an sich unbestimmt ist. Bekanntlich ist es aber bestimmbar, wobei es Aufgabe des Gesetzgebers ist, das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisierend zur Entfal- 645 646 647 648 649 Siehe oben, § 5 C. II., S. 104 ff. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang u.a. die Erwägung des Bundesgerichts in BGE 114 Ia 221 (228): „In einem System der Besteuerung des Gesamtreineinkommens, das weitgehend von der Reinvermögenszugangstheorie geprägt ist, wird der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durchbrochen, wenn wesentliche Zuflüsse wirtschaftlicher Güter als Einkommen nicht erfasst werden (BGE 112 Ia 243 E. 3c), ohne einer entsprechenden Sonderbesteuerung zu unterliegen.“ Vgl. mit Bezug auf die deutsche Rechtsordnung auch Lang, Konsumbesteuerung, S. 303: „Nach der Idee der geltenden Einkommensteuer, der ‚accreation-model income tax‘, sind die Vermögenserträge neues Einkommen.“ Dorenkamp, S. 59 ff., u.a. (auf S. 62 f.) Homburg anführend, der die Ansicht vertritt, es sei „wissenschaftlich nicht entscheidbar, ob steuerliche Leistungsfähigkeit besser durch den Konsum oder durch das Einkommen gemessen wird und folglich, ob die direkte Steuer natürlicher Personen am Konsum oder am Einkommen ansetzen sollte. Hierzu bedarf es einer Grundwertung des Steuergesetzgebers.“ (Homburg, S. 242 f.) Dorenkamp, S. 63. Siehe § 4 B., S. 78 ff. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 133 tung zu bringen650. Bei der Ausgestaltung der Steuerordnung bringt der Steuergesetzgeber zum Ausdruck, was er unter einer gerechten, am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierten Besteuerung versteht und wie er diese Vorstellung mit anderen ihn bindenden rechtlichen Vorgaben in praktische Konkordanz bringt. Dabei verleiht der Gesetzgeber dem Leistungsfähigkeitsprinzip inhaltliche Konturen und nimmt eine nähere Bestimmung vor. Unter Mitberücksichtigung der gesetzgeberischen Konkretisierungen ist demzufolge nur der blosse Leistungsfähigkeitsgrundsatz relativ unbestimmt, die Grundvorstellungen des Gesetzgebers über die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind jedoch weitgehend bestimmt. Aus dieser Perspektive mag es zutreffend sein, dass der Gesetzgeber grundsätzlich über einen weiten Freiraum bei der Ausgestaltung der Steuerordnung verfügt. Aufgrund des Ansatzes, der in dieser Arbeit bezüglich des Leistungsfähigkeitsprinzips zugrunde gelegt wurde651, interessiert an dieser Stelle aber nicht vorrangig die Frage, ob auch der Schweizer Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht den Freiraum hätte, die Einkommensteuer materiell in eine Konsumsteuer umzuwandeln resp. der Einkommensteuer bedeutende Züge einer Konsumsteuer zu verleihen. Vielmehr wird von den in der Steuer- und spezifisch in der Einkommensteuerordnung vorzufindenden Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips ausgegangen. Dabei sind offensichtlich auch die durch den Gesetzgeber vorgenommen Grundkonkretisierungen von grosser Bedeutung. Dies vor allem deshalb, weil es zu weiten Teilen gerade am Gesetzgeber liegt, das Leistungsfähigkeitsprinzip zu bestimmen652. Vor dem Hintergrund dieses Untersuchungsansatzes kann es nicht angehen, die mit einer befristeten Sparbereinigung einhergehende beschränkte Zinsausnahme mit der Zuwendung zum Konsum als Leistungsfähigkeitsindikator zu rechtfertigen. Der Schweizer Gesetzgeber hat das (gesamte) Reineinkommen als bedeutendsten Leistungsfähigkeitsindikator erkannt, und entsprechend stellt die Einkommensteuer in der Schweizer Steuerordnung die wichtigste Steuer dar653. Innerhalb der Einkommensteuerordnung wiederum stellt das Reineinkommen654 das alleinige Ziel der Besteuerung dar. Daraus ist eine eindeutige Grundkonkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips 650 651 652 653 654 Oben, § 4 C., S. 80 f. Dies wird ebenfalls durch Homburg, S. 242 f., unterstrichen, der von Dorenkamp (S. 62 f.) zitiert wird: Siehe FN 647. Dazu § 4 D., S. 82. Siehe oben, § 4 C., S. 80 f. Siehe bereits oben, § 5 B. II., S. 94. § 5 C. II., S. 104. 134 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der Einkommensteuerordnung erkennbar. Ein partieller Wechsel zum Konsum als Belastungsziel der Einkommensteuer ist daher nicht mit den vorfindbaren Grundkonkretisierungen bzw. den erfolgten Bestimmungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im Einkommensteuerrecht vereinbar. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist das als Fakt hinzunehmen. Wohl ist nicht zu kritisieren, wenn die Rechts- und Finanzwissenschaft dem Gesetzgeber aufzeigt, dass unter Umständen auch andere Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips möglich wären. Hingegen ist es eine rechtspolitische Wertung, wenn in Abkehr von der bestehenden Regelung eine (Teil-)Belastung des Konsums mittels Einkommensteuer gefordert wird. Das Postulieren solcher Forderungen ist nicht mehr Aufgabe der Rechtswissenschaft, sondern des Gesetzgebers, der eine Modifikation der bestehenden eindeutigen Leistungsfähigkeitskonkretisierungen zu beschliessen hätte. Bei der diskutierten Grundsatzfrage des Wechsels des Leistungsfähigkeitsindikators und Besteuerungsziels der Einkommensteuer ist der Schweizer Steuergesetzgeber jedoch ohnehin – anders als dies nach der Ansicht von DORENKAMP für Deutschland der Fall ist – durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben beschränkt. Letztere ziehen einer zu weiten Abkehr von der bestehenden Einkommensteuerordnung Grenzen655. Daran vermag auch der mitunter geäusserte – und materiell unbestrittene – Verweis auf die bereits bestehende „Konsumorientierung“ der geltenden Einkommensteuersysteme und dem daraus folgenden hybriden Charakter der Einkommensteuer zwischen einkommens- und konsumorientierter Besteuerung656 nichts zu ändern. Bei näherer Betrachtung besteht die vorgebrachte Konsumorientierung hauptsächlich darin, dass Vorsorgeersparnisse steueraufschiebend behandelt werden oder anderweitig das Periodizitätsprinzip aufgehoben wird657. Dies bedeutet aber nicht, dass dadurch der Konsum zum Steuergut wird und als Leistungsfähigkeitsindikator für die Einkommensbesteuerung herangezogen wird. Die gesetzlich vorgesehene Besteuerung knüpft immer noch an das Einkommen an, das lediglich zeitverschoben – eben im Sinne einer befri655 656 657 Dies zum einen durch den materiellen Gehalt der steuerlichen Kompetenznormen; § 2 B. I., S. 18 ff. Zum anderen sind aber auch weitere verfassungsrechtliche inhaltliche Vorgaben, insbesondere die klassischen Besteuerungsgrundsätze (Art. 127 Abs. 2 BV), bei allfälligen gesetzgeberischen Steuerreformen zu berücksichtigen; § 2 B. II., S. 29 ff. Z.B. Lang, Besteuerung, S. 82; Bradford, Untangling, S. 316 f. und McNulty, S. 2115 ff. bzgl. des U.S.-Steuerrechts. Vgl. dazu und zu weiteren „Konsumorientierungen“ im deutschen Steuerrecht u.a. Lang, Besteuerung, S. 36 ff.; Dorenkamp, S. 107 ff.; Bzgl. des Schweizer Steuerrechts: Vallender/Wiederkehr, Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 135 steten Sparbereinigung – besteuert wird658. Somit besteht die Hybridizität der geltenden Einkommensteuerordnungen, und das entspricht dem hier grundsätzlich auch mit Blick auf die Schweizer Steuerordnung Vorgebrachten, in der Mischung aus Besteuerung bei Einkommenszufluss und der nachgelagerten Einkommensbesteuerung659, 660. Somit sind andere Ansätze zu prüfen, die eine beschränkte Ausnahme der Kapitaleinkommen von der Besteuerung aus rechtlicher Sicht zu rechtfertigen vermögen. Sind keine Rechtfertigungsansätze zu finden, ist von der Idee einer befristeten Sparbereinigung abzurücken. Nachfolgend werden folgende Ansätze näher behandelt: 1. Forderung nach einer effizienzoptimalen Steuergesetzgebung (c); 2. Verfassungsauftrag zur Förderung der Selbstvorsorge (d); 3. Bereits existierende beschränkte Zinsausnahmen (e). c) Herstellung der Neutralität zwischen Konsum- und Sparentscheidung Steht ein Steuerpflichtiger vor der Entscheidung, wie er zugeflossenes Einkommen verwenden will, hat er zwei Möglichkeiten: Konsumieren oder Sparen. Entscheidet sich der Steuerpflichtige für das Sparen, erfährt er jedoch über die Einkommensteuer auf dem ursprünglichen Einkommenszufluss hinaus eine zusätzliche steuerliche Belastung. Diese Zusatzbelastung besteht darin, dass die fortan vereinnahmten Kapitalerträge periodisch um die Einkommensteuer gemindert werden. Bei der aufgezeigten Problematik handelt es sich um die berühmte Doppelbelastung des investierten Ein- 658 659 660 BV Kommentar, N 24 ff. zu Art. 127. Vgl. auch die Darstellung in dieser Arbeit, § 5 D. II., S. 142 ff. In diesem Sinne auch Lang, Besteuerung, S. 21: „Die ‚konsumorientierte‘ Einkommensteuer besteuert aber nach heutiger Erkenntnis keine Konsumausgaben, sondern Einkommen, das verwendungsorientiert ermittelt wird.“ Dorenkamp verwendet in diesem Zusammenhang denn auch den Ausdruck der “nachgelagerten Besteuerung von Einkommen”; vgl. z.B. seine Ausführungen zur Hybridizität der Einkommensteuer in Deutschland, S. 107 ff. Das Gesagte wirft ausserdem die Frage auf, ob zur Vermeidung von Missverständnissen und zur besseren Vermittelbarkeit im Zusammenhang mit den bereits bestehenden Ansätzen nachgelagerter Besteuerung und der weitergehenden Sparbereinigung nicht darauf verzichtet werden sollte, von „Konsumorientierung“ zu sprechen. Die Ausdrücke „(befristete) Sparbereinigung der Einkommensteuer“ oder „nachgelagerte Einkommensbesteuerung“ machen deutlicher, dass von der gesetzgeberischen Konzeption her weiterhin das Einkommen Steuergut und Leistungsfähigkeitsindikator der Einkommensteuer darstellt. Gerade wenn eine Besteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht (Tod/Wegzug) greift, zeigt sich, dass es sich nicht um eine Konsumsteuer im herkömmlichen Sinn, sondern um eine nachgeholte Einkommensteuer handelt. 136 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommens: Die Einkommensteuer „takes both the tree and its fruits“661. Wie unter § 1 („Vordenker“) aufgezeigt wurde, ist der Vorwurf der Doppelbelastung einer der zentralen Einwände gegen die tradierte Einkommensteuer662. Die Doppelbelastung bedeutet eine Neutralitätsverletzung. Die Sparentscheidung wird diskriminiert, weil im Unterschied zum Sofortkonsum zusätzliche Steuern erhoben werden. In der Literatur wird die mit der Doppelbelastung verbundene Neutralitätsverletzung auch oft mit Barwertvergleichen aufgezeigt663. Daraus geht hervor, dass der Barwert des Gegenwartskonsums den Barwert des aufgeschobenen, das heisst nach Sparperioden erfolgenden Konsums, übersteigt. Es besteht somit ein Anreiz zum Gegenwartskonsum zulasten des aufgeschobenen Konsums resp. der Ersparnisbildung664. Dies ist auch aus der Barwert-Tabellen von weiter oben665 ersichtlich. Dabei tritt bei langanhaltendem Sparen die Grundproblematik besonders zu Tage: Legt der Steuerpflichtige unter einem traditionellen Einkommensteuersystem, das heisst bei periodischer Einkommensbesteuerung, im Jahre 0 Fr. 1‘000.- zurück und spart er fortan die darauf anfallenden Kapitalerträge über 50 Jahre hinweg weiter an, hat er im Jahr 51 bei Konsum des angesparten Betrages inkl. der darauf angefallenen (und besteuerten) Kapitalerträge einen Konsum-Barwert von Fr. 276.36. Hätte der Steuerpflichtige jedoch den Sofortkonsum dem Sparen vorgezogen, würde er über einen Konsumbarwert von Fr. 600.- verfügen666. Bei einer Sparbereinigung fiele diese Diskriminierung weg, und der BarwertKonsumbetrag würde wie beim Sofortkonsum Fr. 600.- betragen. Aus Sicht der optimalen Allokation bedeutet die mit der geltenden Einkommensbesteuerung einhergehende Spardiskriminierung eine Verzerrung der Konsum- und Sparentscheidung und führt zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen. Wie oben dargelegt wurde, ergibt sich aber aus der Rechtsordnung eine bindende Vorgabe an den Steuergesetzgeber, bei der Rechtsetzungstätigkeit das Effizienzkriterium zu berücksichtigen und auf eine allokativ optimale Steuerordnung hinzuwirken667. Daraus fliesst auch die an den Steuergesetzgeber gerichtete Neutralitätsforderung, Verzerrungen zwischen der 661 662 663 664 665 666 Fisher, Income Taxation, S. 356. Siehe dazu oben die Ausführungen bzgl. Mill (§ 1 B., S. 3 ff.), Fisher (§ 1 C., S. 6 ff.) und Rose (§ 1 F., S. 11). Vgl. auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 79 ff., der das Argument der Doppelbelastung kritisch beleuchtete, diesem jedoch grundsätzlich zustimmte, wobei er das Problem in einem neuen Licht darstellte (S. 84). Einaudi, S. 135; Kaldor, Expenditure Tax, S. 84 ff.; Dorenkamp, S. 39 f. und S. 93 f. Kaldor, Expenditure Tax, S. 85. S. 130. Fr. 1‘000.- minus Steuer von Fr. 400.-. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 137 Spar- und Konsumentscheidung zu vermeiden. Das spricht für den Wechsel zu einer befristeten Sparbereinigung, da mit dieser der genannten Neutralitätsforderung nachgelebt werden kann: Fliesst dem Steuerpflichtigen steuerbares Einkommen zu, wird er steuerlich nicht diskriminiert, wenn er das Einkommen (teilweise) anspart. Denn die Kapitalerträge auf diesen aus grundsäzlich steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnissen, zumindest soweit es sich um die marktübliche Rendite handelt, werden von der Einkommensteuer ausgenommen. Dadurch werden Barwert-Identitäten zwischen dem Sofortkonsum und dem aufgeschobenen Konsum (Konsum nach vorgängigem Sparen) geschaffen. d) Verfassungsauftrag zur Förderung der Selbstvorsorge In Art. 111 Abs. 4 BV ist der Auftrag an den Bund niedergelegt, in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Selbstvorsorge zu fördern, und zwar namentlich durch Massnahmen der Steuer- und Eigentumspolitik668. Im Bereich der Steuerpolitik können vor allem folgende steuerliche Regelungen des Gesetzgebers diesem Förderungsauftrag zugerechnet werden: a) Limitierte Abzugsfähigkeit für Beiträge an die gebundene Vorsorge (Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG)669; b) Abzüge für rückkaufsfähige Lebensversicherungen und Zinsen auf Sparkapitalien (Art. 33 Abs. 1 lit. g und f DBG)670; c) Freistellung des Ertrags aus rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen (Art. 24 lit. b DBG)671. Art. 111 Abs. 4 BV bezweckt insbesondere die Förderung der Selbstvorsorge durch gesetzgeberische „Ermutigung“ zum individuellen Sparen672. Wie dargelegt wurde, wohnt der geltenden Einkommensteuer jedoch eine gewichtige Diskriminierung des Sparentscheides gegenüber dem Sofortkonsum inne. Das stellt eine folgenreiche „Entmutigung“ des individuellen Sparens dar. Diese Entmutigung würde hingegen mit der befristeten Sparbereinigung beseitigt, da sie eine beschränkte Zinsausnahme mit sich führt. Damit würde die steuerliche Neutralität zwischen Spar- und Konsumentscheidung hergestellt. Vor diesem Hintergrund steht die mit der befristeten Sparbereinigung verbundene beschränkte Zinsausnahme nicht nur in Einklang mit dem Förde667 668 669 670 671 672 Eingehender dazu weiter oben, § 2 B. II. 4.3., S. 44 ff. Siehe dazu auch Mader, N 13 ff. zu Art. 111. Dazu oben, § 5 C. III. 3., S. 118 f. Dazu oben, § 5 C. III. 4.1., S. 119 f. Dazu oben inkl. kritischen Anmerkungen, § 5 C. III. 4.2., S. 121 f. Botschaft VE 96, S. 323. 138 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit rungsauftrag von Art. 111 Abs. 4 BV, sondern ist meines Erachtens durch ihn geradezu geboten. Zusätzlich ist zu beachten, dass auch aufgrund von Inflation und (kantonaler) Vermögensteuer673 die Sparentscheidung an ökonomischer Attraktivität verliert. Eine Herstellung der steuerlichen Neutralität zur Förderung des individuellen Vorsorgesparens scheint angesichts dieses Sparumfelds umso erforderlicher. e) Bereits existierende beschränkte Zinsausnahmen Die beschränkte Zinsausnahme auf Ersparnissen als Instrument der Vorsorgeförderung findet bereits weitgehende Anwendung: So werden im Bereich der Selbstvorsorge Zinsen, die auf Sparkapitalien der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) anfallen, steuerverschont, und erst bei Ersparnisauflösung greift eine Besteuerung des Gesamtkapitals674. Das stellt eine Form der Sparbereinigung dar und beinhaltet eine beschränkte steuerliche Zinsausnahme. Zudem können Zinsen auf frei gebildeten Sparkapitalien (Säule 3b) nach bereits geltendem Steuerrecht betraglich limitiert in Abzug gebracht werden675. Die umfangmässig bedeutendste Zinsausnahme findet sich im Rahmen der zweiten Säule. Kapitalerträge auf obligatorisch sowie überobligatorisch angesparten Vorsorgeguthaben werden nicht besteuert676. Wie bei der Säule 3a erfolgt erst bei der Auszahlung von Vorsorgeguthaben eine Besteuerung. Die zweite Säule stellt ebenso wie die Säule 3a eine Form der Sparbereinigung der Einkommensteuer dar. Damit geht auch eine beschränkte Zinsausnahme einher. Bereits oben wurde auf die enorme quantitative Bedeutung der Sparbereinigung im Rahmen der 2. Säule hingewiesen677. Werden die Zahlen betrachtet, ergibt sich, dass auf Beträgen, die um einiges höher sind als die privat gebildeten Ersparnisse, bereits eine beschränkte Zinsausnahme Anwendung findet. Die Tatsache, dass die beschränkte Zinsausnahme bereits im Rahmen der Selbstvorsorge (Säule 3a und 3b) und der kollektiven Vorsorge (2. Säule) bekannt ist und den überwiegenden Teil der gebildeten Ersparnisse (inkl. kollektiver Vorsorge) beschlägt, unterstreicht, dass der Schweizer Steuergesetzgeber die beschränkte Zinsausnahme als geeignetes Instrument der Vorsorgeförderung betrachtet und breit angewendet wissen 673 674 675 676 Art. 2 Abs. 1 lit. a StHG. Zum gebundenen Vorsorgesparen oben, § 5 C. III. 3, S. 118 f. Dazu oben, § 5 C. III. 4., S. 119 f. Zur steuerlichen Behandlung der 2. Säule oben, § 5 C. III. 2., S. 112 ff. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 139 will. Sollte eine befristete Sparbereinigung eingeführt werden, stellt die damit verbundene beschränkte Zinsausnahme daher keine willkürliche Neuerung dar, sondern liegt in einer Linie mit den vom Gesetzgeber bereits getroffenen Massnahmen zur Vorsorgeförderung. f) Gesamtbeurteilung Gemessen an der geltenden Grundkonkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips in der Einkommensteuerordnung besteht für den Gesetzgeber kein Freiraum, eine beschränkte steuerliche Zinsausnahme mit dem partiellen Wechsel zum Konsum als Leistungsfähigkeitsindikator zu rechtfertigen. Hingegen ergeben sich aus dem steuerlichen Effizienzgebot und dem Verfassungsauftrag zur Förderung des Sparens für die Selbstvorsorge (Art. 111 Abs. 4 BV) rechtliche Begründungsansätze zugunsten einer beschränkten Zinsausnahme. In Aufgreifung dieser Ansätze und zur Schaffung von praktischer Konkordanz mit ihnen steht es dem Steuergesetzgeber meines Erachtens zu, das Leistungsfähigkeitsprinzip, das eine gesamthafte Zinsbesteuerung fordern würde, teilweise zurückzusetzen. Diesbezüglich ist insbesondere zu beachten, dass dem Gesetzgeber solche Überlegungen nicht fremd sind. Zur Förderung des Vorsorgesparens hat er bereits verschiedene steuerliche Regelungen getroffen, die weitgehend eine beschränkte Zinsausnahme vorsehen. Dabei hat er in Abwägung mit dem Ziel der Vorsorgeförderung eine partielle Zurücksetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips vorgenommen. Daraus geht hervor, dass die beschränkte Zinsausnahme in den Augen des Gesetzgebers eine zulässige (begrenzende) Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips zur Verfolgung anderer verfassungsmässiger Ziele darstellt. Analog bedeutet für die befristete Sparbereinigung der Umstand, dass eine beschränkte Zinsausnahme mit ihr verbunden ist, nicht eine Unvereinbarkeit mit den vorzufindenden Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips. Darüber hinaus ist auch in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, dass zwar auf der einen Seite die Sparbereinigung bei Barwertbetrachtung eine beschränkte steuerliche Zinsausnahme mit sich führt. Auf der anderen Seite werden jedoch durch eine Sparbereinigung die Praktikabilitätsvoraussetzungen zur Besteuerung privater Kapitalgewinne geschaffen und es wird damit eine bislang offen klaffende Durchbrechung des Leistungsfähgkeitsprinzips geschlossen678. 677 678 Zum Quantitativen eingehender oben, § 5 C. III. 2, S. 113 f. Dazu oben, § 5 A. IV. 2.2. und 2.3., S. 88 f. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 140 Mit Blick auf die Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im Bereich der Berechnungsgrundlage stellt die Frage der beschränkten Zinsausnahme den einzigen Punkt dar, der einer eingehenderen Prüfung bedurfte. Ansonsten schien die Sparbereinigung mit den genannten Grundkonkretisierungen vereinbar, da abgesehen von der beschränkten Zinsausnahme grundsätzlich weiterhin sämtliches Einkommen – nur zeitverschoben – erfasst wird. Als nächster Schritt wird daher geprüft, ob die zeitliche Verschiebung des steuerlichen Zugriffes aus Leistungsfähigkeitsperspektive vertretbar ist. D. Zeitliche Bemessung I. Periodizitätsprinzip und Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung International verbreitet und auch im Schweizer Steuerrecht massgebend ist das sog. Periodizitätsprinzip, wonach die Bemessung des Einkommens periodisch – zumeist jährlich – erfolgt, wobei das steuerbare Einkommen jener Bemessungsperiode zugeordnet wird, in der es zugegangen ist679. Dieses tradierte und allgemein angewandte Prinzip besitzt einen hohen Plausibilitätsgrad. Einerseits dient die periodische Anknüpfung dem fiskalischen Zweck, da sie dem Staat laufende Einnahmen und eine gewisse Berechenbarkeit sichert680. Andererseits ermöglicht die periodische Bemessung aber auch dem Steuerpflichtigen Berechenbarkeit und kommt ihm in praktikabler Weise bei seiner Zahlungspflicht entgegen. Das wird insbesondere deutlich, wenn die konsequente Alternative zur Periodizität, nämlich eine Einmalbemessung auf dem insgesamt zugegangenen steuerbaren Einkommen bei Austritt aus der Steuerpflicht, vor Augen geführt wird. Die eben zugunsten des Periodizitätsprinzips genannten Gründe zeigen, dass für die grundsätzliche Bestimmung der zeitlichen Bemessung in erster Linie technisch-budgetäre Gründe bedeutend sind681. Dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz kommt bei der 679 680 681 Vgl. in der Rsp. dazu u.a.: BGE v. 21.12.2001, in: StR 2002, 388; StRKE Zürich v. 30.5.2001, in: StE 2002 B 72.12 Nr. 6; VerwGE Basel-Stadt v. 29.8.1986, in: StE 1987 B 23.43.2 Nr. 5; BGE v. 20.12.1985, in: ASA 56, 132 (134 f.); VerwGE Zürich v. 26.11.1981, in: ZBl 1982, 314. Zum Periodizitätsprinzip auch Klett, S. 116 ff.; Blumenstein/Locher, S. 308; Tipke/Lang, § 9 N 44. Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 f.; Tipke/Lang, § 9 N 44; Nold, S. 25. Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 44; Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 668 ff.; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 26 zu Art. 127 BV; Klett, S. 117; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 f.: „Die Periodizität der Einkommensteuer ist erforderlich, weil die Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 141 zeitlichen Bemessung erst nachträglich Relevanz zu, wenn die vorbestimmte Steuerperiodizität im Detail auszugestalten ist. Dies im Unterschied zu Steuergut und -objekt, Berechnungsgrundlage und Steuermass, wo das Leistungsfähigkeitsprinzip im Wesentlichen konzipierend ist für die Umschreibung682. Durch die geltende Regelung in Art. 41 f. DBG wurde abweichend zur Normierung des BdBSt, in welchem die zweijährige Praenumerandobesteuerung mit Vergangenheitsbemessung festgelegt war, den veranlagenden Kantonen zusätzlich zur zweijährigen Praenumerandobesteuerung die einjährige Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung zur Auswahl gestellt683. Bis zum 1. Januar 2003 entschieden sich alle Kantone für einen Wechsel zur einjährigen Postnumerandobesteuerung. Nebst Gründen der Transparenz und Praktikabilität waren für die Statuierung der fakultativen Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung und dem anschliessend erfolgten Wechsel dazu auch Leistungsfähigkeitsbezüge massgebend684. Durch Darlegung, wie in diesem Zusammenhang die Leistungsfähigkeitsbezüge von Gesetzgeber, Doktrin und Praxisvertretern aufgefasst wurden, lässt sich grob umreissen, auf welche Weise eine Leistungsfähigkeitskonkretisierung hinsichtlich der zeitlichen Bemessung intendiert und auch vorgenommen wurde: Wesentliche Argumente waren, dass bei einer allfälligen Zwischenveranlagung unter dem Praenumerandosystem zum einen infolge Wechsels zur Gegenwartsbemessung ungleiche Steuervoraussetzungen geschaffen werden und zum anderen aufgrund der Bemessungslücke die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nur beschränkt Berücksichtigung findet685. Durch regelhaft vorgesehene Gegenwartsbemessung fällt demgegenüber beim Postnumerandosystem das Institut der Zwischenveranlagung weg. 682 683 684 685 Einkommensteuer laufend erhoben werden muss, um den öffentlichen Finanzbedarf zu decken. Das Periodizitätsprinzip ist, wie bereits oben angesprochen, ein technisch-budgetäres Prinzip, das den in einer Finanzperiode gegebenen Finanzbedarf zu sichern hat.“; sowie Klett, Gleichheitssatz, S. 117: „Aus dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz ergibt sich kein Zeitraum, der für die periodisch zu entrichtende Einkommensteuer sachlich am besten geeignet wäre.“ Siehe diesbzgl. bei den entsprechenden Stellen: Steuerobjekt und Steuergut, § 5 B. II., S. 93 f.; Berechnungsgrundlage, § 5 C., S. 97 ff.; hinsichtlich des progessiven Steuermasses, § 5 E., S. 150 ff. Vgl. Art. 15 f. StHG Locher, Gegenwartsbemessung, S. 207 ff.; vgl. auch Reich, zeitliche Bemessung, S. 327; Husy, S. 405 f.; Zuppinger/Böckli/Locher/Reich, S. 198; Richli, Gegenwarts- und Vergangenheitsbesteuerung, S. 115 f.; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 14 ff. Locher, Gegenwartsbemessung, S. 209, mit weiteren Verweisen u.a. auf Beer, S. 115 (siehe auch ders., S. 116); Zuppinger/Böckli/Locher/Reich, S. 203; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 15. 142 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Darüber hinaus wurde hervorgehoben, dass durch die zweijährige Praenumerandobesteuerung mit Vergangenheitsbemessung – vorbehaltlich einer Zwischenveranlagung – eine zwei- bis vierjährige Verzerrung zwischen Einkommenszugang und Steuerbelastung und somit auch eine zeitlich verzerrte Leistungsfähigkeitsanknüpfung gegeben ist686. Dahingegen ermöglicht die jährliche Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung eine zeitnahe Anknüpfung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit687. II. Relativierung des Periodizitätsprinzips in der Schweizer Rechtsordnung Die angeführten Grundsatzüberlegungen, die das Periodizitätsprinzip vornehmlich als technisch-budgetäres Prinzip erscheinen lassen, werden bei näherer Betrachtung der Schweizer Steuerrechtsordnung gestützt. Denn in letzterer deuten verschiedene Regelungen darauf hin, dass das Periodizitätsprinzip vor allem als technisch-budgetäres Prinzip verstanden wird, und es erfährt einige gewichtige Relativierungen. Darauf wird im Folgenden näher eingegangen. 1. Verlustvortrag, Sofortabschreibungen und Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge unselbständig Erwerbender Unter anderem bestehen die Möglichkeiten, die Geschäftsverluste auf mehrere Bemessungsperioden vorzutragen688 sowie die Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge unselbständig Erwerbender über mehrere Bemessungsperioden zu verteilen, falls die steuerliche Berücksichtigung im Anschaffungsjahr zu unsachgemässen Folgen führen würde689. Ebenfalls zu nennen ist die in bestimmten Kantonen erlaubte Sofortabschreibung690. Diese Möglichkeiten zeigen auf, dass Gesetzgeber und Gerichtspraxis 686 687 688 689 690 Richli, Gegenwarts- und Vergangenheitsbesteuerung, S. 123 f.; Locher, S. 208; Husy, S. 405. Reich, zeitliche Bemessung, S. 327; Locher, Gegenwartsbemessung, S. 208; Husy, S. 405. Art. 31 resp. Art. 211 DBG bzgl. selbständiger Erwerbstätigkeit und Art. 67 DBG bzgl. der Gewinnsteuer juristischer Personen (dazu u.a. Simonek, S. 518 ff.). BGE v. 24.3.1992, in: ASA 62, 403 (407); BGE v. 4.12.1987, in: ASA 59, 246 (249); Locher, DBG Kommentar, N 19 zu Art. 25. Reich/Züger, N 33 f. zu Art. 28, mit Hinweisen auf die respektiven kantonalen Regelungen und die z.T. abweichenden Umschreibungen der „sofortabschreibungsfähigen“ Wirtschaftsgüter; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 30 ff. zu Art. 28; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 26 zu Art. 127; vgl. auch Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 168. Kritisch Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 143 das Periodizitätsprinzip nicht als starre Vorgabe ansehen, sondern Durchbrechungen erfolgen691, um Harmonie bzw. praktische Konkordanz zwischen Periodizitätsprinzip und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen. Deutlich z.B. der folgende Passus aus einem Bundesgerichtsentscheid: “Mit dieser gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, Gewinne mit früheren Verlusten zu verrechnen, wird das im Steuerrecht geltende Periodizitätsprinzip durchbrochen, um bis zu einem gewissen Grad dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht zu werden.” 2. 692 AHV (1. Säule) Im Umfang der Beiträge, die nicht mehr rentenbildend sind und Steuercharakter aufweisen693, statuiert der Verfassungsgeber durch das Obligatorium auch für diesen Beitragsteil eine gewillkürte subjektive Einkommensbindung694, die aus Gründen des Leistungsfähigkeitsprinzips eigentlich nicht geboten ist. Insbesondere zumal die nicht rentenbildenden Beiträge nicht mehr an den Beitragspflichtigen zurückfliessen. Verknüpft mit der gewillkürten subjektiven Einkommensbindung wird entfernt auch das Periodizitätsprinzip tangiert. Dies begründet sich damit, dass die AHV-Beiträge gesamthaft, das heisst auch in jenem Umfang, dem Steuercharakter zukommt, vom steuerbaren Einkommenszufluss abgezogen werden können und erst in die Berechnungsgrundlage einfliessen, wenn sie später und bei anderen Steuerpflichtigen zur Auszahlung kommen. 691 692 693 694 Locher, DBG Kommentar, N 42 zu Art. 28, m.w.Nw., der die Verletzung des Periodizitätsprinzips durch die Sofortabschreibungen bemängelt, worauf Vallender/Wiederkehr, a.a.O., zu Recht mit dem Verweis auf den technisch-budgetären Charakter des Periodizitätsprinzips entgegnen. In diesem Zusammenhang ist noch anzufügen, dass die Sofortabschreibung eine Annäherung an die „investitionsbereinigte Besteuerung“ v.a. für Produktionsbetriebe bedeutet, bei reinvestierenden Handelsbetrieben und bei personalintensiven Betrieben wären hingegen für eine analoge Annäherung zusätzliche Regelungen erforderlich. Vgl. zum Unternehmungssteuerrecht auch Nold, S. 31. BGE v. 11.3.2003, in: StR 2003, 365. Oben, § 5 C. III. 1., S. 110. Zur subjektiven Einkommensbindung der AHV-Beiträge oben, § 5 C. III. 1., S. 111. 144 3. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Berufliche Vorsorge (2. Säule) Die wohl gewichtigste Relativierung des Periodizitätsprinzips liegt in der steuerlichen Behandlung der beruflichen Vorsorge. Wie oben aufgezeigt, gebietet das Leistungsfähigkeitsprinzip grundsätzlich keine Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für die berufliche Vorsorge695. Erst mit dem Obligatorium696 schafft der Gesetzgeber eine subjektive Einkommensbindung. Und erst aus dieser gewillkürten subjektiven Einkommensbindung resultiert, dass der steuerliche Abzug697 der obligatorisch zu leistenden Beiträge aus dem subjektiven Nettoprinzip folgt. Zudem werden durch den Gesetzgeber auch die überobligatorischen Beiträge zugunsten von Arbeitnehmern und die freiwilligen Beiträge unselbständig Erwerbender an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge für abzugsfähig erklärt698. Durch die verfassungsmässige Schaffung einer Einkommensbindung und die damit verbundene Abzugsfähigkeit der Beiträge sowie durch die Statuierung einer weitergehenden, allgemeinen Abzugsfähigkeit auch für freiwillige Beiträge nehmen Verfassungs- bzw. Gesetzgeber Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips vor. Der Gesetzgeber statuierte diese Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips, um der verfassungsmässig gebotenen Förderung der Vorsorge699 und dem damit verbundenen Ziel, die steuerliche Behandlung der zweiten Säule derjenigen der ersten Säule anzugleichen, nachzukommen700. Aus Leistungsfähigkeitsperspektive ist die zeitliche Verschiebung der Besteuerung vertretbar, da die Beiträge ihrer Natur nach ohnehin Gewinnungskosten darstellen701 und die Besteuerung erst bei Zufluss gewährleistet, dass nur insoweit besteuert wird, als tatsächlich Auszahlungen empfangen werden702. 695 696 697 698 699 700 701 702 § 5 C. III. 2., S. 114 f. § 5 C. III. 2., S. 115. Bzw. die Nichterfassung der Einzahlung der Arbeitgeberbeiträge bei der Einkommensbemessung des Begünstigten. Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG. Zu verweisen ist auf die im Parlament beschlossene Begrenzung des versicherbaren Jahreslohnes auf Fr. 759‘600.- (dazu oben, § 5 C. III. 2.3.2., S. 118; Referendumsfrist läuft am 22. Januar 2004 ab), was jedoch eine Begrenzung auf überaus hohem Niveau darstellt. Art. 111 Abs. 4 BV. Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 23 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 94; zum Steueraufschub auch Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 24 zu Art. 127. Vgl. oben, § 5 C. III. 2.3.1., S. 114, wobei es sich nach rechtlicher Sicht, zumindest nach Auffassung der Rechtsprechung, aber eben nicht um Gewinnungskosten handelt, siehe dazu § 5 C. III. 1., S. 111. Vgl. auch Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 35 f. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 145 Die steuerliche Behandlung der Beiträge und Auszahlungen aus der 2. Säule stellt quantitativ die bedeutendste Relativierung des Periodizitätsprinzips dar. Immerhin wurden z.B. allein 1998-2001 im Rahmen der beruflichen Vorsorge BVG-Beiträge und Kapitalerträge der beruflichen Vorsorge im Umfang von durchschnittlich Fr. 43.4 Mia. pro Jahr steueraufschiebend behandelt. Im Jahr 2001 betrug sodann das in der beruflichen Vorsorge angesparte und damit eine zeitlich verschobene Besteuerung erfahrende Gesamtkapital eindrückliche Fr. 455 Mia.703. 4. Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) Auch mit der betragsmässig limitierten Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für anerkannte Formen der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a)704 wird eine zeitliche Verschiebung der Besteuerung rechtlich verankert705. Wohl ist die quantitative Bedeutung der Abzüge im Rahmen der Säule 3a geringer als bei der 2. Säule706, jedoch unterstreicht es das Bild, wonach der Gesetzgeber das Periodizitätsprinzip nicht als zwingend anzuwendendes Grundprinzip betrachtet. 5. Zur „Gleichheit in der Zeit“ 5.1. Einzelne Stimmen in der deutschen Steuerwissenschaft Es sei noch darauf hingewiesen, dass in der deutschen Steuerwissenschaft vereinzelt Stimmen dafür halten, es sei von einer „Gleichheit in der Zeit“ auszugehen. Da sich bereits DORENKAMP ausführlich mit diesen Ansichten auseinandergesetzt und sie profund widerlegt hat707, erübrigt sich an dieser Stelle eine tiefer gehende Behandlung. Dies umso mehr, als mit Blick auf das Schweizer Steuerrecht ein Grundsatz der „Gleichheit in der Zeit“ weder in der Literatur noch in der Judikatur bekannt ist. Zu dieser Thematik daher nur kurz Nachstehendes: In Deutschland sind es namentlich REINER SCHICK und PAUL KIRCHHOF, die von einer „Gleichheit in der Zeit“ ausgehen. Gemäss SCHICK setzt sich die Gleichheit aus zwei 703 704 705 706 Zu den Zahlen oben, § 5 C. III. 2.2., S. 113 f. Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG. Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 24 zu Art. 127. Schon allein dadurch, dass die 2. Säule obligatorisch ist und der versicherbare Lohn bzw. der damit korrelierende steuerlich zulässige Abzug momentan nicht begrenzt ist bzw. die vorgesehene Limitierung auf hohem Niveau erfolgen soll (zur vorgesehenen Limitierung oben, § 5 C. III. 2.3.2., S. 118). 146 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Elementen zusammen, nämlich der Vergleichbarkeit in der Sache und der Vergleichbarkeit in der Zeit708. Aus letzterer fliesse, dass nur zeitlich abgeschlossene oder zumindest überschaubare Sachverhalte wertend miteinander in Beziehung gesetzt werden könnten und ausserdem der Vergleichszeitraum für alle Steuerpflichtigen identisch sein müsse (materiell-rechtlicher Gehalt des Periodizitätsprinzips)709. KIRCHHOF geht seinerseits davon aus, in Art. 3 Abs. 1 GG finde sich das Gebot einer gegenwartsgerechten Besteuerung verankert710. Danach soll „insbesondere der Einkommensteuerpflichtige mit seinem gegenwärtigen steuerpflichtigen Einkommen zur Deckung des gegenwärtigen staatlichen Finanzbedarfs“ beitragen711. 5.2. Entkräftigung durch DORENKAMP Zur SCHICKSCHEN Auffassung führt hingegen DORENKAMP unter anderem an, dass immer dann, „wenn die Vergleichbarkeit in der Sache die Vergleichbarkeit innerhalb zeitlich fixierter Perioden ausschliesst, dem sachangemessenen Vergleichsmassstab der Vorrang gegenüber der Überschaubarkeit des Vergleichszeitraums“ gebühre712. Eine Sachgesetzlichkeit des Abgabenrechts, die eine Splittung der Lebenszeit des Steuerpflichtigen in Besteuerungsabschnitte rechtfertigen könnte, ist aber gemäss DORENKAMP nicht ersichtlich713. Des Weiteren legt Dorenkamp mit Bezug auf die Ansicht von KIRCHHOF dar, es gebe keine haltbaren Gründe dafür, dass die traditionelle Abschnittsbesteuerung sämtlichen Gegenwartseinkommens vorgegeben sei. Demgemäss legt die budgetäre Notwendigkeit einer Abschnittsbesteuerung den Steuergesetzgeber nicht auf eine bestimmte periodische Berechnungsgrundlage fest714. Es ist Aufgabe des Steuersatzes, „den gegenwärtigen Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte mit einer sachangemessenen Bemessungsgrundlage abzustimmen.“715 Dies untermauert DORENKAMP mit dem Hinweis darauf, dass anderenfalls zum Beispiel das objektive und das subjektive Nettoprinzip zur Disposition des Gesetzgebers stünden, sobald 707 708 709 710 711 712 713 714 Dorenkamp, S. 85 ff. Zit. nach Dorenkamp, S. 85 Reiner Schick (Der Verlustrücktrag, 1976), zit. nach Dorenkamp, S. 85. Kirchhof, Karlsruher Entwurf, S. 9; ders. Widerspruchsfreiheit, S. 320; ders. Verfassungsstaat, S. 41; vgl. auch Dorenkamp, S. 87. Kirchhof, Widerspruchsfreiheit, S. 320; ders., Karlsruher Entwurf, S. 9; vgl. auch ders., EStG Kommentar, § 2 N 17; darüber hinaus ders., Grundlagen, S. 17 f.; vgl. auch Dorenkamp, S. 87. Dorenkamp, S. 86, m.w. Ausführungen auf S. 85 f. Dorenkamp, S. 86. Dorenkamp, S. 87. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 147 der Finanzbedarf der öffentlichen Hand genügend gross wäre716. Darüber hinaus räumt DORENKAMP mit TIPKE ein, dass „es noch nicht zwingend gegen die KIRCHHOFSCHE These von der ‚Gleichheit oder Gerechtigkeit in der Zeit‘ sprechen müsse, dass sie ihm bislang „weder in der inländischen noch in der ausländischen Fachliteratur begegnet“ sei717. Gewichtiger sei hingegen, dass auch in der Rechtsprechung des deutschen BverfG sowie des deutschen BFH keine Stützung für die Ansicht gewonnen werden kann, die Messung steuerlicher Leistungsfähigkeit sei auf einen Besteuerungsabschnitt zu begrenzen718. Vielmehr erkennen das BVerfG sowie der BFH einen „Wertungswiderspruch“ zwischen einer leistungsfähigkeitsorientierte Einkommensbesteuerung und dem steuerlichen Periodizitätsprinzip719. Demnach diene die Abschnittsbesteuerung allein der Rechtssicherheit720. 5.3. Weitere Anmerkungen mit Bezug auf das Schweizer Steuerrecht In der Schweizer Literatur und Rechtsprechung721 finden sich keine Anzeichen für einen Grundsatz der „Gleichheit in der Zeit“. Als allgemeine Rechtsgleichheitsvorgabe an den Gesetzgeber gilt, dass der Gesetzgeber keine rechtlichen Unterscheidungen treffen darf, für die ein vernünftiger oder sachlicher Grund in den zu regelnden Verhältnissen nach Regelungszweck nicht ersichtlich ist und er keine rechtlichen Differenzierungen unterlassen darf, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen722. Bei der Implementierung einer befristeten Sparbereinigung der Einkommensteuer und der damit verbundenen unterschiedlichen steuerlichen Behandlung des Einkommens je nachdem, ob es konsumiert oder gespart wird, besteht hingegen eine vernünftige und sachliche Grundlage zur Differenzierung: Der dem Steuerkonzept zugrunde liegende Gedanke erfordert eine entsprechende Differenzierung. Aber auch bei einer befristeten Sparbereinigung besitzt der zeitliche Aspekt weiterhin Relevanz. Nur wird von der engen, technisch-budgetären Abschnittsbesteuerung abgerückt zugunsten einer zeitlich 715 716 717 718 719 720 721 722 Dorenkamp, S. 87 f. Dorenkamp, S. 88. Tipke, Karlsruher Entwurf, S. 165; vgl. auch Dorenkamp, S. 88. Dorenkamp, S. 88. Dorenkamp, S. 89, m.Vw. auf BVerfGE, 1 BvR 313/88 v. 22.7.1991 und HFR 1992, 423 (424). Vgl. Dorenkamp, S. 89. Wie eben aufgezeigt wurde, findet sich auch in der deutschen Rechtsprechung keine Stütze für eine “Gleichheit in der Zeit”. BGE 125 I 173 (178); BGE 122 I 18 (25); BGE 119 Ia 123 (128); Schweizer, BV Kommentar, N 38 zu Art. 8; vgl. auch Häfelin/Müller, N 750 ff. 148 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit weiteren Betrachtung. Massgebend ist nunmehr eine den gesamten Lebenszeitraum des Steuerpflichtigen erfassende Spar- und Konsumbetrachtung. Durch die Lebenszeitbetrachtung wird der zeitliche Aspekt auf den Steuerpflichtigen hin ausgerichtet, was wiederum dem Gleichheitsanliegen dient, da dadurch unter den Steuerpflichtigen eine bessere Vergleichsbasis geschaffen wird. Mit Blick auf das Steuerrecht ist darüber hinaus hervorzuheben, dass die Rechtsgleichheit in der Rechtsprechung eine steuerspezifische Konkretisierung erfuhr. Wie bereits ausgeführt wurde, fliessen aus dem Rechtsgleichheitsgebot für das Steuerrecht insbesondere die in Art. 127 Abs. 2 BV verankerten Grundsätze der Allgemeinheit der Besteuerung und der gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit723. Als zentraler inhaltlicher Vergleichsmassstab kristallisiert sich dabei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit heraus724. An dieser ist die steuerliche Gleichheit auszurichten und zu messen. Aus dem Gesagten ergeben sich mit Bezug auf eine „Gleichheit in der Zeit“ insbesondere zwei Schlüsse: Zum einen gehört sie nicht zu den anerkannten allgemeinen steuerrechtlichen Ausprägungen des Gleichheitsgrundsatzes. Zum anderen gerät die „Gleichheit in der Zeit“ – zumindest, wenn sie eng als Forderung nach periodischer Besteuerung des zugeflossenen Einkommens verstanden wird – in Konflikt mit dem inhaltlichen Grundmassstab der Besteuerung, nämlich der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dieser Konflikt ist insbesondere regelmässig bei progressiver Besteuerung gegeben, wenn der Steuerpflichtige nur während eines kurzen Zeitraums ein sehr hohes Einkommen erzielt. Erfolgt eine traditionell-periodische Besteuerung, liegt bei Betrachtung seiner lebensbezogenen Leistungsfähigkeit eine zu hohe Besteuerung vor, die zudem eine Diskriminierung gegenüber Steuerpflichtigen bedeutet, die dasselbe Lebenseinkommen bei gleichmässigem Zufluss vereinnahmen und daher auch in eine tiefere Progressionsstufe fallen725. III. Wechsel zu einer befristeten Sparbereinigung Bei einer Sparbereinigung mit Steueraufschub erfolgt die Besteuerung weiterhin periodisch, jedoch erfährt das Periodizitätsprinzip, wonach das zugegangene Einkommen 723 724 725 Oben, § 2 B. II. 2. und 3., S. 33 ff. und S. 37 ff., m.w. Ausführungen sowie Judikatur- und Literaturverweisen. Oben, § 2 B. II. 3, S. 41, m.w. Ausführungen. Zur Verletzung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei Steuerprogression und traditionell-periodischer Bemessung unten, § 5 E. III., 4, S. 160. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 149 einer bestimmten Periode der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt wird, eine Durchbrechung durch die befristete Ausklammerung der netto gesparten726 Einkommensteile. Getreu der Ausgangsfragestellung ist dies im Lichte des Leistungsfähigkeitsprinzips und dessen Grundkonkretisierungen zu prüfen: Wie soeben ausgeführt, ist das Periodizitätsprinzip in erster Linie eine technisch-budgetäre Leitlinie. Es ist kein Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips und steht mitunter sogar in Widerspruch zu ihm727. In der Schweizer Steuerordnung kommt denn, wie dargelegt, auch zum Ausdruck, dass das Periodizitätsprinzip nicht als zwingendes Prinzip verstanden wird. Um die Besteuerung leistungsfähigkeitsorientiert auszugestalten und um die Vorsorge zur fördern, begrenzt der Gesetzgeber das Periodizitätsprinzip in bedeutendem Ausmass728. Dem Leistungsfähigkeitsprinzip kann somit keine Bindung an das Periodizitätsprinzip entnommen werden. Im Gegenteil durchbricht der Gesetzgeber teilweise das Periodizitätsprinzip, um die Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anzunähern. Vor diesem Hintergrund sind keine Leistungsfähigkeitskonkretisierungen im Bereich der zeitlichen bzw. periodischen Bemessung erkennbar, die einer befristeten Sparbereinigung entgegen stehen729. Bezogen auf die leistungsfähigkeitsgebundene Umsetzung des Steueraufschubs kann daran angelehnt werden, dass gemäss Vorstellungen des Gesetzgebers die Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung – gerade im Vergleich zur Praenumerandobesteuerung mit Vergangenheitsbemessung – eine Form der praktikablen periodischen Besteuerung darstellt, die unter anderem auch aus Leistungsfähigkeitsüberlegungen zu favorisieren ist. Diese das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisierende gesetzgeberische Wertung kann auch bei der skizzierten Sparbereinigung mit Steueraufschub übernommen und dementsprechend das Postnumerandosystem mit Gegenwarts726 727 728 729 Nettoersparnis = neu gebildete Ersparnis minus aufgelöste Ersparnis. Oben, § 5 D. II. 1., S. 142 f. Oben, § 5 D. II., S. 142 f.; vgl. auch Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 24 zu Art. 127, mit Hinweis auf die Konsumorientierung der geltenden Einkommensteuer. Vgl. auch BGE v. 11.3.2003, in: StR 2003, 365. Unbestritten ist, dass die befristete Sparbereinigung aus technisch-budgetären Gründen Fragen aufwirft. An dieser Stelle und in der vorliegenden Arbeit allgemein sollen jedoch vorrangig die rechtstheoretischen Aspekte einer Sparbereinigung behandelt werden. Auf die technisch-budgetären Fragen wird nachfolgend im dritten Teil übersichtsmässig eingegangen und es werden Lösungsansätze aufgezeigt. Anzumerken ist, dass die technisch-budgetären Aspekte nicht allzu schwer wiegen können. Immerhin ist die Sparbereinigung und der damit verbundene zeitliche Aufschub bereits weitgehend im Bereich des Vorsorgesparens verankert. Allein im Rahmen der 2. Säule erfuhren z.B. in den Jahren 1998-2001 durchschnittlich rund Fr. 43.4 Mia. pro Jahr eine steueraufschiebende Behandlung; § 5 C. III. 2.2., S. 113. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 150 bemessung implementiert werden730. Dadurch werden die Zwischenveranlagung und die damit verbundenen Leistungsfähigkeitsdefizite vermieden. Ob hingegen auch eine zeitnahe Anknüpfung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gegeben ist, bedarf näherer Betrachtung. Denn die befristete Ausklammerung der Ersparnisbildung führt mit sich, dass der Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in der entsprechenden Periode nur beschränkt Berücksichtigung findet. Dem kann entgegen gehalten werden, dass das steuerlich ausgenommene Einkommen jedoch in gespeicherter Form (Sparvermögen) erhalten bleibt und bei späterer Sparauflösung bzw. beim Austritt aus der Steuerpflicht immer noch bestehende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit darstellt731. Daher knüpft die in jener Bemessungsperiode erfolgende steuerliche Erfassung an aktuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen an. Wird dann ein Jahr nach der Bemessungsperiode, das heisst ein Jahr nach der steuerlich relevanten Auflösung, die Veranlagung vorgenommen, ist die zeitliche Nähe an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit grundsätzlich ebenso gewährleistet wie bei der herkömmlichen Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung ohne Steueraufschub. E. Steuerprogression Der Steuertarif vermag Wesentliches über die Leistungsfähigkeitsvorstellungen des Gesetzgebers auszusagen. Nachstehend wird daher näher auf die im Schweizer Einkommensteuerrecht verankerte Steuerprogression eingegangen732. 730 731 732 Das Praenumerandosystem mit Vergangenheitsbemessung fällt gemessen an Leistungsfähigkeitskriterien ohnehin ausser Betracht, da bei der Sparbereinigung mit Steueraufschub das interperiodisch mitunter stark schwankende Nettosparverhalten (z.B. bei Anschaffung von teuren Konsumgütern) zu berücksichtigen ist und die zugrundegelegte Fiktion der Einkommensidentität zwischen Bemessungsperiode und Steuerperiode zusätzliche Beeinträchtigung erfährt, die zeitliche Verzerrung dadurch noch weiter verstärkt wird und auch die Zwischenveranlagung mit ihren Nachteilen vermehrt angewendet werden müsste. Vgl. auch Dorenkamp, S. 84. Im Zusammenhang mit der Progression ist auch auf die indirekte Progression hinzuweisen, die entsteht, wenn Existenzminimumsabzüge von der Berechnungsgrundlage gewährt werden. Diesbzgl. ist auf unten, § 5 F., S. 163 ff., zu verweisen, wo auf die Frage der Behandlung des Existenzminimums im Schweizer Bundessteuerrecht eingegangen wird. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit I. 151 Gesetzeslage Bereits 1915, als der Bund733 erstmalig und befristet die Erhebung einer Vermögensund einer sog. Erwerbssteuer (Kriegssteuer) vorsah, wurde im ermächtigenden Verfassungsartikel (Art. 42bis Abs. 3 aBV) ausdrücklich die Steuerprogression angeordnet734. Gestützt darauf erfolgte im ausführenden Bundesbeschluss eine progressive Ausgestaltung der Steuersätze735. In der Begleitbotschaft des Bundesrates wurde die Steuerprogression nur kurz mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit Zunahme des steuerbaren Vermögens und Einkommens progressiv ansteige und daher eine leistungsfähigkeitsbezogene Steuer ebenfalls progressiv zu fassen sei736. Sinngemäss wurde somit die Theorie des sinkenden Grenznutzens zusätzlicher Einkommenseinheiten angeführt, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Finanzwissenschaft herausgebildet hat und ihren Niederschlag bald in zahlreichen Steuergesetzen Europas fand737. Konkret statuierte der Bundesbeschluss eine starke Progression, was in der Botschaft mit einer dogmatisch etwas verwirrenden Vermengung von leistungsfähigkeitsbezogenen und fiskalischen Motiven begründet wurde738. 733 734 735 736 737 738 Zur auch für den Bund Weg weisenden Entwicklung der Progression in den kantonalen Steuergesetzen siehe u.a. Klett, Progressive Einkommensteuer, S. 602 ff.; M. Huber, S. 5 ff. Vgl. zu dieser Vorlage Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 159. BB vom 15. April 1915, in: BBl 1915 II S. 1 ff. Zur nachfolgenden Eidgenössischen Volksabstimmung vom 6. Juni 1915, in: BBl 1915 III S. 31 ff. Bemerkenswert das Resultat der Volksabstimmung: 452’117 Ja-Stimmen gegen 27’461 Nein-Stimmen und Annahme durch alle Stände. Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 159: „Dass die Kriegssteuer den Grundsatz der progressiven (...) Steuersätze zur Anwendung zu bringen habe, bedarf, nachdem sich der Grundsatz der Progressivbesteuerung in allen modernen Steuersystemen Geltung verschafft hat, keiner einlässlichen Begründung. Er ist allein geeignet, den Gedanken der direkten Besteuerung der Personen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die eben mit der Zunahme des steuerbaren Vermögens progressiv zunimmt, zum richtigen Ausdruck zu bringen.“ Dieselben Begründungsansätze wurden regelmässig auch von den Kantonen bei der Etablierung der allgemeinen Einkommensteuer und ihrer progressiven Ausgestaltung herangezogen. Diese Entwicklung, die mehrheitlich nach 1915 einsetzte und bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts andauerte, findet sich in der Dissertation von Keck (Die Entwicklung zur allgemeinen Einkommensteuer in der Schweiz) ausführlich beschrieben. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund der Steuerprogression oben, § 3 C., S. 75 und S. 77. Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 159 f.: “Wenn aber auch (und das gilt wohl für die Schweiz ziemlich allgemein) der Grundsatz der progressiven Besteuerung Anerkennung erlangt hat, so werden immer Meinungsverschiedenheiten über die zahlenmässige Gestaltung des Grundsatzes bestehen; die Anschauungen über die zulässige Entlastung der schwächeren wirtschaftlichen Klassen und die zulässige Mehrbelastung der wohlhabenden Klassen durch das Mittel der progressiven (und degressiven) Gestaltung der Steuerskala werden schwerlich je übereinstimmen. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 152 In ihrer anschliessenden, bislang fast neun Jahrzehnte dauernden „konstanten Befristung“, die seit 1915 immer wieder verlängert739, aber die von Bundesversammlung und Bundesrat angestrebte Überführung in einen unbefristeten Zustand fünfmal in Abstimmungen abgelehnt wurde740, blieb die Einkommensteuer741 stets progressiv ausgestaltet742. Dabei behielt die Progression ihren anfänglichen steilen Zuschnitt grundsätzlich bei743. 739 740 741 742 743 Nach unsrem Vorschlag entwickelt sich der Progressivsatz bei der Vermögens-, wie bei der Erwerbsbesteuerung von niedern zu hohen Ansätzen und das Progressivprinzip kommt zu kräftigem Ausdruck. (...) Diese Steuersätze gehen sehr hoch, das sei ohne weiteres zugegeben. (...) ohne die Anwendung so hoher Sätze würde sie [die Kriegssteuer; Anm. des Zitierenden] den Ertrag nicht abwerfen, dessen der Bund bedarf, um das Gleichgewicht der Finanzen nicht in allzu starkes Schwanken kommen zu lassen. (...) Das Opfer, das unserer Bevölkerung, und namentlich den wohlhabenden Kreisen mit der Kriegssteuer zugemutet wird, ist also ein grösseres als das der Wehrsteuer für Deutschland.“ Vgl. dazu Blumenstein/Locher, S. 44 ff., u.a. auch mit Ausführungen und Literaturhinweisen zur teilweise erfolgten extrakonstitutionellen Steuerrechtsetzung. Zu letzterer auch: Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 426 ff. Blumenstein/Locher, S. 45 f. m.w.Nw. Während die Kriegssteuer von 1915 eine getrennte Besteuerung von Vermögens- und Erwerbsertrag vorsah, wurde erst mit der Krisenabgabe 1934 eine eigentliche allgemeine Einkommensteuer eingeführt; vgl. Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933), S. 197 ff. Vgl. Art. 214 DBG i.V.m. Art. 5 der Verordnung über den Ausgleich der Folgen der kalten Progression für die natürlichen Personen bei der direkten Bundessteuer. In der Verfassung findet sich die Progression seit der Finanzordnung 1971 nicht mehr vorgeschrieben (dazu auch Höhn/Vallender, N 106 zu Art. 41ter aBV). Das ist darauf zurückzuführen, dass Bundesrat und Bundesversammlung ursprünglich einen Verfasungsentwurf unterbreiteten, der dem Gesetzgeber Freiheit in der Tarifgestaltung eingeräumt hätte und diesbezüglich v.a. keine Höchstsätze mehr vorsah (Botschaft Änderung der Finanzordnung [1969], S. 749 ff.; vgl. auch Botschaft Weiterführung der Finanzordnung [1970], S. 1582 f.). Dieser finanzpolitische Vorstoss scheiterte aber 1970 am Ständemehr, und in der Folge wurden in der Finanzordung 1971 wieder Höchstsätze verankert, die Progression – mittlerweilen unumstrittener Bestandteil der direkten Bundessteuern – wurde aber nicht mehr explizit aufgenommen. Auf Ebene der Gewinnsteuer wurde die renditeabhängige Steuerprogression, die anerkanntermassen mit einer gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Widerspruch stand (vgl. u.a. Duss/Altorfer, DBG Kommentar, N 7 ff. zu Art. 68), per 1.1. 1998 aufgehoben und ein proportionaler Tarif verankert (Art. 68 DBG). Vgl. u.a. Grünblatt, S. 201 FN 170; Baumgartner, DGB Kommentar, N 14 zu Art. 36, mit Hinweis darauf, dass „bei der direkten Bundessteuer die Progression erst bei mittleren Einkommen zu wirken beginnt, um dann stark anzusteigen.“; Locher, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 36. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit II. 153 Rechtsprechung Wenn auch das Bundesgericht ausgeführt hat, „dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bürgers mit zunehmendem Einkommen vor allem in bestimmten höheren Einkommensschichten progressiv“ ansteige744, geht es nicht soweit, aus den verfassungsmässigen Steuergrundsätzen ein Gebot zur Steuerprogression oder gar eine bestimmte Tarifordnung abzuleiten. Vielmehr betont das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung745 zu kantonalen Steuerordnungen746, dass die Tarifgestaltung, insbesondere der Progressionsverlauf, von politischen Wertungen abhänge und der Verfassungsrichter daher Zurückhaltung üben müsse747. Das Bundesgericht räumt daher dem kantonalen Steuergesetzgeber weite Gestaltungsfreiheit ein, die es erst eingrenzen will, wenn sich die Tarifsetzung nicht auf sachliche Gründe stützen kann oder den Steuergrundsätzen klar widerspricht748. Mit konkretem Bezug auf die Steuerprogression ist der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu entnehmen, dass sie aus der Perspektive der Steuergrundsätze als grundsätzlich zulässig anerkannt wird749. Jedoch müssen drei Punkte zwingend beachtet werden: Erstens dürfen nicht einer kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit erheblich grössere Lasten auferlegt werden als der Masse der übrigen Steuerpflichtigen750. Zweitens muss die Progression horizontal gleich angewandt werden751. Und Drittens darf der Grenzsteuersatz in keinem Fall 100% übersteigen752. 744 745 746 747 748 749 750 751 752 BGE 99 Ia 638 (655); vgl. auch M. Huber, S. 127. Eine eingehende Darstellung der bundesrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit der Progression ist wiedergegeben bei M. Huber, S. 155 ff. Bei Steuergesetzen des Bundes greift das Anwendungsgebot von Art. 191 BV. Ausführlich dazu: BGE 110 Ia 7 (14) mit zahlreichen w.Nw.; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 18 zu Art. 127. Vgl. z.B. BGE 114 Ia 221 (223 f.); BGE 110 Ia 7 (14); vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 140. BGE 114 Ia 221 (225); BGE 110 Ia 7 (14 f.); BGE 104 Ia 285 (295); BGE 99 Ia 638 (653). Wahrung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Besteuerung; BGE 99 Ia 638 (653). BGE 110 Ia 7 (15); vgl. dazu auch M. Huber, S. 155 f. BGE 99 Ia 638 (656). In der Lehre wird hingegen die Auffassung vertreten, ein Grenzsteuersatz von 100% verstosse gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip: Höhn, Schranken, S. 241 ff.; auch ders., Aspekte, S. 228; M. Huber, S. 182 ff. und S. 188 ff. 154 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit III. Wissenschaftliche Aspekte hinsichtlich Steuerprogression 1. Begründungsschwierigkeiten Die grenznutzentheoretisch gestützte Argumentation, nach welcher das Leistungsfähigkeitsprinzip eine progressive Besteuerung bedinge, stiess von Anfang an auf Einwände und mitunter heftige Kritik. Bereits 1889 hob COHEN STUART753 hervor, ein abnehmender Grenznutzen zusätzlicher Einkommensteile dränge keineswegs generell eine progressive Besteuerung auf, um eine Gleichmässigkeit der Nutzeneinbussen bzw. der relativen Opfer der Steuerpflichtigen zu gewährleisten. COHEN STUART legte in diesem Zusammenhang dar, dass es auch Sachverhalte gebe, die trotz abnehmenden Grenznutzens eine proportionale oder sogar eine degressive Besteuerung erforderlich machten754. Darüber hinaus wird in der Literatur vorgebracht, es sei nur schwerlich oder eventuell überhaupt nicht möglich, den einkommensbezogenen Nutzenverlauf verlässlich zu messen, und die Gewinnung eindeutiger Daten zur Ausgestaltung einer progressiven Besteuerung würde daher faktisch verunmöglicht755. Zudem wird angeführt, das erste GOSSENSCHE Gesetz dürfe nicht unbesehen auf das Einkommen übertragen werden, da nach Raum und Zeit und auch von Individuum zu Individuum differenziert zu beurteilen sei, ob für alle Einkommensverwendungen einschliesslich Ersparnis ein „Sättigungsprozess“ und damit zusammenhängend ein abnehmender Grenznutzen unterstellt werden könne756. Anzumerken ist, dass die indirekte Progression, die entsteht, wenn Existenzminimumsabzüge von der Berechnungsgrundlage gewährt werden, von der allgemeinen Progressionskritik ausgenommen ist757. In Würdigung der oben angeführten Kritikpunkte wird in der deutschsprachigen zeitgenössischen Steuerwissenschaft anerkannt, dass sich der Tarifverlauf nicht wissenschaftlich ableiten lässt und dass keine eindeutigen „Beweise“ zugunsten einer grenznutzentheoretisch begründeten Steuerprogression existieren758. Damit fehlt auch das 753 754 755 756 757 758 Cohen Stuart, S. 48 ff. Cohen Stuart, S. 54 ff.; Haller, Bemerkungen, S. 36; Becker, S. 383; vgl. auch Blum/Kalven, S. 43. K. Schmidt, Opfer, S. 394 und 400 f.; eingehend Dittmann, S. 118 ff.; Pahlke, S. 48; vgl. auch Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 408. K. Schmidt, Steuerprogression, S. 19 ff.; ders., Opfer, S. 393. Zur Behandlung des Existenzminimums im Schweizer Bundessteuerrecht unten, § 5 F., S. 163. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 408; M. Huber, S. 153; Tipke/Lang, § 9 N 741; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 38 f.; Hensel, S. 53 f.; Morandi, S. 135; Senn, S. 181; vgl. auch Elicker, S. 11 ff.; Neumark, Grundsätze, S. 123 und S. 178 f.; Hirt, S. 80; vgl. für die USA u.a. Blum/Kalven, S. 56 ff. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 155 wissenschaftliche Fundament für die Forderung, gestützt auf das Leistungsfähigkeitsprinzip sei ein progressiver Tarifverlauf erforderlich. 2. Befürwortung in der herrschenden Lehre trotz wissenschaftlicher Begründungsdefizite 2.1. Gerechtigkeitsargumente Trotz Fehlens einer klaren wissenschaftlichen Unterlegung geht die Mehrheit der Rechtslehre in der Schweiz und in Deutschland davon aus, dass die Leistungsfähigkeit tendenziell mit zunehmendem Einkommen überproportional ansteige. Ein progressiver Tarif stelle demnach, wenn auch nicht stringent beweisbar, Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips dar und sei demgemäss aus Gerechtigkeitsgründen geboten759. Da der Progressionsverlauf nicht wissenschaftlich deduzierbar ist, liege es am Gesetzgeber, sein Werturteil und seine Einschätzung einzubringen und den Tarifverlauf festzulegen. Dabei wird dem Gesetzgeber ein erheblicher Gestaltungsfreiraum zuerkannt760. 2.2. Sozialpolitische Überlegungen In Deutschland wird die Progression auch losgelöst vom Leistungsfähigkeitsprinzip mit dem sozialpolitischen Ziel der Umverteilung begründet. Die deutsche Lehre geht davon aus, dass zur Verfolgung des in Art. 20 GG niedergelegten Sozialstaatsprinzips eine (beschränkte) Umverteilung zulässig sei und darin ein Rechtfertigungsgrund für die Steuerprogression liege761. 759 760 761 Neumark, Grundsätze, S. 124; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 56; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 14 f.; ders., Steuererhebungsprinzipien, S. 104; Klett, Gleichheitssatz, S. 139; M. Huber, S. 147 und 153; Morandi, Schranken, S. 135; Senn, Anerkannte Besteuerungsgrundsätze, S. 181; Herzog, S. 91. Gewichtig die abweichende Aussage von Tipke resp. Tipke/Lang, wonach die Progression nur ein Instrument der sozialen Umverteilung und nicht zwingender Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips sei: Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 403 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 741. Konkret Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 403: „Die Progressionsnorm ist Sozialzwecknorm. Durch die Progression und mit dem Grad der Progression wächst das Ausmass der Umverteilung. Das Leistungsfähigkeitsprinzip legt den Gesetzgeber nicht zwingend auf einen progressiven Steuertarif fest.“ Haller, Steuern, S. 113 ff.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 56 f.; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 105 f.; Klett, Gleichheitssatz, S. 139 f.; Grünblatt, S. 190; Morandi, S. 135; Senn, S. 182 f. Eingehend dazu Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 403 ff.; Jakob, § 1 N 15; Sommermann, GG Kommentar, N 102 zu Art. 20 Abs. 1 (bzgl. Umverteilung); Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG Kommentar, N 49 zu Art. 20 (bzgl. des Gebots sozialer Steuerpolitik); Gröschner, GG Kommentar, N 156 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Wohl ist auch der Schweizer Bundesstaat unbestrittenermassen ein sozialer Rechtsstaat762. Insbesondere die in Art. 41 BV ausdrücklich statuierten Sozialziele763 sowie die einzelnen direkt anspruchsbegründenden Sozialrechte764 machen dies deutlich765. Wie MEYER-BLASER/GÄCHTER ausführen, sind sodann die Kompetenznormen von zentraler Bedeutung, „welche die Grundlage für die klassischen Bereiche der Sozialgesetzgebung bilden (Wohnen, Arbeit, soziale Sicherheit und Gesundheit). Diese enthalten neben der Kompetenzzuweisung an den Bund oft auch konkrete Gesetzgebungsaufträge und programmatische Bestimmungen.“766 Der Sozialstaatsgedanke schlägt sodann auch in der Präambel der BV767 sowie in Art. 2 Abs. 3 des Zweckartikels durch768. Ebenfalls kommt er in den „Wohlfahrtsbestimmungen“ von Art. 2 Abs. 2 BV und Art. 94 Abs. 2 BV zum Tragen769. Fraglich ist nun, ob nach Schweizer Kompetenzordnung die bestehenden Verankerungen des Sozialstaatsgedankens in der BV eine hinreichende Grundlage für eine redistributorische Zielsetzung bieten. Gemäss herrschender Ansicht bedarf es im Schwei- 762 763 764 765 766 767 768 769 32 und N 37 ff. zu Art 20 (Sozialstaat); Haller, Steuern, S. 91 ff. und insb. S. 95 ff.; vgl. auch M. Huber, S. 65 f. und S. 57, m.Vw. u.a. auf Walz, S. 185; Neumark, Grundsätze, S. 189; Ossenbühl, S. 92 f. Auf geistesgeschichtliche Wurzeln (u.a. Adolph Wagner) der Umverteilung via Steuerprogression wurde bereits oben hingewiesen, § 3 C., S. 77. Für vertiefte Analysen zum Sozialstaatscharakter der Schweiz siehe: Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 1 ff. zu Art. 41; dies., Sozialziele und Sozialrechte, S. 497 ff.; Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 1 ff.; Uebersax, S. 3 ff.; vgl. auch J.P. Müller, Soziale Grundrechte. Zum Zauberwortcharakter des Begriffes „sozialer Rechtsstaat“: Druey, S. 131 Vgl. zu den Sozialzielen die Auflistung in Art. 41 BV. Eingehend Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 ff. zu Art. 41; Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 21 ff.; Botschaft VE 96, S. 197 ff. Zu den Sozialrechten zählen (vgl. Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 27 ff): Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV); Anspruch auf Grundschulunterricht (Art. 19 BV); bedingter Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV); Schutz der Kinder und Jugendlichen (Art. 11 BV). Vgl. weitergehend dazu Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 27 ff.; Bigler-Eggenberger, Sozialziele und Sozialrechte, S. 502 ff. und S. 515 ff.; Botschaft VE 96, S. 149 ff. und S. 182. Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 13 sprechen bzgl. der Sozialziele und den direkt anspruchsbegründenen Sozialrechten vom „Kern der Sozialverfassung“; vgl. auch Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 ff. zu Art. 41. Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 13. „...und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“; Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 17. „Sie [die schweizerische Eidgenossenschaft] sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern“ (Art. 2 Abs. 3 BV); Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 18; Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 zu Art. 41; Ehrenzeller, BV Kommentar, N 20 zu Art. 2. Eingehender Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 19 f.; Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 zu Art. 41 (mit Bezug auf Art. 2 Abs. 2 BV); Ehrenzeller, BV Kommentar, N 17 zu Art. 2; Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 94; Botschaft VE 96, S. 127. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 157 zer Recht für Fiskalsteuern, die auch ausserfiskalische Zielsetzungen verfolgen – und um eine solche Zielsetzung handelt es sich bei der sozialpolitisch motivierten Redistribution –, nebst der Steuererhebungskompetenz auch einer Sachkompetenzgrundlage auf Verfassungsebene770. Aus den angeführten Sozialstaatsverankerungen kann aber keine Sachkompetenz zur Redistribution gewonnen werden. Die Aussagekraft der einzelnen Sozialstaatsverankerungen würde überdehnt, wenn man aus ihnen eine entsprechende Kompetenz herauslesen möchte771. Ohnehin wäre, wie M. HUBER herausgestellt hat, aufgrund der Intensität des mit der Umverteilung verbundenen Eingriffs in Grundrechtspositionen – namentlich in die Eigentumsgarantie – eine klare Sachkompetenz für die Redistribution erforderlich772. Dem Ausgeführten zufolge entfällt für die Schweizer Rechtsordnung der sozialpolitische Begründungsansatz der Progression773 und es kann nur die oben ausgeführte Gerechtigkeitsvermutung herangezogen werden774. Anzufügen bleibt, dass Bund und Kantone umfangreiche Leistungsaufgaben erbringen in Verfolgung und Umsetzung der Sozialziele und durch die Gewährung direkt anspruchsbegründender Sozialrechte. Durch die Erbringung dieser sozialen Leistungsaufgaben auf Bundes- sowie Kantonsebene (wie z.B. Sicherung des Existenzminimums, Fürsorgewesen allgemein, Angebot von grundsätzlich unentgeltlichem Grundschulunterricht und kostengünstigem Mittel- und Hochschulunterricht mit Stipendiatsmöglichkeiten etc.) wird im Ergebnis auch eine Umverteilung bewirkt. Die Steuermittel werden aber in diesen Fällen nicht mit dem Ziel der blanken Güterumverteilung verwendet, sondern um soziale Leistungsaufgaben des Staates zu erfüllen, die einer ausdrücklichen Verfassungs- bzw. Gesetzesgrundlage entspringen. Dieser Konzeption der Umverteilung über ausdrücklich normierte Sozialstaatsaufgaben dürfte es materiell auch entsprechen, wenn in der Lehre in Anlehnung an NEUMARK775 zum Teil eine „gewisse“ Umverteilungskompetenz, gestützt auf das Rechtsgleichheitsgebot in 770 771 772 773 774 775 Zum Erfordernis der Sachkompetenz bei ausserfiskalischen Zwecksetzungen: Grünblatt, S. 48, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 23; M. Huber, S. 61; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 45. Vgl. auch M. Huber, S. 67 f. M. Huber, S. 68. M. Huber, S. 67 f.; vgl. auch Böckli, S. 8. A.M. anscheinend Senn, S. 189 f., jedoch ohne auf die Kompetenzfrage einzugehen und in Zitierung überwiegend deutscher Literatur. A.M. wohl Senn, S. 181. Neumark, Grundsätze, S. 124. 158 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seiner grundrechtlichen Ausrichtung der Chancengleichheit anerkannt wird776. Durch die Verfolgung der positiv-rechtlich niedergelegten Sozialstaatsziele und der Gewährung von Sozialrechten wird der Konkretisierung dieses Gebots zielgerichtet und mit hinreichender Sachkompetenz nachgekommen. 3. Problematik des weitgehenden gesetzgeberischen Progressionsfreiraumes Mit der in der herrschenden Lehre vertretenen Auffassung, die progressive Ausgestaltung der Steuerordnung sei ein vom Gesetzgeber zu fällender Wertungsentscheid, sind jedoch verschiedene Probleme verbunden: Ein relativ ungebundenes Progressionsabwägen des Gesetzgebers scheint aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklich, da Steuereingriffe schwer wiegen und gemäss jüngerer Lehre die Eigentumsgarantie in ihrer Ausgestaltung als Bestandesgarantie berühren777. Eine sachlich begründbare Ausgestaltung des Steuertarifs sollte daher Voraussetzung für Steuereingriffe sein. Die Einhaltung dieser Voraussetzung ist aber kaum anzunehmen, wenn sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Steuerprogression von Gefühlen778 und Werturteilen leiten lassen soll779. Darüber hinaus besteht bei Steuersatzfestlegungen durch demokratische Verfahren die Gefahr, dass zugunsten der Mehrheit die Minderheit diskriminierende Steuersätze festgelegt werden780. Wenn davon ausgegangen wird, dass Steuereingriffe die Eigentumsgarantie tangieren und auch berücksichtigt wird, dass die Progressionsbestimmung nicht belegbar ist und eventuell das Leistungsfähigkeitsprinzip verletzt, ist ge776 777 778 779 780 Klett, Gleichheitssatz, S. 140; Morandi, S. 135. Art. 2 Abs. 3 der neuen Bundesverfassung erhebt denn auch die Erzielung „möglichst grosser Chancengleichheit“ zum Staatszweck. D.h., die Eigentumsgarantie schützt vor Steuern nicht nur in ihrer Ausgestaltung als Institutsgarantie, sondern es wird davon ausgegangen, dass Steuern auch die Bestandesgarantie berühren und bei unzulässigen Steuereingriffen in die Bestandesgarantie letztere ebenfalls Schutz bietet. Vgl. dazu: Groth, S. 116 ff. und S. 149; Höhn, Schranken, S. 246; Morandi, S. 162; G. Müller, aBV Kommentar, N 7 zu Art. 22ter; Völlmin, S. 144 f.; Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 15 f.; ablehnend hingegen noch Hensel, S. 145. Von einer allgemeinen direkten Betroffenheit in der Eigentumsgarantie spricht auch Senn, S. 214. Dazu Haller, Diskussion, S. 469: „Sie [die Politiker; Anm. des Zitierenden] entscheiden gefühlsmässig, immer im Hinblick auf das Ziel des proportionalen Opfers, wie die Steuersätze ansteigen müssen, damit gleiche relative Lasten zustande kommen.“ Siehe oben, § 5 E. III. 2.1., S. 155 inkl. FN 760. Um es zu verdeutlichen: Der Kritikpunkt ist nicht, dass die Entscheidung für das Leistungsfähigkeitsprinzip auf Werturteilen beruht, sondern dass die Bestimmung, inwiefern die Steuerprogression dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspricht, nicht sachlich begründet werden kann und auf Werturteile zurückgegriffen wird. Vgl. auch Hayek, S. 513. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 159 gen die Mehrheitsbestimmung der Progression anzuführen: Grundrechte – vorliegend die Eigentumsgarantie und das Gleichheitsgebot in der Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips781 – haben die Funktion, elementare Freiheitspositionen vor Mehrheitsentscheidungen zu schützen782 und demzufolge bedarf die steuerliche Höherbelastung von Minderheiten einer sachlichen Grundlage. 4. Weitere Kritikpunkte Die Progression zieht auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive Kritik auf sich. Es wird angeführt, sie sei leistungshemmend, damit verbunden auch produktivitätssenkend und führe zu einer Kapitalflucht783. Ebenfalls ist – nebst der hinlänglich bekannten und durch den Gesetzgeber teilweise abgeschwächten nominalen kalten Progression784 – das Problem der realen kalten Progression zu beachten785. Dabei führt nicht eine individuumspezifische Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu einem höheren Steuertarif, sondern infolge eines Wachstums der gesamten Volkswirtschaft gelangen die Steuerpflichtigen auf allgemeiner Basis in höhere Progressionsstufen786. Dadurch rücken wirtschaftlich leistungsschwächere Kreise, die der Gesetzgeber ihren wirtschaftlichen Verhältnissen angemessen mit einem tieferen Steuersatz bedachte, in merklich höhere Progressionsstufen. Die Spitzenverdiener befinden sich hingegen bereits in oberen Progressionsstufen und werden durch eine weitere Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steuerlich nur wenig stärker belastet, da der Steuertarif am oberen Ende nur noch gering progressiv bzw. ab einer bestimmten Stufe nur noch proportional anwächst787. 781 782 783 784 785 786 787 Wobei das Leistungsfähigkeitsprinzip an sich – wie die verfassungsmässigen Besteuerungsgrundsätze nach Art. 127 Abs. 2 BV allgemein – in der Rechtsprechung nicht als selbständiges Grundrecht bezeichnet wird. Hingegen stellt es in seinem Rechtscharakter unumstritten eine verfestigte Grundrechtsposition dar; siehe dazu bereits oben, § 2 B., II. 1., S. 30. Hauser/Vallender, S. 10; Hüglin, S. 296 f.; Joos, S. 489. Hayek, S. 508 ff.; Gray, S. 101 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 741. Vgl. z.B. Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 114 zu Art. 41ter; Völlmin, S. 43 ff. mit zahlreichen w.Nw. Dazu Ursprung/Wettstein, S. 1 ff. Ursprung/Wettstein belegen in einer volkswirtschaftlichen Studie, dass das starke Anwachsen der Steuerquote während den letzten Jahrzehnten wesentlich durch den Effekt der realen kalten Progression mitverursacht wurde; Ursprung/Wettstein, S. 2 ff. Art. 214 DBG; siehe auch Völlmin, S. 44; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 15 zu Art. 214. 160 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Ein weiterer Problempunkt der progressiven Besteuerung ergibt sich in Verbindung mit der periodisch begrenzten Bemessung788. In der Literatur wurde dieser Punkt bereits vor einigen Jahrzehnten „entdeckt“789 und erfuhr zwischenzeitlich intensivste Behandlung. Es geht darum, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip bei progressiver Einkommensbesteuerung gebietet, interperiodisch schwankende Einkommen, wie sie namentlich bei temporären Spitzenverdienern in Extremform vorkommen können790, zur Berechnung der Steuerlast Mittelwerte zu verwenden bzw. „auszumitteln“. Erst wenn der Steuerberechnung ein interperiodisch ausgemitteltes Einkommen zugrunde gelegt wird, greift eine gleichmässige Besteuerung des Lebenseinkommens791. Entsprechende Bestimmungen sind im DBG grundsätzlich nicht enthalten. Nur mit der Verlustverrechnung im Bereich des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit (Art. 31 bzw. Art. 211 DBG) ist eine Art von Ausmittlungsmechanismus vorgesehen, der jedoch im Hinblick auf die Ausmittlung des Lebenseinkommens dreifach begrenzt ist. Erstens werden zeitlich maximal acht Jahre erfasst, was den vollen Ausgleich verschiedener Lebensabschnitte in der Regel ausschliesst. Zweitens ist eine Verrechnung von stark schwankenden positiven Geschäftsjahren nicht möglich, und drittens gilt die Verrechnungsregelung nicht für Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit. IV. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung Trotz der Zweifel, welche die Steuerprogression aufkommen lässt, ist sie fest im Schweizer Steuerrecht verankert und wird von der Mehrheit der Lehre als nicht direkt belegbarer Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips gestützt. Demzufolge steht eine Abkehr von der Steuerprogression nicht zur Diskussion, wenn die allfällige Umge788 789 790 791 Zum Periodizitätsprinzip oben, § 5 D., S. 140 ff. Gundlegend die 1947 erschienene Ph.D. thesis „Agenda for progressive taxation“ von William Vickrey, S. 164 ff. Z.B. bei kommerziell erfolgreichen Musikern, Künstlern oder Sportlern. Oft erzielen sie in bestimmten Lebensphasen überdurchschnittlich hohes Einkommen. Siehe auch Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 668 ff. und Lang, Bemessungsgrundlage, S. 187. Vickrey, S. 164 ff., zeigt die Problematik auf und bietet „averaging“-Verfahren als Lösungsansätze, vgl. auch die „averaging“-Untersuchung von Hackmann, Lebenseinkommen; zur Besteuerung des Lebenseinkommens auch Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 502 und ders., Steuerrechtsordnung II, S. 668 ff.; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 44: „Das Periodizitätsprinzip ist kein Wertungsprinzip, sondern ein technisches Prinzip, das die ideale Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einschränkt, denn steuerliche Leistungsfähigkeit müsste idealiter nach dem Lebenseinkommen bemessen werden.“; siehe auch Dorenkamp, S. 82. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 161 staltung der Steuerordnung in Richtung befristete Sparbereinigung an den sich in den bestehenden Steuernormen manifestierenden Grundvorstellungen über Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird. Ein progressiver Steuertarif lässt sich sodann auch bei einer befristeten Sparbereinigung implementieren. Bei einem Wechsel zur befristeten Sparbereinigung mit Übernahme der Steuerprogression ist insbesondere auf zwei Punkte im Zusammenhang mit der beschriebenen interperiodisch verzerrten Abbildung der Leistungsfähigkeit einzugehen: 1. Besteuerung während der Steuerpflicht Die aufgezeigte Problematik bei starken interperiodischen Einkommensschwankungen wird durch einen Wechsel zur befristeten Sparbereinigung tendenziell gemindert: Es ist davon auszugehen, dass bei Steuerpflichtigen mit starken Einkommensschwankungen das Konsumverhalten konstanter ist als der Einkommenszufluss792. Darüber hinaus werden die Steuerpflichtigen allgemein, auch solche mit geringeren Einkommensschwankungen, versuchen, ein konstantes Konsummuster zu gestalten. Das kann erfolgen durch Konsumplanung sowie durch Vermeidung von hohen Einmalzahlungen. Letztere können vor allem vermieden werden durch Ratenzahlungen oder Leasinggeschäfte. Somit wird grundsätzlich das bei Steuerprogression auftretende „Periodizitätsproblem“ bei einem Wechsel zur befristeten Sparbereinigung entschärft und die Besteuerung liegt näher bei einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung des Lebenseinkommens. Was allerdings die steuerlich motivierte Konsumgestaltung zur Erreichung eines konstanten Konsummusters anbelangt, ist anzufügen, dass dies letztlich eine (periodische) Verzerrung des Konsumverhaltens darstellt und excess burdens793 zur Folge hat. Daher fragt es sich, ob nicht der Steuertarif so ausgestaltet werden kann, dass zumindest die Anschaffung von grösseren „gewöhnlichen“ Konsumgütern nicht zum Aufrücken in eine höhere Progressionsstufe führt. Als Möglichkeiten bieten sich zum Beispiel eine lange Proportionalzone794 oder eine lange Niederprogressionszone, in welchen der Anschaffung gewöhnlicher Konsumgüter weitestgehend Raum zukommt. Ab 792 793 Konkret weiss z.B. ein Tennisstar, dass sein hohes Einkommen nur für eine kurze Zeit währt, und er wird i.d.R. Ansparungen vornehmen, um späteren Konsum daraus zu decken. Dazu auch oben, § 2 B. II. 4., S. 41. 162 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einem bestimmten Betrag, ab dem offensichtlich Luxusbedarf gedeckt wird, könnte dann die Progression stärker greifen795. 2. Besteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht Bei der befristeten Sparbereinigung greift eine Besteuerung des angesparten Einkommens bei Austritt aus der Steuerpflicht. Zur Besteuerung dieses Austrittsvermögens kann jedoch offensichtlich nicht der reguläre Steuertarif angewandt werden. Da es sich um Vermögen handelt, das unter Umständen über mehrere Jahre oder Jahrzehnte angespart wurde, würde das Austrittsvermögen mit einem hohen Progressionssatz besteuert, der in keiner Weise dem Lebenseinkommen Rechnung trägt. Die Besteuerung käme daher in Konflikt mit der gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Aus diesem Grund ist eine Differenzierung zu schaffen zwischen der periodischen Besteuerung während der Steuerpflicht und der einmaligen Besteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht. Bei der Suche nach einer Lösung kann an bereits bestehende sachverwandte Regelungen angeknüpft werden. Denn namentlich im Bereich der Kapitalabfindungen und Kapitalleistungen hat der Gesetzgeber Sonderregelungen für aperiodisch zufliessende Einkommen verankert. Um einer aus Leistungsfähigkeitsgründen nicht gerechtfertigten Progressionsverschärfung entgegen zu wirken, statuieren Art. 37 DBG (bzgl. Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen) und Art. 38 DBG (bzgl. Kapitalleistungen aus Vorsorge) eine niedrigere Besteuerung als es der Regulärtarif vorsehen würde. Konkret ist als Vorgabe für die Besteuerung des Austrittsvermögens von Art. 37 DBG abzusehen, da dieser Artikel Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen betrifft und eine Rentensatzberechnung Anwendung findet. Näher liegt Art. 38 DBG, wobei eventuell eine Modifikation erforderlich wäre: Es ist fraglich, ob der Tarif (1/5 des regulären Tarifs; Art. 38 Abs. 2 DBG) übernommen werden kann. Immerhin wollte der Gesetzgeber mit dem Tarif von Art. 38 DBG bewusst einen niedrigen 794 795 Vgl. Entwurf Lang, N 540, wo eine lange Proportionalzone vorgeschlagen wird; vgl. auch § 103 Abs. 1 Entwurf Lang. Steuerpflichtige mit hohem Einkommen, die einen ihrem hohen Einkommen entsprechenden, aufwendigen Lebenswandel führen, können dann durch Konsumgestaltung zwar einen interperiodischen Ausgleich anpeilen, fallen aber infolge allgemein höheren Konsumniveaus dennoch in eine höhere Progressionszone als Steuerpflichtige mit „gewöhnlichem“ Konsum. Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 163 Tarif verankern, da es sich um Vorsorgeleistungen handelt796. Auf diese Tariffrage muss hier aber nicht weiter eingegangen werden, vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, bei einem allfälligen Wechsel zur befristeten Sparbereinigung den (reduzierten) Tarif für das Austrittsvermögen festzusetzen. Beibehalten werden kann jedoch grundsätzlich Abs. 3 von Art. 38 DBG, der bestimmt, dass die Sozialabzüge nicht gewährt werden. Da bei Tod oder Wegzug nebst der Besteuerung des Austrittsvermögens auch noch eine anteilsmässige reguläre Besteuerung bezüglich der letzten Steuerperiode (Rumpfsteuerjahr) vorzunehmen ist797, werden die Sozialabzüge dadurch entsprechend berücksichtigt. F. Steuerliche Behandlung des Existenzminimums I. Keine generelle Freistellung des Existenzminimums Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fordert die Berücksichtigung der persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Daraus folgt auch das Gebot, die zur Deckung des Existenzminimums erforderlichen Mittel von der Besteuerung auszunehmen. Erst das Einkommen, das nach Dec??kung des notwendigsten Lebensbedarfs des Steuerpflichtigen und weiterer von ihm unterhaltener Personen übrig bleibt, indiziert subjektive Leistungsfähigkeit798. Da durch die weiter oben dargestellten anorganischen Abzüge und die Sozialabzüge lediglich ein beschränkter Teil der Existenzminimumskosten berücksichtigt wird, ist die Freigrenze nach Art. 214 Abs. 1 DBG eine Ergänzung in Anstrebung der verfassungsmässig gebotenen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das Instrument der Freigrenze und der konkrete Betrag799 nicht genügen, um das Existenzminimum tatsächlich steuerlich auszusparen, vor allem in Anbetracht dessen, dass das betreibungsrechtlich geschützte Existenzminimum erheblich darüber liegt800, 801. Dabei ist aber hervor zu heben, dass 796 797 798 799 800 Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 177; Baumgartner, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 38 m.w. Ausführungen; Locher, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 38. Ansonsten würden die Einkommensverwendungen dieses Rumpfsteuerjahrs nicht erfasst, da sie im Austrittsvermögen nicht aufscheinen. Klett, Gleichheitssatz, S. 133 ff.; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 13; Senn, S. 176 f.; M. Huber, S. 178 ff.; Höhn, Schranken, S. 249. Fr. 12‘800.- (Stand 2003). Das betreibungsrechtlich geschützte Existenzminimum wird in praktisch allen Kantonen anhand der Richtlinien der SKOS (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe) ermittelt in Anpassung auf die Lebenshaltungskosten der einzelnen Kantone. Daran orientiert sich in der Regel auch die 164 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit das Problem bei den kantonalen Steuer- resp. Tarifordnungen schwerer wiegt als bei der relativ weniger belastenden direkten Bundessteuer. Da bislang die Steuergesetze einem steuerlichen Eingriff in das Existenzminimum nicht entgegenstehen, lag es an der Rechtsprechung, näher zu präzisieren, wie das Existenzminimum zu behandeln ist. Von grundsätzlicher Bedeutung ist dabei BGE 122 I 101, der nachstehend kurz referiert wird. II. BGE 122 I 101; Vollstreckungsschutz In BGE 122 I 101 hat das Bundesgericht mit Bezug auf Kantons- und Gemeindesteuern zur Frage Stellung genommen, ob verfassungsrechtlich das Existenzminimum von vornherein steuerlich freigestellt werden müsse und der kantonale Gesetzgeber dementsprechend verpflichtet sei, einen Betrag in der Höhe eines bestimmten Existenzminimums von der Bemessungsgrundlage auszunehmen. In diesem Urteil, das in seinem Grundsatzgehalt auch für den eidgenössischen Gesetzgeber relevant ist, führte das Bundesgericht aus, dass dem kantonalen Gesetzgeber bei der Konkretisierung der Steuergrundsätze eine erhebliche Freiheit zustehe802 und ein genereller, einheitlich festgelegter Abzug für das Existenzminimum sogar seinerseits mit dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz in Konflikt treten könne, wenn zum Beispiel der Steuerpflichtige grosses Vermögen besitze oder bedeutende steuerfreie Kapitalgewinne auf Privatvermögen vereinnahme803. Ausserdem äusserte das Bundesgericht, eine Freistellung des Existenzminimums stosse sich unter Umständen auch am Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung, da aus jenem zu folgern sei, „dass alle Einwohner entsprechend ihrer 801 802 803 Rechtsprechung. Konkret beträgt nach den SKOS-Richtlinien der Grundbedarf I (ohne Wohnungskosten) für den Lebensunterhalt ab 2003 Fr. 1‘030.-. für eine Person. Zu addieren ist der Wohnungsmietzins (bei Wohneigentum der Hypothekarzins), soweit dieser im ortsüblichen Rahmen liegt. Ebenfalls zu addieren sind die vertraglich vereinbarten Nebenkosten. Internet-Quelle: www.skos.ch/deutsch/skos_richtlinien (Stand 12.12. 2003). Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 13, inkl. FN 37; Senn, S. 173. BGE 122 I 101 (105). BGE 122 I 101 (105): „(...) in manchen Fällen, zum Beispiel bei Steuerpflichtigen mit stark schwankenden Einkommen, mit grossen Vermögen und relativ geringem Einkommen oder mit erheblichen steuerfreien Vermögenszugängen (etwa aus Vermögensgewinnen auf Privatvermögen) könnte eine solche Befreiung dazu führen, dass Einkommensbestandteile steuerbefreit würden, obwohl wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gegeben wäre.“ Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit 165 finanziellen Leistungsfähigkeit einen – wenn auch unter Umständen bloss symbolischen – Beitrag an die staatlichen Lasten zu leisten haben.“804 Gestützt auf diese Erwägungen gelangte das Bundesgericht zu dem Schluss, aus den Besteuerungsgrundsätzen könne nicht abgeleitet werden, der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich verpflichtet, das Existenzminimum von vornherein steuerfrei zu belassen805. Das Bundesgericht legte weiter dar, einzig aufgrund des verfassungsmässigen Rechts auf Existenzsicherung (mittlerweilen in Art. 12 BV normiert, damals noch ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht) könne verlangt werden, dass durch eine staatliche Abgabenforderung nicht effektiv in das Existenzminimum eingegriffen werde806. Das bedeutet, dass bei Steuerpflichtigen, die am oder unter dem Existenzminimum leben, wohl eine Steuerrechung ausgestellt werden kann, diese aber nicht vollstreckt werden darf. 804 805 806 BGE 122 I 101 (104); Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 13 verweist diesbezüglich auf Gygi, S. 566 und Neumark, Grundsätze gerechter und rationaler Steuerpolitik, S. 80 und 126, die sich ebenfalls gegen die generelle Freistellung des Existenzminimums wenden und den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung begründend anführen. BGE 122 I 101 (104). BGE 122 I 101 (105); ebenda, S. 104: “Das Bundesgericht hat kürzlich entschieden, dass die Bundesverfassung ein ungeschriebenes Recht auf Existenzsicherung enthält (BGE 121 I 367 E. 2 S. 370 ff.). Wenn schon ein Recht auf eine positive staatliche Leistung anerkannt wird, dann mag es folgerichtig scheinen, auch ein entsprechendes Abwehrrecht anzuerkennen gegenüber staatlichen Eingriffen in die zur Deckung der elementaren Lebensbedürfnisse unabdingbaren finanziellen Mittel, da es widersprüchlich wäre, einerseits den Staat zu verpflichten, einem Bedürftigen die zur Existenzsicherung notwendigen Mittel zu gewähren, ihm andererseits die Möglichkeit zu geben, in die gleichen Mittel wieder abgaberechtlich einzugreifen.“ 166 Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit III. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung Hinsichtlich Freistellung des Existenzminimums ist die aktuelle Lösung des Bundesgesetzgebers (Freigrenze) und die bundesgerichtliche Rechtsprechung (Schutz des Existenzminimums vor Zwangsvollstreckungen von Steuerforderungen) massgebend. Ein Wechsel zur befristeten Sparbereinigung lässt sich ohne ersichtliche Probleme mit diesen Rahmenbedingungen vereinbaren: Die Freigrenzen können übernommen und der Vollstreckungsschutz kann weiterhin auf individueller Basis gewährt werden. Sollte sich der Gesetzgeber zukünftig für eine generelle Ausnahme des Existenzminimums von der Berechnungsgrundlage entscheiden, wäre eine befristete Sparbereinigung ebenfalls ohne Probleme mit diesem Ansatz in Einklang zu bringen. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 167 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung § 6 Einbettung in die internationale und nationale Steuerordnung A. Internationaler Kontext Bislang wurde die Sparbereinigung aus nationaler Perspektive untersucht. Die Fragestellung war, inwiefern eine Sparbereinigung mit den schweizerischen verfassungsmässigen Vorgaben vereinbar ist. Dabei stellte die Vereinbarkeit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dessen Konkretisierungen im Schweizer Steuerrecht die Kernfrage dar. Durch dieses „autonome“ Vorgehen, das heisst durch die Konzentration auf das nationale Recht, war es möglich, eine dem Schweizer Recht adäquate Antwort bzw. Lösung zu finden. Konkret ergab sich, dass die befristete Sparbereinigung eine Form der Sparbereinigung darstellt, die mit den verfassungsmässigen Vorgaben vereinbar ist. In einem nächsten Schritt ist die Fragestellung nun über die nationalen Grenzen hinaus auszudehnen, und es sind die Einbettungen in den internationalen Kontext zu berücksichtigen. Somit ist zu fragen, wie die befristete Sparbereinigung aus internationaler Perspektive zu beurteilen ist. In diesem Zusammenhang werden nachstehend vier Aspekte behandelt: I. II. III. IV. Persönlicher Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung Frage der Vereinbarkeit mit den DBAs Eventuelle innerstaatliche Massnahmen zur Umsetzung Wegzugsbesteuerung Auf die Sicherung der Steuerforderung, der offensichtlich auch erhebliche Bedeutung zukommt, wenn vom internationalen Kontext die Rede ist – zu denken ist an das Verlassen der Schweiz ohne vorherige Abrechnung über die aufgeschobenen Steuern und 168 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung deren Sicherung durch die Steuerbehörden807 – wird aus allgemeiner Warte unter „Steuersicherung“ weiter eingegangen808. I. Persönlicher Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung 1. Natürliche Personen mit unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht in der Schweiz Es wird in dieser Arbeit eine weitgehende Anwendung der befristeten Sparbereinigung vorgeschlagen. Unbeschränkt809 sowie auch beschränkt810 in der Schweiz steuerpflichtige natürliche Personen811 sollen in den Anwendungsbereich fallen. 1.1. Praktikabilitätsgründe gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf beschränkt Steuerpflichtige Mit Blick auf die Erfassung auch der beschränkt Steuerpflichtigen ist anzumerken, dass bestimmte Praktikabilitätsgründe dagegen sprechen: So ist es zum Beispiel in diesen Fällen nicht möglich, eine umfassende Übersicht über die Ersparnisbildung zu erhalten und diese entsprechend zu berücksichtigen. Zudem kann es Systemfriktionen geben, wenn in der Schweiz das aus beschränkter Steuerpflicht zugeflossene Einkommen infolge Ersparnisbildung steueraufschiebend behandelt wird mit der Konsequenz, dass während der Dauer der Ersparnishaltung keine Steuerrechnung dafür ausgestellt wird, in den ausländischen Staaten hingegen, die dem herkömmlichen periodischen Einkommensteuersystem folgen, eine Steueranrechnung Anwendung findet, bei welcher die aufgeschobene, noch nicht bezahlte Steuer nicht in Anrechnung gebracht werden kann. 807 808 809 810 811 Steuerflucht unter Verschiebung des Vermögens ins Ausland, so dass der Begleichung der aufgeschobenen Steuerlast entgangen wird. Unten, § 7 B. IV. 2., S. 218. Art. 6 Abs. 1 DBG i.V.m. Art. 3 DBG; unbeschränkte Steuerpflicht begründet sich durch persönliche Zugehörigkeit. Art. 6 Abs. 2 DBG i.V.m. Art. 4 f. DBG; beschränkte Steuerpflicht begründet sich durch „lediglich“ wirtschaftliche Zugehörigkeit. Juristische Personen werden in dieser Arbeit, was bereits zu Beginn dargelegt wurde, nicht weiter behandelt. Dies folgt aus der Beschränkung der Untersuchung auf die Sparbereinigung der Einkommensteuer. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 1.2. 169 Gleichbehandlungsgründe für die Ausdehnung auch auf beschränkt Steuerpflichtige 1.2.1. Ausgangsbeispiel Auf der anderen Seite sprechen gewichtige Gleichbehandlungsgründe für die Ausdehnung der befristeten Sparbereinigung auch auf beschränkt in der Schweiz steuerpflichtige natürliche Personen. Dies kann anhand eines Beispiels veranschaulicht werden: Zwei Physiotherapeuten812, A und B, arbeiten je mit eigener Praxis als selbständig Erwerbstätige im Kurort Heiden (Kanton Appenzell A.Rh.). A hat steuerrechtlichen Wohnsitz in Heiden und ist in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig813. B wohnt hingegen eine halbe Autostunde von Heiden entfernt in Österreich und hat weder steuerrechtlichen Wohnsitz noch Aufenthalt in Heiden. Er begründet durch die Physiotherapie-Praxis (Geschäftsbetrieb) lediglich eine beschränkte Steuerpflicht814. Es wird darüber hinaus angenommen, dass die Physiotherapie-Praxis die hauptsächliche Einnahmequelle von B darstellt. Bei Anwendung der befristeten Sparbereinigung nur auf unbeschränkt Steuerpflichtige erfährt A eine spürbare steuerliche Begünstigung: Bildet A Ersparnisse aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen, erhält er einen Steueraufschub, inkl. der beschränkten Zinsausnahme. Die beschränkte Zinsausnahme führt mit sich, dass sich das Spar- bzw. Investitionsvermögen von A deutlich besser entwic??kelt815. B wird somit schlechter behandelt, indem er vom Einkommen, das er aus derselben Tätigkeit und am selben Ort wie A erzielt, keine Sparabzüge geltend machen kann. Deutlich drückt sich die Schlechterstellung von B insbesondere aus, wenn A das Einkommen in die Physiotherapie-Praxis reinvestiert und einen entsprechenden Sparabzug geltend machen kann816. A hat dann infolge der beschränkten Zinsausnahme Investitionsvorteile, die seine Wettbewerbsstellung gegenüber B erheblich stärken. 812 813 814 815 816 In offensichtlicher Anlehnung an den EuGH-Fall Wielockx v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94, in dem der Steuerpflichtige (Wielockx) belgischer Staatsbürger war und in Belgien wohnte, hingegen in den Niederlanden Partner in einer Physiotherapie-Gemeinschaftspraxis war. Wielockx bezog sein gesamtes Einkommen aus der Tätigkeit in der niederländischen Physiotherapie-Praxis und war dafür in den Niederlanden steuerpflichtig. Art. 3 Abs. 1 und 2 DBG. Art. 4 Abs. 1 lit. a DBG. Zu den stark einschenkenden Vorteilen der beschränkten Zinsausnahme: Oben, § 5 C. IV. 3.2.1., S. 127 ff. Zur Bestimmung der abzugsfähigen Sparanlagen unten, § 7 B. I. 1., S. 197 ff. 170 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung Selbst wenn durch diese steuerliche Differenzierung eine Verletzung des allgemeinen Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 BV) verneint würde mit dem Verweis auf ernsthafte sachliche Gründe – unbeschränkte Steuerpflicht, d.h. persönliche Zugehörigkeit einerseits und beschränkte Steuerpflicht, d.h. wirtschaftliche Zugehörigkeit andererseits – , die zur Differenzierung Anlass gäben, eröffnet sich ein offensichtliches Spannungsfeld zum Freien Personenverkehr, wie er in den bilateralen Abkommen mit der EU vereinbart wurde817. Dies wird untenstehend näher ausgeführt. 1.2.2. Bilaterales Abkommen über die Personenfreizügigkeit Für die Beurteilung, inwiefern die Ausdehnung des Anwendungsbereiches der befristeten Sparbereinigung auch auf beschränkt Steuerpflichtige aus Gleichbehandlungsgründen geboten ist, ist namentlich das bilaterale Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU818 zu beachten. Dieses sieht vor, dass nach Ablauf einer Übergangsfrist819 die Regeln des Freien Personenverkehrs, wie sie innerhalb der EU bereits 817 818 819 Das in der Rechtsprechung (vgl. u.a. BGE 128 I 136; BGE 125 I 431; BGE 120 Ia 236; BGE 106 Ia 267 [274 ff.]; BGE 90 I 159 [162 f.]) entwickelte Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen, welches bekanntlich weiter geht als das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot und „strenger“ (Biaggini, Verfassungsrecht, § 49 N 13) ist als jenes, kommt bezogen auf das Ausgangsbeispiel nicht zum Tragen, wenn auf die geltende Rechtsprechung des Bundesgerichts abgestellt wird: Das Bundesgericht leitet das Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen aus dem Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit (bzw. früher „Handels- und Gewerbefreiheit“) ab. Die Wirtschaftsfreiheit steht hingegen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur Schweizern sowie Ausländern mit Niederlassungsbewilligung und unter bestimmten Umständen Ausländern mit Aufenthaltsbewilligung zu (BGE 116 a 237 [238 ff.]; BGE 123 I 212 [214 ff.]; vgl. auch Häfelin/Haller, N 655). B als Ausländer mit Wohnsitz im Ausland ist somit nach geltender Rechtsprechung nicht Grundrechtsträger der Wirtschaftsfreiheit, er kann sich folglich auch nicht auf die Gleichbehandlung der Gewerbegenossen berufen. Allfällige Gleichbehandlungsansprüche sind demgemäss in Staatsverträgen zu suchen. Anzumerken ist, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Rechtsträgerschaft der Wirtschaftsfreiheit von einer kontinuierlichen Öffnung geprägt ist und es abzuwarten bleibt, ob das Bundesgericht zukünftig eine Ausdehnung auf Ausländer bzw. nicht in der Schweiz ansässige Personen vornimmt, die im Rahmen der bilateralen Verträge eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausüben. Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681); in Kraft seit 1. Juni 2002. Die Übergangsfrist dauert dem Grundsatz nach 12 Jahre; dazu Art. 10 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit. Die Anwendung des „acquis communautaire“ im Bereich des Freien Personenverkehrs erfolgt hingegen bereits nach fünf Jahren, dies allerdings unter dem Vorbehalt der Wiedereinführung von Begrenzungsmassnahmen (einseitige Schutzklausel); Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6310; vgl. bzgl. der Übergangsbestimmungen und der Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 171 zur Anwendung kommen, auch für die Schweiz gelten sollen820. Dem bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit zufolge geniessen auch selbständig Erwerbende, die sich in einem Vertragsstaat niederlassen oder grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen, Freizügigkeit inkl. Niederlassungsfreiheit821. Dabei beinhaltet die Niederlassungsfreiheit das Recht „zur Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates, wie sie für seine eigenen Staatsangehörigen gelten.“822, 823 Daraus fliesst insbesondere auch das Verbot von offenen oder versteckten steuerlichen Diskriminierungen nach der Staatsangehörigkeit824. Eine versteckte Diskriminierung liegt unter anderem dann vor, wenn formal In- und Ausländer gleich behandelt werden, faktisch aber hauptsächlich Ausländer von der Regelung betroffen sind825. Dies wäre insbesondere bei einer Begrenzung der befristeten Sparbereinigung auf unbeschränkt Steuerpflichtige der Fall. Zwar würden In- und Ausländer formal gleich behandelt, indem In- und Ausländer, die in der Schweiz nur beschränkt steuerpflichtig sind, von der Sparbereinigung ausgeschlossen werden. Faktisch wären jedoch in erster Linie Ausländer betroffen. 820 821 822 823 824 825 Abkommensweiterentwickung Art. 10 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit. Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6310; Art. 1 ff. i.V.m. Art. 10 des bilateralen Abkommens über Personenfreizügigkeit. Art. 1, Art. 3 ff. sowie Art. 1 ff. und Art. 12 ff. des Anhangs I; Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6311. Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6311; Art. 1 ff. des bilateralen Abkommens über Personenfreizügigkeit sowie Art. 15 Anhang I zu den bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit. Die diesbezüglichen Übergangsbestimmungen sehen lediglich vor, dass die Aufenthaltserlaubnis während einer Übergangsfrist von fünf Jahren zunächst nur für sechs Monate gewährt wird, wenn ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei niederlassen will. Er erhält eine Aufenthaltserlaubnis von fünf Jahren, wenn er vor Ablauf der sechs Monate nachweist, dass er eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Art. 31 Anhang I zum bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit). Nach Beendigung der Übergangsfrist greift Art. 12 des Anhanges I und die Aufenthaltserlaubnis wird von Anfang an für fünf Jahre gewährt und wird wiederum um fünf Jahre verlängert, sofern eine selbständige Erwerbstätigkeit nachgewiesen werden kann. U.a. EuGHE v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker); EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx). Mit Bezug auf eine versteckte steuerliche Diskriminierung u.a. EuGHE v. 27. 6. 1996, Rs. C107/94 (Asscher); EuGHE v. 29. 1. 1992, Rs. C-204/90 (Bachmann); vgl. auch Sass, S. 36; Kokott, S. 16 f. 172 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung In diesem Zusammenhang ist von Relevanz, dass der EuGH es immerhin als grundsätzlich zulässig erachtet, wenn eine Differenzierung zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden erfolgt, weil sich diese in der Regel nicht in einer gleichartigen Situation befinden, „da zwischen ihnen sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle als auch hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft oder der Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstandes objektive Unterschiede bestehen (...)“826. Auch Art. 21 Abs. 2 des bilateralen Abkommens über Personenfreizügigkeit räumt den Vertragsparteien das Recht ein, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, „die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden.“ Gestützt darauf wäre eine Differenzierung nach unbeschränkter bzw. beschränkter Steuerpflicht grundsätzlich zulässig. Jedoch präzisierte der EuGH diese Rechtsprechung bezüglich der Geltendmachung von Abzügen von der Berechnungsgrundlage. Der EuGH führte aus, dass vergleichbare Situationen anzunehmen sind, wenn der Gebietsfremde sein Einkommen ausschliesslich oder fast ausschliesslich im Vertragsstaat erzielt827. Dann ist gemäss EuGH eine Differenzierung, die darin besteht, dass der Gebietsansässige weitergehende Abzüge von der Berechnungsgrundlage machen kann als der Gebietsfremde, nicht zu rechtfertigen, sofern der Gebietsfremde den Abzug nicht noch in seinem Ansässigkeitsstaat nachholen kann828. Für das Ausgangsbeispiel bedeutet dies, dass eine Differenzierung nach Ansässigkeit bzw. unbeschränkter oder beschränkter Steuerpflicht nicht zulässig ist, da der gebietsfremde B sein Einkommen fast ausschliesslich in der Schweiz erzielt und darauf keinen Sparabzug in seinem Ansässigkeitsstaat geltend machen kann. 826 827 828 EuGHE v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher); EuGHE v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker); EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx); vgl. auch Art. 21 Abs. 2 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit. EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx): „Allerdings befindet sich der gebietsfremde Steuerpflichtige, ob er nun als Arbeitnehmer oder Selbständiger tätig ist, der seine gesamten oder nahezu seine gesamten Einkünfte in dem Staat erzielt, in dem er seine berufliche Tätigkeit ausübt, hinsichtlich der Einkommensteuer objektiv in derselben Situation wie der in diesem Staat Ansässige, der dort die gleiche Tätigkeit ausübt.“; vgl. auch EuGHE v. 27. Juni 1996, Rs. C-107/94 (Asscher); EuGHE v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker). U.a. EuGHE v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher); EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx). Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 1.3. 173 Folgerungen Wie anhand des aufgezeigten Beispiels ersichtlich wird, drängen Gründe der Gleichbehandlung, darunter insbesondere das aus dem bilateralen Abkommen über Personenfreizügigkeit fliessende Diskriminierungsverbot, eine Ausdehnung der befristeten Sparbereinigung auch auf beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen auf. Denkbar wäre in Aufgreifung des EuGH-Abgrenzungskriteriums immerhin eine Ausdehnung nur auf solche in der Schweiz beschränkt Steuerpflichtige, die ihr Einkommen ausschliesslich oder fast ausschliesslich in der Schweiz erzielen. Dies würde hingegen wiederum weitere Praktikabilitätsschwierigkeiten aufwerfen. Daher wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, dass der Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung allgemein unbeschränkt sowie beschränkt in der Schweiz Steuerpflichtige umfasst829. Den oben aufgeführten Praktikabilitätsschwierigkeiten kann wie folgt entgegnet werden: Da eine umfassende Sparübersicht nicht erhältlich ist, können nur Investitionen in inländische Werte, die wiederum eine beschränkte Steuerpflicht begründen830, als Sparabzug von beschränkt Steuerpflichtigen berücksichtigt werden831. Dies ist eine konnexe Beschränkung, die aus Praktikabilitätsgründen vorzunehmen ist. Da es unter den gegebenen Rahmenbedingungen die mildest mögliche Massnahme ist – andernfalls wäre an einen gänzlichen Ausschluss von der befristeten Sparbereinigung zu denken – sind auch die damit verknüpften Negativfolgen, namentlich die in Disharmonie zum Grundgehalt der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 und 94 BV) stehende Investitionslenkung, zu rechtfertigen. Mit Bezug auf das Anrechnungsproblem832 ist an die Aushandlung von DBA-Regelungen zu denken, damit das Problem aufgegriffen und eine internationale Doppelbelastung vermieden werden kann. Zudem soll der betroffene Steuerpflichtige auch auf die Geltendmachung des Sparabzugs verzichten können, wodurch eine traditionell-periodische Besteuerung die Folge wäre und im Steuerausland die Anrechung erfolgen 829 830 831 832 Vgl. auch Dorenkamp, S. 177, der mit dem Verweis auf die EU-Grundfreiheiten ebenfalls unbeschränkt sowie beschränkt Steuerpflichtige „nachgelagert“ besteuern will. Zu denken ist an Geschäftsbetriebe, Betriebsstätten und Grundstücke i.S.v. Art. 4 DBG sowie an Forderungen, die durch Grund- oder Faustpfand auf Grundstücken in der Schweiz gesichert sind (Art. 5 Abs. 1 lit. c DBG). Auch Dorenkamp, S. 177, schlägt vor, den Steuersparabzug auf „Inlandsinvestitionen“ zu beschränken. Oben, § 6 A. I. 1.1., S. 168. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 174 könnte. Die Diskriminierung wird dadurch zwar nicht ausgeschlossen, aber es ist dann die Auslandsregelung, die letztlich dafür verantwortlich ist. 2. Sonderfragen 2.1. Quellensteuerpflichtige natürliche Personen Gemäss dem oben formulierten Vorschlag soll die befristete Sparbereinigung auch auf beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen angewandt werden. Dies bedeutet, dass auch grundsätzlich quellensteuerpflichtige Personen im Sinne von Art. 83 ff. und Art. 91 ff. DBG für das quellensteuerpflichtige Einkommen Sparabzüge geltend machen können: 2.1.1. Art. 91 ff. DBG Aus Gleichbehandlungsgründen leuchtet die Zulassung von Sparabzügen wiederum ein. Das sei zunächst kurz bezüglich der Quellensteuerregelung nach Art. 91 ff. DBG – diese umschreibt die Quellensteuerpflicht für natürliche und juristische Personen ohne steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz – dargelegt: Grenzgängern (Art. 91 DBG) aus der EU zum Beispiel, die als Arbeitnehmer in der Schweiz tätig sind, verbietet das bereits oben referierte bilaterale Abkommen über die Personenfreizügigkeit und das damit verbundene Diskriminierungsverbot833 die mit der Nichtgewährung der befristeten Sparbereinigung verbundene steuerliche Schlechterstellung834. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbot liegt auch bei den restlichen in Art. 91 ff. DBG835 angeführten Erwerbsgruppen vor, zumindest sofern der Hauptteil des Einkommens in der Schweiz erzielt wird836 und es sich um EU-Bürger handelt837. Wenn auch nicht direkt die Staatsbürgerschaft Anlass zur Differenzierung gibt, sind mehrheitlich Nicht-Schweizer von der Quellenbesteuerung betroffen und es kann von einer 833 834 835 836 837 Art. 2 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit; Art. 9 des Anhanges I, insb. Abs. 2; vgl. allgemein zum Verhältnis der bilateralen Verträge zur Quellenbesteuerung auch Hinny, S. 1147 ff. Zur Rechtfertigung der Quellenbesteuerung an sich unter dem bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit: Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6353 f. Betrifft die Quellensteuerpflicht für natürliche und juristische Personen ohne steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz. Zu diesem Kriterium eben oben, § 6 A. I. 1.2.3., S. 172 inkl. FN 827. Es greifen Art. 2 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit sowie Art. 9 Abs. 2 resp. Art. 15 des Anhangs I. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 175 versteckten Diskriminierung gesprochen werden838. Daher ist die befristete Sparbereinigung auch in den Quellensteuerfällen nach Art. 91 ff. DBG zu gewähren. Dabei ist es nicht praktikabel, eine Gleichstellung nur EU-Bürgern und auch nur solchen, die mehrheitlich ihr Einkommen in der Schweiz verdienen, zu gewähren. Aus diesem Grund hat weiterhin die bereits oben vorgeschlagene allgemeine Variante Überzeugungskraft, nämlich die Erfassung sämtlicher beschränkt Steuerpflichtiger, das heisst auch sämtlicher Quellensteuerpflichtiger im Sinne von Art. 91 ff. Zudem ist der Sparabzug aus Praktikabilitätsgründen ebenfalls nur für Inlandsinvestitionen zu gewähren, die eine beschränkte Steuerpflicht zu begründen vermögen839. Konkret ist für die Berücksichtigung der abzugsfähigen Ersparnisbildung nicht lediglich eine individuelle Tarif- oder Abzugsanpassung vorzunehmen, wie sie mitunter bereits im geltenden Quellensteuerverfahren erfolgen kann840, sondern es ist eine „Verwaltung“ des aufgeschobenen Steueranspruchs erforderlich. Dazu scheint es sinnvoll, das bisherige Quellensteuerverfahren um einen weiteren Schritt zu ergänzen, wenn ein Sparabzug geltend gemacht wird. Nach dem regulären Quellensteuerverfahren hat dann eine individuelle, die Sparbereinigung berücksichtigende Tarifanpassung inkl. allfälliger Steuerrückzahlung zu erfolgen und das gebildete Nettosparvermögen ist zu erfassen und im Folgenden weiter zu administrieren. Damit der Sicherungszweck der Quellensteuer weiterhin gewahrt ist, drängt sich auf, nur nach hinlänglicher Sicherstellung des aufgeschobenen Steueranspruchs eine Steuerrückzahlung vorzunehmen. Um unverhältnismässigen Verfahrensaufwand zu vermeiden, ist es darüber hinaus ratsam, dieses ergänzende, die Ersparnisbildung sowie -auflösung berücksichtigende Verfahren nicht mehrmals jährlich, wie in der Regel die Quellensteuerverfahren gegenüber dem 838 839 840 Aus dieser Perspektive scheint daher auch die in der Botschaft zu den sektoriellen Abkommen zu findende Argumentation zur allgemeinen Vereinbarkeit der Quellenbesteuerung nach Art. 91 ff. mit dem Gleichbehandlungsgebot bzw. dem Diskriminierungsverbot etwas fragwürdig: Nach der in der Botschaft geäusserten Ansicht werden In- und Ausländer gleich behandelt, da beide Gruppen der Quellensteuerpflicht nach Art. 91 ff. unterstellt werden, wenn sie keinen steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz haben (Botschaft sektorielle Abkommen [1999], S. 6354). Faktisch sind hingegen weit mehrheitlich ausländische Bürger von der Regelung betroffen. Art. 4 f. DBG. Z.B. bzgl. Abzügen von Einkaufsbeiträgen in eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge, von Beiträgen an die gebundene berufliche Vorsorge oder bzgl. Abzügen von Schuldzinsen; Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6355. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 176 Schuldner der steuerbaren Leistung841, sondern in grösseren Abständen, ev. jährlich durchzuführen. 2.1.2. Art. 83 ff. DBG Noch offensichtlicher ist die Ungleichbehandlungsproblematik bei der Quellensteuer nach Art. 83 ff. DBG, wenn in diesen Fällen die befristete Sparbereinigung nicht gewährt wird. Denn Art. 83 ff. DBG trifft ausländische Arbeitnehmer, welche die fremdenpolizeiliche Niederlassungsbewilligung nicht besitzen, aber in der Schweiz steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt haben. Somit würden bei Nichtgewährung der befristeten Sparbereinigung bei der Quellensteuerpflicht nach Art. 83 ff. DBG unbeschränkt Steuerpflichtige, die über keine fremdenpolizeilichen Niederlassungsbewilligung verfügen anders und zwar schlechter als die restlichen unbeschränkt Steuerpflichtigen behandelt. Das liefe unbestrittenermassen auf eine Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit bei identischen steuerrechtlichen Wohnsitz- resp. Aufenthaltsvoraussetzungen hinaus842, die im Verhältnis mit EU-Bürgern durch das bilaterale Abkommen über die Personenfreizügigkeit untersagt ist843. Als Lösung wird daher hier vorgeschlagen, die befristete Sparbereinigung auch in Fällen von Art. 83 ff. DBG anzuwenden. Dies kann in einem nachträglichen ordentlichen Verfahren erfolgen844, wobei dann – da unbeschränkte Steuerpflicht gegeben ist – die Ersparnisbildung sowie auflösung umfassend845 zu berücksichtigen ist. 2.2. Aufwandbesteuerung Von der befristeten Sparbereinigung der Einkommensteuer untangiert bleibt die Aufwandbesteuerung nach Art. 14 DBG. Diese folgt nicht der regulären Einkommensteuerbemessung, sondern bestimmt sich nach dem Aufwand846 und eine Sparbereinigung lässt sich nicht implementieren. Ohnehin weist die Aufwandbesteuerung durch die 841 842 843 844 845 846 Art. 100 Abs. 1 lit. c DBG i.V.m. z.B. Art. 62 StVO SG. Vgl. auch Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6354. Art. 2 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit und Art. 9 Abs. 2 des Anhanges I. Die nachträgliche ordentliche Veranlagung würde dann nicht mehr nur bei tatbestandlicher Erfüllung von Art. 90 Abs. 2 DBG greifen (Überschreitung einer durch das EFD festgelegten Einkommensgrenze [per 2003 bei Fr. 120‘000.- Bruttoeinkommen; Ziff. 2 des Anhangs zur QStVO]). D.h. betreffend in- und ausländischen Ersparnissen bzw. Investitionen. Näher zur Aufwandbesteuerung u.a. Höhn/Waldburger, § 14 N 172 ff., auch mit Hinweisen auf Überschneidungen/Bezüge zur regulären Einkommensteuer. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 177 grundsätzliche Abstellung auf den Aufwand bzw. Verbrauch und nicht auf den Einkommenszufluss gewisse Verwandtschaft mit einer sparbereinigten Einkommensteuer auf, unterscheidet sich aber in einem gewichtigen Punkt von einer befristeten Sparbereinigung, wie sie hier entworfen wurde: Bei letzterer erfolgt nämlich eine „Nachholung“ der Einkommensbesteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht, und es handelt sich somit um eine Einkommensteuer und nicht um eine Aufwands- bzw. Konsumsteuer847. II. Vereinbarkeit mit DBAs Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Rangverhältnis zwischen Bundesgesetzen und Völkerrecht ist immer noch nicht ganz klar848. Als „Mindestauffassung“ gilt, dass völkerrechtliche Vereinbarungen soweit Geltung haben, als nicht der Bundesgesetzgeber bewusst dagegen legeferiert hat849. Unumstritten ist der Vorrang von völkerrechtlichem ius cogens850. Art. 191 BV, in dem die Massgeblichkeit von Bundesgesetzen und Völkerrecht statuiert wird, nimmt zur Vorrangfrage nicht Stellung851 und trägt insofern auch nicht zur Klärung bei. Die völkerrechtliche Komponente ist für die vorliegende Arbeit dahingehend von Relevanz, als sich mit Hinblick auf eine Sparbereinigung der Einkommensteuer fragt, inwiefern eine entsprechende gesetzliche Regelung mit den DBAs vereinbar ist. Diesbezüglich besteht kein Anlass, eine bewusste Kollision mit den DBAs herbeizuführen852, und es kann als Prämisse angenommen werden, die Sparbereinigung müsse mit den geltenden DBAs vereinbar sein. Bei der Prüfung der DBA-Verträglichkeit einer Sparbereinigung der Einkommensteuer zeigt sich so847 848 849 850 851 852 Dazu bereits oben, § 5 B. IV. 1., S. 96. Hangartner, BV Kommentar, N 25 zu Art. 191; Cottier/Hertig, S. 14 f.; Biaggini, Verhältnis, S. 727. Sog. „Schubert-Praxis“, in: BGE 99 Ib 39; vgl. dazu auch Botschaft VE 96, S. 135 FN 54 und S. 534; Hangartner, BV Kommentar, N 25 ff. zu Art. 191; Kälin, S. 35 f. In neueren BGEs wird hingegen die Ansicht vertreten, völkerrechtliche Staatsverträge hätten generell den Vorrang gegenüber Bundesgesetzen, auch wenn das Gesetzesrecht jünger ist: BGE 125 II 417; BGE 122 II 485 (487); BGE 122 II 234 (239); BGE 119 V 171 (176 ff.). Diese Auffassung wird auch gestützt von Häfelin/Haller, N 1926. Hingegen vertreten u.a. Hangartner, BV Kommentar, N 27 zu Art. 191 und Cottier/Hertig, S. 17, die Auffassung, dass die (allenfalls zu präzisierende) „SchubertPraxis“ immer noch Geltung habe. Hangartner, BV Kommentar, N 26 zu Art. 191; Häfelin/Haller, N 1922. Botschaft VE 96, S. 429; Hangartner, BV Kommentar, N 25 zu Art. 191; Kälin, S. 36 f. Somit kein Fall der eben erwähnten „Schubert-Praxis“, die – sofern sie noch Gültigkeit hat – entgegengesetztes Staatsvertragsrecht verdrängt. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 178 dann, dass grundsätzlich keine Problemfelder aufscheinen. Durch die Kodifizierung einer befristeten Sparbereinigung erfolgen keine Abweichungen von den DBA-Regeln. Insbesondere haben die Zuteilungsregeln und Methodenartikel weiterhin Geltung. Anzumerken ist des Weiteren, dass durch die vorgeschlagene weite Fassung des persönlichen Anwendungsbereichs853 der befristeten Sparbereinigung auch keine Konfliktgefahr mit den in den DBAs niedergelegten Gleichbehandlungsgeboten854 besteht. III. Umsetzungsmassnahmen im internationalen Verhältnis 1. Problemstellung Wenn auch die Einführung einer Sparbereinigung vereinbar scheint mit den DBAs, ist weiter zu fragen, ob nicht durch die internationalen Bezüge und die sich daraus ergebenden Besteuerungsregeln – stützen sich diese nun auf die DBAs oder auf die subsidiär greifende allgemeine (Verweis-)Bestimmung in Art. 6 Abs. 3 DBG855 – allfällige innerstaatliche Umsetzungsmassnahmen erforderlich sind. Zu denken ist dabei vor allem an innerstaatliche Massnahmen, welche ausgerichtet auf die befristete Sparbereinigung sachgerecht dem Umstand Rechnung tragen, dass a) ausländische Einkommenszuflüsse aus dem Ausland zum Teil steuerlich vorbelastet sind oder b) inländisches Einkommen im Ausland steuerlich belastet wird. In diesem Zusammenhang werden nachstehend Umsetzungsmassnahmen erörtert, welche unter Berücksichtigung der massgebenden internationalen Besteuerungsregeln eine „Zuschneidung“ der befristeten Sparbereinigung ermöglichen, so dass letztere auch im internationalen Verhältnis möglichst praktikabel und effektiv ist. Die Umsetzungsmassnahmen orientieren sich am geltenden Zustand, wonach im Ausland grundsätzlich der traditionellen, periodischen Einkommensbesteuerung gefolgt wird. 853 854 855 Zum persönlichen Anwendungsbereich oben, § 6 A. I., S. 168 ff. Art. 24 OECD-MA; vgl. auch Art. 25 (1) DBA Deutschland-Schweiz; Art. 24 Ziff. 1 DBA U.S.A.-Schweiz; Art. 24 Ziff. 1 DBA China-Schweiz; zum Diskriminierungsverbot der DBAs auch Locher, Internationales Steuerrecht, S. 539 ff., m.w.Nw. Verweis auf die Grundsätze des interkantonalen Steuerrechts. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 2. Auslandseinkünfte von Steuerinländern 2.1. Freistellungsmethode 179 2.1.1. Ausgangslage Eine Berücksichtigung der Ersparnisbildung ist nicht möglich, wenn dem ausländischen, traditionell-periodisch besteuernden Staat das abschliessende Besteuerungsrecht zukommt und die Schweiz die entsprechenden Einkünfte von der Besteuerung auszunehmen hat856. Das Einkommen wird im Ausland steuerlich belastet, unabhängig von einer allfälligen Ersparnisbildung. Das bedeutet eine nicht konsequente Durchsetzung des inländischen Sparbereinigungsansatzes, die aber inhärent mit der auf dem Territorialitätsprinzip fussenden Freistellungsmethode verbunden ist857 und somit ausserhalb des inländischen Einflussbereiches steht. 2.1.2. Progressionsvorbehalt In der Regel ist bei der Freistellungsmethode der Progressionsvorbehalt, das heisst die Berücksichtigung des in der Schweiz unbedingt steuerlich freizustellenden Einkommens zur Bestimmung des Steuersatzes858, vorgesehen. Mit Blick darauf drängt sich auf, den Progressionsvorbehalt auch bei einer befristeten Sparbereinigung beizubehalten. Dies in konsequenter Übereinstimmung damit, dass das betreffende Einkommen im Ausland bereits abschliessend besteuert wurde. 2.1.3. Im Ausland abschliessend besteuertes Einkommen, das gespart wird Ausländisches Einkommen, das in der Schweiz nicht besteuert wird, kann – wie allgemein von aussen zufliessende Vermögensmehrungen, die nicht steuerbar sind859 – zu Praktikabilitätsschwierigkeiten führen. Werden damit Ersparnisse gebildet, wird die 856 857 858 859 Art. 23 A OECD-MA. Dazu auch Höhn/Waldburger, § 32 N 19: „Die Schweiz ist nach allen DBA als Ansässigkeitsstaat zur unbedingten Befreiung mit Progressionsvorbehalt verpflichtet, wenn das Objekt dem Partnerstaat als Quellen-, Belegenheits- oder Betriebstättestaat – ausschliesslich oder nicht-ausschliesslich – zugewiesen ist. Einzig bei ausländischen Dividenden, Zinsen und Lizenzvergütungen ist die Schweiz nicht zur Befreiung verpflichtet, wenn diese im Quellenstaat besteuert werden dürfen (Teilung des Besteuerungsrechts). Vgl. auch Locher, Internationales Steuerrecht, S. 532 f. Siehe auch Dorenkamp, S. 175. U.a. Höhn/Waldburger, § 32 N 12; Locher, Internationales Steuerrecht, S. 492. Z.B. Erbschaften und Schenkungen, Unterstützungen aus öffentlichen oder privaten Mitteln, Genugtuungssummen; siehe diesbzgl. die Auflistung in Art. 24 DBG. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 180 Berechnung der abzugsfähigen Ersparnisbildung verfälscht. Darüber hinaus ist fraglich, wie die gebildeten Ersparnisse bei einer allfälligen Kapitalgewinnbesteuerung, die in dieser Arbeit aus Praktikabilitätsgründen vorgeschlagen wird860, zu berücksichtigen sind. Um diesen Problemen zu entgegnen und um eine Integration in das System der befristeten Sparbereinigung zu ermöglichen, wird Folgendes empfohlen: Übersteigt die Ersparnisbildung das grundsätzlich steuerbare Einkommen, das heisst, werden auch nicht steuerbare Vermögenszuflüsse zur Ersparnisbildung verwendet, ist dieser Überschussbetrag861 aufzunehmen und bei späteren Ersparnisauflösungen bzw. bei Austritt aus der Steuerpflicht steuerwirksam abzuziehen862. So wird vermieden, dass an sich nicht steuerbares Einkommen besteuert wird. Gleichzeitig wird dem Anstieg des Kapitalwertes Rechnung getragen und eine Kapitalgewinnbesteuerung ermöglicht. Weiter unten wird die Problematik hinsichtlich von aussen zufliessenden Vermögensmehrungen, die nach DBG oder einer Regelung des internationalen Steuerrechts nicht der direkten Bundessteuer unterliegen, nochmals aufgegriffen863. Insbesondere wird an jener Stelle auch erörtert, wie bei der Auflösung von Sparvermögen, das aus ebensolchen Zuflüssen gebildet wurden, zu verfahren ist. 2.2. Anrechnungsmethode 2.2.1. Nettobesteuerung Bei der in bestimmten Fällen Anwendung findenden sog. Nettobesteuerung erfolgt ein Abzug der ausländischen Steuer vom Bruttoeinkommen864. Die Übernahme dieser Regelung auch im System der befristeten Sparbereinigung wirft keine Probleme auf. 860 861 862 863 864 Dazu oben, § 5 A. IV., S. 86 ff. Überschussbetrag = Ersparnisbildung insgesamt minus grundsätzlich steuerbares Einkommen (d.h. steuerbares Einkommen vor Berücksichtigung allfälliger Sparabzüge). Durch die heutige EDV ist die Erfassung und auch die weitere Administration des Überschussbetrages leicht zu bewerkstelligen. Anzufügen bleibt, dass eine Aufteilung des gesparten Einkommens nach in- und ausländischen Quellen unmöglich ist. Somit werden ausländische Einkommensteile, die im Inland freigestellt sind, tendenziell eine Erhöhung der Ersparnisbildung mit sich führen. Gedanklich hat man sich das derart vorzustellen, dass mit dem ausländischen Einkommen soweit möglich der Konsum finanziert wird und das inländische Einkommen soweit möglich für die Ersparnisbildung verwendet wird. Damit geht jedoch grundsätzlich kein Verlust des Steuersubstrates einher, da das gesparte Einkommen – abgesehen von der beschränkten Zinsausnahme – nur von einem Steueraufschub profitiert (vgl. auch Dorenkamp, S. 175). Zur Behandlung von nicht steuerbaren Vermögenszuflüssen auch unten, § 7 B. II., S. 212 f. Vgl. Locher, Internationales Steuerrecht, S. 512 und S. 54 f. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 181 2.2.2. Pauschale Steueranrechnung Die sog. pauschale Steueranrechnung stellt die im Regelfall anzuwendende Form der Steueranrechnung dar865. Bei ihr wird die ausländische Steuer von der schweizerischen Steuer auf dem ausländischen Einkommensobjekt abgezogen866. Die Methode der Steueranrechung erfasst das ausländische Einkommen zusammen mit dem inländischen, was bei einer Sparbereinigung zur Folge hat, dass in- und ausländisches Einkommen867 die Steuerberechnungsgrundlage bildet, von der steuerwirksam die Ersparnisbildung abgezogen werden kann. Dies im Unterschied zur Methode der Steuerbefreiung, bei der ausländische Einkünfte grundsätzlich keine Sparbereinigung erfahren können. Die Anrechnung der ausländischen Steuer kann periodisch erfolgen868, wobei ein Übertrag auf die folgenden Perioden vorzunehmen ist, wenn der Betrag in der betreffenden Periode nicht vollständig berücksichtigt werden kann. Es ist des Weiteren sinnvoll, zur Berechnung des Maximalbetrages869 die Schweizer Steuerlast weiterhin traditionell, das heisst ohne Berücksichtigung allfälliger Sparabzüge, zu ermitteln. Die Vernachlässigung allfälliger Sparabzüge ermöglicht erst einen praktikablen Lastenvergleich bezüglich der in- und ausländischen Steuern. Zudem bleiben bei einem solchen Ermittlungsvorgehen identische steuerliche Rahmenbedingungen – traditionelle Einkommensbesteuerung ohne Sparabzug – im In- und Ausland gewahrt, womit eine systemische Verschränkung zur ausländischen Ordnung geschaffen wird, die einem aussagekräftigen Vergleich dient. 865 866 867 868 869 Die pauschale Steueranrechnung betrifft i.d.R. ausländische Dividenden, Zinsen und Lizenzvergütungen; Höhn/Waldburger, § 32 N 35 und N 19; Locher, Internationales Steuerrecht, S. 512. Locher, Internationales Steuerrecht, S. 512 f.; Höhn/Waldburger, § 32 N 35; beide mit zahlreichen Literaturverweisen. Sofern die Anrechung dafür vorgesehen ist. Auch hier tritt wieder das „Separationsproblem“ zutage; es lässt sich nicht feststellen, ob aus dem ausländischen Einkommen Ersparnisse gebildet oder Konsum finanziert wurde. M.a.W. kann nicht gesagt werden, inwiefern das ausländische Einkommen bereits in der Zuflussperiode konsumiert wurde und entsprechend eine Besteuerung inkl. Steueranrechnung vorzunehmen ist. Aus Praktikabilitätsgründen wird vorgeschlagen, die ausländische Steuer so schnell wie möglich anzurechnen. Die angerechnete ausländische Steuer kann den Betrag der inländischen Steuer nicht übersteigen. Es wird somit nur der niedrigere Betrag (sog. Maximalbetrag) vergütet; vgl. dazu Locher, Internationales Steuerrecht, S. 516 ff. 182 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 3. Inlandseinkünfte von Steuerausländern 3.1. Freistellungsmethode Wird gemäss dem Vorschlag dieser Arbeit der Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung auch auf beschränkt Steuerpflichtige ausgedehnt, ergibt sich bei der Freistellungsmethode mit Bezug auf Inlandseinkünfte eine steuerlich abgerundete Situation. In der Schweiz können allfällige Inlandsinvestitionen von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden, während bei späterer Auflösung eine Besteuerung erfolgt. Friktionen bzw. Berührungen mit dem Ausland ergeben sich dadurch nicht, da die Schweiz das Einkommen abschliessend besteuern kann. Die Schweizer Einkommensteile sind im Ausland von der Besteuerung auszunehmen. Infolge der mit der Freistellungsmethode verbundenen Steuerautonomie des Quellenstaates (i.c. Schweiz) lässt sich die befristete Sparbereinigung konsequent und ohne bedeutsame praktische Erschwernisse umsetzen. 3.2. Anrechnungsmethode Wie oben schon angeschnitten wurde, resultieren unter der Anrechnungsmethode gewisse Schwierigkeiten bei einem Wechsel zur befristeten Sparbereinigung870. Namentlich ist fraglich, wie der ausländische Staat, der eine traditionell-periodische Einkommensteuer vorsieht, mit dem Steueraufschub umgeht. Durch die Abzugsfähigkeit der Ersparnisbildung reduziert sich die Steuer und somit auch der anrechenbare Betrag871. Dies führt letztlich zu einer Doppelbelastung, wenn später die entsprechenden Ersparnisse aufgelöst und besteuert werden und die Steuerlast im Ausland nicht mehr in Anrechnung gebracht werden kann. Als nicht gänzlich befriedigende Lösung kann dem beschränkt Steuerpflichtigen geraten werden, auch in der Schweiz für eine traditionell-periodische Besteuerung zu optieren, was er faktisch dadurch erreicht, dass er die Ersparnisbildung schlichtwegs nicht als Steuerabzug geltend macht. Alternativ ist auf dem Wege von DBA-Neuregelungen eine adäquate Lösung zu finden. Diese könnte zum Beispiel darin bestehen, dass der ausländische Staat die fiktive Steuerlast auf dem Schweizer Einkommen vor allfälligen Sparabzügen anrechnet. 870 871 Dazu oben, § 6 A. I. 1.1. und 1.3., S. 168 und S. 173. Anzurechnen ist gemäss Art. 23B OECD-MA der Betrag, „der der im anderen Staat gezahlten Steuer vom Einkommen entspricht.“ Vgl. auch Vogel, DBA Kommentar, N 154 zu Art. 23. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 183 IV. Wegzugsbesteuerung 1. Ausgangslage Der befristeten Sparbereinigung liegt die Vorstellung zugrunde, dass bei Ersparnisauflösung oder bei Austritt aus der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht eine Besteuerung greift. Ein Austritt aus der Steuerpflicht ist bei Tod oder Wegzug gegeben. Ein Wegzug liegt vor, wenn eine unbeschränkt steuerpflichtige Person872 den steuerrechtlichen Aufenthalt oder Wohnsitz aufgibt und infolgedessen auch nicht mehr die unbeschränkte Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit begründet873. Wird nun beim Wegzug die aufgeschobene Besteuerung nachgeholt, ist die Freizügigkeit offensichtlich gehemmt874. Von besonderem Interesse ist dabei das Verhältnis der Wegzugsbesteuerung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU, namentlich zum bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit. Hinsichtlich dieses Fragenkomplexes kann weitgehend auf DORENKAMP875 verwiesen werden, der eine äusserst fundierte Untersuchung unter Einbezug der EuGH-Rechtsprechung vornahm. Die Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, zumindest derjenigen zur Personenfreizügigkeit, ist infolge der Übernahme des „Acquis communutaire“876 auch für die Schweiz angezeigt. 872 873 874 875 876 Da eine beschränkt steuerpflichtige natürliche Person in der Schweiz keinen steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, kann sie auch nicht wegziehen. Allfällige Veräusserungen von Einkommensquellen, welche die beschränkte Steuerpflicht begründen, sind vielmehr unter dem Blickwinkel „Ersparnisauflösung“ zu prüfen. Art. 3 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 DBG. Siehe auch Dorenkamp, S. 180: „Eine Nachbelastung von Ersparnissen, die ausschliesslich anlässlich eines grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsels vorgenommen wird, erschwert den innereuropäischen Umzug. Denn der Steuerzugriff erfolgt früher als bei einem innerstaatlichen Wohnsitzwechsel (Besteuerungsaufschub bis zur Ersparnisauflösung). Hieraus resultieren neben Liquiditätseinbussen negative Zins- und Zinseszinseffekte, die einen grösseren Barwert der Steuerlast zur Folge haben. Sie sind jedenfalls dann geeignet, einen Inländer davon abzuhalten, seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu verlegen, wenn die bislang unversteuerten Ersparnisse ein gewisses Ausmass überschritten haben.“ Dorenkamp, S. 178 ff. Die Anwendung des „Acquis communutaire“ im Bereich des Freien Personenverkehrs erfolgt bereits nach fünf Jahren nach in Kraft treten des Freizügigkeitsabkommens (1. Juni 2002), jedoch unter dem Vorbehalt der Wiedereinführung von Begrenzungsmassnahmen; Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6310 FN 52. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 184 2. Zentrale Überlegungen DORENKAMPs zur Wegzugsbesteuerung 2.1. „Bachmann“ Gestützt auf das Bachmann-Urteil877 führt DORENKAMP aus, dass zur Wahrung der Kohärenz878 zwischen den inländischen Steuervorschriften, die einerseits die Abzugsfähigkeit der gesparten Einkommensteile, andererseits aber die Besteuerung der Ersparnisauflösung festlegen, eine Wegzugsbesteuerung erforderlich ist879. Denn der alte Ansässigkeitsstaat hat die Ersparnisbildung zum Abzug von der Berechnungsgrundlage zugelassen und einen Steueraufschub gewährt, damit die Besteuerung erst später bei Ersparnisauflösung oder Austritt aus der Steuerpflicht greift880. Würde keine Wegzugsbesteuerung vorgenommen, bliebe gespartes Einkommen bei einem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel endgültig unversteuert, und es würde nicht lediglich ein Besteuerungsaufschub gewährt881. DORENKAMP nimmt diesbezüglich jedoch noch eine Präzisierung vor. Er weist darauf hin, dass die Wegzugsbesteuerung nach den Grundsätzen des Bachmann-Urteils nur dann durch das Kohärenzprinzip gerechtfertigt ist, wenn mit dem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel eine „Steuerentstrickung“ der Ersparnisauflösung im Inland einher geht882. Sind mit der Ersparnisauflösung inlandsradizierte Einkünfte verbunden, die der beschränkten Steuerpflicht im Wegzugsstaat unterfallen, „wäre die Erhebung einer Wegzugsteuer gemeinschaftsrechtswidrig“883. Denn betreffend der inlandsradizierten Einkünfte würde der Grundsatz der Einmalbelastung von Einkommen durch den Wegzug nicht gefährdet884. 2.2. „Wielockx“ Gemäss dem Wielockx-Urteil kann sich nicht länger auf den Rechtfertigungsgrund der Kohärenz berufen, wer sich freiwillig – nämlich durch Vereinbarung einer entsprechenden DBA-Regelung – angestammter Besteuerungsbefugnisse entledigt885. DORENKAMP folgert daraus, dass eine Wegzugsbesteuerung nicht nur dann nicht ge877 878 879 880 881 882 883 884 885 EuGHE v. 28. 1. 1992, Rs. C-204/90. Vgl. kritisch zum „Kohärenz“-Begriff des EuGH: Thömmes, S. 96 ff. Dorenkamp, S. 188. Dorenkamp, S. 188. Dorenkamp, S. 188. Dorenkamp, S. 188 f. Dorenkamp, S. 189. Dorenkamp, S. 189. EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx); Dorenkamp, S. 190. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 185 rechtfertigt ist, wenn die Ersparnisauflösung im Wegzugsstaat steuerverhaftet bleibt, sondern „Primäres Gemeinschaftsrecht steht der Erhebung einer Wegzugsteuer in Ermangelung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses auch dann entgegen, wenn der Wegzugsstaat sich seiner Besteuerungsbefugnisse freiwillig – z.B. DBArechtlich – begeben hat und die Ersparnisauflöung im Zuzugsstaat der Besteuerung unterliegt (Steuerverstrickung im Ausland).“886 Die Steuerverstrickung der Ersparnisauflösung im Ausland sorgt in diesem Fall dafür, dass die Verwirklichung des Grundsatzes der Einmalbelastung von Einkommen „auf supranationaler Ebene auch ohne eine inländische (Wegzugs-)Besteuerung gesichert ist.“887 2.3. Quintessenz Ist die Ersparnisauflösung nach dem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel weder im Inland noch im Ausland steuerverstrickt, stellt bei einer befristeten Sparbereinigung ausschliesslich eine Wegzugsbesteuerung den Grundsatz der Einmalbelastung von Einkommen sicher888. Beeinträchtigungen der „gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten, die aus der Wegzugsbesteuerung resultieren, sind dann durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Kohärenz des Subsystems der Ersparnisbesteuerung zu sichern.“889 2.4. Steuerstundung und Ratengewährung als Ausfluss des Verhältnismässigkeitsgebots Mit Verweis auf das (EU-)gemeinschaftsrechtliche Übermassverbot schlägt DOvor, die Steuerschuld aus der Wegzugsbesteuerung gegen Sicherstellung zu stunden890. Die Steuerschuld wäre im Folgenden in Raten abzutragen891. Aus Schweizer Sicht gebietet das auch der Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV), der für staatliches Handeln, somit auch für den Steuerbezug, massgeblich ist. Die Zahlung der aufgeschobenen Steuer kann in vielen Fällen eine unverhältnismässige Härte bedeuten, da unter Umständen über Jahre hinweg die Steuern aufgeschoben und die latente Steuerlast entsprechend angehäuft wurde. Diesbezüglich sollte die bereits existie- RENKAMP 886 887 888 889 890 891 Dorenkamp, S. 190. Dorenkamp, S. 191. Dorenkamp, S. 191. Dorenkamp, S. 191. Dorenkamp, S. 192. Dorenkamp, S. 192. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 186 rende Ermessensvorschrift von Art. 166 DBG892 eine genügende Grundlage bieten, damit die Steuerverwaltung fallgerecht Stundungen gewähren und Ratenzahlungen bewilligen kann. 3. „Hughes de Lasteyrie du Saillant“ 3.1. Kernaussagen Am 11. März 2004 hat der EuGH ein neues und vielbeachtetes Urteil bezüglich Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 des EG-Vertrages und nationaler Wegzugsbesteuerung gefällt893. Es ging dabei um eine Regelung des französischen Steuerrechts, die vorsah, dass bei Wegzug eines Steuerpflichtigen ins Ausland die unrealisierten Wertsteigerungen auf bestimmten Wertpapieren einer Wegzugsbesteuerung unterliegen. Immerhin war auf Antrag hin ein Zahlungsaufschub möglich, jedoch waren Sicherheiten zu leisten, die geeignet sind, die Zahlung der Steuer sicherzustellen. Zweck dieser Steuerregelung sei alleinig, so die Darlegungen der französischen Regierung vor dem EuGH, der Steuerflucht vorzubeugen894. Konkret wehrte sich der Steuerpflichtige Hughes de Lasteyrie du Saillant, der von Frankreich nach Belgien zog, dagegen, dass in Anwendung der genannten Steuerregelung die unrealisierten Wertsteigerungen auf seinen Anteilen an einer französischen Gesellschaft besteuert wurden. Der EuGH urteilte, dass die strittige Steuerregelung zwar einem französischen Steuerpflichtigen nicht verbiete, von seinem Niederlassungsrecht nach Art. 52 EG-Vertrag Gebrauch zu machen, sie sei jedoch geeignet, die Ausübung des Niederlassungsrechts zu beschränken, da sie „für Steuerpflichtige, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wollen, zumindest abschreckende Wirkung“ habe. Daran ändere auch der auf Antrag mögliche Zahlungsaufschub nichts, da er an strenge Voraussetzungen geknüpft sei und die erforderliche Leistung von Sicherheiten beschränkende Wirkung habe, da sie den Steuerpflichtigen an der freien Nutzung der als Sicherheit geleisteten Vermögenswerte hindere. Weiter führte der EuGH aus, dass die durch die strittige Steuerregelung verursachte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit auch nicht durch die Regelungsmotivation, 892 893 894 Zahlungserleichterungen bei „erheblicher Härte“. EuGHE v. 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant). EuGHE v. 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant). Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 187 nämlich dem Ziel, der Steuerflucht vorzubeugen, gerechtfertigt werden könne. Insbesondere verhalte sich die Regelung unverhältnismässig zum angestrebten Ziel. 3.2. Auswirkungen auf die obige Argumentation zur Wegzugsbesteuerung Oben wurde in Anlehung an die Überlegungen DORENKAMPS formuliert, dass bei einer befristeten Sparbereinigung ausschliesslich eine Wegzugsbesteuerung den Grundsatz der Einmalbelastung von Einkommen sicherstelle, wenn die Ersparnisauflösung nach dem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel weder im Inland noch im Ausland steuerverstrickt ist895. Die daraus resultierenden Beeinträchtigungen der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten seien dabei durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Kohärenz des Subsystems der Ersparnisbesteuerung zu sichern896. Es fragt sich nun, ob dies angesichts des Entscheides „de Lasteyrie du Saillant“ immer noch Bestand hat, immerhin hat der EuGH eine Wegzugsbesteuerung auch auf Vermögensgegenständen untersagt, die im Inland nicht mehr steuerverstrickt sind und deren Steuerverstrickung im Ausland ungewiss ist bzw. nicht gegeben sein muss. Wird allerdings auf die Argumentation des EuGH in „de Lasteyrie du Saillant“ abgestellt, sollten obige Überlegungen zur Wegzugsbesteuerung bei einer Sparbereinigung immer noch Bestand haben. Entscheidend ist dabei, dass der EuGH in „de Lasteyrie du Saillant“ das mit der strittigen Regelung verfolgte Ziel, der Steuerflucht vorzubeugen, nicht als Rechtfertigung der Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit akzeptierte. Nach den Ausführungen des EuGH diente hingegen die strittige Regelung insbesondere nicht der Wahrung der Kohärenz des nationalen Steuersystems und dieser Rechtfertigungsgrund fiel daher ausser Betracht897. Mit dem Urteil „de Lasteyrie du Sail- 895 896 897 Oben, § 6 A. IV. 2.3., S. 185. Dorenkamp, S. 191. EuGHE v. 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant): „Von Artikel 167bis CGI kann jedoch nicht gesagt werden, dass er in dieser Weise durch das Erfordernis gerechtfertigt wäre, die Kohärenz des französischen Steuersystems zu wahren. Hierzu ist daran zu erinnern, dass die in Artikel 167bis CGI vorgesehene Steuerregelung, wie die französische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen dargelegt hat, der allein aus steuerlichen Gründen erfolgenden vorübergehenden Wohnsitzverlegung ins Ausland vorbeugen soll. (...) Mit Artikel 167bis CGI wird somit offenbar nicht das Ziel verfolgt, allgemein in dem Fall, dass ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, die Besteuerung der Wertsteigerungen sicherzustellen, die während seines Aufenthalts in Frankreich eingetreten sind. (...) Unter diesen Umständen entfällt in Anbetracht des Zieles, das mit der in Artikel 167bis CGI vorgesehenen Steuerregelung verfolgt wird, die Prämisse, auf der das von der niederländischen Regierung angeführte Argument der steuerrechtlichen Kohärenz basiert.“ 188 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung lant“ wird somit dem Rechtfertigungsgrund der Kohärenz der steuerrechtlichen Systeme – sofern der Rechtfertigungsgrund überhaupt gegeben ist – keine Schranken gesetzt. Daher kann bei einer Wegzugsbesteuerung im Rahmen der Sparbereinigung auch weiterhin der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz der Steuersysteme angeführt werden898. B. Einbettung in die nationale Steuerordnung I. Verhältnis zur Mehrwertsteuer Besondere Aufmerksamkeit verdient das Verhältnis einer befristet sparbereinigten Bundeseinkommensteuer zur Mehrwertsteuer: 1. Befristete „Konsumorientierung“ der Einkommensteuer Aus steuersystematischer Sicht ist darauf hinzuweisen, dass durch die vorgeschlagene Befristung der Sparbereinigung keine direkte Konsumsteuer im Sinne einer „direkten Schwestersteuer“ zur Mehrwertsteuer geschaffen wird. Die Einkommensteuer wird beibehalten und unter Beachtung verschiedener verfassungsmässiger Steuervorgaben, namentlich auch der verfassungsmässigen Vorgaben hinsichtlich Steuergerechtigkeit, durch eine Sparbereinigung modifiziert, die nur befristet Wirkung hat. Daher bildet immer noch das Einkommen Steuergut sowie Steuerobjekt und die Steuerberechnungsgrundlage knüpft an die geltende Regelung an899. Eine Abweichung von der geltenden Regelung erfolgt lediglich hinsichtlich der traditionellen periodischen Besteuerung, da für die gesparten Einkommensteile ein Steueraufschub gewährt wird. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass auch die Konsumorientierung der Besteuerung befristeter Natur ist900. Bei Auflösung der Ersparnisse, spätestens durch Austritt aus der Steuerpflicht, werden die angesparten Einkommensteile steuerlich erfasst. Eine gänzliche Ausnahme der Ersparnisse, das heisst eine direkte Konsumsteuer, stiesse sich, wie ausgeführt, an fundamentalen Steuer- bzw. Gerechtigkeitsprinzipien. Vor allem ent898 899 Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass es bei der Wahrung der Kohärenz der Steuersysteme im Rahmen der Sparbereinigung nicht nur um die Erfassung der unbesteuerten Wertsteigerungen geht, sondern vor allem die Besteuerung auf den bislang zugeflossenen, aber steueraufschiebend behandelten Einkünften nachgeholt bzw. dem anspruchsberechtigen Staat gesichert werden soll. Es wird vielmehr sogar eine Erweiterung der Berechnungsgrundlage in Betracht gezogen, nämlich durch Einführung der Kapitalgewinnsteuer. Dazu oben, § 5 A. IV., S. 86 ff. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 189 stünde ein Konflikt mit den Grundsätzen der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit901 und der Allgemeinheit der Besteuerung902. Darüber hinaus würde auch der materielle Gehalt der steuerlichen Kompetenznormen verletzt903. 2. Überlegungen zur optimalen Allokation Eine Sparbereinigung der Einkommensteuer in Zusammenspiel mit einer indirekten Konsumsteuer (Mehrwertsteuer) wirft zudem Effizienzfragen auf. Zur Legitimierung von Effizienzgedanken im Steuerrecht ist auf oben904 zu verweisen, wo die Bedeutung von Effizienzüberlegungen für das Steuerrecht näher geprüft und die Schlussfolgerungen gezogen wurde, der Steuergesetzgeber habe bei der Rechtsetzungstätigkeit auch Effizienzüberlegungen mitzuberücksichtigen. Aus der Optimalsteuertheorie stammt die Erkenntnis, dass die excess burdens überproportional, konkret im Quadrat zur Steuerbelastung eines Faktors, ansteigen905. Es ist daher zu prüfen, ob die Sparbereinigung der Einkommensteuer in Zusammenspiel mit der bestehenden indirekten Konsumsteuer (MwSt) aus Effizienzaspekten nicht eine zu starke, übermässige Fehlallokationen hervorrufende Steuerbelastung des Konsums bewirkt. Dazu ist zum einen anzuführen, dass die allgemein vorgebrachte Unmerklichkeit906 der Mehrwertsteuer dafür spricht, dass durch sie, zumindest solange die MwSt-Sätze in ihrer Höhe nicht merklich abschreckend wirken, die Konsumentscheidungen nicht erheblich beeinflusst werden. Demgegenüber ist die Sparbereinigung des Einkommens für den Steuerpflichtigen deutlicher merkbar und im Vergleich zur MwSt demzufolge besser geeignet, das Konsumverhalten – zumindest befristet – zu beeinflussen. Gestützt auf diese Argumentation ergibt sich, dass die „Quadrat-Regel“ bei einer Sparbereinigung nicht mathematisch exakt angewendet werden kann. Zur Berechnung der 900 901 902 903 904 905 906 Bereits oben, § 5 C. IV. 3.2.3. b), S. 134 f. inkl. FN 660, wurde auf das Missverständnispotential hinsichtlich des Begriffes der „konsumorientierten“ Einkommensteuer hingewiesen. Zur diesbezüglichen Unvereinbarkeit oben § 5 B. IV. 1., S. 96, und § 5 C. IV. 2., S. 125. § 2 B. II. 2.2., S. 36. § 2 B. I. 2.2.2. b), S. 23. § 2 B. II. 4., S. 41 ff. Dazu eingehend Stiglitz, S. 527 f.; Rosen, S. 292. Neumark, S. 38 bzgl. der indirekten Steuern. Neumark, S. 35 ff., geht auch auf die Für und Wider hinsichtlich eines Grundsatzes der Unmerklichkeit der Besteuerung ein und verweist auf verschiedene Stimmen in der Literatur. Letztlich spricht er sich aber für einen Merklichkeitsgrundsatz aus (S. 41), in ausdrücklicher Distanzierung zu seinen früheren Schriften (S. 35 f.). 190 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung excess burdens kann keine Addierung der durch die Sparbereinigung induzierten Konsumbelastung zum vollen Mehrwertsteuersatz vorgenommen werden907. Zudem gilt auch bei der Effizienzbetrachtung, dass die Sparbereinigung nur befristet gilt. Eine allfällige Konsumbeeinflussung hat daher ebenfalls befristete Auswirkungen. Modellhaft kann angenommen werden, dass die Sparbildung positiv und der Konsum negativ beeinflusst werden. Dies vor allem solange in der Erwerbsphase für die Vorsorge gespart wird. Infolge der Sparbereinigung fällt denn auch die Vorsorgebildung leichter908. Damit führt die Sparbereinigung den ausserfiskalischen Effekt der Vorsorgeförderung mit sich, womit im Übrigen auch zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages von Art. 111 Abs. 4 BV beigetragen wird909. In Anbetracht dessen, dass das Sparvermögen spätestens bei Austritt aus der Steuerpflicht besteuert wird, werden hingegen keine Anreize gesetzt, den Konsum endgültig einzuschränken, und einer Neigung zur Vergrösserung einer beabsichtigten Erblassung wird entgegengewirkt. Demgemäss ist zu erwarten, dass zwischen dem Abschluss der Vorsorgebildung und Austritt aus der Steuerpflicht (konkret: Tod) die angesparten Teile freier ausgegeben werden. II. Gewinnbesteuerung juristischer Personen Analog zur Sparbereinigung der Einkommensteuer natürlicher Personen ist eine Investitionsbereinigung der Gewinnsteuer juristischer Personen denkbar. Eine entsprechende Investitionsbereinigung drängt sich sogar auf, um eine steuerliche Diskriminierung gegenüber den selbständig Erwerbenden zu vermeiden, weil letztere bei der vorgeschlagenen Sparbereinigung die reinvestierten Gewinne von der Einkommensteuer abziehen können, während bei der Gewinnsteuer eine unvermeidbare steuerliche Belastung auf Ebene der juristischen Person erfolgt. Allerdings werfen mit Blick auf die Gewinnbesteuerung juristischer Personen verschiedene Aspekte grundsätzliche Fragen auf: 907 908 909 D.h., da auf Sparbereinigung und MwSt unterschiedlich im Konsumverhalten reagiert wird, kann die Quadrat-Regel nicht exakt auf die Summe der steuerlichen Konsumbelastung von MwSt sowie sparbereinigter Einkommensteuer angewandt werden. Eine qualitative Betrachtung (unterschiedliche Konsumreaktion je nach Art, und nicht nur Höhe, der Konsumbesteuerung) verbietet eine rein quantitative Formelanwendung. Dazu die Tabelle und Ausführungen unter § 5 C. IV. 3.2.1, S. 127 ff. Art. 111 Abs. 4 BV: „Er [der Bund; Anm. des Zitierenden] fördert in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Selbstvorsorge namentlich durch Massnahmen der Steuer- und Eigentumspolitik.“ Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 191 Zum einen ist die bekannte Tatsache hervorzuheben, dass juristische Personen real nicht existieren und sie letztlich auch nicht Träger der Steuerlast sind910. Vielmehr wird die Steuerlast weitergegeben, wobei hinsichtlich des Überwälzungsprozesses zumeist keine allgemeingültigen Erkenntnisse gewonnen werden können. Er hängt insbesondere von den Elastizitäten der betroffenen Teilmärkte911 ab. Durch diese Intransparenz bleibt weitgehend unklar, in welcher Weise die reale Steuerlast auf die mit der formal besteuerten Unternehmung in Interaktion stehenden Gruppen912 verteilt wird. Es fehlt daher eine Belegung für die allgemeine Annahme, der Anteilsinhaber trage die Steuerlast913, und die Intransparenz914 darüber, wer letztlich die Gewinnsteuer trägt, macht politisch-demokratische Defizite der Gewinnsteuer deutlich. Zum anderen bestehen, insbesondere bei wirtschaftlich leistungsstarken und somit auch steuerlich potenten Unternehmungen, vielfältige Möglichkeiten, durch internationale Steuerplanung inkl. Domizilverlegung die steuerbaren Gewinne in Niedrigsteuergebieten zu admassieren. Dadurch können nationale Gewinnsteuerregelung (zumeist) legal umgangen werden, und die Gewinnbesteuerung erweist sich zum Teil als ein Griff ins Leere oder zumindest Ungewisse915. Bei internationaler Betrachtung ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Gewinnbesteuerung nicht in allen ausländischen Staaten konsequent greift. Nebst der eben erwähnten internationalen Steuerplanung sind diesbezüglich die in ausländischen Staaten zum Teil erheblichen Subventionsausschüttungen zu beachten916. Gewisse Unternehmungen werden wohl formal mit Ge910 911 912 913 914 915 916 Siehe u.a. auch Kirchgässner, S. 60. Nachfrageelastizität beim Produkte-/Dienstleistungsmarkt; Angebotselastizitäten bei Zulieferermarkt, Arbeitsmarkt und Geldmarkt etc. In Betracht kommen v.a. Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und Anteilsinhaber. Dasselbe gilt, wenn Hall/Rabushka gestützt auf die fragliche Annahme, der Anteilsinhaber sei Träger der Gewinnsteuerlast, die ihm zufliessenden, angeblich bereits besteuerten Dividendenbzw. Zinsanteile von der Steuer ausnehmen wollen; Hall/Rabushka, S. 60. Zur Forderung einer transparenten Besteuerung u.a.: Rose, Plädoyer, S. 16; Lang, Entwurf, N 343: „Das Steuersystem sollte so konzipiert sein, dass die Bürger wissen, wieviel sie zahlen, so dass der politische Willensbildungsprozess die Präferenzen der Bürger so genau wie möglich widerspiegelt.“ Genaues Zahlenmaterial ist schwierig zu finden. Als Vergleich z.B. die Studie der Multistate Tax Commission (U.S.A) in welcher die Auswirkungen von sog. „tax shelters“ auf die Erträge aus der „corporate state tax“ untersucht wurden (publiziert 15. Juli 2003); Internet-Quelle: www.mtc.gov/TaxShelterRpt.pdf. Als Grössenangabe wurde in der genannten Studie festgehalten: „Corporate tax sheltering reduced state corporate income tax revenues by more than a third of actual collections in 2001.“ Zu nennen ist diesbezüglich insbesondere das Nachbarland Deutschland. So summierten sich die Subventionen in Deutschland im Jahr 2001 auf Euro 156 Mia. Dieser Betrag macht 7.5% des 192 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung winnsteuern belegt, gleichzeitig erhalten sie aber Subventionen. Es resultiert eine Reduktion der fiskalischen Nettolast. Zu prüfen wäre auch näher, ob und in welchen Fällen sogar mehr Subventionen an die Unternehmungen fliessen als dass sie Steuern entrichten bzw. letztlich die Unternehmungen netto fiskalisch begünstigt werden. Allgemein zeigt die angesprochene Subventionsproblematik die Untergrabung der betreffenden nationalen Gewinnsteuerordnungen auf und macht Belastungsverzerrungen im internationalen Verhältnis deutlich. Die dargelegten Erwägungen, welche die Problemlage nur skizzenhaft anzudeuten vermochten, legen ein schrittweises Vorgehen nahe: Wird eine Reformierung der Gewinnbesteuerung in Richtung Investitionsbereinigung geprüft, ist aus wissenschaftlicher Warte vorgängig zu untersuchen, inwieweit die Gewinnbesteuerung juristischer Personen aus Gerechtigkeits- sowie Allokationsüberlegungen zu rechtfertigen ist917. 917 deutschen Bruttoinlandprodukts bzw. 35% des gesamten deutschen Steueraufkommens aus; Zahlen aus: Boss/Rosenschon, Titelblatt. Vgl. weitergehend zur Subventionssituation in Deutschland u.a.: Boss/Rosenschon sowie Rosenschon. Die Gewinnbesteuerung ist seit längerem Gegenstand der wissenschaftlichen Kritik. U.a. trat Kaldor für eine Abschaffung ein (dazu oben, § 1 D., S. 8 f.) und auch Neumark, Grundsätze, S. 131 f., äusserte sich kritisch. Kritisch auch Kirchgässner, S. 60 f. Neumark, Grundsätze, S. 132, befürwortete dennoch eine Gewinnbesteuerung mit dem Argument, damit könnten sonst mögliche Gewinnverschleierungen oder zumindest –verschiebungen wirksam verhindert werden. Diesem Argument ist insofern beizupflichten, als eine Prüfung der Geschäftsvorgänge von juristischen Personen erforderlich ist, um die Transaktionen mit den „nahestehenden Personen“ zu beleuchten (korrekte Ermittlung des zu verteilenden Gewinnes; Prüfung der Spesen; Prüfung der Preise gegenüber den nahestehenden Personen etc.). Dadurch wird mit Blick auf die Einkommensteuer – und dies ist unerlässlich – sichergestellt, dass die nahestehenden Personen keine verdeckten Einkommen aus der juristischen Person beziehen. Mit einer Prüfung der Geschäftsvorgänge der juristischen Person muss aber nicht zwingend eine Gewinnbesteuerung einhergehen. Die Prüfung der Geschäftsvorgänge der juristischen Person kann auch ohne Gewinnbesteuerung als Vorarbeit für die Einkommensbesteuerung erfolgen. Dabei handelt es sich weiterhin um die bekannte Prüfung auf „geldwerte Vorteile“. Es steht aber dann nicht mehr die Nachholung der Gewinnbesteuerung im Blickfeld, sondern die Sicherstellung der Einkommensteuer auf den aus der juristischen Person an die nahestehenden Personen fliessenden geldwerten Vorteilen. Steuerlich unproblematisch ist aus dieser Perspektive zum Beispiel eine geschäftsmässig nicht begründete Lohnzahlung, sofern sie beim Empfänger als Einkommen deklariert wird. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 193 III. Verhältnis zum kantonalen Steuerrecht 1. Grundzüge Die bezweckte vertikale Steuerharmonisierung zwischen Bund und Kantonen, die unter anderem auch im StHG Ausdruck findet918, sowie die Veranlagungspraktikabilität gebieten, dass eine befristete Sparbereinigung der Einkommensteuer auch im StHG resp. in den kantonalen Steuergesetzen eingeführt würde. Für den kantonalen Gesetzgeber wird dann mit Bezug auf die Erbschafts- und Schenkungssteuer, soweit sie noch vorgesehen ist, zu prüfen sein, ob sie parallel zur befristeten Sparbereinigung weiter beizubehalten ist. Allerdings ergibt sich mit Bezug auf die Erbschafts- und Schenkungssteuer durch die befristete Sparbereinigung grundsätzlich kein verändertes Bild von der geltenden Lage, da es sich bei der Ersparnisauflösungs- und Austrittssteuer um eine nachgeholte Einkommensteuer handelt, die sich im Kern in der Periodizität von der geltenden Einkommensteuerregelung unterscheidet. 2. Frage des interkantonalen Umzugs 2.1. Ausgangslage Besonders bedeutsam erscheint die steuerliche Behandlung des interkantonalen Umzugs. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Eine ökonomisch erfolgreiche Rechtsanwältin lebt und arbeitet während Jahrzehnten in St. Gallen. Mit Erreichen des Pensionsalters stellt sie ihre Tätigkeit ein. Ebenfalls mit der Pensionierung zieht sie nach Appenzell A.Rh. Die pensionierte Rechtsanwältin leistet sich aus ihrem Ersparten fortan ein komfortables Leben. Die Konsumausgaben steigen dabei gegenüber den Vorjahren deutlich an. Es fragt sich nun, wie mit den Ersparnissen umzugehen ist, die gebildet wurden, während die Anwältin in St. Gallen steuerpflichtig war. Erfolgt keine Wegzugsbesteuerung, entgehen dem Kanton St. Gallen die Steuern, deren Erhebung er über Jahrzehnte hinweg aufgeschoben hat. Er müsste seinen Besteuerungsanspruch endgültig aufgeben bzw. an Appenzell A.Rh. abtreten. Obwohl die Rechtsanwältin während der Einkommenserzielung im Kanton St. Gallen Wohnsitz hatte und Rechte sowie Pflichten einer Kantonsbürgerin genoss, wird sie nicht zur Lastentragung herangezogen. Allgemein bestünde ohne Wegzugsbesteuerung die Tendenz, zur Ersparnisauflösung in Kantone mit (relativ) tiefer Steuerbelastung zu ziehen. Dies würde die 918 Reich, StHG Kommentar, N 31 zu Vorbemerkungen zu Art. 1/2; vgl. auch Art. 129 Abs. 1 BV. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 194 Finanzhaushalte der Mehrheit der Kantone zugunsten der „Tiefsteuerkantone“ empfindlich schwächen. Es wäre anzunehmen, dass dadurch letztlich weitere Finanzausgleichsmassnahmen erforderlich würden. Auf der anderen Seite stösst sich eine Wegzugsbesteuerung am grundrechtlichen Ausstrahlungsgehalt der verfassungsmässig gewährleisteten Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV)919. Die freie Wohnsitzwahl würde durch eine Wegzugsbesteuerung deutlich gehemmt. Ebenfalls ist zu verweisen auf die mit der Steuerharmonisierung verankerte endgültige Aufhebung der Besteuerung der stillen Reserven bei interkantonaler Domizilverlagerung von juristischen Personen (Art. 24 Abs. 2 lit. b StHG). Die entsprechende Untersagung der Wegzugsbesteuerung korrespondiert mit ausgerichteten Konzeption des StHG920. 2.2. der auf einen freien Binnenmarkt Lösungsansätze Diese Gründe legen nahe, eine verhältnismässige921 Auflösung der konfligierenden Interessen zu finden. Ein endgültiger Verzicht des Wegzugskantones auf die Realisierung seines Steueranspruches scheidet dabei in Würdigung der vorgenannten Überlegungen aus. Auch der Vergleich mit dem Verbot der Wegzugsbesteuerung von stillen Reserven bei juristischen Personen liefert keine Rechtfertigung eines endgültigen Steuerverzichts des Wegzugskantons. Denn das geltende Verbot der Wegzugsbesteuerung bei juristischen Personen beschlägt nur die stillen Reserven. Die periodisch ausgewiesenen Gewinne wurden zuvor stets ordentlich besteuert. Daher ist der Steuerverzicht des Wegzugskantons einer juristischen Person in der Regel weit geringer als es ein Steuerverzicht bei einer befristeten Sparbereinigung wäre. Ein möglicher Lösungsweg könnte in einer Regelung bestehen, die in den Grundzügen wie folgt aussieht: Bei einem Wegzug wird die Höhe des Einkommens erfasst, auf das ein Steueraufschub gewährt wurde. Bei Auflösung im Zuzugskanton könnte dann der Wegzugskanton seinen Besteuerungsanspruch mit ausüben. Der Besteuerungsanspruch des Wegzugskantones würde somit aufrecht erhalten bleiben und bei Sparauflösung oder Austritt aus der Schweizer Steuerpflicht mit dem zum betreffenden Zeitpunkt im 919 920 921 Vgl. zum Gehalt von Art. 24 BV u.a.: Cavelti, BV Kommentar, N 5 ff. zu Art. 24; Zufferey, § 47 N 4 ff. Kuhn/Brülisauer, StHG Kommentar, N 164 zu Art. 24. Die Verhältnismässigkeit der Besteuerung ergibt sich auch schon aus Art. 5 Abs. 2 BV. Bereits oben wurde mit Bezug auf den Wegzug im internationalen Verhältnis die Verhältnismässigkeitsfrage thematisiert; oben, § 8 A. IV. 2.4., S. 185. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 195 Wegzugskanton geltenden Steuertarif ausgeübt. Dadurch könnte der den Steueraufschub gewährende Kanton seinen ursprünglichen Steueranspruch realisieren, und es würden zudem keine Anreize für das Steuersubjekt bestehen, zur Ersparnisauflösung oder auf das Alter hin den Kanton zu wechseln. Die Mitausübung des Besteuerungsrecht des Wegzugskantons kann im Verhältnis zum Besteuerungsanspruch des Zuzugskantons zum Beispiel nach dem FIFO922-Prinzip erfolgen. Auf aufgelösten Ersparnissen hätte der Wegzugskanton solange das Besteuerungsrecht, bis der Einkommensteil, auf dem er einen Steueraufschub gewährt hat, gedeckt ist. Eventuell konsensfähiger ist hingegen eine anteilsmässige Lösung: Danach kann der Wegzugskanton bei einer Sparauflösung anteilsmässig denjenigen Teil der aufgelösten Ersparnisse besteuern, der dem Verhältnis des Einkommens, auf dem er noch einen Steueranspruch923 besitzt, zum Gesamteinkommen entspricht, das steueraufschiebend angespart wurde. Infolge des heutigen Standes der EDV kann die hier vorgeschlagene Erfassung und Administration des Steueranspruches resp. des Einkommens, auf dem noch ein Steueranspruch besteht, technisch leicht gehandhabt werden. Darüber hinaus lässt sich die vorgeschlagene Methode auch bei mehrmaligem Umzug anwenden, es erfolgt dann lediglich eine weitere Zersplitterung der Steueransprüche auf dem angesparten Einkommen, dessen Besteuerung aufgeschoben wurde. § 7 Weitere Überlegungen zur Umsetzung A. Allgemeine Bemerkung Der dieser Arbeit zugrunde liegende Ansatz ist ein theoretischer. Es wird aus theoretischer Warte geprüft, inwiefern sich eine Sparbereinigung der Einkommensteuer mit den verfassungsmässigen Vorgaben hinsichtlich der Besteuerung, insbesondere mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dessen Konkretisierungen, vereinbaren lässt. Dennoch werden teilweise und in groben Zügen auch Fragen der konkreten Umsetzung und der Praktikabilität behandelt. Das ergibt sich vor allem aus zwei Gründen: Zum einen bedarf die theoretische Prüfung eines Grundmodells als Ausgangsobjekt, das sich bei der In-Bezug-Setzung zu verfassungsmässigen Vorgaben eventuell auch 922 923 First in, first out. Besteuerte Sparauflösungen die zugunsten des Wegzugskantons (aber eben im Zuzugskanton) besteuert wurden, sind vom Einkommensteil, auf dem der Wegzugskanton noch einen Steueranspruch hat, fortlaufend abzuziehen. 196 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung anpassen lässt. Dadurch sind bereits bestimmte Formen der Sparbereinigung vorgegeben bzw. resultieren aus einem dynamischen Prozess der erforderlichen Anpassung an die verfassungsmässigen Vorgaben. Zum anderen kann und darf auch die Theorie nicht blind dafür sein, dass letztlich nur einem praktikablen, das heisst funktionsfähigen Steuersystem die Legitimation zur Umsetzung in die Praxis zukommt. Daher ist selbst bei einer theoretischen Betrachtung summarisch zu beleuchten, wie es mit der Praktikabilität des Untersuchten steht und es sind – soweit möglich – Leitlinien zur praktikablen Umsetzung aufzuzeigen. Mit aller Deutlichkeit ist hingegen darauf hinzuweisen, dass in der vorliegenden Arbeit bezüglich Umsetzungs- und Praktikabilitätsfragen nicht über die beschriebenen groben Züge hinausgegangen wird. Dies fusst hauptsächlich auf zwei – miteinander verknüpften – Gründen. Erstens entspricht dieses Vorgehen einer logischen Reihenfolge. Zunächst sollen die theoretischen Grundlagen geklärt werden. Namentlich ist zunächst die verfassungsmässige Zulässigkeit einer Sparbereinigung der Einkommensteuer zu prüfen. Erst anschliessend kann aufbauend auf die theoretischen Überlegungen eine tiefer reichende Behandlung der Umsetzungs- und Praktikabilitätsfragen vorgenommen werden. Zweitens ist es nicht nur schwierig, sondern vielmehr unmöglich, derart weitgehende Fragen wie jene nach der Umsetzung und Praktikablität eines um eine Sparbereinigung der Einkommensteuer modifizierten Steuersystems im Rahmen einer Dissertation eines einzelnen Autors zu untersuchen. Die genannte Fragestellung bedarf der engen Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis und einer Vielzahl von mitwirkenden Fachleuten. Konkret wäre eine gemischt zusammengesetzte Expertengruppe geeignet, Umsetzungs- und Praktibilitätsfragen einer Sparbereinigung der Einkommensteuer weitergehend zu untersuchen. B. Ausklammerung der Ersparnisbildung und einzelne Praktikabilitätsfragen Vom Grundkonzept her zeigt sich die Handhabung der befristeten Sparbereinigung einfach: Gemäss dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Grundmodell bildet wie bei der herkömmlichen Einkommensteuer das Einkommen grundsätzlich die Berechnungsgrundlage. Neu ist die steuerwirksame Addierung sämtlicher Auflösungen von steueraufschiebend behandelten Ersparnissen und die Subtrahierung der Ersparnisbildung aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen. Dabei gelten bei einem Austritt aus der Steuerpflicht sämtliche aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse als aufgelöst. Materiell betrachtet wird zur bisherigen Berechnungsgrundlage die Nettoer- Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 197 sparnis hinzugerechnet. Letztere besteht aus der Summe der Sparrücklagen aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen minus der Summe der Auflösungen von aus steuerbarem Einkommen angehäuften Ersparnissen. Wird die Umsetzung der Sparbereinigung geprüft, eröffnen sich hingegen verschiedene Problemfelder. Einige, so zum Beispiel die Praktikabilitätsschwierigkeiten bei Nichtbesteuerung privater Kapitalgewinne, die (verschärfte) Progressionsproblematik bei Austritt aus der Steuerpflicht sowie die Fragen der internationalen und nationalen Einbettung, wurden bereits im Laufe der Arbeit behandelt und es wurden Lösungsansätze gesucht. Weitere, besonders ins Auge stechende Problemfelder, die nachfolgend in den Grundzügen thematisiert werden, stellen dar: I. Bestimmung der steuerlich abzugsfähigen Sparanlagen und deren Geltendmachung; II. Ersparnisse aus nicht der Einkommensteuer unterliegenden oder bereits mit der Einkommensteuer belasteten Vermögenszuflüssen; III. Frage der graduellen Einführung; IV. Stundungsmöglichkeiten und Steuersicherung. I. Bestimmung der abzugsfähigen Sparanlagen und deren Geltendmachung 1. Abzugsfähige Sparanlagen Als Sparabzug qualifizieren sich von einer grundsätzlichen Warte her alle zwecks Erhaltung zurückgelegten Einkommensteile924. Eine weite Fassung der abzugsfähigen Sparanlagen entspricht auch den in der BV niedergelegten wirtschaftsbezogenen Grundideen. Namentlich die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 i.V.m. Art. 94 BV), die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und die Koalitionsfreiheit (Art. 28 BV) bringen eine „verfassungsrechtliche Grundentscheidung zugunsten einer freiheitlich-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung“925 zum Ausdruck und veranschaulichen dadurch, dass die Privatautonomie zentrales Wirtschaftsordnungsprinzip darstellt926. Die Art des Sparens – es kann diesbezüglich auch vom Koordinationsmechanismus927 hinsichtlich der Ersparnisverwendung gesprochen werden – ist daher prinzipiell privatautonom ge- 924 925 926 927 Im Brockhaus (Brockhaus – Die Enzyklopädie, 20. Auflage, Leipzig 1998, S. 543) wird Sparen definiert als „Verzicht auf die Verwendung von Einkommen für gegenwärtigen Konsum zugunsten zukünftigem Konsums oder langfristiger Vermögensbildung.“ Botschaft VE 96, S. 294 f. Dazu mit zahlreichen Literaturnachweisen bereits oben, § 2 B. II. 4.3.3. b), S. 50. Zum Begriff des Koordinationsmechanismus: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 3 ff. 198 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung fällten Entscheidungen zu überlassen, und ein allfälliger Sparabzug ist möglichst weit zu fassen, um die verschiedensten Sparformen aufzunehmen. Eine Begrenzung des Sparabzuges auf bestimmte Sparformen, zumindest ohne dass dafür besondere Rechtfertigungen geltend gemacht werden könnten, würde zudem Diskriminierungspotential mit sich führen und stünde im Spannungsfeld zum Gleichheitssatz (Art. 8 BV). In erweiternder928 Anlehnung an die respektive Regelung im Einkommensteuergesetzentwurf von Lang können die steuerrelevanten Ersparnisse wie folgt umschrieben werden: Geld und Kapitalforderungen jeder Art929, Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen930, Grundeigentum931 und sonstige Vermögensanlagen932. 1.1. Geld und Kapitalforderungen jeder Art Unter Kapitalforderungen jeder Art sind zum Beispiel zu fassen: Geldguthaben (inkl. Spargeldguthaben), Festgelder, Darlehen, Fonds- und Obligationsanteile933. Es wird vorgeschlagen, aus Praktikabilitätsgründen nur „reine“ Sparanlagen in die Sparbereinigung einzubeziehen und namentlich versicherungsmässige Vorsorge auszuschliessen. 928 929 930 931 932 933 Erweiternd deshalb, weil die Sparformen aus den eben beschriebenen Gründen weit gefasst werden und insbesondere die Klassen „Immobilieneigentum“ und „sonstige Vermögensanlagen“ über die Formulierung der „qualifizierten Sparanlagen“ bei Lang hinausgeht. Letztere bezweckt in erster Linie, Vorsorgeersparnisse durch Sparbereinigung intertemporal neutral zu besteuern (Lang, Entwurf, N 607). Vermögensanlagen, die nicht den qualifizierten Sparanlagen zuzuzählen sind, will Lang unter die Kategorie „privates Erwerbsvermögen“ subsumieren (Lang, Entwurf, § 109 Abs. 4 i.V.m. § 115 Abs. 3) und entsprechende Investitionen nur zum Abzug von der Einkommensteuer zulassen, soweit sie aus Mitteln der qualifizierten Sparanlagen finanziert wurden (möglich sind jedoch lineare und u.U. ausserordentliche Abschreibungen; Lang, Entwurf, § 115 Abs. 4). Aus der Perspektive der hier vorgeschlagenen allgemeinen Sparbereinigung sind hingegen keine Gründe ersichtlich für die Schaffung einer eigenenen Kategorie „privates Erwerbsvermögen“, die zwischen Unternehmungsvermögen und qualifizierten Sparanlagen anzusiedeln ist. Ohnehin würde eine solche Regelung administrative Probleme verursachen und Ungleichbehandlungen von Sparformen mit sich führen. Vgl. Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1. Vgl. Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1. Zählt hingegen im Entwurf Lang nicht zu den „qualifizierten Vermögensanlagen“, sondern wird erfasst über „Eigenheim“ (Lang, Entwurf, § 109 Abs. 1 Ziff. 4) oder „privates Erwerbsvermögen“ (Lang, Entwurf, § 109 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, Abs. 4). Der Terminus „Vermögensanlagen“ ist weit zu verstehen und geht über den Terminus „Kapitalanlagen“ bei Lang (Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1) hinaus. Vgl. Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 199 1.1.1. 1. Exkurs: Versicherungsmässiges Vorsorgesparen Für das versicherungsmässige Vorsorgesparen934 inkl. des Vorsorgesparens der 2. Säule (berufliche Vorsorge) und der Versicherungsprodukte der Säule 3a935 scheint die hier entwickelte Sparbereinigungsvariante keine praktikable Lösung zu sein. Probleme ergeben sich unter anderem dadurch, dass die Versicherungsleistungen möglicherweise an eine andere Person als die einzahlende entrichtet werden. Ausserdem besteht, abgesehen von rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen, ein allfälliges Guthaben grundsätzlich nur rechnerisch: Bei Verwirklichung eines versicherten Risikos kann die Leistung unter Umständen das (rechnerisch) angesparte Guthaben übersteigen. Umgekehrt ist auch denkbar, dass die einbezahlte Summe nicht oder nur teilweise zurückfliesst. Und mit Bezug auf rückkaufsfähige Kapitalversicherungen gilt, dass wohl ein Sparelement gegeben ist und der Rückkaufswert einen konkreten, das Anwartschaftliche übersteigenden Wert darstellt936. Jedoch ist der „nackte“ Rückkaufswert, das heisst der Rückkaufswert alleine, grundsätzlich nur dann massgebend, wenn der Versicherungsvertrag vorzeitig aufgelöst wird. Solange der Versicherungsvertrag aber läuft, treten die typischen Versicherungselemente, insbesondere auch das Risikoelement, hinzu. Daher kann aufgrund der verschiedenen versicherungstechnischen Besonderheiten, wenn auch materiell eine Nähe zum „reinen“ Sparen für die Vorsorge besteht, nicht 934 935 936 Tatbestandsmässig definiert sich ein Versicherungsgeschäft gemäss Rechtsprechung (BGE 114 Ib 244 [247]; BGE 107 Ib 54 [56]; BGE 92 I 126 [131]) und Lehre (Frischkopf, S. 393 f.; Maute/Steiner/Rufener, S. 257 ff.) durch: a) die Übernahme eines Risikos oder einer Gefahr; b) die Leistung des Versicherungsnehmers (Prämie); c) die Leistung des Versicherers; d) die Selbständigkeit der Operation (vgl. zur Unwesentlichkeit dieses Elementes für das Steuerrecht Maute/Steiner/Rufener, S. 257); e) die Kombination der Risiken nach den Gesetzen der Statistik (planmässiger Geschäftsbetrieb). Mit Bezug auf Vorsorgeversicherungen und das versicherungsmässige Vorsorgesparen ergibt sich somit ein wesentlicher Unterschied vom „reinen“ Sparen vor allem durch das Risikoelement. Das Bundesgericht hat diesen Unterschied exemplarisch anhand von Bausparverträgen herausgestrichen: „Im Rahmen eines Bausparvertrages bei einer Bank steht dem Bausparer genau jenes nominelle Kapital (samt Zinsen) zur Verfügung, das er selber einbezahlt hat. Demgegenüber unterscheidet sich das Versicherungssparen vom Banksparen darin, dass der Versicherer zusätzlich bestimmte Gefahren oder Risiken abdeckt. Das heisst, der Versicherungsnehmer erhält beim Versicherungssparen – abhängig vom Eintritt des einen oder anderen versicherten Ereignisses – entweder mehr oder weniger Kapital zurückbezahlt, als ihm beim Banksparen zugute kommt. Es handelt sich um unterschiedliche Rechtsgeschäfte, die verschiedene Bedürfnisse abdecken.“ BGE v. 1.10.1993, S. 11; vgl. auch Frischkopf, S. 398 f. Reine Sparanlagen im Rahmen der Säule 3a qualifizieren sich hingegen als abzugsfähig. Dazu z.B. Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts v. 5.3.2001, in: StR 2001, 765; BGE 88 I 116 (120 f.). 200 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung von einem regulären „Sparvermögen“ ausgegangen werden. Damit ist verbunden, dass auch nicht – im Gegensatz zu den reinen Sparanlagen – die Berechnung einer allfälligen Ersparnisauflösung bei Austritt aus der Steuerpflicht möglich ist. Zur steuerlichen Behandlung937 des versicherungsmässigen Vorsorgesparens bietet sich vielmehr an, die bereits statuierten Regelungstechniken beizubehalten. Namentlich zu erwähnen sind das „Waadtländer-Modell“ für die berufliche Vorsorge938 sowie die Steuerfreiheit des Vermögensanfalles aus rückkaufsfähiger privater Kapitalversicherung939. Durch versicherungsspezifische Lösungen kann dem Versicherungsaspekt und der Begünstigungsproblematik adäquater entgegnet werden940. 1.1.2. 2. Exkurs: Darlehensproblematik Probleme sind eventuell im Bereich der Darlehen zu erwarten, insbesondere im Falle der Gewährung von Scheindarlehen an Verwandte, die dissimuliert nicht abzugsfähige Schenkungen – und somit auch einkommensteuerlich relevante Ersparnisauflösungen – darstellen. Solche Aktivitäten finden insbesondere im Falle des „Schenkungsdarlehens“941 ihre Parallelen im Unternehmungssteuerrecht und es können die jeweiligen Rechtsprechungsgrundsätze als Leitlinien herangezogen werden942. Allerdings stehen 937 938 939 940 941 942 Im Rahmen des BVG gebietet bereits das subjektive Nettoprinzip die Abziehbarkeit der Beiträge; dazu oben, § 5 C. III. 2.3., S. 115. Hinsichtlich Vorsorgeversicherung für die freie Selbstvorsorge greift der Verfassungsauftrag von Art. 111 Abs. 4 BV, der eine Förderung (auch) über Steuermassnahmen vorschreibt. Abzug von der Berechnungsgrundlage bei Beitragszahlung und Besteuerung bei Zufluss; dazu oben, § 5 C. III. 2.1., S. 112. Art. 24 lit. b DBG mit dem Vorbehalt von Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG bezüglich rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen mit Einmalprämien, die nicht der Vorsorge dienen. Dazu, mit Verweis auf die Kritik, bereits oben, § 5 C. III. 4.2., S. 121 f. Praktisch vernachlässigbar ist die Bestimmung von Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG, die eine beschränkte Abzugsfähigkeit der Beiträge auch an Lebensversicherungen vorsieht. Die konkret gewährten Beträge werden i.d.R. bereits durch die Krankenkassenbeiträge ausgeschöpft; dazu oben, §5 C. III. 4.1.3, S. 120. Denkbar ist, dass zur Schaffung einer Parallelsituation zur hier vorgeschlagenen Sparbereinigung die steuerliche Behandlung der Lebensversicherungsbeiträge ebenfalls stärker in Richtung „Waadtländer-Modell“ bzw. BVG gerückt wird. D.h. Gewährung der (Teil-)Abziehbarkeit bei Einzahlung und Besteuerung bei Zufluss. Auf diese Fragestellung kann hier aber nicht weiter eingegangen werden. Rüchzahlung des Darlehens ist nicht vorgesehen; es handelt sich um eine Zuwendung an den Darlehensnehmer. “Geldwerte Leistungen in Form von Darlehen an den Aktionär”; vgl. dazu u.a.: BGE v. 13.12.1996, in: ASA 66, 554; BGE v. 25.11.1983, in: ASA 53, 54; Rouiller, S. 3 ff.; Kuhn/Brülisauer, DBG Kommentar, N 207 ff., insb. N 210 zu Art. 58; vgl. auch Bochud, S. 105 ff. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 201 den genannten Aktivitäten auch Hemmnisse entgegen: Zum einen wird spätestens bei Tod des Steuerpflichtigen (Austritt aus der Steuerpflicht) die Besteuerung der als Sparabzug geltend gemachten Darlehenspositionen nachgeholt. Zum anderen werden gemäss obigen Ausführungen943 die Darlehen beim Empfänger von der Ersparnis subtrahiert, das heisst, sie werden funktionell als Ersparnisauflösung behandelt und führen zur Einkommensbesteuerung944. 1.2. Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen Unter Unternehmungsbeteiligungen sind Anteile an „nach kaufmännischer Art geführten Gewerben“945, unabhängig von deren Rechtsform, das heisst an Einzelunternehmungen, Personengesellschaften und juristischen Personen zu subsumieren946, 947. Bei der Umsetzung der sparbereinigten Einkommensteuer ist in der Praxis ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass die Unternehmungen erwerbsorientiert sind und nicht private Konsumausgaben der Anteilseigner decken: Zum einen ist der Fall denkbar, dass die Unternehmung grundsätzlich erwerbsorientiert ist, aber zum Teil auch private Konsumausgaben der Anteilseigner oder von mit diesen verbundenen Personen finanziert werden. Dies kann zum Beispiel durch geschäftsmässig nicht begründete Spesenentschädigungen oder „Dienstwagen“, Übernahme von privaten Versicherungskosten, simulierte Darlehen, Abgabe von Konsumgütern oder -dienstleistungen zu untersetzten Preisen etc. erfolgen. Es ist ersichtlich, dass diese Vorgänge unter die im Unternehmungssteuerrecht bereits existenten und bekannten Probleme der verdeckten Gewährung materieller Vorteile subsumiert werden können, wobei hier darunter der Tatbestand der Gewährung „ver943 944 945 946 947 Oben, § 5 A. III., S. 85 f. Dies ist jedoch nicht hemmend, wenn der Darlehensnehmer keine Ersparnis hat und keine zu bilden beabsichtigt. Denn wie oben ausgeführt wurde, wird eine Minusersparnisbildung, d.h. eine Nettoverschuldung nicht mehr als Ersparnisauflösung betrachtet. Erst bei späterem Ausgleich durch Nettoersparnisbildung (d.h. neu gebildete Ersparnis ist grösser als aufgelöste Ersparnis) kann wieder eine Besteuerung greifen; ausführlicher oben, § 5 A. III., S. 85 f. Art. 934 Abs. 1 OR i.V.m. HRV Art. 52 ff.; vgl. auch Meier-Hayoz/Forstmoser, § 4 N 35 ff. Ebenfalls sind Anteile an solchen einfachen Gesellschaften, die – obwohl das für einfache Gesellschaften eigentlich nicht erlaubt ist, in der Praxis aber z.T. toleriert wird (MeierHayoz/Forstmoser, § 4 N 61 ff. und § 12 N 26; Küng, N 21 ff. zu Art. 934) – ein kaufmännisches Gewerbe führen, zu den Unternehmungsbeteiligungen zu zählen. Liegt im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr private Vermögensverwaltung vor und werden Kapitalgewinne aus Wertpapier-, Liegenschaftenhandel sowie aus Handel mit mobilen Sachwerten als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit besteuert, können die jeweiligen Investitionen als Sparabzug für (eigene) Unternehmungen geltend gemacht werden. 202 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung deckter geldwerter Vorteile“ bei juristischen Personen sowie das verwandte Verhalten bei selbständiger Erwerbstätigkeit948 erfasst werden. In beiden Fällen kann eine Anknüpfung an reichlich Rechtsprechung und Literaturbeiträge erfolgen949. Auch aus Perspektive der Steuererfassung sind keine zusätzlichen Instrumentarien oder Hinzurechnungen erforderlich, da mit der Aufrechnung der verdeckt gewährten Vorteile zur Berechnungsgrundlage der Einkommensteuer950 die rückfliessenden Elemente der steuerlich abgezogenen Investition herausgefiltert und der Einkommensbesteuerung zugeführt werden. Zum anderen ist absehbar, dass Unternehmungen gegründet bzw. betrieben werden, die nicht der Gewerbsmässigkeit dienen, sondern in erster Linie private konsumtive Beschäftigungen umfassen. Darunter können unter anderem fallen: Pferdezuchten; Sammlungen jeglicher Art951, ausgegeben als Handelsbetrieb; Sportunternehmungen, bei denen hauptsächlich für eine Person oder eine Familie „Investitionen“ in die Sportaktivität erfolgen; Musikunternehmungen, bei denen analog hauptsächlich für eine Person oder eine Familie „Investitionen“ in die Musikaktivität erfolgen etc. Auch diese Problemkonstellation ist nicht neu, sondern findet sich bereits bei der Abgrenzungsfrage, ob eine bestimmte Aktivität „Liebhaberei“ oder selbständige Erwerbstätigkeit 948 949 950 951 Gemeint sind Sachverhalte, in denen geschäftsmässig nicht begründete Aufwendungen bzw. Ertragskürzungen die dem (Mit-)Eigner oder ihm nahestehenden Personen zugute kommen, sachwidrigerweise nicht über das Privatkonto ausgeglichen werden. Aufgrund der der Besteuerung juristischer Personen zugrunde liegenden, gesetzgeberisch beabsichtigten Doppelbesteuerung von Gesellschaft und Anteilsinhaber unterscheidet sich die Problematik bei juristischen Personen offensichtlich steuersystematisch von jener bei selbständiger Erwerbstätigkeit natürlicher Personen, was aber hier nicht eingehender behandelt wird. Festzuhalten bleibt nämlich, dass bei Betrachtung aus dem Blickwinkel einer sparbereinigten Einkommensteuer bei juristischen Personen sowie bei Personengesellschaften und Einzelunternehmungen Anreize bestehen können – wobei je nach Rechtsform der Gesellschaft die einzelnen Vorgehensweisen unterschiedlich interessant sind –, Einkommen verdeckt zufliessen zu lassen. Hinischtlich verdeckter geldwerte Vorteile bei juristischen Personen u.a.: BGE v. 3.2.1995, in: ASA 64, 641; BGE v. 22.10.1992, in: ASA 63, 208; StRKE Zürich v. 15.3.1990, in: StE 1991 B 72.13.22 Nr. 21; Höhn/Waldburger, § 18 N 103 ff. und § 14 N 69; Kuhn/Brülisauer, DBG Kommentar, N 94 ff. zu Art. 58; Reich, DBG Kommentar, N 46 ff. zu Art. 20. Bzgl. der Problematik bei natürlichen Personen u.a.: StRKE Bern v. 14.2.1995, in: BVR 1996, 116; StRKE Aargau v. 28.3.1980, in: AGVE 1980, 355. Bei verdeckten geldwerten Vorteilen einer juristischen Person unter Abstützung auf Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG; bei fehlender Belastung des Privatkontos bei selbständiger Erwerbstätigkeit unter Abstützung auf Art. 18 DBG, ev. (bei ordungsgemässer Buchführung; Art. 18 Abs. 3 DBG) in Verbindung mit Art. 58 DBG. Z.B. Autosammlungen, Kunstsammlungen (wenn davon ausgegangen wird, dass Kunstkauf keine Investition darstellt; dazu sogleich unten, § 7 B. I. 1.4., S. 207), Briefmarkensammlungen etc. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 203 darstellt. Bei beiden sind die Einkünfte steuerbar952, aber nur bei der selbständigen Erwerbstätigkeit sind die Verluste abzugsfähig953. Bei einer sparbereinigten Einkommensteuer kann daher die Rechtsprechung zur Liebhaberei aufgegriffen954 und Ausgaben für Liebhaberei-Unternehmungen955 können dem steuerbaren Einkommen zugerechnet werden. Die Abgrenzungsfragen sind oft nicht klar vorzunehmen, und um Eigeninitiativen nicht zu diskriminieren, ist von einer restriktiven Praxis Abstand zu nehmen. Denkbar ist eine Lösung, bei der eine einmal gefällte Einstufung steuerwirksam und rückwirkend abgeändert werden kann, wenn sich im Zeitverlauf herausstellt, dass die Unternehmung dennoch gewerbsmässig orientiert ist resp. doch der Liebhaberei zuzurechnen ist. 1.3. Grundeigentum Bei den Ausgaben für privates Grundeigentum956 sind aus der Perspektive des bezweckten unmittelbaren Werterhalts der Ersparnisse die sog. Anlagekosten zu erfassen, die – gemessen an den gesamten privaten Grundeigentumsausgaben – grundsätzlich das Komplement zu den als Gewinnungskosten abziehbaren Unterhaltskosten957 darstellen958. Die Abgrenzung zwischen Unterhaltskosten und Anlagekosten, wobei 952 953 954 955 956 957 958 Bzgl. der selbständigen Erwerbstätigkeit greift Art. 18 DBG, bzgl. Liebhaberei folgt die Steuerpflicht aus der Generalklausel von Art. 16 Abs. 1 DBG (zur Steuerbarkeit der Einkünfte aus Liebhaberei: Reich, DBG Kommentar, N 27 zu Art. 16; vgl. auch Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH Kommentar, N 31 zu § 16; vgl. auch VerwGE Zürich v. 26.11.1981, in: RB ZH 1981 Nr. 46; a.M. Locher, DBG Kommentar, N 14 zu Art. 18. Bei Erzielung von allfälligen Einkünften aus Liebhaberei sind immerhin die Gewinnungskosten, maximal bis zur Höhe des Liebhabereieinkommens, abziehbar; vgl. auch Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 15 zu Art. 25. Dies gebietet der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und das damit verbundene objektive Nettoprinzip (dazu oben, § 5 C. II., 2.1., S. 107). VerwGE Basel-Stadt v. 26.3.1999, in: StE 2001 B 23.1 Nr. 47; VwRKE St. Gallen v. 10.1.1996, in: StR 1996, 296; VerwGE Aargau v. 6.8.1991, in: StE 1992 B 23.1 Nr. 26; StRKE Bern v. 22.6.1982, in: BVR 1982, 439; siehe auch Höhn/Waldburger, § 14 N 45; Locher, DBG Kommentar, N 22 ff. zu Art. 18. Bei selbständiger Erwerbstätigkeit sowie bei juristischen Personen. Liegt ein gewerbsmässiger Immobilienbetrieb vor, fällt es unter den Unternehmungsabzug. Art. 32 Abs. 2 DBG. Die bisherige Rechtsprechung zu den Anlagekosten bleibt daher relevant, nur dass bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer neu ein “Sparabzug” möglich ist. Siehe zu den Anlagekosten u.a. BGE v. 11.6.1999, in: StE 1999 B 25.6: „Liegenschaftsunterhaltskosten, die nach Art. 32 Abs. 2 DBG zum Abzug zugelassen sind, betreffen lediglich solche Arbeiten, die werterhaltenden Charakter haben. Soweit sie zu einer Wertvermehrung führen, sind sie - als Anlagekosten, die lediglich eine Vermögensumschichtung darstellen – nach Art. 34 lit. d DBG nicht abzugsfähig.“ 204 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung letztere aus dem Erwerbspreis und den wertvermehrenden Aufwendungen bestehen959, ist im Einkommensteuerrecht und bei der Grundstückgewinnsteuer bereits von hoher Relevanz: Es hat sich eine ausdifferenzierte Rechtsprechung insbesondere zur Unterscheidung von werterhaltenden Unterhaltskosten und wertvermehrenden Aufwendungen entwickelt960. Eine analoge Übernahme dieser Rechtsprechung ist sachgemäss, um hinsichtlich der Sparbereinigung ebenfalls eine Einteilung in Unterhaltskosten und sparabzugsfähige Anlagekosten vornehmen zu können961. Bei einer Sparbereinigung sind Unterhaltskosten keine Sparanlagen, da sie dem Erhalt eines bereits bestehenden Immobilienwertes dienen – eben (abzugsfähige) Gewinnungskosten darstellen – und nicht, wie dies bei Anlagekosten der Fall ist, eine Umschichtung in immobile Werte stattfindet und bei letzteren eine Nettoaddierung erfolgt. Ebenfalls sind Auslagen, die im Zusammenhang mit Immobilien aus rein persönlichen Neigungen getätigt werden, ohne dass der ökonomische Marktwert beeinflusst wird962, als Liebhabereiausgaben nicht den Anlagekosten zuzuordnen963. 959 960 961 962 963 Vgl. auch Höhn/Waldburger, § 22 N 47 ff.; Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH Kommentar, N 176 zu § 64. Höhn/Waldburger, § 22 N 47. VerwGE Luzern v. 21.9.1999, in: StR 2000, 404; BGE 123 II 218; VerwGE Luzern v. 4.9.1984, in: LGVE 1984 II 15, 161; StRKE Aargau v. 23.12.1981, in: AGVE 1982, 366; vgl. auch Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH Kommentar, N 25 ff. zu § 30 und N 16 ff. zu § 221. Nicht zu übernehmen ist hingegen die fragwürdige Rechtsprechung, wonach Baukreditzinse wertvermehrende Aufwendungen, d.h. Anlagekosten seien. Siehe zur diesbzgl. Rsp. u.a.: VerwGE St. Gallen v. 15.2.2001, in: StE 2001 B 25.6 Nr. 47; BGE v. 25.6.1990, in: ASA 60, 191. Da bei der Sparbereinigung der Einkommensteuer auch Anlagekosten abziehbar sind, entfällt jedoch das fiskalische Motiv, Baukreditzinsen, die „blosse Geldbeschaffungskosten sind, welche den Wert eines Grundstücks nicht beeinflussen“ (Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH Kommentar, N 36 zu § 221) und daher funktional Gewinnungskosten darstellen, sachwidrigerweise den Anlagekosten zuzurechnen. Vgl. zur Kritik an der geltenden Praxis auch: Zwahlen, DBG Kommentar, N 14 zu Art. 32. Zwahlen, DBG Kommentar, N 20 zu Art. 32. Diese Liebhabereiausgaben werden in der Rechtsprechung ebenfalls nicht als abzugsfähige Unterhaltskosten anerkannt. Vgl. Zwahlen, DBG Kommentar, N 20 zu Art. 32 zu den immobilienbezogenen Liebhabereiausgaben aus Sicht des nicht zu gewährenden Gewinnungskostenabzuges: „Typischerweise gehören Auslagen zu dieser Kategorie, welche aus einem Komfortbedürfnis heraus begründbar sind (BGer in BGE 99 Ib 362, Erw. 3, lit. b). Farbtonänderungen, Ersatz von Produkten kurz nach deren Investition, luxuriöse Anlage etc. stellen solche Liebhabereien dar. Dazu gehören aber auch Unterhaltskosten in Herrschaftshäusern, luxuriösen Villen oder Schlössern, welche sich auf einen Nutzungswert auswirken, welcher einkommensteuerrechtlich keine Wirkung zeigt, weil z.B. der Eigenmietwert bei Selbstnutzung oder der Mietwert bei Fremdnutzung nicht auf diesem Investitionsgut basiert.“ Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 205 Mittels des Sparabzuges für Immobilieninvestitionen wird zudem für ein Politikum, das bislang nur eine behelfsmässige Lösung im geltenden Einkommensteuerrecht gefunden hat, eine adäquate Lösung geboten: Als ausserfiskalische, umweltpolitisch motivierte Zielsetzung delegiert Art. 32 Abs. 2 DBG an das Eidgenössische Finanzdepartement, festzulegen, inwieweit Investitionen, die dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen, den abzugsfähigen Unterhaltskosten gleichzustellen sind964. Dies wurde in Verordnungen des Eidgenössischen Finanzdepartments ausgeführt965. Die steuersystematisch unsachgemässe Erfassung von offensichtlich wirtschaftlichen Anlagekosten966 unter den Unterhaltskosten967 fällt hingegen bei einer Sparbereinigung weg, da die Energiespar- und Umweltschutzinvestitionen grundsätzlich den abzugsfähigen Immobilieninvestitionen zugerechnet werden können968. Ergänzend ist anzufügen, dass die genannten Investitionen mitunter nicht oder nur partiell zu einer ökonomisch messbaren Wertvermehrung führen und damit die Gefahr besteht, dass sie in der Rechtsprechung teilweise als nicht abzugsfähige „Liebhabereiausgaben“ qualifiziert würden. Um hingegen die umweltpolitische Lenkungsabsicht auch bei einer Sparbereinigung durchzusetzen, ist es daher – sofern von der geübten Kritik an der Wirksamkeit dieser Massnahmen969 abgesehen und die geltende Gesetzeslage als Massstab genommen wird – ratsam, einen Gesetzespassus zu formulieren, wonach bestimmte nicht wertvermehrende Energiespar- und Umweltschutzinvestitionen ebenfalls als Immobilienanlagekosten abziehbar sind970. Dabei könnte analog zu Art. 32 Abs. 2, 2. Satz eine nähere Umschreibung an den Verordnungsgeber delegiert werden. 964 965 966 967 968 969 970 Vgl. dazu u.a. Zwahlen, DBG Kommentar, N 24 ff. zu Art. 32; Locher, DBG Kommentar, N 37 ff. zu Art. 32. Art. 5 der Verordnung über den Abzug der Kosten von Liegenschaften des Privatvermögens bei der direkten Bundessteuer vom 24.8.1992 i.V.m der Verordnung über die Massnahmen zur rationellen Energieverwendung und zur Nutzung erneuerbarer Energien vom 24.8.1992. Zwahlen, DBG Kommentar, N 25 zu Art. 32. Vgl. die Kritik an dieser ausserfiskalischen Massnahme: Zwahlen, DBG Kommentar, N 25 zu Art. 32; Locher, DBG Kommentar, N 39 zu Art. 32; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 77 zu Art. 32; Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 11 und S. 146 ff. Selbstredend können auch im Zusammenhang mit den entsprechenden Investitionen werterhaltende Aufwendungen (z.B. Reparatur- oder Reinigungskosten) anfallen, die als Unterhaltskosten abzuziehen sind. Vgl. die Kritik bei Locher, DBG Kommentar, N 39 zu Art. 32; Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 146 ff.; auch Zwahlen, DBG Kommentar, N 25 zu Art. 32, bemängelt die fehlende Wirkungsüberprüfbarkeit. Hinten, § 9, Art. 33a Abs. 2 Entwurf. 206 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung Eine weitere ausserfiskalische Zielsetzung ist in Art. 32 Abs. 3 DBG hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von Kosten denkmalpflegerischer Arbeiten zu finden. Diese Aufwendungen sind ökonomisch in der Regel folgenlos971 und stellen weder Gewinnungskosten dar, die den Zufluss künftiger Erträge sichern oder erhöhen, noch handelt es sich um Investitionen, die den Anlagewert steigern. Im Rahmen der bestehenden Kategorien scheint prinzipiell vielmehr eine Einordnung als „Liebhabereiausgaben“ adäquat. Funktionell, was auch aus dem Wortsinn hervorgeht („Denkmalpflege“), stehen die genannten Kosten den Unterhaltskosten nahe, nur dass es regelmässig gerade nicht um eine ökonomische Gewinnung geht. Deswegen besteht bei einer sparbereinigten Steuerordnung gesetzessystematisch kein Anlass, die ausserfiskalische Zielsetzung der Denkmalpflege, das heisst konkret die Abzugsfähigkeit für damit verbundene Kosten, vom aktuellen „Regelungsort“ im Umfeld der Gewinnungs- bzw. Unterhaltskosten zu lösen und zu den abziehbaren Sparanlagen umzusiedeln972. 1.4. Sonstige Vermögensanlagen Bei den „sonstigen Vermögensanlagen“ fällt in erster Linie das Eigentum an Sachwerten in Betracht973, wobei unter anderem Anlagen in Rohstoffe, Edelmetalle, Edelsteine, antike Gegenstände, Kunst usw. denkbar sind, vorausgesetzt, die genannten Gegenstände sind marktgängig974. Jedoch treten insbesondere bei den letzten drei genannten Objekten oft heikle Abgrenzungsprobleme zutage, wenn konkret zu klären ist, ob es sich um eine Sparanlage oder eine rein konsumtive Liebhaberei handelt. Eine umfassende Analyse kann an dieser Stelle nicht erfolgen, und es werden daher nur umrisshaft einzelne Gedankenlinien aufgezeigt. Bei den Edelsteinen sind historisch in erster Linie Diamanten von Bedeutung, da sie auf geringem Volumen hohe materielle Werte verkörpern und somit in Krisenzeiten 971 972 973 974 Selbst allfällig denkbare ökonomischen Rückflüsse kommen in der Regel nicht dem Eigentümer, sondern i.S. einer sog. „Umweg“-Rentabilität in erster Linie dem Tourismusgewerbe zugute. Somit sind die ökonomischen Rückflüsse nicht direkt dem Eigentümer zurechenbar. Vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 42 zu Art. 32, der einen Abzug vom Steuerbetrag und nicht der Steuerberechnungsgrundlage vorschlägt, um Auswirkungen auf die Steuerprogression zu vermeiden; vgl. dazu auch Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 11. Die Finanzwerte können grundsätzlich unter „Kapitalforderungen jeder Art“ und „Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen“ subsumiert werden. Besteht ein gewerbsmässiger Handel mit Sachwerten, ist ein Abzug über die Position „eigene Unternehmung“ möglich. D.h. es besteht ein aktiver Markt dafür. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 207 optimal als mobile Sachwerte dienen bzw. dienten975. Eine Anlage in Diamanten, auch wenn dies aus einer von westeuropäischen Friedensjahrzenten geprägten Perspektive befremdend klingen mag, kann daher durchaus einem Spar- bzw. Vorsorgemotiv entspringen und verdient daher – zumindest beschränkt – eine entsprechende Steuerbehandlung976. Bei antiken Gegenständen977 ist die Situation uneinheitlicher. Relativ wenige Spitzenobjekte, die erfahrungsgemäss wertbeständig sind oder sogar zum Teil respektable Wertsteigerungen erfahren, stehen einer Masse von Objekten gegenüber, denen nur eine geringe oder keine Nachfrage zukommt und die dementsprechend keine Wertbeständigkeit aufweisen können. Für einen Sparabzug kämen somit nur die seltenen „Spitzenobjekte“ in Betracht, was aber Praktikabilitätsprobleme aufwirft. Zum einen ist die Abgrenzung zwischen „normalen“ Objekten und den Spitzenobjekten oft nicht genau vorzunehmen. Zum anderen existieren in der Regel keine objektiven Marktwerte, an denen beurteilt werden könnte, ob die Ausgabe für ein „Spitzenobjekt“ unter Anlagegesichtspunkten vertretbar ist oder ein Liebhaberpreis entrichtet wurde, dem nur teilweise Sparcharakter zukommt. Aufgrund dieser gewichtigen Praktikabilitätsprobleme wird vorgeschlagen, generell keine Sparabzüge für antike Objekte vorzunehmen978. Ähnlich wie bei den antiken Objekten präsentiert sich die Situation bei Kunstwerken979. Gemessen an der Fülle der Kunsterzeugung weisen nur wenige Werke von meist berühmten Künstlern über einen mittel- bis langfristigen Horizont hinweg eine stabile resp. steigende Wertentwicklung auf980. Hinzu kommt, dass Werke, die in ihrer Entstehungsperiode nicht sehr gefragt sind, unter Umständen längerfristig in hohem 975 976 977 978 979 980 Bekanntlich hatten Diamanten z.B. im 2. Weltkrieg diesbezüglich eine bedeutende Funktion. Bei anderen Edelsteinen ist ein Abzug als Investition in eine „eigene Unternehmung“ möglich, sofern das Steuersubjekt gewerbsmässig mit den Edelsteinen handelt. Antike Kunstgegenstände werden thematisch bei den gleich nachfolgend behandelten Kunstwerken eingegliedert. Wird ein gewerbsmässiger Handel mit antiken Objekten betrieben, sind hingegen die Anschaffungen über die Position „eigene Unternehmung“ abzugsfähig. Hier werden auch antike Kunstgegenstände unter diesen Term gefasst. Am Rande sei auf die nur sehr schwierig vorzunehmende Abgrenzung zwischen „normalen“ antiken Gegenständen und antiken Kunstgegenständen hingewiesen. Innerhalb dieses beschränkten Kreises sind es wiederum meist nur Unikate oder streng limitierte Auflagenwerke, die preislich eine stabile bzw. steigende Entwicklung erfahren, während multiple Werke in hoher Auflage, wie z.B. zumeist Lithographien, in der Regel hohe Werteinbussen erleiden. 208 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung Mass Anlagefunktion erfüllen981 und umgekehrt bei Künstlern, die zu Lebzeiten hohe Preise für ihre Werke erzielen, längerfristig deutliche Preiskorrekturen nach unten eintreten. Ebenfalls können bestimmte Stilrichtungen bzw. Epochen zeitweise im preistreibenden Markttrend liegen, darauf aber preislich wieder merklich zurückfallen. Insgesamt zeigt sich ein höchst volatiles Bild hinsichtlich der Kunst als Anlageform982 und der Hauptgehalt der konsumtiven983 immateriellen Werte wird offenbar. Es wird daher vorgeschlagen, Kunstwerke nicht als abzugsfähige Sparanlagen einzustufen984. 981 982 983 984 Z. B. waren die Werke von van Gogh, Cézanne und Gauguin zu Lebzeiten der Künstler nicht sehr gefragt; vgl. dazu Gombrich, S. 600: „Nehmen wir an, ein gut informierter und hellhöriger Kunsthistoriker hätte im Jahre 1890 den Versuch unternommen, die Geschichte der Kunst auf den neuesten Stand zu bringen: Selbst beim besten Willen hätte er nicht wissen können, dass die drei Zeitgenossen, die sich als bahnbrechend herausstellen würden, van Gogh, Cézanne und Gauguin waren; der Erste ein halb verrückter holländischer Autodidakt, der irgendwo in Südfrankreich wie besessen malte, der Zweite ein wohlhabender, scheuer älterer Herr, der schon lange aufgegeben hatte, Ausstellungen zu beschicken, und der Dritte ein Börsenmakler, der erst spät zu malen begonnen hatte und bald darauf als Europamüder in die Südsee gegangen war.“ Vgl. dazu auch die Untersuchung von Pommerehne/Frey, Art Investment, S. 396 ff. und dies., Musen und Märkte, S. 110 ff. Insbesondere zwei Aussagen aus den genannten Arbeiten geben Auskunft über die schwierige Situation der Kunst als Anlageform: a) Zunächst wurden in die Untersuchung nur Kunstobjekte aufgenommen, die auktionsgängig sind (Pommerehne/Frey, Art Investment, S. 397; dies., Musen und Märkte, S. 112 i.V.m. S. 130). Jedoch ist nur ein kleiner Prozentsatz der Kunstwerke überhaupt auktionsfähig. In der Regel ist es nur etablierte, international anerkannte Kunst, die den Weg ins Auktionshaus schafft. Andere Kunstobjekte, deren Wertperformance – da es sich um Werke weniger etablierter Künstler handelt – weit unter der von auktionsfähigen Objekten liegt, wurden gar nicht erst in die Untersuchung mitaufgenommen. Daraus resultiert, dass die Untersuchung bezogen auf den gesamten Kunstmarkt zu positive Ergebnisse liefert. b) Aber auch bei der auf auktionsfähige Werke reduzierten und in dieser Weise beschönigenden Untersuchung resultiert, dass die Rendite auf Kunstanlagen niedrig ist: „Die im Rahmen unserer Stichprobe ermittelte reale Durchschnittsrendite von 1,5 Prozent ist im Vergleich zu jener von Finanzmarktanlagen verhältnismässig gering. Während des Zeitraums von Mitte des 17. Jahrhunderts (...) bis 1987 hätte sich mit Finanzmarktanlagen (erster Adressen, insbesondere mit Staatsanleihen) eine langfristige nominelle Rendite von fünf Prozent pro Jahr erzielen lassen. Der Preisanstieg für Konsumgüter lag während des gleichen Zeitraums bei gut zwei Prozent pro Jahr, so dass sich eine langfristige reale Ertragsrate von drei Prozent pro Jahr ergibt. (...) Wir kommen somit zum Ergebnis: Die reale Rendite einer Geldanlage in Gemälde entspricht allenfalls der Hälfte der Relaverzinsung von erstklassigen Staatsanleihen.“ Auch wenn die Wortwahl in diesem Zusammenhang profan erscheint, als Abgrenzung zur Investition handelt es sich doch um Konsumtion. Zum gleichen Schluss gelangte u.a. auch Kirchgässner, S. 75. Vgl. auch VerwGE Zürich v. 14.7.1999, in: StE 1999 B 72.14.2 Nr. 23: “Im Vergleich zu den von der Pflichtigen herangezogenen Vermögensanlagen in Form von Liegenschaften und Aktien steht bei Kunstobjekten der persönliche Gebrauch durch eine natürliche Person im Vordergrund.” Anzumerken ist, dass bei einem gewerbsmässigen Handel mit antiken Objekten die Anschaffungen über die Position „eigene Unternehmung“ abzugsfähig sind. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 2. 209 Geltendmachung des Sparabzuges Der grösste Teil der abzugsfähigen Sparanlagen, namentlich Bankguthaben, Obligationen, Aktien börsenkotierter Unternehmungen, marktgängige Rohstoffe, marktgängige Edelmetalle etc. werden durch Banken oder bankähnliche Institute verwaltet, und den Steuerbehörden können zur Belegung der in der Steuererklärung geltend gemachten Sparabzügen die durch die verwaltenden Institute ausgestellten Erwerbs- sowie Bestandesbescheinigungen eingereicht werden985. Bei anderen Sparanlagen können zur Überprüfung Forderungs-986 bzw. Erwerbsbelege dienen987. Bei selbst aufbewahrten Vermögensanlagen, wie z.B. bei selbst aufbewahrtem Geld und selbst aufbewahrten Diamanten ergeben sich Praktikabilitätsprobleme, da der Bezugs- bzw. Erwerbsbeleg nichts über die Verwendung aussagt. Als Überprüfungsmöglichkeit bleiben nur aufwendige und in der Praxis bislang nicht bekannte Stichprobenkontrollen vor Ort. Private Bargeldaufbewahrung stellt eine Sparform dar und erfüllt ein Sicherheitsdenken, das sich in der bewegten internationalen und nationalen Bankengeschichte der jüngeren Vergangenheit bestätigt findet. Dies gilt – in reduzierter Weise – auch für die private Diamantaufbewahrung. Ein auf Praktikabilitätsgründe gestütztes gänzliches Ausklammern der Bargeld- und privaten Diamantbestände konfligiert daher mit der Zwecksetzung einer sparbereinigten Einkommensteuer. Als abwägende Auflösung des Zielkonflikts könnte die Gewährung eines nach oben plafonierten Betrages in Betracht gezogen werden, damit zumindest der „Notgroschen“ und „Sparstrümpfe“ steuerwirksam erfasst sind988. Diese Plafonierungslösung kann übertragen werden auch auf die anderen Sachanlagen, die grundsätzlich zum Sparabzug berechtigen, aber bei Selbstaufbewahrung Kontrollprobleme aufwerfen (zum Beispiel bei selbst aufbewahrten Edelmetallen und Rohstoffen). Mit anderen Worten kann der Steuerpflichtige innerhalb eines bestimmten Rahmens – es ist dabei vom Einstandswert auszugehen – Sachanlagen, die er bei sich aufbewahrt, als Sparabzug geltend machen. 985 986 987 988 Zur Belegung der Ersparnisbildung bereits oben, § 5 A. II., S. 85. Z.B. bei Darlehen. Bei Grundeigentum kann der Grundbucheintrag eingesehen werden. Abzugsfähig sind hingegen sämtliche Anschaffungen, sofern ein gewerbsmässiger Handel mit Geld oder Diamanten betrieben wird. Der Abzug kann dann über die Position „eigene Unternehmung“ erfolgen. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 210 3. Hinweis auf die Idee der Verwaltung durch „qualifizierte Sparinstitute“ gemäss LANG Zu erwähnen ist der Lösungsansatz von LANG, der in seinem Entwurf vorsah, dass sämtliche abzugsfähigen Sparformen von qualifizierten Sparinstituten zu verwalten sind989. Als qualifizierte Sparinstitute werden juristische Personen oder Personenvereinigungen erfasst, denen für ihre Vermögensverwaltungsgeschäfte eine besondere staatliche Genehmigung zugesprochen wurde und die einer laufenden staatlichen Überwachung unterliegen990. Zur Begründung führt Lang an, dass dadurch zum einen der Schutz des Kapitalanlegers und zum anderen die effiziente Erfassung der Sparguthaben gewährleistet werde991. Bezüglich Steueradministration eröffne sich damit insbesondere auch die Möglichkeit der automatisierten Datenübertragung992. Aus Sicht des Anlegerschutzes kann die von Lang geforderte Verwaltungszentralstellung von qualifizierten Sparinstituten allerdings nicht überzeugen. Zum einen bedürfen in der Schweiz Banken und bankähnliche Unternehmungen nach Art. 3 Abs. 1 BankG ohnehin einer Bewilligung993 der Bankenkommission und unterliegen einer laufenden Überwachung und Revision (Art. 18 ff. BankG). Die Überwachung der Geschäftstätigkeit kann den Anleger aber nur soweit absichern, als er gegenüber dem überprüften Sparinstitut Kapitalforderungen, das heisst Spareinlagen und andere Guthaben besitzt. Für Kapitalforderungen, wie zum Beispiel Darlehen, Obligationen, Unternehmungsbeteiligungen etc., die nicht direkt gegenüber dem verwaltenden Sparinstitut bestehen und unter Umständen bedeutende Ausmasse annehmen können, greift die Überprüfung des Sparinstituts hingegen ins Leere. Darüber hinaus impliziert der Entwurf Lang, dass eigenaufbewahrte mobile Sachanlagen in keiner Weise als Sparanlagen aufgeführt werden können. Diese Ausklammerung und die damit einhergehende gesetzliche Lenkung zugunsten der Fremdverwaltung des Sparvermögens vermag nicht mit dem Anlegerschutz begründet werden, da gemäss schweizerischer Konzeption letzterer den Anleger gegenüber Fremdverwaltern schützen soll und nicht vor sich selbst994. Die Ei989 990 991 992 993 994 § 123 Entwurf Lang. § 123 Abs. 1 i.V.m. § 832 Entwurf Lang. Entwurf Lang, N 583. Entwurf Lang, N 583. Dabei handelt es sich um eine sog. klassische Polizeibewilligung, d.h. einer Polizeibewilligung mit „subjektiven Voraussetzungen“; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 280 und S. 193 f. So dient das BankG in erster Linie dem Gläubigerschutz und sodann nach Auffassung einiger Autoren und der EBK auch dem Funktionsschutz. Dazu, mit Hinweis auf die Umstrittenheit des Funktionsschutzes: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 278; Bodmer/Kleiner/Lutz, N 94 f. zu Art. 3. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 211 genaufbewahrung von mobilen Sachanlagen ist aus Aspekten der Risikodiversifikation und allfälliger Notvorratshaltung nachvollziehbar und die verfassungsmässig gewährte grundsätzliche Privatautonomie in wirtschaftlichen Entscheidungen995 steht einer gänzlichen Ausklammerung der eigenaufbewahrten mobilen Sachanlagen entgegen996. Triftiger zur Begründung von qualifizierten Verwaltungszentralstellen sind demgegenüber – zumindest auf den ersten Blick – die Gründe steueradministrativer Art. Auf den zweiten Blick relativiert sich jedoch auch diesbezüglich die Überzeugungskraft. Denn die Überwachung erfasst bekanntlich nur die vom qualifizierten Sparinstitut selbst verwalteten Sparanlagen und allenfalls die Richtigkeit der Zusammenstellung der Vermögensinformationen. Bei Kapitalforderungen Dritten gegenüber und bei extern gelagerten mobilen Sachanlagen (zum Beispiel bei marktgängigen Edelmetallen und Rohstoffen) muss sich hingegen das qualifizierte Sparinstitut in der Regel auf fremde Angaben stützen, und Versuche zur Steuerhinterziehung997 werden daher auch durch die Zwischenschaltung eines qualifizierten Sparinstituts keineswegs gebannt. Letztlich ist eine durch den Steuerpflichtigen ausgestellte Vermögensbestätigung versehen mit den oben aufgeführten Belegen ebenso aussagekräftig. Überdies bedarf einer kritischen Prüfung, ob und wieso den Sparinstituten steueradministrative Aufgaben zuzuteilen sind, die funktionell eher der staatlichen Steuerverwaltung oder der privaten Steuerberatung zuzuordnen sind. Den Sparinstituten würden per Gesetz neue, steuerbezogene Geschäftsaktivitäten zukommen, was wirtschaftspolitisch einer näheren Begründung bedarf998. 4. Konsequenz: Ersatz bestehender Sparbegünstigungen Durch die Statuierung eines allgemeinen Sparabzuges erübrigen sich die im geltenden DBG verankerten begrenzten Sparbegünstigungen. In Anlehnung an die obigen Aus- 995 996 997 998 Dazu oben, § 2 B. II. 4.3.3. b), S. 50 f. Vgl. daher den im vorstehenden Abschnitt aufgezeigten Lösungsansatz, bis zu einem plafonierten Betrag eigenaufbewahrte Vermögensanlagen zum Sparabzug zuzulassen. Z.B. bzgl. Beteiligungen an juristischen Personen, die verdeckt geldwerte Vorteile rückfliessen lassen bzw. bei Personengesellschaften und Einzelunternehmungen, bei denen das Privatkonto sachwidrigerweise nicht genügend belastet wird sowie bei Beteiligungen an „Liebhabereiunternehmungen“; dazu oben, § 7 B. I. 1.2., S. 201. Vgl. Höhn/Waldburger, § 38 N 13 ff., zur Frage, inwiefern die verdeckte Gewährung von geldwerte Vorteilen resp. die ungenügende Belastung des Privatkontos eine Steuerhinterziehung bzw. einen Versuch dazu darstellt. Die Sparverwaltung kann theoretisch ebenso durch eine qualifizierte Steuerberatungsstelle erfolgen. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 212 führungen999 beschlägt dies allerdings nur die Begünstigungen von reinen Sparformen, das heisst, nicht die versicherungsmässige Vorsorge. Betroffen sind somit in erster Linie die begrenzte Begünstigung der Säule 3a (gebundene Vorsorge)1000, sofern es sich um eine reine Sparform und nicht ein Versicherungsprodukt handelt, und die begrenzte Abzugsfähigkeit der Sparzinsen1001. Sollte der Gesetzgeber beabsichtigen, bestimmten Sparformen eine besondere Stellung zukommen zu lassen, kann er dies zum einen analog zur 2. Säule umsetzen, indem er in ausserfiskalischer Weise ein bestimmtes Sparen vorschreibt (Zwangssparen; konkret 2. Säule), oder zum anderen durch fiskalische Lenkung mittels Modifikation des allgemeinen Sparabzuges dahingehend, dass zunächst eine (abzugsfähige) Mindesteinlage zugunsten einer bestimmten Sparform zu leisten ist und erst danach weitere Ersparnisbildungen steuerlich abgezogen werden können. Mit Rücksicht auf die oben beschriebene verfassungsmässig anerkannte Privatautonomie1002, die grundsätzlich auch für den Sparentscheid beansprucht werden kann, können jedoch keine offensichtlichen Gründe ausgemacht werden, nebst dem Obligatorium der 2. Säule bestimmte freiwillige Sparformen (zum Beispiel die „Säule 3a“) gesetzlich zu favorisieren, insbesondere, da damit immer auch eine Diskriminierung der ausgeschlossenen Sparformen1003 verbunden ist. II. Ersparnisse aus nicht der Einkommensteuer unterliegenden oder bereits mit der Einkommensteuer belasteten Vermögenszuflüssen 1. Fragestellung Nebst steuerbarem Einkommen können auch nicht der Einkommensteuer unterliegende von aussen zufliessende1004 Vermögensmehrungen zur Ersparnisbildung beim 999 1000 1001 1002 1003 1004 § 7 B. I. 1.1.1., S. 199 f. Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG; zur gebundenen Vorsorge bereits oben, § 5 C. III. 3., S. 118 f. Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG. Oben, § 2 B. II. 4.3.3. b), S. 50. Z.B. Investitionen in eigene Unternehmungen. Nicht erfasst werden durch diese Formulierung insbesondere endogene Vermögenmehrungen, die nach der “Reinvermögenszuflusstheorie“ als nicht steuerbar zu betrachten sind. Zur “Reinvermögenszuflusstheorie“ und zu den endogenen Vermögensmehrungen bereits oben, § 5 C. 2.2.4., S. 103 f. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 213 Steuersubjekt beitragen. Zu denken ist unter anderem an Erbschaften und Schenkungen1005, Genugtuungssummen1006, Unterstützungen aus öffentlichen oder privaten Mitteln1007. Zudem ist bei Einführung der Sparbereinigung von einem bestehenden Vermögensbestand auszugehen. Die den Vermögensbestand bildenden Teile wurden bei Zufluss bereits mit der Einkommensteuer belegt oder sie unterlagen ev. nicht der Einkommensteuer. Es fragt sich somit, wie mit nicht der Einkommensteuer unterliegenden Vermögensmehrungen und dem bereits bestehenden Vermögensbestand („Altbestand“) bei einem Wechsel zur Sparbereinigung umzugehen ist. Genau genommen stellen sich zwei Fragen. Zum ersten: Wie sind nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse zu handhaben? Und zum zweiten: Wie ist bei Auflösung von Sparanlagen, die aus nicht steuerbaren Zuflüssen gebildet wurden, zu verfahren? 2. Nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse Mit Bezug auf nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse wurde die Problematik bereits weiter oben beleuchtet. Namentlich erfolgte dies anhand der unter der Freistellungsmethode abschliessend im Ausland besteuerten Einkünfte. Dabei wurde folgender Vorschlag formuliert1008: Übersteigt die Ersparnisbildung das grundsätzlich steuerbare Einkommen, das heisst, werden auch nicht steuerbare Vermögenszuflüsse zur Ersparnisbildung verwendet, ist dieser Überschussbetrag1009 aufzunehmen und bei späteren Ersparnisauflösungen bzw. bei Austritt aus der Steuerpflicht steuerwirksam abzuziehen. Dadurch wird vermieden, dass an sich nicht steuerbares Einkommen besteuert wird und gleichzeitig kann dem Anstieg des Kapitalwertes Rechnung getragen und eine Kapitalgewinnbesteuerung ermöglicht werden. 1005 1006 1007 1008 1009 Art. 24 lit. a DBG. Art. 24 lit. g DBG. Art. 24 lit. d DBG. Vgl. oben, § 6 A. III. 2.1.3., S. 179 f. Oben (§ 6 A. III. 2.1.3., S. 179 f.) wurde der Überschussbetrag wie folgt wiedergegeben: Überschussbetrag = Ersparnisbildung insgesamt minus grundsätzlich steuerbares Einkommen (d.h. steuerbares Einkommen vor Berücksichtigung allfälliger Sparabzüge). Verwiesen wurde zudem darauf, dass durch die heutige EDV die Erfassung und auch die weitere Administration des Überschussbetrages leicht zu bewerkstelligen sei. 214 3. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung Auflösung von Sparvermögen, das aus nicht steuerbarem Einkommen gebildet wurde bzw. von Vermögensaltbeständen Ausser Zweifel steht, dass Sparvermögen, das aus nicht der Einkommensteuer unterliegenden Zuflüssen gebildet wurde, das heisst die Überschussbeträge im eben erläuterten Sinne, sowie allfällige Vermögensaltbestände, die bei Wechsel zur Sparbereinigung bereits bestehen, bei Auflösung nicht der Einkommensteuer unterstellt werden dürfen. Allgemein steht als Ausgangslage fest, dass bei Ersparnisauflösungen diese fortan „Sparsonderwerte“ genannten Überschussbeträge und Vermögensaltbestände1010 in irgend einer Weise abzuziehen sind, damit die steuerbare Ersparnisauflösung ermittelt werden kann. Jedoch kann eine Ersparnisauflösung meist nicht darauf untersucht werden, zu welchem Teil sie auf „Sparsonderwerten“ beruht und auf welchem Teil noch eine Einkommensteuer zu erheben ist. Auf der Suche nach einer realistischen, das heisst vor allem praktikablen Lösung, sind daher weiter die anteilsmässige Lösung auf der einen Seite und die Gesamtbetragslösung auf der anderen Seite zu untersuchen. Bei der anteilsmässigen Lösung wird bei der Besteuerung einer Ersparnisauflösung das Verhältnis des Sparvermögens aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen zu den „Sparsonderwerten“ ermittelt. Hingegen ist eine genaue Ermittlung der aktuellen Werte vom Sparvermögen aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen einerseits und vom Vermögen i.S. der „Sparsonderwerte“ andererseits kaum oder zumindest nicht in praktikabler Form möglich. Zum Vergleich können daher nicht die Realwerte der entsprechenden Vermögensbestände herangezogen werden. Es ist auf eine behelfsmässige Lösung zurückzugreifen: Die Zuflusswerte des Einkommens, das von einem Steueraufschub betroffen ist, kann in Bezug gesetzt werden zu den Erfassungs- 1010 Somit: Sparsonderwerte = Sparwerte, die aus nicht steuerbaren Einkommenszuflüssen gebildet wurden (d.h. sog. Überschusswerte) plus allfällige Vermögensaltbestände, die bei Wechsel zur Sparbereinigung bereits bestehen. Es wird dabei kein Anspruch darauf erhoben, die Bezeichnung „Sparsonderwerte“ sei besonders originell oder dem Wortsinn nach überaus treffend. Jedoch ist es für die anschliessenden Ausführungen dienlich, das Gemeinte in eine kurze Bezeichnung zu fassen. Irreführend wäre hingegen ein Begriff wie z.B. „steuerfreie Sparwerte“, da zum einen der Vermögensaltbestand bereits besteuert wurde und zum anderen bei Implementierung einer privaten Kapitalgewinnsteuer – die in dieser Arbeit für den Fall einer Sparbereinigung vorgeschlagen wird – die Kapitalgewinne auf den betreffenden Vermögensteilen steuerlich zu erfassen sind. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 215 werten der „Sparsonderwerte“1011. Entsprechend diesem Verhältnis wird dann die Ersparnisauflösung besteuert. Der Ansatz der Gesamtbetragslösung ist einfacher. Es werden schlichtwegs die „Sparsonderwerte“ – sofern und soweit solche vorhanden sind – von den (Netto-)Ersparnisauflösungen1012 abgezogen1013. Dabei ist denkbar, vor allem bei grösseren „Sparsonderwerten“, dass über längere Zeit hinweg allfällige Ersparnisauflösungen durch den Abzug von „Sparsonderwerten“ kompensiert werden. Das führt eine gewisse fiskalische Unberechenbarkeit sowie fiskalische Durststrecken mit sich. Sollte sich diese zu stark auf den Finanzhaushalt auswirken, kann ihr theoretisch durch die weiter unten1014 vorgeschlagene Emittierung von Staatsanleihen („Quasi-Securitisation“) entgegnet werden. Diesbezüglich ist anzufügen, dass dieselbe fiskalische Unberechenbarkeit und Durstzeit auch gegeben wäre, wenn die Steuerpflichtigen frei bestimmen könnten, welche Art des Sparvermögens sie steuerwirksam auflösen könnten. Auch dann würden die Steuerpflichtigen annahmeweise zunächst die „Sparsonderwerte“ auflösen. Unter der Voraussetzung, dass die fiskalischen Unberechenbarkeiten und Durststrec??ken wirksam gemanagt werden können, scheint die Gesamtbetragslösung praktikabler, da keine Verhältnisse zu ermitteln sind. Ein noch bedeutenderes Argument für die Gesamtbetragslösung liegt aber darin, dass durch sie – im Gegensatz zur anteilsmässigen Lösung – eine Besteuerung der privaten Kapitalgewinne ganzheitlich durchgeführt werden kann. Denn bei einer Besteuerung privater Kapitalgewinne sind auch Kapitalgewinne auf Vermögen zu erfassen, das (teilweise) aus „Sparsonderwerten“ gebildet wurde. Bei der anteilsmässigen Lösung würde 1011 1012 1013 Zur Verhältnisermittlung sind somit nicht die aktuellen Werte der aus je unterschiedlichen Quellen gebildeten Vermögen massgebend, sondern die Werte der Zuflüsse. Die Zuflüsse sind leichter zu erfassen: So kann auf der einen Seite ermittelt werden, inwiefern Einkommen steueraufschiebend behandelt wurde, wobei nur Einkommen relevant ist, auf dem aktuell noch ein Steueraufschub gewährt wurde. Auf der anderen Seite kann erfasst werden, wie hoch die „steuerfreien Sparwerte“, d.h. die Vermögensaltbestände und die nicht steuerbaren Reinvermögenszuflüsse, sind. D.h. Abzug, wenn in einer Periode die Sparauflösung die Ersparnisbildung übersteigt (sog. Nettoersparnisauflösung). Beispiel 1: Der Steuerpflichtige A verfügt im Jahr 0 über „Steuerfreie Sparwerte“ von Fr. 5‘000. Er löst in diesem Jahr Ersparnisse von Fr. 8‘000 auf (modellhaft werden Einkommenszuflüsse ausgeschlossen). Als Einkommen steuerbar sind Fr. 3‘000.- (Fr. 8‘000 minus Fr. 5‘000). Beispiel 2: Wie Beispiel 1, aber Ersparnisauflösung im Jahr 0 von Fr. 3’000.- und im Jahr 1 von Fr. 5‘000.-. Im Jahr 0 keine Einkommensbesteuerung; Fr. 3‘000.- minus Fr. 5‘000.- (Summe der „steuerfreien Sparwerte“) belässt einen Vortrag an „steuerfreien Sparwerten“ von Fr. 2‘000.- ins nächste Jahr. Im Jahr 1 unterliegen Fr. 3‘000.- (Fr. 5‘000 minus Fr. 2‘000) der Einkommensteuer. 216 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung hingegen der ermittelte, bei der Ersparnisauflösung nicht der Einkommensteuer zu unterstellende Anteil auch eventuelle Kapitalgewinne beschlagen. Eine partielle Ausnahme von der Besteuerung des privaten Kapitalgewinnes wäre die Folge. Dem weiter hinten folgenden Gesetzesentwurf1015 liegt daher aus Gründen der Praktikabilität, aber vor allem mit Blick auf eine ganzheitliche Besteuerung privater Kapitalgewinne die Gesamtbetragslösung zugrunde1016. III. Graduelle Einführung? KALDOR z.B. hat gestützt auf Praktikabilitätsüberlegungen eine graduelle Einführung der Sparbereinigung empfohlen1017. Durch eine graduelle Einführung würde u.a. ebenfalls die Möglichkeit eröffnet, Verschiebungen der Fiskaleinnahmen infolge des gewährten Steueraufschubes zu steuern und Berechenbarkeit zu gewinnen. Konkret könnte daher zum Beispiel derart verfahren werden, dass die nebst der 2. Säule steuerlich abziehbare Ersparnisbildung stufenweise erhöht wird. Jedoch wirft auch der Ansatz der graduellen Einführung erhebliche Praktikabilitätsprobleme auf. So ist durch eine Zweiteilung der Ersparnisse die Einführung einer umfassenden Kapitalgewinnsteuer nicht mehr möglich. Während sie sich auf Sparanlagen, die von der Einkommensteuer abgezogen wurden, aus Gerechtigkeits- sowie Praktikabilitätsgründen aufdrängt, ist aus Praktikabilitätsgründen, insbesondere aufgrund der nicht gegebenen Veranlagungsökonomie, von einer Kapitalgewinnsteuer auf Sparanlagen, die aus bereits bei Zufluss besteuertem Einkommen gebildet wurden, abzusehen. Daher wäre analog graduell eine Kapitalgewinnsteuer auf den Ersparnissen vorzusehen, für die eine Sparbereinigung geltend gemacht wurde. Eine solche Zweiteilung würde aber Anreize setzen, primär Kapitalgewinne auf den anderen, nicht über eine steuerliche Sparbereinigung gebildeten Ersparnissen zu realisieren. Die Folgen wären ein steuerbedingt verzerrtes Sparverhalten, ein teilweises Leerlaufen der Kapitalgewinnsteuer sowie verbunden mit der Ausgabenhemmung auf den steuerbegünstigt gebildeten Ersparnissen eine Aufweichung der beabsichtigten fiskalischen Kontinuität und Berechenbarkeit. Selbst ohne Kapitalgewinnsteuer wären erhebliche Verhaltensverzerrungen zu erwarten, da tendenziell zunächst die nicht steueraufschiebend gebil1014 1015 1016 1017 § 6 B. III., S. 217. Unten, § 9, S. 224 ff. Art. 16 Abs. 4 DBG. Kaldor, Expenditure Tax, S. 223 ff.; zu Kaldor auch oben, § 1. D., S. 8. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 217 deten Ersparnisse aufgelöst würden. Die Auflösung der Ersparnisse mit Steueraufschub würde möglichst lange hinausgezögert. Aus diesen Gründen ist alternativ zu prüfen, ob nicht die Sparbereinigung umfassend eingeführt werden soll. Bedeutend ist dabei, dass es sich mit Bezug auf das Schweizer Steuerrecht immer noch um eine graduelle Einführung handelt, nämlich um eine Ergänzung zur bereits bestehenden Sparbereinigung im Bereich der Vorsorge1018. Zum Ausgleich des zu erwartenden temporären Steuerausfalls bzw. der Verschiebung des Steuerrhythmus, könnten Staatsanleihen emittiert werden, die bei Zufluss der aufgeschobenen Besteuerung zurückbezahlt werden. Dies würde materiell einer „securitisation“ der aufgeschobenen Steueransprüche nahe kommen („Quasi-Securitisation“). Aber auch mit Blick auf allfällige temporäre Steuerausfälle gilt, dass es sich eigentlich um eine graduelle Ausdehnung der bereits im Schweizer Steuerrecht verankerten Sparbereinigung handelt. Durch die bestehenden Formen der Sparbereinigung wurde die Verschiebung der Steuereinnahmen bereits angebahnt1019. Diesbezüglich sind zwei Punkte hervorzuheben: Einerseits zeigt sich, dass der Steuergläubiger, das heisst der Staat, faktisch durchaus auch mit quantitativ höchst bedeutenden Steuerverschiebungen umgehen kann. Zu denken ist dabei vor allem an die mit der 2. Säule (BVG-Sparen) verbundenen Steuerverschiebungen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die schon statuierten Formen der Sparbereinigung bereits in näherer Zukunft vermehrt auch zu Rückflüssen, das heisst zu steuerbaren Sparauflösungen führen werden. Konkret ist damit gemeint, dass aktuell grosse BVG-Vermögen vorhanden sind und diese latentes Steuersubstrat bilden1020. Mit anderen Worten besteht bereits eine Grundlage zur Annahme, wonach der Staat in näherer Zukunft die Besteuerung auf zunächst steueraufschiebend behandelten Vorsorgersparnissen nachholen kann. IV. Stundungsmöglichkeiten und Sicherungsmassnahmen 1. Stundungsmöglichkeiten Wenn Vermögen, das über lange Zeit aus grundsätzlich steuerbarem Vermögen angespart wurde, aufgelöst und folglich besteuert wird, können unter Umständen sehr hohe Steuerbeträge resultieren. Die Steuerentrichtung kann in solchen Fällen eventuell eine „erhebliche Härte“ (Art. 166 Abs. 1 DBG) für den Steuerpflichtigen bedeuten, so dass 1018 1019 Dazu oben, § 5 C. III., S. 109 ff. Vgl. auch Dorenkamp, S. 212. 218 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung sich Stundungen oder Ratenzahlungen aufdrängen. Mit Blick auf die Besteuerung bei Wegzug ins Ausland (Wegzugsbesteuerung) erfolgte bereits weiter oben eine diesbezügliche Thematisierung, und es wurde eine Anknüpfung an die geltende (Ermessens)Regelung von Art. 166 DBG empfohlen, einschliesslich deren Bestimmung, dass Zahlungserleichterungen von Sicherheitsleistungen abhängig gemacht werden können1021. Auch für die anderen Fälle (reguläre Ersparnisauflösung/Austritt aus der Steuerpflicht bei Tod) kann weiter an Art. 166 DBG angeknüpft werden. Er sieht einerseits Instrumente vor (Stundung und Ratenzahlung), mit denen den allfälligen Problemlagen angemessen begegnet werden kann, und räumt andererseits den rechtsanwendenden Behörden genügend Freiraum ein, um auf den konkreten Fall zu reagieren. Sollte sich eine präzisierende Verwaltungspraxis entwickeln, die in generell-abstrakte Regeln fassbar ist, kann diese auch als Vorlage für eine spätere Kodifizierung dienen. Anzumerken ist, dass „erhebliche Härten“ bei Sparauflösungen oder Besteuerung infolge Tod weniger häufig anzunehmen sind als bei Wegzug ins Ausland. Im letzteren Fall bleibt das Vermögen in der Regel weiter in den Sparanlagen gebunden, während in den ersten Fällen entweder das Sparvermögen für den Konsum aufgelöst wurde (reguläre Sparauflösung) und entsprechend nicht mehr investiv gebunden ist oder das Vermögen ging auf die Erben über (Tod des Steuerpflichtigen), für welche dies einen frei verfügbaren Vermögenszufluss bedeutet. 2. Sicherungsmassnahmen Durch die Sparbereinigung und den damit verbundenen Steueraufschub verzichtet der Staat befristet auf die Erhebung von Steuern. Dabei kann der befristete Steuerverzicht insbesondere bei Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen und ausgeprägtem Sparverhalten sehr hohe Ausmasse annehmen. Zur Veranschaulichung kann beispielsweise an einen Unternehmer gedacht werden, der Lohn- und Gewinnanteil fortlaufend reinvestiert oder an eine Zahnärztin, die sehr sparsam lebt und über Jahre hinweg den grössten Teil ihres Einkommens in Finanzanlagen investiert. Mit dem befristeten, aber eben unter Umständen sehr hohe Beträge betreffenden Steueraufschub ist sodann die Gefahr verbunden, dass die Steuerpflichtigen aus der Schweiz wegziehen ohne ihrer Steuerzahlungspflicht nachzukommen. Ebenfalls besteht die Gefahr, dass die Steuerpflichtigen auch bei Verbleib in der Schweiz das steueraufschiebend behandelte Ein1020 1021 Siehe zur quantitativen Bedeutung des BVG-Sparens oben, § 5 C. III. 2.2., S. 113 f. Art. 166 Abs. 2 DBG. Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung 219 kommen konsumtiv verwenden, ohne dass genügend finanzielle Mittel für die nachgeholte Einkommensbesteuerung übrig bleiben. Mit Bezug auf die obigen Beispiele wäre konkret die Gefahr zu berücksichtigen, dass der Unternehmer zum Beispiel seine Unternehmung veräusserte und mit dem Erlös nach Kalifornien zöge, ohne dass er in der Schweiz ordnungsgemäss die infolge Sparauflösung resp. Wegzug anfallenden Einkommensteuern entrichten würde. Ebenfalls möglich wäre, dass der Unternehmer seine Unternehmung veräusserte und den Erlös unter anderem mit teuren Autos, teurem (Sammler-)Wein und gefälschten oder überteuerten Kunstwerken leichtfertig verprassen würde, so dass nicht mehr genügend zur Deckung der nachgeholten Einkommensbesteuerung übrig bliebe. Auch könnte beispielsweise befürchtet werden, dass die Zahnärztin ihre Tätigkeit in der Schweiz aufgibt, nach Südfrankreich zieht, ohne dass die Einkommensteuer nachgeholt worden wäre und die Finanzanlagen in ein Depot auf Jersey (Channel Islands) umbuchen lässt. Aus dem Dargelegten wird ersichtlich, dass bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer der Steuersicherung ein erhebliches Gewicht zukommt. Bund und Kantone müssen für den aufgeschobenen Steueranspruch gesichert sein. Dabei geht es im Unterschied zu der bereits im DBG verankerten Sicherstellung nach Art. 169 nicht um bereits geschuldete Steuerforderungen1022, sondern um bekanntlich aufgeschobene, potentielle Steuerforderungen. Daher drängt sich die Schaffung einer neuen, gezielt auf die beschriebene Problematik zugeschnittenen Gesetzesgrundlage auf. Nebst dem Umstand, dass die Steuerforderung noch nicht geschuldet ist, bleibt zu berücksichtigen, dass das gesparte Einkommen investiv verwendet wird. Unter diesen Umständen macht eine Sicherstellung „in Geld“, wie sie in Art. 169 Abs. 2 DBG für bereits geschuldete Steuerforderungen vorgesehen ist, keinen Sinn. Hingegen können die anderen in Art. 169 Abs. 2 DBG genannten Sicherstellungsmassnahmen auch für die Steuersicherung bei einer sparbereinigten Einkommensteuer übernommen werden. Dabei handelt es sich namentlich um die Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften und die Bankbürgschaft. Darüber hinaus ist auch die Sicherung mittels gesetzlichen Grundpfandrechten in Erwägung zu ziehen. Dabei ist der in der Rechtsprechung anhand kantonaler gesetzlicher (Steuer-)Grundpfandrechte entwickelte Grundsatz zu beachten, wonach „Steuergrundpfandrechte nur für solche Steuerforderungen Geltung haben können, die mit dem pfandverhafteten Grundstück in einer unmittelbaren Be- 1022 Dazu, dass es sich bei Art. 169 DBG um bereits geschuldete Steuerforderungen handelt: Fessler, N 4 zu Art. 169. 220 Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung ziehung stehen“1023. Es ist sachgerecht, diesen Grundsatz auch auf Steuergrundpfandrechte des Bundes zu übertragen. Daraus ergibt sich, dass nur bezüglich demjenigen gesparten Einkommen, das investiv für Grundstücke verwendet wurde, ein entsprechendes gesetzliches (Steuer-)Grundpfandrecht möglich ist. Bei (anzunehmender) gemischt investiver Verwendung des gesparten Einkommens hat eine Ausscheidung des aufgeschobenen Steueranspruchs zu erfolgen, der verhältnismässig auf das Pfandgrundstück entfällt1024. 1023 1024 Blumenstein/Locher, S. 326 f., m.w. Ausführungen und Verweisen; vgl. auch BGE 122 I 351 (355 f.); BGE 110 II 236 (237 f.); vgl. auch Höhn/Waldburger, § 34 N 57. Vgl. auch Blumenstein/Locher, S. 327. Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf Schlussteil: 221 Kernsätze und Gesetzesentwurf § 8 Kernsätze 1. Bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer besteht der wesentliche Unterschied zur geltenden Einkommensteuerordnung darin, dass das Einkommen zeitlich verschoben erst bei Konsum besteuert wird. Damit ist im Vergleich zur geltenden Einkommensteuerordnung auch ein Zinsvorteil des Steuerpflichtigen beziehungsweise ein Zinsnachteil des Steuergläubigers (Staat) verbunden. 2. Der Gesetzgeber hat bereits in verschiedener Weise Regelungen statuiert, bei denen das Einkommen zeitlich verschoben besteuert wird. Dazu zählen insbesondere die Möglichkeiten, Geschäftsverluste auf mehrere Bemessungsperioden vorzutragen und die Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge unselbständig Erwerbender unter bestimmten Umständen über mehrere Bemessungsperioden zu verteilen sowie die in bestimmten Kantonen erlaubte Sofortabschreibung. Am Gewichtigsten ist sodann, dass die Beiträge für die 2. Säule (berufliche Vorsorge) und in beschränktem Umfang auch bestimmte Einkommensverwendungen für die 3. Säule vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden können: Allein im Rahmen der 2. Säule wurde 1998-2001 durchschnittlich für rund Fr. 43.4 Mia. pro Jahr (Betrag bestehend aus Beiträgen plus Kapitalerträgen) die Besteuerung aufgeschoben bis zu einer späteren Auszahlung als Versicherungsleistung. 3. Mit Bezug auf eine Sparbereinigung der Einkommensteuer stellt sich aus rechtswissenschaftlicher Sicht die Ausgangsfrage, inwiefern eine solche Sparbereinigung in den Rahmen passt, der dem Steuergesetzgeber durch die verschiedenen verfassungsrechtlichen Vorgaben gezogen wird. 4. Eine Sparbereinigung, die über den einzelnen Steuerpflichtigen hinaus wirkt und auch seine Vermögensnachfolger (Erben/Beschenkte) von einem Steueraufschub profitieren, solange sie das ererbte/geschenkt erhaltene Vermögen nicht auflösen, verstösst gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Insbesondere die Allgemeinheit der Besteuerung, die Besteuerung nach der (individuellen) 222 Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der materielle Kompetenzgehalt der verfassungsmässigen Steuerkompetenzen lassen eine solche Form der Sparbereinigung nicht zu. 5. Zu prüfen bleibt hingegen, wie es verfassungsrechtlich zu beurteilen ist, wenn die Sparbereinigung auf den ursprünglich sparenden Steuerpflichtigen beschränkt wird. Demnach greift die nachgelagerte Einkommensbesteuerung, wenn das sparende Steuersubjekt seine Ersparnisse auflöst oder aus der Steuerpflicht austritt (Tod/Wegzug). Bei dieser individuumsbezogenen Form der Sparbereinigung sieht es aus verfassungsrechtlicher Sicht wie folgt aus: Sofern Steuersubjekt, Steuerobjekt sowie die Grundzüge der Bemessung auf Gesetzesstufe niedergelegt werden, ist das verfassungsmässige Legalitätsprinzip eingehalten. Eine solche Form der Sparbereinigung lässt sich auch mit den formellen wie auch materiellen Verfassungsvorbehalt vereinbaren; sie wäre durch die geltenden Bundessteuerkompetenzen gedeckt, wobei zur Absicherung der demokratischen Legitimation eine ausdrückliche Verankerung auf Verfassungsstufe wünschbar wäre. Des Weiteren stösst sich eine Sparbereinigung im umschriebenen Sinne auch nicht am Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung. Es werden alle zur Besteuerung herangezogen, infolge der Sparbereinigung kann ein Steuerpflichtiger der Besteuerung grundsätzlich nicht entgehen, möglich ist lediglich ein zeitlicher Aufschub. 6. Zu untersuchen ist zudem das Verhältnis zum Leistungsfähigkeitsprinzip. Für die vorliegende Fragestellung stellt das Leistungsfähigkeitsprinzip die bedeutendste verfassungsmässige Vorgabe dar, da dieses dem Gesetzgeber lenkender und begrenzender Leitgrundsatz für die Ausgestaltung einer materiell gerechten Steuerordnung sein soll. Dabei ist nicht nur zu fragen, inwiefern eine Sparbereinigung mit dem relativ unbestimmten Leistungsfähigkeitsprinzip an sich verträglich ist, sondern es ist weitergehend zu fragen, inwiefern eine Sparbereinigung im vorgenannten Sinn mit dem vorzufindenden Grundkonsens über eine gerechte Besteuerung resp. mit den in der Steuerordnung vorzufindenden Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips zu vereinbaren ist. 7. Eine auf den sparenden Steuerpflichtigen begrenzte Sparbereinigung ist mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip in Übereinstimmung zu bringen. Steuerlich wird weiterhin – lediglich zeitverschoben – an das Einkommen des Steuer- Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 223 pflichtigen angeknüpft. Und eben das Einkommen des Steuerpflichtigen wurde in der Schweizer Steuerordnung als vornehmlicher Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erkannt. Durch die zeitliche Verschiebung des steuerlichen Zugriffs wird das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht verletzt. Namentlich stellt das durch die Sparbereinigung verletzte Periodizitätsprinzip ein technisch-budgetäres Prinzip dar, das kein Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips ist, sondern vielmehr im Spannungsfeld zu ihm steht. Ohnehin ist das Periodizitätsprinzip keine verfassungsmässige Vorgabe, und der Gesetzgeber hat, was oben bereits aufgezeigt wurde, in vielfacher und bedeutender Weise Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips vorgenommen. In diesem Licht sind auch die mit dem zeitlichen Aufschub der Besteuerung verbundenen Zinsvorteile des sparenden Steuerpflichtigen beziehungsweise die Zinsnachteile des Steuergläubigers (Staat) zu beurteilen. Da in der Schweizer Steuerordnung in bedeutendem Ausmass Einkommen bereits zeitlich verschoben besteuert wird, zeigt sich, dass der Gesetzgeber diesen Zinseffekt nicht als Verstoss gegen seine Grundvorstellungen über eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit berachtet. Da der Verfassungsgeber keinerlei Ansinnen hatte, bei der BVRevision diesen Regelungen entgegen zu treten, kann ausserdem davon ausgegangen werden, dass auch er sie als mit dem verfassungsmässigen Grundprinzip der Besteuerung, das heisst dem Leistungsfähigkeitsprinzips, vereinbar ansieht. 8. Ohne auf das Rangverhältnis zwischen Landes- und Völkerrecht näher eingehen zu müssen, kann festgehalten werden, dass eine befristete Sparbereinigung grundsätzlich nicht gegen bestehende völkerrechtliche Abkommen, namentlich nicht gegen Doppelbesteuerungsabkommen, verstösst. 9. Insgesamt ergibt sich, dass eine Sparbereinigung der Einkommensteuer in der Weise, dass gespartes Einkommen erst bei Ersparnisauflösung oder bei Austritt des Steuerpflichtigen aus der Steuerpflicht (Tod/Wegzug) besteuert wird, mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. 224 Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf § 9 Entwurf zur DBG-Anpassung in Richtung sparbereinigte Einkommensteuer Erkenntnisse, die im Laufe der Arbeit gewonnen wurden, werden nachfolgend in einen Grobentwurf gebracht. Damit soll veranschaulicht werden, wie eine befristete Sparbereinigung allfälligerweise kodifiziert werden könnte. Der Entwurf umfasst getreu der Rahmensetzung dieser Arbeit nur den Regelungsbereich des DBG. Da die Erwägungen, die zum vorliegenden Gesetzesentwurf führten, in den vorangegangen Untersuchungen besprochen wurden, erübrigt sich hier eine weitere Kommentierung des Entwurfs. Der Entwurf ist nicht als festgefügter Vorschlag zu verstehen, sondern als Diskussionsgrundlage. Der Entwurf soll Anstoss geben, über die Umsetzung einer Sparbereinigung der Einkommensteuer nachzudenken und ist offen für die Einbindung anderer/weiterer Erkenntnisse und Überlegungen. Bezüglich der Darstellungsmethodik ist zu erklären, dass vorgeschlagene neue DBGTextstellen sowie neue Artikel- und Absatzanordnungen kursiv markiert sind, während Streichungen durch Streichungszeichen kenntlich gemacht werden. Anregungen ohne konkreten Entwurfstext werden in fetten [Eckklammern] und mit kleinerer Schrift herausgestellt. Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 225 Art. 16 3 Die Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen sind steuerfrei. Die Kapitalgewinne aus der Veräusserung von privaten Sparanlagen sind steuerbar. Die Kapitalgewinne sowie -verluste aus der Veräusserung von privaten Konsumgegenständen sind steuerlich unbeachtlich. Art. 16a 1 Gespartes Einkommen, das nach Art. 33a dieses Gesetzes steueraufschiebend behan- delt wurde, wird bei Ersparnisauflösung besteuert. Soweit zum Sparabzug berechtigende Sparanlagen vorhanden sind, gilt auch die Verschuldung als Ersparnisauflösung. Mit einer Auflösung sämtlicher als Sparabzug geltend gemachten Ersparnisse gleichgesetzt wird ein Austritt aus der Steuerpflicht infolge Tod oder Wegzug eines unbeschränkt in der Schweiz Steuerpflichtigen ins Ausland. Im letztgenannten Fall des Wegzugs bleibt der Sparabzug im Umfang der Sparanlagen, die in der Schweiz weiterhin eine beschränkte Steuerpflicht begründen, aufrecht erhalten. Soweit Ersparnisse vorhanden sind, die nicht über einen Sparabzug gebildet wurden, wird bei einer Ersparnisauflösung davon ausgegangen, es würden zunächst diese aufgelöst. 2 Art. 32 Bei Liegenschaften im Privatvermögen können die Unterhaltskosten, die Versicherungsprämien und die Kosten der Verwaltung durch Dritte abgezogen werden. Das Eidgenössische Finanzdepartment bestimmt, wieweit Investitionen, die dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen, den Unterhaltskosten gleichgestellt werden können. 2 Art. 33 1 Von den Einkünften werden abgezogen: (...) e. Einlagen, Prämien und Beiträge zum Erwerb von vertraglichen Ansprüchen aus anerkannten Formen der gebundenen Selbstvorsorge, die nach Versicherungsprinzipien aufgebaut ist; der Bundesrat legt in Zusammenarbeit mit den Kantonen die anerkannten Vorsorgeformen Formen der Versicherungsvorsorge und die Höhe der abzugsfähigen Beiträge fest. (...) Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 226 g. die Einlagen, Prämien und Beiträge für die Lebens-, die Kranken- und die nicht unter Buchstabe f fallende Unfallversicherung sowie die Zinsen von Sparkapitalien des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Personen, bis zum Gesamtbetrag von: - 2800 Franken für verheiratete Personen, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben; - 1400 Franken für die übrigen Steuerpflichtigen; für Steuerpflichtige ohne Beiträge gemäss den Buchstaben d und e erhöhen sich diese Ansätze um die Hälfte. Diese Abzüge erhöhen sich um 500 Franken für jedes Kind oder jede unterstützungsbedürftige Person, für die der Steuerpflichtige einen Abzug nach Artikel 35 Abs. 1 Buchstabe a oder b geltend machen kann. (...) Art.33a 1 Von den Einkünften können auch die aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse abgezogen werden. Als Ersparnisbildung gilt der Erwerb von: a. Geld und Kapitalforderungen jeder Art; b. Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen; c. Grundeigentum; d. sonstigen Sparanlagen; Ebenfalls als Ersparnisbildung gilt die Schuldentilgung aus steuerbarem Einkommen. 2 Das Eidgenössische Finanzdepartment bestimmt, wieweit nicht oder nur teilweise wertvermehrende Investitionen, die dem Energiesparen oder dem Umweltschutz dienen, zum Sparabzug berechtigen. 3 Durch die steuerpflichtige Person selbst aufbewahrte Sparsachanlagen wie z.B. Geld, marktgängige Rohstoffe und marktgängige Edelmetalle können im Umfang bis zu Fr. 100‘000.- vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. 4 Die umschriebenen Sparabzüge können unbeschränkt sowie beschränkt in der Schweiz steuerpflichtige natürliche Personen geltend machen. Bei beschränkt Steuerpflichtigen ist der Sparabzug begrenzt auf Sparanlagen, die in der Schweiz eine beschränkte Steuerpflicht begründen. Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 227 Art. 34 Nicht abziehbar sind die übrigen Kosten und Aufwendungen, insbesondere: a. die Aufwendungen für den Unterhalt des Steuerpflichtigen und seiner Familie sowie der durch die berufliche Stellung des Steuerpflichtigen bedingte Privataufwand; b. c. die Ausbildungskosten; die Aufwendungen für die Schuldentilgung; c. die Aufwendungen für die Anschaffung, Herstellung oder Wertvermehrung von Vermögensgegenständen privaten Konsumgegenständen; d. Einkommens-, Grundstückgewinn- und Vermögenssteuern von Bund, Kantonen und Gemeinden und gleichartige ausländische Steuern. Art. 36 [Bezüglich der Tariffrage ist auf oben, § 5 E. IV. 1., S. 161, zu verweisen, wo in Anlehnung an den Entwurf LANG, N 540 und § 103 Abs. 1, vorgeschlagen wurde, eine lange Niederprogressionszone zu schaffen, in welcher der normalen Anschaffung gewöhnlicher Konsumgüter weitestgehend Raum zukommt. Ab einem bestimmten Betrag, ab dem offensichtlich Luxuskonsum gedeckt wird, könnte dann die Progression stärker greifen. Diese Regelung würde unter anderem hemmen, dass die Steuerpflichtigen unter Verursachung von excess burdens ein künstliches Konsummuster gestalten (vgl. oben § 5 E. IV. 1., S. 161). Da aber bei der aufgezeigten Problematik offensichtlich auch die der Steuertariffestsetzung innewohnende politische Dimension stark hineinspielt, wird hier kein konkreter Tarifvorschlag formuliert. Vielmehr soll genügen, das Problem aufgezeigt zu haben, damit der Gesetzgeber allfälligerweise eine adäquate Tarifantwort darauf finden kann.] Art. 38 Kapitalleistungen aus Vorsorge und Besteuerung der Ersparnisaulösung bei Austritt aus der Steuerpflicht 1 Kapitalleistungen nach Artikel 22 sowie Zahlungen bei Tod und für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile werden gesondert besteuert. Sie unterliegen stets einer vollen Jahressteuer. 2 Die Steuer wird zu einem Fünftel der Tarife nach Art. 36 berechnet. Abs. 1 gilt ebenso bei der Besteuerung von Ersparnisauflösungen im Sinne von Art. 16 Abs. 3 dieses Gesetzes bei Austritt aus der Steuerpflicht infolge Tod oder Wegzug ins Ausland. 3 Die Sozialabzüge nach Artikel 35 werden nicht gewährt. Für Fälle von Abs. 1 wird die Steuer zu einem Fünftel der Tarife nach Artikel 36 berechnet. Für Fälle von Abs. 2 erfolgt die Berechnung zu „x“ der Tarife nach Artikel 36 [da die Tariffestsetzung eine stark politisch aufgeladene Aufgabe darstellt, wird hier wiederum auf einen konkreten Tarifvorschlag verzichtet; daher das „x“. Zur Erwägung, dass der Ansatz über 1/5 liegen sollte, siehe oben, § 5 E. IV. 2., S. 162]. 4 Die Sozialabzüge nach Artikel 35 werden nicht gewährt. Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 228 Art. 90 Vorbehalt der ordentlichen Veranlagung (...) 3 Die der Quellensteuer unterliegenden Personen können zudem das ordentliche Verfahren wählen, wenn sie vom quellensteuerpflichtigen Einkommen Sparabzüge nach Art. 33a geltend machen wollen. Art. 99a Berechtigung zum Sparabzug Die nach Art. 91 ff. dieses Gesetzes Quellensteuerpflichtigen sind berechtigt, einen Sparabzug geltend zu machen auf Sparanlagen, die in der Schweiz eine beschränkte Steuerpflicht begründen. Das Verfahren wird durch das Eidgenössische Finanzdepartment näher geregelt. Art. 125 Beilagen zur Steuererklärung 1 Natürliche Personen müssen der Steuererklärung insbesondere beilegen: a. Lohnausweise über alle Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit; b. Ausweise über Bezüge als Mitglied der Verwaltung oder eines anderen Organs einer juristischen Person; c. Verzeichnisse über sämtliche Wertschriften Sparanlagen, Forderungen und Schulden. 2 Natürliche Personen mit Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit und juristische Personen müssen der Steuererklärung die unterzeichneten Jahresrechnungen (Bilanzen, Erfolgsrechnungen) der Steuerperiode oder, wenn eine kaufmännische Buchhaltung fehlt, Aufstellungen über Aktiven und Passiven, Einnahmen und Ausgaben sowie Privatentnahmen und Privateinlagen beilegen. Belege über die Ersparnisbildung und -aufrechterhaltung im Rahmen des Sparabzugs von Art. 33a dieses Gesetzes. Darunter fallen beispielsweise: Erwerbsbelege; Bestätigungen der die Sparanlagen verwaltenden Stellen; Gesellschafts- und Darlehensverträge sowie aktualisierte Bestätigungen über Gesellschafts- und Darlehensverhältnisse. 3 Zudem haben Kapitalgesellschaften und Genossenschaften das ihrer Veranlagung zur Gewinnsteuer dienende Eigenkapital am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht auszuweisen. Dieses besteht aus dem einbezahlten Grund- oder Stammkapital, den offenen und den aus versteuertem Gewinn gebildeten stillen Reserven sowie aus jenem Teil des Fremdkapitals, dem wirtschaftlich die Bedeutung von Fremdkapital zukommt. Natürliche Personen mit Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit und juristische Personen müssen der Steuererklärung die unterzeichneten Jahresrechnungen (Bilanzen, Erfolgsrechnungen) der Steuerperiode oder, wenn eine kaufmännische Buch- Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 229 haltung fehlt, Aufstellungen über Aktiven und Passiven, Einnahmen und Ausgaben sowie Privatentnahmen und Privateinlagen beilegen. 4 Zudem haben Kapitalgesellschaften und Genossenschaften das ihrer Veranlagung zur Gewinnsteuer dienende Eigenkapital am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht auszuweisen. Dieses besteht aus dem einbezahlten Grund- oder Stammkapital, den offenen und den aus versteuertem Gewinn gebildeten stillen Reserven sowie aus jenem Teil des Fremdkapitals, dem wirtschaftlich die Bedeutung von Fremdkapital zukommt. 5 Die Ersparnisbildung und -aufrechterhaltung im Rahmen des Sparabzugs von Art. 33b dieses Gesetzes ist zu belegen insbesondere durch: Erwerbsbelege; Bestätigungen der die Sparanlagen verwaltenden Stellen; durch Gesellschafts- und Darlehensverträge sowie aktualisierte Bestätigungen über Gesellschafts- und Darlehensverhältnisse. Das Eidgenössische Finanzdepartement bestimmt Näheres. Art. 169 Sicherstellung Hat der Steuerpflichtige keinen Wohnsitz in der Schweiz oder erscheint die Bezahlung der von ihm geschuldeten Steuer als gefährdet, so kann die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer auch vor der rechtskräftigen Feststellung des Steuerbetrages jederzeit Sicherstellung verlangen. Die Sicherstellungsverfügung gibt den sicherzustellenden Betrag an und ist sofort vollstreckbar. Sie hat im Betreibungsverfahren die gleichen Wirkungen wie ein vollstreckbares Gerichtsurteil. 1 2 Die Sicherstellung muss in Geld, durch Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften oder durch Bankbürgschaft geleistet werden. Eine jederzeitige Sicherstellung im Sinne von Abs.1 kann die kantonale Verwaltung für die Bundessteuer auch im Falle von aufgeschobenen Steueransprüchen nach Art. 33a verlangen. 3 Der Steuerpflichtige kann gegen die Sicherstellungsverfügung innert 30 Tagen nach Zustellung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erheben. Die Sicherstellung nach Abs. 1 muss in Geld, durch Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften oder durch Bankbürgschaft geleistet werden. Die Sicherstellung nach Abs. 2 muss durch Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften oder durch Bankbürgschaft geleistet werden. 4 Die Beschwerde hemmt die Vollstreckung der Sicherstellungsverfügung nicht. Der Steuerpflichtige kann gegen die Sicherstellungsverfügung innert 30 Tagen nach Zustellung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erheben. 5 Die Beschwerde hemmt die Vollstreckung der Sicherstellungsverfügung nicht. Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf 230 Art. 172a Gesetzliches Grundpfandrecht Zur Sicherung des Steueranspruches auf gespartem Einkommen, das nach Art. 33a steueraufschiebend behandelt wurde und in Grundeigentum angelegt wurde, steht der kantonalen Verwaltung für die direkte Bundessteuer ein vorrangiges gesetzliches Grundpfandrecht ohne Eintragung im Grundbuch zu. Das Grundpfandrecht bezieht sich auf Grundeigentum, für welches der Sparabzug geltend gemacht wurde. Lebenslauf 6. März 1974 1981 – 1989 Geboren in St. Gallen Primar- und Sekundarschule in Speicherschwendi 1989 – 1994 und Speicher (A.Rh.) Kantonsschule in Trogen (A.Rh.) Oktober 1994 – April 1999 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität St. Gallen Herbst 1999 Gründung einer Kunsthandelsgesellschaft April 1999 – 2001 Wissenschaftlicher Assistent für Steuerrecht bei Prof. Dr. Klaus A. Vallender an der Universität 2002 2003 – April 2004 Mai 2004 – September 2004 seit Oktober 2004 St. Gallen Konzentration auf die Arbeit an der Dissertation Praktikum in der Rechtsabteilung der Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen und Auditoriat im Kantonsgericht St. Gallen Vorbereitung auf die St. Galler Anwaltsprüfung (Prüfung im September 2004) Tätigkeit bei einer Steuerberatungsgesellschaft in Zürich