Sparbereinigung der Einkommensteuer

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Sparbereinigung der Einkommensteuer
Sparbereinigung der Einkommensteuer
Eine verfassungsrechtliche Beurteilung
DISSERTATION
der Universität St. Gallen,
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)
zur Erlangung der Würde eines
Doktors der Rechtswissenschaft
vorgelegt von
Patrick Waldburger
von
Stein (Appenzell Ausserrhoden)
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Klaus A. Vallender
und
Prof. Dr. Heinz Hauser
Dissertation Nr. 2966
Gutenberg Druckerei AG, Schaan
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und
Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der
vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen
Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 14. Juni 2004
Der Rektor:
Prof. Dr. Peter Gomez
Zahlreiche Personen haben direkt oder indirekt unterstützend gewirkt bei der Ausarbeitung der vorliegenden Dissertation. Die wichtigsten möchte ich an dieser Stelle
nennen und ihnen meinen herzlichen Dank aussprechen:
Wertvoll war der Kantonsschulunterricht in den Fächern Wirtschaft und Recht, den ich
bei Frau Dr. Dorle Vallender geniessen durfte. Dieser Unterricht weckte bereits früh
mein Interesse an wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen und vermittelte
ein Grundgerüst an Wissen und Vorgehensweise, das weit über die Kantonsschulzeit
hinaus Bestand hatte. Es war denn auch in jenem Unterricht, dass ich das erste Mal
von der Idee der Sparbereinigung der Einkommensteuer gehört habe.
Sodann ist Herr Prof. Dr. Klaus A. Vallender in zweierlei Hinsicht besonders zu erwähnen. Zum einen aufgrund der äusserst lehrreichen (steuerrechtlichen) Assistenztätigkeit, die ich in seinem Lehrstuhl in einer sehr angenehmen Arbeitsatmosphäre verbringen konnte. Zum anderen wegen seiner Betreuung der Dissertation als Hauptreferent. Dabei stand seine Türe stets offen für Fragen und Anliegen und aus Diskussionen
mit ihm stammen bedeutende Impulse für die Arbeit. Allgemein war es überaus motivierend, dass Herr Vallender der Ausgangsfrage und dem Vorankommen der Arbeit
ein grosses Interesse entgegenbrachte.
Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Heinz Hauser, der sich freundlicherweise bereit erklärte, das Koreferat zu übernehmen und schon im frühen Stadium
wichtige Anregungen gab.
Ein ganz besonderer Dank gebührt meiner lieben Mutter. Erst ihre finanzielle Unterstützung ermöglichte mir überhaupt meine akademische Ausbildung.
Diese Arbeit wurde anfangs Januar 2004 an der Universität St. Gallen eingereicht. Literatur und Rechtsprechung sind teilweise bis Mitte September 2004 berücksichtigt
worden.
St. Gallen, im September 2004
Patrick Waldburger
Inhaltsübersicht
v
Inhaltsübersicht
Teil I:
Übersicht über die Vordenker und Darstellung der
verfassungsmässigen Vorgaben
2
§ 1 Vordenker
A. Thomas Hobbes
2
2
B. John Stuart Mill
C. Irving Fisher
3
6
D. Nicholas Kaldor
E. Hall/Rabushka
8
9
F. Manfred Rose, Joachim Lang
G. Zahlreiche weitere Vorschläge zur konsumorientierten
11
Ausgestaltung der Einkommensteuer
§ 2 Sparbereinigung und verfassungsmässige Vorgaben für die
Steuergesetzgebung
A. Formelle Vorgaben
B. Inhaltliche Vorgaben
Teil II:
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
12
14
15
18
73
§ 3 Das Leistungsfähigkeitsprinzip
A. Verankerung im Schweizer Steuerrecht
B. Fundamentalprinzip gerechter Steuerlastverteilung
C. Geistesgeschichtlicher Hintergrund
73
73
73
75
§ 4 Relevanz des Leistungsfähigkeitsprinzips für einen Steuerwechsel
A. Fragestellung
B. Unbestimmtheit des Leistungsfähigkeitsprinzips
C. Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips
D. Methodische Konsequenz
78
78
78
80
82
§ 5 Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer
84
A. Ausgangsmodell
84
B. Steuergut und Steuerobjekt
C. Steuerberechnungsgrundlage
92
97
D. Zeitliche Bemessung
E. Steuerprogression
140
150
F. Steuerliche Behandlung des Existenzminimums
163
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
167
§ 6 Einbettung in die internationale und nationale Steuerordnung
A. Internationaler Kontext
167
167
B. Einbettung in die nationale Steuerordnung
§ 7 Weitere Überlegungen zur Umsetzung
A. Allgemeine Bemerkung
B. Ausklammerung der Ersparnisbildung und einzelne
Praktikabilitätsfragen
Schlussteil:
Kernsätze und Gesetzesentwurf
188
195
195
196
221
§ 8 Kernsätze
221
§ 9 Entwurf zur DBG-Anpassung in Richtung sparbereinigte
Einkommensteuer
224
Inhaltsverzeichnis
vii
Inhaltsverzeichnis
Teil I:
Inhaltsübersicht
v
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
vii
xvii
Materialien
xxxi
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
xxxiv
1
Übersicht über die Vordenker und Darstellung der
verfassungsmässigen Vorgaben
§ 1 Vordenker
A. Thomas Hobbes
B.
C.
D.
E.
F.
G.
John Stuart Mill
Irving Fisher
Nicholas Kaldor
Hall/Rabushka
Manfred Rose, Joachim Lang
Zahlreiche weitere Vorschläge zur konsumorientierten
Ausgestaltung der Einkommensteuer
I.
Kurzer Überblick
II. Ausklammerung der Zinsbereinigung im Folgenden
§ 2 Sparbereinigung und verfassungsmässige Vorgaben für die Steuergesetzgebung
A. Formelle Vorgaben
I.
Legalitätsprinzip im Abgaberecht
1. Inhalt
2. Wechsel zur Sparbereinigung
II. Verfassungsvorbehalt
1. Verankerung der Steuerkompetenzen auf Verfassungsstufe
2. Wechsel zur Sparbereinigung
B. Inhaltliche Vorgaben
I.
Materieller Gehalt der Kompetenznormen
1. Einleitung
2. Materieller Gehalt der einkommensteuerlichen Bundeskompetenz
2
2
2
3
6
8
9
11
12
12
13
14
15
15
15
16
17
17
17
18
18
18
19
Inhaltsverzeichnis
viii
2.1. Steuertarif und Steuersubjekt
19
2.1.1. Steuertarif
2.1.2. Steuersubjekt
19
20
2.1.3. Wechsel zur Sparbereinigung
2.2. Steuerobjekt und Steuerberechnungsgrundlage
21
22
2.2.1. Verfassungsmässige Umschreibung des Steuerobjektes und
verfassungsmässige Vorgaben hinsichtlich der Berechnungsgrundlage
2.2.2. Wechsel zur Sparbereinigung
22
23
a) Ausschluss einer definitiven Sparbereinigung
b) Befristete Sparbereinigung
23
23
aa)
bb)
Im Grundsatz Anknüpfung an die bestehende Ordnung
23
Implizite steuerliche Ausnahme der marktüblichen Kapitalverzinsung
24
2.3. Zeitliche Bemessung
26
2.3.1. Periodizitätsprinzip im Verhältnis zur Sparbereinigung
26
2.3.2. Zur Frage, ob das Periodizitätsprinzip durch den materiellen
Gehalt der Kompetenzbestimmungen vorgegeben ist
27
3. Hinreichende Verfassungsgrundlage für befristete Sparbereinigung 28
II. Inhaltliche Besteuerungsgrundsätze
29
1. Überblick und Fragestellung
29
2. Allgemeinheit der Besteuerung
33
2.1. Inhalt
33
2.2. Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer
35
3. Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
37
4. Allokativ optimale Besteuerung
41
4.1. Problematik
41
4.2. Relevanz für die sparbereinigte Einkommensteuer
43
4.3. Normativer Anspruch
44
4.3.1. Fragestellung
44
4.3.2. Staatszielbestimmungen
46
4.3.3. Konstitutivwirkung der Grundrechte
49
a) Allgemeines
49
b) Wirtschaftsfreiheit
50
c) Eigentumsgarantie
52
Inhaltsverzeichnis
4.3.4. Verhältnismässigkeit
53
4.3.5. Abwägung und Begrenzung
4.4. Ausdrückliche Verankerung in der Verfassung?
54
56
4.4.1. Grundsatzcharakter
4.4.2. Verfassungswürde
56
57
a) Anknüpfung an die Verfassungstradition (1. Kriterium)
aa)
Bundesebene
58
58
bb)
Kantonsverfassungen
b) Wesentlichkeit, Wichtigkeit, Grundsätzlichkeit (2. Kriterium)
59
62
c) Inhaltliche Bestimmtheit, Klarheit und Rechtsverbindlichkeit
(3. Kriterium)
67
d) Dauerhaftigkeit (4. Kriterium)
69
4.4.3. Ausdrückliche Verankerung als Vorschlag
III. Konstitutivwirkung von Grundrechten
Teil II:
ix
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
70
71
73
§ 3 Das Leistungsfähigkeitsprinzip
A. Verankerung im Schweizer Steuerrecht
B. Fundamentalprinzip gerechter Steuerlastverteilung
C. Geistesgeschichtlicher Hintergrund
73
73
73
75
§ 4 Relevanz des Leistungsfähigkeitsprinzips für einen Steuerwechsel
A. Fragestellung
B. Unbestimmtheit des Leistungsfähigkeitsprinzips
C. Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips
D. Methodische Konsequenz
78
78
78
80
82
§ 5 Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer
A. Ausgangsmodell
I.
Grundskizze
II. 1. Präzisierung: Zur Belegung von Ersparnisauflösungen und
-bildungen
III. 2. Präzisierung: Zur Schuldenbehandlung
IV. 3. Präzisierung: Zur Kapitalgewinnbesteuerung
1. Ausgangslage
2. Situation bei Sparbereinigung der Einkommensteuer
84
84
84
85
85
86
86
87
Inhaltsverzeichnis
x
2.1. Praktikabilitätsprobleme infolge der Steuerfreiheit privater Kapitalgewinne
87
2.2. Praktikabilitätsvorteile bei der Besteuerung von privaten Kapitalgewinnen
2.3. Fazit
88
89
3. Ergänzungen bezüglich der Besteuerung privater Kapitalgewinne
bei einer sparbereinigten Einkommensteuer
89
V. Modellhafte Grundidee als Ausgangsbasis
B. Steuergut und Steuerobjekt
I.
II.
Begriffliches
Einkommen als Hauptsteuergut und -objekt
III. Historischer Exkurs: Verzögerte Entwicklung in der Schweiz
91
92
92
93
94
IV. Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer
96
1. Steuergut
96
2. Steuerobjekt
96
C. Steuerberechnungsgrundlage
97
I.
Steuerrechtlicher Einkommensbegriff
98
1. Geschichtliche Entwicklung – Reinvermögenszugangstheorie und
Quellentheorie
98
2. Einkommensbegriff im DBG
100
2.1. Rechtsprechung
101
2.2. Lehre
101
2.2.1. Pragmatische Vorgehensweise
101
2.2.2. Ablehnung der pragmatischen Vorgehensweise durch die
herrschende Lehre
102
2.2.3. Referenz an Markteinkommenskonzept
102
2.2.4. Zuflussprinzip
103
2.3. Geringe Abweichungen in der praktischen Konsequenz
104
II. Gesamtreineinkommensbesteuerung
104
1. Gesamteinkommensteuer
105
2. Reineinkommensteuer
106
2.1. Objektive Leistungsfähigkeit
107
2.2. Subjektive Leistungsfähigkeit
108
III. Behandlung von Ersparnissen und Aufwendungen für
Vorsorgeversicherungen im geltenden Einkommensteuerrecht
109
1. Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (1. Säule)
110
Inhaltsverzeichnis
2. Berufliche Vorsorge (2. Säule)
xi
112
2.1. Rechtliche Regelung
112
2.2. Die steuerliche Behandlung der Beiträge für die berufliche Vorsorge als bedeutende befristete Sparbereinigung
113
2.3. Leistungsfähigkeitsbezüge der Abzugsfähigkeit von Beiträgen
für die berufliche Vorsorge
2.3.1. Obligatorisch zu leistende Beiträge
114
114
a) Durch den Gesetzgeber geschaffene Einkommensbindung
b) Durchbrechung des Periodizitätsprinzips und Verkleinerung der
114
Berechnungsgrundlage
2.3.2. Überobligatorische und freiwillige Beitragszahlungen
115
116
2.3.3. Teilweise geübte Kritik an der geltenden Regelung
117
3. Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a)
118
4. Freie Selbstvorsorge (Säule 3b)
119
4.1. Abzüge für rückkaufsfähige Lebensversicherungen und Zinsen
auf Sparkapitalien
119
4.1.1. Abzüge für Lebensversicherungen
119
4.1.2. Abzüge für Zinsen aus Sparkapitalien
120
4.1.3. Leerlauf der bezweckten Begünstigung des Vorsorgesparens 120
4.2. Freistellung des Ertrags aus rückkaufsfähiger Kapitalversicherung
121
IV. Sparbereinigung
123
1. Nebeneffekt: Besteuerung privater Kapitalgewinne
123
2. Gänzliche Sparbereinigung
123
3. Befristete Sparbereinigung
125
3.1. In erster Linie Frage der zeitlichen Bemessung
126
3.2. Wegfall der marktüblichen Kapitalverzinsung aus der Berechnungsgrundlage
127
3.2.1. Ausgangsproblem
127
3.2.2. Terminologisches: „Beschränkte Zinsausnahme“
131
3.2.3. Betrachtung im Hinblick auf die Grundkonkretisierungen des
Leistungsfähigkeitsprinzips
131
a) Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
131
b) Kein Freiraum für einen Wechsel des
Leistungsfähigkeitsindikators
132
Inhaltsverzeichnis
xii
c) Herstellung der Neutralität zwischen Konsum- und
Sparentscheidung
d) Verfassungsauftrag zur Förderung der Selbstvorsorge
135
137
e) Bereits existierende beschränkte Zinsausnahmen
f) Gesamtbeurteilung
138
139
D. Zeitliche Bemessung
I.
Periodizitätsprinzip und Postnumerandobesteuerung mit Gegen-
140
wartsbemessung
Relativierung des Periodizitätsprinzips in der Schweizer
140
II.
Rechtsordnung
142
1. Verlustvortrag, Sofortabschreibungen und Anschaffungskosten
teurer Berufswerkzeuge unselbständig Erwerbender
142
2. AHV (1. Säule)
143
3. Berufliche Vorsorge (2. Säule)
144
4. Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a)
145
5. Zur „Gleichheit in der Zeit“
145
5.1. Einzelne Stimmen in der deutschen Steuerwissenschaft
145
5.2. Entkräftigung durch DORENKAMP
146
5.3. Weitere Anmerkungen mit Bezug auf das Schweizer Steuerrecht 147
III. Wechsel zu einer befristeten Sparbereinigung
148
E. Steuerprogression
150
I.
Gesetzeslage
151
II. Rechtsprechung
153
III. Wissenschaftliche Aspekte hinsichtlich Steuerprogression
154
1. Begründungsschwierigkeiten
154
2. Befürwortung in der herrschenden Lehre trotz wissenschaftlicher
Begründungsdefizite
155
2.1. Gerechtigkeitsargumente
155
2.2. Sozialpolitische Überlegungen
155
3. Problematik des weitgehenden gesetzgeberischen Progressionsfreiraumes
158
4. Weitere Kritikpunkte
159
IV. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung
160
1. Besteuerung während der Steuerpflicht
161
2. Besteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht
162
Inhaltsverzeichnis
F. Steuerliche Behandlung des Existenzminimums
I.
II.
Keine generelle Freistellung des Existenzminimums
BGE 122 I 101; Vollstreckungsschutz
III. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung
xiii
163
163
164
166
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
167
§ 6 Einbettung in die internationale und nationale Steuerordnung
A. Internationaler Kontext
167
167
I.
Persönlicher Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung 168
1. Natürliche Personen mit unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht in der Schweiz
168
1.1. Praktikabilitätsgründe gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf beschränkt Steuerpflichtige
168
1.2. Gleichbehandlungsgründe für die Ausdehnung auch auf beschränkt Steuerpflichtige
169
1.2.1. Ausgangsbeispiel
169
1.2.2. Bilaterales Abkommen über die Personenfreizügigkeit
170
1.3. Folgerungen
173
2. Sonderfragen
174
2.1. Quellensteuerpflichtige natürliche Personen
174
2.1.1. Art. 91 ff. DBG
174
2.1.2. Art. 83 ff. DBG
176
2.2. Aufwandbesteuerung
176
II. Vereinbarkeit mit DBAs
177
III. Umsetzungsmassnahmen im internationalen Verhältnis
178
1. Problemstellung
178
2. Auslandseinkünfte von Steuerinländern
179
2.1. Freistellungsmethode
179
2.1.1. Ausgangslage
179
2.1.2. Progressionsvorbehalt
179
2.1.3. Im Ausland abschliessend besteuertes Einkommen, das gespart
wird
179
2.2. Anrechnungsmethode
180
2.2.1. Nettobesteuerung
180
2.2.2. Pauschale Steueranrechnung
181
3. Inlandseinkünfte von Steuerausländern
182
Inhaltsverzeichnis
xiv
3.1. Freistellungsmethode
182
3.2. Anrechnungsmethode
IV. Wegzugsbesteuerung
182
183
1. Ausgangslage
2. Zentrale Überlegungen DORENKAMPs zur Wegzugsbesteuerung
183
184
2.1. „Bachmann“
2.2. „Wielockx“
184
184
2.3. Quintessenz
185
2.4. Steuerstundung und Ratengewährung als Ausfluss des Verhältnismässigkeitsgebots
3. „Hughes de Lasteyrie du Saillant“
185
186
3.1. Kernaussagen
186
3.2. Auswirkungen auf die obige Argumentation zur Wegzugsbesteuerung
B. Einbettung in die nationale Steuerordnung
I.
187
188
Verhältnis zur Mehrwertsteuer
1. Befristete „Konsumorientierung“ der Einkommensteuer
2. Überlegungen zur optimalen Allokation
II. Gewinnbesteuerung juristischer Personen
III. Verhältnis zum kantonalen Steuerrecht
1. Grundzüge
2. Frage des interkantonalen Umzugs
2.1. Ausgangslage
2.2. Lösungsansätze
188
188
189
190
193
193
193
193
194
§ 7 Weitere Überlegungen zur Umsetzung
A. Allgemeine Bemerkung
B. Ausklammerung der Ersparnisbildung und einzelne Praktikabilitätsfragen
I.
Bestimmung der abzugsfähigen Sparanlagen und deren Geltendmachung
1. Abzugsfähige Sparanlagen
1.1. Geld und Kapitalforderungen jeder Art
1.1.1. 1. Exkurs: Versicherungsmässiges Vorsorgesparen
1.1.2. 2. Exkurs: Darlehensproblematik
1.2. Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen
195
195
196
197
197
198
199
200
201
Inhaltsverzeichnis
xv
1.3. Grundeigentum
203
1.4. Sonstige Vermögensanlagen
2. Geltendmachung des Sparabzuges
206
209
3. Hinweis auf die Idee der Verwaltung durch „qualifizierte
Sparinstitute“ gemäss LANG
210
4. Konsequenz: Ersatz bestehender Sparbegünstigungen
II. Ersparnisse aus nicht der Einkommensteuer unterliegenden oder
bereits mit der Einkommensteuer belasteten Vermögenszuflüssen
1. Fragestellung
211
212
212
2. Nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse
213
3. Auflösung von Sparvermögen, das aus nicht steuerbarem Einkommen gebildet wurde bzw. von Vermögensaltbeständen
III. Graduelle Einführung?
214
216
IV. Stundungsmöglichkeiten und Sicherungsmassnahmen
1. Stundungsmöglichkeiten
217
217
2. Sicherungsmassnahmen
218
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
221
§ 8 Kernsätze
221
§ 9 Entwurf zur DBG-Anpassung in Richtung sparbereinigte
Einkommensteuer
224
Literaturverzeichnis
xvii
Literaturverzeichnis
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xxxi
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(1915).
Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 21. Juni 1920
betreffend Abänderung bzw. Ergänzung der Art. 4, 5, 7, 8, 10, 12 und 19 des Bundesratsbeschlusses
vom 18. September 1916 nebst den zugehörigen Ergänzungsbeschlüssen betreffend die eidgenössische
Kriegsgewinnsteuer vom 10. September 1920. Zit.: Bericht des Bundesrates über den Bundesratsbeschluss vom 21. Juni 1920.
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die ausserordentlichen und vorübergehenden Massnahmen zur Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts vom 2. September 1933, in:
BBl 1933 II S. 197 ff. Zit.: Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933).
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die verfassungsmässige Neuordnung des
Finanzhaushaltes des Bundes vom 22. Januar 1948, in: BBl 1948 I S. 309 ff. Zit.: Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948).
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Änderung der Finanzordnung des
Bundes vom 10. September 1969, in: BBl 1969 II S. 749 ff. Zit.: Botschaft Änderung der Finanzordnung (1969).
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Weiterführung der Finanzordnung des
Bundes vom 14. Dezember 1970, in: BBl 1970 II S. 1581 ff. Zit.: Botschaft Weiterführung der Finanzordnung (1970).
Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Schlussbericht der Arbeitsgruppe, Bd. VI, Bern 1973. Zit.: Schlussbericht (1973).
Botschaft zu Bundesgesetzen über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden sowie über die direkte Bundessteuer vom 25. Mai 1983, in: BBl 1983 III S. 1 ff. Zit.: Botschaft
Steuerharmonisierung (1983).
Bericht des Bundesrates über die Totalrevision der Bundesverfassung (Motionen Obrecht und Dürrenmatt) vom 6. November 1985, in: BBl 1985 III S. 1 ff. Zit.: Bericht Totalrevision (1985).
xxxii
Materialien
Gesetzgebungsleitfaden, Leitfaden für die Ausarbeitung von Erlassen des Bundes, Bundesamt für Justiz, Bern 1995. Zit.: Gesetzgebungsleitfaden (1995).
Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat, Bericht der von der Staatspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte eingesetzten Expertenkommission vom 15. Dezember
1995, in: BBl 1996 II S. 428 ff. Zit.: Expertenkommission Kompetenzverteilung (1995).
Reform der Bundesverfassung, Erläuterungen zum Verfassungsentwurf 1995. Zit.: Erläuterungen VE
95.
Reform der Bundesverfassung, Verfassungsentwurf 1995, inklusiv Anmerkungen zum Verfassungstext. Zit.: Anmerkungen VE 95.
Bericht des Eidgenössischen Departement des Innern zur heutigen Ausgestaltung und Weiterentwicklung der schweizerischen 3-Säulen-Konzeption der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge,
Bern 1995. Zit.: Drei-Säulen-Bericht (1995).
Reform der Bundesverfassung, Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1996. Zit.: Botschaft VE
96.
Botschaft zum BG über die Reform der Unternehmungsbesteuerung vom 26. März 1997, in: BBl 1997
II S. 1164 ff.. Zit: Botschaft zur Reform der Unternehmungsbesteuerung (1997).
Bericht der Expertenkommission zur Prüfung des Systems der direkten Steuern auf Lücken (Expertenkommission Steuerlücken), Bern 1998. Zit.: Expertenbericht Steuerlücken (1998).
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Stabilisierungsprogramm 1998 vom 28.
September 1998, in: BBl 1999 I 5 ff. Zit.: Botschaft Stabilisierungsprogramm 1998.
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der EG vom 23. Juni 1999, BBl 1999 VII 6128 ff. Zit.: Botschaft sektorielle Abkommen (1999).
Botschaft zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) (1. BVG Revision) vom 1. März 2000, in: BBl 2000, S. 2637 ff. Zit.: Botschaft 1.
BVG Revision (2000).
Botschaft zum Steuerpaket vom 28. Februar 2001, in: BBl 2001, S. 2983 ff. Zit.: Botschaft Steuerpaket 2001.
Öffentliche Finanzen der Schweiz 2001, Eidgenössische Finanzverwaltung, Bern 2003. Zit.: Öffentliche Finanzen (2003).
Materialien
xxxiii
Statistisches Jahrbuch der Schweiz, herausgegeben vom Bundesamt für Statistik, Bern 2004. Zit.: Statistisches Jahrbuch 2004.
Kantone:
Begleitbericht zur Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 17. Mai 1984, Landeskanzlei BaselLand, 1984 Liestal. Zit.: Begleitbericht Verfassung BL.
Totalrevision der basellandschaftlichen Staatsverfassung, Dokumente 1980-1982, Landeskanzlei Basel-Land, Liestal 1987.
Botschaft und Entwurf der Verfassungskommission vom 17. Dezember 1999, Amtsblatt des Kantons
St. Gallen, Sonderausgabe 28. Januar 2000, Nr. 4a, S. 1. ff.
Abkürzungsverzeichnis
xxxiv
Abkürzungsverzeichnis
a.a.O.
Abs.
am angeführten Ort
Absatz
aBV
AGVE
AHV
AJP
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874
Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide
Alters- und Hinterlassenenversicherung
Aktuelle Juristische Praxis
a.M.
Anm.
Art.
ASA
Aufl.
BankG
anderer Meinung
Anmerkung
Artikel
Archiv für Schweizerisches Abgaberecht
Auflage
Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (SR
BVR
bzgl.
bzw.
ca.
952.0).
Betriebs-Berater, Zeitschrift für Recht und Wirtschaft
Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft
Band
Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 9.
Dezember 1940
Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts
Berner Tage für die juristische Praxis
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 8. April 1999
(SR 101)
Entscheidungen des Deutschen Bundesverfassungsgerichts
Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (SR 831.40)
Bernische Verwaltungsrechtsprechung
bezüglich
beziehungsweise
circa
DBA
DBG
Doppelbesteuerungsabkommen
Bundesgesetz 1990 über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember (SR
ders.
d.h.
dies.
642.11)
derselbe
das heisst
dieselbe/dieselben
diesbzgl.
Diss.
DStJG
EDV
diesbezüglich
Dissertation
Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft
Elektronische Datenverarbeitung
BB
BBl
Bd.
BdBSt
BGE
BTJP
BV
BVerfGE
BVG
Abkürzungsverzeichnis
xxxv
EO
EStG
EStV
et. al.
EU
Erwerbsersatzordnung
Deutsches Einkommensteuergesetz vom 16. April 1997
Eidgenössische Steuerverwaltung
und andere
Europäische Union
EuGH
EuGHE
ev.
f./ff.
FA
FIFO
FN
Europäischer Gerichtshof
Entscheid des Europäischen Gerichtshofs
eventuell
und folgende (Seite/Seiten)
Finanzarchiv
first in, first out
Fussnote
Fr.
FS
Schweizer Franken
Festschrift
GG
i.c.
i.d.R.
inkl.
insb.
IV
i.V.m.
i.S.
i.S.v.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl
1949,1)
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung
Herausgeber/Herausgeberin
Verordnung über das Handelsregister vom 7. Juni 1937
(SR 221.411)
in casu
in der Regel
inklusive
insbesondere
Invalidenversicherung
in Verbindung mit
im Sinne
im Sinne von
JöR
KS
Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart
Kreisschreiben
KV SG/ZH...
LeGes
Lfg.
lit.
Mia.
Kantonsverfassung St. Gallen/Zürich...
Gesetzgebung heute, Mitteilungsblatt der Schweizerischen Gesellschaft für
Gesetzgebung
Lieferung
litera (Buchstabe)
Milliarde/Milliarden
Mio.
m.Vw.
Million/Millionen
mit Verweis/Verweisen
m.w.Nw.
m.w.Vw.
MwStG
N
mit weiteren Nachweisen
mit weiteren Verweisen
Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer vom 2. September 1999 (SR 641.20)
Note/Noten
HFR
Hrsg.
HRV
Abkürzungsverzeichnis
xxxvi
NBER
National Bureau of Economic Research
nBV
Nr.
Nw.
neue Bundesverfassung; Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101)
Nummer
Nachweis/Nachweise
NZZ
OECD
Neue Zürcher Zeitung
Organization for Economic Cooperation and Development
OECD-MA
OR
OECD-Musterabkommen
Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911/18. Dezember 1936
QStVO
(SR 220)
Verordnung über die Quellensteuer bei der direkten Bundessteuer vom 19.
ST
StE
StR
StRKE
Oktober 1993 (SR 642.118.2)
Rechenschaftsbericht
Rechtsprechung
Seite/Seiten
Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe
sogenannt
Systematische Sammlung des Bundesrechts
Steuergesetz des Kantons St. Gallen/Appenzell Ausserrhoden...
Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und
Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (SR 642.14)
Der Schweizer Treuhänder
Der Steuerentscheid
Steuer Revue
Entscheid der Steuerrekurskommission
StuW
StVO SG
Steuer und Wirtschaft
Steuerverordnung des Kantons St. Gallen vom 20. Oktober 1998
u.a.
ÜbBst.
URP
U.S.
U.S.A.
v.
unter anderen
Übergangsbestimmung
Umweltrecht in der Praxis
United States
United States of America
von/vom
v.a.
VE
VerwGE
vgl.
vol.
VVDStRL
vor allem
Vorentwurf
Verwaltungsgerichtsentscheid
vergleiche
volume (Band)
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
Vw.
WuR
Verweis/Verweise
Wirtschaft und Recht
RB
Rsp.
S.
SKOS
sog.
SR
StG SG/A.Rh. ...
StHG
Abkürzungsverzeichnis
xxxvii
z.B.
zum Beispiel
ZBl
Ziff.
zit.
ZSR
Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht
Ziffer
zitiert
Zeitschrift für Schweizerisches Recht
ZStP
z.T.
Zürcher Steuerpraxis
zum Teil
Einleitung
1
Einleitung
Die Idee der Sparbereinigung der Einkommensteuer weist eine seltene Langlebigkeit
auf. Schon seit Jahrhunderten vermag sie sich auf der finanzwissenschaftlichen Forschungs- und Empfehlungsagenda zu behaupten. Zahlreiche bedeutende Finanzwissenschafter und Staatsphilosophen haben diese Idee bereits untersucht und im Grundsatz auch befürwortet. Dabei beruht die Befürwortung zusammenfassend ausgedrückt
auf diversen Gerechtigkeitsüberlegungen sowie auf volkswirtschaftlichen Argumenten. Auch in den aktuellen Diskussionen um Steuerreformen kommt der Idee der Sparbereinigung der Einkommensteuer breite Aufmerksamkeit und Unterstützung zu.
Bei der Sparbereinigung der Einkommensteuer geht es darum, dass die aus dem Einkommen gebildeten Ersparnisse von der einkommensteuerlichen Berechnungsgrundlage ausgenommen werden sollen. Erst bei Auflösung der Ersparnisse soll nachgelagert eine Besteuerung greifen. Der wesentliche Unterschied zur geltenden Einkommensteuerordnung ist ein zeitlicher: Während weiterhin die Stromgrösse Einkommen
besteuert werden soll, verschiebt sich „lediglich“ der Zeitpunkt des steuerlichen Zugriffes. Die Einkommensteuer wird nicht bei Zufluss, sondern bei konsumtiver Verwendung des Einkommens erhoben.
Wird der Frage nachgegangen, ob eine sparbereinigte Einkommensteuer in der
Schweiz umgesetzt werden soll bzw. eine Umsetzung verdient, stellt sich aus rechtswissenschaftlicher Sicht vorgängig folgende Ausgangsfrage: Inwiefern ist eine Sparbereinigung der Einkommensteuer überhaupt mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben,
insbesondere mit den verfassungsrechtlichen Steuervorgaben in Einklang zu bringen?
Dieser Ausgangsfrage wird in der vorliegenden Arbeit weiter nachgegangen, sie bildet
den zentralen Untersuchungsgegenstand. Bei der Behandlung dieser Frage wird der
Fokus auf die Ebene der Bundessteuer gerichtet. Das heisst, der Untersuchung wird
konkret die Frage zugrunde gelegt, wie eine Sparbereinigung der Bundeseinkommensteuer aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beurteilen ist.
Anschliessend an diese auf die Bundesrechtsordnung fokussierte Fragestellung wird
zudem beleuchtet, ob eine Sparbereinigung im internationalen Umfeld eingebettet
werden kann und wie das Verhältnis zum kantonalen Recht zu beurteilen ist. Ausserdem werden ebenfalls noch einzelne Umsetzungs- und Praktikabilitätsfragen erörtert.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
2
Teil I:
Übersicht über die Vordenker und Darstellung der
verfassungsmässigen Vorgaben
§ 1 Vordenker
„There can be few ideas in the field of economics which are so revolutionary in their implications and yet can look back on so respectable an ancestry.“1
Die bereits Jahrhunderte andauernde Diskussion über die Sparbereinigung der Einkommensteuer wird nachfolgend anhand ausgewählter2 Positionen punktuell vorgestellt3. Dieser geistesgeschichtliche Überblick soll unter anderem dazu beitragen, die
Fixierung auf die bestehende Ordnung zu lösen und Grundlagen für eine breitere Betrachtung schaffen.
A.
Thomas Hobbes
In seinem berühmten, 1651 erstmals veröffentlichten staatsphilosophischen Werk „Leviathan“ schnitt HOBBES (1588-1679) auch Steuerfragen an. HOBBES forderte, den
Konsum anstatt den Verdienst zu besteuern. Seine Gedanken fasste er in folgende
vielzitierte4 Aussage:
„...the Equality of Imposition, consisteth rather in the Equality of that which is consumed,
than of the riches of the persons that consume the same. For what reason is there, that he
which laboureth much, and sparing the fruits of his labour, consumeth little, should be more
charged, then he that living idlely, getteth little, and spendeth all he gets; seeing the one hath
no more protection from the Common-wealth, then the other? But when the Impositions, are
1
2
3
4
Nicholas Kaldor über die „expenditure tax“, die als sparbereinigte Einkommensteuer ausgestaltet
ist; Kaldor, Expenditure Tax, S. 11.
Bei der Auswahl wurden v.a. gewichtet: Tiefe der vorgenommenen Studien und historische Bedeutung der Autoren.
Siehe auch die Darstellung bei Zumstein, S. 3 ff.
Siehe i.S. einer kleinen Auswahl: Kaldor, Expenditure Tax, S. 5; Lang, Konsumbesteuerung,
S. 303; Musgrave, S. 40, Zumstein, S. 4 FN 5; Dorenkamp, S. 62.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
3
layd upon those things which men consume, every man payeth Equally for what he useth:
Nor is the Common-wealth defrauded, by the luxurious waste of private men.“5
Erwähnenswert ist, dass rund drei Jahrhunderte später auch JOHN RAWLS in “A Theory
of Justice” auf vergleichbare Begründungen zugunsten einer (proportionalen) „expenditure tax“ zurückgriff:
„Leaving aside many complications, it is worth noting that a proportional expenditure tax
may be part of the best tax scheme. For one thing, it is preferable to an income tax (of any
kind) at the level of common sense precepts of justice, since it imposes a levy according to
how much a person takes out of the common store of goods and not according to how much
he contributes (assuming here that income is fairly earned).”6
B.
John Stuart Mill
JOHN STUART MILL (1806-1873) setzte sich in seinem umfangreichen, 1848 erschienenen Werk „Principles of Political Economy“ ausführlich mit Fragen der Besteuerung
auseinander. Die vier Steuergrundsätze von ADAM SMITH7 als Leitplanken heranziehend8, entwickelte er ein eingehend begründetes und differenziertes Steuersystem.
In Bezug auf die Einkommensteuer kommt folgender Überlegung zentrale Bedeutung
zu: MILL argumentierte, dass der Empfänger von sog. „permanent income“ (z.B. Erträge aus Land- oder Wertschriftenbesitz) über eine höhere Leistungsfähigkeit verfüge
als der Empfänger von „terminable income“ (z.B. Arbeitslohn oder Unternehmungsgewinn). Dies auch dann, wenn die Einkommenshöhe identisch sei, da der Empfänger
von „terminable income“ Rücklagen für die Familie und einkommenslose Zeiten bilden müsse. Dies im Gegensatz zum Empfänger von „permanent income“, der bereits
hohe Reserven besitze, nämlich den Vermögenswert, aus dem das „permanent in-
5
6
7
8
Hobbes, N 181. Aus dem Zitat wird ersichtlich („seeing the one hath no more protection from the
common-wealth, then the other“), dass Hobbes die Steuer als Prämie für staatlichen Schutz rechtfertigte und somit als Vertreter der sog. Assekuranztheorie eingestuft werden kann. Vgl. zu den
Assekuranztheorien des 16. und 17. Jahrhunderts auch Mann, S. 105 ff.; siehe zur Assekuranztheorie darüber hinaus Tipke/Lang, § 4 N 87.
Rawls, S. 246; vgl. auch Dorenkamp, S. 61 f.
Smith, S. 786 ff. Grob lassen sich diese Steuergrundsätze wie folgt wiedergeben: 1. Gleichheit der
Besteuerung; 2. Voraussehbarkeit der Besteuerung; 3. grösstmögliche Annehmlichkeit („convenience“) der Besteuerung; 4. effizienzoptimale Besteuerung.
Mill, S. 805 ff.
4
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
come“ fliesst9. Zur Verwirklichung des 1. SMITHSCHEN Steuergrundsatzes (Gleichheit
der Besteuerung) forderte JOHN STUART MILL daher die steuerliche Freistellung des
Sparanteils bei „terminable income“10. MILL fügte in einem nächsten Gedankenschritt
ergänzend hinzu, dass die undifferenzierte Einkommensbesteuerung ohnehin zu einer
unerwünschten Doppelbelastung des Sparanteils führe, da die daraus erzielten Erträge
wiederum der Besteuerung unterlägen, während ausgegebenes Einkommen nicht mehr
besteuert werde11. Da sowohl das „terminable“ als auch das „permanent income“ von
dieser Doppelbelastung betroffen sind, befürwortete MILL eine generelle Sparbereinigung12, das heisst auch mit Bezug auf das „permanent income“.
MILL vertrat somit die Ansicht, dass grundsätzlich nur eine Einkommensteuer zu befürworten sei, bei welcher die Ersparnisse von der Steuer ausgenommen würden13. Jedoch befürchtete er, dass eine derart ausgestaltete Steuer ein erhebliches Ausmass an
Steuerhinterziehung und Steuerbetrug mit sich führen könnte, weil die vom Steuerpflichtigen tatsächlich gebildeten Sparrücklagen schwierig zu überprüfen seien14. In
Weiterentwicklung seiner Ausführungen schlug er daher vor, eine auf die Einkommensquelle angepasste Sollsparrate zu Grunde zu legen und in der Folge das „terminable income“ zu einem tieferen Steuersatz zu besteuern als das „permanent income“. Zu dieser Steuersatzdifferenzierung erklärte MILL, dass der Festsetzung der
Relationen zwischen den zwei Steuersätzen unvermeidbar etwas Willkürliches anhafte15. Er schlug dann vor – gestützt auf seine Beobachtung, dass Empfänger von
„terminable income“ tendenziell ein Viertel zur Bildung von Sparrücklagen verwen9
10
11
12
13
14
15
Mill, S. 814 f.
Mill, S. 815. Diese Überlegung zeigt Nähe auf zur Begründung der höheren Belastung des sog.
fundierten Einkommens, d.h. von Vermögenserträgen (Fundustheorie; dazu Tipke/Lang, § 4 N
100 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 775 ff.) , wobei beide im Gegensatz stehen zur aktuell
diskutierten und in einigen nordeuropäischen Ländern implementierten dual income-tax. Zur dual
income-tax u.a. Sörensen, S. 57 ff.; vgl. auch Kari, S. 1: „Whereas in an ideal global income tax
system all economic income is subject to a simple progressive tax schedule, the Nordic innovation
made a sharp distinction between capital income an earned income (labour income, pension and
social benefits). The former category of income is taxed at a proportional and fairly low rate while
the latter is subject to a conventional progressive tax schedule.“
Mill, S. 816. Das Argument der Doppelbelastung des Sparanteils findet sich u.a. wieder auch bei
Fisher, dazu gleich unten, § 1 C., S. 6.
Mill, S. 816.
Mill wird denn auch regelmässig prominent in der Ahnengalerie der Befürworter einer direkten
Konsumsteuer angeführt. Siehe u.a.: Kaldor, Expenditure Tax, S. 11; Fisher, Double Taxation, S.
118; Zumstein, S. 6 ff.; Dorenkamp, S. 2 FN 13.
Mill, S. 816 f.
Mill, S. 817.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
5
deten – den Steuersatz für diese Einkommensart um einen Viertel tiefer anzusetzen als
für „permanent income“16.
Ein weiteres Kernelement der Einkommensteuerkonzeption von MILL war die steuerliche Freistellung des Existenzminimums, die er aus Gründen der Steuergleichheit –
somit ebenfalls in Befolgung des 1. SMITHSCHEN Steuergrundsatzes – forderte17. Im
indirekt progressiven Effekt, der bei einem proportionalen Steuertarif in Verbindung
mit der Freistellung des Existenzminimums erzielt wird, sah MILL eine genügende Erfüllung des Gebotes der Steuergleichheit und er ging davon aus, dass eine allgemeine
Steuerprogression nicht erforderlich sei. Gegen einen progressiv verlaufenden Steuertarif führte MILL auch an, dass es nicht möglich sei, die Ausgestaltung eines solchen
wissenschaftlich zu erarbeiten18 und darüber hinaus derjenige bestraft werde, der mehr
leiste19.
Zusammengefasst schwebte MILL somit eine Einkommensteuer vor mit einem proportionalen Steuertarif unter Freistellung des Existenzminimums und zwei unterschiedlichen Steuersätzen: einen höheren für „permanent income“ und einen tieferen für „terminable income“. Dennoch wandte er sich nach weiteren Überlegungen aus Praktikabilitätsgründen von der Einkommensteuer ab, da er davon ausging, dass es den Steuerbehörden nicht möglich sei, die steuerbaren Einkommen hinlänglich zu erfassen und
daher einzig Selbstdeklarationen der Steuerpflichtigen Bemessungsdaten bieten könnten. Diese Selbstdeklarationen seien aber in höchstem Mass unzuverlässig und könnten
nicht Grundlage zur Besteuerung bieten20. Aus diesen Gründen wollte MILL trotz den
theoretischen Überlegungen, welche für seine Einkommensteuerkonzeption sprachen,
auf andere Weise die Staatsmittel beschaffen und nur in Notzeiten die Einkommensteuer erheben21. Namentlich in der „house tax“22 und in einer Steuer auf Luxuswaren
(v.a. Importwaren)23, sah MILL Möglichkeiten der Mittelbeschaffung, die ihm praktikabel, aber auch den Steuergrundsätzen von SMITH verpflichtet schienen.
16
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18
19
20
21
22
23
Mill, S. 817.
Zur Behandlung des Existenzminimums im geltenden Steuerrecht siehe unten, § 5 F., S. 163 ff.
Mill, S. 810.
Mill, S. 810 f.
Mill, S. 831 f.
Mill, S. 832.
Mill, S. 833 ff. mit weiteren Ausführungen und Begründungen.
Mill, S. 868 ff. mit weiteren Ausführungen und Begründungen.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
6
C.
Irving Fisher
Wie JOHN STUART MILL war auch IRVING FISHER (1867-1947) der Ansicht, dass die
Besteuerung des Einkommens und der Ersparniserträge eine Doppelbelastung mit sich
führe24 und forderte, den Sparanteil von der Besteuerung auszunehmen25. Gegen die
Doppelbelastung führte FISHER an, dass sie auf einem unzulänglichen Reineinkommensbegriff beruhe26 und zudem stossend ungerecht sei. Ausserdem verzerre sie die
volkswirtschaftlichen Kapitalströme künstlich, da das Sparen und somit auch das Investieren benachteiligt werde, was das Wirtschaftswachstum erheblich beeinträchtige27.
FISHER machte darauf aufmerksam, dass bereits zahlreiche bedeutende Ökonomen28
die Problematik der traditionellen Einkommensbesteuerung erkannt hätten und vom
Grundsatz her ebenfalls eine sparbereinigte Einkommensteuer, d.h. eine (direkte)
„spendings tax“ befürworten würden, aber eine solche Steuer nicht für praktikabel
hielten29. Fisher legte jedoch dar, wie das Praktikabilitätsproblem überwunden werden
kann:
24
25
26
27
28
29
Fisher, Capital and Income, S. 253: „...whereas the saver is made the victim of that too frequent
concomitant of fallacious economic theory, - double taxation; for he is first taxed (...) on his accumulation of capital (...), and thereafter is taxed again on the income which he derives from that
same accumulation.“ Er stützte sich dabei auf die Überlegung, dass das Kapital dem diskontierten
Einkommenszufluss daraus entspreche und daher wertmässige Identitäten gegeben seien; Fisher,
Capital and Income, S. 230 ff. und S. 255; Practical Schedule, S. 106; vgl. aber auch Theory and
Practice, S. 56. Kritisch ist anzumerken, dass dies theoretisch-modellhaft stimmen mag, aber faktisch die Kapitalwerte regelmässig nicht abnehmen, wenn Einkommen aus ihnen fliesst. Das kann
anhand von Immobilienwerten oder Sparguthaben beispielhaft veranschaulicht werden: Der Ertragszufluss mindert den Grundstock nicht und stellt daher neues, Leistungsfähigkeit indizierendes Einkommen dar. Daher ist auch fragwürdig, ob auf das Verhältnis von Kapital und Kapitalerträgen der von Fisher (Capital and Income, S. 255) zitierte Spruch zutrifft: „You cannot eat your
cake and have it too“.
Dazu auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 12
Fisher verstand unter Reineinkommen nur den Nutzenzufluss, aber nicht den Zufluss von Kapitalwerten; Fisher, Capital and Income, S. 101 ff.; Practical Schedule, S. 106 ff. Dies hatte wiederum Rückwirkungen auf den Ausschluss des Sparanteils. Dazu Kaldor, Expenditure Tax, S. 80:
„If income is to be defined (as Irving Fisher defined it) to mean simply Consumption, the exemption of Savings from 'income taxation' follows, of course, purely as a matter of definition.”
Fisher, Capital and Income, S. 253; zum Argument der Wachstumsbeeinträchtigung vgl. auch
ders., Income Taxation, S.157 und S. 234 f.
Fisher erwähnt John Stuart Mill, Alfred Marshall, Arthur Pigou und Luigi Einaudi; Fisher Income
Taxation, S. 166.
Fisher, Income Taxation, S. 166.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
7
„It is strange that those who recognize that ‚spendings‘ are the only fair and logical base for
taxable income often fail to realize how practical and simple is its application. How do we
figure what we spent in a day? We need only two data:
1. The amount we had to spend; that is, what we had or received during the day.
2. The amount we did not spend; that is, the amount left over as determined by counting at
the end of the day. (…)
We propose, then, to reckon the taxable spendings, not by adding together the separate items
spent for food, clothing, rent, amusements, etc., but by adding together the gross receipts
from all sources and then deducting all items of outgo other than ‚spendings‘.“30
Für ein gesamtes Steuerjahr kann die Steuerbasis analog ermittelt werden, indem von
den addierten jährlichen „gross receipts“ alle nicht unter „spendings“ fallenden Ausgaben abgezogen werden.
Gemäss FISHER sollten namentlich Investitionen und die Bildung von Bargeldbeständen als abzugsfähige Ersparnisse gelten31. Daneben wollte FISHER u.a. auch das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und von ihm unterstützter Personen, die Steuerausgaben, medizinische Kosten und gewisse Versicherungskosten zum steuerwirksamen Abzug zulassen32. Ergänzend sah er einen progressiven Tarif vor33 und wollte einer durch die „spendings tax“ begünstigten Akkumulation und Konzentration von Riesenvermögen durch hohe Schenkungs- und Erbschaftssteuern entgegentreten. Jedoch
sollte der Vermögensbegründer nach FISHER die Möglichkeit haben, sein Vermögen
bzw. Teile davon unbesteuert selbst gewählten gemeinnützigen Zwecken widmen zu
können.
In Aufnahme der Überlegungen von FISHER legte das U.S.-Schatzamt 1942 unter
MORGENTHAU einen Entwurf einer direkten Ausgabensteuer vor, die ergänzend zu den
schon bestehenden Steuern hätte erhoben werden sollen und die Kriegsfinanzierung
und die Einschränkung des privaten Konsums bezweckte. Der Vorschlag scheiterte jedoch bereits im Finanzausschuss des Senats34.
30
31
32
33
34
Fisher, Income Taxation, S. 166 f.; siehe auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 191 f. und Musgrave,
S. 42, welche die Bedeutung dieser Überwindung des „Praktikabilitätsproblems“ deutlich machen.
“Investments” und “cash”; Fisher, Income Taxation, S. 169 f.
Fisher, Income Taxation, S. 167 ff.
Wobei er aber ausdrücklich hervorhob, dass er auch einem proportionalen Steuertarif (flat tax) zustimmen würde, falls dieser nicht zu hoch und die Steuerfreibeträge grosszügig bemessen seien:
Fisher, Income Taxation, S. 263 ff. und S. 368 FN 14.
Vgl. dazu auch: Zumstein, S. 22 f.; Kaldor, Expenditure Tax, S. 12 f.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
8
D.
Nicholas Kaldor
NICHOLAS KALDOR (1908-1986) veröffentlichte 1955 das Buch „An Expenditure
Tax“, in dem er die Ausgabenbesteuerung untersuchte und mit anderen Steuerarten,
insbesondere mit der herkömmlichen Einkommens- und Gewinnbesteuerung, verglich35. Sein Fazit war, dass der Wechsel zu einer Besteuerung des konsumierten Einkommens positive volkswirtschaftliche Auswirkungen habe und insbesondere fördernd
sei hinsichtlich der Ersparnisbildung36, der unternehmerischen Risikobereitschaft37 und
des Anreizes, Arbeit zu erbringen38. Aber auch aus Gerechtigkeitsüberlegungen39 sei
die Einkommensverwendung als Ausgangsgrösse für die Besteuerung zu nehmen.
Denn es sei nicht möglich, das zufliessende Einkommen zuverlässig zu erfassen und
daraus aussagekräftige Schlüsse über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuersubjektes zu gewinnen, was zu stossenden Ungleichbehandlungen führe. Hingegen
liesse sich die Verwendung des Einkommens besser erfassen und gebe Aufschluss
darüber, wie leistungsfähig sich das Steuersubjekt selber einschätze40.
KALDOR trat nicht für eine sofortige Abschaffung der herkömmlichen Einkommensbesteuerung ein, sondern vermutete erhebliche Administrationsprobleme bei einer Neueinführung einer „Expenditure Tax“. Daher wollte er diese zunächst neben der bisherigen Einkommensteuer einführen und letztere dann graduell abbauen41.
Die Überlegungen von KALDOR fanden in der Wissenschaft grosse Beachtung und
führten auch zu der (vorübergehenden) Einführung einer „Expenditure Tax“ in Indien
und Sri Lanka42. Von erheblicher Bedeutung sind auch KALDORS Ausführungen zur
35
36
37
38
39
40
41
42
Vgl. zur „expenditure tax“ von Kaldor u.a. auch Zumstein, S. 24 f.
Kaldor, Expenditure Tax, S. 79 ff.
Kaldor, Expenditure Tax, S. 102 ff.
“Incentive to Work“; Kaldor, Expenditure Tax, S. 130 ff.
Gerade die Gerechtigkeitsüberlegungen waren für Kaldor von grosser Bedeutung und er betrachtete die Mitberücksichtigung von Gerechtigkeitsaspekten als gewichtige Neuerung gegenüber den
Untersuchungen seiner Vordenker: „But in fact neither Mill nor any of the other advocates did full
justice to the case for an expenditure tax on grounds of equity – they did not even suspect it. This
case does not really rest on the element of ‚double taxation‘ of savings involved in an income tax,
but arises from more fundamental shortcomings of the concept of ‚income‘ as a measuring-rod of
taxable capacity.” Kaldor, Expenditure Tax, S. 13.
Kaldor, Expenditure Tax, S. 47.
Kaldor, Expenditure Tax, S. 223 ff.
Die „Expenditure Tax“ trat in den genannten Ländern neben die herkömmliche Einkommensteuer, wie es Kaldor vorgeschlagen hatte. Administrative Probleme und geringe Erträge führten
jedoch 1963 zur Aufgabe in Sri Lanka und 1966 in Indien; Zumstein, S. 26; vgl. auch Seidl, S.
408 FN 8: „These experiments resulted, however, in complete failures, which was certainly also a
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
9
Besteuerung von Unternehmungsgewinnen. Er legte dar, dass Gewinnsteuern längerfristig auf die Konsumenten überwälzt würden. Darüber hinaus wies er darauf hin,
dass die Gewinnsteuern Allokationsineffizienzen hervorrufen, da sie volkswirtschaftliche Entscheidungsprozesse verzerren und etablierte Grossunternehmungen gegenüber
„start ups“ begünstigen würden. Daher sei eine direkte Konsumbesteuerung unter Abschaffung der Gewinnsteuer zu empfehlen. Die Belastungswirkungen wären dieselben,
die volkswirtschaftlichen Ineffizienzen fielen aber weg43.
E.
Hall/Rabushka
Das Modell der Flat Tax ist (v.a. in den U.S.A.) in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in die Diskussion über Steuerrechtsreformen eingegangen. Das Flat Tax-Modell gewann insbesondere an Bedeutung, weil es in der U.S.-Politik Unterstützung findet44. Als „Väter“ des flat tax-Modells gelten ROBERT HALL und ALVIN RABUSHKA.
Sie publizierten 1985 das Buch „The Flat Tax“, in welchem sie Vorschläge machten
zur Ausgestaltung eines Systems der Gewinn- und Einkommensbesteuerung45, das ihres Erachtens zu höheren Steuereinnahmen und mehr Gerechtigkeit, weniger Wohlfahrtsverlusten und geringeren Administrationskosten führen sollte. HALL/RABUSHKA
streben grundsätzlich eine einfache Form der Gewinn- bzw. Einkommensermittlung
an. Die von ihnen vorgeschlagenen Steuerformulare sind beispielsweise nicht grösser
als Postkarten46. Bei der Gewinnbesteuerung auf Unternehmungsstufe47 können alle
Investitionen ausser den Zinsen48 steuerwirksam vom Ertrag abgezogen werden. Auf
43
44
45
46
47
48
consequence of the backward state of the economy and the tax administration in these countries.“
Vgl. auch Mitschke, S. 52: “Die Erprobung scheiterte an vorhersehbaren Gründen und Umständen, die keinerlei generelle Schlussfolgerungen und Beurteilungen zulassen.”; Kaldor selbst
meinte dazu in ders., Reports, S. 238: „In fact, as the example of India shows, it is just as easy to
make a mockery of an expenditure tax as it has been with progressive income tax. The Expenditure Tax Bill, introduced by the Finance Minister (...) in 1957, was so severly mauled in its passage through the Lokh Saba (the Indian Parliamant) that the outcome was a joke – incapable of
enforcement, and a sheer waste of time for the tax administration.”
Kaldor, Expenditure Tax, S. 169 f.
Der Tax Reform Act von 1986 unter Reagan nahm z.T. die Anliegen einer „flat rate“ auf
(Hall/Rabushka, S. 44). Zudem geht auf die Politiker Armey und Shelby ein Gesetzesvorschlag
zur Verwirklichung einer flat tax zurück („The Freedom and Fairness Restoration Act“).
Hall/Rabushka in „The Flat Tax“, erstmals publiziert 1985.
Hall/Rabushka, S. 52.
Inkl. selbständig Erwerbenden; Hall/Rabushka, S. 60 ff.
Zinszahlungen sind dafür im Gegenzug beim Empfänger auch nicht steuerbar; Hall/Rabushka,
S. 58 und S. 74.
10
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Stufe der Individualbesteuerung werden grundsätzlich Einkommen aus dem Angestelltenverhältnis und Pensionseinkünfte erfasst, nicht hingegen Zinsen, Dividenden
oder Kapitalgewinne49. Hinzu kommt, dass jeder Steuerpflichtige einen Existenzminimum-Freibetrag für sich ($ 9‘500 für Alleinstehende, je $ 8‘250 für Verheiratete) und
für allfällige von ihm unterstützte Personen ($ 4‘500 pro Person) abziehen kann, ansonsten Abzüge aber nicht erlaubt sind50. Allgemein, d.h. auf Gewinn und Einkommen, soll ein proportionaler51 Steuertarif von 19% greifen52. MÜHL-SCHIMMELE53
bringt hinsichtlich der in dieser Arbeit interessierenden Einkommensteuer den
HALL/RABUSHKA-Vorschlag treffend auf den Punkt: „Es handelt sich folglich um eine
zinsbereinigte Einkommensteuer, die in Form einer reinen ‚Wage Tax‘ erhoben wird.“
Auch wenn die genannten Autoren argumentieren, ihr Ansatz folge dem Prinzip der
konsumorientierten Besteuerung54, ist herauszustreichen, dass nur auf Unternehmungsstufe eine Investitionsbereinigung erfolgt. Auf Einkommensstufe ist hingegen
weiterhin der Einkommenszufluss aus unselbständiger Erwerbstätigkeit steuerbar.
Damit stellen sich Fragen nach der Gerechtigkeit und es dürfte schwierig zu vermitteln
sein, dass zum Beispiel ein nicht berufstätiger „Kapitalist“, der aus Dividenden- oder
Zinseinkünften lebt, trotz vorhandener Leistungsfähigkeit der Einkommensbesteuerung entgehen kann55. Zudem legen HALL/RABUSHKA nicht dar, warum sie mit der
Besteuerung auf Unternehmungsstufe ansetzen wollen, obwohl die Unternehmungsbesteuerung in der Wissenschaft kritisiert wird56. Insbesondere die Intransparenz darüber, wer letztlich die Last der Unternehmungssteuer trägt sowie die verschiedenen
steuervermindernden und -vermeidenden Möglichkeiten der internationalen Steuerplanung und die teilweise Ausbalancierung der Unternehmungssteuern durch Subventionen machen ein Anknüpfen auf Unternehmungsstufe fraglich57.
49
50
51
52
53
54
55
56
57
Hall/Rabushka, S. 58 ff.
Hall/Rabushka, S. 59.
Daher „Flat Tax“.
Hall/Rabushka, S. 59.
Mühl-Schimmele, S. 93.
Hall/Rabushka, S. viii.
Zu den Akzeptanzproblemen einer zinsbereinigten Einkommensteuer auch unten, § 1 G. II., S. 13.
Dazu Kaldor oben, § 1 D., S. 8 f., und auch die Ausführungen unten, § 6 B. II., S. 190 ff.
Zur Gewinnbesteuerung auch unten, § 6 B. II., S. 190 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
F.
11
Manfred Rose, Joachim Lang
Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts intensivierte sich im deutschsprachigen
Raum die wissenschaftliche Diskussion bezüglich einer konsumorientierten Umgestaltung der direkten Steuern, wobei u.a. MANFRED ROSE und JOACHIM LANG Hauptbeiträge leisteten.
Der Finanzwissenschafter ROSE machte zugunsten der direkten Konsumbesteuerung
geltend, die Steuern würden letztlich immer von den Konsumenten getragen, unabhängig davon, wo sie auferlegt werden58. Wie u.a. bereits MILL und FISHER verwies er auf
die der traditionellen Einkommensteuer innewohnende Doppelbelastung59. Darüber
hinaus führte er an, dass durch einen Wechsel zu einer direkten Konsumsteuer die
Ineffizienzen gesenkt werden könnten60, auch die Lastentransparenz besser gewahrt
sei61 und zusätzlich Gerechtigkeitsüberlegungen dafür sprächen62. Als eine mögliche
Variante, die seines Erachtens am ehesten politische Zustimmung finden dürfte, schlug
ROSE vor, bei der Unternehmungssteuer eine (kalkulatorische) Normalverzinsung des
Eigenkapitals63 und bei der Individualeinkommensteuer die Zinserträge steuerlich freizustellen64. Aus praxisbezogener Sichtweise ist bedeutend, dass die Vorschläge von
ROSE für die Periode 1994-2001 massgeblich Aufnahme in das geltende Steuerrecht
Kroatiens fanden65.
Der deutsche Steuerrechtsprofessor JOACHIM LANG hat die Bedeutung der volkswirtschaftlichen Diskussion über die Konsumsteuer frühzeitig erkannt und die Untersuchungen von einer rechtswissenschaftlichen Warte aus weiter voran getrieben. LANG
58
59
60
61
62
63
64
65
Nicht nur bei Einkommensteuern, sondern auch bei Unternehmungssteuern stellt gemäss Rose die
endgültige Reallast ein Konsumopfer dar; Rose, Plädoyer S. 14.
Rose, Plädoyer, S. 24; zu Mill und Fisher vgl. oben, §1 B., S. 3 ff., resp. § 1 C., S. 6 ff..
Rose, Plädoyer, S. 23 ff.; vgl. u.a. S. 25 f.: „...unter Berücksichtigung der intertemporalen Konsumentscheidungen und der Entscheidungen zwischen Konsum und Freizeit hat die traditionelle
Einkommensteuer offensichtlich höhere individuelle Nutzenverluste zur Folge als eine persönliche Konsumsteuer.”
Rose, Plädoyer, S. 22 f.
Rose, Plädoyer, S. 28 ff., m.Vw. auf Kaldor, Expenditure Tax, S. 53.
D.h. es handelt sich um eine Sollzinsrate; Rose, Plädoyer, S. 32.
Rose, Plädoyer, S. 12 und 30 ff.; vgl. zur zinsbereinigten Einkommen- und Gewinnsteuer auch
Hackmann, Vergleich, S. 18 f. (zinsbereinigte Einkommensteuer); Richter, S. 18 ff. (zinsbereinigte Einkommensteuer) und S. 28 f. (zinsbereinigte Gewinnsteuer).
Dazu z.B. Gress/Rose/Wiswesser, S. 34 ff.; Dorenkamp, S. 43 inkl. FN 246, mit zahlreichen weiteren Verweisen; vgl. auch Mühl-Schimmele, S. 76 f.; hinsichtlich der Erfahrungen in Kroatien
mit der nach einer Sollzinsrate bemessenen Zinsbereinigung der Unternehmungssteuer:
Keen/King, S. 401 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
12
fordert, dass in Deutschland das herkömmliche System der Einkommensbesteuerung
nebst den volkswirtschaftlichen Gründen auch aus Gerechtigkeitsgründen überdacht
werden müsse, da das geltende deutsche Steuerrecht zu kompliziert sei und viele Steuerschlupflöcher biete, die zu einer Ungleichbehandlung führten66. Auch sei gegenwärtig ein übermässiger Konsum auf Kosten der Umwelt und zukünftiger Generationen zu
beobachten, was ein zusätzliches Argument zur Besteuerung des Konsums liefere67.
Lang erarbeitete einen konkreten Entwurf eines Steuergesetzbuches68, der mit Bezug
auf Gewinn- und Einkommensteuern grundsätzlich eine konsumorientierte Besteuerung vorsieht: Unternehmungen können von dem nach regulärer Methode69 ermittelten
Gewinn steuerwirksam einen Zinsfreibetrag70 abziehen und bei der Einkommensbesteuerung können nebst einem Existenzfreibetrag auch Spareinlagen vom Einkommen
abgezogen werden, die bei einer der Steuerkontrolle unterliegenden Einrichtung
(Bank, Versicherung etc.) einbezahlt werden71, 72.
G.
Zahlreiche weitere Vorschläge zur konsumorientierten
Ausgestaltung der Einkommensteuer
I.
Kurzer Überblick
Neben den vorgestellten „klassischen“ Vordenkern und den aktuell bedeutenden Vertretern LANG, ROSE und HALL/RABUSHKA haben sich eine Reihe von weiteren Autoren in den letzten Jahrzehnten mit der Frage nach einer konsumorientierten Ausgestaltung der Einkommensteuer auseinander gesetzt, wobei für die Haushaltsebene entweder Varianten einer sparbereinigten Einkommensteuer (im Sinne der Grundkonzepte von FISHER, KALDOR und LANG) oder Varianten einer zinsbereinigten
66
67
68
69
70
71
72
Lang, Konsumbesteuerung, S. 291 f.
Lang, Konsumbesteuerung, S. 292.
Lang, Entwurf; diese Arbeit beruht auf dem Auftrag der Bundesrepublik Deutschland, für die Beratung mittel- und osteuropäischer Staaten in Fragen der Steuergesetzgebung ein Mustersteuergesetz auszuarbeiten.
Vermögensstandsgewinn, korrigiert um allfällige Einzahlungen/Auszahlungen: Lang, Entwurf,
§155 Abs. 1.
Dieser soll sich nach dem Eigenkapital bemessen und in Anpassung an Marktzins und Geldwert
jährlich neu festgelegt werden: Lang, Entwurf, § 162. Es handelt sich somit wie beim Vorschlag
von Rose um eine Sollzinsrate.
Lang, Entwurf, N 473; ebenda, § 123.
Joachim Lang war ebenfalls an der Beratung Kroatiens beteiligt. Bezüglich Einkommensteuer
wurde hingegen von seinem Entwurf einer sparbereinigten Einkommensteuer Abstand genommen
zugunsten der von Rose vertretenen zinsbereinigten Einkommensteuer; Seer, S. 308 FN 80.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
13
Einkommensteuer (Grundkonzept HALL/RABUSHKA und ROSE) vorgeschlagen wurden. Mit Bezug auf die sparbereinigte Einkommensteuer sind namentlich die Entwürfe
von BRADFORD73, des MEADE-COMMITTEE74, LODIN75, AARON/GALPER76,
KAY/KING77 und MITSCHKE78 zu erwähnen, zur zinsbereinigten Einkommensteuer die
Vorschläge von MCLURE/ZODROW79 und WENGER80. Bei KAISER findet sich eine konzise Darstellung dieser verschiedenen Reformvorschläge81.
Die rege zeitgenössische steuerwissenschaftliche Tätigkeit im Bereich der konsumorientierten Einkommensteuer verdeutlicht, dass eine breite Front von Wissenschaftern
die fundamentalen Argumente für eine konsumorientierte Ausrichtung der Einkommensteuer aufnimmt und entsprechend Vorschläge präsentiert werden, damit der empfohlene Steuerwechsel in die Realität überführt werden kann.
II.
Ausklammerung der Zinsbereinigung im Folgenden
Wie bereits in der Einleitung aufgezeigt, stellt in der vorliegenden Arbeit die Sparbereinigung der Einkommensteuer den Untersuchungsgegenstand dar. Auf die oben erwähnte Zinsbereinigung wird dementsprechend nachfolgend nicht weiter eingegangen.
Zwei Hinweise sollen hier genügen, um die Grundprobleme des Zinsbereinigungsansatzes anzudeuten: Zum einen ist – was oben anhand der Flat Tax Darlegung fand –
fraglich, oder zumindest nicht leicht zu vermitteln, inwiefern der Zinsbereinigungsansatz aus Gerechtigkeitsüberlegungen zu rechtfertigen ist. Das könnte zu erheblichen
Akzeptanzproblemen führen82. Illustrativ ist das Beispiel vom reichen Privatier, der
von seinen Vermögenserträgen lebt („Kapitalist“), die der Einkommensbesteuerung
nicht unterliegen, während das Arbeitseinkommen von Erwerbstätigen besteuert wird.
Zum anderen ist aus ökonomischer Sicht unklar, ob Spar- und Zinsbereinigung zu einer Belastungsäquivalenz des Steuerpflichtigen führen. DORENKAMP führte anhand
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
Bradford/US Treasury Tax Policy Staff, “Blueprints for Basic Tax Reform”.
Meade, S. 175 ff.
Lodin, “Progressive Expenditure Tax – an Alternative?”.
Aaron/Galper, S. 66 ff.
Kay/King, S. 88 ff.
Mitschke, S. 53.
Betrifft in erster Linie die Behandlung von Erbschaften und Schenkungen bei einer zinsbereinigten Einkommensteuer: McLure/Zodrow, S. 117 ff.; vgl. auch McLure, S. 309 ff.
Wenger, S. 227 ff.
Kaiser, S. 75 ff.; siehe auch Dorenkamp, S. 43 mit zahlreichen Nw.
Dazu bereits oben, § 1 E., S. 10; Kirchgässner, S. 70; Dorenkamp, S. 51.
14
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
von Modellrechnungen aus, dass bei Investitionsprojekten, deren Rendite über oder
unter dem der Zinsbereinigung zugrunde gelegten kalkulatorischen Normalzinssatz
liegt, durchaus Belastungsdivergenzen auftreten83. Bei überrentierlichen Investitionen
verfügt der Steuerpflichtige bei einer Sparbereinigung über einen höheren Anteil am
Investitionsergebnis als bei einer Zinsbereinigung. Demgegenüber verbleibt dem Steuerpflichtigen bei unterrentierlichen Investitionen bei einer Zinsbereinigung ein grösserer Anteil als bei einer Sparbereinigung84.
Es überrascht aus diesen Gründen nicht, dass selbst Vertreter des Ansatzes der Zinsbereinigung die theoretische Überlegenheit der Sparbereinigung anerkennen85 und die
Zinsbereinigung von den Befürwortern vor allem aus Praktikabilitätsgründen favorisiert wird86. Insbesondere wird diesbezüglich angeführt, dass die Sparbereinigung eine
aufwändige Aufzeichnung über verschiedenste Einkommens- und Ausgabenflüsse sowie die Ersparnisbildung erforderlich macht87. In diesem Zusammenhang gelangte jedoch zum Beispiel DORENKAMP in seiner auf das deutsche Steuerrecht bezogenen
Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die administrativen Nachteile einer Sparbereinigung geringer zu gewichten seien als die Nachteile der Belastungsdivergenz und des
Akzeptanzproblems bei der Zinsbereinigung88.
§ 2 Sparbereinigung und verfassungsmässige Vorgaben für
die Steuergesetzgebung
Nachdem verschiedene theoretische Überlegungen zur Sparbereinigung der Einkommensteuer vorgestellt wurden, wird nachfolgend näher beleuchtet, ob die Verwirklichung einer Sparbereinigung überhaupt mit den Grundfesten der Schweizer Rechtsordnung verträglich ist. Namentlich wird gefragt, inwiefern eine Sparbereinigung in
83
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85
86
87
88
Dorenkamp, S. 46 ff.
Siehe dazu Dorenkamp, S. 46.
Z.B. Rose, einfaches Steuersystem, S. 428: „Als Ökonom präferiere ich die sparbereinigte Einkommensteuer, weil hiermit die effektive und die gewünschte und die finanzpolitisch wünschenswerte Steuerwirkung direkt zusammenfallen.“; vgl. auch Dorenkamp, S. 52, der ebenfalls
die Anerkennung der theoretischen Überlegenheit der sparbereinigten Einkommensteuer durch
Anhänger der zinsbereinigten Einkommensteuer anführt.
Seidl, S. 417 ff.; McLure/Zodrow, S. 134 ff., Rose, Plädoyer, S. 31; vgl. dazu auch Dorenkamp, S.
44 inkl. FN 250.
McLure/Zodrow, S. 134 f.; siehe auch Dorenkamp, S. 44; Seidl, S. 433 ff. und S. 441.
Dorenkamp, S. 46 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
15
den Rahmen passt, der dem Steuergesetzgeber durch die verfassungsmässigen Vorgaben gezogen wird. Eine Modifizierung der Steuerordnung in Richtung sparbereinigte
Einkommensteuer kann nicht frei vorgenommen werden, sondern hat mit den verfassungsmässigen Vorgaben für die Steuergesetzgebung vereinbar zu sein89. Als solche
Vorgaben kommen im Wesentlichen die formellen Vorgaben hinsichtlich Normstufe
und die inhaltlich lenkenden und begrenzenden Vorgaben in Betracht.
Unter die verfassungsmässigen formellen Vorgaben hinsichtlich Normstufe fallen das
Legalitätsprinzip im Abgaberecht und der Verfassungsvorbehalt. Zu den verfassungsmässigen inhaltlichen Vorgaben zählen insbesondere der materielle Gehalt der Kompetenznormen, die eigentlichen inhaltlichen Besteuerungsgrundsätze und die steuerrechtlich besonders relevanten Grundrechte. Nachfolgend wird daher untersucht, ob
und in welcher Ausgestaltungsform eine Sparbereinigung der Einkommensteuer sich
mit dem vielgestaltig strukturierten verfassungsmässigen Rahmengebilde vereinbaren
lässt90.
A.
Formelle Vorgaben
I.
Legalitätsprinzip im Abgaberecht
1.
Inhalt
Das die gesamte Schweizer Rechtsordnung beschlagende Legalitätsprinzip91 dient einerseits der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns („no taxation without
representation“), verwirklicht andererseits die Ideen der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit (rechtsstaatliche Funktion92) und bezweckt darüber hinaus den Schutz des
89
90
91
92
Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Steuergesetzgebung auch die rechtsvergleichende Arbeit von Christian Waldhoff.
Zu der Frage der Vereinbarkeit einer Sparbereinigung mit dem Völkerrecht – namentlich den
Doppelbesteuerungsabkommen – siehe unten, § 6 A. II., S. 177 f. Diese Problematik wird erst
weiter unten behandelt, weil in einem ersten Schritt geprüft werden soll, welche innerstaatliche
Möglichkeiten der Steuergesetzgeber hat. Erst nach dieser (autonomen) Betrachtung und daraus
fliessenden Schlüssen wird gefragt, inwiefern eine allfällige Sparbereinigung im internationalen
Kontext eingebettet werden kann.
Vgl. zum Legalitätsprinzip u.a. Cottier, S. 1 ff.; G. Müller, aBV Kommentar N 6 ff. zu Art. 4; Häfelin/Müller, N 368 ff.; Moor, § 16 N 1 ff.; aus rechtsvergleichender Sicht Waldhoff, S. 120 ff.
Vgl. aber allgemein zu der – insbesondere im Vergleich zur Demokratieidee – zaghaften Entwicklung und Institutionalisierung des Rechtsstaatsgedanken im Schweizer Recht: Riklin, S. 236
ff.; Riklin/Möckli, S. 66; Waldhoff, S. 108 f.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
16
Einzelnen93. Das Legalitätsprinzip hat im Abgaberecht besondere Beachtung und Ausgestaltung durch die Rechtsprechung erfahren94 und wird nebst seinem Prinzipiengehalt auch als eigenständiges verfassungsmässiges Recht im Sinne von Art. 189 Abs. 1
lit. a BV anerkannt95. Bezüglich Steuern gilt gemäss einer langjährigen und mittlerweile auch in Art. 127 Abs. 1 BV96 kodifizierten Rechtsprechung, dass ohne Ausnahmen die wesentlichen Elemente (Steuersubjekt, Steuerobjekt, Grundzüge der Bemessung) in einem Gesetz im formellen Sinne zu verankern sind97.
2.
Wechsel zur Sparbereinigung
Das Legalitätsprinzip steht einem Steuerwechsel nicht entgegen, sofern die Anforderungen an genügende gesetzliche Verankerung beachtet werden. Das liesse sich durch
eine entsprechende Anpassung von Bundessteuergesetz bzw. DBG in Richtung Besteuerung des sparbereinigten Einkommens technisch leicht bewerkstelligen. In Würdigung des oben Ausgeführten wären im Steuergesetz die Grundzüge (Steuersubjekt,
-objekt und -mass) der sparbereinigten Einkommensteuer festzulegen. Weiter unten
findet sich ein Entwurf, der die Grundstrukturen eines möglichen DBGs skizziert, das
die Sparbereinigung der Einkommensteuer vorsieht98.
93
94
95
96
97
98
Zur Multifunktionalität des Legalitätsprinzips: Cottier, S. 14 ff., insb. S. 16 f.; Häfelin/Müller, N
371 ff.; Moor, § 16 N 18 ff.; Vallender, Kausalabgabenrecht, S. 149; Waldburger/Wiederkehr, S.
63.
Aus der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtsprechung BGE 128 II 247 (251 f.); BGE 127 I 60 (64
f.); BGE 126 I 180 (182 f.); BGE 125 I 173 (179 f.); BGE 125 I 182 (193); BGE 123 I 248 (249
f.); je mit weiteren Judikaturnachweisen. Vgl. auch Cottier, S. 59 ff.; Widmer, S. 67 ff.; Waldhoff,
S. 127 ff.; Waldburger/Wiederkehr, S. 59 ff.
Jedoch gilt das Legalitätsprinzip ausserhalb des Abgaberechts nicht als verfassungsmässiges Individualrecht, dessen Verletzung selbständig mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann;
siehe dazu BGE 127 I 60 (68) mit weiteren Ausführungen und Judikaturnachweisen. Diese Rechtsprechung kritisiert u.a. Kovacs, S. 10.
Vgl. auch die analoge Regelung hinsichtlich Abgaben allgemein in 164 Abs. 1 lit. d BV.
Vgl. die in FN 94 angeführte Rsp., welche hinsichtlich des Legalitätsprinzips im Abgaberecht nur
für gewisse Arten von Kausalabgaben unter bestimmten Umständen eine Lockerung erlaubt. Vgl.
auch Widmer, S. 67; Waldhoff, S. 128 f.; Waldburger/Wiederkehr, S. 65; siehe auch Botschaft
VE 96, S. 346.
Weiter unten, § 9, S. 224 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
II.
Verfassungsvorbehalt
1.
Verankerung der Steuerkompetenzen auf Verfassungsstufe
17
Bei den Bundessteuern werden an die gesetzliche Grundlage Anforderungen gestellt,
die über das allgemeine, eine formell-gesetzliche Grundlage fordernde Legalitätsprinzip hinausreichen: Es ist die Verankerung auf der höchsten Normstufe, das heisst in
der Verfassung, erforderlich. Damit wird der bundesstaatlichen Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen nachgelebt, welche vorsieht, dass nur durch Einzelermächtigung in der Bundesverfassung dem Bund Kompetenzen zugeteilt werden
können (Art. 3 BV). Diese Kompetenzausscheidung greift auch im Steuerrecht99, und
entsprechend müssen die Steuerbefugnisse des Bundes in der BV festgelegt werden.
Bemerkenswert ist der konstante Widerwille von Volk und Ständen, für die bedeutendsten Bundessteuern (direkte Bundessteuer und Mehrwertsteuer bzw. deren Vorläufer) dem Bund eine unbefristete Erhebungskompetenz einzuräumen100, weshalb der
steuerrechtliche Verfassungsvorbehalt auch eine zeitlich-konditionale Komponente
aufweist und von einer befristeten Normgeltung gesprochen werden kann101.
2.
Wechsel zur Sparbereinigung
Bei der Frage nach der Kompetenzgrundlage für eine Sparbereinigung der Bundeseinkommensteuer wird der Bezug zu den inhaltlichen Vorgaben der Kompetenznormen
99
100
Vallender/Jacobs, S. 72 f.; Blumenstein/Locher, S. 44; Höhn/Waldburger, § 4 N 20; Hangartner,
Bundesstaat, S. 403. Vgl. auch Waldhoff, S. 52 ff., insb. S. 56 ff.; Cottier, S. 154 f. In der Lehre
wird darauf hingewiesen, dass die BV eine Zweiteilung der Bundeskompetenzordnung konstituiere: Einerseits sei eine Enumeration bzgl. der Bundesaufgaben gegeben. Andererseits dürfe der
Bund für die Steuererhebung aber nicht an diese materiellen Aufgabenkompetenzen anknüpfen.
Dafür seien vielmehr ausdrückliche Besteuerungskompetenzen in der BV erforderlich. Das Erfordernis der ausdrücklichen Besteuerungskompetenzen wird v.a. mit dem Schutz des kantonalen
Steuersubstrats und der begrenzten Mittelzuweisung an den Bund erklärt. Vgl. dazu: Vallender,
Besteuerungsbefugnisse, S. 25; Vallender, Lenkungsabgaben, S. 78 f.; Vallender/Jacobs, S. 74;
Fleiner, S. 311; Höhn, Aspekte, S. 221. Vgl. bezüglich des Sonderfalles der Lenkungsabgaben:
Vallender/Jacobs, S. 74 ff.; Beusch, S. 112 ff.; Kappeler, S. 111.
Bis heute ist „jeder Versuch, eine Umsatzsteuer (Mehrwert- oder Warenumsatzsteuer) und direkte
Bundessteuer unbefristet in der Verfassung zu verankern, in der Abstimmung von Volk und Ständen gescheitert (...). Seit 1945 ist das nicht weniger als fünfmal geschehen.“ Höhn/Vallender, aBV
Kommentar, N 18 zu Art. 41ter; siehe ebenda, N 17 f., auch mit Hinweis auf kritische Stimmen
und deren Entgegnung; siehe zur Befristung auch: Vallender, Besteuerungsbefugnisse, S. 26;
ders., BV Kommentar, N 33 ff. zu Art. 128; Waldhoff, S. 65; Blumenstein/Locher, S. 44 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
18
offensichtlich. Wie gleich nachfolgend näher dargelegt wird, sind in den steuerlichen
Kompetenznormen auch verschiedene inhaltliche Vorgaben an den Gesetzgeber enthalten102. Dies gilt auch für die Kompetenznorm hinsichtlich der Bundeseinkommensteuer (Art. 128 BV): Durch die Kompetenznorm sind inhaltliche Züge der Ausgestaltung der Bundeseinkommensteuer vorgegeben. Zur Beantwortung der Frage, ob
eine genügende Verfassungsgrundlage für eine Sparbereinigung der Einkommensteuer
vorliegt, ist daher zunächst zu beleuchten, welche inhaltlichen Vorgaben für die Einkommensteuer in der Bundesverfassung zu finden sind. Erst anschliessend kann eine
Aussage darüber getroffen werden, inwiefern eine sparbereinigte Einkommensteuer
mit den verfassungsmässigen inhaltlichen Vorgaben übereinstimmt und bereits eine
genügende Kompetenzgrundlage findet. Andernfalls wäre auf dem Weg der Verfassungsänderung eine ausreichende Kompetenzgrundlage zu schaffen.
Infolge des aufgezeigten schrittweisen Vorgehens wird die Frage nach dem Verfassungsvorbehalt erst im folgenden Kapitel (unter B. I. 3.) beantwortet, nachdem die inhaltlichen Vorgaben für die Einkommensteuer näher untersucht wurden.
B.
Inhaltliche Vorgaben
I.
Materieller Gehalt der Kompetenznormen
1.
Einleitung
Wie eben erwähnt, muss die Steuererhebungskompetenz dem Bund auf höchster
Normstufe, d.h. in der Verfassung zugesprochen werden. Durch die Befolgung dieser
formellen Vorgabe erwachsen dem Bundesgesetzgeber auch inhaltliche Vorgaben:
Werden die Bundessteuerkompetenzen in der Verfassung verankert, erfolgen erste inhaltliche Konturierungen der zulässigen Steuern. Es handelt sich mit den Worten von
PAUL KIRCHHOF um eine „Vorformung der Gesetzesinhalte durch den kompetenzrechtlichen Sachbereich“103. In der deutschen Lehre wurde in diesem Zusammenhang
der Ausdruck des „materiellen Gehalts“ der steuerlichen Kompetenznormen geprägt104. Vor diesem Hintergrund kann zum einen allgemein untersucht werden, wel-
101
102
103
104
Gemäss Art. 196 Ziff. 13. ÜbBst. zu Art. 128 BV und Ziff. 14 ÜbBst Abs. 4 zu Art. 130 BV ist
die aktuelle Bundesfinanzordnung bis Ende 2006 befristet.
§ 2 B. I., S. 18 ff.
Kirchhof, Besteuerungsgewalt, S. 72; siehe auch Waldhoff, S. 183.
Waldhoff, S. 182 ff., mit zahlreichen Verweisen. Wie Waldhoff, S. 182 f., mit Bezug auf die deutsche Lehre ausführt, ist diese Terminologie von den üblichen unter den Stichwörtern „materielles“
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
19
cher Steuerbegriff durch die Verfassung skizziert wird105, zum anderen eröffnet sich
die Frage nach der inhaltlichen „Vorformung“ der einzelnen Steuern. Für die vorliegende Arbeit ist letztere Fragestellung relevant und zwar mit Blick insbesondere auf
die inhaltliche Vorformung der Einkommensteuer durch die Kompetenznorm von Art.
128 BV.
2.
Materieller Gehalt der einkommensteuerlichen Bundeskompetenz
2.1.
Steuertarif und Steuersubjekt
Betreffend Steuertarif und Steuersubjekt der Einkommensteuer sind in der Bundesverfassung relativ bestimmte Vorgaben niedergelegt:
2.1.1. Steuertarif
Für den Steuertarif bildet die Festsetzung der Höchstsätze der Bundeseinkommensteuer in Art. 128 Abs. 1 lit. a BV die bedeutendste Vorgabe. Diese Regelung entspricht konstanter Verfassungstradition, wonach für die wichtigsten Steuerarten (i.c.
direkte Bundessteuer und Mehrwertsteuer bzw. deren Vorläufer) in der Bundesverfassung Höchstsätze angeführt werden106. Die Festsetzung der Höchstsätze dient – zusammen mit der Auflistung der Steuerarten in der Bundesverfassung – zum einen dem
bundesstaatlichen Steuerkompetenzgedanken, das heisst dem Schutz des kantonalen
Steuersubstrates107 und der begrenzten Zuteilung von Bundesmitteln108. Sie stellt zum
anderen aber auch sicher, dass der politischen Bedeutung der Bundessteuern Rechnung
getragen wird und auf höchster Konsensebene unter Entscheidungsbeteiligung von
Volk und Ständen die Grundzüge der Bundessteuerordnung verfasst und namentlich
der Steuergewalt des Bundes Grenzen gesetzt werden109.
105
106
107
108
109
oder „positives“ Kompetenzverständnis verstandenen Funktionen zu trennen. Bei letzteren handelt es sich um die Frage nach dem Ineinanderwirken von Grundrechten und Kompetenznormen,
d.h. um die Frage nach der grundrechtsbeschränkenden Auswirkungen von Kompetenznormen.
Waldhoff, S. 183.
Vallender, Besteuerungsbefugnisse, S. 27.; Blumenstein/Locher, S. 47 f.; vgl. auch Botschaft VE
96, S. 347, wo auf die hohe politische Bedeutung der Steuerbelastung hingewiesen wird, die zur
Aufnahme von Höchstsätzen in die Verfassung geführt hat.
Fleiner, S. 311; Vallender, Lenkungsabgaben, S. 79; Vallender/Jacobs, S. 74.
Die Begrenzung der Einnahmen wirkt gleichzeitig begrenzend bzw. steuernd auf die Aufgabenverwirklichung des Bundes: Vallender/Jacobs, S. 74.
Vallender, BV Kommentar, N 14 zu Art. 128; ders., Besteuerungsbefugnisse, S. 25; Vallender/Jacobs, S. 74; Höhn, Verfassungsmässigkeit, S. 87 f.; Morandi, S. 190 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
20
Während von der erstmaligen Erhebung der direkten Bundessteuer im Jahr 1915 bis
zur Finanzordnung 1971 stets die Steuerprogression in der Bundesverfassung vorgeschrieben war, enthält die Verfassung seither keine Vorgabe mehr darüber, ob der
Steuertarif proportional oder progressiv auszugestalten ist110. Das ist darauf zurückzuführen, dass Bundesrat und Bundesversammlung 1969 einen Verfassungsentwurf unterbreiteten, der dem eidgenössischen Gesetzgeber Freiheit in der Tarifgestaltung eingeräumt hätte und diesbezüglich keine Höchstsätze mehr vorsah111. Dieser finanzpolitische Vorstoss scheiterte aber 1970 am Ständemehr, und in der Folge wurden in der
Finanzordnung 1971 wieder Höchstsätze verankert, die Progression hingegen – mittlerweile unumstrittener Bestandteil der direkten Bundessteuern – wurde nicht mehr
aufgenommen. Eine Progressionsvorgabe an den Bundesgesetzgeber existiert daher
nicht mehr. Niedergelegt ist aber weiterhin, mit Bezug auf eine anerkanntermassen
zulässige progressive Ausgestaltung des Einkommensteuertarifes durch den Bundesgesetzgeber, die Vorschrift zur periodischen Ausgleichung der Folgen der kalten Progression (Art. 128 Abs. 3 BV).
Von geringer, wenn auch nicht gänzlich zu vernachlässigender Bedeutung ist das in
Art. 128 Abs. 2 BV verankerte „Rücksichtsgebot“, wonach der Bundesgesetzgeber bei
der Festsetzung der Tarife auf die Belastung durch die direkten Steuern der Kantone
und Gemeinden Rücksicht zu nehmen hat112.
2.1.2. Steuersubjekt
Art. 128 Abs. 1 lit. a BV bestimmt als Steuersubjekte der Einkommensteuer die „natürlichen Personen“. Aus dieser Umschreibung folgt, dass grundsätzlich sämtliche natürlichen Personen, unabhängig von Zivilstand und Alter, subjektiv steuerpflichtig
sind, sofern die steuerrechtliche Zugehörigkeit zur Schweiz gegeben ist113. Dem entspricht namentlich die Regelung, wonach auch verheiratete Frauen in ungetrennter
Ehe, bei denen die sog. „Zusammenveranlagung“ zur Anwendung kommt, Steuersub-
110
111
112
113
Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 106 zu Art. 41ter.
Botschaft Änderung der Finanzordnung (1969), S. 749 ff.; vgl. auch a.a.O., S. 1582 f.
Dazu Vallender, BV Kommentar, N 27 f. zu Art. 128, m.Vw. u.a. auf Botschaft Änderung der Finanzordnung (1969), S. 749 ff. und S. 770.; vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 20 Vorbemerkungen; Waldhoff, S. 197.
So auch der Grundsatz in Art. 3 DBG; vgl. Höhn/Waldburger, § 13 N 18 inkl. FN 16 mit ausdrücklichem Bezug auf Kinder, die unter elterlicher Gewalt stehen.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
21
jekte darstellen114. Ausserdem ist logischer Ausfluss, dass unter elterlicher Gewalt stehende Kinder ebenfalls als Steuersubjekte erfasst werden, wenn auch eine Steuersubstitution durch den Inhaber der elterlichen Gewalt greift115.
2.1.3. Wechsel zur Sparbereinigung
Die in der Bundesverfassung zum Ausdruck gelangenden inhaltlichen Vorgaben für
Steuertarif und Steuersubjekt stehen einer Sparbereinigung der Einkommensteuer nicht
entgegen. Es sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, die bei einer Sparbereinigung
eine Abweichung von den genannten inhaltlichen Vorgaben erforderlich machen. Daher können die inhaltlichen Vorgaben bei einem Einkommensteuergesetz (DBG), das
eine Sparbereinigung vorsieht, übernommen werden. Es ist demzufolge bei einer allfälligen Abänderung des DBG in Richtung Sparbereinigung bezüglich des Steuertarifs
weiterhin an den Höchstsätzen festzuhalten, und bei progressiver Besteuerung ist weiterhin ein Ausgleich der kalten Progression vorzunehmen. Ebenfalls ist dem Gebot zur
Rücksichtnahme auf die Belastung durch die direkten Steuern von Kanton und Gemeinden weiter nachzuleben. Als Steuersubjekte sind bei Vorliegen der steuerrechtlichen Zugehörigkeit116 grundsätzlich sämtliche natürlichen Personen zu erfassen. Konkret kann bei einer Abänderung des DBG in Richtung Sparbereinigung mit Blick auf
die erläuterten Punkte die geltende DBG-Regelung übernommen werden117.
Zusammenfassend ergibt sich: Eine Sparbereinigung der Bundeseinkommensteuer ist
mit den inhaltlichen Verfassungsvorgaben für Steuertarif und Steuersubjekt vereinbar
und diesbezüglich ist in Art. 128 Abs. 1 lit. a BV eine hinreichende, auch die Sparbereinigung abdeckende Kompetenzgrundlage gegeben.
114
115
116
117
Zur Zusammenveranlagung und zum Einfluss des Gebotes der Gleichbehandlung der Geschlechter (Art. 8 Abs. 3 BV) u.a. Höhn/Waldburger, § 13 N 13; Blumenstein/Locher, S. 77 f.
Höhn/Waldburger, § 13 N 18; Blumenstein/Locher, S. 76 f. Bei der Steuersubstitution von Kindern durch den Inhaber der elterlichen Gewalt wird das Einkommen letzterem zugerechnet (Art. 9
Abs. 2 DBG), und diese Person übt alle Rechte und Pflichten im Steuerverfahren aus und haftet
primär für die Steuerschulden; siehe die eben genannten Literaturstellen. Liegt hingegen Erwerbseinkommen des Kindes vor, wird dieses nicht dem Inhaber der elterlichen Gewalt zugerechnet, sondern das Kind ist dafür selbständig steuerpflichtig (Art. 9 Abs. 2 DBG), und der Inhaber
der elterlichen Gewalt tritt als gesetzlicher Stellvertreter auf; Höhn/Waldburger, § 13 N 19.
Vertiefend zur Frage des personellen Anwendungsbereichs der Sparbereinigung unten, § 6 A. I.,
S. 168 ff.
Zum Entwurf eines DBG, das die Sparbereinigung vorsieht, unten, § 9, S. 224 ff.
22
2.2.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Steuerobjekt und Steuerberechnungsgrundlage
2.2.1. Verfassungsmässige Umschreibung des Steuerobjektes und
verfassungsmässige Vorgaben hinsichtlich der Berechnungsgrundlage
Eine genaue Umschreibung des Steuerobjekts der Einkommensteuer ist in der Bundesverfassung nicht niedergelegt118. In Art. 128 Abs. 1 lit. a BV wird lediglich bestimmt,
dass der Bund eine direkte Steuer auf dem „Einkommen“ erheben kann. Eine Konkretisierung dessen, was als steuerbares Einkommen zu verstehen ist, findet sich in der
Verfassung jedoch nicht. In der Lehre wird allgemein die Ansicht vertreten, der Verfassungsgeber gehe immerhin von zwei bestimmten inhaltlichen Vorgaben aus, wobei
diese thematisch bereits den Bereich der Berechnungsgrundlage119 berühren. Zum einen sei durch den Gesetzgeber grundsätzlich sämtliches Einkommen für steuerbar zu
erklären120. Zum anderen sei nur das Reineinkommen zu erfassen121. Letzteres geht
auch aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip hervor122 und war in der aBV noch ausdrücklich verankert123. Eine weitere, wenn auch vage Vorformung des Steuerobjekts
der Einkommensteuer durch Verfassungsvorgaben ist in der Entstehungsgeschichte der
Schweizer Steuerordnung zu erblicken. Es kann davon ausgegangen werden, dass dem
Verfassungsgeber, als er 1958 die Einkommensteuer in ordentlichem Verfassungsrecht
verankerte124 bzw. 1999 bestätigte125, die bis dahin geltende Einkommensteuerordnung
vorschwebte und er die Vorstellung hatte, dass auch nachfolgend die Einkommensbesteuerung diesen Grundzügen entsprechen sollte126. Ebenfalls kann aus der erwähnten
Begriffsverankerung bzw. -bestätigung geschlossen werden, der Verfassungsgeber ak-
118
119
120
121
122
123
124
125
126
Vgl. auch Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; Vallender/Höhn, aBV Kommentar, N 93
zu Art. 41ter; Waldhoff, S. 195 inkl. FN 75.
Eingehend zur Steuerberechnungsgrundlage unten, § 5 C., S. 97 ff.
Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 93 zu Art.
41ter.
Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 94 zu Art. 41
ter; Locher, DBG Kommentar, N 13 Vorbemerkungen.
Dazu eingehender unten, § 5 C. II. 2., S. 106 ff.
Art. 41ter Abs. 5 lit. c aBV.
Zur bewegten Vorgeschichte der Kompetenzgrundlage für die Einkommensteuer bzw. allgemein
zu den Kompetenzgrundlagen für die direkte Bundessteuer und auch die Mehrwertsteuer (bzw.
Warenumsatzsteuer): Blumenstein/Locher, S. 44 f.; Höhn/Vallender, aBV Kommentar, Entstehungsgeschichte zu Art. 41ter.
Volksabstimmung vom 16. April 1999.
Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 2 zu Art. 41ter.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
23
zeptiere die bis dahin geltende Einkommensteuerordnung stillschweigend als zulässige
Ausgestaltungsmöglichkeit.
Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass dem Gesetzgeber nur grob umrissense Grundvorgaben durch die Verfassung gesetzt sind und ihm bei der Umschreibung des Steuerobjektes und der Berechnungsgrundlage der Einkommensteuer eine erhebliche Gestaltungsfreiheit zukommt127.
2.2.2. Wechsel zur Sparbereinigung
a)
Ausschluss einer definitiven Sparbereinigung
Theoretisch denkbar ist eine definitive Sparbereinigung der Einkommensteuer in der
Weise, dass die aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse erst zur Besteuerung gelangen, wenn sie für konsumtive Zwecke verausgabt werden; sei dies durch das
ursprünglich sparende Steuersubjekt selbst oder durch dessen Vermögensnachfolger
(Erbe/Beschenkter). Eine solche definitive, auch den Vermögensnachfolger erfassende
Sparbereinigung stösst sich jedoch an den aufgezeigten Verfassungsvorgaben bezüglich des Steuerobjektes und der Berechnungsgrundlage. Ist grundsätzlich sämtliches
Reineinkommen des betreffenden Steuersubjektes zu besteuern, verbietet sich eine
steuerfreie Übertragung eines unbesteuerten Einkommensteils – i.c. der aus Einkommen gebildeten Ersparnisse – auf ein anderes Steuersubjekt. Eine definitive, vom Ersparnis bildenden Steuersubjekt losgelöste Sparbereinigung der Einkommensteuer ist
daher aufgrund entgegenstehender Verfassungsvorgaben auszuschliessen128.
b)
Befristete Sparbereinigung
aa)
Im Grundsatz Anknüpfung an die bestehende Ordnung
Nach Ausschluss einer definitiven Sparbereinigung eröffnet sich die Frage, ob eine auf
das sparende Steuersubjekt begrenzte Sparbereinigung mit dem materiellen Gehalt der
Kompetenznorm vereinbar ist. Eine auf das sparende Steuersubjekt begrenzte Sparbereinigung ist gegeben, sofern die aus eigentlich steuerbarem Einkommen gebildeten
127
128
Zu diesem „Spielraum der Gestaltung“ auch: Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 128; ders.,
DBG Kommentar, N 8 zu Art. 1.
Vgl. auch Vallender/Jacobs, S. 228 f. Es ist aus dem Kontext zu schliessen, dass die Autoren an
der genannten Stelle eine definitive, d.h. über das sparende Steuersubjekt hinaus wirkende Sparbereinigung und nicht die im Nachfolgenden behandelte befristete Sparbereinigung vor Augen
hatten.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
24
Ersparnisse steueraufschiebend erst besteuert werden, wenn diese durch das betreffende Steuersubjekt für konsumtive Zwecke (inkl. Schenkungen) ausgegeben werden,
oder wenn das Steuersubjekt aus der Steuerpflicht austritt (im Falle von Tod oder
Wegzug). Mittels einer derartigen befristeten Sparbereinigung wird den materiellen
Vorgaben, wonach sämtliches Reineinkommen der Einkommensbesteuerung zu unterstellen ist, grundsätzlich nachgelebt. Es erfolgt „lediglich“ ein Steueraufschub, der
aber nicht über das ursprünglich sparende Steuersubjekt hinaus wirkt. Da bei einer befristeten Sparbereinigung im Grunde nur dieser zeitliche Effekt, das heisst der Steueraufschub, zum Tragen kommt, kann hinsichtlich Umschreibung des Steuerobjektes
grundsätzlich weiterhin an die geltende Regelung angeknüpft werden. Durch die gegebene Anknüpfungsmöglichkeit wird auch der Überlegung Rechnung getragen, dass
dem Verfassungsgeber bei Erlass bzw. bei Bestätigung der einkommensteuerlichen
Kompetenzbestimmungen die inhaltlichen Grundzüge der bis dahin geltenden Einkommensteuerordnung vorschwebten129.
bb)
Implizite steuerliche Ausnahme der marktüblichen
Kapitalverzinsung
Es bleibt allerdings darauf hinzuweisen, dass mit dem zeitlichen Aufschub immerhin
implizit eine Abweichung vom status quo verbunden ist: Der zeitliche Aufschub führt
mit sich, dass die marktübliche Verzinsung auf dem Ersparniskapital, das aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen gebildet wurde, implizit von der Besteuerung
ausgenommen wird130, 131. Kurz formuliert gilt, dass bei einer Sparbereinigung der
Einkommensteuer die Zinserträge, soweit sie angespart werden, nicht jährlich durch
die Einkommensteuer gekürzt werden. Das heisst, das Sparkapital kann ohne Steuerabzug um die vollen Zinserträge weiter anwachsen. Bei einem Barwertvergleich132
zeigt sich, dass das sparende Steuersubjekt durch dieses steuerlich ungehemmte und
somit auch schnellere Anwachsen des Sparkapitals von einer Ausnahme der marktüb-
129
130
131
132
Oben, § 2 B. I. 2.2.1., S. 22.
Dorenkamp, S. 33 ff.; Homburg, S. 137 f.
Diese „beschränkte Zinsausnahme“ wird unten im Zusammenhang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und der Berechnungsgrundlage eingehender behandelt und um Redundanzen zu vermeiden, muss zur tiefergehenden Erläuterung auf weiter unten (§ 5 C. IV. 3.2., S. 127 ff.) verwiesen
werden. Auch für verschiedene andere Begriffe, die hier nur angeschnitten werden, muss auf
Stellen weiter unten verwiesen werden.
Siehe unten, § 5 C. IV. 3.2.1., S. 130.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
25
lichen Kapitalverzinsung von der Besteuerung profitiert. Das Pendant dazu bildet die
Situation des Steuergläubigers, dem durch den Steueraufschub seine Einnahmen erst
später zufliessen und er einen Zinsnachteil erfährt.
Zur Vereinbarkeit mit den materiellen Kompetenzvorgaben kann zusammenfassend
Folgendes festgehalten werden: Der Gesetzgeber lebt auch bei einer Sparbereinigung
der Einkommensteuer weiterhin den Kompetenzvorgaben bezüglich Steuerobjekt und
Steuerberechnungsgrundlage nach und unterstellt grundsätzlich sämtliches Reineinkommen der Besteuerung. Der beschriebene Zinseffekt resultiert erst implizit und steht
materiell im Zusammenhang mit dem zeitlichen Steueraufschub. Darüber hinaus sind
keine Anzeichen erkennbar, wonach der Verfassungsgeber den Einkommensbegriff
auch bezüglich der Frage, wann das zugeflossene Einkommen zu besteuern ist, festlegen wollte133. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet besteht genügend Freiraum für
eine zeitlich verschobene Besteuerung inkl. „beschränkter Zinsausnahme“. Darüber
hinaus ist die im Bereich der 2. Säule und der Säule 3a bereits bestehende Form der
Sparbereinigung zu beachten. Allein mittels der 2. Säule werden durch das versicherungsmässige Vorsorgesparen Sparbeträge steueraufschiebend behandelt, die quantitativ die freie Ersparnisbildung deutlich übersteigen134. Dadurch, dass der Verfassungsgeber anlässlich der BV-Revision daran nichts geändert hat, zeigt sich, dass dem Gesetzgeber ein weiter Freiraum belassen wird bei der steuerlichen Behandlung von gespartem Einkommen. Dieser Freiraum umfasst anscheinend insbesondere auch die
zeitlich verschobene Besteuerung. Anzumerken ist, dass dieser Freiraum bzw. die
steuerliche Förderung des Sparens infolge des Förderungsauftrags von Art. 111 Abs. 4
BV135 verfassungsmässig gefordert wird. Mit anderen Worten wirkt die Förderungsbestimmung von Art. 111 Abs. 4 BV als Reflex mit ein auf die Skizzierung des verfassungsmässigen Einkommensbegriffes. Dabei liegt freilich nicht einmal eine besondere
Förderung, sondern schlicht die Herstellung von Neutralität vor, wenn mit einer Reihe
von Ökonomen davon ausgegangen wird, die Sparbereinigung der Einkommensteuer
gewährleiste die Besteuerungsneutralität zwischen der Konsum- und Sparentscheidung136.
133
134
135
136
Dazu auch sogleich unten, unter „Zeitliche Bemessung“.
Ausführlicher unten, § 5 C. III. 2.2., S. 113 f.
Art. 11 Abs. 4 BV: „Er [der Bund] fördert in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Selbstvorsorge namentlich durch Massnahmen der Steuer- und Eigentumspolitik.“
Vgl. dazu die dargestellten entsprechenden Positionen der Vordenker, § 1, S. 2 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
26
Die dargelegten Erwägungen führen insgesamt dazu, auch die mit der befristeten
Sparbereinigung verbundene implizite Ausnahme der marktüblichen Kapitalverzinsung von der Besteuerung als mit dem materiellen Kompetenzgehalt hinsichtlich Steuerobjekt und – soweit ein entsprechender materieller Kompetenzgehalt gegeben ist –
bezüglich Steuerberechnungsgrundlage als vereinbar zu betrachten.
2.3.
Zeitliche Bemessung
Da bei einer befristeten Sparbereinigung ein Steueraufschub erfolgt, ist in einem nächsten Schritt zu untersuchen, ob aus dem materiellen Gehalt der einkommensteuerlichen
Kompetenznorm von Art. 128 BV Vorgaben zur zeitlichen Bemessung fliessen. Ausdrückliches ist in der Bundesverfassung nicht niedergelegt. Allfällige Vorgaben können sich jedoch ebenfalls aus der Überlegung ergeben, dass der Verfassungsgeber bei
Aufnahme bzw. Bestätigung des Begriffes der Einkommensteuer die inhaltlichen
Grundzüge der bislang erhobenen Einkommensteuer übernehmen wollte. Konkret ist
daher zu prüfen, ob aus dieser stillschweigenden Festschreibung der Grundzüge der
bereits bestehenden Einkommensteuerordnung auch zeitliche Bemessungsvorgaben
fliessen.
2.3.1. Periodizitätsprinzip im Verhältnis zur Sparbereinigung
Bei Anknüpfung an die hergebrachte Einkommensteuerordnung ist offensichtlich, dass
mit Bezug auf zeitliche Vorgaben das sog. Periodizitätsprinzip zur Anwendung
kommt. Diesem zufolge wird das Einkommen jener Bemessungsperiode zugeordnet,
in der es zugegangen ist137. Das Periodizitätsprinzip zieht somit dem Steuerobjekt den
zeitlichen Rahmen, indem es regelt, in welcher Periode das Einkommen der Besteuerung zugeführt werden soll.
Mit Blick auf eine befristete Sparbereinigung wird klar, dass sich eine damit verbundene überperiodische Sparbereinigung der Einkommensteuer am Periodizitätsprinzip
stösst. Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesetzgeber zwingend an das Periodizitätsprinzip gebunden ist, bzw. ob das Periodizitätsprinzip zu den inhaltlichen Grundzügen gehört, die der Verfassungsgeber mittels der Kompetenzbestimmungen dem Gesetzgeber vorgeben wollte.
137
Eingehend zum Periodizitätsprinzip unten, § 5 D., S. 140 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
27
2.3.2. Zur Frage, ob das Periodizitätsprinzip durch den materiellen Gehalt
der Kompetenzbestimmungen vorgegeben ist
Wie in einem späteren Teil der Arbeit noch eingehend Darstellung findet138, wird in
der geltenden Einkommensteuerordnung vom Periodizitätsprinzip als technisch-budgetärer Grundregel ausgegangen. Der Gesetzgeber hat jedoch zahlreiche und weitgehende Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips vorgenommen139. Zu nennen sind
diesbezüglich die Möglichkeiten, die Geschäftsverluste auf mehrere Bemessungsperioden vorzutragen und die Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge unselbständig
Erwerbender über mehrere Bemessungsperioden zu verteilen, falls die steuerliche Berücksichtigung im Anschaffungsjahr zu unsachgemässen Folgen führen würde, sowie
die in bestimmten Kantonen erlaubte Sofortabschreibung140. Sodann ist von erheblicher Bedeutung, dass gemäss DBG die Beiträge für die 2. Säule (berufliche Vorsorge)
und in beschränktem Umfang auch bestimmte Einkommensverwendungen für die 3.
Säule vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden können141. Im Falle der 2.
Säule und der Säule 3a wird die Besteuerung aufgeschoben, bis eine Auszahlung aus
der entsprechenden Säule erfolgt. Allein durch den steuerlichen Abzug der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für die 2. Säule wurden 1998-2001 durchschnittlich
rund Fr. 29.55 Mia. pro Jahr nicht in der ursprünglichen Einkommensperiode der Besteuerung unterstellt142. Hinzu kommen die Nettokapitalerträge der Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule, die ebenfalls steueraufschiebend behandelt143 und erst bei allfälliger Auszahlung von BVG-Leistungen besteuert werden. Die Nettokapitalerträge betrugen 1998-2001 durchschnittlich Fr. 13.85 Mia. pro Jahr144. Damit wurde 1998-2001
im Rahmen der 2. Säule durchschnittlich für rund Fr. 43.4 Mia. pro Jahr die Besteuerung aufgeschoben bis zu einer späteren Auszahlung der gesammelten Kapitalien als
138
139
140
141
142
143
144
Unten, § 5 D., S. 140 ff.
Eingehender dazu unten, § 5 D. II., S. 142 ff.
Zu diesen Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips unten, § 5 D. II. 1., S. 142 f.
Eingehender unten, § 5 D. II. 3. und 4., S. 144 ff.
Internet-Quelle: www.bsv.admin.ch/statistik/details/d/svs/bv_1_1.pdf (11.12.2003); siehe die eingehendere Darstellung unter § 5 C. III. 2.2., S. 113 f.
Vgl. Art. 80 Abs. 2 BVG.
Internet-Quelle: www.bsv.admin.ch/statistik/details/d/svs/bv_1_1.pdf (11.12.2003); siehe die eingehendere Darstellung unter § 5 C. III. 2.2., S. 113 f.
28
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Versicherungsleistung. Eine eingehendere Darstellung dieses gesetzlich verankerten
Steueraufschubs findet sich weiter unten145.
Aus den verschiedenen Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips geht deutlich hervor, dass der Gesetzgeber das Periodizitätsprinzip nicht als zwingende Vorgabe betrachtet. Insbesondere mit Blick auf die Frage der Sparbereinigung ist hervorzuheben,
dass der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung der 2. Säule und die zugehörigen steuerlichen Bestimmungen eine Situation geschaffen hat, in der für die in der Schweiz
gebildeten Ersparnisse146 bereits mehrheitlich eine Form der befristeten Sparbereinigung zur Anwendung kommt.
Der Gestaltungsfreiraum, den der Gesetzgeber für sich in Anspruch nimmt, indem er
das Periodizitätsprinzip nicht als zwingendes Prinzip betrachtet und weitgehende
Durchbrechungen vorsieht, wird durch den Verfassungsgeber stillschweigend akzeptiert. Bei der Festlegung der Einkommensbesteuerung in der neuen BV, die am 1. Januar 2000 in Kraft trat, wurden im Prozess der Verfassungsgebung keinerlei Anstrengungen unternommen, dem Gesetzgeber inhaltliche Vorgaben bezüglich der zeitlichen
Erfassung des Einkommens zu setzen147.
3.
Hinreichende Verfassungsgrundlage für befristete Sparbereinigung
Aus den obigen Darlegungen resultiert, dass eine befristete Sparbereinigung i.S. einer
auf das sparende Steuersubjekt begrenzten Sparbereinigung mit dem materiellen Gehalt der Kompetenzbestimmungen vereinbar ist148.
145
146
147
148
§ 5 C. III. 2., S. 112 ff.; sowie die Würdigung unter dem Aspekt des Periodizitätsprinzips, § 5 D.
II. 3., S. 144 ff.
Frei gebildete Ersparnisse und BVG-Kapitalien umfassend.
Vgl. allgemein zur Bedeutung des „Stillschweigens“ durch den Verfassungsgeber auch Vallender,
DBG Kommentar, N 12 zu Art. 1, wo ausgeführt wird, dass bei Erlass der Bundesverfassung vom
18. April 1999 bzgl. der Einkommensteuerordnung keine Modifizierungen oder Verdeutlichungen
angebracht und auch keine Aufträge erteilt wurden, so dass angenommen werde dürfe, dass der
Verfassungsgeber die Konkretisierung des Einkommensbegriffes durch den Bundesgesetzgeber
als eine verfassungskonforme und sachlich vertretbare Umschreibung bewerte.
Vgl. auch Vallender, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 1, der darauf hinweist, dass Art. 128 BV
eine sparbereinigte Einkommensteuer zuliesse. Für Deutschland geht Dorenkamp ebenfalls von
einer „Finanzverfassungskonformität“ aus; Dorenkamp, S. 73 f.; vgl. auch Vogel, Artikel 106
GG, S. 95, der bezüglich einer direkten Konsumsteuer immerhin erwägen will, „ob solch eine
Steuer noch unter den Begriff der Einkommensteuer fiele, sofern sie von einem nach herkömmlichen Grundsätzen ermittelten Einkommen ausgeht und lediglich den Abzug der Ersparnisse vorsieht.“ Kritisch hingegen (mit Bezug auf die deutsche Rechtsordnung und primär eine direkte
Ausgabensteuer fokussierend) Birk, Grenzen, S. 359 f.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
29
Mit diesem Ergebnis kann nun eine noch ausstehende Frage bezüglich der formellen
Verfassungsvorgaben beantwortet werden: Oben149 wurde die Frage nach einem hinreichenden Verfassungsvorbehalt für die Sparbereinigung der Einkommensteuer offen
gelassen, da dafür eine vorgängige Abklärung des materiellen Gehalts der Kompetenzbestimmungen erforderlich war. Durch die entsprechende Abklärung ergibt sich,
dass eine dem Verfassungsvorbehalt entsprechende hinreichende Verfasssungsgrundalge für eine auf das sparende Steuersubjekt begrenzte, also für eine befristete Sparbereinigung gegeben ist, nicht jedoch für eine über das sparende Steuersubjekt hinaus
wirkende, definitive Sparbereinigung.
Sollten allerdings im politischen Prozess ernsthafte Zweifel an einer hinreichenden
Verfassungsgrundlage aufkommen, wäre es freilich wünschbar, eine einschlägige Ergänzung des Verfassungswortlautes vorzunehmen. Dazu wäre im Rahmen einer Verfassungsabstimmung vorzuschlagen, die Zulässigkeit einer befristeten Sparbereinigung
ausdrücklich in der BV zu verankern. Durch eine solche Abstimmung könnte unter
maximaler Berücksichtigung der demokratischen sowie föderalistischen Elemente des
Schweizer Bundesstaates auf höchster Normstufe eine klare Legitimation für eine befristete Sparbereinigung geschaffen werden.
II.
Inhaltliche Besteuerungsgrundsätze
1.
Überblick und Fragestellung
Die in Art. 127 Abs. 2 BV150 niedergelegten Grundsätze der Allgemeinheit der Besteuerung, der Gleichmässigkeit der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirt149
150
§ 2 A. I. 2.2., S. 18.
Jedoch mit einer einschränkenden Einleitung (Hervorhebung durch Kursivschrift nur hier): „Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und
der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten.“ Damit kommt im Wesentlichen die althergebrachte Ansicht
zum Ausdruck, wonach die direkten Steuern eine Besteuerung nach der persönlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (dazu unten, § 3, S. 73) am besten gewährleisten, während bei indirekten
Steuern die subjektiven Verhältnisse aufgrund der Konzeption als Objektsteuern nicht oder nur
teilweise berücksichtigt werden. Ob und inwieweit den verfassungsmässigen inhaltlichen Besteuerungsgrundsätzen – und eben insbesondere dem Leistungsfähigkeitsprinzip – auch Geltung
bei den indirekten Steuern zukommt, ist umstritten. Da vorliegend nur die Einkommensteuern interessieren, kann auf diesen Themenkomplex nicht weiter eingegangen werden. Eine Übersicht
über die (konträren) Lehrmeinungen findet sich bei Senn, S. 134 f. Siehe neuerdings auch BGE
128 I 155 (160): „Dabei ist zu beachten, dass die erwähnten Grundsätze auf die direkten Steuern
zugeschnitten sind. Dieser Überlegung hat das Parlament durch Beifügung des Passus ‚soweit es
30
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
schaftlichen Leistungsfähigkeit bilden die klassische Trias der inhaltlichen Besteuerungsgrundsätze. Sie haben sich als steuerspezifische Konkretisierungen des Gleichheitssatzes entwickelt151 und verleihen über den ausdrücklichen Prinzipiengehalt hinaus justiziable Individualansprüche152. Wenn auch in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der genannten Steuergrundsätze nicht von Grundrechten die
Rede ist153, stellen sie in ihrem Rechtscharakter verfestigte Grundrechtspositionen
dar154, was auch ihrer Ableitung aus dem Grundrecht der Gleichbehandlung entspricht.
Darüber hinaus wurde in der jüngeren Rechtsprechung hinsichtlich der Kostenanlastungssteuer eine zusätzliche steuerspezifische Konkretisierung des Gleichheitssatzes
herausgearbeitet und eine entsprechende Grundsatzregelung im Sinne einer Forderung
nach „Gruppenäquivalenz“ formuliert155. In der Lehre wird daher in Aufgreifung dieser Rechtsprechungsentwicklung zum Teil vorgebracht, die klassische Trias sei mit
Bezug auf die Kostenanlastungssteuern um das Prinzip der Gruppenäquivalenz zu erweitern156. Da die Kostenanlastungssteuern für die vorliegende Problemstellung nicht
151
152
153
154
155
156
die Art der Steuer zulässt’ Rechnung getragen (…).“ Siehe ebenfalls das begründete Eintreten für
eine allgemeine Leitfunktion des Leistungsfähigkeitsprinzips bei Vallender/Wiederkehr, BV
Kommentar, N 17 und N 38 ff. zu Art. 127.
Z.B. BGE 128 I 155 (160); 126 I 76 (78); BGE 122 I 101 (103); BGE 116 Ia 321 (323); je mit
Hinweisen auf weitere Judikatur; vgl. darüber hinaus Klett, Gleichheitssatz, S. 58 ff.; Yersin, S.
164 ff.; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S.
171; Rivier, S. 83; Saladin, Fairness, S. 64 ff.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 134; vgl. auch Senn,
S. 112 ff.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; Senn, S. 114, m.Vw. auf Hangartner, Erbschafts- und
Schenkungssteuern, S. 72 f. FN 15, der davor warnt, die genannten Steuererhebungsprinzipien als
selbständige Grundrechte neben dem Gleichheitssatz zu qualifizieren. Seiner Meinung nach
würde dies erhebliche dogmatische Probleme verursachen und könnte der Verfolgung ausserfiskalischer Zielsetzungen entgegenstehen.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 172;
Senn, S. 114 m.w.Nw.
BGE 128 I 155 (160); BGE 124 I 289 (291 ff.); BGE 122 I 305 (313 ff.). Danach setzen Kostenanlastungssteuern voraus, “dass sachlich haltbare Gründe bestehen, die betreffenden staatlichen
Aufwendungen der erfassten Personengruppe anzulasten. Zudem muss die allfällige Abgrenzung
nach haltbaren Kriterien erfolgen (…)”, in: BGE 128 I 155 (160); vgl. auch BGE 124 289 (292);
BGE 122 I 305 (314): „Il ne saurait cependant mettre à la charge d'un groupe restreint de citoyens
des dépenses concernant l'ensemble de la population si ce groupe n’en retire pas un avantage économique particulier ou s’il n’existe pas de motifs objectifs et raisonnables de les mettre à leur
charge.“
Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689 f.; Vallender/Jacobs, S. 34 und S. 111; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 28 ff. zu Art. 127; vgl. auch Locher, Verfassungsrecht, § 77
FN 6, der auf Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689 f., verweist.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
31
relevant sind, wird im Folgenden auch nicht weiter auf den Grundsatz der Gruppenäquivalenz Bezug genommen.
Für die konkrete Frage nach den verfassungsmässigen Vorgaben bei Umgestaltungen
des Steuergesetzes in Richtung sparbereinigte Einkommensteuer steht die programmatische Funktion der genannten Besteuerungsgrundsätze im Vordergrund. Die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung und das Leistungsfähigkeitsprinzip bringen als steuerbezogene Konkretisierungen des Gleichheitssatzes
Grundvorstellungen gerechter Steuerlastverteilung zum Ausdruck und bilden in diesem Sinne dem Steuergesetzgeber in verbindlicher Weise Richtungsweiser und Massstab bei der Ausgestaltung einer gerechten Steuerordnung157, 158.
157
158
Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Vallender/Jacobs, S. 11 und S. 26 f.; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 98 f.; ders., Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 16 f.; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 171 f.; Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 134; Senn, S. 110 m.w.Nw.
In Übertragung der im deutschen Recht als herrschend anerkannten Wertungsjurisprudenz
(BVerfGE, 1 BvR 709/97 v. 22.7.1999, N 21; BVerfGE, 2 BvR 2232/94 v. 28.9.1998, N 17;
BVerfGE 98, 169 [200]; BVerfGE 96, 375 [399 f.]; BVerfGE 93, 85 [95]; zur Rechtsprechung
auch Schefer, S. 43 f., mit weiteren Angaben und Erläuterungen. In der Lehre sind bedeutende
Befürworter: Larenz, S. 119 ff., Canaris, S. 40 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 123 ff.) auf das
Steuerrecht haben Tipke/Lang materiale Grundwertungen des Steuerrechts identifiziert und sie in
Steuerprinzipien gekleidet, die das „innere System“ (dazu Canaris, S. 40 ff.; Larenz/Canaris, S.
302 ff. (es erscheint demnächst neue, 4. Aufl., wird eingearbeitet sobald verfügbar); Larenz, S.
474 ff.) des Steuerrechts tragen (Tipke/Lang, § 4 N 9 ff.; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 67 ff.).
Dabei sind die Prinzipien „richtunggebende Masstäbe, die durch den rechtsethischen Konsens
rechtliche Entscheidungen zu rechtfertigen vermögen“ (Tipke/Lang, § 4 N 11 m.Vw. auf Larenz,
S. 474; siehe auch Larenz/Canaris, S. 302) und in der Rechtsordnung in gegenseitiger Abwägung
(Optimierungsgebot) zu konkretisieren sind (Tipke/Lang, § 4 N 12). Gesetzgebung wie Rechtsprechung müssen die Prinzipien berücksichtigen, sie aufeinander abstimmen und in der Rechtsordnung folgerichtig vollziehen (Canaris, S. 16; Tipke/Lang, § 4 N 9 ff. und N 70). In der
Schweiz konnte sich die Wertungsjurisprudenz hingegen nie durchsetzen (Breiter, S. 37 ff.; Schefer, S. 42 ff.; vgl. auch Saladin, Wandel, S. 457 f. inkl. FN 111; Forstmoser, § 1 N 109; implizite
Gegenposition auch bei Burckhardt, S. 121 ff. und S. 168; davon abweichend finden sich Elemente einer objektiven Wertlehre bei Huber, Gewerbefreiheit und Eigentumsgarantie, S. 541 f.).
Insbesondere gegen die Gewinnung von objektiven Wertgehalten aus den Grundrechten, wie dies
in Deutschland erfolgt (siehe Judikaturverweise oben; Tipke/Lang, § 4 N 70 ff.; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 111), wird vorgebracht, dass die Grundrechte zwar spezifische Wertüberzeugungen zum Ausdruck bringen, dass aber nach Schweizer Konzeption der Schutzgrund nicht
darin, sondern im Individualschutz der Grundrechtsträger liegt: „...wo mit dem Schutz des Einzelnen die Garantie eines Werts verbunden ist, beschränkt sich diese auf die konkreten Schutzbedürfnisse und darf nicht objektiviert werden.“ (Schefer, S. 43) In diesem Sinne setzen gerade die
Grundrechte einer demokratisch formulierten objektiven Wertordnung Schranken, indem sie den
Einzelnen davor schützen, in existentiellen Kernbereichen den Wertvorstellungen einer Mehrheit
unterworfen zu werden (Schefer, S. 42). Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass im Schweizer
Steuerrecht kein objektives „inneres (Werte-) System“ aus der Steuerordnung extrahiert und ver-
32
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Jedoch kann dies nicht so verstanden werden, als wäre dem Gesetzgeber ein eindeutig
instruktives Prinzipienkorsett vorgegeben, aus dem er nur noch mechanisch die
Rechtssätze abzuleiten habe159. Vielmehr hat der Gesetzgeber beträchtliche Gestaltungsfreiräume160 und kann die einzelnen Grundsätze in unterschiedlichem Mass verwirklichen, wobei auch die Gehalte anderer Grundrechte, weitere verfassungsmässige
Rechtsprinzipien sowie die Staatszielbestimmungen zu berücksichtigen sind. Das
heisst, der Steuergesetzgeber muss darauf bedacht sein, den Verwirklichungsgrad der
Steuergrundsätze untereinander und in Zusammenspiel mit weiteren verbindlich-programmatischen Verfassungsvorgaben zu optimieren (sog. Optimierungsgebot)161.
Hinzu kommt, dass die Steuergrundsätze nicht statisch zu verstehen sind, sondern dem
unvermeidbar eintretenden Wandel hinsichtlich ethischen und gesellschaftlichen
Wertvorstellungen offen sind162. Der Gesetzgeber kann daher bestehende Regelungen
abändern und die Steuergrundsätze in neuer Weise umsetzen. Die Steuergrundsätze
können zudem durch den Verfassungsgeber auch in ihrer Grundanlage umgeworfen
159
160
161
162
bindlich formuliert werden kann. Wohl haben sich aus Grundrechten bindende Steuerprinzipien
konkretisiert (siehe § 2 B. II. 2. und 3., S. 33 ff. und S. 37 ff.) und geben die Grundrechte dem
Gesetzgeber darüber hinaus – ebenfalls mit bindender Wirkung – punktuelle Anleitung (siehe § 2
B. III., S. 71 f). Dies aber nicht zur Verwirklichung objektiver, vom Grundrechtsträger gelösten
Wertvorstellungen, sondern durchwegs mit der Abzielung auf Schutzpositionen der Einzelnen.
Auch die Staatszielbestimmungen (vgl. zu den Staatszielbestimmungen § 2 B II. 4.3.2., S. 46 ff.)
bringen Wertentscheidungen zum Ausdruck, jedoch sind diese ebenfalls punktueller Natur, bilden
kein hierarchisches System, stellen keine objektiven Rechte dar und bedürfen der Konkretisierung
durch den Gesetzgeber (siehe auch Breiter, S. 44).
Dazu auch Senn, S. 109 f.: „Die Steuererhebungsprinzipien dienen somit als ‚starting points‘ guter Gesetzgebung; hingegen ist es nicht möglich, aus ihnen durch formallogische Deduktion die
gesamte Steuerordnung abzuleiten. Die regelbildende Konkretisierung, die Umsetzung der Steuererhebungsprinzipien ist nach dem Legalitätsprinzip grundsätzlich Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, welchem bei seiner Aufgabe ein Beurteilungsspielraum zukommt.“;
vgl. auch Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 110 und ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 17.
BGE 126 I 76 (78 f.): BGE 122 I 101 (105); BGE 114 Ia 221 (224); BGE 96 I 560 (567); Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Reich, Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 175; Reich,
Steuererhebungsprinzipien, S. 111; Senn, S. 109; siehe ebenfalls Häfelin, S. 118 ff.
Vgl. zum Begriff des Optimierungsgebotes: Alexy, Grundrechte, S. 75 f.; siehe auch Vallender/Jacobs, S. 11 f. Es wird in diesem Zusammenhang auch von der Schaffung von „praktischer
Konkordanz“ zwischen den verschiedenen Prinzipien gesprochen: Vallender/Jacobs, S. 12; Alexy,
Grundrechte, S. 152; Hesse, Grundzüge, N 72; Habermas, S. 255, jedoch kritisch gegenüber dem
Begriff des „Optimierungsgebotes“ hinsichtlich Prinzipien, da dadurch ihr deontologischer Geltungssinn ausgehöhlt würde.
Siehe in diesem Zusammenhang auch: Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 121 f.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
33
und neu gewonnen werden163, sofern dies in einem demokratischen Verfahren164 und
in rechtsstaatlich genüglicher Weise165 erfolgt.
In Würdigung des oben Ausgeführten wird nachfolgend beleuchtet, inwieweit sich
unter Gewährung des erwähnten Gestaltungsfreiraumes eine Steuermodifikation in
Richtung sparbereinigte Einkommensteuer mit den einzelnen inhaltlichen Besteuerungsgrundsätzen der Schweizer Rechtsordnung verträgt166.
2.
Allgemeinheit der Besteuerung
2.1.
Inhalt
Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts gebietet der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung 167:
“...die steuerliche Erfassung aller Personen und Personengruppen nach derselben gesetzlichen
Ordnung. Er verbietet eine unbegründete Ausnahme einzelner Personen oder Personengruppen von der Besteuerung, da der Finanzaufwand des Gemeinwesens für die allgemeinen öffentlichen Aufgaben grundsätzlich von der Gesamtheit der Bürger getragen werden soll
(...).”168
163
164
165
166
167
168
Da, wie bereits erwähnt, vorliegend unter Steuergrundsätzen elementare und tragende Grundsätze
der Steuerrechtsordnung verstanden werden, wird für ihre Abschaffung bzw. Neuformulierung die
höchste Konsensebene, d.h. die Verfassung vorbehalten; vgl. zur Frage der Konsensebene: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 34 f.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 122.
Zu denken ist dabei v.a. daran, dass Grundrechte auch als institutionelle Garantien wirken und dadurch im Dienste der Rechtsstaatlichkeit eine den Mehrheitsentscheid begrenzende Funktion einnehmen; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 56; J.P. Müller, aBV Kommentar, N 28 ff. Einleitung;
Joos, S. 489; Hüglin, S. 296.
In diesem Sinne der Forderung von Reich hinsichtlich Steuerreformvorschlägen nachkommend
(Reich, neues Steuerrecht, S. 1387): „(...) gilt es doch, wie dargelegt, die ökonomischen Vorschläge mit dem Bezugsrahmen der geltenden Rechtsordnung in Übereinstimmung zu bringen.
Hier haben die Juristen zu prüfen, inwieweit sich die neuen Ideen mit den verfassungsrechtlichen
Vorstellungen eines gerechten Steuersystems vertragen. Reformvorschläge, die sich nicht mit den
Grundprinzipien vereinbaren lassen, sind durch kompatible Lösungsansätze zu ersetzen.“
Vgl. auch BGE 128 I 155; BGE 126 I 76; BGE 116 Ia 321; BGE 114 Ia 221; BGE 99 Ia 638; jeweilen mit weiteren Judikatur- und Literaturhinweisen. In der Lehre u.a. grundlegend: Reich,
Steuererhebungsprinzipien, S. 99 ff.; Reich, Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 171 ff.;
Hangartner, Allgemeinheit, S. 91 ff.
BGE 114 Ia 221 (224).
34
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Historisch stammt die Forderung nach der Allgemeinheit der Besteuerung aus dem
Kampf gegen die feudalistische Steuerfreiheit von Adel und Klerus169 und verlangt
eine allgemeine Steuerpflicht ohne Berücksichtigung von persönlichen Merkmalen wie
Stand, Religion, Abstammung oder Rasse170. Aus dem Grundsatz der Allgemeinheit
der Besteuerung fliesst, „dass alle Einwohner (...) einen – wenn auch unter Umständen
bloss symbolischen – Beitrag an die staatlichen Lasten zu leisten haben“171, so wie
auch jeder von den Leistungen des Staates profitiert172, womit unter anderem auch die
Idee der Solidarität der Steuerpflichtigen ausgedrückt wird173.
Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung betrifft die subjektive Seite des
Steuerrechtsverhältnisses und die Frage lautet, „wer muss einer bestimmten Steuerart
unterworfen werden“174, wobei sich der Kreis der Steuerpflichtigen vor allem nach
Ziel, Zweck und Natur der Steuer zu richten hat175. So dienen zum Beispiel die direkten Steuern auf Einkommen/Gewinn bzw. Vermögen/Kapital176 überwiegend der allgemeinen Staatsfinanzierung ohne Berücksichtigung der individuellen Inanspruchnahme der staatlichen Leistungen und der individuellen Kostenverursachung zulasten
des Gemeinwesens177. Diese Zwecksetzung der direkten Hauptsteuern „bedingt eine
Konzeption der Steuerpflicht auf breitester Grundlage“178, was bedeutet, dass die Besteuerung mit diesen Steuern die Regel und die Nichtbesteuerung die Ausnahme sein
muss179. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung beeinflusst aber auch die
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; Mann, S. 67 ff., S. 97 ff. und S. 119 f.; vgl. auch Klett,
Gleichheitssatz, S. 60.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 99; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 172.
BGE 122 I 101 (104); vgl. auch Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; Vallender/Jacobs, S. 27.
Senn, S. 145, mit Hinweisen auf entsprechende kantonale Verfassungsnormen (Art. 122 KV JU;
§ 119 Abs. 1 KV AG; Art. 60 Abs. 1 KV UR; § 133 Abs. 1 lit. a KV BL) und weitere Literaturstellen.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; siehe auch ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit,
S. 172; Blumenstein/Locher, S. 161; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 10 zu Art. 127.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; Senn, S. 142.
Wobei die Vermögens- bzw. Kapitalsteuer nur noch auf kantonaler Ebene greift: Art. 2 Abs. 1 lit.
a und b StHG.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100.
BGE 114 Ia 221 (224); BGE 99 Ia 639 (652); Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127; Hangartner,
Allgemeinheit, S. 92; Senn, S. 142 f.; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 10 zu Art. 127.
Das verbietet gemäss Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127, aber nicht, „dass Steuern, die auf anderen Objekten erhoben werden (z.B. Stempelabgaben und andere Verkehrssteuern), nur von einer kleinen Anzahl von Steuerpflichtigen erhoben werden.“ Zudem schliesst die Allgemeinheit
der Besteuerung „als konzeptionelles Prinzip (...) nicht aus, dass auch bei den Hauptsteuern Aus-
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
35
Auswahl des Steuerobjekts, da die Erklärung eines bestimmten Lebenssachverhalts
zum Steuerobjekt den durch die Steuer belasteten Kreis der Steuerpflichtigen von vorneherein in unzulässiger Weise einschränken könnte180.
Namentlich fliessen aus dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung ein Privilegierungsverbot, das untersagt, einzelne Personen oder Personenkreise ohne sachliche
Gründe von der Steuerpflicht auszunehmen, sowie ein Diskriminierungsverbot, das
verbietet, einer kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit grössere Lasten aufzuerlegen als der Masse der übrigen Steuerpflichtigen181.
In dieser Ausprägung enthält der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung auch
einen verfassungsmässigen Minderheitenschutz182. Diesbezüglich spricht das Bundesgericht auch von dem sonst im öffentlichen Recht verwendeten Prinzip der Lastengleichheit, wonach von keinem Bürger verlangt werden kann, dass es für die Gemeinschaft eine unverhältnismässig schwere Last trägt, ein Sonderopfer erbringt183.
Demgemäss soll in steuerlicher Hinsicht „der Finanzaufwand für die allgemeinen öffentlichen Aufgaben bzw. die Kosten des Aufwands für das Gemeinwohl grundsätzlich von der Gesamtheit der Bürger getragen werden“184.
2.2.
Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer
Wird die Ersparnis steuerlich freigestellt, ist denkbar, dass jemand, der sein Einkommen hauptsächlich spart und nur das Existenznotwendige konsumiert, steuerfrei belassen185 oder nur geringfügig mit Steuern belastet wird, auch wenn ein sehr hohes Ein-
180
181
182
183
184
185
nahmen von der Besteuerung gemacht werden können, wenn diese eine Minderzahl der Steuerpflichtigen betreffen und sachlich begründet sind. Ebensowenig ist es verboten, bei Vorliegen
unterschiedlicher Verhältnisse unterschiedlich zu besteuern.“ (ebenda, S. 127).
Vgl. auch BGE 90 I 159 (162); Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100; ders., Allgemeinheit
und Leistungsfähigkeit, S. 172 f.; Klett, Gleichheitssatz, S. 68 ff.; Vallender/Jacobs, S. 28; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 10 zu Art. 127.
BGE 114 Ia 321 (323); BGE 114 Ia 221 (224); BGE 112 Ia 240 (244); BGE 99 Ia 639 (653);
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100 ff.; Hangartner, Allgemeinheit, S. 93; Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Vallender/Jacobs, S. 27. Hingegen will Höhn, Verfassungsgrundsätze,
S. 128, das Privilegierungsverbot unter den Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung subsumieren.
BGE 99 Ia 638 (653); Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 100 ff.; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173; Vallender/Jacobs, S. 28.
BGE 99 Ia 638 (652); Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 102; Senn, S. 144 f.
BGE 99 Ia 638 (652); Vallender/Jacobs, S. 27 f.; Senn, S. 144.
Unter der Voraussetzung, dass ein steuerfreies Existenzminimum gewährt wird. Vgl. zur steuerlichen Behandlung des Existenzminimums in der Schweiz unten, § 5 F., S. 163 ff.
36
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
kommen gegeben ist186. Bei statischer Betrachtung scheint eine Verletzung der Allgemeinheit der Besteuerung gegeben zu sein, da Steuerpflichtige, die sich in ihrer Lebensführung beschränken, der Steuerzahlpflicht gänzlich bzw. weitestgehend entgehen
könnten, obwohl genügend steuerliches Zugriffssubstrat vorhanden wäre. Die Verteilung der Staatslasten auf die Allgemeinheit der Bevölkerung könnte auf diese Weise
untergraben werden. Diese Bedenken werden dadurch verstärkt, dass in der Schweiz
auf Bundesebene keine Erbschaftssteuern existieren187, womit das zugeflossene Einkommen (mittlerweilen als Vermögen gespeichert) auch nicht bei dessen Abfluss in
Erbschaftsform zur Tragung der Staatslasten herangezogen wird.
Dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung kann hingegen auch bei einer Umstellung zur sparbereinigten Einkommensteuer Rechnung getragen werden, indem die
Steuerordnung dynamisch begriffen und gefragt wird, wie sie auszugestalten wäre,
damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung nachgelebt werden kann.
Zwei Varianten scheinen besonders prüfenswert: Der ersten Variante liegt die Überlegung zugrunde, dass das Vermögenssubstrat beim Erben weiter erhalten bleibt (sog.
„dynastive“ Betrachtung) und der steuerliche Zugriff in jenem Zeitpunkt erfolgen
kann, wenn auf dieser Stufe188 die Ersparnisauflösung bzw. der Konsum erfolgt. Die
zweite Variante sieht eine Besteuerung der angesparten Einkommensteile bei Austritt
aus der Steuerpflicht vor. Dies hätte gegenüber der ersten Variante unter anderem die
Vorteile, dass die Steuerpflicht gewiss ist, für den Staat die Einnahmen besser berechenbar sind und darüber hinaus einer demokratisch fragwürdigen Konzentration von
Kapital und Macht entgegengewirkt werden könnte189. Zudem erhellt im Zusammen-
186
187
188
189
Vgl. dazu auch Hall/Rabushka, S. 123 ff.
Wie bereits einleitend angeführt, wird im Rahmen dieser Arbeit reduzierend nur die Bundesebene
betrachtet. Es ist aber im Zusammenhang mit den Erbschafts- und Schenkungssteuern darauf hinzuweisen, dass diese in einem Kanton (SZ) nicht existieren und in der Mehrheit der anderen
Kantone Erbschaften und Schenkungen an Ehegatten und direkte Nachkommen von der Erbschafts- und Schenkungssteuer befreit sind. Siehe auch Höhn/Waldburger, § 27 N 12 und N 19.
Bzw. auf nachfolgenden Stufen bei weiteren Erben.
Erwähnenswert ist auch, dass „Superreiche“ in den U.S.A. mit überwältigender Mehrheit für die
Erbschaftssteuern eintreten, da sie der Ansicht sind, diese würden einen gerechten Ausgleich
schaffen und dass in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft die aristokratische Akkumulation von grossem Kapital und damit verbundener Macht abzulehnen sei; vgl. dazu NZZ vom
17. Februar 2001, Amerikas Millionäre für die Erbschaftssteuer, S. 21; in diesem Artikel wird
über eine Kampagne einer Gruppe der reichsten Amerikaner gegen Pläne zur Abschaffung der
Erbschaftssteuer berichtet. Eine Abschaffung wird von ihnen als „gewissenlos“ aufgefasst.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
37
hang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip190, dass die Einkommensbesteuerung individuumsbezogen verstanden wird, was die zweite Variante aufdrängt.
Ergänzend ist anzufügen, dass auch im geltenden Steuerrecht die Einkommensbesteuerung (bzw. die fehlende Einkommensbesteuerung) zum Teil in Konflikt gerät mit dem
Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung. Namentlich ist darauf hinzuweisen,
dass private Kapitalgewinne, die mitunter beträchtliche Ausmasse annehmen können,
nicht besteuert werden191.
3.
Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Das Bundesgericht äussert sich zur Gleichmässigkeit der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit192 wie folgt193:
„Nach dem Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung sind Personen, die sich in gleichen Verhältnissen befinden, in derselben Weise mit Steuern zu belasten und müssen wesentliche Ungleichheiten in den tatsächlichen Verhältnissen zu entsprechend unterschiedlicher Steuerbelastung führen (...).
190
191
192
193
Zum Leistungsfähigkeitsprinzip unten § 2 B. II. 3., S. 37 f. und v.a. § 3, 4 und 5, S. 73 ff.
Vgl. auch Vallender, Interview in: Cash vom 16.1.1998, S. 47 („Ich würde sofort eine Energiesteuer einführen“). Erfasst werden nur auf kantonaler und kommunaler Ebene Kapitalgewinne
auf Grundstücken; Höhn/Waldburger, § 22 N 1 ff. Vgl. BGE 114 Ia 221, in welchen sich das
Bundesgericht mit der Frage der Steuerfreiheit von privaten Kapitalgewinnen beschäftigt (S. 228):
„Hauptsächlich rügt der Beschwerdeführer, es verletze die aus dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 4
BV) hergeleiteten Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung, von einer
Steuer auf Kapitalgewinnen auf beweglichem Privatvermögen völlig abzusehen. Für diese Diskriminierung (Privilegierung der Pflichtigen, die solche Gewinne erzielen) könnten keine stichhaltigen Rechtfertigungsgründe angeführt werden. (...) Jeder Systemeinbruch ist wegen der konsequenten Besteuerung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit nicht leicht zu nehmen, so auch ein
solcher bei Kapitalgewinnen auf beweglichem Privatvermögen - die unter Umständen ein erhebliches Mass erreichen können (...).“ Das Bundesgericht akzeptierte jedoch die Freistellung der privaten Kapitalgewinne aus Gründen der Praktikabilität und der Veranlagungsökonomie (hoher
Veranlagungsaufwand, mangelnde Durchsetzbarkeit, geringer Ertrag). Vgl. dazu auch weiter unten, § 5 C. II. 1., S. 106 und § 5 C. IV. 1., S. 123.
Siehe zu diesen Grundsätzen auch: Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 102 ff.; Vallender, Bundesfinanzordnung, S. 689; Vallender/Jacobs, S. 28 ff.; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 5 ff.
(zum Leistungsfähigkeitsprinzip); Oberson, Capacité Contributive, S. 125 ff. (zum Leistungsfähigkeitsprinzip); Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 13 ff. zu Art. 127.
BGE 114 Ia 221 (224 f.); vgl. auch BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (103); jeweilen mit zahlreichen weiteren Judikaturnachweisen.
38
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Mit diesem Grundsatz hängt derjenige der verhältnismässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zusammen, der verlangt, dass jeder Bürger im Verhältnis der
ihm zur Verfügung stehenden Mittel und der seine Leistungsfähigkeit beeinflussenden persönlichen Verhältnissen zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfs beitragen soll. Im System
der allgemeinen Reineinkommens- und Reinertragsbesteuerung hat der Gesetzgeber alle Personen, die tatsächlich Einkommen und Gewinn erzielen, nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Steuer heranzuziehen.“
Es fällt auf, dass das Bundesgericht die Grundsätze der Allgemeinheit der Besteuerung
sowie der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit inhaltlich präzis
und umfassend umschreibt, jedoch hinsichtlich der Gleichmässigkeit der Besteuerung
keine eigenständigen, über das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot hinausreichenden
Darlegungen zu finden sind194. Vielmehr rückt das Bundesgericht die Gleichmässigkeit der Besteuerung regelmässig in die Nähe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit195 und nimmt letztere als anleitenden Massstab, um der Gleichmässigkeit der Besteuerung inhaltlich Konturen zu verleihen196. Demnach „müssen die Steuerpflichtigen
nach Massgabe der ihnen zustehenden Mittel gleichmässig belastet werden“197. Mit
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt ein bedeutender Teil der Lehre
dec??kungsgleich, der die Ansicht vertritt, angesichts des Leistungsfähigkeitsprinzips
als zentraler Lastenverteilungsregel sei der Grundsatz der Gleichmässigkeit der
Besteuerung inhaltslos und stelle keinen eigenständigen Grundsatz neben dem
194
195
196
197
Dies findet sich im eben zitierten Passus (BGE 114 Ia 221 [224 f.]) veranschaulicht. Vgl. auch
Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127.
Gestützt auf einen Bundesgerichtsentscheid aus den 70er Jahren (BGE 99 Ia 638 [653]) wird vereinzelt erwähnt, das Bundesgericht setze die Gleichmässigkeit der Besteuerung dem Grundsatz
der Allgemeinheit der Besteuerung gleich: Richli, Umsatzsteuer und Stempelabgaben, S. 402 f.;
Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 127 f. Jedoch ist im besagten Entscheid nicht die Rede vom
spezifischen Begriff der „Gleichmässigkeit der Besteuerung“, sondern es finden sich Ausführungen über die „Gleichheit der Besteuerung“ und in Zusammenhang mit der ausdrücklichen Anlehnung an BGE 90 I 159 (162) wird deutlich, dass das Bundesgericht von der steuerlichen Relation
des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots sprach, dessen enge Verbindung zur Allgemeinheit der
Besteuerung bereits oben dargelegt wurde. Ausserdem wird in 99 Ia 638 (653) in direktem Bezug
zur Allgemeinheit und Gleichheit der Besteuerung ausgeführt: „Das bedeutet, dass zu einer (...)
Hauptsteuer (...) grundsätzlich alle Personen nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit heranzuziehen sind.“ Dies unterstreicht, dass auch in diesem Entscheid davon ausgegangen wird, die Gleichheit bemesse sich anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (103); BGE 114 Ia 221 (225); BGE 110 Ia 7 (14 f.); BGE
99 Ia 638 (652 f.).
BGE 122 I 101 (103).
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
39
allgemeinen Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 BV) dar198. Es ist daher auch verständlich
und nur konsequent, wenn in der Lehre zum Teil die Meinung geäussert wird, der
Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung könne ersatzlos gestrichen werden199.
Andererseits sind in der Doktrin auch Stimmen zu finden, die einen
„Wiederbelebungsversuch“ der Gleichmässigkeit der Besteuerung anstrengen, ihm
eigenen Gehalt zuschreiben und ihn gegen die Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit abgrenzen wollen. Namentlich wird geltend gemacht, der
Grundsatz der Gleichmässigkeit der Besteuerung betreffe die Steuerlastverteilung in
einem anderen Bereich als der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit: Während sich ersterer auf den horizontalen Vergleich der
Steuerbelastung beziehe und somit verlange, dass Steuerpflichtige, die sich in gleichen
oder gleichartigen steuerlich relevanten Verhältnissen befinden, in Bezug auf eine
einzelne Steuer gleich behandelt werden, sei letzterer auf den vertikalen Vergleich der
steuerlichen Belastung anzuwenden und diene als Massstab bei der Beurteilung
ungleicher wirtschaftlicher Verhältnisse200. M. HUBER201 stützt diese Einteilung mit
dem Argument, diese Unterscheidung fände sich bei NEUMARK202 und das
Bundesgericht berufe sich in einem Urteil203 ausdrücklich auf die
finanzwissenschaftlichen Erwägungen von NEUMARK. Darüber hinaus wird von
BLUMENSTEIN/LOCHER204 vorgebracht, die historische Entwicklung spreche für die
Trennung dieser Grundsätze, da ursprünglich beide Aspekte dem Gleichmässigkeitsgrundsatz zugehörig gewesen seien und erst im Laufe der Zeit der Leistungsfähigkeitsgrundsatz die vertikale Dimension im Sinne einer progressiven Besteuerung für
sich in Anspruch genommen habe.
Jedoch scheint der Ansatz von M. HUBER fragwürdig, zum einen, weil das Bundesgericht in dem besagten (älteren) Urteil NEUMARK nur einmal und in genereller Weise
zur Frage der Allgemeinheit der Besteuerung, nicht aber zur Gleichmässigkeit oder
Leistungsfähigkeit zitiert und zudem die betreffenden Aussagen deutlich als fi-
198
199
200
201
202
203
204
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 103 f.; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173;
Höhn, Verfassungsgrundsätze, S. 129; Vallender/Jacobs, S. 29; Yersin, S. 165 f.; Morandi, S. 141
f.; Senn, S. 146 f.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173.
M. Huber, S. 113 ff.; Blumenstein/Locher, S. 161 f. inkl. FN 10; Völlmin, S. 170.
M. Huber, S. 113 f.
Neumark, Grundsätze, S. 90 ff.
BGE 99 Ia 638 (652).
Blumenstein/Locher, S. 161 f. FN 10.
40
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
nanzwissenschaftliche Aussagen deklariert werden und sie dadurch eine Abgrenzung
zu Aussagen über normativ verbindliche Gehalte erfahren205. Zum anderen weist
NEUMARK lediglich darauf hin, dass die Begriffe der „horizontal“ und „vertical
equity“ im angelsächsischen Schrifttum verwendet würden, hält sie aber selber für
„nicht sehr zweckmässig“206.
Auch die historische Argumentation von BLUMENSTEIN/LOCHER wirft Zweifel auf, da
nicht erst mit einer progressionsbegründenden Deutung des Leistungsfähigkeitsprinzips dieses für die Gleichmässigkeit einen Massstab bot, sondern sich der Grundsatz
der Gleichmässigkeit der Besteuerung von Anbeginn weg anhand einer massstabsbildenden Bezugsgrösse entwickelt hat207 und ein eigenständiger Inhalt nie gegeben war.
Dies ist einleuchtend, wenn man sich vor Augen führt, dass die Anwendung des
Gleichheitsgrundsatzes – auch was die horizontale Gleichheit betrifft – immer einer
Bezugsgrösse bedarf, anhand derer die Gleichheit gemessen werden kann208. Die Aussage, dass Personen in gleichen Verhältnissen gleich und solche in ungleichen Verhältnissen ungleich zu besteuern sind, hat nur Orientierungsfunktion, sagt aber noch
205
206
207
208
BGE 99 Ia 638 (652).
Neumark, Grundsätze, S. 92; M. Huber räumt dies in einer Fussnote auch ein (S. 113 f. FN 115).
Bereits der französische Finanzwissenschafter Vauban, der von Mann, S. 116 f., als Begründer
der systematischen Finanzlehre bezeichnet wird und in seinem wegbereitenden, gegen die absolutistische Steuerordnung gerichteten Werk „Dixme Royale“ (Erstausgabe 1707) nebst dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung auch die Gleichmässigkeit der Besteuerung propagierte,
verwendete die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Bezugsgrösse für die Gleichmässigkeit. Bezeichnenderweise vermied er in „Dixme Royale“ sogar den Ausdruck der Gleichmässigkeit der
Besteuerung, obwohl es ihm, was entstehungsgeschichtlich klar nachweisbar ist, gerade darum
ging. Vauban knüpfte direkt bei der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (jedoch verstanden im Sinne der Assekuranztheorie; zur Assekuranztheorie bereits oben, FN 5) an,
weil diese Maxime seiner Ansicht nach die die Gleichmässigkeit gewährleistende Lastenverteilungsregel darstellt (zitiert nach Mann, S. 117 ff.). Auch im Anschluss an Vauban war stets eine
Bezugsgrösse gegeben und als die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der
Besteuerung in der amerikanischen Verfassung von 1787 und der frz. Revolutionsverfassung von
1791 verankert wurden, war es selbstredend, dass die Gleichmässigkeit im Verbund mit einer
Massstabsgrösse verstanden wurde, damals gebildet durch die äquivalenztheoretisch interpretierte
Leistungsfähigkeit (vgl. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 21; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 119; siehe zum Äquivalenzprinzip, das sich aus den Assekuranztheorien entwickelt hat
[Tipke/Lang, § 4 N 87], unten, § 3 C., S. 75). Ebenfalls formulierte Adam Smith, S. 786 f., seine
Forderungen nach Besteuerungsgleichheit (1. Maxime) anhand des im Sinne der Assekuranztheorie verstandenen Leistungsfähigkeitsprinzips; vgl. dazu Mann, S. 147 ff.
Dass auch der horizontale Vergleich einer Masseinheit bedarf, kommt in der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung deutlich zum Ausdruck. Siehe u.a.: BGE 126 I 76 (78); BGE 122 I 101 (108);
BGE 110 Ia 7 (14 f.); es wird ausgeführt, die horizontale Vergleichbarkeit bemesse sich anhand
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Vgl. auch die Darlegungen bei Rivier, S. 85.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
41
nichts Näheres über die Ausgestaltung der Steuer aus. Es bleibt zu klären, aufgrund
welcher Kriterien den nach dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung ausgewählten Personen209 die Steuern aufzuerlegen sind. Es fragt sich, welche Sachverhalte
(Steuerobjekte) anhand welcher Bemessungsgrundlagen wie stark (Ausgestaltung des
Steuertarifs) zu besteuern sind, und hier greift der Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Leitlinie210. Erst dieser steuerliche Fundamentalgrundsatz, der von der Finanzwissenschaft entwickelt und in Rechtslehre und
Rechtsprechung als zentraler Besteuerungsmassstab aufgenommen wurde, gibt Aufschluss darüber, wie die Steuerordnung inhaltlich ausgestaltet werden darf bzw. welche Art der Steuerlastverteilung als gerecht akzeptiert werden kann211.
Demgemäss stellt bei einem Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer die Vereinbarkeit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip aus rechtlicher Sicht die Kernfrage dar.
Es ist diesbezüglich zu prüfen, inwiefern eine entsprechende Steuerordnung mit den
fundamentalen Gerechtigkeitsvorstellungen über die Besteuerung in Einklang gebracht
werden kann. In Anbetracht der zentralen Bedeutung dieser Fragestellung wird ihr ein
eigener Teil (Teil II) eingeräumt, in dem zunächst die Konturen des Leistungsfähigkeitsprinzips und dessen Konkretisierung im Schweizer Steuerrecht herausgeschält
werden und dann näher untersucht wird, inwiefern sich eine sparbereinigte Einkommensteuer mit diesem Grundsatz verträgt.
4.
Allokativ optimale Besteuerung
4.1.
Problematik
Steuern verursachen neben den Kosten zur Begleichung der Steuerschuld volkswirtschaftliche Zusatzkosten aufgrund der sog. excess burdens und der mit der Steuererhebung verbundenen administrativen Kosten.
Excess burdens212 entstehen dadurch, dass infolge der Besteuerung nebst dem unvermeidlichen Einkommenseffekt213 auch Substitutionseffekte eintreten bzw. auf die Be-
209
210
211
212
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 174.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; ders., Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit, S. 173 f.
Vgl. dazu z.B. Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 7 ff.; Tipke/Lang, § 4 N 81 ff.; siehe allgemein zu diesem Prinzip unten § 3, S. 73 ff.
Excess burdens werden auch deadweight losses, welfare losses oder auf deutsch Zusatzlasten genannt. Vgl. zu den excess burdens u.a.: Stiglitz, S. 111 und S. 518 ff.; Rosen, S. 283 ff.; Sandmo,
S. 70 ff.; Kirchgässner, S. 38 ff.
42
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
steuerung mit allokativ suboptimalen Verhaltensveränderungen reagiert wird, um die
Steuerlast zu reduzieren: Die Besteuerung eines bestimmten Verhaltens (zum Beispiel
Einkommenserzielung) gibt Anreize, dieses Verhalten durch ein anderes (zum Beispiel
Freizeit) zu substituieren, das in geringerem Masse oder nicht der Besteuerung unterliegt214. Modellhaft kann jedoch regelmässig davon ausgegangen werden, dass in der
Ausgangslage ein höherer Produktivitätsgrad gegeben war und die Ressourcen effizienter eingesetzt waren als in der Ausweichsituation215. Eine Ausnahme hinsichtlich
excess burdens bildet nur die sog. lump sum-tax216, welche sich bekanntlich dadurch
definiert, dass sie grundsätzlich nicht durch das Verhalten der Steuerpflichtigen beeinflusst werden kann (zum Beispiel Kopfsteuer217). Da jedoch lump sum-taxes in der
Regel die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steuersubjekte nicht berücksichtigen können218, verstossen sie gegen elementare Vorstellungen über gerechte
Besteuerung und finden daher – obwohl volkswirtschaftlich optimal – in der Praxis
kaum Anwendung.
Unter den administrativen Kosten können diejenigen bei den Steuerbehörden und den
Steuerpflichtigen anfallenden realen Kosten verstanden werden, die mit der Auferlegung, Einziehung und Zahlung der Steuern verbunden sind219.
In Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Zusatzkosten entwickelte sich in der
Finanzwissenschaft der optimal taxation-Ansatz (Optimalsteuertheorie)220, bei dem
Steuersysteme unter dem Kriterium der ökonomischen Effizienz betrachtet und Vorschläge zur Steuerausgestaltung mit allokativ optimalen Wirkungen formuliert wer-
213
214
215
216
217
218
219
220
Darunter sind Änderungen im Nachfrage- oder Angebotsverhalten aufgrund der durch die Steuererhebung verursachten Reduktion des verfügbaren Einkommens zu verstehen. Vgl. u.a. Stiglitz, S.
520 f. (bzgl. Konsumgüterbesteuerung) und S. 535 f. (bzgl. Besteuerung von Arbeitseinkommen);
Rosen, S. 290.
Rosen, S. 290 und S. 537; Stiglitz, S. 520; Posner, S. 523; Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 103
ff.
Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 92 f., S. 105 und S. 107; Posner, S. 523 f.; Stiglitz, S. 520 ff.
Siehe dazu z.B. Stiglitz, S. 462 f.; Rosen, S. 285 f.
Denkbar ist nur die drastische Ausweichmassnahme der Emigration; Posner, S. 524.
Da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit über Indikatoren (Vermögen, Einkommen etc.) gemessen wird, erscheint eine leistungsfähigkeitsorientierte lump-sum tax als unmöglich, weil die Steuersubjekte durch ihr Verhalten die Indikatoren und damit ihre Steuerlast beeinflussen können.
Sandmo, S. 71; siehe auch Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 90 ff.
Zur Entwicklungsgeschichte der optimal taxation mit ausführlichen Literaturnachweisen:
Sandmo, S. 70 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
43
den221. Dabei geben gemäss breitem Konsens innerhalb der Finanzwissenschaft nicht
die Effizienzmaximierung und die damit verbundenen, eben erläuterten lump sum-taxes das Leitbild vor222, sondern die Effizienzoptimierung unter Berücksichtigung von
bindenden Gerechtigkeitsüberlegungen hinsichtlich der Verteilungswirkungen223.
4.2.
Relevanz für die sparbereinigte Einkommensteuer
Den ökonomischen Aspekten und deren rechtlicher Qualifikation kommt für die vorliegende Arbeit erhebliche Bedeutung zu. Viele Befürworter der Sparbereinigung –
was oben bereits übersichtsmässig Darlegung fand – bringen vor, dass die gegenwärtige Ausgestaltung der Einkommensteuer zu vermeidbaren excess burdens führe, d.h.,
dass sie vermeidbare volkswirtschaftliche Verzerrungen verursache224. Insbesondere
sei die Neutralität zwischen Konsum und Sparen verletzt, was zu einem Spar- und damit Investitionsrückgang führe. Darüber hinaus würden negative Anreize für die Einkommenserzielung gesetzt. Neuere volkswirtschaftliche Studien über einen Wechsel
der hergebrachten Einkommensteuer zur konsumorientierten Einkommensbesteuerung
(konkret sind mit letzterem die sparbereinigte Einkommensteuer und die zinsbereinigte
Einkommensteuer gemeint) tendieren zu vergleichbaren Aussagen. Auch wenn die
entsprechenden Studien stark von den jeweiligen Modellannahmen abhängen, weisen
viele Analysen darauf hin, dass bei dynamischer Betrachtung insgesamt positive
221
222
223
224
Anzumerken ist, dass sich die Überlegungen zur optimal taxation stark auf die excess burdens fokussieren und die administrativen Kosten noch nicht befriedigend eingebunden sind: Vgl.
Sandmo, S. 71; Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 90. Ausdrücklich auch die administrativen Kosten berücksichtigend: Posner, S. 533. Wie Kirchgässner, S. 26 f., zu Recht heraushebt, hat hinsichtlich der excess burdens nicht eine statische Betrachtung zu erfolgen, sondern es sind, was in
der entsprechenden modernen Literatur auch meist erfolgt, die breitgestreuten, dynamischen Ausund Rückwirkungen der Besteuerung auf verschiedene volkswirtschaftliche Faktoren zu berücksichtigen.
Dazu von Oehsen, S. 2: „Die optimal taxation bezieht als eine zusätzliche Restriktion in ihre Modelle ein, dass Kopf- und Pauschalsteuern praktisch bedeutungslos und als steuerpolitische Instrumente für den Staat nicht verfügbar sind. Diese Restriktion macht die optimal taxation zu einem Spezialfall der Theorie des Zweitbesten.“
Vgl. u.a.: Stiglitz, S. 552 f.; Rosen, S. 286 f.; Rose/Wiegart, S. 53 ff.; Sandmo, S. 71 f.; Musgrave/Musgrave/Kullmer, S. 93; Posner, S. 533.
Siehe insbesondere die obigen Ausführungen bzgl. Fisher (§ 1 C., S. 6), Kaldor (§ 1 D., S. 8) und
Rose (§1 F., S. 11); vgl. auch Dorenkamp, S. 246 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
44
volkswirtschaftliche Auswirkungen von einem Wechsel zu einer konsumorientierten
Ausgestaltung der Einkommensteuer zu erwarten sind225.
4.3.
Normativer Anspruch
4.3.1. Fragestellung
Aus juristischer Perspektive stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern
ökonomische Erwägungen für die Gesetzgebung relevant sind. Insbesondere scheint
prüfenswert, ob nebst den oben besprochenen, den Gleichheitssatz konkretisierenden
Steuergrundsätzen von einem weiteren Grundsatz, konkret von einem Grundsatz der
allokativ optimalen Besteuerung, auszugehen ist, der den Gesetzgeber leitet und somit
auch zu berücksichtigen ist bei einem allfälligen Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer. Mit anderen Worten, es ist zu untersuchen, inwieweit den in den Optimalsteuerüberlegungen betonten Effizienzoptimierungszielen normatives Gewicht
zukommt und ob sie für die Rechtsgestaltung massgebend sein können und dürfen.
Diesbezüglich ist anzumerken, dass durch das bei der Optimalsteuertheorie verwendete Effizienzkriterium deutlich wird, welcher „Schule“ die Optimalsteuertheorie zu-
225
Siehe nebst den bei den „Vordenkern“, § 1, S. 2 ff., dargelegten Positionen u.a. auch Boadway, S.
45 ff.; Bradford, Consumption Tax, S. 96 ff.; Auerbach/Kotlikoff, S. 77 ff.; Folkers, S. 123 ff.;
vgl. auch Hirt, S. 83 f.; zur Verzerrung durch die Zinsbesteuerung bzw. zu den allokativen Vorteilen einer zinsbereinigten Einkommensteuer: Ohmer, S. 139 ff. Kritisch zu den vorgebrachten
Allokationsvorteilen Hinterberger/Müller/Petersen, S. 427, die in einer auf Deutschland bezogenen Untersuchung geltend machen, dass eine Aufkommensgleichheit einer sparbereinigten Einkommensteuer zu stark progressiven Steuertarifen führen würde, was Zweifel an der allokativen
Effizienz aufkommen liesse. Jedoch wurde der erwähnten Untersuchung eine „Komsumausgabensteuer“ zugrunde gelegt und nicht eine befristete, auf das sparende Steuersubjekt begrenzte Sparbereinigung der Einkommensteuer. Bei letzterer sind – abgesehen von einer Übergangsperiode
(zu diesbezüglichen Lösungsansätzen unten, § 7 B. III., S. 217) – weniger Probleme zur Sicherung der Aufkommensgleichheit zu erwarten, da auch die nicht konsumierten, d.h. gesparten Einkommensteile zur Besteuerung gelangen, sobald das Steuersubjekt aus der Steuerpflicht austritt
(Tod/Wegzug). Ebenfalls bezieht sich die von Homburg, S. 186 und S. 189 f. geäusserte Skepsis
bzgl. allokativer Effizienz (wiedergegeben von Dorenkamp, S. 211) auf eine andere als hier vorgeschlagene Besteuerungsform. Homburg beleuchtet an der genannten Stelle die Abschaffung der
Kapitaleinkommensteuer bei gleichzeitiger aufkommensneutraler Verschärfung der Arbeitseinkommensteuer. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass der Kern einer Sparbereinigung in der
impliziten Steuerausnahme von Kapitaleinkommen liegt (Dorenkamp, S. 36 f.; Homburg, S. 137
f.), gilt auch hier, dass die Aufkommensgleichheit bei einer befristeten Sparbereinigung (d.h. Besteuerung des angesparten Einkommens bei Ersparnisauflösung oder spätestens bei Austritt aus
der Steuerpflicht) leichter zu gewährleisten ist als bei einer über das Steuersubjekt hinaus wirkenden Sparbereinigung und die Einkommensteuersätze tiefer gehalten werden können.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
45
gehört: Sie bildet einen Teilbereich der ökonomischen Theorie des Rechts226, womit
die Frage nach dem normativen Anspruch von steuerlichen Effizienzoptimierungszielen in einen breiteren Zusammenhang gerückt wird, nämlich in den der allgemeinen
Frage des normativen Anspruchs von Aussagen der ökonomischen Theorie des Rechts.
Diese Legitimationsfrage bildet eines der Kernprobleme der ökonomischen Theorie
des Rechts. Während ihr analytisch-deskriptiver Ansatz weitgehend akzeptiert wird, ist
umstritten, ob und in welchem Ausmass effizienzorientierte Folgerungen für Rechtsprechung und Rechtsetzung massgebend sind. Zum einen steht eine breite Front von
Juristen einem normativen Anspruch von aus der ökonomischen Theorie des Rechts
entwickelten Aussagen prinzipiell ablehnend gegenüber227. Zum anderen herrscht bei
den Befürwortern grosse Uneinigkeit, wo das Effizienzkriterium rechtstheoretisch zu
verorten ist und welcher Stellenwert ihm zuzuerkennen ist. Ausserdem ist strittig, ob
sich der normative Anspruch auf Rechtsetzung und/oder Rechtsprechung beziehen
soll228. Unter Anhängern einer Berücksichtigung des Effizienzkriteriums in der Rechtsprechung existieren wiederum unterschiedliche Ansichten darüber, in welcher Form
dies zu erfolgen habe. Diskutiert werden namentlich der Thesen: Ob das Effizienzkriterium ein eigenständiges Rechtsprinzip darstelle, ob es als Wertmassstab zur Ausführung unbestimmter Rechtsbegriffe beigezogen werden müsse oder ob es ein weiteres
Auslegungselement sei229.
226
227
228
229
In diesem Sinne auch die Ausführungen von Posner, S. 533 f. Zur Bezeichnung „Ökonomische
Theorie des Rechts“ siehe Kirchner, S. 5 f., der begründet darlegt, dass die wortbehaftete deutsche
Übersetzung von „Economic Analysis of Law“ in „Ökonomische Analyse des Rechts“ breiten
Raum biete für Missverständnisse, wo hingegen die von ihm vorgeschlagene Bezeichnung „Ökonomische Theorie des Rechts“ verdeutliche, dass es nicht nur um das Effizienziel gehe, sondern
die Ökonomische Theorie des Rechts eine Unterdisziplin der Rechtstheorie und somit der
Rechtswissenschaft darstelle.
Vgl. dazu die Ausführungen und Erklärungsansätze von Eidenmüller, S. 7 ff. Mastronardi, Juristisches Denken, N 271, spricht davon, dass die Ökonomie nur bei der Folgenbewertung von Normen als Realie des Rechts zu beachten sei, dass ihr aber keine normativen Ansprüche zukommen
würden. Siehe auch ders., BV Kommentar, N 18 zu Art. 170, mit der Überlegung, dass Effizienz
Teil sei des Verfassungsprinzips der Effektivität und zu letzterem in einem „dienenden Verhältnis“ stehe.
Eidenmüller, S. 7 ff. Eidenmüller äussert in seinem Grundlagenwerk, dass in Deutschland die
ökonomische Theorie des Rechts primär als Gesetzgebungstheorie zu betrachten sei, wobei dem
Gesetzgeber aber nicht eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Berücksichtigung ihrer
Grundsätze zukomme. In der Rechtsprechung sieht er nur sehr beschränkte Anwendungsbereiche;
ebenda, S. 414 ff. und S. 443 ff. Hingegen vertreten u.a. Ott und Schäfer die Ansicht, die ökonomische Theorie des Rechts habe vor allem bei der richterlichen Anwendung des Zivilrechts Gewicht; Schäfer, S. 19 ff.; Ott, S. 25 ff.
Eidenmüller, S. 450 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
46
Es ist für die vorliegende Problemstellung nicht erforderlich, die gesamten Aspekte der
Legitimationsfrage der ökonomischen Theorie des Rechts zu durchforsten230. Vielmehr wird reduzierend und in der Hoffnung, einen auch für andere Gebiete der ökonomischen Theorie des Rechts fruchtbaren induktiven Ansatz zu verfolgen, nachfolgend betrachtet, inwieweit den Optimalsteuerüberlegungen steuerlicher Grundsatzcharakter (im Sinne eines normkonzipierenden Grundsatzes der allokativ optimalen Besteuerung) und somit Legitimationsgehalt zur Formulierung von Gesetzgebungsvorschlägen zukommen kann. Als allfällige rechtliche Abstützung der Optimalsteuerüberlegungen werden die nachstehenden Punkte beleuchtet:
a) Staatszielbestimmungen (4.3.2.);
b) Konstitutivwirkungen der Grundrechte (4.3.3.);
c) Verhältnismässigkeitsprinzip (4.3.4.).
4.3.2. Staatszielbestimmungen
Als Staatszielbestimmungen sind im Kontext mit der Optimalsteuertheorie der
Zweckartikel der Bundesverfassung (Art. 2 BV) sowie die „Wohlfahrtsbestimmung“
in Art. 94 Abs. 2 BV in Betracht zu ziehen231. Der Zweckartikel umschreibt, am Anfang der BV platziert und somit die Richtung für die weiteren Normen weisend, die
Staatszwecke und sieht unter anderem vor, dass die Eidgenossenschaft auch die „ge230
231
Eine entsprechende Grundsatzuntersuchung steht hinsichtlich des Schweizer Rechts noch aus. In
Deutschland hat sich Eidenmüller (Effizienz als Rechtsprinzip; vgl. auch FN 228) einlässlich mit
dieser Fragestellung auseinandergesetzt.
Zur terminologischen Unsicherheit bzgl. Abgrenzung Staatszweck – Staatsziele – Staatsaufgaben
vgl. Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 4 ff. In der vorliegenden Arbeit werden in Anlehnung an
Breiter, S. 162, der Zweckartikel und die Wohlfahrtsbestimmung unter den allgemeinen Begriff
der Staatszielbestimmungen gefasst: „Im Gegensatz zu Zielnormen, die nur ein beschränktes
Sachgebiet beschlagen, ist die Staatszielbestimmung auf die prägende Gestaltung der gesamten
staatlichen Aktivität gerichtet. Ein Ziel wird gesetzt, ohne Mittel und Organe zu bestimmen, welche ermöglichen sollen, es zu erreichen. Staatszielbestimmungen sind Verfassungsgrundsätze
oder ‚offene Prinzipien‘, die sich auf allgemeine Grundeinstellungen staatlichen Wirkens beziehen und eine Richtung weisen.“; siehe auch Rhinow, aBV Kommentar, N 9 zu Art. 31bis. Breiter
ging in seiner 1980 publizierten Diss. davon aus, dass in der Schweiz v.a. der Zweckartikel und
der Wohlfahrtsartikel als Staatszielbestimmungen in Frage kommen; ebenda, S. 65 und S. 162 ff.
Nach heutiger Lage ist infolge der inzwischen ausdrücklich in der BV verankerten Sozialziele
(Art. 41 BV) anzunehmen, dass auch die Sozialstaatlichkeit zu den Staatszielbestimmungen zu
zählen ist. In diesem Sinne auch BGE 126 II 377 (391) m.Vw. auf Botschaft VE 96, S. 200;
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
47
meinsame Wohlfahrt“ fördert. Diesen Zweck aufgreifend, findet sich dann in Art. 94
Abs. 2 BV eine im „Wirtschaftsabschnitt“ angesiedelte, aber in ihrem Grundsatzgehalt
die gesamte Verfassung überziehende Ausprägung232, wonach Bund und Kantone die
Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft zu wahren und zusammen mit der
privaten Wirtschaft zur Wohlfahrt und zur wirtschaftlichen Sicherheit der Bevölkerung
beizutragen haben.
Der Begriff der Wohlfahrt ist vielschichtig und wandelbar, er enthält aber auch eine
materiell-ökonomische Komponente233, die zweifellos begünstigt wird, wenn die Steuern effizient und unter Minimierung der volkswirtschaftlichen Zusatzkosten erhoben
werden234. Die Nichtbeachtung der gesamtökonomischen Auswirkungen der Besteuerung kann unnötigerweise zur Vernichtung wirtschaftlicher Ressourcen sowie zur Verzerrung der Wirtschaftsaktivitäten führen und daher in beträchtlichem Mass wohlfahrtsmindernd235 wirken.
Mit Blick auf die Ausgangsfrage stellt sich sodann die Frage, ob den Staatszielbestimmungen rechtliche Relevanz in dem Sinne zukommt, dass sie den Steuergesetzgeber anweisen, Optimalsteuerüberlegungen zu berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass Staatszwecknormen hauptsächlich geschichtlichen Wert236 haben, der normative Gehalt jedoch gering ist: Sie begründen keine Kompetenzen des Bundes237 und
sind nicht unmittelbar anwendbar238. Dennoch ist mit der herrschenden Lehre vom
Grundsatz auszugehen, dass die Staatszwecke programmatischen Gehalt aufweisen
und den staatlichen Organen vorgeben, in welche Richtung sie ihre Aufgaben auszuführen haben239. Bedeutend ist dies vor allem für den Gesetzgeber, der somit bei der
232
233
234
235
236
237
238
239
Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 33 f.; Rhinow, Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsverfassung,
S. 173; Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 1 ff. zu Art. 41.
Rhinow, aBV Kommentar, N 9 zu Art. 31bis.
Gemäss herrschender Lehre sind unter der „Wohlfahrt“ neben der ökonomisch-materiellen noch
weitere, immaterielle Komponenten zu verstehen, die allgemein auch als „Lebensqualität“ bezeichnet werden können (Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, Volksgesundheit, kulturelles Wohlbefinden, Volksbildung usw.); Vgl. Rhinow, aBV Kommentar N 13 zu Art. 31bis; Ehrenzeller, BV Kommentar, N 17 zu Art. 2.
Siehe auch Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 433.
D.h. eben einen welfare loss (vgl. FN 212) verursachen.
Aubert, aBV Kommentar, N 20 zu Art. 2; Botschaft VE 96, S. 126.
Aubert, aBV Kommentar, N 21 ff. zu Art. 2; Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 31; Sulser, S. 24 f.;
Botschaft VE 96, S. 126.
Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 31; Sulser, S. 25; Botschaft VE 96, S. 126.
Aubert, aBV Kommentar, N 28 zu Art. 2; vgl. auch Bertschi/Gächter, S. 19 ff., wo u.a. dargelegt
wird, dass im Laufe der Jahrzehnte die Lehre den Staatszwecknormen ein wenig mehr juristischen
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
48
Ausführung der ihm zugewiesenen Aufgaben die übergeordneten Staatszwecke mit zu
berücksichtigen und ihnen zur Verwirklichung zu verhelfen hat240.
Der normative Gehalt der Wohlfahrtsbestimmung von Art. 94 Abs. 2 BV kann vergleichbar veranschlagt werden. Weder begründet sie Bundeskompetenzen noch einklagbare Rechte, aber sie gibt den staatlichen Organen – und damit auch dem Gesetzgeber – in verbindlicher Weise die Ziele vor, welche die staatlichen Organe mit ihrer
Tätigkeit zu erreichen haben241.
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Staatszielbestimmungen geben dem
Steuergesetzgeber verbindlich vor, bei den ihm von der Verfassung übertragenen Gesetzgebungsaufgaben das Effizienzkriterium zu beachten bzw. Optimalsteuerüberlegungen vorzunehmen und leiten ihn an, die Steuerordnung so auszugestalten, dass die
volkswirtschaftlichen Zusatzkosten minimiert werden242. Wohl findet sich nicht eine
explizite entsprechende Vorgabe in der Bundesverfassung; eine solche kann aber dem
anerkannten Aussagegehalt des Zweckartikels (Art. 2 BV) und der Wohlfahrtsbestimmung von Art. 94 Abs. 2 BV entnommen werden und wird in den Materialien zur direkten Bundessteuer auch ausdrücklich anerkannt:
240
241
242
Gehalt und Anspruch zubilligte. Jedoch ist auch nach jüngster Lehre der normative Gehalt immer
noch sehr beschränkt und so äussern z.B. Bertschi/Gächter, S. 21 f., dass Staatszwecknormen aus
rechtlicher Perspektive v.a. programmatischen Charakter aufwiesen und als Auslegungshilfen zu
berücksichtigen seien; siehe auch: Richli, Verfassungsrecht, § 54 N 31; Ehrenzeller, BV Kommentar, N 8 ff. zu Art. 2; Botschaft VE 96, S. 126.
Dazu auch Bertschi/Gächter, S. 22 inkl. FN 115; Breiter, S. 233 f.; Ehrenzeller, BV Kommentar,
N 12 zu Art. 2.
Rhinow, aBV Kommentar, N 15 ff. zu Art. 31bis; S. Vogel, S. 211 f.; Vallender, BV Kommentar,
N 11 zu Art. 94; vgl. auch Botschaft VE 96, S. 200, wo auf den identischen normativen Gehalt
von Staatszielbestimmungen allgemein hingewiesen wird. Zu beachten insb. Rhinow, aBV Kommentar N 24 zu Art. 31bis: „Der Wohlfahrtsartikel als Staatszielbestimmung ist verbindliche
Norm. (...) Er erteilt allen angesprochenen Organen den bindenden und verpflichtenden Auftrag,
mit den je verfassungsmässig zur Verfügung stehenden Mitteln und im Rahmen ihrer funktionalen
Eignung auf die in Art. 31bis Abs. 1 BV [Art. 94 Abs. 2 der geltenden BV; Anm. des Zitierenden]
fixierten Ziele hinzuwirken. Da es, um diese Ziele zu verfolgen, zunächst und vor allem der
Rechtsetzung bedarf, ist insbesondere der (Verfassungs- und) Gesetzgeber verpflichtet, aktiv zu
werden und das Rechtsetzungsverfahren in Gang zu setzen, wenn sich eine Regelung bzw. das
Treffen einer gesetzgeberischen Massnahme im Hinblick auf die gesetzten Ziele als notwendig
erweist.“
Wobei eine Optimierung bzw. Abwägung mit anderen Vorgaben zu erfolgen hat und dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsfreiraum zukommt; dazu oben, § 2 B. II. 4.1., S. 43 f., und unten, § 2
B II. 4.3.5., S. 55.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
49
„Der auf Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt gerichtete Staatszweck verlangt, dass die
Steuerordnung die nachteiligen Wirkungen der Abgabeerhebung nach Möglichkeit beschränke. Da diesem Gebot bei gesteigertem Finanzbedarf des Staates besonderes Gewicht
zukommt, ist es sehr verständlich, dass sich in den letzten Jahren die Öffentlichkeit in vermehrtem Masse mit den Fragen befasst hat, wie sich einerseits die Steuerbelastung und die
verschiedenen Methoden der Besteuerung auf den Wirtschaftsprozess auswirken und wie anderseits durch Vereinfachung der Steuerordnung übersichtlichere Verhältnisse geschaffen
und durch zweckmässigere Gestaltung des Besteuerungsverfahrens die Belästigung der Wirtschaft mit Umtrieben vermindert werden könnten.“ 243
4.3.3. Konstitutivwirkung der Grundrechte
a)
Allgemeines
Neben den Staatszielbestimmungen sind auch die Grundrechte leitend für die staatlichen Tätigkeiten. Grundrechte weisen ausser ihrem individualrechtlichen, direkt anspruchsbegründenden Gehalt die Funktion von objektiven Grundsatznormen auf, an
denen sämtliches Handeln des Staates auszurichten ist244. Die Grundrechte sind demgemäss als Verfassungsnormen zu verstehen, die über konstitutive Kraft verfügen und
„bis in die feinsten Verästelungen der Rechtsordnung ausstrahlen“245. Ihnen wird erst
Genüge getan, „wenn die gesamte einschlägige Rechtsordnung darauf angelegt wird,
die Verwirklichung ihrer Grundideen zu erstreben“246, wobei sich aus dieser konstitutiven Grundrechtswirkung grundsätzlich jedoch kein Anspruch auf einklagbare staatliche Handlungen ergibt247.
243
244
245
246
247
Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 433 unter dem Titel
„Das Erfordernis der Vermeidung wirtschaftsschädlicher Auswirkungen“. Für die deutsche
Rechtsordnung wies Eidenmüller in einer allgemeineren Fragestellung darauf hin, dass de lege
lata keine Staatszielbestimmungen existierten, die ausdrücklich die Berücksichtigung des Effizienzgedankens verlangten; Eidenmüller, S. 443. Zu den Folgerungen von Eidenmüller auch unten,
FN 275.
Saladin, Wandel, S. 295 ff.; J.P. Müller, aBV Kommentar, N 21 ff. und N 41 f. Einleitung; ders.,
Elemente, S. 8 ff. und S. 15 ff.; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 55 f.
Saladin, Wandel, S. 295.
Saladin, Wandel, S. 295.
J.P. Müller, aBV Kommentar, N 41 f. Einleitung ; ders., Elemente, S. 5 f.; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 55. Anzumerken ist, dass bei den Grundrechten nicht bestimmte objektivierte Werte im
Mittelpunkt stehen, sondern es in der Hauptsache immer um den Schutz konkreter Menschen
geht; vgl. dazu oben, FN 158.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
50
Im Rahmen der „Nachführung“ der BV wurde die Konstitutivwirkung der Grundrechte
ausdrücklich in Art. 35 BV verankert und betont, dass bei allem Staatshandeln eine
Verpflichtung besteht, den Grundrechtsideen zur Verwirklichung zu verhelfen248.
Dadurch ist namentlich auch der Gesetzgeber gebunden249, was hinsichtlich Optimalsteuertheorie zur konkreten Frage führt, ob und welche Grundrechte den Steuergesetzgeber anleiten, bei der Ausgestaltung der Steuerordnung das Effizienzkriterium zu berücksichtigen und folglich die volkswirtschaftlichen Zusatzkosten der Steuererhebung
zu minimieren. Anknüpfend an diese Fragestellung werden nachstehend die in Art. 27
BV und 94 BV gewährleistete Wirtschaftsfreiheit und die in Art. 26 BV zugesicherte
Eigentumsgarantie auf ihre konstitutive Wirkung bezüglich Steuerordnung untersucht.
b)
Wirtschaftsfreiheit
In ihrem individualrechtlichen Gehalt schützt die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 und Art.
94 BV) grundsätzlich jede private auf Erwerb gerichtete Tätigkeit250. Als konstitutives
Ordnungsprinzip bringt sie zum Ausdruck, dass die Verfassung eine grundsätzlich
staatsfreie Wirtschaft vorsieht, die auf dem Gedanken der Privatautonomie beruht und
sich an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiert251. In diesem Zusammenhang
248
249
250
251
Art. 35 Abs. 1 BV: „Die Grundrechte müssen in der gesamten Rechtsordnung zur Geltung kommen.“ Abs. 2: „Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen.“ Dazu auch Botschaft VE 96, S. 192 f.; J.P. Müller; Verfassungsrecht, § 39 N 29 ff.; Schweizer, BV Kommentar, N 1 ff. zu Art. 35.
Saladin, Wandel, S. 309 ff.; J.P. Müller, aBV Kommentar, N 22 f., N 35 ff. und N 41 f. Einleitung; ders., Verfassungsrecht, § 39 N 30; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 55; Hauser/Vallender,
S. 9.
BGE 128 I 3 (9); vgl. auch den Wortlaut von Art. 27 Abs. 2 BV; Vallender/Veit, S. 9; grundlegend zur Wirtschaftsfreiheit: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 60 ff.; ders., BV Kommentar, N 1
ff. zu Art. 27; Rhinow, aBV Kommentar N 31 ff. zu Art. 31; Biaggini, Verfassungsrecht, § 49 N 1
ff.
Botschaft VE 96, S. 174; J.P. Müller, Grundrechte, S. 637 f.; Vallender/Veit, S.22; Vallender,
Verfassungsrecht, § 61 N 4 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; ders., BV Kommentar, N 67 zu
Art. 27; Biaggini, § 49 N 24. Die ordnungspolitische Dimension der Wirtschaftsfreiheit findet in
Art. 94 BV erhellenden Ausdruck; dazu auch Botschaft VE 96, S. 294 und S. 296; Vallender, BV
Kommentar, N 70 zu Art. 27; Vallender/Veit, S. 8 ff.; ebenda, S. 22: „Insbesondere durch Art. 94
i.V.m. Art. 96 nBV verankert der Verfassungsgeber nun ausdrücklich die Grundentscheidung für
eine marktorientierte Privatwirtschaft und bringt die bisher ungeschriebene Gewährleistung der
Verfassung der Privatwirtschaft nun auch explizit zum Ausdruck, indem er sich grundsätzlich für
das Wirtschaftsordnungsprinzip des Wettbewerbs entscheidet; daneben behalten allerdings im Bereich des Arbeitsrechts Gruppenvereinbarungen ihre Geltung. (...) Mit dieser Konkretisierung für
den Grundsatz einer Wettbewerbsordnung klärt der Verfassungsgeber die Bedeutung der Wirtschaftsfreiheit.“ Zu beachten ist, dass die grundsätzlich private Wirtschaftsordnung ergänzt wird
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
51
spricht denn das Bundesgericht auch von einer „wirtschaftspolitischen Grundentscheidung für ein System des freien Wettbewerbs“252.
Für den Staat bedeutet eine Bindung an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit demnach in erster Linie, den Wettbewerb unverfälscht, unverzerrt seinem freien Lauf zu
überlassen253, was das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zum individualrechtlichen Gehalt der Wirtschaftsfreiheit durch die folgenden drei Grundsätze konkretisiert
hat: Den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität staatlichen Handelns254, den Grundsatz
der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen255 und den Grundsatz der Einheit des
Wirtschaftsraumes256. In seinem Gehalt als Ordnungsprinzip leitet die Wirtschaftsfreiheit aber den Staat nicht nur an, die Privatwirtschaftsordnung zu gewährleisten, sondern fordert auch eine aktive Grundrechtspolitik, insbesondere eine entsprechende Gesetzgebung, damit sich eine grundsätzlich freiheitlich-marktwirtschaftlich orientierte
Wirtschaftsordnung auch faktisch entfalten kann257.
Der Grundentscheid zugunsten einer marktorientierten Privatwirtschaft gründet darin,
dass der Verfassungsgeber davon ausgeht, die Gewährleistung der Wirtschaftsfreiheit,
kombiniert mit weiteren institutionellen Voraussetzungen, stelle nicht nur die Freiheit
der Bürger, sondern tendenziell auch die gesamtwirtschaftliche Effizienz sicher und
führe zu einer optimaleren Nutzung knapper Ressourcen als dies bei alternativen Koordinationsmechanismen258 der Fall wäre259.
In Übertragung auf die aufgeworfene Fragestellung ergibt sich, dass auch der Steuergesetzgeber verpflichtet ist, die Grundentscheidung für eine private marktwirtschaftliche Ordnung zu beachten und dazu beizutragen hat, dass sich die private Wirt-
252
253
254
255
256
257
258
259
namentlich durch Sozial- und Umweltziele und diese ebenfalls in den Staatsgestaltungsprozess
miteinfliessen; Vallender/Veit, S. 53 ff. und S. 73 ff.; Rhinow, Verfassungsrecht, § 35 N 12 f.
BGE 116 Ia 237 (240); vgl. auch BGE 124 I 25 (31).
Vallender/Veit, S. 13.
BGE 120 Ib 142 (144); BGE 118 Ia 175 (177); BGE 91 I 457 (462).
BGE 128 I 136; BGE 125 I 431; BGE 121 I 129 (135); BGE 121 I 279; BGE 120 Ia 236.
BGE 116 Ia 237 (240); dazu auch Art. 95 Abs. 2 BV und das Binnenmarktgesetz.
Vgl. auch Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 85 f.; Hauser/Vallender, S. 9. Zur Verpflichtung des
Gesetzgebers, aktive Grundrechtspolitik zu betreiben siehe auch: G. Müller, Privateigentum, S. 43
ff., m.w.Nw.
Zu den verschiedenen Koordinationsmechanismen: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 4 ff.
BGE 124 I 25 (31): „Die marktwirtschaftliche Ordnung, die durch die institutionelle oder wirtschaftspolitische Komponente von Art. 31 BV [Art. 27 i.V.m. Art. 94 nBV; Anmerkung des Zitierenden] geschützt wird, findet ihre Legitimation darin, dass dadurch die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung möglichst effizient und preisgünstig befriedigt werden sollen (...).“; vgl.
auch Vallender/Veit, S. 12.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
52
schaftstätigkeit optimal260 entfalten kann und eine effiziente Allokation der Ressourcen gewährleistet ist. Das bedeutet, der Steuergesetzgeber hat Effizienzüberlegungen
vorzunehmen261 und muss darauf bedacht sein, die volkswirtschaftlichen Kosten im
Rahmen der ihm von der Verfassung übertragenen Aufgaben zu minimieren. Zum einen folgt daraus, dass der Steuergesetzgeber den freien wirtschaftlichen Lauf möglichst nicht stören darf (Wettbewerbsneutralität262) und entsprechend das Ziel zu verfolgen hat, die excess burdens so weit als möglich zu reduzieren. Zum anderen wird
der Steuergesetzgeber angewiesen, auf die Minimierung der administrativen Kosten
der Besteuerung hinzuwirken.
c)
Eigentumsgarantie
Als Bestandes- und Institutsgarantie hat die Eigentumsgarantie zunächst einmal den
Charakter eines Abwehrrechts263. Daneben stellt sie ein konstitutives Element der
Wirtschaftsverfassung dar und bildet eine Grundlage der an marktwirtschaftlichen
Prinzipien orientierten Privatwirtschaft, wobei ihr Ordnungs- und Koordinationsfunktionen zukommen264. In diesem Zusammenhang hat die Eigentumsgarantie nebst der
Dezentralisationsfunktion die Aufgabe, Anreize zu setzen, welche zu einer optimalen
Allokation führen265. Als objektives Ordnungsprinzip verlangt die Eigentumsgarantie
demnach zum einen eine Rechtsordnung, die geeignete Voraussetzungen zur Bildung
und Erhaltung von Eigentumspositionen schafft und fordert zum anderen eine Konkretisierung, „welche die anspornende und die Wirtschaft im Sinne der Dezentralisierung ordnende Wirkung genügend berücksichtigt. Der Eigentümer muss ein ‚Organ
der Wirtschaftsverfassung‘ sein können, das wesentlich Anteil hat an der Steuerung
260
261
262
263
264
265
Im Sinne eines Optimierungsgebotes; dazu oben, § 2 B. II. 1., S. 32 inkl. FN 161.
Für Deutschland kommt Eidenmüller, S. 443 ff., zu einem gegenteiligen Schluss, da im Grundgesetz kein Entscheid für eine bestimmte Wirtschaftsordnung niedergelegt ist und demnach auch
keine Konstitutivwirkung der (Wirtschafts-)Grundrechte bestehe, welche den Gesetzgeber zur
Beachtung des Effizienzkriteriums verpflichten könnte; ebenda, S. 444 f. Dazu auch gleich unten,
FN 275.
Verstanden in einem weiten, allgemein anleitenden Sinn. Vgl. zur Einzelausprägung in Art. 1
Abs. 2 MwStG sowie zur Wettbewerbsneutralität unter „Gewerbegenossen“: Vallender/ Wiederkehr, BV Kommentar, N 34 ff. zu Art. 127.
Dazu Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 115 ff.; Vallender, BV Kommentar, N 26 ff. zu Art. 26;
Vallender/Veit, S. 14 ff.; G. Müller, aBV Kommentar N 12 ff. zu Art. 22ter aBV; Riva/MüllerTschumi, § 48 N 7 ff.
Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 135 f.; Vallender/Veit, S. 17.
Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 136; Vallender/Veit, S. 17; G. Müller, Privateigentum, S. 76 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
53
des Wirtschaftsprozesses.“266 Daraus fliesst für den Steuergesetzgeber die Pflicht,
nicht unnötige Zusatzkosten zu verursachen, da dadurch Wohlfahrtsverluste ausgelöst
und letztlich auch konkrete Eigentümerpositionen geschmälert werden. Zudem hat der
Steuergesetzgeber Neutralitätsverletzungen möglichst zu vermeiden, weil diese im
Spannungsfeld stehen zur freien Eigentumsdisposition (i.c. Disposition über Produktionsfaktoren) und den privatwirtschaftlichen Steuerungsprozess beschränken.
4.3.4. Verhältnismässigkeit
Der in Art. 5 Abs. 2 BV verankerte Grundsatz der Verhältnismässigkeit, der sämtliche
staatliche Organe267 und daher auch den Steuergesetzgeber bindet, fordert, dass eine
staatliche Massnahme geeignet sein muss, das angestrebte Ziel zu erreichen (Geeignetheit), dass sie nicht schärfer eingreift, als dies für die Erreichung des Ziels erforderlich ist (Erforderlichkeit) und darüber hinaus muss die Massnahme in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen (Verhältnismässigkeit im engeren
Sinne bzw. Zumutbarkeit)268.
Im Kontext der ökonomischen Theorie des Rechts ist insbesondere das Element der
Erforderlichkeit (zum Teil auch als Notwendigkeit umschrieben) von Relevanz. Unter
Erforderlichkeit wird verstanden, dass eine staatliche Massnahme zu unterbleiben hat,
wenn eine gleich geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreichen würde269. Demgemäss darf die Massnahme in sachlicher, räumlicher, zeitlicher
und personeller Hinsicht nicht über das Notwendige hinaus gehen270.
Mit Bezug auf die Besteuerung und die dadurch verursachten volkswirtschaftlichen
Zusatzkosten bedeutet dies, dass eine bestimmte, grundsätzlich verfassungsmässige
(d.h. vor allem eine die oben genannten Besteuerungsgrundsätze271 berücksichtigende)
Art der Besteuerung zu unterbleiben hat, wenn eine andere, ebenfalls den verfassungsmässigen Vorgaben verpflichtete Art der Besteuerung die selben Einnahmen generiert, aber geringere volkswirtschaftliche Zusatzkosten verursacht.
266
267
268
269
270
271
G. Müller, Privateigentum, S. 79; siehe auch Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 135.
BGE 96 I 234 (242); vgl. auch Huber, Verhältnismässigkeit, S. 24 ff.; P. Muller, S. 213; Hotz, S.
5 f.
Botschaft VE 96, S. 133 f.; Zimmerli, S. 12 ff.; Häfelin/Müller, N 486 ff.; Hangartner, BV Kommentar, N 33 ff. zu Art. 5.
BGE 124 I 40 (44 f.); BGE 117 Ia 472 (483); BGE 107 Ia 64 (67); Zimmerli, S. 14; Hotz, S.
13 ff.; Häfelin/Müller, N 496 ff.
BGE 124 I 40 (44 f.); Zimmerli, S. 14 f. m.w.Nw.; Häfelin/Müller, N 496 ff.
Dazu oben, § 2 B. II. 2. und 3., S. 33 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
54
Demgemäss kann auch aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, namentlich aus
dem Teilelement der Erforderlichkeit, die Vorgabe an den Steuergesetzgeber entnommen kann, beim Erlass von Besteuerungsnormen das Effizienzkriterium zu beachten272, 273.
4.3.5. Abwägung und Begrenzung
Wie dargelegt wurde, kann aus den Staatszielbestimmungen, der Konstitutivwirkung
von Wirtschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie sowie dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit eine grundsätzlich nicht einklagbare274, jedoch verbindliche Vorgabe an
den Steuergesetzgeber gewonnen werden, bei seiner Rechtsetzungstätigkeit das Effizienzkriterium zu berücksichtigen und darauf bedacht zu sein, eine allokativ optimale
Steuerordnung auszugestalten275. Bei legislativer Tätigkeit im Steuerbereich wird zum
272
273
274
275
Vgl. auch Veit, S. 15; siehe zudem Mastronardi, BV Kommentar, N 18 Art. 170, der ausführt,
dass Effizienz allgemein zwar kein Verfassungsprinzip darstelle, dass aber bei der Verfolgung
staatlicher Ziele auch in wirtschaftlichem Sinne das Verhältnismässigkeitsprinzip zu berücksichtigen sei. Staatliche Ziele müssten demnach auch auf möglichst wirtschaftliche Weise erreicht werden.
Anzumerken ist, dass der Grundsatz der Verhältnismässigkeit wohl das gesamte staatliche Handeln und somit auch den Steuergesetzgeber beschlägt, hinsichtlich Justiziabilität aber Probleme
aufwirft (dazu auch Huber, Verhältnismässigkeit, S. 25 f.). Mit Bezug auf durch den Steuergesetzgeber zu verantwortende unverhältnismässige bzw. nicht erforderliche volkswirtschaftliche
Zusatzkosten kann nur von einer sehr begrenzten Justiziabilität ausgegangen werden, was jedoch
nicht die normative Kraft auf den Gesetzgeber mindert, sondern nur die beschränkte richterliche
Überprüfungsmöglichkeit aufzeigt (bei Steuergesetzen des Bundes wäre das Bundesgericht ohnehin nicht befugt, das Gesetz ausser Kraft zu setzen; es greift das Anwendungsgebot von Art. 191
BV).
Abgesehen von der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit für Bundesgesetze (Anwendungsgebot
von Art. 191 BV) ergibt sich die Vorgabe zur optimalen Allokation aus nicht direkt-anspruchsbegründenden Verfassungspositionen (Staatszielbestimmungen/Konstitutivwirkung der Grundrechte), und die Verhältnismässigkeitsforderung scheint in diesem Zusammenhang nicht genügend justiziabel, wobei Ausnahmen in Fällen krasser excess burdens bzw. administrativer Kosten
theoretisch denkbar sind. Aber auch dann ist hinsichtlich Bundesgesetzen die Einklagbarkeit aufgrund Art. 191 BV verwehrt.
Wie bereits oben, FN 261, erwähnt wurde, gelangt Eidenmüller in seiner auf Deutschland bezogenen Untersuchung über ein allgemeines Effizienzprinzip zum Schluss, dass dem Gesetzgeber
keine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gegeben sind, das (allgemeine) Effizienzkriterium
zu beachten. Er begründet dies mit dem Fehlen einschlägiger Staatszielbestimmungen (Eidenmüller, S. 443) und insbesondere der relativen Offenheit der Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes (S. 443 ff.): „Wenn das Grundgesetz den Gesetzgeber nicht einmal auf die freie oder soziale Marktwirtschaft festgelegt hat, dann kann man schwerlich die These vertreten, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet sein soll, Recht nach Gesichtspunkten der ökonomischen Effizienz zu setzen.“ (Eidenmüller, S. 444 f.) Diese Aussage kann aber nicht – oder nur
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
55
Teil auch deutlich, dass sich die gesetzgebenden bzw. gesetzesvorbereitenden Organe
des Allokationsproblems durchaus bewusst sind und dementsprechend Effizienzüberlegungen anstellen276, womit der Effizienzvorgabe partiell bereits nachgekommen
wird.
Der Gesetzgeber hat die Vorgabe der allokativ optimalen Steuerordnung in Abwägung
mit den anderen Steuergrundsätzen umzusetzen277. Dabei zeigen namentlich die Vorgaben der horizontalen Gleichmässigkeit und das Erfordernis der vertikalen Differenzierung zum einen sowie das tradierte Verständnis des Leistungsfähigkeitsprinzips
zum anderen dem Effizienzdenken Richtung und Schranken auf278. Die Implementierung eines Steueraufschubes auf gespartem Einkommen bis zum Zeitpunkt der
Sparauflösung oder des Austritts aus der Steuerpflicht, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen, scheint diesbezüglich eine taugliche harmonisierende Abwägung des Effizienzgedankens mit den klassischen Steuergrundsätzen: Ohne prinzipielle Abweichung
von der bestehenden Steuerordnung und deren Bindung an die klassischen Steuer-
276
277
278
„umgekehrt“ – auf die Schweizer Rechtsordnung übertragen werden. Anerkanntermassen kennt
das deutsche Grundgesetz keine Wirtschaftsverfassung im Sinne eines ordnungspolitisch geschlossenen Systems (Scholz, GG Kommentar, N 77 zu Art. 12). Gemäss Rechtsprechung (z.B.
BVerfGE 4, 7 [17 f.]; BVerfGE 30, 292 [317 f.]; BVerfGE 50, 290 [336 ff.]) und h.L. (Scholz,
GG Kommentar, N 77 zu Art. 12 GG, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG Kommentar, N 61 Einleitung; R. Schmidt, § 83 N 15 ff.; vgl. auch Vallender,
Wirtschaftsfreiheit, S. 28 ) ist das Grundgesetz wirtschaftspolitisch weitgehend offen. Anders –
man könnte fast sagen, mit umgekehrten Vorzeichen – stellt sich hingegen die Ausgangslage in
der Schweiz dar: Die Schweizer Wirtschaftsverfassung ist, wie eben erläutert wurde, geschlossener und enthält auch Zielrichtungen für und Vorgaben an den Gesetzgeber.
Nebst der bereits auf S. 49 f. angeführten Stelle sind z.B. auch die Überlegungen in der Botschaft
zur Reform der Unternehmungsbesteuerung (1997), S. 1175, aussagekräftig: „Insgesamt sollen
die Rahmenbedingungen für die schweizerische Wirtschaft und damit die Wachstumsaussichten
verbessert werden. Das Steuersystem stellt ein wesentliches Element dieser Rahmenbedingungen
dar. Die Höhe der Steuerbelastung einerseits und die Struktur der Steuersystems andererseits sind
von grosser Bedeutung für die Standortattraktivität eines Landes. Bei der Wahl der Produktionsfaktoren spielt deren steuerliche Belastung eine nicht zu unterschätzende Rolle. (...) Die Leistungserbringung der öffentlichen Hand hat in jedem Fall bestimmten Anforderungen zu genügen.
So sollen erstens die öffentlichen Aufgaben möglichst effizient, d.h. zu minimalen Kosten erbracht werden. Zweitens soll das Steuersystem idealerweise die wirtschaftlichen Entscheide von
Haushalten und Unternehmen nicht verzerren. Diesem Ideal kann in der Wirklichkeit kein Steuersystem vollumfänglich genügen. Das Ziel einer Steuerreform sollte jedoch sein, vorhandene Verzerrungen des Steuersystems möglichst zu beseitigen.“ Vgl. auch die Überlegungen auf kantonaler Ebene, unten, § 2 B. II. 4.4.2. bb), S. 60 ff.
Zur Abwägung/Optimierung oben, § 2 B II. 1., S. 32 inkl. FN 161.
Zu diesen inhaltlichen Vorgaben (Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) oben, § 2 B. II. 3., S. 37 ff.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
56
grundsätze wird durch die Massnahme eines Steueraufschubes – so die oben referierten Ansichten279 – ein allokativer Mehrwert erzielt.
Hinsichtlich der vorgenommenen Begründung der Effizienzanweisung an den Steuergesetzgeber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass unsicheres Terrain beschritten wird,
wenn wie vorliegend aus einzelnen Verfassungsideen Aussagen abgeleitet werden, die
nicht ausdrücklich niedergeschrieben sind, denen man dann aber normkonzipierenden
Grundsatzgehalt zuschreibt. Auch wenn konkret verschiedene Argumente für die aufgezeigte Effizienzanweisung sprechen, besteht allgemein die Gefahr, dass die Verfassung mit subjektiven Wertungswünschen gelesen280 und überstrapaziert281 und ihr
mehr entnommen wird, als sie gewähren will. Aus diesen Gründen wird vorgeschlagen, den demokratischen Diskurs zu beschreiten und zur Absicherung der erfolgten
Darlegungen auf politischem Wege zu prüfen, ob der Steuergesetzgeber an einen
Grundsatz der möglichst effizienten Besteuerung gebunden ist bzw. sein soll. Von der
Grundidee her sollte ein solcher Grundsatz den Gesetzgeber anleiten und wäre folglich
auf einer über dem Gesetz stehenden Stufe, konkret auf Verfassungsstufe, zu normieren. Es wird daher im Folgenden abgeklärt, ob aus rechtswissenschaftlicher Sicht eine
Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber überhaupt als Steuergrundsatz in die Verfassung aufgenommen werden kann.
4.4.
Ausdrückliche Verankerung in der Verfassung?
4.4.1. Grundsatzcharakter
Rechtsgrundsätze wirken in erster Linie programmatisch und stellen verbindliche
Richtlinien für den Gesetzgeber dar. Demgemäss bedürfen Rechtsgrundsätze der Konkretisierung und Entfaltung in der Gesetzgebung282. Die dargestellte steuerliche Effizi279
280
281
282
§ 2 II. B. 4.2., S. 43.
Zur Gefahr des Rechtssubjektivismus u.a. Lang, das Ethische, S. 9; vgl. auch Kruse, S. 1077.
Bzgl. Überstrapazierung der Konstitutivwirkung von Grundrechten: J.P. Müller, aBV Kommentar, N 24 Einleitung.
Larenz, S. 474; Larenz/Canaris, S. 302 f.; Canaris, S. 46 ff.; Esser, Grundsatz und Norm, S. 5 ff.;
Bydlinski, Methodenlehre, S. 132; Tipke/Lang, § 4 N 11; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 68 ff.
Zu den „rechtssatzförmigen Prinzipien“ u.a. Larenz, S. 479. Anzufügen ist, dass die genaue Definition dessen, was ein Prinzip (Prinzip und Grundsatz werden in dieser Arbeit synonym verwendet) ausmacht und insbesondere die Abgrenzung des Prinzips zur Norm in der Lehre umstritten
ist; dazu Alexy, Grundrechte, S. 72 ff. m.w.Nw. Siehe zu den Grundsätzen auch Senn, S. 108,
wobei jedoch anzumerken ist, dass sich gemäss heute herrschender Lehre ein Prinzip nicht mehr
durch dessen „generellen Charakter“ auszeichnet: Esser, Grundsatz und Norm, S. 51; Alexy,
Grundrechte, S. 73 inkl. FN 9.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
57
enzvorgabe, deren Herleitung von den das Gleichheitsgebot konkretisierenden Steuergrundsätzen abweicht, weist ebenfalls Grundsatzcharakter auf. Sie leitet den Gesetzgeber an in der Rechtsordnung, das heisst im Steuerrecht im Speziellen283, eine bestimmte Grundidee zur Verwirklichung zu bringen.
4.4.2. Verfassungswürde
Weiter ist zu prüfen, ob der steuerlichen Effizienzanweisung Verfassungswürde zukommt. Wenn auch der Verfassungsgeber – abgesehen von rechtsstaatlich-materialen
Schranken284 – grundsätzlich frei über den Verfassungsinhalt verfügen kann, ist er
durch faktische Verfassungsvorgaben und Einbindungen gebunden285 und es sind bestimmte „Erfahrungssätze, Ratschläge und unverbindliche Maximen“286 zu beachten.
In ihrer auf die Schweizer Rechtslage und das Schweizer Verfassungsverständnis abstellenden Untersuchung über die verfassungsrechtliche Verankerung von anerkannten
Besteuerungsgrundsätzen hat SYLVIA MARIA SENN nachstehende vier Kriterien entwickelt287, an denen sich der Verfassungsgeber in der Regel auszurichten hat. Dabei
betrifft das erste Kriterium die faktischen Schranken und die anderen drei stellen verfassungstheoretische Kriterien dar:
283
284
285
286
287
Dabei wird offensichtlich, dass es sich um einen lokalen Rechtsgrundsatz handelt. Siehe zur Begriffsabgrenzung lokales/globales Rechtsprinzip Eidenmüller, S. 464. Weil hier nur das Steuerrecht untersucht wird, können keine Aussagen darüber gemacht werden, ob und inwiefern Effizienz als ein weiter reichendes Rechtsprinzip der Schweizer Rechtsordnung zu verstehen ist.
J.P. Müller, aBV Kommentar, N 28 ff. Einleitung; ders., Elemente, S. 37 f.; ders., Materiale
Schranken, S. 195 ff.; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 56; Hangartner, Grundzüge, S. 218; siehe
dazu auch bereits oben, § 2 B. II. 1., S. 33 inkl. FN 165.
Grundlegend Häfelin, Verfassungsgebung, S. 128 f.: „Die Verfassung ist nicht frei machbar. Da
sie ihre Geltungskraft nicht von einer höheren Ordnung ableitet, hat die Verfassung um ihre Anerkennung und Wirksamkeit selbst besorgt zu sein. Das bedeutet, dass die Verfassungsgebung einerseits auf Realien, auf die sozialen und politischen Gegebenheiten, Rücksicht nehmen muss und
anderseits die bisherige Rechtsentwicklung, soweit sie noch lebendig ist, nicht unbeachtet lassen
darf. Realitätsbezogenheit und Anknüpfung an die Verfassungstradition sind wichtige Voraussetzungen für die Wirkungskraft der Verfassung. Beide schränken allerdings die Entscheidungsfreiheit des Verfassungsgebers ein.“ Vgl. auch Hesse, Kraft, S. 8 ff.; ders., Grundzüge, S. 18; J.P.
Müller, Soziale Grundrechte, S. 739; Schlussbericht (1973), S. 29; Imboden, S. 309 f.; siehe darüber hinaus auch Mösle, S. 14 f.; Senn, S. 75 f.
Eichenberger, Möglichkeiten, S. 11; G. Müller, Inhalt und Formen, S. 86 ff. und S. 107 ff.; siehe
auch Senn, S. 75.
Senn, S. 75 ff., mit eingehender Begründung und Herleitung der Kriterien.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
58
a) Anknüpfung an die Verfassungstradition
b) Wesentlichkeit, Wichtigkeit, Grundsätzlichkeit
c) Inhaltliche Bestimmtheit, Klarheit und Rechtsverbindlichkeit
d) Dauerhaftigkeit
In Anlehnung an SENN wird im Folgenden anhand dieser vier Kriterien beleuchtet, ob
ein Grundsatz der möglichst effizienten Besteuerung Verfassungsrang beanspruchen
kann.
a)
Anknüpfung an die Verfassungstradition (1. Kriterium)
Das Tradierte, das sich in der Vergangenheit als sachlich tauglich erwiesen hat und
dessen Sinngehalt weiterhin anerkannt ist, wird ein vernünftiger Verfassungsgeber
nicht abschneiden wollen288. Durch Anschluss an das Hergebrachte wird eine stetige,
stufenförmige Verfassungsentwicklung ermöglicht289 und die Implementation neuen
Rechts erleichtert290. Verfassungsschöpfung im bestehenden Staat tritt dementsprechend ein Erbe an und steht unter dem „Gewicht des Gewordenen“291. Die Verfassung
will „behalten und hegen, was als Traditionsgut teuer und als Erfahrungsgut bewährt
ist“292.
aa)
Bundesebene
In Bezug auf ein steuerliches Effizienzprinzip greift auf Bundesebene der Versuch eines Verfassungsanschlusses ins Leere. Wurden erst – und entgegen der ursprünglichen
Vorlage des Bundesrates293 – mit der auf 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Verfassungsrevision die „anerkannten“ Besteuerungsgrundsätze der Allgemeinheit der Be288
289
290
291
292
293
Eichenberger, Möglichkeiten, S. 5 f.; Senn, S. 78 f., m.w.Nw.
Senn, S. 78, mit zahlreichen weiteren Hinweisen.
Eichenberger, aBV Kommentar, N 70 Verfassungsrechtliche Einleitung; Senn, S. 78.
Imboden, S. 309; Senn, S. 79.
Eichenberger, Sinn, S. 220; Senn, S. 79; Ehrenzeller, Verfassungsreform, S. 976; vgl. auch Botschaft VE 96, S. 116 und S. 120.
Erläuterungen VE 95, S. 132; Anmerkungen VE 95, S. 71; Botschaft VE 96, S. 345 und S. 616
(Art. 118). Erst im Differenzbereinigungsverfahren wurde dem Ansinnen des Nationalrates nachgekommen und die inhaltlichen Besteuerungsgrundsätze in den Verfassungsentwurf aufgenommen: Amtl. Bull. NR, 6. Oktober 1998, S. 2036.; Amtl. Bull. StR, 1. Dezember 1998, S. 1163.
Dazu auch Senn, S. 283, mit umfassenden Nachweisen; Richli, Finanzverfassung, S. 65 f.; Locher, Verfassungsrecht, § 77 N 3 inkl. FN 9.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
59
steuerung, Gleichmässigkeit der Besteuerung und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ins formelle Bundesverfassungsrecht aufgenommen und war
ein Effizienzgrundsatz bislang auch bundespolitisch noch nicht in der Diskussion, ist
festzustellen, dass eine steuerliche Effizienzanweisung den Rahmen der Bundesverfassung sprengt. Leicht abgeschwächt werden kann diese Aussage jedoch durch die Gesetzgebungsrealität, die aufzeigt, dass bei der Steuergesetzgebung Effizienzüberlegungen miteinfliessen294, was darauf hindeutet, dass sich die gesetzgebenden bzw. gesetzesvorbereitenden Bundesorgane faktisch bereits einer steuerlichen Effizienzverpflichtung bewusst sind.
bb)
Kantonsverfassungen
Hinsichtlich Verfassungstradition ist aber der Blick nicht nur auf die Bundesverfassung zu richten, sondern es sind auch die kantonalen Verfassungen einzubeziehen, die
in wesentlichem Masse die Verfassungstradition des Schweizer Bundesstaates mitprägen295.
Bei Revisionen kantonaler Verfassungen erfolgt zumeist ein Prozess der „Textstufenentwicklung“, und der kantonale Verfassungsgeber nimmt durch das Bundesgericht
entwickeltes ungeschriebenes Verfassungsrecht, wissenschaftliche Entwicklungen
oder die gesellschaftliche und politische Diskussion auf und schreibt diese in der Verfassung nieder296. Dadurch widerspiegeln die kantonalen Verfassungen nicht selten
genauer als die BV die gelebte und auch aktuell legitimierte297 Verfassungswirklichkeit. Bei der jüngst erfolgten „Nachführung“ der BV wurde zwar der Anschluss an die
Verfassungswirklichkeit gesucht, bezüglich der Besteuerungsgrundsätze wurden hingegen „lediglich“ die vom Bundesgericht als Bundesverfassungsrecht anerkannten,
subjektive Rechte vermittelnden Steuergrundsätze (Legalitätsprinzip im Abgaberecht,
Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung, Besteuerung nach der wirt-
294
295
296
297
Siehe oben, § 2 B. II. 4.3.5., S. 54 f.
Häberle, Neuere Verfassungen, S. 355, spricht in diesem Zusammenhang vom „durchlässigen“
Bundesstaat.
Dazu grundlegend: Häberle, Textstufen, S. 555 ff.; ders., Neuere Verfassungen, S. 368 ff.; ders.,
Entwicklungsstufe, S. 436 f; siehe im steuerlichen Bereich auch Waldhoff, S. 307 und 342 f.
Zur Legitimation durch Gegenwartsbezug siehe auch Zippelius, S. 25.
60
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
schaftlichen Leistungsfähigkeit) verankert, womit der Rahmen einer „Nachführung“298
eingehalten wurde.
Bei den meisten der in den letzten Jahrzehnten totalrevidierten Kantonsverfassungen
zeigt sich aber ein fruchtbares Spriessen von darüber hinausgehenden, an den Gesetzgeber gerichteten Steuervorgaben. Bei diesen Kantonsverfassungen wird daher in
zweifacher Hinsicht eine neue „Textstufe“ betreten: Zum einen, da sie die bislang
höchstrichterlich gewährten individualrechtlichen Besteuerungsgrundsätze kodifizieren299. Zum anderen, weil weitergehend aus der aktuellen (politischen) Diskussion und
der Wissenschaft stammende Anregungen aufgenommen und zu verbindlichen Vorgaben an den Steuergesetzgeber300 ausgeformt wurden.
Aus optimal taxation-Perspektive ist in erster Linie der sinngemäss in fünf301 (totalrevidierten) Kantonsverfassungen niedergeschriebene Passus bedeutend, wonach die Besteuerung so zu erfolgen hat, dass „der Leistungswille der Einzelnen erhalten bleibt“.
Zusätzlich zu moralischen und gerechtigkeitsverpflichteten Aspekten, nämlich dass
der Fleissige nicht mit übermässigen Steuern „bestraft“ werden solle302, enthält diese
Formulierung auch ökonomische Aspekte. Das wird offensichtlich, wenn man die Folgen der Beeinträchtigung des Leistungswillens bedenkt: Vormals produktives Verhalten wird infolge der drohenden Besteuerung reduziert oder eingestellt, was nebst einem Entgang der Steuern auch das Sinken der volkswirtschaftlichen Produktivität zur
Folge hat. Mit anderen Worten, aus der Hemmung des Leistungswillens resultieren
Allokationsineffizienzen bzw. excess burdens. Ein dagegen anwirken fordert hingegen
298
299
300
301
302
Zum Begriff der Nachführung auch Botschaft VE 96, S. 45; zum Nachführungsauftrag ebenda, S.
115 ff.
Waldhoff, S. 307; Senn, S. 202
Z.B. § 119 Abs. 2 KV AG: „Die Steuern sind so zu bemessen, dass die gesamte Belastung der
Steuerpflichtigen mit Abgaben nach sozialen Grundsätzen tragbar ist, die Leistungsfähigkeit der
Wirtschaft nicht überfordert, der Wille zur Einkommens- und Vermögenserzielung nicht geschwächt wird und die Selbstvorsorge gefördert wird.“ Vgl. auch den inhaltlich fast gleichlautenden Wortlaut von Art. 60 Abs. 2 KV UR. Sehr ausführlich der Katalog in § 133 I KV BL: „Bei
der Ausgestaltung der Steuern sind zu beachten: a. die Grundsätze der Allgemeinheit, der Solidarität und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, b. die Erhaltung des Leistungswillens des einzelnen, c. die Schranken der Eigentumsgarantie und die Gesamtbelastung der Steuerpflichtigen
mit Abgaben, d. die Auswirkungen auf Wirtschaftsablauf und Wettbewerbsverhältnisse, e. die
Möglichkeit der Steuerflucht und der Verringerung des Steuersubstrates, f. die Gleichbehandlung
juristischer Personen, ungeachtet ihrer Rechtsform, unter Vorbehalt gesetzlicher Steuerbefreiung
in besonderen Fällen.“
§ 119 Abs. 2 KV AG; Art. 104 Abs. 2 KV BE; § 133 Abs. 1 lit. a KV BL; Art. 133 Abs. 1 KV
SO; Art. 60 Abs. 2 KV UR.
Vgl. dazu auch die oben dargestellten Überlegungen von Mill; § 1 B., S. 5.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
61
der dargelegte Verfassungspassus, der somit eine sachlich beschränkte Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber darstellt. Sachlich beschränkt insofern, als sich die
Vorgabe nur auf den Leistungsaspekt, das heisst den einkommens- und ertragssteuerlichen Aspekt, bezieht und allfällige Ineffizienzen bei der Besteuerung von nicht produktiven Sachverhalten (z.B. Konsumbesteuerung) ausser Acht lässt. Für den optimal
taxation-Ansatz ist des Weiteren § 133 I KV BL von hoher Relevanz303. Nebst der in
lit. b postulierten Forderung nach dem Erhalt des Leistungswillens wird der Gesetzgeber angewiesen, bei der Steuerausgestaltung zu beachten: lit. d „die Auswirkungen auf
Wirtschaftsablauf und Wettbewerbsverhältnisse“ und lit. e „die Möglichkeit der Steuerflucht und der Verringerung des Steuersubstrates“. Während lit. e implizit durch den
Effizienzgedanken geprägt ist, bringt ihn lit. d in aller Deutlichkeit zum Ausdruck und
stellt eine umfassende Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber dar304.
Ergänzend ist anzufügen, dass bei Kantonsverfassungs-Totalrevisionen vereinzelt auch
der Versuch unternommen wurde, fundamentale Reformen der Steuerordnung vorzunehmen, um die Erkenntnisse der Steuerwissenschaft inkl. der Optimalsteuertheorie
umzusetzen. So wurde zum Beispiel im Kanton St. Gallen von der Verfassungskommission diskutiert, eine sparbereinigte Einkommensteuer einzuführen. Aufgrund entgegenstehender zwingender Vorgaben des Bundesrechts wurde jedoch davon abgesehen305:
„Die Verfassungskommission hatte zu Beginn ihrer Beratungen in Betracht gezogen, eine
sparbereinigte Einkommensteuer, wie sie in der Rechtswissenschaft zur Zeit diskutiert wird,
zu ermöglichen. Danach könnte das Steuersubjekt auch das Gesparte abziehen, so dass nur
noch der Konsum besteuert würde. Eine solche sparbereinigte Einkommensteuer kann jedoch
der kantonale Gesetzgeber nicht selbständig einführen, weil das Steuerharmonisierungsgesetz
in Art. 9 die zulässigen Abzüge abschliessend bestimmt und dabei das Gesparte nicht als abzugsfähig anerkennt.“
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Effizienzvorgabe an den Steuergesetzgeber teilweise an die Verfassungstradition anknüpfen kann. Wohl fehlen auf
303
304
305
Die Materialien zeigen auf, dass diese Norm im Verfassungsrat unumstritten war und keine weiteren Diskussionen auslöste. Bezüglich der Steuergrundsätze konzentrierte sich die Diskussion
vielmehr auf eine Bestimmung, welche die prozentuale Begrenzung der Gesamtsteuerbelastung
vorsah. Diese Begrenzungs-Bestimmung wurde dann aber vom Verfassungsrat abgelehnt. Vgl.
dazu: Begleitbericht, S. 149; Dokumente 1980-82, S. 135
Lediglich die administrativen Kosten fanden keine eindeutige Berücksichtigung.
Botschaft und Entwurf KV SG, S. 372.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
62
Bundesebene entsprechende Verfassungsnormierungen, jedoch sind in den meisten
„modernen“ Kantonsverfassungen Einzelausprägungen des optimal taxation-Gedankens enthalten (Erhaltung des Leistungswillens) und in der Kantonsverfassung von
Basel-Land findet sich eine Rücksichtnahme auf allokative Auswirkungen der Besteuerung sogar ausdrücklich niedergeschrieben. Somit steht eine allfällige steuerliche
Effizienzvorgabe zwar nicht unter dem „Gewicht des Gewordenen“, stellt aber auch
keine willkürliche „Neuerung“ dar, sondern nimmt vielmehr das „im Werden Begriffene“ auf und sichert – gerade wenn im Verfahren der Verfassungsrevision darüber
abgestimmt wird – die aktuelle Legitimation der verfassungsmässigen Besteuerungsvorgaben.
b)
Wesentlichkeit, Wichtigkeit, Grundsätzlichkeit (2. Kriterium)
Die Rechtsordnung ist ein pyramidenförmiger Bau, der sich in verschiedene Stufen des
Rechts von unterschiedlicher Ranghöhe gliedert306. Zwischen den einzelnen Stufen besteht ein hierarchisches Verhältnis, indem die Akte einer höheren Stufe den Akten der
unteren Stufe gegenüber derogieren307. Die Stufenordnung der Rechtsetzungsformen
zeichnet die Rangfolge der Rechtsetzungsorgane nach, wobei sich im demokratischen
Rechtsstaat der Rang des Rechtsetzungsorgans nach dem Grad der demokratischen
Legitimation bestimmt308. Weil in einer demokratischen Rechtsordnung der Verfassungsgeber im Allgemeinen am stärksten demokratisch legitimiert ist309, nimmt dementsprechend die Verfassungskodifikation im Stufenbau der innerstaatlichen Erlasse
regelmässig den obersten Rang innerhalb der Rechtspyramide ein310.
Der obersten formalen Stufe und dem damit zusammenhängenden „höchsten Mass“ an
demokratischer Legitimation entspricht es, wenn die Normen dieser Stufe auch inhaltlich die obersten bzw. die grundlegenden, den Staat konstituierenden Normen bil-
306
307
308
309
310
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 11, m.w.Nw.; Senn, S. 84, m.w.Nw.
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 11, m.w.Nw.; Mösle, S. 35; Senn, S. 84, m.w.Nw. Hingegen ist
die derogative Kraft des Bundesverfassungsrechts gegenüber den Bundesgesetzen nicht durchsetzbar: Es greift das Anwendungsgebot von Art. 191 BV.
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 107; Mösle, S. 36.
In der Schweiz namentlich durch das obligatorische Verfassungsreferendum: Art. 140 Abs. 1 lit. a
BV bzgl. eidgenössischer Stufe und Art. 51 Abs. 1 BV hinsichtlich kantonaler Ebene.
Zum Verfassungsvorrang siehe auch Eichenberger, aBV Kommentar, N 26 ff. Verfassungsrechtliche Einleitung; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 34; Senn, S. 84, m.w.Nw.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
63
den311. Demzufolge sind in einer Verfassung die wichtigsten, wesentlichsten Normen
einer Rechtsordnung niederzulegen312.
Eine mathematisch genaue Definition dessen, was als das Wichtigste und entsprechend
als verfassungswürdiger Norminhalt zu qualifizieren ist, gibt es verständlicherweise
nicht313, und die Frage wird bis zu einem gewissen Grad auch immer Streitpunkt bilden314. Als Leitlinie schlägt GEORG MÜLLER fünf Gesichtspunkte vor, die zur Bewertung der Wichtigkeit einer Norm herangezogen werden können315:
1. Grösse des Adressatenkreises der Norm und Zahl der geregelten Sachverhalte
2. Intensität, mit welcher die Norm in Grundrechtspositionen eingreift
3. Bedeutung der Norm für das politische System
4. Finanzielle Auswirkungen der Regelung
5. Akzeptanz, mit welcher eine Norm bei den Betroffenen bzw. den
Stimmberechtigten oder im Parlament rechnen kann
Gemäss GEORG MÜLLER sind darüber hinaus bei der Unterscheidung, ob es sich um
eine wichtige Norm, die im Gesetz zu regeln ist, oder um eine wichtigste, in der Verfassung zu statuierende Norm handle, auch die Funktion der Verfassung sowie die
311
312
313
314
315
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 107 f.: „Eine Hierarchie der Rechtssetzungsformen ergibt sich
aber auch aus ihrem Inhalt und ihrer Funktion: An oberster Stelle stehen die Formen, welche die
wichtigsten, den Staat konstituierenden Normen enthalten. Auf einer nächsten Stufe folgen Formen, die wichtige Regelungen zum Gegenstand haben, auf der untersten schliesslich diejenigen,
deren Inhalt Bestimmungen von geringerer Bedeutung bilden. (...) Die Rechtsetzung kann ihre
politische Funktion nur erfüllen, wenn sichergestellt ist, dass über eine Rechtsnorm dasjenige Organ entscheidet, das hiezu demokratisch legitimiert erscheint. Dies setzt eine Einteilung der Normen nach ihrer Wichtigkeit und eine Zuordnung der so geschaffenen Normenkategorien (Rechtssetzungsformen) zu den verschiedenen Organen nach dem Grad ihrer demokratischen Legitimation voraus.“ Zur Korrelation von demokratischer Legitimation der Normsetzungsstufe und Bedeutung einer Norm auch G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 112; Expertenkommission Kompetenzverteilung (1995), S. 445 f.; Gesetzgebungsleitfaden (1995), S. 170 f.; Sägesser, S. 682 ff.;
Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, S. 21 f.; Seiler, S. 314 ff.
Vgl. auch Kägi, S. 59 ff. und S. 66 ff.; Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, S. 21 f., Seiler, S.
314 ff.; Mösle, S. 37 f.; Senn, S. 86; zur Grundsätzlichkeit der Verfassung auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 108 ff.
Senn, S. 87.
Eichenberger, aBV Kommentar, N 15 Verfassungsrechtliche Einleitung; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 109 ff.; Senn, S. 90 f., m.w.Nw. und S. 213.
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 111 ff.; ders., Rechtssetzungslehre, S. 112 f. Diese Kriterien
werden auch verwendet bei Senn, S. 87.
64
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Stellung und die Aufgaben des Verfassungsgebers mitzuberücksichtigen316. Zur Abklärung der Wichtigkeit einer Norm schlägt er demnach ein zweistufiges Vorgehen
vor317: Zunächst soll unter Anwendung der oben genannten Kriterien eruiert werden,
ob ein Norminhalt als wichtig bezeichnet werden kann. Anschliessend ist mit Blick auf
Funktion und Bedeutung des Verfassungsorgans die Feinausmarchung vorzunehmen
und das Wichtigste vom „lediglich“ Wichtigen zu trennen. Unter Anwendung dieses
zweistufigen Verfahrens wird nachstehend geprüft, ob eine steuerliche Effizienzvorgabe zu den wichtigsten, in der Verfassung zu regelnden Materien gehört.
Mit Bezug auf die Grösse des Adressatenkreises der Norm und Zahl der geregelten
Sachverhalte ist anzuführen, dass die Effizienzvorgabe die Steuerordnung betrifft und
sich daher auf sämtliche Steuerpflichtigen und alle mit diesen verbundenen steuerpflichtigen Sachverhalte auswirkt.
Die Relevanz für Eingriffe in Grundrechtspositionen ist ebenfalls zu bejahen. Zwar
greift die Effizienzanweisung nicht direkt in geschützte Grundrechtspositionen ein, sie
steht aber im Zusammenhang mit der in Eigentumsrechte eingreifenden Besteuerungsgewalt318. Befolgt der Gesetzgeber die Effizienzanweisung, kann dies zu Veränderungen an der Steuerordnung und einer damit einhergehenden Umstrukturierung steuerrechtlicher Eingriffe in Eigentumspositionen führen.
Hinsichtlich der Bedeutung der Norm für das politische System kann in Anlehnung an
den vorigen Punkt auch von der Regelungsintensität für das betroffene Gemeinwesen
gesprochen werden: Über fundamentale Fragen der Machtverteilung sollen nicht
Richter oder Verwaltung bestimmen319. Eine diesbezügliche Einteilung der in Frage
stehenden Effizienzanweisung scheint nicht eindeutig vorgenommen werden zu können. Da sie keine Neuzuweisungen von Steuer- oder anderweitigen Befugnissen beinhaltet, zudem sachlich einen auf Steuerangelegenheiten reduzierten Wirkungskreis
aufweist und auch inhaltlich durch vorgegebene Gerechtigkeitswerte beschränkt wird,
kann m.E. davon ausgegangen werden, dass sie nicht als grundlegender Eingriff in das
politische System eingestuft werden kann und sich aus dieser Warte die Verfassungsstufe nicht aufdrängt.
316
317
318
319
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 109; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 76; Senn, S. 86 f.
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 109.
Zum Verhältnis Eigentumsgarantie/Besteuerungsgewalt, insbesondere auch zur Berührung der
Bestandesgarantie durch Steuerforderungen, siehe u.a. G. Müller, aBV Kommentar, N 7 zu Art.
22ter; Groth, S. 116 ff. und S. 149 f.; Höhn, Schranken, S. 245 f.; Morandi, S. 160 ff.
G. Müller, Inhalte und Formen, S. 114.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
65
Anders sieht es wiederum aus, wenn man sich die finanziellen Auswirkungen der Regelung vergegenwärtigt. Ohne diesen Punkt weiter auszuführen, genügt ein Hinweis
darauf, dass es sich um eine für die gesamte Bundessteuerordnung relevante Bestimmung handelt und somit den Nerv der staatlichen Mittelbeschaffung trifft. Eine vermehrte Berücksichtigung von effizienzgerichteten Besteuerungsaspekten kann zu
überaus gewichtigen Umlagerungen von Finanzierungsströmen führen320.
Mit der Frage nach der Akzeptanz, mit welcher eine Norm bei den Betroffenen bzw.
den Stimmberechtigten oder im Parlament rechnen kann, ist der Gedanke verbunden,
dass das Umstrittene einer besonders starken demokratischen Legitimation bedarf und
daher gilt: Je umstrittener ein Regelungsgegenstand ist, desto höher muss die Regelungsstufe sein321. Der steuerliche Effizienzgedanke findet in einem Kanton (BL) generell und in mehreren anderen Kantonen in Einzelausprägungen bereits in der Verfassung Ausdruck und wird auch bei der Erarbeitung von Bundessteuergesetzen beachtet.
Politischer Widerstand gegen entsprechende Überlegungen, die sich immer innerhalb
des Rahmens der verfassungsmässig vorgegebenen Gerechtigkeitsziele bewegen, ist
nicht ersichtlich322. Es kann davon ausgegangen werden, dass es einem breit abgestützten Wunsch entspricht, auch allokative Folgen der Besteuerung zu berücksichtigen. Die Festlegung einer steuerlichen Effizienzvorgabe auf höchster Legitimationsstufe, das heisst in der Verfassung, scheint demgemäss unter dem Gesichtspunkt der
Akzeptanz bzw. der eventuell mangelnden Akzeptanz nicht zwingend erforderlich.
Als Zwischenbilanz lässt sich festhalten, dass unter Berücksichtigung der obengenannten Kriterien eine Effizienzanweisung an den Steuergesetzgeber zu den wichtigen
Normen gezählt werden kann. Insbesondere der breite Adressatenkreis der Norm, die
Betroffenheit in Grundrechtspositionen sowie die finanziellen Auswirkungen sprechen
dafür. Wird nun in einem zweiten Schritt der Grad der Wichtigkeit im Kontext der
320
321
322
Schätzungen über den welfare loss der Schweizer Einkommensteuer gegenüber einer sparbereinigten Einkommensteuer liegen nicht vor. Für die U.S.A. wird der welfare loss der Einkommensteuer gegenüber einer lump-sum tax unterschiedlich eingeschätzt. Je nach Modellannahmen gehen die Forscher davon aus, dass der welfare loss 2.5% bis zu 30% der gesamten Einkommensteuereinnahmen ausmache; Feldstein, S. 1 m.w.Nw. und S. 12 ff. mit eigener Studie, in der er
Steuereinsparungsmassnahmen (d.h. legale Steuervermeidung) mituntersucht und eben zu den
30% gelangt.
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 116 f.
Bezeichnend dafür ist, dass die bereits dargelegten Bestimmungen von § 133 Abs. 1 KV BL im
Prozess der Verfassungsgebung ersichtlicherweise nicht umstritten waren: Vgl.dazu oben, § 2 B.
II. 4.4.2., S. 61 inkl. FN 303.
66
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
Verfassungsfunktion und des schweizerischen Verfassungsverständnisses geprüft323,
ist vor Augen zu führen, dass die Verfassung entweder vorwiegend als „instrument of
government“ verstanden werden kann und folglich nur die organisatorischen Grundzüge regelt, das heisst kurz, knapp und offen ist324. Oder die Verfassung ist geschlossener und enthält „eine eingehende Regelung mit materiellen Grundentscheidungen,
Richtlinien für die Gesetzgebung, Umschreibungen der Staatsaufgaben usw.“325 Die
Bundesverfassung ist der zweiten Art zuzurechnen, da sie eine relativ hohe Regelungsdichte aufweist, „insbesondere wegen der Kompetenzausscheidung zwischen
dem Bund und den Kantonen und dem Misstrauen gegenüber dem einfachen Gesetzgeber, dem vielfach Ziele auferlegt oder Schranken gesetzt werden.“326 Die als Zielnorm327 zu qualifizierende steuerliche Effizienzvorgabe wäre demnach in der Bundesverfassung zu verankern. Das ergibt sich auch schon aus dem Gedanken, wonach Anweisungen an den Gesetzgeber in der höherrangigen Normstufe, d.h. in der Verfassung
festzulegen sind328.
Summierend kann geschlossen werden, dass eine steuerliche Effizienzvorgabe eine
wichtige Norm ist und im Lichte der Funktion der Schweizer Bundesverfassung zu den
„wichtigsten“ in der Verfassung zu regelnden Normen gehört.
323
324
325
326
327
328
Zu Verfassungsfunktion und Verfassungsverständnis vgl. G. Müller, Rechtssetzungslehre, S.
105 f., m.w.Nw.
G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105.
G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105.
G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105; vgl. auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 115, gegen ein
zu weites Verständnis der Geschlossenheit: „Will die Verfassung Grundordnung sein, so muss sie
eine gewisse Geschlossenheit aufweisen. Das bedeutet aber nicht, dass sie als ein geschlossenes
System verstanden werden kann.“; vgl. auch Eichenberger, aBV Kommentar, N 50 ff. Verfassungsrechtliche Einleitung. Eine genaue Zuteilung zu einem „Verfassungstypus“ kann selbstredend nicht vorgenommen werden und über genauere Ausformungen des Schweizer Verfassungsverständnis besteht auch Uneinigkeit. Vgl. dazu auch die gleich nachfolgenden Ausführungen zur
„Bestimmtheit“. G. Müller, Rechtssetzungslehre, S. 105, fügt ergänzend an, dass auch die Volksinitiative auf Partialrevision der Bundesverfassung (Art. 139 BV), welche oft der Durchsetzung
von Partikularinteressen dient, zur Aufnahme von Detailnormen führt. Zur Kritik an der Überladenheit der BV siehe auch die Nachweise bei Senn, S. 89.
Dazu FN 231, Breiter, S. 162, zitierend, wonach eine Zielnorm im Unterschied zur Staatszielbestimmung nur ein beschränktes Sachgebiet beschlägt.
Am Rande sei angemerkt, dass dies einen weiteren Grund dafür darstellt, dass die auf die deutsche
Rechtsordnung zugemünzte Aussage von Eidenmüller, S. 414 ff., das (allgemeine) Effizienzprinzip bzw. die ökonomische Theorie des Rechts sei in erster Linie als Gesetzgebungstheorie zu verstehen (vgl. oben, FN 228 und FN 275), nur bedingt auf die Schweizer Rechtslage übertragen
werden kann. Dem Gesagten zufolge müsste in der Schweiz die ökonomische Theorie des Rechts
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
c)
67
Inhaltliche Bestimmtheit, Klarheit und Rechtsverbindlichkeit
(3. Kriterium)
Bis etwa in die siebziger Jahre wurde in der herrschenden Lehre auch bzgl. Verfassungsnormen regelmässig grosser Wert auf Bestimmtheit, das heisst ein hohes Mass an
Determiniertheit und Gebundenheit der rechtsanwendenden Instanzen329, gelegt:
„Die Verfassung kann ihrer Funktion als normative Ordnung nur gerecht werden, wenn ihre
Sätze klar formuliert sind. Die inhaltliche Bestimmtheit und Klarheit entscheiden weitgehend
über das Mass, in dem die Verfassung ihre Ordnungsfunktion entfalten kann. Von unbestimmten Verfassungsnormen, welche sich widersprechende Auslegungen offen lassen, ist
keine ordnende Kraft zu erwarten. (...) Unklare Rechtssätze vermögen weder Grenzen zu ziehen noch Garantien zu bieten.“330
Es ist hingegen festzustellen, dass auch die Vertreter einer konservativeren Haltung
davon ausgingen, dass die Bestimmtheitsgrade von Verfassungsnormen variieren können und es teilweise sinnvoll ist, wenn sich der Verfassungsgeber in materiellen Fragen darauf beschränkt, lediglich Grenzen abzustecken und gewisse Richtlinien aufzustellen331. Im Zentrum der Unbestimmtheitsbedenken standen daher nicht einzelne
sachspezifische, materiell konkretisierbare Leitlinien, sondern vor allem allgemeine
Staatszielbestimmungen und programmatische Leitgrundsätze332. Insbesondere wirtschaftspolitische Staatszielbestimmungen waren Gegenstand heftiger Kritik. Es wurde
vorgebracht, sie seien Resultat der Unfähigkeit zu einer klaren Lösung und sie hätten
„ärmliche normative Kraft“333. Wie SENN aber hervorhebt, hat sich in der gegenwärtigen Verfassungstheorie mehrheitlich die Auffassung durchgesetzt, dass die Verfassung
des heutigen Lenkungs- und Leistungsstaates notwendigerweise Normen unterschied-
329
330
331
332
333
als eine „Verfassungsgebungstheorie“ aufgefasst werden, zumindest was die grundlegenden Normierungen anbelangt.
G. Müller, Inhalt und Formen, S. 87 FN 280; siehe auch Senn, S. 93 FN 183.
Häfelin, Verfassungsgebung, S. 105; siehe auch Meier-Hayoz, S. 313 ff.; Schlussbericht (1973),
S. 34 f.; Senn, S. 93, m.w.Nw.
Häfelin, Verfassungsgebung, S. 116 f. und S. 120.
Häfelin, Verfassungsgebung, S. 94 f., S. 106 ff.; Meier-Hayoz, S. 316 f.; siehe auch Senn, S. 94,
m.w.Nw.
So Huber, Aspekte, S. 23 ff.; vgl. auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 106.
68
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
licher normativer Dichte und Bestimmtheit aufweisen muss334. Ausgehend von einem
materiellen Verfassungsverständnis335 vertritt demnach die herrschende Lehre nunmehr die Ansicht, der Dynamik eines sich stets weiterentwickelnden Sozialstaates
könne der Verfassungsgeber nur unter Verwendung unterschiedlicher Normativstärken
und Normstrukturen begegnen336. Daher wird die frühere Skepsis und Zurückhaltung
gegenüber Zielbestimmungen und programmatischen Normen nicht mehr geteilt337.
Ebenfalls hat in der Lehre Beachtung gefunden, dass Rechtssätze nicht nur eine Streitentscheidungsfunktion, sondern darüber hinaus auch eine Entlastungsfunktion wahrnehmen, indem sie den rechtsanwendenden Instanzen einen Rahmen ziehen und „als
sinnkonstituierende Prämissen, nicht mehr als Themen fungieren“338. Da auch die programmatischen Normen diese Entlastungsfunktion erfüllen, gewinnen sie zusätzlich an
Legitimationsgehalt339.
Eine Effizienzvorgabe scheint kein Problem der mangelnden Bestimmtheit aufzuwerfen. Selbst bei den strengeren Kriterien der älteren Lehre dürfte eine genügende Bestimmtheit zu bejahen sein. Es handelt sich nicht um eine allgemeine Staatszielbestimmung oder einen allgemeinen Verfassungsleitsatz, sondern vielmehr um eine
sachlich beschränkte, genaue und klar operable Anweisung an den Gesetzgeber. Für
die Effizienzuntersuchungen stehen den gesetzesvorbereitenden bzw. -gebenden Organen die ökonomischen Wissenschaften zur Verfügung. Diesbezüglich ist denkbar, dass
sich verschiedene Theorien widersprechen, doch sollten doch gewisse Trends resp.
übereinstimmende Aussagen ermittelbar sein, die Mindestanleitungen für die Steuerausgestaltung bieten können340. Das Fortschreiten der ökonomischen Wissenschaften
und der Gewinn neuer Erkenntnisse verunmöglicht denn auch, Bestimmteres in der
Verfassung zu fixieren. Eine relative Offenheit gewährt in dieser Hinsicht den erforderlichen Freiraum, um flexibel neue Erkenntnisse gesetzgeberisch umzusetzen.
In diesem Zusammenhang wird auch ersichtlich, dass – soweit es um die programmatische Anleitungsfunktion geht – das Bestimmtheitsproblem nicht bei der Effizienz-
334
335
336
337
338
339
340
Senn, S. 227; Bericht Totalrevision (1985), S. 98; G. Müller, Inhalt und Formen, S. 133 ff., insb.
S. 138; Schmid, S. 315 ff.; Eichenberger, Sinn, S. 189 FN 44; Breiter, S. 253; Aubert, Constitution, S. 133.
Vgl. dazu auch Gut, S. 345 ff.; Waldhoff, S. 351 f.
Senn, S. 227, mit zahlreichen w.Nw.
Senn, S. 227, m.w.Nw.
Grimm, S. 498; vgl. auch G. Müller, Inhalt und Formen, S. 134; Senn, S. 227 f.
Senn, S. 228.
Vgl. auch Lang, Entwurf, N 351.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
69
vorgabe, sondern bei den gerechtigkeitsorientierten Besteuerungsgrundsätzen liegt.
Kann die ökonomische Analyse grundsätzlich nach wissenschaftlichen Methoden vorgenommen werden, fehlt hingegen bei der Beurteilung der Gerechtigkeitsverwirklichung ein entsprechendes Instrument. Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Umsetzung der vage gehaltenen Besteuerungsgrundsätze ist erheblich, und eine genaue Leitlinie fehlt. Wenn aber den anerkannten Besteuerungsgrundsätzen der Allgemeinheit
und Gleichmässigkeit der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit die genügende Bestimmtheit zugerechnet wird341, hat dies mit einem argumentum a maiore ad minus auch für die Effizienzvorgabe zu gelten.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass nebst den Steuergrundsätzen die einzelnen Steuerbefugnisse des Bundes mit einem im Vergleich zu anderen Regelungsbereichen hohen
Bestimmtheitsgrad in der Verfassung festgelegt sind342. Werden allfällige bedeutende
Änderungen in der Bundessteuerordnung vorgenommen, müssen sie demnach in der
Bundesverfassung verankert werden. Die Steuergrundsätze sind daher nicht isoliert zu
betrachten, sondern im Zusammenhang mit den weiteren, detaillierteren steuerrechtlichen Ausführungen des Verfassungsgebers. Mit anderen Worten ergibt sich ein höherer Grad an Bestimmtheit auf Verfassungsstufe, wenn in Beachtung der allgemeinen
Steuergrundsätze die Besteuerungsordnung konkretisiert wird. Sollte z.B. infolge von
neuen Erkenntnissen über effiziente Besteuerung eine wesentliche Steuerumstellung
erfolgen, bliebe es nicht allein bei der Effizienzvorgabe, sondern es würden noch bestimmtere und ausführende Steuernormen in der Verfassung aufgenommen.
d)
Dauerhaftigkeit (4. Kriterium)
Die Verfassung stellt eine auf Wesentlichkeit ausgerichtete Grundordnung dar und
sollte dementsprechend Beständigkeit aufweisen343. Beständigkeit sichert die Funktion
der Verfassung als „oberstes Gesetz“, trägt zu ihrem Ansehen344 bei und schützt das
Vertrauen in sie345. Die Verfassung „möchte keine Windfahne sein, vielmehr mit Sta-
341
342
343
344
345
So Senn, S. 223 ff., mit ausführlichen Darlegungen in Bezug auf die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Zu den Gründen oben, § 2 A. II. 1., S. 17.
Siehe auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112: „Grundsätzlichkeit und Dauerhaftigkeit sind miteinander verknüpft.“ Ebenfalls ist zu erwähnen, dass Dauerhaftigkeit in einem Spannungsverhältnis zur inhaltlichen Bestimmtheit stehen kann; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112.
Vgl. auch Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112.
Senn, S. 101, m.w.Nw.
70
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
bilität, Konstanz und Dauerhaftigkeit dem ohnehin labilen und vielfach gefährdeten
Gemeinwesen Sicherheiten verleihen.“346 Jedoch ist die Schweizer Bundesverfassung
nicht „heilig“ und „unberührbar“. Vielmehr ist sie durch ihre Revisionsmöglichkeiten
darauf angelegt, dem dynamischen Wandel der verschiedenen Gesellschafts- und
Umweltbereichen zeitgemäss zu antworten347 und dadurch ihre Grundwerte in einem
veränderten Umfeld angepasst zum Ausdruck zu bringen348.
Die Aufnahme der Effizienzvorgabe in die Verfassung ist mit Bezug auf die Dauerhaftigkeitsperspektive unproblematisch, da sie keine kurzlebige, aus Tagesaktualitäten
heraus geborene Norm verkörpert, sondern langfristig dazu dienen soll, die Besteuerung in eine bestimmte Richtung zu lenken.
4.4.3. Ausdrückliche Verankerung als Vorschlag
Die obenstehenden Ausführungen über Grundsatzcharakter und Verfassungswürde einer allfälligen steuerlichen Effizienznorm zusammenfassend, kann festgehalten werden, dass eine steuerliche Effizienznorm einerseits als (lokaler) Rechtsgrundsatz qualifiziert werden und bei gesamthafter Betrachtung der Kriterien hinsichtlich Verfassungswürde auch aufgrund verfassungstheoretischer Überlegungen in die Verfassung
aufgenommen werden kann. Den Kriterien der Wesentlichkeit und Dauerhaftigkeit
wird mit einer steuerlichen Effizienznorm Genüge getan und auch die Bestimmtheit
wird gewahrt. Ebenfalls kann der Traditionsanschluss teilweise erfolgen; immerhin
liegt ein beschränkter Anschluss an kantonale Verfassungen vor.
Nachdem gemäss obiger Argumentation eine steuerliche Effizienznorm auch aus
rechtstheoretischer Sicht in der Verfassung niedergelegt werden kann, steht dem bereits349 formulierten Vorschlag, zur Absicherung der Diskussion den demokratischen
Weg zu beschreiten, nichts mehr entgegen. Daher wird angeregt, per Verfassungsreferendum Volk und Ständen die Frage zu unterbreiten, ob sie der Verankerung einer
steuerlichen Effizienznorm in der Verfassung zustimmen. Denkbar ist entweder eine in
der Formulierung allgemein gehaltene Norm, die sich wie folgt in die BV integrieren
liesse:
346
347
348
Eichenberger, aBV Kommentar, N 65 Verfassungsrechtliche Einleitung.
Eichenberger, aBV Kommentar, N 65 Verfassungsrechtliche Einleitung; Häfelin, Verfassungsgebung, S. 112; Senn, S. 102.
Eichenberger, aBV Kommentar, N 65 Verfassungsrechtliche Einleitung.
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
71
Art. 127 BV
2
Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung, der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Grundsatz
der effizienzoptimalen Besteuerung zu beachten.
Oder eine ausgedehntere und auch konkretere Formulierung im Sinne von KV BL §
133 Abs. 1:
Art. 127 BV
2
Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze
der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der
Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu
beachten.
3
4
Bei der Ausgestaltung der Steuern sind zudem zu beachten: Die Erhaltung
des Leistungswillens des Einzelnen, die Auswirkungen auf Wirtschaftsablauf
und Wettbewerbsverhältnisse, die Möglichkeit der Steuerflucht und der Verringerung des Steuersubstrats sowie die Kosten der Erhebung.
Die interkantonale Doppelbesteuerung ist untersagt. Der Bund trifft die erforderlichen Massnahmen.
Abs. 3 beruht auf KV BL § 133 Abs. 1 lit. b, d und e, ergänzt um den Gedanken der
„Kosten der Erhebung“.
III. Konstitutivwirkung von Grundrechten
Die Grundrechte strahlen durch ihre sog. Konstitutivwirkung auf die ganze Rechtsordnung aus und lenken und begrenzen auch den Gesetzgeber bei seiner Tätigkeit350. Im
Bereich der Steuergesetzgebung sind in diesem Kontext in erster Linie die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV), die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV), die Ehefreiheit (Art.
14 BV) und die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) von Relevanz. Für die
fokussierte Fragestellung bezüglich einer Implementierung einer Sparbereinigung in-
349
350
§ 2 B. II. 4.3.5., S. 56.
Dazu bereits oben, § 2 B. II. 4.3.3.a), S. 49 f.
72
Teil I: Vordenker und verfassungsmässige Vorgaben
teressieren indes hauptsächlich die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie351.
Da die Konstitutivwirkung dieser Grundrechte bereits referiert wurde, kann an dieser
Stelle darauf verwiesen werden352. Ebenfalls kann auf die in jenem Zusammenhang
gemachten Ausführungen hinsichtlich positiver allokativer Auswirkungen der Sparbereinigng der Einkommensteuer verwiesen werden. Darüber hinaus ergeben sich bei einer Sparbereinigung noch weitere Berührungspunkte zur Wirtschaftsfreiheit und zur
Eigentumsgarantie. Aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsfreiheit ist zu bemerken, dass
durch die Sparbereinigung mehr Geld für investive Tätigkeiten verfügbar ist und dadurch die Voraussetzungen zur passiven Anlage wie aber auch zur Anlage in eigene
Unternehmungen oder in aktive Beteiligungen erheblich gefördert werden. Allgemein
ist zu erwarten, dass die Möglichkeit zur privatwirtschaftlichen Betätigung gesteigert
wird. Aus der Perspektive der Eigentumsgarantie ist vergleichbar hervorzuheben, dass
mehr Geld für Eigentumserwerb und -erhaltung zur Verfügung stehen wird und somit
die Voraussetzungen hinsichtlich Ausübung und Möglichkeiten der Eigentumsfreiheit
verbessert werden.
351
352
Mit Bezug auf die deutsche Rechtsordnung vgl. auch die Ausführungen von Dorenkamp, S. 65 ff.
zur allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und zur Eigentumsgarantie (Art. 14 GG).
Siehe oben, § 2 B. III., S. 71 ff.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Teil II:
Besteuerung
nach
Leistungsfähigkeit
der
73
wirtschaftlichen
§ 3 Das Leistungsfähigkeitsprinzip
A.
Verankerung im Schweizer Steuerrecht
Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist in der
Bundesverfassung ausdrücklich in Art. 127 Abs. 2 normiert353 und zusätzlich in zahlreichen Kantonsverfassungen354 verankert355. In der Schweizer Rechtsprechung blickt
der Grundsatz auf eine lange Tradition zurück356 und erfuhr wesentliche sachbezogene
Ausdifferenzierung357.
B.
Fundamentalprinzip gerechter Steuerlastverteilung
Gleichmässige Besteuerung bedarf eines Vergleichsmassstabes, an dem die Gleichbehandlung ausgerichtet werden kann358. Dabei geht es – getreu des Grundsatzes, wonach Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe
353
354
355
356
357
358
Einschränkend die auf alle drei normierten Steuergrundsätze bezogene Wendung „soweit es die
Art der Steuer zulässt“; dazu bereits oben, FN 150.
Vgl. dazu Senn, S. 197 ff.
Zur Normierung in ausländischen Kodifikationen vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 488 ff.
(wobei jedoch das angeführte Beispiel der frz. Menschenrechtserklärung von 1789 sich eher auf
die Äquivalenztheorie stützt; vgl. FN 207). Interessant ist, dass in Deutschland, wo die Lehre Wesentliches zur Entwicklung und Systematisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips hervorgebracht
hat, dieses nicht in der Verfassung niedergelegt ist, sondern von Rechtsprechung und Lehre als
normkonzipierender Grundsatz anerkannt ist. Dazu Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 491 f. und S.
71; Tipke/Lang, § 4 N 17 und N 81; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 125; BVerfGE, 2 BvR
400/98 v. 4.12.2002, N 50 ff.; BVerfGE, 2 BvR 443/01 v. 19.8.2002, N 75; BVerfGE 82, 60
(89 f.).
BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (103); BGE 114 Ia 221 (223 ff.); BGE 112 Ia 240 (243 ff.);
BGE 110 Ia 7 (13 f.); BGE 99 Ia 638 (651 ff.); BGE 84 I 77; BGE 38 I 341 (378); bereits vor der
Verankerung in der BV von 1999 anerkannte das Bundesgericht das Leistungsfähigkeitsprinzip –
zusammen mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung – als
Ausfluss des Gleichheitssatzes nach Art. 4 aBV.
Z.B. bzgl. der Ehegattenbesteuerung (BGE 120 Ia 329, in Distanzierung zu BGE 110 I a 7), der
Eigenmietwertbesteuerung (BGE 128 I 240; BGE 125 I 65; BGE 123 II 9; BGE 114 Ia 221) und
der Beachtung des Existenzminimums (BGE 122 I 101). Vgl. auch Grünblatt, S. 171 ff.
Siehe dazu bereits oben, § 2. B. II. 3., S. 40.
74
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln ist359 – nicht um eine absolute, sondern um
eine relative Gleichbehandlung360. Es hat somit nicht der Steuerbetrag gleich zu sein,
sondern die durch die Besteuerung hervorgerufene wirtschaftliche Belastung der Individuen361.
Bezüglich dieser geforderten relativen Gleichbehandlung greift das Leistungsfähigkeitsprinzip, das als zentraler Massstab der Steuerlastverteilung anerkannt ist362. Gemäss dem Leistungsfähigkeitsprinzip bemisst sich die Steuerbelastung nach den objektiv verfügbaren wirtschaftlichen Mitteln363 unter Berücksichtigung der persönlichen
Verhältnisse364. Nach allgemeiner Anschauung365 dient der Grundsatz der Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Verwirklichung des Postulats gerechter Besteuerung366. Der Grundsatz beruht auf einer „tief verwurzelten moralischen
Überzeugung“367 und resultiert aus einem längeren steuerlichen Evolutionsprozess, der
insbesondere die Entwicklung der Einkommensteuer mitgeprägt hat368. Das Leistungsfähigkeitsprinzip wird denn in der Lehre auch als sachgerechtes Fundamentalprinzip
des Steuerrechts bezeichnet369.
359
360
361
362
363
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365
366
367
368
369
Z.B. BGE 125 I 166 (168); BGE 124 II 193 (213); BGE 123 I 1 (7); Schweizer, BV Kommentar,
N 22 zu Art. 8, m.Vw. auf Aristoteles, Nikomachische Ethik.
Ossenbühl, S. 83 f.; Klein, S. 21; Leibholz, S. 245; vgl. auch Reich, Steuererhebungsprinzipien, S.
104; Senn, S. 151.
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104; Senn, S. 151.
Klett, Gleichheitssatz, S. 107; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 104. Die Entwicklung von der
bis Mitte des 19. Jahrhunderts dominierenden äquivalenztheoretisch begründeten Besteuerung
nach dem Gegenwert der staatlichen Leistungen hin zu einer Besteuerung nach der individuellen
Opfer- bzw. Leistungsfähigkeit wird u.a. dargelegt in: Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24 ff.
„Fähigkeiten“ ist ein Ausdruck für wirtschaftliche Mittel i.S.v. Einkommen, Ertrag, Vermögen
und Kapital: Mann, S. 125; vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 108.
BGE 122 I 101 (103); Klett, Gleichheitssatz, S. 129; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 16;
ders., Steuererhebungsprinzipien, S. 105; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 16 zu Art.
127.
Tipke/Lang, § 4 N 83 gehen davon aus, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip „weltweit und in allen
steuerwissenschaftlichen Disziplinen als Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung anerkannt“
ist. Vgl. dazu auch Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 488 ff.
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 479 ff.; Walz, S. 155; vgl. auch Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip,
S. 52; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 107 f.
Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10 m.Vw. auf Tipke, Steuerrecht, S. 31; Klett, Gleichheitssatz, S. 107.
Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10; Klett, Gleichheitssatz, S. 107.
Klett, Gleichheitssatz, S. 107; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 6 und S. 28; ders., Steuererhebungsprinzipien, S. 104; in der deutschen Lehre grundlegend u.a.: Tipke, Steuerrechtsordnung
I, S. 479 ff.; Tipke/Lang, § 4 N 13 und N 81 ff.; Senn, S. 191 f., m.w.Nw., auch auf abweichende
(deutsche) Minderheitsstimmen.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
C.
75
Geistesgeschichtlicher Hintergrund
Ab Ende des 18. Jahrhunderts führten verschiedene hauptsächlich mit der Aufklärung
verbundene Gedankenströmungen zu einer folgenreichen Umwälzung der Steuerideale. Die bis dahin vorherrschende äquivalenztheoretische Steuerbegründungs- und verteilungskonzeption370 wurde zunehmend durch die Vorstellung verdrängt, eine gerechte Besteuerung habe sich an der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
zu bemessen371.
Zum einen wurde im Schrifttum teilweise die progressive Besteuerung befürwortet mit
der Begründung, die Steuern hätten sich nicht allein an den objektiven Fähigkeiten von
Einkommen und Vermögen zu bemessen, sondern vielmehr seien auch die individuellen Bedürfnisse der Steuerpflichtigen mitzuberücksichtigen372. Demnach sei keine
Steuerfähigkeit unterhalb des Existenzminimums gegeben und dieses konsequenterweise steuerfrei zu belassen (indirekte Progression). Das darüber Hinausgehende sei
dann in der Weise zu besteuern, dass der mittlere Einkommens-/Vermögensbereich
tiefer belastet wird als das „überflüssige“ Luxuseinkommen. Mit anderen Worten bildete sich die Vorstellung über einen sinkenden Grenznutzen zusätzlicher Wirtschaftskraft heraus373.
Zum anderen kam die Forderung auf, die Besteuerung nicht mehr mit der gedanklichen Figur des Tauschgeschäfts im Sinne der Äquivalenztheorie zu begründen. Die
Steuerentrichtung wurde nicht länger lediglich als Entgelt für die staatliche Gewährleistung von Sicherheit und die Schaffung von beschränkten rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen zur Entfaltung der wirtschaftlichen Freiheit betrachtet. Verschiedene
Philosophen der Aufklärung postulierten die Ausdehnung der Staatstätigkeit auch auf
soziale Aufgaben und legten dadurch Grundsteine zur Entwicklung des sozialen
370
371
372
373
Zur Äquivalenztheorie und der damit eng verwandten Assekuranztheorie u.a.: Mann, S. 104 ff.
und S. 132; Ossenbühl, S. 22 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 21; Tipke/Lang, § 4 N 87.
Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 11; Oechslin, S. 35.
Zur Frühgeschichte der Progressionsforderungen: Mann, S. 263 ff. mit Hinweisen u.a. auf Montesquieu, Rousseau und Say. Vgl. auch Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10 ff.; Mann, S. 165 f.
und 268 f., hebt hervor, dass eine beschränkte Form der Progression, nämlich die Freilassung des
Existenzminimums (indirekte Progression), auch bereits im englischen Utilitarismus des 18. Jahrhunderts duch Bentham und Mill befürwortet wurde.
In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass bereits in den indischen Sanskrit-Gesetzen ausdrücklich die Idee des sinkenden Grenznutzens verankert und eine progressive Besteuerung vorgesehen war. Ebenfalls hätten im antiken Athen progressive Steuern existiert. Dazu: M. Huber, S.
3; Mann, S. 161. Zur Grundlage im Neuen Testament Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24 f.
76
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Rechtsstaats374. Dies kann unter anderem anhand von KANT aufgezeigt werden375, der
ausführte, der Staat habe für die Bedürftigen zu sorgen und deren Existenz zu sichern,
wobei die dazu notwendigen Finanzen durch Besteuerung zu erheben seien376. Das
Beitragen der Steuerpflichtigen zum Erhalt der Gesamtgesellschaft und die sich dadurch manifestierende soziale Verpflichtung kappte den der Äquivalenztheorie zugrunde liegenden, marktwirtschaftlich orientierten Gedanken des „do ut des“ von
Steuer und Staatsleistung (Tauschgeschäft). Die Steuer wurde nunmehr als ein nicht an
direkt zurechenbare Vorteile geknüpftes „Opfer“377 des Einzelnen zur Finanzierung
des Gemeinwesens verstanden. Konsequenterweise konnte vor diesem Hintergrund
auch das äquivalenztheoretische Steuerverteilungsmodell gemäss den objektiven Fähigkeiten nicht mehr herangezogen werden. Es sollte nicht die Gleichmässigkeit von
Steuer und Gegenleistung, sondern die Gleichmässigkeit der Belastungswirkung („Opfergleichheit“378) auf die Steuerpflichtigen ausschlaggebend sein und in Anlehnung an
374
375
376
377
378
Kant, Metaphysik der Sitten, S. 446 f.; Fichte, S. 16, S. 38 f. und S. 59 ff.; Rousseau, S. 187
(Band I, Kapitel 9); zu Rousseau auch Klett, Progressive Einkommenssteuer, S. 604; vgl. auch
Mann, S. 316 f. mit Verweis auf Wagner, S. 45 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12 f.;
Überlegungen zur Sozialpflicht des Staates finden sich ebenso bei den in der oberen Fussnote genannten Philosophen, wenn auch bei unterschiedlichen Vorstellungen über die Ausgestaltung der
Sozialaktivitäten.
Kant, S. 446: „Dem Oberbefehlshaber steht indirekt, d.i. als Übernehmer der Pflicht des Volks,
das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner (des Volks) eigenen Erhaltung zu belasten, als da
sind: das Armenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen, sonst milde, oder fromme Stiftungen genannt. Der allgemeine Volkswille hat sich nämlich zu einer Gesellschaft vereinigt, welche sich immerwährend erhalten soll, und zu dem Ende sich der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten. Von Staatswegen ist also die Regierung berechtigt, die Vermögenden zu nötigen, die Mittel der Erhaltung derjenigen, die es, selbst den notwendigen Naturbedürfnissen nach, nicht sind, herbei zu schaffen;
weil ihre Existenz zugleich als Akt der Unterwerfung unter den Schutz und die zu ihrem Dasein
nötige Vorsorge des gemeinen Wesens ist, wozu sie sich verbindlich gemacht haben, auf welche
der Staat nun sein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das Ihrige beizutragen.“
Haller, Steuern, S. 14 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24. Neumark, Steuer, S. 96, wandte
sich gegen die Bezeichnung der Steuer als „Opfer“ mit der Begründung, im Begriff des “Opfers”
liege ein Element der Freiwilligkeit, das in schroffem Gegensatz zur obligatorischen Natur der
Abgabe stehe. Ossenbühl, S. 89, weist darauf hin, dass auch bei Anerkennung der Argumentation
Neumarks die als Opfer benannte Sache bestehen bleibt. Vgl. auch Häuser, S. 16 ff., der darlegt,
dass aus historischer Perspektive eine klare Abgrenzung von Opfer und Steuer schwierig ist, da
schon seit der Frühzeit die Opferfreiwilligkeit meist nur beschränkt gegeben war und die Opfergaben auch für allgemeine, nicht direkt religiöse Dienste zugunsten des Gemeinwesens verwendet
wurden.
Die Steuerpflichtigen haben demgemäss ein gleiches relatives Steueropfer zu entrichten. Dazu
auch Haller, Steuern, S. 14 f. und S. 74 ff.; Ossenbühl, S. 87; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S.
24 f.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
77
die im oberen Abschnitt dargestellten Ideen rückte die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Massstab gerechter Steuerbelastung in den Mittelpunkt379.
Die sozial verpflichtete, opfertheoretische Steuerbegründung und die Bemessung nach
der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts zu den prägendsten Ideen im steuerwissenschaftlichen Schrifttum. In der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermochte sich das Leistungsfähigkeitsprinzip definitiv als eigenständiges Prinzip zu etablieren380 und fand weitere Ausdifferenzierung.
So erfolgte, wie unten noch dargestellt wird381, eine überaus intensive Auseinandersetzung mit der Frage nach den geeigneten Indikatoren der individuellen Leistungsfähigkeit. Auch wurde die Vorstellung vom sinkenden Grenznutzen näher beleuchtet und
angestrebt, Grundlagen zur Nutzenmessung zu erarbeiten, die einer wissenschaftlichen
Untermauerung der Steuerprogression dienen sollten382. Bedeutungsvoll war darüber
hinaus, dass Schrifttum und Politik zum Teil die Steuerprogression losgelöst von fiskalischen Zielsetzungen als sozialpolitisches Mittel zur Vermögensumverteilung einsetzen wollten383.
379
380
381
382
383
Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 21 f.; vgl. dazu auch Reich, Steuererhebungsprinzipien, S.
118; Oechslin, S. 35.
Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 24.
§ 5 B. II., S. 93 f.
Gewichtig waren u.a. die Wiener Grenznutzenschule (u.a. Sax und von Wieser) und die darauf
aufbauende schwedische Schule (u.a. Wicksell und Lindahl), die den bereits im ersten Gossenschen Gesetz zum Ausdruck kommenden sinkenden Grenznutzen mit Bezug auf das Einkommen
untersuchten und Nutzenkurven hinsichtlich des Einkommens entwickelten. Vertreter der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (die vorgenannten Schulen befürworteten
die sog. Wahlhandlungstheorie, eine moderne Form der Äquivalenztheorie; dazu Ossenbühl, S.
34 ff.) griffen diese Überlegungen auf und versuchten, sie zur Bemessung der Opfergleichheit bei
variierenden Einkommen zu verwenden, um gestützt darauf die Steuersatzausgestaltung bei Steuerprogression zu bestimmen. Zu nennen sind diesbezüglich u.a. Neumann, Wagner, Schäffle und
Meyer. Siehe zu den genannten Schulen und der Rezeption durch Anhänger der Leistungsfähigkeitsbesteuerung: Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 25 m.w.Nw. und den einschlägigen Literaturangaben.
In der Finanzwissenschaft grundlegend: Wagner, S. 383 ff. Vgl. auch Mann, S. 314 ff., mit Hinweisen auf Schäffle und Frantz. Nicht nur in der wissenschaftlichen Untersuchung, ebenfalls in
der Politik kam Deutschland hinsichtlich sozialpolitisch motivierter Besteuerung eine Pionierrolle
zu. Es war v.a. die Sozialdemokratische Partei, die aus redistributiven Gründen die Steuerprogression forderte, aber unter dem Einfluss von Industrialisierung und Proletarisierung des
19. Jahrhunderts wuchs auch die gemässigte Befürwortung in bürgerlichen Kreisen. Vgl. Mann, S.
303 f. und S. 315. (Ders., S. 284 ff. und S. 298 f., führt aus, dass bei den kommunistischen Ideen
von Marx und Engels die Steuerprogression, ja die Steuerpolitik überhaupt, nicht im Vordergrund
stand. Lediglich zur Destabilisierung der Bourgeoisie und als Mittel zur Umwälzung wurde eine
stark progressive Besteuerung gefordert.) Gegen die sozialpolitisch-redistributive Zielsetzung
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
78
§ 4 Relevanz des Leistungsfähigkeitsprinzips für einen
Steuerwechsel
A.
Fragestellung
Ist das Leistungsfähigkeitsprinzip das Fundamentalprinzip der Steuerordnung, stellt
die Frage, wie sich eine sparbereinigte Einkommensteuer mit ihm verträgt, offensichtlich die Kernfrage dieser Arbeit dar. Es ist diesbezüglich nicht nur eng danach zu fragen, ob und in welcher Form eine sparbereinigte Einkommensteuer mit dem direkt justiziablen verfassungsmässigen Recht auf Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vereinbar ist. Vielmehr ist weitergehend und unter Berücksichtigung
der Grundwertungen des Leistungsfähigkeitsprinzips zu untersuchen, inwiefern dieses
als Rechtsprinzip anleitend für die Ausgestaltung und Feinbestimmung einer sparbereinigten Einkommensteuer wirkt.
Jedoch tritt bei dieser Fragestellung eine in dieser Hinsicht problemverursachende Eigenschaft des Leistungsfähigkeitsprinzips, nämlich dessen geringer Bestimmtheitsgrad, zutage. Es fällt aufgrund der mangelnden Bestimmtheit schwer, einen operablen
Aussagegehalt aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu gewinnen, anhand dessen sich
die Vereinbarkeit beurteilen und eine prinzipiengeleitete Ausgestaltung der sparbereinigten Einkommensteuer vornehmen liesse. In den nachfolgenden Abschnitten wird
daher zunächst näher auf die Bestimmtheitsproblematik eingegangen. Anschliessend
werden die Konsequenzen für die weitere Vorgehensweise gezogen.
B.
Unbestimmtheit des Leistungsfähigkeitsprinzips
„Ja, kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?“
LUDWIG WITTGENSTEIN384
384
meldeten sich aber auch kritische Stimmen. Illustrativ die bei Wackernagel, S. 437, wiedergegebene Kritik aus den Schweizer „Progressionsursprüngen“ (vgl. auch Klett, Progressive Einkommensteuer, S. 603 FN 20): Als in den parlamentarischen Vorberatungen zu der in Basel Stadt
1840 infolge desolater Finanzlage eingeführten allgemeinen, progresssiv ausgestalteten Einkommensteuer zugunsten der Progression angeführt wurde, der Staat müsse zur Deckung des Finanzbedarfs jene in Anspruch nehmen, die zahlen könnten, rief ein Ratsmitglied aus, dies sei die Sprache eines Räuberhauptmannes.
Wittgenstein, S. 280.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
79
Der Einwand, das Leistungsfähigkeitsprinzip sei unbestimmt, begleitet diesen Grundsatz schon seit dessen Anfängen und bildet den Haupteinwand, der gegen ihn vorgebracht wird:
„Die Leistungsfähigkeit aber an sich ist vorerst ein leerer Begriff, mit dem man ohne nähern
Inhalt nichts thun kann, man mag ihn drehen und wenden wie man will. Was der Einzelne zu
einem bestimmten Zwecke beitragen könne, darüber gibt es so viele Urtheile, als es Menschen gibt. Das Princip der Beitragsfähigkeit lässt nur eine Auflösung zu: nimm, wo es geht;
dieser und jener kann schon noch etwas zahlen.“385
Dieser vielzitierte Ausspruch von GUSTAV SCHMOLLER aus dem Jahr 1863 zeigt den
Kern der Unbestimmtheitskritik auf, die bis heute geübt wird. In der jüngeren Literatur
sind es unter anderen LITTMANN386, PAHLKE387 und OBERSON388, die hauptsächlich
bemängeln, das Leistungsfähigkeitsprinzip sei zu vieldeutig und lasse keine konkrete
Schlüsse zu389. Mehrheitlich wird jedoch das Leistungsfähigkeitsprinzip in der Lehre
anerkannt, wenn auch allgemein zugestanden wird, dass es nicht sehr bestimmt ist.
Unbestimmtheit liegt allerdings in der Natur jeden Rechtsprinzips390 und das Leistungsfähigkeitsprinzip ist eher weniger unbestimmt als viele andere Rechtsprinzipien391. Zur Unbestimmtheit von Rechtsprinzipien und in Erwiderung auf das oben angeführte Zitat von SCHMOLLER sei daher die treffende Feststellung von BYDLINSKI
wiedergegeben:
„Im Bedarfsfall pflegen freilich orthodoxe Rechtspositivisten (...) zu grosse Vagheit und Allgemeinheit der (...) auffindbaren rechtsethischen Prinzipien ins Treffen zu führen, soweit sie
deren positive Existenz nicht zu leugnen vermögen. Daran ist richtig, dass diese Prinzipien
umso allgemeiner und daher vager sein müssen, je fundamentaler und universaler sie zugleich sind. Daran (...), dass sie (...) in jeder Sozietät (...) weithin (...) konkretisiert werden
müssen, um den normativen Orientierungsbedarf ihrer Mitglieder zureichend zu befriedigen,
385
386
387
388
389
390
391
Gustav Schmoller, zitiert nach Pohmer/Jurke, S. 454; vgl. auch Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip,
S. 23; Senn, S. 161.
Littmann, S. 113 ff.
Pahlke, S. 42 ff.
Oberson, Capacité Contributive, S. 125 ff.
Vereinzelt wird zudem vorgebracht, hinter dem Leistungsfähigkeitsprinzip und der damit zu begründen versuchten Steuerprogression verberge sich in erster Linie eine auf Umverteilung und
wirtschaftliche Nivellierung abzielende Sozialpolitik: Leisner, S. 97 ff.
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 492; Birk, Theoriediskussion, S. 296; Larenz/Canaris, S. 161;
Senn, S. 163.
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 492.
80
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
kann kein Zweifel bestehen (...) Das schliesst aber nicht aus, dass auch allgemeine Prinzipien
einen gewissen Aussageinhalt aufweisen und daher (...) determinierend wirken können (...).
Was einem an Aussagen anderer nicht passt, mit Überlegenheitsanspruch als „Leerformel“ zu
erklären, auch wenn man zur Lösung bestimmter Probleme selbst nichts Besseres anzubieten
hat, ist demgegenüber eine (...) untaugliche Diskussionsstrategie.“ 392
Dementsprechend sind Rechtsprinzipien typischerweise unbestimmt, aber bestimmbar393. Der universale Prinzipiencharakter muss inhaltlich ausdifferenziert und auf
engere Rechtsbereiche und -verhältnisse bezogen werden. Das heisst, das Leistungsfähigkeitsprinzip bedarf seinem abstrakten Prinzipiencharakter gemäss der konkretisierenden Entfaltung394.
C.
Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips
Hinsichtlich der Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist von einer nachvollziehbaren Grundwertung („Steuerbelastung nach den objektiv verfügbaren Mitteln
unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse“) auszugehen, die einer rechtsethisch angeleiteten Strukturierung des Steuerrechts dient395 und zu der es gemäss den
Worten von TIPKE/LANG „keine Alternative eines geeigneten Prinzips, sondern nur die
Alternative fundamentaler Prinzipienlosigkeit gibt.“396
Es ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, die vorgegebene Grundwertung aufzunehmen und in der Steuerordnung zu konkretisieren397. Weil der Grundsatzgehalt
392
393
394
395
396
397
Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 12 f.; u.a. auch zitiert bei Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 492 f.
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; vgl. auch Lang, Bemessungsgrundlage, S. 125: „Es entspricht dem Rang und der Natur einer fundamentalen Wertaussage, dass sie vieldeutig ist.“
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 52; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 28; vgl. zur Prinzipienentfaltung auch Larenz/Canaris, S. 161; Bydlinski, Methodenlehre, S. 132; Esser, Grundsatz und Norm, S. 39 ff.
Tipke/Lang, § 4 N 83; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 479 ff.; Lang, Bemessungsgrundlage, S.
125; vgl. auch Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 28: „Der Grundsatz der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht heute in seinen wesentlichen Aussagen der allgemeinen Rechtsanschauung und hat sich in den Einkommensteuergesetzen als Fundamentalprinzip
durchgesetzt, so dass er einen ungleich stärkeren normativen Gehalt aufweist als das Rechtsgleichheitsgebot, aus dem er abgeleitet wird.“ Vgl. auch die Argumentation von Walzer und Hirt,
wonach die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auch bei Anwendung eines Entscheidungsverfahrens vom Rawlsschen Typ (“veil of ignorance“) gewählt würde; Walzer, S. 108 ff.; Hirt, S.
17 ff.
Tipke/Lang, § 4 N 83; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 479 ff.
Vgl. u.a. Canaris, S. 16; Larenz/Canaris, S. 161; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; vgl. auch
Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 98 f., der in Anlehnung an J.P. Müller, Einleitung, N 40 f.,
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
81
der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit relativ offen ist, kommt
dem Gesetzgeber bei der Konkretisierung ein erheblicher Gestaltungsfreiraum zu398,
den er in der Regel und idealerweise unter Beachtung der jeweils im betreffenden Gemeinwesen geltenden Auffassungen über gerechte Besteuerung ausübt399.
Hinsichtlich der Aussage, in erster Linie habe der Gesetzgeber die Konkretisierung des
Leistungsfähigkeitsprinzips vorzunehmen, ist anzumerken, dass gemäss Schweizer
Rechtsordnung dadurch nicht nur der einfache Gesetzgeber, sondern ebenfalls der
Bundesverfassungsgeber erfasst wird: Aufgrund der auch die Besteuerungsbefugnisse
betreffenden Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen (Art. 3 BV) darf
der Bund nur jene Steuern erheben, die ihm die Bundesverfassung zuweist400. Dabei
bedient sich der Verfassungsgeber bei der Formulierung und inhaltlichen Konkretisierung der Kompetenznormen unterschiedlicher Normtypen401. In der Bundesverfassung
sind die Steuerarten, damit verbunden in Grobform auch meist Steuerobjekt und Steuersubjekt, sowie bei den Mehrwertsteuern zusätzlich die vom Steuerobjekt abweichende Berechnungsgrundlage402 und ausserdem bei den bedeutendsten Steuern die
zulässigen Höchstsätze festgelegt. Dadurch werden bereits auf Verfassungsstufe dem
Leistungsfähigkeitsgedanken erste Konturen verliehen.
Bei der Konkretisierungsarbeit wird der Gesetzgeber sekundiert durch Rechtsprechung403 und Lehre404: Im Rahmen der ihr zugewiesenen Befugnisse sichert die Recht-
398
399
400
401
402
403
404
vom „programmatischen Gehalt“ spricht. In diesem Zusammenhang unterscheidet Birk zwischen
zwei Konkretisierungsstufen im gesetzgeberischen Prozess: Den Primärableitungen, die noch
Grundwertungen darstellen und den Sekundärableitungen, welche aufbauend auf die Grundwertungen Einzelwertungen zum Ausdruck bringen. Vgl. mit weiteren Ausführungen, Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 54 ff.; siehe auch Lang, Bemessungsgrundlage, S. 14 ff.
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 54; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 18; vgl. auch BGE 126 I 76 (78 f.); BGE 122 I 101 (105); BGE 114 Ia 221
(224 und 231 f.); Alexy, Verfassungsrecht, S. 28 ff., spricht bei Grundrechten in diesem Zusammenhang vom „normativen epistemischen Spielraum“; ders., a.a.O., S. 33: „Normative Erkenntnisspielräume betreffen direkt den materiellen Gehalt der Verfassung. Ihre Existenz heisst, dass
der durch die Verfassung direkt Gebundene bis an die Grenzen des Spielraumes selbst über den
Inhalt der Bindung entscheiden darf.“
Ossenbühl, S. 91, m.w.Nw.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 53; Senn, S. 163, m.w.Nw.
Dazu oben, § 2 A. II. 1., S. 17.
Vallender, Besteuerungsbefugnisse, S. 25.
Art. 130 Abs. 1 i.V.m. Art. 196 Ziff. 14 lit. f ÜbBst. zu Art. 130 BV.
Auf diese „Sekundierung“ des Gesetzgebers durch die Rechtsprechung weisen u.a. hin: Larenz/Canaris, S. 161; Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493.
Siehe Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 493, der die „geistige Unterstützung“ des Gesetzgebers
durch Wissenschaft (und Rechtsprechung) hervorhebt.
82
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
sprechung zum einen die Durchsetzung der gesetzgeberischen Entscheide gegenüber
den rechtsanwendenden Behörden. Zum anderen hat sie den (kantonalen405) Gesetzgeber in die „Leistungsfähigkeitsschranken“ zu weisen, wenn er Bestimmungen erlassen
hat, die aus der Perspektive der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als unhaltbar und willkürlich erscheinen406. Dabei veranschaulicht die Rechtsprechung den Gehalt des Leistungsfähigkeitsprinzips, setzt ihn verbindlich durch und
nimmt fallbezogen eine nähere (Teil-)Bestimmung vor.
Die Lehre unterstützt die Rechtsprechung bei der Auslegung der leistungsfähigkeitsorientierten Vorgaben des Verfassungs- und Gesetzgebers. Zudem trägt sie durch ihre
Entdeckungs- und Antriebsfunktion407 dazu bei, dem Gesetzgeber aufzuzeigen, wie
das Leistungsfähigkeitsprinzip und die geltenden Auffassungen über Steuergerechtigkeit effektiv und effizient in der Gesetzgebung umgesetzt werden können.
D.
Methodische Konsequenz
Als Konsequenz wird im Folgenden näher beleuchtet, wie sich die sparbereinigte Einkommensteuer mit den Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips insbesondere im Einkommensteuerrecht verträgt. Für die Beurteilung eines Wechsels zur sparbereinigten Einkommensteuer werden daher die in diesem Kontext relevant erscheinenden Grundregeln der leistungsfähigkeitsgebundenen Steuerlastverteilung im Einkommensteuerrecht herausgeschält. Anhand dieser Grundregeln – sie können auch als
Subprinzipien der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bezeichnet werden – wird geprüft, ob eine sparbereinigte Einkommensteuer mit ihnen
vereinbar ist und inwiefern die vorgefundenen Konkretisierungen Vorgaben für eine
Feinausgestaltung der sparbereinigten Einkommensteuer bieten.
Mit Bezug auf die Identifizierung der Leistungsfähigkeitskonkretisierungen im Steuerrecht ist anzumerken, dass die Gefahr einer irreführenden Tautologie nahe liegt, wenn
angenommen wird, es würden alle Regeln der Steuerlastverteilung Ausflüsse des Lei-
405
406
407
Auf Bundesebene greift diesbezüglich das Anwendungsgebot von Art. 191 BV; Bundesgesetze
können demgemäss vom Bundesgericht nicht aufgehoben werden.
Vgl. u.a. BGE 124 I 145 zur Eigenmietwertbesteuerung; BGE 110 Ia 7 zur Ehegattenbesteuerung,
wobei wohl festgehalten wurde, dass die angefochtene Bestimmung Art. 4 aBV verletze, die Bestimmung aber nicht aufgehoben wurde, weil „sich die Rechtsgleichheit (...) nur durch eine positive Gesetzesänderung erreichen lässt“ (anzufügen bleibt, dass sich das Bundesgericht in BGE
120 Ia 329 in wesentlichen Zügen von BGE 110 Ia 7 distanzierte).
Vgl. auch Canaris, S. 72 f.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
83
stungsfähigkeitsprinzips darstellen, weil der Gesetzgeber grundsätzlich an das Leistungsfähigkeitsprinzip gebunden sei. Auch wenn aus den Materialien ersichtlich ist,
dass sich Verfassungs- bzw. Gesetzgeber vom Leistungsfähigkeitsgrundsatz leiten lassen408, finden sich aus verschiedenen Gründen im Schweizer Steuerrecht diverse
Durchbrechungen des Leistungsfähigkeitsprinzips in unterschiedlichen Intensitätsstufen. Eine Darstellung von Leistungsfähigkeitskonkretisierungen, wie sie nachstehend
sachlich begrenzt vorgenommen werden soll, erfolgt daher unausweichlich mit einer
bestimmten „Leistungsfähigkeitsbrille“409 und ist durch sie zu prüfen. Der Vorgang
kann in Abwandlung einer berühmten Formulierung von Engisch beschrieben werden
als ein „Hin- und Herwandern des Blicks“410 zwischen dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den in Betracht gezogenen Ausgestaltungen der Steuerordnung, wobei die Auffassung über den Grundsatzgehalt wie
auch die Auswahl und Beleuchtung der in Betracht zu ziehenden Ausgestaltungen der
Steuerordnung vom Vorverständnis411 des Autors mitbeeinflusst werden und sich gestützt darauf zu überprüfende Sinn-Erwartungen bilden412. Kann die in Betracht gezogene Norm bzw. Normgruppe als mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar qualifiziert werden, wird dieses wiederum durch die Norm konkretisierend beschrieben und
408
409
410
411
Z.B. Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 432 f.; Botschaft
Art. 42bis BV (1915), S. 156 ff.
Bzgl. des Ausdrucks „Brille“ Anlehnung an Aubert, Traité, S. 615 N 1717 und Kaufmann, S. 165,
wobei der Ausdruck von den erwähnten Autoren jedoch mit Bezug auf die Kognitionsbefugnis
des Bundesgerichts verwendet wird.
Herauszustreichen ist, dass diese Formulierung einem anderen Kontext entstammt: Engisch, S. 15,
mit Bezug auf den Untersatz des juristischen Syllogismus, d.h. die Zuordnung eines bestimmten
Sachverhalts zu einer Rechtsnorm (zur eher zurückhaltenden Verwendung des Begriffes „Subsumtion“ vgl. Larenz/Canaris, S. 93 ff.). Larenz/Canaris, S. 27 ff., machen aber auch deutlich,
dass das „Hin- und Herwandern des Blicks“ und die damit verbundene „wechselseitige Erhellung“ des einen durch das andere in der Jurisprudenz als allgemeiner hermeneutischer Prozess,
d.h. nicht nur bezüglich des Untersatzes des Syllogismus, von grosser Bedeutung ist. Zusätzlich
stellen Larenz/Canaris, S. 28, heraus, dass dabei das Bild eines „hermeneutischen Zirkels“ nicht
genau ist, da „die Kreisbewegung des Verstehens nicht einfach an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt – dann würde es sich um eine Tautologie handeln – (...)“, sondern das Verständnis „auf eine
neue Stufe hebt“. Treffender ist es daher, von einer „hermeneutischen Spirale“ zu sprechen; vgl.
dazu Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S. 84 m.Vw. auf Hassemer, S. 107 f.; vgl. auch
Vallender, Erkenntnis, S. 78 f. Zum hermeneutischen Zirkel siehe auch: Heidegger, S. 152 ff.;
Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 250 ff.
Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S. 66; Vgl. auch Larenz/Canaris, S. 29 f., m.Vw. auf Gadamer, Wahrheit und Methode, S. S. 250 ff.; dazu auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl
in der Rechtsfindung. Zur „Bewusstmachung“ des Vorverständnisses: Vallender, Auslegung des
Steuerrechts, S. 83 und S. 85, m.Vw. auf Gadamer, Kleine Schriften I, S. 127.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
84
besitzt vermehrte Aussagekraft bei der Untersuchungen weiterer Normen. Nachfolgend werden nur die Auswahlergebnisse mit Hinweis auf Grund der Übereinstimmung
mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip aufgeführt, auf den Auswahlprozess wird nicht
weiter eingegangen.
§ 5 Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer
A.
Ausgangsmodell
I.
Grundskizze
Es war, wie bereits erwähnt wurde, IRVING FISHER, der die Praktikabilität einer „spendings tax“ im Sinne einer sparbereinigten Einkommensteuer als erster aufzeigte413.
Diese Überlegungen aufgreifend, wäre bei einer Sparbereinigung die bestehende steuerliche Einkommenserfassung wie folgt abzuändern: Neu sind die gesparten Einkommensteile von der Berechnungsgrundlage abziehbar, während Auflösungen von Sparkapitalien, die aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen gebildet wurden, in
die Berechnungsgrundlage einfliessen. Es gilt somit:
sämtliches steuerbares Einkommen (wie bisher)414
+ Auflösung von Sparkapitalien, die aus steueraufschiebend behandeltem
Einkommen gebildet wurden
- Ersparnisbildung aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen
- sonstige Abzüge und Freibeträge (wie bisher)
= Steuerberechnungsgrundlage
Dazu sind noch Präzisierungen anzufügen:
412
413
414
Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S. 66; Larenz/Canaris, S. 28 f.
Siehe oben, § 1 C., S. 6 f.
Es ergibt sich ein Praktikabilitätsproblem, wenn in einer Steuerordnung nicht alle Einkünfte steuerbar sind. Es stellt sich dann insbesondere die Frage, wie mit Ersparnissen umzugehen ist, die
aus nicht steuerbaren Einkünften gebildet wurden und folglich auch nicht steuerwirksam von der
Einkommensberechnungsgrundlage abgezogen werden dürfen. Diese Frage wird hinten, § 6 A.
III. 2.1.3., S. 179 f. und § 7 B. II., S. 212, eingehender behandelt.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
II.
85
1. Präzisierung: Zur Belegung von Ersparnisauflösungen
und -bildungen
Bei einer Umsetzung der sparbereinigten Einkommensteuer ist erforderlich, dass das
Steuersubjekt einerseits Belege dafür einreicht, was es für Zuflüsse hatte, die für die
Bestimmung der Einkommensberechnungsgrundlage relevant sind. Nebst Lohnausweisen und Zinsbelegen sind neu insbesondere auch sämtliche Belege über die Verkäufe von steueraufschiebend behandelten Sparanlagen einzureichen. Andererseits hat
das Steuersubjekt allfällige abzugsfähige Ersparnisbildungen zu belegen415. Bei Transaktionen (Kauf/Verkauf von Sparanlagen) über Banken könnten die Bankformulare
entsprechend angepasst werden, indem Verkäufe und Ankäufe auf einem Jahresschlussblatt ausgewiesen werden.
III. 2. Präzisierung: Zur Schuldenbehandlung
Schulden stellen Reduktionen des Nettovermögens dar. Die Aufnahme von Schulden
ist daher als Ersparnisauflösung zu behandeln bzw. die Schuldentilgung als Ersparnisbildung416. Es sind folglich die im betreffenden Steuerjahr eingegangen Schulden zum
steuerbaren Einkommenszufluss zu rechnen resp. die getilgten Schulden vom grundsätzlich steuerbaren Einkommen abzuziehen417. Erforderlich sind wiederum sämtliche
Belege des Steuersubjekts über Schuldenaufnahme und -tilgung. Erfolgt eine Nettoverschuldung418, sind die Nettoschulden bis zu einem allfälligen späteren Ausgleich
nicht als Ersparnisauflösung zu behandeln. Steuerlich ist vielmehr zu warten, bis die
Nettoverschuldung wieder durch Ansparen von Einkommen ausgeglichen ist. Dann
kann eine Besteuerung des ausgeglichenen Nettoschuldenteils greifen. Dem liegt die
415
416
417
418
Zur Geltendmachung des Sparabzuges auch unten, § 7 B. I. 2., S. 209 f.
Die aufgezeigte Schuldenbehandlung ist im System der sparbereinigten Einkommensteuer allgemein anerkannt. Vgl. nur schon Fisher, Income Taxation, S. 170 und S. 174; vgl. auch
McLure/Zodrow, S. 123.
Ausschlaggebend für die Besteuerung ist dabei nicht der eigentliche Zufluss von geliehenen Vermögenswerten resp. die Rückzahlung derselben, sondern der Umstand, dass es sich um eine Ersparnisauflösung resp. Ersparnisbildung handelt. Von dieser Warte aus muss auch nicht das obige
Grundmodell umformuliert werden, da die Schuldenaufnahme unter die steuerbare Ersparnisauflösung und die Schuldentilgung unter die abzugsfähige Ersparnisbildung subsumiert werden kann.
Aus Praktikabilitätsgründen und um auf die Besteuerung des Einkommens abzuzielen, sollten für
die Frage, ob eine Nettoverschuldung vorliegt, die Eingangswerte der Aktiv- bzw. Passivposten
massgebend sein.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
86
Überlegung zugrunde, dass die sparbereinigte Einkommensteuer weiter eine Einkommensteuer ist. Wird hingegen auch eine Nettoverschuldung als Ersparnisauflösung behandelt, werden Teile besteuert, für die gar kein Einkommen zugeflossen ist. Es würde
dann eine Besteuerung desjenigen Konsums erfolgen, für den die Schulden verwendet
wurden419.
Für die Behandlung der Schulden als Reduktion des Sparvermögens spricht nebst der
hinreichenden materiellen Begründung auch die Gefahr einer möglichen Steuerumgehung: Ohne Abzug vom Sparvermögen könnte der Konsum über Schulden finanziert
werden und die Steuerpflichtigen könnten einer steuerpflichtigen Ersparnisauflösung
bzw. einer steuerpflichtigen Direktverwendung des Einkommens420 entgehen oder zumindest bis spätestens zum Austritt aus der Steuerpflicht aufschieben. Andererseits
könnten durch Schulden auch das Sparvermögen aufgebläht und entsprechend der Abzug von der Steuerberechnungsgrundlage erhöht werden.
IV. 3. Präzisierung: Zur Kapitalgewinnbesteuerung
1.
Ausgangslage
Im geltenden Einkommensteuerrecht421 sind „Kapitalgewinne aus der Veräusserung
von Privatvermögen“ steuerfrei (Art. 16 Abs. 3 DBG). Wie oben bereits angeschnitten
wurde und nachstehend noch weiter ausgeführt wird, bedeutet diese steuerliche Ausnahme eine Durchbrechung von verfassungsmässigen Steuergrundsätzen422. Gemäss
Rechtsprechung kann diese Durchbrechung jedoch gestützt auf Erwägungen der Praktikabilität und der Veranlagungsökonomie gerechtfertigt werden423.
419
420
421
422
423
Sollte der Realwert des Aktivvermögens über dem Eingangswert liegen, ist denkbar, dass für
Steuerzwecke eine Nettoverschuldung angenommen wird, obwohl faktisch keine vorliegt. Da aber
bei Auflösung des Aktivvermögens die realen Werte zugrunde gelegt werden, wird der nicht besteuerte Nettoschuldenanteil spätestens dann in Anrechnung gebracht und der Besteuerung zugeführt.
D.h. ohne vorheriges Ansparen.
Mit der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fokussierung auf die Bundessteuerordnung wird die
kantonal erfolgende Besteuerung von Gewinnen auf unbeweglichem Vermögen ausgeklammert.
Hinsichtlich der Allgemeinheit der Besteuerung oben, § 2 B. II. 2.2., S. 37; hinsichtlich des Leistungsfähigkeitsprinzips gleich unten, § 5 C. II. 2., S. 106.
BGE 114 Ia 221; ebenda, S. 231 f.: „Es [das Bundesgericht] hat auch eingeräumt, dass vereinfachende Vorschriften (z.B. Minimalbeträge) in sachlich vertretbaren Grenzen rein veranlagungsökonomisch begründet sein mögen (...). Dem kantonalen Gesetzgeber ist zuzubilligen, dass
er sich bei der Ausgestaltung der Steuernormen von praktischen und veranlagungsökonomischen
Gesichtspunkten noch weitergehend leiten lässt. Die vom Regierungsrat angeführten veranla-
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
2.
Situation bei Sparbereinigung der Einkommensteuer
2.1.
Praktikabilitätsprobleme infolge der Steuerfreiheit privater
87
Kapitalgewinne
Wird an Art. 16 Abs. 3 DBG, das heisst an der geltenden steuerlichen Ausnahme der
privaten Kapitalgewinne, festgehalten, ergeben sich erhebliche Probleme bei der Erfassung von Ersparnisauflösungen. Diese Erfassungsprobleme lassen sich auf reale
und nominale Wertschwankungen zurückzuführen und zeigen sich bei Finanz- und
Sachanlagen wie folgt: Die genannten Anlagen unterliegen monetär bemessen regelmässig Schwankungen im Realwert, die bei der steuerlichen Ausnahme privater Kapitalgewinne unbeachtlich sind. Demzufolge ist für die Steuerberechnung auf die ursprünglichen Werte der aus steuerlich abgezogenem Einkommen erworbenen Sparanlagen abzustellen. Zur Durchführung müssen die Ausgangswerte bekannt sein. Dies
kann dadurch erreicht werden, dass der Steuerpflichtige bei Sparauflösung bzw. bei
Austritt aus der Steuerpflicht auf die konnexe ursprüngliche Ersparnisbildung verweist
und mit dem zugehörigen steuerlichen (Abzugs-) Beleg den Ausgangswert dokumentiert. Aufgrund von Schwankungen des Geldwertes (Inflation/Deflation) können aber
auch die Ausgangswerte nicht unbesehen übernommen werden. Um steuerlich an diejenige wirtschaftliche Leistungskraft anzuknüpfen, die ursprünglich im Betrag des
Sparabzugs verkörpert war, ist bei Sparauflösung eine Inflationsbereinigung erforderlich, die mittels Indexierungstafeln erfolgen kann. Analog ist bei eigenaufbewahrtem
Geld – sofern es als abzugsfähige Sparanlage akzeptiert wird424 – bei Sparauflösung
424
gungsökonomischen bzw. finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkte sind sachlicher Art. Das Bundesgericht hat solche Gründe so lange zu respektieren, als sie nicht bloss vorgeschützt werden, um
ein mit den aus Art. 4 BV fliessenden Grundsätzen einer rechtsgleichen Besteuerung schlechthin
unvereinbares Privileg zu begründen. (...) Die praktischen Gesichtspunkte sind zusammengenommen nicht unwesentlich, selbst wenn sie jeder für sich in Frage gestellt werden können und
der streitige Verzicht auf jede Veranlagung der Kapitalgewinne auf beweglichem Privatvermögen
andere praktische Schwierigkeiten mit sich bringt. Das Bundesgericht hat dem kantonalen Gesetzgeber zuzubilligen, dass er die praktischen Gründe für den Verzicht auf ihre Veranlagung höher bewertete. Es kann den angefochtenen Erlass deshalb nicht als unhaltbar bezeichnen und als
verfassungswidrig aufheben, dies umso weniger, als der Kanton Basel-Landschaft mit der Abschaffung der Besteuerung von Kapitalgewinnen auf beweglichem Privatvermögen nur der grossen Mehrheit der Kantone folgte.“; vgl. auch bereits oben, § 2 B. II. 2.2., S. 37 inkl. FN 191; vgl.
zu Art. 16 Abs. 3 DBG u.a. auch Reich, DBG Kommentar, N 43 ff., insb. N 46 zu Art. 16; Hirt, S.
213 ff.; Locher, DBG Kommentar, N 70 ff. zu Art. 16.
Zur Frage, was als abzugsfähige Sparanlagen festgelegt werden soll, unten, § 7 B. I. 1., S. 197 ff.
88
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
eine Inflationsbereinigung vorzunehmen, damit die ursprüngliche Leistungsfähigkeit
erfasst wird.
Es ist offensichtlich, dass ein solches Vorgehen erhebliche Praktikabilitätsprobleme
mit sich führt. Zum Beispiel ist die erforderliche Belegung und die Inflationsbereinigung allgemein aufwendig425 und darüber hinaus stellen sich bei Anlagen in identische
Sparanlagen Schwierigkeiten infolge ev. fehlender Unterscheidungsmerkmale bei getrenntem Verkauf. Problematisch sind ferner zu erwartende steuerlich konditionierte,
verzerrte Verhaltensweisen426. Als Lösung könnte diesbezüglich die FIFO427-Regelung
etabliert werden428. Demnach greift die Fiktion, dass in chronologischer Nachbildung
der Erwerbsreihenfolge die zuerst gekauften Objekte der fraglichen identischen Sparanlagen zuerst verkauft werden.
2.2.
Praktikabilitätsvorteile bei der Besteuerung von privaten Kapitalgewinnen
Die Situation präsentiert sich hingegen anders, und zwar viel praktikabler, bei Besteuerung der Kapitalgewinne auf den Sparanlagen: Zum einen ist bei einer Sparbereinigung hinreichende Dokumentation der Sparaktivitäten vorhanden, so dass auf breiter
Grundlage praktikable Voraussetzungen für die Besteuerung privater Kapitalgewinne
geschaffen werden. Dass die erforderliche Dokumentation über die Sparanlagen – zumindest über deren Anschaffung – vorhanden sind, liegt bei einer sparbereinigten Einkommensteuer im ureigenen Interesse der Steuersubjekte. Erst durch Belegung der
Sparanlagen können sie von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden. Zum anderen fällt das Inflationsproblem weg, das sich bei der Beibehaltung von Art. 16 Abs. 3
DBG stellen würde: Bei Verkauf von Sparanlagen, für die ein Sparabzug geltend gemacht wurde, ist der zufliessende Erlös steuerrelevant und Schwankungen im Realsowie Nominalwert werden dadurch automatisch mitberücksichtigt429. Darüber hinaus
425
426
427
428
429
Zur Inflationsbereinigung u.a. auch McLure/Zodrow, S. 127.
Z.B. bei einem geplanten Teilverkauf von Aktien, die über einen längeren Horizont hinweg gekauft wurden und einen schwankenden Wertverlauf aufweisen, werden diejenigen mit dem geringsten Eingangswert veräussert.
First in, first out.
Dazu schon Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 192 f.; die FIFO-Regelung wurde auch im Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 47, mit Bezug auf die empfohlene Besteuerung privater Kapitalgewinne vorgeschlagen; vgl. auch McLure/Zodrow, S. 128.
Beispiel: Angenommen, eine Aktie wurde 1980 unter Geltendmachung eines Sparabzuges für Fr.
100 gekauft und 1999 für Fr. 950 verkauft. Weiter sei angenommen, der nominelle Wertzuwachs
belaufe sich auf Fr. 150 und der reale Kapitalgewinn auf Fr. 700. Wird der Erlös von Fr. 950 nicht
wieder einer Sparform zugeführt, sondern konsumtiv verwendet, fliesst der ganze Betrag in die
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
89
entfallen Anreize zu steuerlich konditioniertem Verkaufsverhalten bei identischen
Sparanlagen.
2.3.
Fazit
Bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer stellt sich das Praktikabilitätsproblem
umgekehrt dar als bei der traditionellen Einkommensteuer: Während unter geltendem
Steuerrecht namentlich Erwägungen der Praktikabilität und der Veranlagungsökonomie zum Verzicht auf die Erhebung einer privaten Kapitalgewinnsteuer führen, sind
bei einer Sparbereinigung nicht nur die Praktikabilitätsvoraussetzungen geschaffen430,
sondern zur Vermeidung von Praktikabilitätsproblemen ist eine Besteuerung auch der
privaten Kapitalgewinne geradezu erforderlich. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich,
im Zuge der Sparbereinigung auch Art. 16 Abs. 3 DBG zu streichen, das heisst, auch
die privaten Kapitalgewinne für steuerbar zu erklären431. Damit trägt die Sparbereinigung auch dazu bei, eine der gewichtigsten Durchbrechungen der verfassungsmässigen
Besteuerungsgrundsätze zu schliessen432.
3.
Ergänzungen bezüglich der Besteuerung privater Kapitalgewinne
bei einer sparbereinigten Einkommensteuer
Mit Bezug auf die Besteuerung privater Kapitalgewinne bleibt anzufügen, dass infolge
der hier vorgeschlagenen (einfachen) Ausgestaltung einerseits Gewinne, andererseits
aber auch Verluste automatisch bei Zufluss des Veräusserungserlöses Berücksichti-
430
431
432
Berechnungsgrundlage für die Einkommensteuer. Somit werden zum einen Fr. 250 erfasst, welche die Leistungsfähigkeit des 1980 vorgenommen Sparabzuges über Fr. 100 inflationsangepasst
ausdrücken, und zudem wird der reale Kapitalgewinn von Fr. 700 berücksichtigt. Vgl.
auch
McLure/ Zodrow, S. 128, mit dem Hinweis, dass ein echtes Inflationsproblem nur bei hyperinflationärer Inflation auftreten würde, „wenn die Inflationsrate so hoch ist, dass es schon wegen der
Zeitspanne zwischen der eigentlichen Entstehung der Steuerschuld und der Abgabe der Steuererklärung zu Verzerrungen kommt.“ Vgl. auch Bradford, Untangling, S. 313; Dorenkamp, S. 209.
Siehe auch McLure/Zodrow, S. 128.
Die steuerliche Erfassung auch der Veräusserungsgewinne gehört denn auch zum allgemein vertretenen Grundkonzept der sparbereinigten Einkommensteuer: Fisher, Practical Schedule, S. 114,
mit weiteren Erläuterungen und der Betonung, dass es sich dabei um eine „true tax on income“
und nicht um eine „true tax on capital-gain“ handle; vgl. auch McLure/Zodrow, S. 123 und S.
128.
Vgl. zur Aufhebung dieser Durchbrechung der Steuergrundsätze auch Expertenbericht
Steuerlüc??ken (1998), S. 19 ff. Die Expertenkommission Steuerlücken formulierte sodann mit
Bezug auf das geltende, d.h. traditionelle Einkommensteuersystem, die Forderung, auch private
Kapitalgewinne steuerlich zu erfassen: Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 70 ff.
90
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
gung finden. Fraglich ist, ob der Bund auch Kapitalgewinne auf unbeweglichem Privatvermögen besteuern soll. Dagegen spräche die Erwägung, das entsprechende Steuersubstrat sei bislang bewusst den Kantonen vorbehalten worden433. Hingegen ist aus
Gründen der Gleichbehandlung, namentlich in deren Ausprägungen der Allgemeinheit
der Besteuerung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
eine Differenzierung nach beweglichem und unbeweglichem Vermögen schwerlich
vertretbar434. Denkbar wäre auch eine Ausgestaltung, bei welcher der Bund die Steuererträge auf Kapitalgewinnen aus unbeweglichem Privatvermögen an die Kantone
weiterleitet. Dadurch bliebe den Kantonen das entsprechende Steuersubstrat erhalten.
Ferner ergibt sich aus dem hier entwickelten Vorschlag, dass nur private Gewinne von
Sparanlagen erfasst werden. Gewinne und Verluste auf Konsumgütern sind einkommensteuerlich weiterhin unbeachtlich. Zur Begründung dieser Nichtbeachtung ist
nebst den etwaigen Praktikabilitätsproblemen anzuführen, dass Konsumgegenstände,
insofern es sich um Hausrat und um Gebrauchsgegenstände des persönlichen Bedarfs
handelt (besonders wertvolle Konsumgegenstände wie Autos, bestimmte Kunstwerke435 etc. fallen somit ausser Betracht), nicht für die Vermögensbesteuerung herangezogen werden436 und deshalb kein Vermögen im steuerrechtlichen Sinn darstellen437.
Noch gewichtiger ist aber folgende Überlegung, die grundsätzlich sämtliche Konsumgegenstände, das heisst auch die wertvollen, betrifft: Konsumgegenstände „unterliegen
in der Regel einer durch Gebrauch bedingten Entwertung und können ausserdem,
selbst wenn der innere Wert infolge Nichtgebrauchs nicht gesunken ist, von Personen,
welche nicht im Handel mit solchen Gegenständen beschäftigt sind, nicht mehr zu ihrem vollen Wert veräussert werden.“438 Es sind somit in der Regel Kapitalverluste auf
433
434
435
436
437
438
Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 21.
Im Gesetzesvorschlag weiter unten wird daher Art. 16 Abs. 3 DBG in der geltenden Form gänzlich gestrichen und neu formuliert in Richtung Besteuerung der Kapitalgewinne auf privaten
Sparanlagen. Denkbar wäre auch, dass der Bund die Steuererträge auf Kapitalgewinnen aus unbeweglichem Vermögen an die Kantone weiterleitet. Dadurch bliebe den Kantonen das entsprechende Steuersubstrat weiter gesichert.
Zur Frage, ob Kunstwerke als Sparanlagen zu qualifizieren sind: Siehe unten, § 7 B. 1.4., S. 207 f.
Betrifft die kantonale Vermögensbesteuerung (Art. 2 Abs. 1 lit. a StHG), der Bund erhebt keine
Vermögensteuer.
Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69. Gestützt im Wesentlichen auf diese Begründung wollte
die Expertenkommission Steuerlücken mit Bezug auf die von ihr vorgeschlagene Besteuerung
privater Kapitalgewinne Hausrat und persönliche Gebrauchsgegenstände ebenfalls ausnehmen;
Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 28 f.
Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
91
Konsumgegenständen zu gewärtigen439. „Da der Gebrauch dieser Gegenstände zur Lebenshaltung gehört, käme der Abzug von Verlusten aus der Veräusserung von Gebrauchsgegenständen dem Abzug von Lebenshaltungskosten gleich. Die Lebenshaltungskosten stellen aber nach allgemeiner Anschauung Einkommensverwendung dar.
Ihr Abzug ist deshalb bei der Berechnung des Einkommens ausgeschlossen. Da somit
ein Verlust aus der Veräusserung von Gebrauchsgegenständen nicht abzugsfähig sein
kann und andererseits Gewinne nicht in Frage kommen, sind die Gebrauchsgegenstände bei der Gewinnbesteuerung überhaupt ausser Acht zu lassen.“440
Anzumerken bleibt, dass bei einer Implementierung einer umfassenden Kapitalgewinnsteuer daher nur noch Sparanlagen zu erfassen wären – bzw. müsste die Dokumentation dafür sichergestellt werden – die aus nicht einkommensteuerpflichtigen
Vermögenszugängen gebildet wurden441; ansonsten bestehen hinreichende Unterlagen
zur praktikablen Veranlagung.
V.
Modellhafte Grundidee als Ausgangsbasis
Das bezüglich der Sparbereinigung modellmässig Dargelegte und hinsichtlich einzelner Punkte Präzisierte soll im Folgenden auch die Grundidee sein. Anhand dieser modellhaften Grundidee soll geprüft werden, ob eine sparbereinigte Einkommensteuer
mit den Grundwertungen und -konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im
Schweizer Einkommensteuerrecht vereinbar ist und inwiefern allfällige Modifikationen der Grundidee erforderlich und möglich sind. Diese Prüfung wird vorgenommen
anhand der Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips in den folgenden
Bereichen: Steuergut und Steuerobjekt (B.), Steuerberechnungsgrundlage (C.), Zeitliche Bemessung (D.), Steuerprogression (E.) sowie steuerliche Behandlung des Existenzminimums (F.).
439
440
441
Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69.
Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 69 f. Art. 34 lit. a DBG statuiert die (grundsätzliche) Nichtabziehbarkeit von Lebenshaltungskosten ausdrücklich; vgl. auch Reich, DBG Kommentar, N 3 f.
zu Art. 34; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 3 ff. zu Art. 34; Locher, DBG Kommentar, N 4 ff. zu Art. 34.
Damit allfällige Verkäufe erfasst bzw. überprüft werden können. Weitergehend wäre diesbezüglich noch zu prüfen, ob für die nicht über einen Sparabzug gebildeten Sparanlagen eine Inflationsbereinigung zur Gewinnberechnung vorzunehmen wäre.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
92
B.
Steuergut und Steuerobjekt
I.
Begriffliches
Als Steuergut wird der wirtschaftliche Sachverhalt bezeichnet, der steuerlich erfasst
werden soll442. Dabei erfolgt eine materielle Bestimmung dessen, was als „besteuerungswürdig“ erkannt wird443. Bei der Einkommensteuer bildet zum Beispiel das Einkommen das Steuergut, bei der Vermögensteuer das Vermögen und bei der Mehrwertsteuer der Konsum. Allgemein erwächst aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip die Vorgabe, an solche wirtschaftliche Sachverhalte bzw. Steuergüter anzuknüpfen, die Indikatoren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit darstellen444.
Mit dem Begriff Steuerobjekt wird bezeichnet, was der Steuergesetzgeber im Gesetz
als steuerauslösenden Tatbestand normiert445. Auch wenn der Gesetzgeber bei der
rechtlichen Normierung ein bestimmtes Steuergut anvisiert, müssen sich Steuergut und
Steuerobjekt nicht immer decken. Sie können aus technischen Gründen teilweise oder
gänzlich auseinander fallen. Ein gänzliches Auseinanderfallen ist zum Beispiel bei der
Mehrwertsteuer gegeben, bei welcher der Konsum das Steuergut bildet446, aus steuertechnischen Erwägungen jedoch bestimmte Umsätze447 als Steuerobjekte normiert
wurden448. Hinsichtlich Einkommensteuer ist hingegen von einer grundsätzlichen
Deckung zwischen Einkommen als Steuergut und Einkommen als Steuerobjekt auszugehen.
442
443
444
445
446
447
448
Blumenstein/Locher, S. 154; Burmester, S. 221 ff.
Tipke/Lang, § 7 N 23.
Tipke/Lang, § 7 N 26.
Blumenstein/Locher, S. 153; vgl. auch Höhn/Waldburger, § 10 N 1; Oberson, Droit fiscal, § 5
N 6.
Der Gesetzgeber deklariert dies bereits in Art. 1 Abs. 1 MwStG, wo er festhält, dass die MwSt
eine „allgemeine Verbrauchssteuer“ sein soll. Vgl. auch Camenzind/Honauer/Vallender, N 50;
Höhn/Waldburger, § 24 N 11.
Konkret unterliegen der MwSt folgende durch MwSt-pflichtige Personen getätigten Umsätze (Art.
5 MwStG): a) im Inland gegen Entgelt erbrachte Lieferung von Gegenständen; b) im Inland gegen
Entgelt erbrachte Dienstleistungen; c) Eigenverbrauch im Inland; d) Bezug von Dienstleistungen
gegen Entgelt von Unternehmungen mit Sitz im Ausland.
Art. 5 MwStG; Höhn/Waldburger, § 24 N 58; Blumenstein/Locher, S. 219 und S. 221; Camenzind/Honauer/Vallender, N 51.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
II.
93
Einkommen als Hauptsteuergut und -objekt
Die geschichtliche Entwicklung des Einkommens als Steuergut und dessen Normierung als Steuerobjekt ist auf das Engste mit der Etablierung des Grundsatzes der Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verknüpft449. Die
Anhänger des letzteren, der, wie oben ausgeführt wurde, im Anschluss an Gedankenströmungen der Aufklärung entstanden ist und sich im Laufe des 19. Jahrhundert allmählich zum steuerlichen Hauptgrundsatz entwickelte450, waren der Auffassung, dass
sich ihre Forderungen am besten mit einer allgemeinen Einkommensteuer einlösen liesse: Zum einen zeigt das Einkommen deutlicher als die bis dahin tradierte Akzise
(Verbrauchs- und Verkehrssteuer)451 die verfügbaren wirtschaftlichen Mittel auf und
erscheint daher als geeigneterer Gradmesser wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit452.
Zum anderen sind bei der Einkommensteuer Anpassungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mittels Abzügen und Steuerprogression möglich. In der Folge vermochte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ansicht durchzusetzen –
wobei der deutschen Finanzwissenschaft die Vorreiterrolle zukam – es sei hauptsächlich das Einkommen als geeignetster Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit heranzuziehen453. Diese Auffassung fand ihren Niederschlag in der Steuergesetzgebung454, und seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Einkommensteuer in
den westlichen Industrieländern zur weiteren Hauptsteuer455 nebst den Verbrauchsund Verkehrssteuern, an denen trotz Kritik aus der Wissenschaft meist festgehalten
wurde. Bis heute ist allgemein anerkannt, dass „im Einkommen eines Individuums
449
450
451
452
453
454
455
Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 10.
Oben, § 3 C., S. 75 ff.
Zu den Akzisen u.a. Mann, S. 50 ff.
Vgl. die Erläuterungen bei Ossenbühl, S. 28; Mann, S. 132; Oechslin, S. 34 f.
Z.B. Fuisting, S. 107: „Die Bedeutung der Einkommensbesteuerung beruht darauf, dass das Einkommen der vollendetste Ausdruck der persönlichen Leistungsfähigkeit ist, eine auf dieser
Grundlage aufgebaute Steuer also den Anforderungen der Gerechtigkeit am meisten entspricht.
Die Grundlage kann aber nur das wirkliche Einkommen jedes einzelnen Steuerträgers, das individuelle Einkommen, sein. (...) Individualität und Subjektivität sind die unerlässlichen Vorbedingungen einer vollkommenen Einkommensbesteuerung.“ Vgl. auch Schäffle, S. 41 ff., insb. S. 43;
Meyer, S. 341.
I.d.R. unterstützt durch Geldbedarf der Gemeinwesen, der die Erschliessung neuer Einnahmequellen nahelegte; vgl. zu den „handfesten“ Hintergründen der Einkommensteuer z.B. die entstehungsgeschichtlichen Darlegungen bei Grossfeld, S. 7 ff. und S. 26 ff.; vgl. auch Neumark, Einkommensteuer, S. 233.
Vgl. dazu u.a. Buchholz, S. 56 ff.; Grossfeld, S. 42 ff.; vgl. auch Neumark, Einkommensteuer
S. 233; Oechslin, S. 37 f.
94
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
zwar nicht die einzige, aber doch die klarste Manifestation seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“456 liegt. Durch die Auswahl der Einkommensteuer und ihrer Ausgestaltung als Hauptsteuer wird die erste und wesentlichste Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips vorgenommen457. In Übereinstimmung mit diesen Darlegungen steht es denn auch, wenn in der Schweiz das Einkommen als Steuergut ausgewählt
bzw. gesetzlich als Steuerobjekt niedergelegt wurde458. Dabei ist in der Schweiz die
Einkommensteuer die Hauptsteuer. Sie stellt gesamthaft, das heisst bei Einbeziehung
von Bund, Kantonen und Gemeinden, die bedeutendste, die Verbrauchssteuern (inkl.
Mehrwertsteuer) ertragsmässig deutlich übersteigende Steuer dar459.
III. Historischer Exkurs: Verzögerte Entwicklung in der Schweiz
Aus historischer Sicht ist anzumerken, dass der „Aufstieg“ der Einkommensteuer zur
Hauptsteuer in der Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Industrieländern
etwas verzögert erfolgte. Im 19. Jahrhundert stellte die Vermögensteuer in der
Schweiz die wichtigste direkte Steuer dar460. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in den Kantonen, nicht zuletzt aufgrund zusätzlichen Finanzbedarfs461,
die Vermögensteuer allmählich durch die Einkommensteuer462 ergänzt463. Auch als
1916 dem Bund im Rahmen der „Kriegssteuer“ erstmalig die Kompetenz zur Erhe-
456
457
458
459
460
461
462
463
Reich, Leistungsfähigkeit, S. 11; siehe auch Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 560 m.w.Nw.;
Senn, S. 169, m.w.Nw.
Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 11; vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 114 f.
Art. 128 Abs. 1 lit. a BV; Art 1 lit. a und Art. 16 ff. DBG; vgl. auch Art. 2 Abs. 1 lit. a und Art. 7
StHG. In der Schweiz war man jedoch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Ansicht, die
Vermögensteuer sei aus Leistungsfähigkeitsaspekten der Einkommensteuer vorzuziehen. Daher
wollte man z.B. 1915 bei Erlass der Kriegssteuer die Vermögensteuer bedeutend stärker gewichten als die Steuer auf Erwerbseinkommen: Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 156 und auch S.
164.
1997 bis 2001 brachten die Einkommensteuern durchschnittlich rund 42,14% der gesamteidgenössischen Steuereinnahmen; die Verbrauchssteuern (inkl. MwSt) durchschnittlich rund 26,87%.
Dabei machte die MwSt alleine 63,6% der Verbrauchssteuern bzw. 17,09% der gesamteidgenössischen Steuereinnahmen aus. Quelle: Öffentliche Finanzen (2003), S. 6 und S. 144.
Siehe zur Entwicklung der Vermögensteuer in der Schweiz Oechslin, S. 44 f.
Oechslin, S. 42 f.
Zur Ausgestaltung der Einkommensteuer Oechslin, S. 45: „Belastet wurden zuerst die unfundierten Einkommen, also der Erwerb, der Arbeitsertrag, später teilweise auch die fundierten, d.h. jene
Einkommen, die sich aus dem Kaptialertrag ergaben.“
Dazu Oechslin, S. 45, der auch erwähnt, dass Basel-Stadt bereits früher eine Einkommensteuer
kannte.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
95
bung einer direkten Steuer zugesprochen und in Bezug auf natürliche Personen eine
Vermögens- sowie Erwerbsteuer vorgesehen wurde464, lag das Schwergewicht klar bei
der Vermögensteuer465. Dabei blieb es auch bei der Verlängerung der Kriegssteuer
(sog. zweite Kriegssteuer) im Jahre 1920466. Erst mit der durch dringlichen Bundesbeschluss vom 13. Oktober 1933 beschlossenen Krisenabgabe467 änderte sich dies. Zum
einen wurde mit der Krisenabgabe eine umfassende Einkommensteuer statuiert, die
nebst dem Erwerbseinkommen auch Kapitalerträge erfasste468. Zum anderen wurde die
Belastung des Einkommens gegenüber der zweiten Kriegssteuer verdoppelt und die
Vermögensteuer weniger progressiv ausgestaltet469. Damit kehrten sich die Verhältnisse und der Ertrag aus der Einkommensteuer wurde weit bedeutender als der Ertrag
aus der Vermögensteuer470. Im weiteren Verlauf verlagerte sich das Verhältnis noch
stärker in Richtung Einkommensteuer471, bis 1958 die Vermögensteuer auf Bundesebene im Zuge der ordentlichen verfassungsmässigen Verankerung der Steuerkompetenzen des Bundes gänzlich gestrichen wurde472.
464
465
466
467
468
469
470
471
472
D.h., der Kapitalertrag blieb steuerfrei; Oechslin, S. 82.
Nach Vorausberechnungen sollten rund Fr. 58.5 Mio. aus der Vermögensteuer und Fr. 5 Mio. aus
der Erwerbsteuer fliessen; Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 164; vgl. aber auch Oechslin, S. 85,
der anhand von Daten der EStV gesamthaft für die sog. erste Kriegssteuer ein tatsächliches Verhältnis von rund 80,8% (Ertrag Vermögensteuer) zu 19,2% (Ertrag aus Erwerbsteuer) aufzeigt.
Zur hauptsächlichen Heranziehung des Vermögens als Steuerobjekt wurde bei der Gesetzgebung
ausgeführt (Botschaft Art. 42bis BV [1915], S. 156): „Es bedarf keiner Begründung, dass bei der
Erhebung der Kriegssteuer in erster Linie das Vermögen in Betracht kommen soll, weil in diesem
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zum deutlichsten Ausdruck kommt
und der Vermögensbesitz gerade in Zeiten, wie die jetzige, dem Besitzer eine verhältnismässige
Sicherheit bietet, die der Vermögenslose, der auf den Erwerb angewiesen ist, schmerzlich vermisst.“
Vgl. Bericht des Bundesrates über den Bundesratsbeschluss vom 21. Juni 1920; siehe darüberhinaus zur zweiten Kriegssteuer die Ausführungen von Oechslin, S. 111 ff., insb. S. 114, wo das
weitere Überwiegen der Vermögensteuer über die Erwerbsteuer dargestellt wird.
Diese wurde ab 1934 erhoben; vgl. Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts
(1933), S. 197 ff.; siehe auch Blumenstein, S. 225 ff.; Blumenstein/Locher, S. 44.
Dazu Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933); vgl. auch Oechslin, S. 115 f.
Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933); Oechslin, S. 116.
Vgl. zu dieser Verhältnisumkehr Oechslin, S. 121.
Siehe die Darstellung bei Oechslin, S. 203.
Siehe dazu Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 93 (inkl. FN 263) zu Art. 41ter.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
96
IV. Wechsel zur sparbereinigten Einkommensteuer
1.
Steuergut
Durch eine Sparbereinigung der Einkommensteuer, sofern es sich um eine definitive,
über das Steuersubjekt hinaus wirkende Sparbereinigung handelt, wird nicht mehr das
Einkommen als Steuergut anvisiert. Durch eine derartige Sparbereinigung würde sich
die Einkommensteuer zu einer Einkommensverwendungssteuer, das heisst zu einer direkten Konsumsteuer wandeln. Damit würde der Konsum als Steuergut herangezogen.
Dadurch ergäbe sich aber eine grundlegende Abweichung von der jetzigen Ausgestaltung der Einkommensteuer: Nach geltender Ausgestaltung der Einkommensteuer wird
grundsätzlich das Einkommen als zu besteuernder Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit anerkannt und nicht der Konsum (Einkommensverwendung). Eine definitive,
vom Steuersubjekt gelöste Sparbereinigung der Einkommensteuer ist daher nicht mit
den im Schweizer Einkommensteuerrecht erfolgten Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips vereinbar473.
Unterschiedlich ist die Sparbereinigung der Einkommensteuer zu beurteilen, wenn es
sich um eine befristete Sparbereinigung handelt, bei welcher dem sparenden Steuersubjekt nicht eine definitive Sparbereinigung, sondern nur einen Steueraufschub auf
dem gesparten Einkommen gewährt wird. Wird zum Beispiel bis zum Zeitpunkt der
Ersparnisauflösung oder dem Austritt aus der Steuerpflicht ein entsprechender Steueraufschub gewährt, stellt weiterhin das Einkommen das steuerliche Belastungsziel dar.
Es greift nur eine zeitlich verschobene Besteuerung bezüglich der aus steuerbarem
Einkommen gebildeten Ersparnisse474. Bei einer solchen Ausgestaltung der Sparbereinigung würde in Übereinstimmung mit den Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips immer noch das Einkommen das Steuergut der Einkommensteuer bilden.
2.
Steuerobjekt
Bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer erfolgt keine Änderung am Steuerobjekt, da aus steuertechnischer Sicht „lediglich“ eine andere Steuerbemessung vorge473
474
Zur Unvereinbarkeit mit dem Prinzip der Allgemeinheit der Besteuerung oben, § 2 B. II. 2.2.,
S. 36; zur Unvereinbarkeit mit dem materiellen Gehalt der steuerlichen Kompetenznormen oben,
§ 2 B. I. 2.2.2., S. 23.
Oben wurde die Ansicht vertreten, dass eine derartige befristete Sparbereinigung auch mit dem
Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung (§ 2 B. II. 2.2., S. 36) und dem materiellen Gehalt
der einkommensteuerlichen Kompetenznorm von Art. 128 BV (§ 2 B. I. 3., S. 28) vereinbar ist.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
97
nommen wird, indem die gebildeten Nettoersparnisse475 von der Einkommensberechnungsgrundlage abgezogen werden können. Daher bildet immer noch das Einkommen
den steuerauslösenden Tatbestand, also das Steuerobjekt. Und zwar auch dann, wenn
bei einer über das sparende Steuersubjekt hinaus wirkenden Sparbereinigung materiell
eine Einkommensverwendungs- bzw. Konsumsteuer vorliegt. Dies macht deutlich,
dass das Steuerobjekt ein formales Element ist476, das nicht viel Materielles über den
tatsächlichen Steuervorgang auszusagen vermag477. Nicht nur ist allein anhand des
Steuerobjektes unter Umständen kein direkter Schluss auf das Steuergut möglich; auch
kommt die steuerliche Leistungsfähigkeit als gerechter Steuerbelastungsmassstab nicht
im Steuerobjekt, sondern in der Steuerberechnungsgrundlage zum Ausdruck478. Von
wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung eines Steuerwechsels ist dementsprechend
die nähere Untersuchung der Steuerberechnungsgrundlage.
C.
Steuerberechnungsgrundlage
Die Steuerberechnungsgrundlage ist jene Messgrösse, auf welche das Steuermass bezogen ist, damit der Steuerbetrag im Einzelfall berechnet werden kann479. Mit Blick
auf die Einkommensteuer umschreibt die Steuerberechnungsgrundlage den der Einkommensteuer unterliegenden Teil des Einkommens. Diesbezüglich ist einleitend zu
klären, was steuerrechtlich unter „Einkommen“ als ökonomischem Wertzufluss verstanden wird. Erst nach Erhellung des steuerrechtlichen Einkommensbegriffes kann
weiter untersucht werden, welcher Teil des steuerrechtlich relevanten Einkommens
steuerbar ist.
475
476
477
478
479
Nettoersparnis = neu gebildete Ersparnis minus aufgelöste Ersparnis.
Höhn/Waldburger, § 10 N 2; Tipke, Steuerrechtsverhältnis, S. 407.
Tipke, Steuerrechtsverhältnis, S. 406 ff.
Tipke, Steuerrechtsverhältnis, S. 407.
Höhn/Waldburger, § 11 N 3. Anstelle der Bezeichnung „Steuerberechnungsgrundlage“ wird oft
der Ausdruck „Bemessungsgrundlage“ verwendet, vgl. z.B. Blumenstein/Locher, S. 227 ff.;
Tipke/Lang, § 7 N 31 f. Daran üben jedoch Höhn/Waldburger, § 11 N 3, begründete Kritik, indem
sie darauf hinweisen, dass unter Steuerbemessung herkömmlicherweise die Ermittlung der Messgrösse, auf welche das Steuermass zu beziehen ist (Ermittlung eben der Steuerberechnungsgrundlage bzw. – in der kritisierten Terminologie – der Steuerbemessungsgrundlage), verstanden
wird (vgl. auch Höhn/Waldburger, § 11 N 4). Dabei „kann aber die Messgrösse als das Produkt
der Steuerbemessung nicht auch die ‚Grundlage‘ dieser Bemessung darstellen“
(Höhn/Waldburger, § 11 N 3).
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
98
I.
Steuerrechtlicher Einkommensbegriff
1.
Geschichtliche Entwicklung – Reinvermögenszugangstheorie und
Quellentheorie
Wurde, wie bereits oben erwähnt480, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der
deutschen Finanzwissenschaft von bedeutenden Stimmen die Auffassung vertreten,
das Einkommen bilde den geeignetsten Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, entwickelte sich in der Folge eine intensive Debatte darüber, wie der steuerlich
relevante Einkommensbegriff zu definieren sei, damit er dem Gerechtigkeitspostulat
der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht481. Bedeutung
erlangten diesbezüglich in erster Linie die durch VON SCHANZ ausgearbeitete Reinvermögenszugangstheorie und die von FUISTING vertretene Quellentheorie. Gemäss
der Reinvermögenszugangstheorie umfasst der Einkommensbegriff den Reinvermögenszugang eines bestimmten Zeitabschnitts und schliesst unter anderem unrealisierte
Vermögenswertveränderungen, Eigennutzungen, geldwerte Leistungen Dritter, Erbschaften, Schenkungen und Lotteriegewinne mit ein482. Der Quellentheorie zufolge
soll hingegen auf die Konstanz der Einkommensquelle abgestellt werden: Zum Einkommen zählt, was aus regelmässig fliessenden Ertragsquellen vereinnahmt wird, und
es scheiden zum Beispiel realisierte wie auch unrealisierte Vermögenswertsteigerungen, Erbschaften und Schenkungen aus483. Aufgrund der Beschränkung auf Erträge aus
480
481
482
483
Oben, § 5 B. II., S. 93.
Vgl. zu dieser Debatte auch die Hinweise von v. Schanz, Einkommensbegriff I, S. 6; siehe auch
Neumark, Einkommenstheorie, S. 23 ff.
Von Schanz, Einkommensbegriff I, S. 7: „Es ist aber zweifellos, dass man, um die Summe von
Mitteln zu erhalten, die man für seine Zwecke verwenden kann, ohne in seinem (bisherigen)
Vermögen zurückzukommen, nicht bloss die verschiedenen Reinerträge in der oben angedeuteten
Umgrenzung inklusive der Nutzungen, Wertsteigerungen, geldwerten Leistungen Dritter, sondern
auch alle Anfälle und Zuwendungen Dritter, wie Geschenke, Mitgift, Lotteriegewinne, Erbschaften u.s.w. berücksichtigen muss; denn wenn jemand einen Lotteriegewinn oder eine Erbschaft u.
dergl. erhält und sie verbraucht, so ist er nicht ärmer als er vor dem Anfall war. Ebenso ist eine
notwendige Konsequenz dieser Begriffsaufstellung, dass Schuldzinsen und Vermögensverluste
Abzugsposten sind. Wenn jemand eine Darlehensforderung verliert oder Aktien besitzt, die wertlos geworden sind, so ist er in seinem (bisherigen) Vermögen zurückgekommen. Das Einkommen
stellt sich bei konsequenter Festhaltung des Begriffs als Zugang von Reinvermögen in einer Wirtschaft während einer gegebenen Periode dar.“; vgl. auch ders., a.a.O., S. 24.; ders., Einkommensbegriff II, S. 505 ff.
Fuisting, S. 110 und S. 147 ff.; ders., S. 110: „Hiernach ist Einkommen die Gesamtheit der Sachgüter, welche in einer bestimmten Periode (Jahr) dem Einzelnen als Erträge dauernder Quellen
der Gütererzeugung zur Bestreitung der persönlichen Bedürfnisse für sich und für die auf den Be-
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
99
dauerhaften Quellen vermag jedoch die Quellentheorie dem Leistungsfähigkeitsprinzip
nicht gerecht zu werden, im Gegensatz zur Reinvermögenzugangstheorie, die sämtlichen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfasst484. Das Quellenkonzept
diente als Grundlage bei der bedeutenden preussischen Einkommensteuerreform von
1891 (MIQUELSCHE Steuerreform)485, während das deutsche Reichseinkommensteuergesetz von 1920 (ERZBERGERSCHE Steuerreform) wieder davon abwich und sich an
die Reinvermögenszugangstheorie anlehnte486.
Wenn auch die Reinvermögenszugangstheorie allgemein als Idealkonzept zur Ermittlung steuerlicher Leistungsfähigkeit bezeichnet wird487, führt sie erhebliche Praktikabilitätsdefizite mit sich, da die genaue Reinvermögenszugangserfassung, vor allem
hinsichtlich endogener Reinvermögenszugänge (diese bestehen aus unrealisierten
Vermögenszuwächsen und zugerechneten Einkünften, wobei letztere Eigenleistungen
verschiedenster Art sowie den Wert der Eigennutzung von Vermögenswerten umfassen) unmöglich ist. Das führt in der Praxis zu einem unverhältnismässigen Ansteigen
des Verwaltungsaufwands488 und infolge unzulänglicher Erfassung des Reinvermögenszugangs zu Verletzungen des Leistungsfähigkeitsprinzips. Praktische Probleme
führten denn auch bereits 1925 wiederum zu einer Abänderung des deutschen Reichseinkommensteuergesetzes, bei welcher der Gesetzgeber die Anlehnung an die Reinvermögenszugangstheorie in wesentlichen Punkten beschnitt und in pragmatischer
Weise eine abschliessende Enumeration der steuerbaren Einkunftsarten vornahm489.
Das Enumerationskonzept vermochte das deutsche Einkommensteuerrecht nachhaltig
zu prägen, und auch das geltende deutsche Einkommensteuergesetz beruht darauf490.
Gestützt auf Konkretisierungen der Einkünfteaufzählung durch die Judikatur491 geht
484
485
486
487
488
489
490
491
zug ihres Lebensunterhaltes von ihm gesetzlich angewiesenen Personen (Familie) zur Verfügung
stehen.“ Vgl. auch Neumark, Einkommenstheorie, S. 30, u.a. mit Verweisen auf weitere Anhänger der Quellentheorie.
Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 564; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 37 f.
Tipke/Lang, § 9 N 51; Grossfeld, S. 44 f.
Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 564; Tipke/Lang, § 9 N 51; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 37
ff.; Hirt, S. 130.
Vgl. Reich, DBG Kommentar, N 8 ff. zu Art. 16 DBG; Tipke/Lang, § 8 N 32.
Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 565 f.; Tipke/Lang, § 8 N 32; Hirt, S. 129.
Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 564 f.; Tipke/Lang, § 9 N 51; Lang, Bemessungsgrundlage,
S. 42.
Tipke/Lang, § 9 N 51; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 43. Siehe § 2 Abs. 1 EStG.
Tipke/Lang, § 8 N 30: „Gemeinsames Merkmal dieser Einkunftsarten ist, ‘dass die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen auf eine grösserer Zahl von Jahren gesehen der Erzielung positiver Einkünfte oder Überschüsse dienen’. Diese Formulierung des grossen
100
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
die deutsche Lehre davon aus, dass dem Einkommensteuergesetz grundsätzlich der
sog. Markteinkommensbegriff zugrunde liegt492. Der Markteinkommensbegriff basiert
im Prinzip auf der Reinvermögenszugangstheorie, klammert aber diejenigen Einkommensteile aus, die sich nicht in praktikabler Weise gleichmässig erfassen lassen493. Im
Ergebnis umfasst der Markteinkommensbegriff das aus einer Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr bzw. am Marktgeschehen mit Gewinnabsicht realisierte Einkommen494. Konsumierbare Vermögenszugänge, die ohne Beteiligung am Marktgeschehen erworben werden, sind demnach vom geltenden deutschen Einkommensteuerrecht nur erfasst, wenn sie ausdrücklich für steuerbar erklärt werden495.
Bleibt zu bemerken, dass die Reinvermögenszugangstheorie in ihrer „ungeschliffenen“
Fassung starke Auswirkungen auf Finanzwissenschaft und Gesetzgebung in den
U.S.A. hatte496.
2.
Einkommensbegriff im DBG
Abgesehen vom Hinweis auf die breite Fassung des Einkommensbegriffes497 findet
sich im DBG keine nähere Umschreibung desselben. Die Konturen des dem DBG zugrunde liegenden Einkommensbegriffes zeichnen sich erst ab durch Auslegung der
verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen über steuerbare und steuerfreie Vermögenszugänge498.
492
493
494
495
496
497
498
Senats (BFH BStBl. 1984, 766) beruht auf st. höchstrichterlicher Rspr. seit dem Grundsatzurteil
des RFH v. 14.3.1929 (RStBl. 1929, 329). Damit hat die Judikatur das Einkommensteuerobjekt
‘Summe der Einkünfte’ als sog. Markteinkommen konkretisiert.“
Tipke/Lang, § 9 N 52 m.w.Nw.
Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 566; Tipke/Lang, § 8 N 31; Hirt, S. 133.
Tipke/Lang, § 9 N 52 und § 8 N 30, am letztgenannten Ort mit Hinweis darauf, dass bereits Wilhelm Roscher den Markteinkommensbegriff im Ansatz formuliert hat; Ruppe, N 17 Einführung
EStG; Zugmaier, N 10 zu § 2; Reich, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann,
DBG Kommentar, N 4 zu Art. 16; Hirt, S. 132 f.
Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 567; Reich, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 16.
Namentlich Haig und Simons waren bedeutende Vertreter der Reinvermögenszuganstheorie in
den U.S.A., und die Reinvermögenszuganstheorie erhielt die Bezeichnung „SHS-Einkommenskonzept“ (v. Schanz, Haig, Simons). Konkret ist denn der U.S. Internal Revenue Code auch breit
angelegt; section 61 (a): “Except as otherwise provided in this subtitle, gross income means all income from whatever source derived, including [but not limited to] the following items…”; vgl.
Tipke/Lang, § 8 N 32.
Art. 16 Abs. 1 DBG: „Der Einkommensteuer unterliegen alle wiederkehrenden und einmaligen
Einkünfte.“; zur Generalklausel auch gleich anschliessend, § 5 C. II. 1., S. 105.
Locher, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 16.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
101
Auch wenn die Reinvermögenszugangstheorie einen massgebenden Einfluss auf den
Einkommensbegriff des DBG hatte, ist unbestritten, dass sie nicht in ihrer Reinform
übernommen wurde499. Allgemein kann festgehalten werden, dass sich der Einkommensbegriff des DBG nicht auf eine Theorie reduzieren lässt, sondern komplex geschichtet ist.
2.1.
Rechtsprechung
Das Bundesgericht geht grundsätzlich von der Reinvermögenszugangstheorie aus,
nimmt aber an, dass dieser bei natürlichen Personen ohne buchführungspflichtige Unternehmung nur eingeschränkt Geltung zukomme500 und dort das steuerbare Einkommen nicht nach einer generell verbindlichen Einkommenstheorie, sondern in pragmatischer Vorgehensweise im konkreten Einzelfall anhand der im Steuergesetz (nicht abschliessend) positiv und (abschliessend) negativ aufgezählten Beispiele zu ermitteln
sei501.
2.2.
Lehre
2.2.1. Pragmatische Vorgehensweise
Der bundesgerichtlichen Auffassung am nächsten steht die Äusserung von
HÖHN/WALDBURGER, wonach aufgrund der komplexen Struktur des gemäss positivem
Recht steuerbaren Einkommens kein eindeutiger Einkommensbegriff gewonnen werden könne, sondern pragmatisch anhand des Gesetzeswortlautes zu ermitteln sei502.
499
500
501
502
Locher, DBG Kommentar, N 8 f. zu Art. 16; Reich, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16.
BGE 115 Ib 238 (240); BGE 108 Ib 227 (229 f.). Dies gestützt auf die Überlegung, dass die Ermittlung des Reinvermögenszuganges die Berücksichtigung von Vermögensveränderungen bedinge, was nur bei buchführungspflichtigen Unternehmungen möglich sei; BGE v. 20.6.1986, in:
ASA 56, 61 (64). Siehe auch Ryser, S. 126; Ryser/Rolli, S. 154 f. und S. 156 f; Cagianut, S. 44;
vgl. auch Haller, Umstrittene Fragen, S. 28. A.M. Locher, DBG Kommentar, N 10 zu Art. 16,
m.w. Ausführungen; auch Blumenstein/Locher, S. 172.
BGE 117 Ib 1 (2 f.); BGE v. 20.6.1986, in: ASA 56, 61 (64).
Höhn/Waldburger, § 14 N 8 f.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
102
2.2.2. Ablehnung der pragmatischen Vorgehensweise durch die herrschende
Lehre
Die herrschende Lehre wendet sich jedoch gegen ein rein pragmatisches Vorgehen503.
Zwar anerkennt sie, dass das gesetzgeberische „Programm“ wohl nur undeutlich sichtbar und lückenhaft umgesetzt worden ist504. Aber auch wenn keine präzise Einkommensdefinition gewonnen werden kann, bringt die herrschende Lehre meines Erachtens zu Recht vor, dass es dennoch hilfreich ist, den Einkommensbegriff soweit als
möglich herauszukristallisieren505. Dadurch können Grundwertungen offen gelegt
werden, die als Auslegungspunkte massgebend sind506 und eine begründete Behandlung von Unklarheiten ermöglichen. Eine rein pragmatische, einzelfallorientierte Betrachtung vermag nicht zu erklären, was gemeint ist, wenn grundsätzlich „alle Einkünfte“ (Art. 16 Abs. 1 DBG) der Einkommensteuer unterstellt werden und lässt weite
Fragenbereiche offen. Nur durch Aufdeckung eines anleitenden Einkommensbegriffes
kann für zahlreiche der Vermögenszugänge, die nicht ausdrücklich im DBG geregelt
sind, eine begründete Beurteilung der Steuerbarkeit vorgenommen werden507.
Bei den Befürwortern der Umschreibung eines Einkommensbegriffes weichen die
Meinungen wiederum auseinander und nachfolgend finden sich die bedeutendsten
Auffassungen veranschaulicht.
2.2.3. Referenz an Markteinkommenskonzept
BLUMENSTEIN/LOCHER gehen von der Reinvermögenszugangstheorie aus, die sie um
das Markteinkommenskonzept dergestalt ergänzen wollen, dass nur jene Reinvermögenszugänge steuerlich relevant seien, die aus einer Teilnahme am Marktgeschehen
resultierten508. Sie räumen dabei selber ein, dass im Schweizer Steuerrecht nicht das
„reine“ Markteinkommenskonzept verwirklicht worden sei. Vielmehr erfahre es eine
503
504
505
506
507
508
Reich, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 6 zu Art.
16; Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16 DBG; Oberson, Droit fiscal, § 7 N 4 ff.
Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16.
Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16 DBG; Reich, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16 DBG.
Locher, DBG Kommentar, N 3 zu Art. 16 DBG.
Vgl. auch Reich, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16 DBG.
Blumenstein/Locher, S. 171 ff.; so auch Locher, DBG Kommentar, N 2 ff. zu Art. 16 DBG.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
103
Relativierung durch die steuerliche Berücksichtigung von bestimmten nicht am Markt
erzielten, zugerechneten Einkünften509, 510.
RIVIER vertritt die Ansicht, wonach im Schweizer Steuerrecht grundsätzlich wohl die
Reinvermögenszugangstheorie normiert worden sei, der Gesetzesanwender sich bei
der Interpretation jedoch durch das Markteinkommenskonzept habe leiten zu lassen511.
2.2.4. Zuflussprinzip
REICH verwirft das Markteinkommenskonzept mit dem Hinweis darauf, dass dieses in
der deutschen Doktrin entwickelt worden sei, jedoch im schweizerischen Recht der
Einkommensbegriff viel umfassender konzipiert sei als im deutschen Recht512. So sind
Erbschaften und Schenkungen sowie Genugtuungsleistungen und gewisse Unterstützungsleistungen im DBG ausdrücklich vom steuerbaren Einkommen ausgenommen513.
Auch sind in der Schweiz Einkünfte aus Liebhaberei, Fund oder aus unerlaubter
Handlung aufgrund der Generalklausel steuerbar, ohne dass dies spezifisch normiert
wäre514. Ebenfalls folgt die Alimentenbesteuerung515 anders als im deutschen Steuerrecht gerade nicht dem Markteinkommenskonzept516. REICH hält dafür, dass die Reinvermögenszugangstheorie zu ergänzen sei durch das Zuflussprinzip (Einkommen als
„Reinvermögenszufluss“), da gemäss Gesetzeslage in Abweichung von der Reinvermögenszugangstheorie nur jene Vermögenszugänge als Einkünfte erfasst würden, die
auf Zuflüsse von aussen zurückzuführen seien517. Dies hat zur Folge, dass sog. endogene Vermögenszugänge518 unbesteuert bleiben, solange sie nicht ausdrücklich für
steuerbar erklärt werden. Endogene Vermögenszugänge sind somit nach dem Zuflussprinzip, anderslautende gesetzliche Regelungen vorbehalten, einkommensteuer509
510
511
512
513
514
515
516
517
518
Zugerechnete Einkünfte: Eigenleistungen verschiedenster Art sowie Wert der Eigennutzung von
Vermögenswerten. Dazu bereits oben, § 5 C. I. 1., S. 99.
Blumenstein/Locher, S. 171 f.; Locher, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 16 DBG.
Rivier, S. 301.
Reich, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 16 DBG.
Art. 24 lit. a, d, e und g DBG.
Reich, DBG Kommentar, N 27 zu Art. 16; vgl. auch VerwGE Zürich v. 26.11.1981, in: RB ZH
1981 Nr. 46.
Art. 23 lit. f DBG.
Reich, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 16 DBG; siehe zu den steuerpflichtigen Einkünften im
deutschen Steuerrecht u.a. Tipke/Lang, § 9 N 120 ff.
Reich, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16 DBG; auch Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar,
N 15 zu Art. 16, gehen davon aus, dem DBG liege das Reinvermögenszuflussprinzip zugrunde.
Zu diesem Begriff oben, § 5 C. I. 1., S. 99.
104
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
lich erst dann relevant, wenn sie realisiert, das heisst in eine andere Wertform umgesetzt werden, die Vermögenssphäre des Steuerpflichtigen verlassen und dadurch ein
korrelierender, von aussen her eintretender und daher steuerbarer Zufluss eines neuen
geldwerten Vorteils ausgelöst wird519.
2.3.
Geringe Abweichungen in der praktischen Konsequenz
Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über den theoretischen Einkommensbegriff bleibt anzufügen, dass die unterschiedlichen Ansichten nur zu wenigen abweichenden Beurteilungen von konkreten Fällen führen520 und zudem der Theorienstreit
in heiklen Punkten in der Regel durch gesetzliche Regelung unterbunden wird521.
Ebenfalls herrscht in der Fallbeurteilung im Ergebnis weitestgehend Einklang mit dem
sehr pragmatischen bundesgerichtlichen Einkommensbegriff.
II.
Gesamtreineinkommensbesteuerung
Im DBG ist das Prinzip der Gesamtreineinkommensteuer verwirklicht522: Zum einen
durch die grundsätzliche Erfassung sämtlichen Einkommens im Sinne des DBG, zum
anderen durch die an die Leistungsfähigkeit angepasste Reineinkommensbesteuerung.
519
520
521
522
Reich, DBG Kommentar, N 13 ff. zu Art. 16 DBG.
V.a. betreffend: Einkommen aus Liebhaberei (vgl. dazu Reich, DBG Kommentar, N 27 zu Art.
16; Locher, DBG Kommentar, N 14 f. zu Art. 18) und Fund (Reich, DBG Kommentar, N 27 zu
Art. 16); von aussen zufliessende, nicht am Markt erzielte Einkommen aus unerlaubter Handlung;
Eigenarbeiten ausserhalb der selbständigen Erwerbstätigkeit, die zu objektiver Wertvermehrung
führen und realisiert werden (Veräusserung) sowie – was den gewichtigsten Unterschied bildet
(Locher, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16; Gurtner/Locher, S. 602) – betreffend der Eigennutzung dauerhafter Vermögenswerte. Siehe zu den Unterschieden u.a. Reich, DBG Kommentar, N
27 ff. zu Art. 16; Locher, DBG Kommentar, N 13 zu Art. 16; Hirt, S. 145 f.; Gurtner/Locher,
S. 602.
Z.B. ist in Art. 21 Abs. 1 lit. b DBG die Steuerbarkeit der Eigennutzung von Liegenschaften ausdrücklich niedergelegt, und die Steuerfreiheit der Eigennutzung beweglicher dauerhafter Vermögenswerte ergibt sich mit einem argumentum e contrario aus Art. 21 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 20
Abs. 1 DBG. Der genannte Umkehrschluss beruht darauf, dass in Art. 21 Abs. 1 lit. b DBG die
Eigennutzung von Liegenschaften ausdrücklich der Besteuerung unterstellt wird, in Art. 20 Abs. 1
DBG jedoch eine entsprechende Bestimmung fehlt.
BGE 125 II 113 (119); Reich, DBG Kommentar, N 18 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann, DBG
Kommentar, N 8 zu Art. 16.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
1.
105
Gesamteinkommensteuer
Wird davon ausgegangen, das Einkommen bilde den deutlichsten Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit523, offenbart sich im DBG eine zentrale Bindung an den Leistungsfähigkeitsgedanken durch die Generalklausel in Art. 16 Abs. 1, gemäss welcher
grundsätzlich sämtliches Einkommen steuerbar ist524.
In Art. 17-23 DBG sind die wichtigsten Einkünfte beispielhaft aufgezählt und näher
umschrieben525. In Art. 16 Abs. 3526 und Art. 24 DBG finden sich dann einzeln und abschliessend die Einkünfte aufgelistet, die von der direkten Bundessteuer ausgenommen
sind527. Diese Ausnahmen von der Gesamteinkommensteuer erfolgten unter anderem
aus sozialen Überlegungen und sind insofern z.T. aus Leistungsfähigkeitsperspektive
geboten, was im nächsten Abschnitt dargestellt wird. Einige Befreiungen sind hingegen vor allem steuertechnisch528, wirtschaftspolitisch529 oder föderal530 begründet531
und lösen sich von der grundsätzlichen Orientierung am Leistungsfähigkeitsprinzip532.
523
524
525
526
527
528
529
Dazu oben, § 5 B. II., S. 93 f.
Bezüglich Leistungsfähigkeitsprinzip und breitem Einkommensbegriff auch: Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 11; Klett, Gleichheitssatz, S. 121; dies., Progressive Einkommenssteuer,
S. 610; Senn, S. 171. Zur Einkommensgeneralklausel: BGE 125 II 113 (119); Reich, DBG Kommentar, N 2 f. zu Art. 16 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 8 ff. zu Art. 16; Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 24; Locher, DBG Kommentar, N 2 ff. zu Art. 16 DBG;
Oberson, Droit fiscal, § 7 N 5; a.M. Höhn/Waldburger, § 14 N 13, wonach das DBG im Unterschied zum BdBSt keine Generalklausel mehr enthalte; vgl. zu der Auffassung von
Höhn/Waldburger die Ausführungen in: Locher, DBG Kommentar, N 5 zu Art. 16; Reich, DBG
Kommentar, N 3 zu Art. 16.
BGE 125 II 113 (119); Reich, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 16; Richner/Frei/Kaufmann, DBG
Kommentar, N 10 zu Art. 16; Locher, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 16.
Wobei dieser Absatz gesetzessystematisch falsch eingeordnet ist. Eigentlich müsste er bei Art. 24
DBG, d.h. bei den anderen einkommensteuerbefreiten Einkunftsarten, aufgeführt sein. Die Fehleinteilung ist darauf zurückzuführen, dass im DBG-Entwurf des Bundesrates in Art. 16 Abs. 3
ursprünglich eine beschränkte Besteuerung von Gewinnen auf privat gehaltenen Beteiligungen
vorgesehen war, diese Idee dann aber in den parlamentarischen Beratungen umgestossen und statt
dessen die Steuerfreiheit der Kapitalgewinne auf Privatvermögen statuiert wurde. Dazu Reich,
DBG Kommentar, N 44 f. zu Art. 16.
Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 24; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 11
zu Art. 16; a.M. Locher, DBG Kommentar, N 6 zu Art. 16 und N 1 zu Art. 24.
Steuertechnisch motiviert ist z.B. die steuerliche Befreiung privater Kapitalgewinne aus der Veräusserung von beweglichem Privatvermögen: Art. 16 Abs. 3 DBG; dazu gleich nachfolgend im
Text.
Art. 24 lit. b DBG; vgl. zu dieser Norm auch Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 24;
Locher DBG Kommentar, N 22 zu Art. 24.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
106
Besonders hervorzuheben ist die bereits verschiedentlich erwähnte Ausnahme privater
Kapitalgewinne von der Einkommensteuer (Art. 16 Abs. 3 DBG)533, die eine gewichtige Durchbrechung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit darstellt534. Kapitalgewinne steigern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und eine Besteuerung ist folglich nach dem Grundsatz der Besteuerung nach
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geboten. Fragwürdig ist aus steuerlichen Gerechtigkeitsüberlegungen insbesondere der Umstand, dass über Kapitalgewinne zum
Teil erhebliche Vermögenszuwächse realisiert werden, die bei der geltenden Regelung
nicht besteuert werden. Die gleichmässige Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird dadurch untergraben und zudem auch die Allgemeinheit der Besteuerung535 verletzt, indem bestimmte Gruppen (Erzieler privater Kapitalgewinne)
nicht zur Tragung der staatlichen Lasten herangezogen werden. In der Rechtsprechung
des Bundesgerichts536 wird die steuerliche Ausnahme der privaten Kapitalgewinne akzeptiert gestützt auf steuertechnische Gründe, konkret aus Gründen der Praktikabilität
und der Veranlagungsökonomie537.
2.
Reineinkommensteuer
Eine die Leistungsfähigkeit berücksichtigende Besteuerung kann sich nicht auf die Gesamtheit der Bruttoeinkünfte als endgültige Berechnungsgrundlage stützen. Vielmehr
sind verschiedene Abzüge vorzunehmen, um der objektiven und subjektiven Leistungsfähigkeit bzw. dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip zu entsprechen.
530
531
532
533
534
535
536
537
So soll z.B. das Steuersubstrat aus Erbschaften und Schenkungen vollumfänglich den Kantonen
überlassen werden; Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 5 zu Art. 24; Höhn/Waldburger, § 14 N 21.
Dasselbe gilt für die Grundstückgewinnsteuer; dazu Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 21.
Dazu auch Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12.
Reich, DBG Kommentar, N 46 zu Art. 16 DBG.
Vgl. BGE 114 Ia 221 (mit Bezug auf eine kantonale Steuerordnung; dazu bereits oben, FN 191;
BGE 115 Ib 238 (240).
Reich, DBG Kommentar, N 46 zu Art. 16; Klett, Gleichheitssatz, S. 125 f.; Locher, DBG Kommentar, N 72 zu Art. 16; Höhn, Kapitalgewinnbesteuerung, S. 275 f.; Expertenbericht
Steuerlüc??ken (1998), S. 19 f. und S. 70 f.; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 37.
Zur Allgemeinheit der Besteuerung bereits oben, § 2 B. II. 2., S. 33 ff.
Zu kantonalen Gesetzen, bei eidgenössischen Gesetzen gilt das Anwendungsgebot von Art. 16
Abs. 3 DBG.
BGE 125 II 113 (119); BGE 114 Ia 221 (dazu oben, FN 191); vgl. u.a. auch: Reich, DBG Kommentar, N 46 zu Art. 16; Hirt, S. 73 ff.; Klett, Gleichheitssatz, S. 125 f.; Yersin, S. 211 f.; Locher,
DBG Kommentar, N 72 zu Art. 16; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 37.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
2.1.
107
Objektive Leistungsfähigkeit
Vom Roheinkommen sind die Gewinnungskosten abzuziehen. Unter Gewinnungskosten, die auch organische Kosten genannt werden, fallen die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erzielung des Einkommens stehenden Aufwendungen538. Im DBG
sind solche Abzugsmöglichkeiten vorgesehen: Namentlich die Gewinnungskosten unselbständig Erwerbender (Berufskosten; Art. 26 DBG), die Gewinnungskosten selbständig Erwerbender (geschäfts- bzw. berufsmässig begründeter Aufwand; Art. 27 ff.
DBG), die Verwaltungskosten beweglichen und unbeweglichen Privatvermögens
(Vermögensverwaltungskostenzüge; Art. 32 Abs. 1 und Abs. 2 DBG) sowie die Unterhaltskosten von Liegenschaften (Unterhaltskostenabzüge; Art. 32 Abs. 2 DBG)
werden als Gewinnungskostenabzüge zugelassen. Zudem können einige der als „allgemeine Abzüge“ in Art. 33 DBG abzugsberechtigten Aufwandarten, insbesondere die
Schuldzinsen und Vorsorgeaufwendungen, je nach konkreter Situation Gewinnungskostencharakter aufweisen539. Umstritten ist in der Lehre, ob durch Art. 25 ff. DBG
eine Gewinnungskostengeneralklausel zum Ausdruck gebracht wird540, was eine folgerichtige Entsprechung zur Einkommensgeneralklausel wäre und mit der Regelung im
StHG (Art. 9) gleich läge541.
Durch den Abzug der organischen Kosten wird das Reineinkommen ermittelt, das dem
Steuerpflichtigen zur Bestreitung weiterer, nicht unmittelbar durch die Einkommenserzielung veranlassten Kosten zur Verfügung steht und demgemäss die objektive Lei-
538
539
540
541
BGE 124 II 29 (32); BGE 113 Ib 114 (117); BGE 100 Ib 480 (481); Reich, DBG Kommentar, N 8
zu Art. 25; Locher, DBG Kommentar, N 1 und N 9 ff. zu Art. 25; Höhn/Waldburger, § 14 N 110;
vertiefend: Funk, S. 226 ff.
Reich, DBG Kommentar, N 17 zu Art. 25 DBG; Locher, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 33 DBG.
Eine Gewinnungskostengeneralklausel bejahend: Reich, DBG Kommentar, N 11 f. zu Art. 25;
Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 25; Locher, DBG Kommentar, N 2 ff.. zu
Art. 25; an beiden Orten weitere Begründungen. Eine Gewinnungskostengeneralklausel ablehnend: Höhn/Waldburger, § 14 N 11 ff., u.a. auf den abweichenden Wortlaut von 25 DBG und der
thematisch analogen Regelung im StHG hinweisend. Auch das Bundesgericht geht anscheinend
eher davon aus, in 25 ff. DBG werde keine Gewinnungskostengeneralklausel statuiert: BGE 125
II 113 (123 f.); Locher, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 25; vgl. zum StHG auch BGE 128 II 66.
Hingegen nahm das Verwaltungsgericht Fribourg im Urteil v. 31.8.1998 (StE 1999 B 27.7 Nr. 14)
an, im DBG sei eine Gewinnungskostengeneralklausel niedergelegt.
Reich, DBG Kommentar, N 12 zu Art. 25; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 4 zu
Art. 25; Locher, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 25.
108
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
stungsfähigkeit542 widerspiegelt. Daher wird in diesem Zusammenhang auch vom objektiven Nettoprinzip gesprochen543.
2.2.
Subjektive Leistungsfähigkeit
Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fordert zudem eine Anpassung der Berechnungsgrundlage an die persönlichen Verhältnisse544. Dazu sind
weitere Abzüge erforderlich. Verschiedene Einkommensbindungen545, die durch die
individuelle Situation des Steuerpflichtigen bedingt sind, reduzieren das disponible
Einkommen546 und vermindern somit die subjektive Leistungsfähigkeit547. In Befolgung des sog. subjektiven Nettoprinzips548 hat der Steuergesetzgeber dem teilweise
Rechnung getragen und legte im DBG entsprechende Regelungen fest:
Zum einen können gemäss Art. 33 DBG unter dem Titel „allgemeine Abzüge“ bestimmte anorganische Kosten in Abzug gebracht werden549. Anorganische Kosten stehen, anders als die organischen Kosten, nicht in unmittelbarer Verbindung zur Einkommenserzielung, sondern stellen eigentlich Lebenshaltungskosten dar550, und diese
können grundsätzlich steuerlich nicht abgezogen werden (Art. 34 lit. a DBG). Aus sozialen Gründen, um eben die individuelle wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen,
wurden mit den Abzugsmöglichkeiten für anorganische Kosten gemäss Art. 33 DBG
Ausnahmen gewährt551. Zum anderen sieht Art. 35 DBG als „Sozialabzüge“ genau
542
543
544
545
546
547
548
549
550
551
Dazu Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12: „Das so ermittelte Reineinkommen als Überschuss
der Einkünfte über die Aufwendungen schafft einen objektiven Vergleichsmassstab der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Das Reineinkommen zeigt den Zuwachs der einem Steuerpflichtigen zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stehenden Mittel an.“ Siehe
auch Klett, Gleichheitssatz, S. 115; Grünblatt, S. 180 ff.; Senn, S. 172.
Reich, DBG Kommentar, N 5 zu Art. 25.
Oben, § 3 C., S. 75.
Dazu Klett, Gleichheitssatz, S. 129 f.; Senn, S. 173.
Vgl. Grünblatt, S. 184 f.
Klett, Gleichheitssatz, S. 129.
Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 33 DBG; Reich, DBG Kommentar, N 17 zu Art. 25.
Beispielsweise Unterhaltsbeiträge (lit. c); Aufwendungen für Prämien und Beiträge an Lebensund Krankenversicherungen (lit. g); Krankheits-, Invaliditäts- und Unfallkosten (lit. h). Vgl. zu
den anorganischen Kosten u.a.: Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 ff. zu Art. 33; Locher, DBG
Kommentar, N 1 ff. zu Art. 33; Grünblatt, S. 187 f. Wie oben, § 5 C. II. 2.1., S. 107, bereits hervorgehoben wurde, sind nicht alle in Art. 33 DBG geregelten Aufwendungen zwingend anorganische Abzüge. Einige der Kosten können je nach Sachverhalt auch organische Kosten darstellen.
Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 33.
Klett, Gleichheitssatz, S. 129 FN 590, geht davon aus, dass private Schuldzinsen, Einlagen für
Kapitalversicherungen und freiwillige Beiträge an gemeinnützige Institutionen die subjektive Lei-
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
109
festgelegte Kinder- und Unterstützungsabzüge vor, mit denen, schematisch und auf die
zwei genannten Abzugsarten beschränkt, individuelle wirtschaftliche Verhältnisse berücksichtigt werden552. Zusätzlich wird der subjektiven Leistungsfähigkeit Rechnung
getragen, indem das DBG eine Einkommensfreigrenze553 bis Fr. 12‘800 einräumt (Art.
214 Abs. 2 DBG). Anzumerken ist, dass aus Leistungsfähigkeitsperspektive die gänzliche steuerliche Ausnahme des Existenzminimums von der Berechnungsgrundlage
geboten ist. Was zur Deckung des Existenzminimums verwendet werden muss, stellt
keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dar. Dazu ist jedoch auf weiter unten zu verweisen, wo näher auf die steuerliche Behandlung des Existenzminimums im Schweizer Steuerrecht eingegangen wird554.
III. Behandlung von Ersparnissen und Aufwendungen für Vorsorgeversicherungen im geltenden Einkommensteuerrecht
Wenn auch im geltenden Einkommensteuerrecht der Grundsatz gilt, dass das zugeflossene Reineinkommen steuerbar ist und Einkommensverwendungen nicht von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden können555, ergibt sich bei näherer Betrachtung
der steuerlichen Behandlung der Ersparnisbildung ein differenziertes Bild. Insbesondere dann, wenn auch das versicherungsmässige Vorsorgesparen miterfasst wird. So
sind unter anderem zur Verwirklichung einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit Aufwendungen für die Altersvorsorge im Rahmen der 1. und 2.
Säule abzugsfähig556 bzw. fliesst der Arbeitgeberanteil, obwohl ihm funktionell Lohn-
552
553
554
555
556
stungsfähigkeit grundsätzlich nicht mindern. Diese Abzüge müssen von dieser Warte aus als rein
sozialpolitisch motiviert betrachtet werden. Anzumerken ist, dass die privaten Schuldzinsen u.U.
Gewinnungskostencharakter haben können und die Abzugsfähigkeit dann unter das objektive Leistungsfähigkeitsprinzip fällt.
Dazu Locher, DBG Kommentar, N 1 ff. zu Art. 35; Grünblatt, S. 186 f.
Bei den Freigrenzen handelt es sich um Grenzminima; überschreitet die Berechnungsgrundlage
den genannten Grenzbetrag, so wird die Berechnungsgrundlage im gesamten Umfang besteuert
und nicht nur im Ausmass eines allfälligen Mehrbetrages. Hingegen können sog. Freibeträge als
Abzugsminima ungeachtet der Einkommenshöhe von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Vgl. zur diesbezüglichen Terminologie Herzog, S. 18.
§ 5 F., S. 163 ff.
Klett, Gleichheitssatz, S. 126 und S. 128; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 12.
Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG für die Arbeitnehmerbeiträge.
110
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
charakter zukommt557, nicht in die Berechnungsgrundlage des Arbeitnehmers ein. Zudem sind in Abstützung auf den verfassungsmässigen Auftrag zur Förderung der
Selbstvorsorge558 zum Teil weitere Vorsorgeaufwendungen sowie betragsmässig limitiert Zinsen von Sparkapitalien abzugsfähig559 und bestimmte Einkünfte aus Vorsorge
werden gar für steuerfrei erklärt560. Nachfolgend wird ein Überblick über die einzelnen
Spar- bzw. Vorsorgebehandlungen und deren rechtliche Grundlagen gegeben.
1.
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (1. Säule)
Die gesetzlich vorgeschriebenen Beiträge „zum Erwerb von Ansprüchen aus der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung“ sind gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. d
DBG von der Steuerberechnungsgrundlage abziehbar bzw. bilden die Arbeitgeberbeiträge nicht Bestandteil der Einkommensberechnungsgrundlage des Begünstigten561.
Eine Besteuerung erfolgt nach Art. 22 Abs. 1 DBG erst bei Zufluss der AHV-Renten.
Die rechtliche Einordnung der steuerlichen Behandlung der AHV-Beiträge eröffnet ein
vielschichtiges Bild: Vieles spricht dafür, die AHV-Beiträge als organische Kosten zu
qualifizieren562, da sie unmittelbar der Gewinnung zukünftigen Einkommens in Risikolagen dienen und in einem direkten ursächlichen Zusammenhang zu diesem Einkommen stehen563. Demgemäss würde es bereits das oben erläuterte objektive Nettoprinzip fordern, dass die Beiträge von der steuerlichen Berechnungsgrundlage abgezogen werden564. Unter Umständen stellen aber nicht sämtliche AHV-Beiträge Gewinnungskosten dar. Denn gemäss AHV-Gesetzgebung steigen zwar die Beitragsleistungen proportional mit dem Einkommen an, die monatliche Rentenzahlung hingegen ist
gegen oben begrenzt565. Folglich stellen bei materieller Betrachtung die Beiträge ab
557
558
559
560
561
562
563
564
565
Und entsprechend vom Arbeitgeber auch als geschäftsmässig begründeter Aufwand abgezogen
werden kann: Art. 27 DBG inkl. der Sonderbestimmung von Art. 57 Abs. 2 lit. c DBG und Art. 58
DBG inkl. der Sonderbestimmung von Art. 59 Abs. 1 lit. b DBG.
Art. 111 Abs. 4 BV.
Art. 33 Abs. 1 lit. e und g DBG.
Art. 24 lit. b DBG.
Beim Arbeitgeber stellen diese Beiträge geschäftsmässigen Aufwand dar, vgl. eben FN 557.
Vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 33; Reich, DBG Kommentar, N 17 zu Art. 25.
Zur Umschreibung organischer Kosten in Praxis und Lehre oben, § 5 C. II. 2.1., S. 107 inkl. FN
538.
Bzw. ausgenommen werden, so wie es bei den Arbeitgeberbeiträgen der Fall ist.
Für Alleinstehende ist die Maximalrente auf Fr. 2‘110.- begrenzt, für Ehepaare auf Fr. 3‘165.(Ehepaarente; Art. 35 AHVG); vgl. Art. 34 Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung 03
über die Anpassung an die Lohn und Preiseintwicklung bei der AHV/IV/EO.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
111
einer bestimmten Einkommensstufe nicht mehr Aufwendungen zur Gewinnung eigenen zukünftigen Einkommens dar, sondern ihnen kommt (Zweck-)Steuercharakter zu.
Bereits dies lässt nicht mehr alle AHV-Beiträge als organische Kosten erscheinen. Es
ist jedoch ein anderer Punkt, an dem die Begründung der Abzugsfähigkeit der AHVBeiträge durch Zuordnung zu den organischen Kosten letztlich scheitert. Nach konstanter Rechtsprechung werden als abzugsfähige organische Kosten ausschliesslich
solche Kosten aufgefasst, die nicht nur sachlich, sondern auch zeitlich in engem Zusammenhang mit der Einkommenserzielung stehen: Demnach finden in Abstützung
auf das Periodizitätsprinzip nur jene Aufwendungen als abziehbare organische Kosten
Berücksichtigung, denen in der gleichen Steuerperiode ein damit zusammenhängender
Einkommenszufluss entgegen steht566. Da die AHV-Leistungen regelmässig nicht in
der Beitragsperiode zufliessen, stellen sie – wenn auch funktionell die Nähe unbestritten ist – keine abzugsfähigen organischen Kosten im Sinne der Rechtsprechung dar.
Anzumerken ist, dass mit Bezug auf die AHV-Beiträge wenig praktischer Anlass besteht, die sich an das Periodizitätsprinzip bindende Rechtsprechung zu den organischen Kosten kritisch zu hinterfragen567: Die AHV-Beiträge sind nämlich ohnehin,
und zwar gestützt auf ausdrückliche Gesetzesbestimmung568, von der Steuerberechnungsgrundlage abziehbar.
Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass bei materieller Betrachtung die AHV-Beiträge,
zumindest insoweit sie noch rentenbildend sind und keinen Steuercharakter aufweisen,
auch aus Gründen des subjektiven Nettoprinzips zum Abzug vom steuerbaren Einkommen zuzulassen sind, da sie der Existenzsicherung in zukünftigen Risikolagen
dienen569 und somit das disponible Einkommen reduzieren.
Der entscheidende Grund für die Abzugsfähigkeit der AHV-Beiträge ist hingegen
darin zu finden, dass der Verfassungsgeber die AHV-Beiträge für obligatorisch erklärt
566
567
568
569
BGE v. 20.12.1985, in: ASA 56, 132 (134 f.); VerwGE Luzern v. 26.7.2000, in: StE 2001 B
23.44.2 Nr. 3; VerwGE Zürich v. 26.5.1999, in: StE 1999 B 22.3 Nr. 68; VerwGE Zürich v.
7.6.1994, in: StE 1994 B 21.2 Nr. 7; vgl. dazu auch Richner, S. 183 f.; Locher, DBG Kommentar,
N 22 zu Art. 25; Funk, S. 42 f.
Anders ist dies bei den “regulären” Gewinnungskosten. Vgl. diesbezüglich auch Richner, S. 184,
der die aufgezeigte Rechtsprechung als zu einschränkend kritisiert und eine Abkehr vom Periodizitätsprinzip bei den Gewinnungskosten fordert. Dabei weist er darauf hin, dass das Periodizitätsprinzip im Zusammenhang mit den Gewinnungskosten ohnehin bereits verschiedentlich von
Gesetzgeber und Rechtsprechung durchbrochen wurde. Ebenso Richner/Frei/Kaufmann, DBG
Kommentar, N 8 zu Art. 25; vgl. zu dieser Thematik auch Funk, S. 234 ff.
Siehe oben, FN 556 und FN 557.
Die AHV-Renten sollen den Existenzbedarf angemessen decken: Art. 112 Abs. 2 lit. b BV.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
112
hat570. Damit liegt faktisch eine die Beiträge in ihrer Gesamtheit, das heisst auch die
nicht mehr rentenbildenden Anteile, beschlagende subjektive Einkommensbindung vor.
Die Beiträge sind zwangsweise zu leisten und mindern die aktuelle subjektive Leistungsfähigkeit. Demzufolge entspricht die allgemeine Abzugsfähigkeit der AHVBeiträge der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit571.
Die bei Auszahlung der AHV-Renten gemäss Art. 22 Abs. 1 DBG greifende Besteuerung wiederum ist aus Leistungsfähigkeitsgründen geboten, insofern dann frei verfügbares Einkommen zufliesst. Zu beachten ist allerdings, dass eine Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – wie soeben oben dargelegt wurde – eine Freistellung des Existenzminimums gebieten würde und demnach die den Existenzbedarf
deckenden AHV-Renten letztlich steuerfrei zufliessen könnten, insoweit keine anderen
Einkommensquellen gegeben sind oder sonstig zu berücksichtigendes Vermögen vorliegt.
2.
Berufliche Vorsorge (2. Säule)
2.1.
Rechtliche Regelung
Wie bei der AHV können Einlagen des Arbeitnehmers in die berufliche Vorsorge von
der Steuerberechnungsgrundlage abgezogen werden572 bzw. fallen Einlagen des Arbeitgebers nicht in die einkommensteuerliche Berechnungsgrundlage des Arbeitnehmers573. Die auf den Guthaben der beruflichen Vorsorge anfallenden Erträge sind
ebenfalls steuerfrei574. Erst bei Zufluss der Leistungen aus beruflicher Vorsorge erfolgt
eine Besteuerung575.
570
571
572
573
574
575
Art. 112 Abs. 2 lit. a BV.
Klett, Gleichheitssatz, S. 129 f.
Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG; siehe auch Maute/Steiner/Rufener, S. 139 ff. Der Einkauf von Beitragsjahren wird jedoch durch das Erfordernis der Angemessenheit sowie durch die Limitierung in
Art. 79a BVG eingeschränkt. Vgl. dazu Maute/Steiner/Rufener, S. 141 f. inkl. FN 149;
Höhn/Waldburger, § 14 N 130.
Die durch den Arbeitgeber geleisteten Einlagen stellen abzugsfähigen Geschäftsaufwand dar; vgl.
auch Maute/Steiner/Rufener, S. 148 ff.
Art. 80 Abs. 2 BVG.
Art. 22 Abs. 1 DBG.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
2.2.
113
Die steuerliche Behandlung der Beiträge für die berufliche Vorsorge als
bedeutende befristete Sparbereinigung
Im Unterschied zur AHV, die – abgesehen vom Mindestbeitrag des Ausgleichfonds –
über das Umlageverfahren finanziert wird576, beruht die berufliche Vorsorge auf dem
Kapitaldeckungsverfahren. Beim Kapitaldeckungsverfahren werden die Beiträge inkl.
deren Zinserträgnisse derart individuell zurechenbar angespart, dass im versicherten
Risikofall die Leistungen aus dem angesparten Guthaben gedeckt werden können577.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Idee der Sparbereinigung dem Schweizer
Steuerrecht bereits bekannt ist und namentlich im Bereich der beruflichen Vorsorge
eine befristete Sparbereinigung statuiert wurde. Eindrücklich ist die quantitative Bedeutung dieser befristeten Sparbereinigung:
private Ersparnis
verfügbares
Bruttoeinkommen der
privaten Haushalte
BVGKapital
12.3 Mia
30.4 Mia
279.3 Mia
455 Mia
29.5 Mia
14.2 Mia
21.5 Mia
263.8 Mia
474.3 Mia
1999
26.8 Mia
15.2 Mia
22.9 Mia
257.6 Mia
458.8 Mia
1998
29 Mia
13.7 Mia
21.4 Mia
250.4 Mia
413.6 Mia
BVG-Beiträge
(Arbeitnehmer
und -geber)
Nettokapitalertrag
der berufl. Vors.
2001
32.9 Mia
2000
Quelle: Bundesamt für Sozialversicherung578 und Statistisches Jahrbuch 2004
Der Nettokapitalertrag der beruflichen Vorsorge wurde für die vorliegende Tabelle ermittelt
aus: Bruttokapitalertrag der beruflichen Vorsorge – (Unkosten der Vermögensverwaltung,
Passivzinsen und Verwaltungsaufwand).
576
577
578
Helbling, S. 700. Zur Definition des Umlageverfahrens: Th. Locher, § 2 N 20: “Von einem Umlageverfahren spricht man dann, wenn die Renten des laufenden Jahres durch die gleichzeitig eingehenden Beiträge finanziert werden. In diesem System findet grundsätzlich keine Ersparnisbildung statt, sondern es erfolgt eine direkte Umverteilung der Beiträge der zur Zeit Erwerbstätigen
auf die nicht mehr oder nur noch beschränkt erwerbstätigen Rentner/-innen. Daraus folgt: Im Bereich der AHV bedeutet Umlageverfahren eine ‚Solidarität der Generationen‘, d.h. die jetzt erwerbstätige Generation leistet ihre Beiträge in der Erwartung, dass bei Eintritt des Rentenfalles
die nachfolgenden Generationen ebenfalls die für die Finanzierung der Leistungen notwendigen
Beiträge bezahlen wird (...).“
Th. Locher, § 2 N 23.
Internet-Quelle: www.bsv.admin.ch/statistik/details/d/svs/bv_1_1.pdf (11.12.2003).
114
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Die Ersparnis entspricht dem Saldo des Einkommensverwendungskontos; bezeichnet den
Anteil des verfügbaren Einkommens, der nicht für den letzten Verbrauch verwendet wurde.
Im Rahmen der beruflichen Vorsorge wurden somit im Durchschnitt der Jahre 19982001 jährlich rund Fr. 29.55 Mia. als Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberbeiträge von der
Besteuerung ausgenommen. Zusätzlich fielen durchschnittlich Nettokapitalerträge von
rund Fr. 13.85 Mia. an. Bezogen auf diese Beträge, konkret für durchschnittlich Fr.
43.4 Mia., erfolgt im Sinne einer befristeten Sparbereinigung erst bei eventuellem
späteren Zufluss als Rentenleistung nachgelagert eine Besteuerung. Die quantitativen
Ausmasse der bereits verankerten befristeten Sparbereinigung werden besonders deutlich im Verhältnis zum freien privaten Sparen: Während sich die steueraufschiebend
behandelten BVG-Beiträge und Nettokapitalerträge jährlich (Durchschnitt 1998-2001)
auf rund Fr. 43.4 Mia. summierten, betrug der Anteil des Volkeinkommens, der privat
gespart wurde, für die Jahre 1998-2001 im jährlichen Durchschnitt rund Fr. 24 Mia.
Die im Rahmen der BVG-Regelungen bereits Anwendung findende befristete Sparbereinigung erfasst somit Beträge, die um einiges höher sind als die privat gebildeten Ersparnisse.
2.3.
Leistungsfähigkeitsbezüge der Abzugsfähigkeit von Beiträgen für die
berufliche Vorsorge
2.3.1. Obligatorisch zu leistende Beiträge
a)
Durch den Gesetzgeber geschaffene Einkommensbindung
Die Beiträge für die berufliche Vorsorge besitzen wie die AHV-Beiträge eine funktionelle Nähe zu den organischen Kosten. Eine Begründung der steuerlichen Abzugsfähigkeit scheitert aber wiederum am Periodizitätsprinzip, das heisst am zeitlichen Auseinanderfallen von Beiträgen und Auszahlungen. Auch kann die Abzugsfähigkeit
grundsätzlich nicht über die Gebundenheit der Mittel für die Existenzsicherung begründet werden. Denn zur Deckung des Existenzbedarfs in Risikolagen sollten nach
schweizerischer Vorsorgekonzeption bereits die AHV-Mindestrenten ausreichen579.
Demgemäss können bei wesensgemässer, vom Obligatorium580 gelöster Betrachtung
die Aufwendungen für die berufliche Vorsorge anders als die AHV-Beiträge zu kei579
Art. 112 Abs. 2 lit. b; Helbling, S. 23. Effektiv erfüllt die AHV gemäss dem Drei-Säulen-Bericht
(1995), S. 27, diesen Auftrag nicht gänzlich. Daher ist in vielen Fällen die Entrichtung von sog.
Ergänzungsleitungen (Art. 196 Ziff. 10 ÜbBst. zu Art. 112 BV) erforderlich.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
115
nem Teil als subjektive Einkommensbindung eingestuft werden. Die materielle Begründung für die Abzugsfähigkeit der Beiträge findet sich erst im Obligatorium. Dadurch, dass die Beiträge für obligatorisch erklärt wurden, zumindest bei unselbständig
Erwerbenden mit einem Einkommen über Fr. 14‘880.-581, stellen sie gebundene Einkommensbestandteile dar und tragen bis zur Rückzahlung nicht zur Steigerung der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen bei. Die steuerliche Freistellung der Einzahlungen entspricht daher dem subjektiven Nettoprinzip582.
Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber durch die Verankerung eines Obligatoriums
bei den BVG-Beiträgen eine Einkommensbindung geschaffen hat, die eigentlich nicht
vorgegeben ist583. Es sind nicht Ausflüsse aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip, sondern
Motive der Vorsorgeförderung584, die zur Schaffung dieser Einkommensbindung geführt haben.
b)
Durchbrechung des Periodizitätsprinzips und Verkleinerung der
Berechnungsgrundlage
Aus der beschriebenen, durch den Gesetzgeber geschaffenen Einkommensbindung
folgt eine befristete Sparbereinigung, bei der zweierlei auffällt. Erstens hat der Gesetzgeber eine Durchbrechung des Periodizitätsprinzips statuiert, da vom periodisch zu
bemessenden Einkommen die Beiträge an die berufliche Vorsorge abgezogen werden
können und erst bei späterem Leistungszufluss in die Berechnungsgrundlage fallen.
Zweitens ist mit der befristeten Sparbereinigung eine Verkleinerung der Berechnungsgrundlage gegenüber der traditionellen Besteuerung des Einkommens verbunden, indem die Kapitalerträge auf den BVG-Ersparnissen, sofern von einer marktüblichen
Kapitalverzinsung ausgegangen wird, von der Besteuerung ausgenommen werden585.
Da die Durchbrechung des Periodizitätsprinzips und die steuerliche Befreiung der Kapitalerträge offensichtlich bei der Prüfung einer gänzlichen Sparbereinigung ebenfalls
580
581
582
583
584
585
Art. 113 Abs. 2 lit. b BV.
Art. 113 Abs. 2 lit. b BV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 BVG.
Dazu oben, § 5 C. II. 2.2., S. 108; vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 129 f.
Insofern die BVG-Beiträge nicht zur Existenzsicherung einbezahlt werden, was gemäss theoretischer Konzeption nicht der Fall sein sollte.
Art. 111 BV.
Zwar wird die Besteuerung auch der Kapitalerträge bei Leistungsauszahlung nachgeholt, aber wie
aus einem Barwertvergleich hervorgeht, wird die marktübliche Kapitalverzinsung ausgenommen.
Dieses Problem der „beschränkten Zinsausnahme“ wurde oben, § 2 B. I. 2.2.2. b) bb), S. 24 f., bereits kurz angeschnitten und wird weiter unten, § 5 C. IV. 3.2., S. 127 ff., eingehender behandelt.
116
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
wichtige Fragen aufwerfen, wird auf diese Punkte weiter unten noch näher eingegangen586. Dabei soll insbesondere das Verhältnis zum Grundsatz der Besteuerung nach
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgeleuchtet werden.
2.3.2. Überobligatorische und freiwillige Beitragszahlungen
Bei überobligatorischer BVG-Versicherung von Arbeitnehmern587 sowie bei freiwilliger Beitragszahlung von selbständig Erwerbenden588 kann in Abstützung auf das vorstehend Angeführte von einer die subjektive Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden
Einkommensbindung nur insoweit ausgegangen werden, als dadurch der Existenzbedarf in Risikolagen abgesichert wird589, wobei – wie eben ausgeführt wurde – dafür
gemäss schweizerischer Vorsorgekonzeption theoretisch bereits die AHV-Mindestrenten reichen sollten590. Demgemäss stellen freiwillige Beiträge von selbständig
Erwerbenden für die berufliche Vorsorge sowie überobligatorische Beiträge von Arbeitnehmern über die existenzielle Sicherung hinausgehende freiwillige Zahlungen dar
und sind grundsätzlich nicht als subjektive Einkommensbindungen aufzufassen591.
Anzufügen ist, dass es faktisch fraglich ist, ob nicht auch ein Teil der freiwilligen
Zahlungen selbständig Erwerbender einer subjektiven Einkommensbindung unterliegt,
da die AHV-Sicherung unter Umständen entgegen der gesetzlichen Konzeption das
Existenzminimum nicht zu decken vermag. Diese Frage stellt sich bei der überobligatorischen Versicherung unselbständig Erwerbender nicht. Im letzteren Fall ist das Existenzminimum durch die AHV und die obligatorische BVG gedeckt.
Durch die Abziehbarkeit auch der überobligatorischen bzw. der freiwilligen Beiträge
und der Besteuerung erst bei Leistungszufluss hat der Gesetzgeber, ohne dass es aus
Leistungsfähigkeitsgründen geboten wäre – sofern von demjenigen Teil der freiwilli586
587
588
589
590
591
Bzgl. der steuerlichen Ausnahme des Kapitalertrages unten, § 5 C. IV. 3.2, S. 127 ff. Bzgl. des
Periodizitätsprinzips unten, § 5 D., S. 140 ff.
Säule 2b, vgl. dazu u.a. Maute/Steiner/Rufener, S. 108 f.; Helbling, S. 101 ff.
Es werden bei freiwilliger Bildung einer 2. Säule durch Selbständigerwerbende nur Einzahlungen
an die Vorsorgeeinrichtung des Betriebes, an die Vorsorgeeinrichtung des Berufsverbandes oder
an die Auffangeinrichtung steuerlich zum Abzug zugelassen; Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N
24 zu Art. 33, mit weiteren Erläuterungen und Hinweisen.
Klett, Gleichheitssatz, S. 130.
Oben, § 5 C. III. 2.3.1. a), S. 114 inkl. FN 579.
Klett, Gleichheitssatz, S. 130. Die Autorin lässt offen, ob freiwillige Vorsorgebeiträge im Hinblick auf eine angemessene Weiterführung der gewohnten Lebensverhältnisse als gebunden einzustufen sind und der steuerliche Abzug als mit dem subjektiven Nettoprinzip vereinbar zu betrachten ist.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
117
gen Beiträge selbständig Erwerbender abgesehen wird, der faktisch der Deckung des
Existenzminimums in Risikolagen dient –, eine befristete Sparbereinigung verankert.
Im Unterschied zu den obligatorischen Beiträgen liegt, da die Beiträge freiwillig geleistet werden, nicht einmal eine „künstlich“ durch den Gesetzgeber geschaffene Einkommensbindung vor. Zur Förderung des Vorsorgesparens wurde somit ohne Leistungsfähigkeitsvorgabe eine befristete Sparbereinigung auch für die überobligatorischen bzw. freiwilligen Beiträge der beruflichen Vorsorge statuiert. Damit sind wiederum eine Durchbrechung des Periodizitätsprinzips sowie eine Verkleinerung der Berechnungsgrundlage durch die steuerliche Ausnahme der Kapitalerträge verbunden.
2.3.3. Teilweise geübte Kritik an der geltenden Regelung
Allerdings stösst die geltende steuerliche Behandlung der beruflichen Vorsorge zum
Teil auf Kritik. Dabei bildet die fehlende Limitierung des versicherbaren Lohnes bei
der überobligatorischen Vorsorge einen der Hauptkritikpunkte592. Bezüglich der fehlenden Limitierung wird bemängelt, dass bei hohen Löhnen der Versicherungsschutz
über das verfassungsmässige Ziel einer „angemessenen“ Vorsorge593 hinaus schiessen
könne594.
In der Botschaft zum Bundesgesetz über das Stabilisierungsprogramm 1998 wurden in
teilweiser Abstützung auf den Expertenbericht Steuerlücken595 weitreichende Beschränkungen der bisherigen steuerlichen Behandlung der beruflichen Vorsorge vorgeschlagen596. So unter anderem auch die Limitierung des versicherbaren Lohnes. Im
592
593
594
595
596
Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 85 f. und auch S. 90.
Art. 113 Abs. 2 lit. a BV.
Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 85 f. Zwar wird die Kritik im Expertenbericht
Steuerlüc??ken (1998), S. 85, in eine relativ vage Formulierung gekleidet: „Ob sich diese
gesetzgeberische Lösung mit Art. 34quater Abs. 3 BV [Art. 113 Abs. 2 lit. a in der nBV; Anm.
des Zitierenden], der als Vorsorgeziel die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in
angemessener Weise vorsieht, verträgt, ist fraglich. (...) Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine
steuerliche Förderung, die im Einzelfall ganz erheblich sein kann, ohne Rücksicht auf den
Umfang dieser Vorsorge vor dem Hintergrund der Bundesverfassung zulässig ist.“ Aus den im
Expertenbericht Steuerlücken präsentierten Schlussfolgerungen geht aber klar hervor, dass die
fehlende Limitierung als nicht vertretbar betrachtet wird. Denn es wird deutlich eine
gesetzgeberische Limitierung des versicherbaren Lohnes gefordert, um zu gewährleisten, dass die
„Angemessenheit“ der Vorsorge nicht überschritten werde (Expertenbericht Steuerlücken [1998],
S. 90).
Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 85 ff.
Konkret wurden vorgeschlagen: Die Begrenzung des maximal versicherbaren Lohnes bzw. Einkommens auf das Vierfache des oberen Grenzbetrages gemäss BVG, die Beschränkung der ma-
118
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Parlament wurden jedoch diese Vorschläge bis auf die Begrenzung des steuerfreien
Einkaufs von Beitragsjahren597 abgelehnt598. Der Bundesrat hat anlässlich der 1. BVG
Revision dennoch erneut den Vorschlag unterbreitet, eine Limitierung des versicherbaren Jahreseinkommens gesetzlich zu statuieren. Konkret sollte die Limitierung auf das
fünffache des oberen Grenzbetrages von Art. 8 Abs. 1 BVG, das heisst auf Fr.
361‘800.- (Stand 1999), festgelegt werden599. Diesem Vorschlag folgte das eidgenössische Parlament nur beschränkt, indem es zwar die Idee der Limitierung übernahm, die
Limitierung betraglich aber erheblich ausdehnte. Das maximal versicherbare Jahreseinkommen wurde nämlich auf das zehnfache des oberen Grenzbetrages nach Art. 8
Abs. 1 BVG angesetzt600, was Fr. 759‘600.- entspricht (Stand 2003).
3.
Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a)
Eine befristete Sparbereinigung ist ebenfalls bei der gebundenen Vorsorge vorgesehen:
Die Beiträge können betragsmässig limitiert601 steuerlich in Abzug gebracht werden
(Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG), und bei der Auszahlung greift dann die volle Besteuerung
(Art. 22 Abs. 1 DBG)602. Die Beitragsleistung mindert die subjektive Leistungsfähigkeit – analog zu überobligatorischen bzw. freiwilligen Zahlungen in die 2. Säule – nur
insoweit, als dadurch der Existenzbedarf in Risikolagen abgesichert wird, wobei auch
597
598
599
600
601
602
ximal versicherten Leistungen, eine stärkere Besteuerung der Kapitalleistungen, die Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Beiträge sowie die Begrenzung des steuerfreien Einkaufs von Beitragsjahren. Eingehend dazu: Botschaft Stabilisierungsprogramm 1998, S. 86 ff.;
siehe auch Helbling, S. 292.
Siehe Art. 79a BVG; vgl. jedoch die Kritik von Helbling, S. 292, m.w.Nw.
Vgl. dazu auch Helbling, S. 292.
Entwurf von Art. 79c BVG; Botschaft 1. BVG Revision (2000), S. 2701 und S. 2723.
Art. 79c; BBl 2003, S. 6671. Die Referendumsfrist gegen die Gesetzesänderung läuft am 22. Januar 2004 ab.
Für das Bemessungsjahr 2003 beträgt der erlaubte Abzug Fr. 6‘077 für Steuerpflichtige mit 2.
Säule und Fr. 30‘384 für Steuerpflichtige ohne 2. Säule (KS W03-002 D vom 14.01.2003).
Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch der im Rahmen des Steuerpakets 2001 von der Bundesversammlung vorgeschlagene Bausparabzug (Art. 33a; BBl 2003, S. 4509 und S. 4511 f.). Dabei war
in Nachahmung des „Baselbieter Modells“ vorgesehen, dass Steuerpflichtige bis zum 45. Altersjahr jährlich einen steuerwirksamen Bausparabzug bis zum Doppelten des bisher zugelassenen
Abzugs für die Säule 3a geltend machen können. Dieser Bausparabzug sollte sich somit für Alleinstehende auf rund Fr. 12‘000.- und für Verheiratete zusammen auf Fr. 24‘000.- belaufen. Bei
Investition des angesparten Kapitals in ein Eigenheim wäre das Kapital inkl. der darauf angefallenen Zinsen steuerfrei geblieben. Andernfalls wäre die Besteuerung nachgeholt worden. Bekanntlich wurde jedoch das aus verschiedenen Gründen politisch höchst umstrittene Steuerpaket 2001
in der Referendumsabstimmung vom 16. Mai 2004 abgelehnt (BBl 2004 3943).
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
119
hier anzumerken ist, dass dafür grundsätzlich die AHV vorgesehen ist. Wie bei den
überobligatorischen bzw. freiwilligen Beiträgen zugunsten der beruflichen Vorsorge
ist auch hier keine Leistungsfähigkeitsvorgabe erkennbar, die den Gesetzgeber zu einer befristeten Sparbereinigung anhalten würde. Vielmehr waren auch bei der Säule 3a
Motive zur Förderung des Vorsorgesparens und nicht Leistungsfähigkeitsüberlegungen ausschlaggebend, die zur Statuierung einer befristeten Sparbereinigung geführt
haben. Damit verbunden sind wiederum eine Durchbrechung des Periodizitätsprinzips
sowie eine Verkleinerung der Berechnungsgrundlage durch die Ausnahme der Kapitalerträge.
4.
Freie Selbstvorsorge (Säule 3b)
4.1.
Abzüge für rückkaufsfähige Lebensversicherungen und Zinsen auf
Sparkapitalien
Gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG sind Einlagen, Prämien und Beiträge für die Lebens, die Kranken- und die nicht unter Art. 33 Abs. 1 lit. f DBG fallende Unfallversicherung sowie die Zinsen von Sparkapitalien des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Personen betragsmässig limitiert abzugsfähig. Für verheiratete Personen,
die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, beträgt der Gesamtbetrag Fr.
2‘800.- und für die übrigen Steuerpflichtigen Fr. 1‘400.-603. Nachfolgend wird auf die
Abzüge für die Lebensversicherungsbeiträge sowie für Zinsen auf Sparkapitalien eingegangen, da diese Abzugsmöglichkeiten Begünstigungen des Vorsorgesparens darstellen.
4.1.1. Abzüge für Lebensversicherungen
Die Abzugsfähigkeit der Beiträge für Lebensversicherungen weist funktionell eine
Nähe zu den organischen Kosten auf. Jedoch hält, was bereits oben ausgeführt
wurde604, die Rechtsprechung zur Abzugsfähigkeit von organischen Kosten grundsätzlich daran fest, dass die Aufwendung und der sachlich damit zusammenhängende Erlös
in der gleichen Periode anfallen müssen. Die materielle Begründung für die durch den
Gesetzgeber festgelegte, beschränkte Abzugsfähigkeit der Lebensversicherungsbeiträge kann somit nicht über deren Qualifikation als organische Kosten erfolgen. Eine
603
604
Stand 2003.
§ 5 C. III. 1., S. 111.
120
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
derartige Begründung der Abzugsfähigkeit scheitert, wie dies auch bei den AHV- und
BVG-Beiträgen der Fall ist, am Periodizitätsprinzip. Darüber hinaus sind keine anderen Gründe ersichtlich, die es als ein Gebot des Leistungsfähigkeitsprinzips erscheinen
lassen würden, die Lebensversicherungsbeiträge für abzugsfähig zu erklären. Die im
Gesetz statuierte Abzugsfähigkeit entspringt somit nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern fusst auf der gesetzgeberischen Absicht, das Vorsorgesparen zu fördern605. Aus dieser Warte ist die Abzugsfähigkeit der Lebensversicherungsbeiträge vergleichbar mit der Abzugsfähigkeit der
überobligatorisch von Arbeitnehmern und der freiwillig von selbständig Erwerbenden
geleisteten Beiträge an die berufliche Vorsorge sowie der Abzugsfähigkeit der Einlagen in die Säule 3a.
4.1.2. Abzüge für Zinsen aus Sparkapitalien
Die Behandlung der Zinsen auf den Sparkapitalien stellt eine partielle steuerliche Befreiung von Erträgen aus beweglichem Vermögen i.S.v. Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG dar.
Auch diese Sparbegünstigung ist aus Gründen der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht geboten, sondern beruht wiederum auf der gesetzgeberischen Absicht, das Vorsorgesparen zu fördern606.
4.1.3. Leerlauf der bezweckten Begünstigung des Vorsorgesparens
Der Gesetzestext und die dadurch bezweckte Begünstigung der freien Selbstvorsorge607 läuft in der Realität jedoch weitestgehend ins Leere, da die erlaubten Abzugssummen mit insgesamt Fr. 2‘800.- für verheiratete Steuerpflichtige bzw. Fr. 1‘400.für die übrigen Steuerpflichtigen niedrig angesetzt sind608 und in der Regel nach Anrechnung der in Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG ebenfalls erwähnten Krankenversicherungskosten bereits ausgeschöpft sind609.
605
606
607
608
609
Zigerlig/Jud, N 30 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 45 und S. 95.
Zigerlig/Jud, N 30 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 45 und S. 95.
Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 30 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 95.
Vgl. oben, § 5 C. III. 4.1., S. 119.
Siehe auch Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 30 zu Art. 33; Richner/Frei/Kaufmann, DBG
Kommentar, N 119 zu Art. 33; Locher, DBG Kommentar, N 73 zu Art 33; Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 107.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
4.2.
121
Freistellung des Ertrags aus rückkaufsfähiger Kapitalversicherung
Art. 24 lit. b DBG klammert den Vermögensanfall aus rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen von der einkommensteuerlichen Berechnungsgrundlage aus610. Dabei sind
entsprechende Kapitalversicherungen, die mit Einmalprämie finanziert wurden, im
Erlebensfall oder bei Rückkauf nur steuerbefreit611, wenn sie der Vorsorge dienen (Art.
24 lit. b i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG)612. Die steuerliche Freistellung der Rückzahlung des eingelegten Kapitalstocks drängt sich auf, da die Einlagen regelmässig aus
vorbesteuertem Einkommen erfolgen613. Eine echte Steuerbefreiung stellt hingegen die
steuerliche Ausklammerung von Zins- und Gewinnanteilen dar614, welche auf dem gesetzgeberischen Willen beruht, das private Vorsorgesparen zu fördern615. Namentlich
wurde die Förderung der Spartätigkeit von Personen in bescheidenen Verhältnissen
bezweckt, wobei eine periodische Prämienzahlung als Hinweis auf entsprechende
wirtschaftliche Verhältnisse gewertet wurde616.
Die Steuerbefreiung des Zins- und Gewinnanteils stellt eine Ausnahme von der Einkommensbesteuerung dar und bedeutet eine Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Da die steuerliche Förderung der
Selbstvorsorge als Auftrag in der Verfassung (Art. 111 Abs. 4 BV) vorgegeben ist617,
kann nicht einseitig das Leistungsfähigkeitsprinzip verfolgt werden, vielmehr ist praktische Konkordanz618 zwischen den Verfassungsvorgaben anzustreben. Diesbezüglich
ist fraglich, ob der Gesetzgeber die Zielabwägung zwischen Besteuerung nach der
610
611
612
613
614
615
616
617
618
Vgl. dazu Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 9 ff. zu Art. 24 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG
Kommentar, N 38 ff. zu Art. 24; Locher, DBG Kommentar, N 21 ff. zu Art. 24.
Im Todesfall sind auch Kapitalversicherungen mit Einmalprämie, die nicht der Vorsorge dienen,
steuerbefreit: Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG spricht nur von „Erlebensfall“ und „Rückkauf“, zudem
greift auch Art. 24 lit. a DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 80 zu Art. 20; Locher, DBG Kommentar, N 29 zu Art. 20.
Vgl. Reich, DBG Kommentar, N 22 ff. zu Art. 20 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 82 f. zu Art. 20; Locher, DBG Kommentar, N 26 ff. zu Art. 20.
Anders ist es nur, insoweit bei der Einzahlung zugunsten der Kapitalversicherung ein Abzug i.S.v.
Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG geltend gemacht werden konnte, was aber aufgrund der betragsmässigen
Beschränkung, wie im obigen Abschnitt dargelegt wurde, selten der Fall ist. Vgl. auch Locher,
DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24.
Locher, DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 38 zu
Art. 24.
Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 24; Locher, DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24; Agner/Jung/Steinmann, N 3 zu Art. 24 m.w.Nw. auf Materialien und Rechtsprechung.
Locher, DBG Kommentar, N 21 zu Art. 24.
Mader, N 13 zu Art. 111.
Vgl. auch § 2 B. II. 1., S. 32.
122
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der steuerlichen Förderung der Selbstvorsorge
verhältnismässig aufgelöst hat619. Mit der getroffenen Massnahme und der daraus resultierenden Abweichung vom Leistungsfähigkeitsprinzips liess er es zu einem Zielkonflikt anschwellen. Das wäre nicht erforderlich gewesen, da andere, in Bezug auf
die Leistungsfähigkeitsdurchbrechung mildere Massnahmen zur Förderung der Selbstvorsorge denkbar sind. Namentlich eine analoge Regelung zu den Säulen 1, 2 und 3a,
das heisst Abzugsfähigkeit bei Einzahlung der Beiträge zugunsten rückkaufsfähiger
Kapitalversicherungen620 und volle Besteuerung bei der Auszahlung, würde erhebliche
steuerliche Anreize zur privaten Selbstvorsorge bieten, ohne einen Grundsatzbruch mit
dem Leistungsfähigkeitsgedanken auszulösen, da im Grundsatz nicht eine Steuerausnahme, sondern ein Steueraufschub (mit allfällig damit verbundenem Zinsvorteil621)
gewährt würde.
Darüber hinaus wirft die Bestimmung von Art. 24 lit. b DBG Zweifel auf, weil das
Versicherungssparen gegenüber anderen Sparformen einseitig privilegiert wird. In der
Lehre wird vorgebracht, die steuerliche Begünstigung der Selbstvorsorge könne aus
sachlichen Gründen nicht auf eine einzige Vorsorgeform beschränkt werden622 und die
Expertenkommission Steuerlücken qualifizierte diese Privilegierung als offensichtlichen Verstoss gegen Art. 4 aBV623. Zudem stösst die Privilegierung auch von rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen mit Einmalprämien auf Kritik624: Von dieser
Sparbegünstigung profitieren – entgegen der die Begünstigung von rückkaufsfähigen
Kapitalversicherungen leitenden ursprünglichen Gesetzesteleologie – kaum mehr Personen in bescheidenen Verhältnissen.
619
620
621
622
623
624
Zur Bindung des Gesetzgebers an das Verhältnismässigkeitsprinzip bereits oben, § 2 B. II. 4.3.4.,
S. 53.
Wobei die Analogie zur Säule 3a nur beschränkt gilt, da dort eben nur beschränkte Abzugsfähigkeit gegeben ist.
Zur „beschränkten Zinsausnahme“ unten, § 5 C. IV. 3.2., S. 127 ff.
Locher, DBG Kommentar, N 22 zu Art. 24 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar,
N 39 zu Art. 24.
Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 117 f.; vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 22 zu Art.
24, m.Nw.; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 39 zu Art. 24; Frischkopf, S. 397. Auch
meinte das Bundesgericht mit Bezug auf die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Rentenversicherungen und nicht rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen einerseits und rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen andererseits, dass „Gründe für diese unterschiedliche Privilegierung
(...) nicht leicht ersichtlich“ sind (BGE 107 Ib 315 [320]).
Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 11 zu Art. 24 m.w.Nw.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
123
IV. Sparbereinigung
1.
Nebeneffekt: Besteuerung privater Kapitalgewinne
Bevor näher auf die Varianten der definitiven oder der befristeten Sparbereinigung
eingegangen wird, ist ein aus Leistungsfähigkeitsperspektive überaus bedeutender
Aspekt hervorzuheben: Die Sparbereinigung führt – und zwar unabhängig davon, ob
sie definitiv oder befristet wirkt – zur Aufhebung einer der anerkanntermassen gewichtigsten Durchbrechungen des Leistungsfähigkeitsprinzips, nämlich der bisherigen
steuerlichen Ausnahme privater Kapitalgewinne von der Besteuerung625. Denn wie bereits bei der Darstellung und Präzisierung des Grundmodells der Sparbereinigung erläutert wurde, drängt sich bei einer Sparbereinigung aus Praktikabilitätsgründen eine
Besteuerung der privaten Kapitalgewinne auf den Sparanlagen auf626.
2.
Gänzliche Sparbereinigung
Obenstehend wurde aufgezeigt, wie das Leistungsfähigkeitsprinzip die Bestimmung
der steuerlichen Berechnungsgrundlage beeinflusst hat. Nachfolgend soll nun untersucht werden, inwiefern eine definitive Sparbereinigung mit diesen Leistungsfähigkeitskonkretisierungen im Bereich der Berechnungsgrundlage vereinbar ist.
Wie dargestellt wurde, sieht der Gesetzgeber hinsichtlich der Beiträge für die AHV
und die berufliche Vorsorge bereits vor, dass sie von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden können. Diese Abzugsmöglichkeiten im Bereich der Vorsorge (AHV)
und des obligatorischen Vorsorgesparens (obligatorische berufliche Vorsorge) decken
sich mit dem Gehalt des Leistungsfähigkeitsprinzips: Da die AHV-Beiträge sowie die
Beiträge für die berufliche Vorsorge obligatorisch zu leisten sind, reduzieren sie das
disponible Einkommen627. Die genannten Beiträge stellen daher Einkommensbindungen dar, welche die subjektive Leistungsfähigkeit mindern. Aus diesem Grund gebietet
das subjektive Nettoprinzip628 die Abzugsfähigkeit der Beiträge für die AHV und die
berufliche Vorsorge.
625
626
627
628
Zu dieser Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips oben, § 5 C. II. 1., S. 106.
Oben, § 5 A. IV. 2., S. 87 ff.; ebenda bzgl. der steuerlichen Unbeachtlichkeit von Kapitalgewinnen/-verlusten auf Konsumgütern.
Vgl. auch oben, § 5 C. III. 1., S. 111.
Dazu oben, § 5 C. II. 2.2., S. 108.
124
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Bei einer gänzlichen Sparbereinigung werden sämtliche gebildeten Nettoersparnisse629
von der Berechnungsgrundlage abgezogen. Bei der freien Ersparnisbildung ist jedoch
– anders als bei der AHV-Vorsorge oder dem Vorsorgesparen im Rahmen der obligatorischen beruflichen Vorsorge – nicht ersichtlich, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip
einen Abzug von der Berechnungsgrundlage fordern würde. Zum einen werden die Ersparnisse freiwillig aus dem zugeflossenen Einkommen gebildet. Zum anderen dienen
sie grundsätzlich nicht der Existenzsicherung, da dafür bereits die AHV vorgesehen
ist630. Es sind daher keine Gründe erkennbar, wonach die freie Ersparnisbildung einer
Einkommensbindung unterliegt. Die freie Ersparnisbildung mindert die subjektive
Leistungsfähigkeit nicht und demgemäss gebietet das subjektive Nettoprinzip auch
keinen Abzug von der Berechnungsgrundlage.
Weitergehend könnte noch die Frage aufgeworfen werden, ob die angesparten Beträge
organische Kosten (Gewinnungskosten) darstellen, welche die objektive Leistungsfähigkeit mindern und aufgrund des objektiven Nettoprinzips von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden müssten. Eine Einordnung der frei gebildeten Ersparnisse zu den organischen Kosten scheitert aber nicht nur an der in der Rechtsprechung
geforderten zeitlichen Nähe zwischen Aufwendung und daraus gelöstem Einkommen631. Die Einordnung scheitert nämlich bereits an der grundlegenden Tatsache, dass
die Bildung von Ersparnissen buchhalterisch gesprochen keine Aufwendung darstellt,
sondern in einem Aktivposten Ausdruck findet. Somit kann nicht von einer Aufwendung zur Erzielung späterer Einkünfte gesprochen werden, was auch intuitiv einleuchtet, da mit der freien Ersparnisbildung kein Vermögensabfluss verbunden ist.
Dem Ausgeführten zufolge kann eine gänzliche Sparbereinigung weder mit dem subjektiven noch dem objektiven Nettoprinzip begründet werden. Vielmehr erfolgt die
freiwillige Ersparnisbildung aus dem frei verwendbaren Einkommen. Aber gerade das
frei verwendbare Einkommen, und zwar sämtliches (Gesamtreineinkommen), wurde
als vornehmlicher Indikator der Leistungsfähigkeit erkannt632. Das frei verwendbare
Einkommen bildet dementsprechend bedeutendstes Besteuerungsziel des Schweizer
629
630
631
632
Nettoersparnis = neu gebildete Ersparnis minus aufgelöste Ersparnis.
Zumindest theoretisch (siehe oben, § 5 C. III. 2.3.1. a, S. 114), wobei der Existenzbedarf aber
immerhin zusammen mit – sofern in ordentlicher Weise vorhanden – der beruflichen Vorsorge
abgedeckt wird und somit bei Personen mit 1. und 2. Säule die freie Ersparnisbildung nicht der
Existenzsicherung dient, sondern darüber hinausgehende Bedürfnisse deckt.
Zur diesbezüglich geforderten Einhaltung des Periodizitätsprinzips oben, § 5 C. III. 1., S. 111.
§ 5 B. II., S. 93 f., und § 5 C. II., S. 104 ff.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
125
Steuerrechts allgemein633 bzw. alleiniges Besteuerungsziel des Einkommensteuerrechts. Demzufolge steht eine Ausnahme der frei gebildeten634 Ersparnisse von der
einkommensteuerlichen Berechnungsgrundlage mit dem Grundsatz der Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Konflikt. Eine gänzliche Sparbereinigung lässt sich mit dem Fundamentalprinzip des Steuerrechts, das heisst mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip, wie es in den Bestimmungen des Schweizer Steuerrechts über
die Berechnungsgrundlage Konkretisierung gefunden hat, nicht vereinbaren. Dies liegt
in einer Linie mit den weiter oben gewonnenen Erkenntnissen, wonach eine gänzliche
Sparbereinigung ebenfalls nicht mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung und dem materiellen Gehalt der Kompetenznorm vereinbar ist. Es lässt sich hingegen – wie dies bereits oben bezüglich Allgemeinheit der Besteuerung und dem materiellen Gehalt der Kompetenznormen erfolgte635 – in dynamischer Weise fragen, wie
eine Sparbereinigung ausgestaltet werden könnte, damit eine Vereinbarkeit mit dem
Leistungsfähigkeitsprinzip gegeben ist. Namentlich drängt sich auch hier die Frage
auf, ob eventuell eine befristete Sparbereinigung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip
in Übereinstimmung zu bringen ist. Für den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung und den materiellen Gehalt der Kompetenznormen wurde dies weiter oben bejaht.
Wie es sich diesbezüglich mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verhält, soll im nächsten Abschnitt untersucht werden.
3.
Befristete Sparbereinigung
Wie oben dient als Grundmodell einer befristeten Sparbereinigung die Vorstellung,
dass die aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden können und eine Besteuerung erst greift, wenn die Ersparnisse aufgelöst werden oder das Steuersubjekt aus der Steuerpflicht austritt
(Tod/Wegzug).
633
634
635
Siehe dazu oben, § 5 B. II., S. 94 inkl. FN 459.
D.h. eben ohne Zwang wie bei der AHV-Vorsorge oder dem Vorsorgesparen im Rahmen der obligatorischen beruflichen Vorsorge.
Bzgl. Allgemeinheit der Besteuerung oben, § 2 B. II., 2.2., S. 36 und bzgl. des materiellen Gehalts
der Kompetenznormen oben, § 2 B. I. 3., S. 28.
126
3.1.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
In erster Linie Frage der zeitlichen Bemessung
Durch das zugrunde gelegte Modell der befristeten Sparbereinigung wird grundsätzlich auf sämtliches Einkommen des Steuerpflichtigen abgezielt. Im Unterschied dazu
könnte bei einer gänzlichen Sparbereinigung gespartes Einkommen steuerlich unbelastet auf die nächste Generation bzw. auf die Erben des Steuersubjektes übertragen
werden. Auf Stufe der Erben würde dann modellmässig erst bei einer Sparauflösung
eine Besteuerung greifen. Dadurch würden beträchtliche Einkommensbestandteile
nicht mehr individuumsbezogen beim Steuersubjekt besteuert und die Einkommensteuer würde sich materiell zu einer Konsumsteuer wandeln. Bei einer befristeten Einkommensteuer im Sinne des aufgezeigten Grundmodells bleiben jedoch Charakter und
Wirkung einer Einkommensteuer erhalten. Es wird immer noch auf die Besteuerung
sämtlichen Reineinkommens abgezielt. Lediglich wird für gespartes Einkommen ein
Steueraufschub gewährt, bis es konsumtiv verwendet wird oder das Steuersubjekt aus
der Steuerpflicht austritt.
Aus dieser Perspektive ist weniger fraglich, ob die befristete Sparbereinigung mit den
Leistungsfähigkeitskonkretisierungen hinsichtlich der Berechnungsgrundlage vereinbar ist. Denn es wird beabsichtigt, wie dies auch bei der geltenden Einkommensteuer
der Fall ist, früher (bei Gegenwartskonsum) oder später (bei späterem Konsum oder
bei Austritt aus der Steuerpflicht) grundsätzlich sämtliches zugeflossenes Einkommen
steuerlich zu erfassen. Vielmehr stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage der
zeitlichen Bemessung. Es ist zu klären, inwiefern die Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im Bereich der zeitlichen Bemessung einem solchen Steueraufschub
Raum gewähren. Diese Abklärung wird unten erfolgen (§ 5 D.).
Mit Blick auf die generelle Aussage, bei einer befristeten Sparbereinigung werde, wie
bei der bisherigen Einkommensteuerordnung, grundsätzlich sämtliches Reineinkommen erfasst, ist noch eine unerlässliche Präzisierung anzubringen. Ein Teil des Einkommens wird nämlich unter Umständen nicht erfasst. Konkret geht es um Folgendes:
Wird davon ausgegangen, dass die aus Einkommen gebildeten Ersparnisse zum
Marktzinssatz verzinst werden, wird das Kapitaleinkommen aus den Ersparnissen
steuerlich nicht erfasst. Mit anderen Worten fallen bei einer Marktzinssatz-Rendite die
Zinsen nicht in die Steuerberechnungsgrundlage. Das bedeutet eine Steuerlücke und
bedarf im nächsten Abschnitt einer näheren Untersuchung.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
3.2.
127
Wegfall der marktüblichen Kapitalverzinsung aus der Berechnungsgrundlage
3.2.1. Ausgangsproblem
Im Unterschied zur traditionellen Einkommensbesteuerung unterliegen bei einer Sparbereinigung die aus Ersparnissen anfallenden Erträge, soweit sie gespart werden, nicht
der Einkommensbesteuerung636. Angesparte Kapitalerträge werden somit bei einer
Sparbereinigung der Einkommensteuer nicht jährlich durch die Einkommensteuer auf
den Erträgen beschnitten. Erst bei Auflösung der Ersparnis bzw. bei Austritt aus der
Steuerpflicht folgt eine Besteuerung des Sparkapitals inkl. der darauf angefallenen und
gesparten Zinsen. Dabei kann das Sparkapital bei einer Sparbereinigung schneller
wachsen, da die Zinserträge nicht um den „Steuerkeil“637 gekürzt werden. Da auf dem
angesparten Kapital inkl. den angesparten Kapitalerträgen (aufgeschobenes) Steuersubstrat ruht, wäre auf den ersten Blick der Schluss nahe liegend, dass bei einer Sparbereinigung im Vergleich zur traditionellen periodischen Einkommensbesteuerung
auch das Steuersubstrat beschleunigt wächst. Jedoch zeigt sich im Barwertvergleich,
dass trotz des beschleunigten Kapitalwachstums bei einer Sparbereinigung – unter der
Annahme einer marktüblichen Kapitalverzinsung – der zu entrichtende Steuerbetrag
niedriger ist als bei der traditionellen Einkommensteuer. In der Tabelle unten ist ein
Barwertvergleich dargestellt638. Die Ausgangsdaten lauten wie folgt: Einkommen von
Fr. 1‘000.- im Jahr 0, das über 50 Jahre hinweg angelegt wird. Die marktübliche Verzinsung beträgt 4%, der Steuersatz 40%. In der linken Kolonne ist die Entwicklung bei
einer Variante der Sparbereinigung bzw. des Steueraufschubes bis zum Konsum und in
der rechten Kolonne die geltende Variante der periodischen Besteuerung zunächst des
Einkommens von Fr. 1‘000.- und anschliessend des darauf anfallenden Ertrages dargestellt. Bei der Variante der Sparbereinigung ist ersichtlich, dass die Erträge aus dem
marktüblich verzinsten Kapital nur nominal zu einer Erhöhung der Berechnungsgrundlage für die Auflösungs- bzw. Austrittsabrechnung geführt haben, barwertmässig
jedoch nicht durch die Einkommensteuer erfasst werden639. Ohne periodische Einkommensbesteuerung, sondern mit einer einmaligen Steuer bei Auflösung (Konsum)
des Sparkapitals beträgt der Barwert-Gesamtsteuerbetrag in der Darstellung nach 50
636
637
638
639
Siehe dazu auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 84 f.; Homburg, S. 137 f.; Dorenkamp, S. 33 ff..
Dorenkamp, S. 34.
Einen solchen Barwertvergleich nahm bereits Einaudi 1929 vor (dazu Kaldor, S. 84). Barwertvergleiche sind u.a auch zu finden bei: Kaldor, Expenditure Tax, S. 84 f.; Dorenkamp, S. 32 f.
Siehe auch Dorenkamp, S. 34.
128
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Jahren Fr. 400.-, während sich mit periodischer Einkommensbesteuerung (rechte Kolonne) der Barwert-Gesamtsteuerbetrag auf Fr. 723.64 beläuft640. Diese Erkenntnisse
lassen sich damit erklären, dass der Steuergläubiger bei einer Sparbereinigung befristet
einen Besteuerungsverzicht übt. Durch den Besteuerungsaufschub hat der Steuergläubiger jedoch einen Nutzenentgang, da er keine Zinsen auf dem ihm zustehenden Steuerbetrag erhält bzw. – von der anderen Seite her betrachtet – sich die erforderlichen
Finanzmittel am Kapitalmarkt beschaffen muss. Dieser Nutzenentgang entspricht modellmässig dem Marktzins. Um den Barwert eines Sparkapitals zu ermitteln, dem in
früheren Perioden ein Steueraufschub gewährt wurde und das nun infolge dessen
Auflösung oder wegen Austritt des sparenden Steuersubjekts aus der Steuerpflicht zur
Besteuerung kommt, ist daher eine Diskontierung vorzunehmen. Da der Nutzenentgang modellmässig durch den Marktzinssatz quantifiziert wird, bestimmt letzterer den
Diskontierungsfaktor641. Durch die erforderliche Abdiskontierung eines zur Besteuerung gelangenden Sparkapitals wird betragsmässig jedoch exakt der bisherige Zinsertrag subtrahiert642. Somit führt die Entsprechung von Abdiskontierungsfaktor und
Zinsertrag643 dazu, dass der Steuergläubiger letztlich nicht am Kapitaleinkommen des
Steuerpflichtigen teil hat644 respektive der Steuerpflichtige das Kapitaleinkommen einkommensteuerfrei vereinnahmen kann.
Anzumerken bleibt, dass bei einer unter- oder über dem Marktzinssatz liegenden Verzinsung der Ersparnisse sich wiederum ein anderes Bild ergibt. Liegt die Verzinsung
unter dem Marktzinssatz, reduziert sich für den Steuergläubiger das Steuerguthaben
um die Abweichung zum Marktzins. Der Steuergläubiger partizipiert an der unterrentierlichen Vermögensentwicklung und ihm entgeht mehr als nur das Kapitaleinkommen. Barwertmässig erhält der Steuergläubiger in diesem Fall weniger, als wenn er das
Einkommen ohne Aufschub gleich bei dessen Zufluss besteuert hätte. Umgekehrt sieht
es bei überrentierlicher Verzinsung aus. Der Steuergläubiger erhält bei Sparauflösung
bzw. Austritt aus der Steuerpflicht die Steuern auf einem Sparvermögen, das sich um
640
641
642
643
Der Barwert wurde jeweilen in der Periode der Steuererhebung bemessen. D.h., es wurde für jedes Jahr der angefallene Steuerbetrag abdiskontiert.
Vgl. auch Dorenkamp, S. 34 inkl. FN 194.
Wiederum unter der Annahme, das Kapital rentiere zum Marktzinssatz.
Zur Entsprechung von Abdiskontierungsfaktor und marktüblichem Zinsertrag auch Dorenkamp.
S. 34. Realistischerweise ist davon auszugehen, dass der Marktzinssatz im Zeitablauf schwankt.
Die Identität von Diskontierungsfaktor und Marktzinssatz ist aber dann immer noch gegeben, nur
wird die Berechnung des Barwerts (Abdiskontierung) durch eine Mehrzahl von Zinssätzen erschwert.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
129
die Differenz zum Marktzinssatz auch für den Steuergläubiger barwertmässig vorteilhaft entwickelt hat. Das heisst, der Steuergläubiger kann durch das überrentierliche
Anwachsen des Sparvermögens Steuern auf einem Kapital erheben, das barwertmässig
über den einzelnen Einkommensbestandteilen liegt, die angespart wurden. Tendenziell
kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die tatsächlich erzielte Rendite in den
meisten Fällen in der Nähe des Markzinssatzes liegt oder sich Abweichungen in weiten Teilen ausgleichen. Daher wird im Folgenden mit der vereinfachenden Annahme
gearbeitet, in der Realität herrsche eine Rendite zum Marktzinssatz vor.
644
Dorenkamp, S. 34.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
130
Marktzins:
Steuersatz:
Anfangskapital (in Fr.)
gebildet aus Einkommen
im Jahr 0:
Gesamtkonsum
im Jahr:
4%
40%
1'000
51
Steueraufschub
bis zum Konsum
periodische
Einkommensbesteuerung
Kapitalentwicklung
1'000.00
1'040.00
1'081.60
1'124.86
Kapitalentwicklung
1'000.00
614.49
629.15
644.25
5'616.52
6'570.53
6'833.35
7'106.68
1'703.53
1'873.05
1'918.00
1'964.03
Kapital zu Beginn
Jahr 51 (nominal):
7'106.68
1'964.03
Steuer im
Jahr 51:
2'842.67
0.00
2'842.67
400.00
4'264.01
600.00
1'309.36
723.64
1'964.03
276.36
Jahr
0
1
2
3
48
49
50
Gesamtsteuerbetrag nominal:
Barwert-Gesamtsteuerbetrag:
Konsumrestbetrag nominal:
Barwert-Konsumrestbetrag:
Tabelle: Kapitalentwicklung mit und ohne periodischer Einkommensbesteuerung
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
131
3.2.2. Terminologisches: „Beschränkte Zinsausnahme“
Als terminologische Einkleidung für das beschriebene Problem wird nachfolgend die
Bezeichnung „beschränkte Zinsausnahme“ verwendet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine steuerliche Ausnahme von Zinsen handelt und diese Ausnahme eine beschränkte ist.
Die Beschränkung ist eine zweifache: Zum Ersten wird nur die marktübliche Rendite
ausgenommen, das heisst, überrentierliche Investitionen erhöhen barwertmässig die
Berechnungsgrundlage. Wenn zum Beispiel ein Steuersubjekt seine Ersparnisse erfolgreich anlegt und bei einem Marktzinssatz von 5% eine jährliche Rendite von 20%
erzielt, partizipiert der Fiskus anteilsmässig an 15%. Zum Zweiten werden nur Kapitalerträge ausgenommen, die auf solche Sparkapitalien anfallen, die aus steuerbarem
Einkommen gebildet wurden und infolge der Sparbereinigung einen zeitlichen Besteuerungsaufschub erfahren. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise bei einem
reichen Erben, der seine Kapitalerträge spart, nicht eine Zinsausnahme im Umfang der
Marktrendite auf dem ererbten Vermögen greift. Denn das Zinseinkommen ist weiterhin steuerbares Einkommen und erhöht die Berechnungsgrundlage für die spätere
Sparauflösung bzw. den Austritt aus der Steuerpflicht. Wenn der reiche Erbe zum Beispiel einen Betrag von Fr. 1 Mia. geerbt hat und auf dieser Summe einen Kapitalertrag
in Höhe des Marktzinssatzes von 5% erzielt, den er anspart, stellen diese 5% steuerbares Einkommen dar. Sie erhöhen demnach die Berechnungsgrundlage für die aufgeschobene Besteuerung. Steuerlich ausgenommen werden bei einer befristeten Sparbereinigung nur jene zum Marktzinsniveau anfallenden Zinsen, die aus dem zusätzlichen
Kapital fliessen, das der Erbe aus angesparten Zinsen gebildet hat.
Aus den genannten Gründen scheint der terminologische Hinweis auf die „Beschränktheit“ überaus bedeutend und wirkt vor allem der Vorstellung entgegen, es
handle sich um eine generelle steuerliche Ausnahme des Kapitaleinkommens.
3.2.3. Betrachtung im Hinblick auf die Grundkonkretisierungen des
Leistungsfähigkeitsprinzips
a)
Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit
Allgemein wurde das Reineinkommen durch den Gesetzgeber als erstrangiger Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erkannt und soll mittels der Einkommensteuer
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
132
grundsätzlich gesamthaft steuerlich erfasst werden645. In Art. 20 und 21 DBG werden
sodann die Kapitalerträge ausdrücklich als steuerbares Einkommen bestimmt. Wenn
nun ein Teil des Reineinkommens, namentlich in beschränkter Weise das Kapitaleinkommen, der Einkommensbesteuerung entgeht, stellt dies offensichtlich eine Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
dar646.
b)
Kein Freiraum für einen Wechsel des Leistungsfähigkeitsindikators
DORENKAMP rechtfertigt die mit der befristeten Sparbereinigung verbundene beschränkte Zinsausnahme mit dem Hinweis darauf, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip
unbestimmt sei und unter dem Gesichtspunkt des deutschen Verfassungsrechts dem
Gesetzgeber ein genügend grosser Freiraum zukomme, anstatt des periodischen Einkommens das Konsumeinkommen, das heisst das konsumierte Einkommen, für steuerbar zu erklären647. Dabei will DORENKAMP neben dem periodischen Konsum ergänzend auch das sog. „Lebensendvermögen“ erfassen, damit grundsätzlich sämtliches
Lebenseinkommen des Steuerpflichtigen – wenn auch zeitlich aufgeschoben und dadurch implizit eine beschränkte Zinsausnahme gewährend – erfasst wird648.
Es ist, wie oben bereits dargelegt wurde649, nicht umstritten, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip an sich unbestimmt ist. Bekanntlich ist es aber bestimmbar, wobei es Aufgabe des Gesetzgebers ist, das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisierend zur Entfal-
645
646
647
648
649
Siehe oben, § 5 C. II., S. 104 ff.
Bedeutend ist in diesem Zusammenhang u.a. die Erwägung des Bundesgerichts in BGE 114 Ia
221 (228): „In einem System der Besteuerung des Gesamtreineinkommens, das weitgehend von
der Reinvermögenszugangstheorie geprägt ist, wird der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durchbrochen, wenn wesentliche Zuflüsse wirtschaftlicher Güter
als Einkommen nicht erfasst werden (BGE 112 Ia 243 E. 3c), ohne einer entsprechenden Sonderbesteuerung zu unterliegen.“ Vgl. mit Bezug auf die deutsche Rechtsordnung auch Lang, Konsumbesteuerung, S. 303: „Nach der Idee der geltenden Einkommensteuer, der ‚accreation-model
income tax‘, sind die Vermögenserträge neues Einkommen.“
Dorenkamp, S. 59 ff., u.a. (auf S. 62 f.) Homburg anführend, der die Ansicht vertritt, es sei „wissenschaftlich nicht entscheidbar, ob steuerliche Leistungsfähigkeit besser durch den Konsum oder
durch das Einkommen gemessen wird und folglich, ob die direkte Steuer natürlicher Personen am
Konsum oder am Einkommen ansetzen sollte. Hierzu bedarf es einer Grundwertung des Steuergesetzgebers.“ (Homburg, S. 242 f.)
Dorenkamp, S. 63.
Siehe § 4 B., S. 78 ff.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
133
tung zu bringen650. Bei der Ausgestaltung der Steuerordnung bringt der Steuergesetzgeber zum Ausdruck, was er unter einer gerechten, am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierten Besteuerung versteht und wie er diese Vorstellung mit anderen ihn bindenden
rechtlichen Vorgaben in praktische Konkordanz bringt. Dabei verleiht der Gesetzgeber
dem Leistungsfähigkeitsprinzip inhaltliche Konturen und nimmt eine nähere Bestimmung vor. Unter Mitberücksichtigung der gesetzgeberischen Konkretisierungen ist
demzufolge nur der blosse Leistungsfähigkeitsgrundsatz relativ unbestimmt, die
Grundvorstellungen des Gesetzgebers über die Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit sind jedoch weitgehend bestimmt.
Aus dieser Perspektive mag es zutreffend sein, dass der Gesetzgeber grundsätzlich
über einen weiten Freiraum bei der Ausgestaltung der Steuerordnung verfügt. Aufgrund des Ansatzes, der in dieser Arbeit bezüglich des Leistungsfähigkeitsprinzips zugrunde gelegt wurde651, interessiert an dieser Stelle aber nicht vorrangig die Frage, ob
auch der Schweizer Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht den Freiraum hätte,
die Einkommensteuer materiell in eine Konsumsteuer umzuwandeln resp. der Einkommensteuer bedeutende Züge einer Konsumsteuer zu verleihen. Vielmehr wird von
den in der Steuer- und spezifisch in der Einkommensteuerordnung vorzufindenden
Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips ausgegangen. Dabei sind offensichtlich auch die durch den Gesetzgeber vorgenommen Grundkonkretisierungen von
grosser Bedeutung. Dies vor allem deshalb, weil es zu weiten Teilen gerade am Gesetzgeber liegt, das Leistungsfähigkeitsprinzip zu bestimmen652.
Vor dem Hintergrund dieses Untersuchungsansatzes kann es nicht angehen, die mit einer befristeten Sparbereinigung einhergehende beschränkte Zinsausnahme mit der
Zuwendung zum Konsum als Leistungsfähigkeitsindikator zu rechtfertigen. Der
Schweizer Gesetzgeber hat das (gesamte) Reineinkommen als bedeutendsten Leistungsfähigkeitsindikator erkannt, und entsprechend stellt die Einkommensteuer in der
Schweizer Steuerordnung die wichtigste Steuer dar653. Innerhalb der Einkommensteuerordnung wiederum stellt das Reineinkommen654 das alleinige Ziel der Besteuerung
dar. Daraus ist eine eindeutige Grundkonkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips
650
651
652
653
654
Oben, § 4 C., S. 80 f. Dies wird ebenfalls durch Homburg, S. 242 f., unterstrichen, der von Dorenkamp (S. 62 f.) zitiert wird: Siehe FN 647.
Dazu § 4 D., S. 82.
Siehe oben, § 4 C., S. 80 f.
Siehe bereits oben, § 5 B. II., S. 94.
§ 5 C. II., S. 104.
134
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
in der Einkommensteuerordnung erkennbar. Ein partieller Wechsel zum Konsum als
Belastungsziel der Einkommensteuer ist daher nicht mit den vorfindbaren Grundkonkretisierungen bzw. den erfolgten Bestimmungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im
Einkommensteuerrecht vereinbar.
Aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist das als Fakt hinzunehmen. Wohl ist nicht zu
kritisieren, wenn die Rechts- und Finanzwissenschaft dem Gesetzgeber aufzeigt, dass
unter Umständen auch andere Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips
möglich wären. Hingegen ist es eine rechtspolitische Wertung, wenn in Abkehr von
der bestehenden Regelung eine (Teil-)Belastung des Konsums mittels Einkommensteuer gefordert wird. Das Postulieren solcher Forderungen ist nicht mehr Aufgabe der
Rechtswissenschaft, sondern des Gesetzgebers, der eine Modifikation der bestehenden
eindeutigen Leistungsfähigkeitskonkretisierungen zu beschliessen hätte. Bei der diskutierten Grundsatzfrage des Wechsels des Leistungsfähigkeitsindikators und Besteuerungsziels der Einkommensteuer ist der Schweizer Steuergesetzgeber jedoch ohnehin
– anders als dies nach der Ansicht von DORENKAMP für Deutschland der Fall ist –
durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben beschränkt. Letztere ziehen einer zu weiten Abkehr von der bestehenden Einkommensteuerordnung Grenzen655.
Daran vermag auch der mitunter geäusserte – und materiell unbestrittene – Verweis
auf die bereits bestehende „Konsumorientierung“ der geltenden Einkommensteuersysteme und dem daraus folgenden hybriden Charakter der Einkommensteuer zwischen
einkommens- und konsumorientierter Besteuerung656 nichts zu ändern. Bei näherer
Betrachtung besteht die vorgebrachte Konsumorientierung hauptsächlich darin, dass
Vorsorgeersparnisse steueraufschiebend behandelt werden oder anderweitig das Periodizitätsprinzip aufgehoben wird657. Dies bedeutet aber nicht, dass dadurch der Konsum zum Steuergut wird und als Leistungsfähigkeitsindikator für die Einkommensbesteuerung herangezogen wird. Die gesetzlich vorgesehene Besteuerung knüpft immer
noch an das Einkommen an, das lediglich zeitverschoben – eben im Sinne einer befri655
656
657
Dies zum einen durch den materiellen Gehalt der steuerlichen Kompetenznormen; § 2 B. I., S. 18
ff. Zum anderen sind aber auch weitere verfassungsrechtliche inhaltliche Vorgaben, insbesondere
die klassischen Besteuerungsgrundsätze (Art. 127 Abs. 2 BV), bei allfälligen gesetzgeberischen
Steuerreformen zu berücksichtigen; § 2 B. II., S. 29 ff.
Z.B. Lang, Besteuerung, S. 82; Bradford, Untangling, S. 316 f. und McNulty, S. 2115 ff. bzgl. des
U.S.-Steuerrechts.
Vgl. dazu und zu weiteren „Konsumorientierungen“ im deutschen Steuerrecht u.a. Lang, Besteuerung, S. 36 ff.; Dorenkamp, S. 107 ff.; Bzgl. des Schweizer Steuerrechts: Vallender/Wiederkehr,
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
135
steten Sparbereinigung – besteuert wird658. Somit besteht die Hybridizität der geltenden Einkommensteuerordnungen, und das entspricht dem hier grundsätzlich auch mit
Blick auf die Schweizer Steuerordnung Vorgebrachten, in der Mischung aus Besteuerung bei Einkommenszufluss und der nachgelagerten Einkommensbesteuerung659, 660.
Somit sind andere Ansätze zu prüfen, die eine beschränkte Ausnahme der Kapitaleinkommen von der Besteuerung aus rechtlicher Sicht zu rechtfertigen vermögen. Sind
keine Rechtfertigungsansätze zu finden, ist von der Idee einer befristeten Sparbereinigung abzurücken. Nachfolgend werden folgende Ansätze näher behandelt: 1. Forderung nach einer effizienzoptimalen Steuergesetzgebung (c); 2. Verfassungsauftrag zur
Förderung der Selbstvorsorge (d); 3. Bereits existierende beschränkte Zinsausnahmen
(e).
c)
Herstellung der Neutralität zwischen Konsum- und Sparentscheidung
Steht ein Steuerpflichtiger vor der Entscheidung, wie er zugeflossenes Einkommen
verwenden will, hat er zwei Möglichkeiten: Konsumieren oder Sparen. Entscheidet
sich der Steuerpflichtige für das Sparen, erfährt er jedoch über die Einkommensteuer
auf dem ursprünglichen Einkommenszufluss hinaus eine zusätzliche steuerliche Belastung. Diese Zusatzbelastung besteht darin, dass die fortan vereinnahmten Kapitalerträge periodisch um die Einkommensteuer gemindert werden. Bei der aufgezeigten
Problematik handelt es sich um die berühmte Doppelbelastung des investierten Ein-
658
659
660
BV Kommentar, N 24 ff. zu Art. 127. Vgl. auch die Darstellung in dieser Arbeit, § 5 D. II., S. 142
ff.
In diesem Sinne auch Lang, Besteuerung, S. 21: „Die ‚konsumorientierte‘ Einkommensteuer besteuert aber nach heutiger Erkenntnis keine Konsumausgaben, sondern Einkommen, das verwendungsorientiert ermittelt wird.“
Dorenkamp verwendet in diesem Zusammenhang denn auch den Ausdruck der “nachgelagerten
Besteuerung von Einkommen”; vgl. z.B. seine Ausführungen zur Hybridizität der Einkommensteuer in Deutschland, S. 107 ff.
Das Gesagte wirft ausserdem die Frage auf, ob zur Vermeidung von Missverständnissen und zur
besseren Vermittelbarkeit im Zusammenhang mit den bereits bestehenden Ansätzen nachgelagerter Besteuerung und der weitergehenden Sparbereinigung nicht darauf verzichtet werden sollte,
von „Konsumorientierung“ zu sprechen. Die Ausdrücke „(befristete) Sparbereinigung der Einkommensteuer“ oder „nachgelagerte Einkommensbesteuerung“ machen deutlicher, dass von der
gesetzgeberischen Konzeption her weiterhin das Einkommen Steuergut und Leistungsfähigkeitsindikator der Einkommensteuer darstellt. Gerade wenn eine Besteuerung bei Austritt aus der
Steuerpflicht (Tod/Wegzug) greift, zeigt sich, dass es sich nicht um eine Konsumsteuer im herkömmlichen Sinn, sondern um eine nachgeholte Einkommensteuer handelt.
136
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
kommens: Die Einkommensteuer „takes both the tree and its fruits“661. Wie unter § 1
(„Vordenker“) aufgezeigt wurde, ist der Vorwurf der Doppelbelastung einer der zentralen Einwände gegen die tradierte Einkommensteuer662. Die Doppelbelastung bedeutet eine Neutralitätsverletzung. Die Sparentscheidung wird diskriminiert, weil im
Unterschied zum Sofortkonsum zusätzliche Steuern erhoben werden. In der Literatur
wird die mit der Doppelbelastung verbundene Neutralitätsverletzung auch oft mit
Barwertvergleichen aufgezeigt663. Daraus geht hervor, dass der Barwert des Gegenwartskonsums den Barwert des aufgeschobenen, das heisst nach Sparperioden erfolgenden Konsums, übersteigt. Es besteht somit ein Anreiz zum Gegenwartskonsum
zulasten des aufgeschobenen Konsums resp. der Ersparnisbildung664. Dies ist auch aus
der Barwert-Tabellen von weiter oben665 ersichtlich. Dabei tritt bei langanhaltendem
Sparen die Grundproblematik besonders zu Tage: Legt der Steuerpflichtige unter einem traditionellen Einkommensteuersystem, das heisst bei periodischer Einkommensbesteuerung, im Jahre 0 Fr. 1‘000.- zurück und spart er fortan die darauf anfallenden
Kapitalerträge über 50 Jahre hinweg weiter an, hat er im Jahr 51 bei Konsum des angesparten Betrages inkl. der darauf angefallenen (und besteuerten) Kapitalerträge einen Konsum-Barwert von Fr. 276.36. Hätte der Steuerpflichtige jedoch den Sofortkonsum dem Sparen vorgezogen, würde er über einen Konsumbarwert von Fr. 600.- verfügen666. Bei einer Sparbereinigung fiele diese Diskriminierung weg, und der BarwertKonsumbetrag würde wie beim Sofortkonsum Fr. 600.- betragen.
Aus Sicht der optimalen Allokation bedeutet die mit der geltenden Einkommensbesteuerung einhergehende Spardiskriminierung eine Verzerrung der Konsum- und Sparentscheidung und führt zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen. Wie oben dargelegt
wurde, ergibt sich aber aus der Rechtsordnung eine bindende Vorgabe an den Steuergesetzgeber, bei der Rechtsetzungstätigkeit das Effizienzkriterium zu berücksichtigen
und auf eine allokativ optimale Steuerordnung hinzuwirken667. Daraus fliesst auch die
an den Steuergesetzgeber gerichtete Neutralitätsforderung, Verzerrungen zwischen der
661
662
663
664
665
666
Fisher, Income Taxation, S. 356.
Siehe dazu oben die Ausführungen bzgl. Mill (§ 1 B., S. 3 ff.), Fisher (§ 1 C., S. 6 ff.) und Rose (§
1 F., S. 11). Vgl. auch Kaldor, Expenditure Tax, S. 79 ff., der das Argument der Doppelbelastung
kritisch beleuchtete, diesem jedoch grundsätzlich zustimmte, wobei er das Problem in einem
neuen Licht darstellte (S. 84).
Einaudi, S. 135; Kaldor, Expenditure Tax, S. 84 ff.; Dorenkamp, S. 39 f. und S. 93 f.
Kaldor, Expenditure Tax, S. 85.
S. 130.
Fr. 1‘000.- minus Steuer von Fr. 400.-.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
137
Spar- und Konsumentscheidung zu vermeiden. Das spricht für den Wechsel zu einer
befristeten Sparbereinigung, da mit dieser der genannten Neutralitätsforderung nachgelebt werden kann: Fliesst dem Steuerpflichtigen steuerbares Einkommen zu, wird er
steuerlich nicht diskriminiert, wenn er das Einkommen (teilweise) anspart. Denn die
Kapitalerträge auf diesen aus grundsäzlich steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnissen, zumindest soweit es sich um die marktübliche Rendite handelt, werden von
der Einkommensteuer ausgenommen. Dadurch werden Barwert-Identitäten zwischen
dem Sofortkonsum und dem aufgeschobenen Konsum (Konsum nach vorgängigem
Sparen) geschaffen.
d)
Verfassungsauftrag zur Förderung der Selbstvorsorge
In Art. 111 Abs. 4 BV ist der Auftrag an den Bund niedergelegt, in Zusammenarbeit
mit den Kantonen die Selbstvorsorge zu fördern, und zwar namentlich durch Massnahmen der Steuer- und Eigentumspolitik668. Im Bereich der Steuerpolitik können vor
allem folgende steuerliche Regelungen des Gesetzgebers diesem Förderungsauftrag
zugerechnet werden: a) Limitierte Abzugsfähigkeit für Beiträge an die gebundene
Vorsorge (Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG)669; b) Abzüge für rückkaufsfähige Lebensversicherungen und Zinsen auf Sparkapitalien (Art. 33 Abs. 1 lit. g und f DBG)670; c) Freistellung des Ertrags aus rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen (Art. 24 lit. b
DBG)671.
Art. 111 Abs. 4 BV bezweckt insbesondere die Förderung der Selbstvorsorge durch
gesetzgeberische „Ermutigung“ zum individuellen Sparen672. Wie dargelegt wurde,
wohnt der geltenden Einkommensteuer jedoch eine gewichtige Diskriminierung des
Sparentscheides gegenüber dem Sofortkonsum inne. Das stellt eine folgenreiche
„Entmutigung“ des individuellen Sparens dar. Diese Entmutigung würde hingegen mit
der befristeten Sparbereinigung beseitigt, da sie eine beschränkte Zinsausnahme mit
sich führt. Damit würde die steuerliche Neutralität zwischen Spar- und Konsumentscheidung hergestellt. Vor diesem Hintergrund steht die mit der befristeten Sparbereinigung verbundene beschränkte Zinsausnahme nicht nur in Einklang mit dem Förde667
668
669
670
671
672
Eingehender dazu weiter oben, § 2 B. II. 4.3., S. 44 ff.
Siehe dazu auch Mader, N 13 ff. zu Art. 111.
Dazu oben, § 5 C. III. 3., S. 118 f.
Dazu oben, § 5 C. III. 4.1., S. 119 f.
Dazu oben inkl. kritischen Anmerkungen, § 5 C. III. 4.2., S. 121 f.
Botschaft VE 96, S. 323.
138
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
rungsauftrag von Art. 111 Abs. 4 BV, sondern ist meines Erachtens durch ihn
geradezu geboten. Zusätzlich ist zu beachten, dass auch aufgrund von Inflation und
(kantonaler) Vermögensteuer673 die Sparentscheidung an ökonomischer Attraktivität
verliert. Eine Herstellung der steuerlichen Neutralität zur Förderung des individuellen
Vorsorgesparens scheint angesichts dieses Sparumfelds umso erforderlicher.
e)
Bereits existierende beschränkte Zinsausnahmen
Die beschränkte Zinsausnahme auf Ersparnissen als Instrument der Vorsorgeförderung
findet bereits weitgehende Anwendung: So werden im Bereich der Selbstvorsorge Zinsen, die auf Sparkapitalien der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) anfallen, steuerverschont, und erst bei Ersparnisauflösung greift eine Besteuerung des Gesamtkapitals674. Das stellt eine Form der Sparbereinigung dar und beinhaltet eine beschränkte
steuerliche Zinsausnahme. Zudem können Zinsen auf frei gebildeten Sparkapitalien
(Säule 3b) nach bereits geltendem Steuerrecht betraglich limitiert in Abzug gebracht
werden675.
Die umfangmässig bedeutendste Zinsausnahme findet sich im Rahmen der zweiten
Säule. Kapitalerträge auf obligatorisch sowie überobligatorisch angesparten Vorsorgeguthaben werden nicht besteuert676. Wie bei der Säule 3a erfolgt erst bei der Auszahlung von Vorsorgeguthaben eine Besteuerung. Die zweite Säule stellt ebenso wie die
Säule 3a eine Form der Sparbereinigung der Einkommensteuer dar. Damit geht auch
eine beschränkte Zinsausnahme einher. Bereits oben wurde auf die enorme quantitative Bedeutung der Sparbereinigung im Rahmen der 2. Säule hingewiesen677. Werden
die Zahlen betrachtet, ergibt sich, dass auf Beträgen, die um einiges höher sind als die
privat gebildeten Ersparnisse, bereits eine beschränkte Zinsausnahme Anwendung findet.
Die Tatsache, dass die beschränkte Zinsausnahme bereits im Rahmen der Selbstvorsorge (Säule 3a und 3b) und der kollektiven Vorsorge (2. Säule) bekannt ist und den
überwiegenden Teil der gebildeten Ersparnisse (inkl. kollektiver Vorsorge) beschlägt,
unterstreicht, dass der Schweizer Steuergesetzgeber die beschränkte Zinsausnahme als
geeignetes Instrument der Vorsorgeförderung betrachtet und breit angewendet wissen
673
674
675
676
Art. 2 Abs. 1 lit. a StHG.
Zum gebundenen Vorsorgesparen oben, § 5 C. III. 3, S. 118 f.
Dazu oben, § 5 C. III. 4., S. 119 f.
Zur steuerlichen Behandlung der 2. Säule oben, § 5 C. III. 2., S. 112 ff.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
139
will. Sollte eine befristete Sparbereinigung eingeführt werden, stellt die damit verbundene beschränkte Zinsausnahme daher keine willkürliche Neuerung dar, sondern liegt
in einer Linie mit den vom Gesetzgeber bereits getroffenen Massnahmen zur Vorsorgeförderung.
f)
Gesamtbeurteilung
Gemessen an der geltenden Grundkonkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips in
der Einkommensteuerordnung besteht für den Gesetzgeber kein Freiraum, eine beschränkte steuerliche Zinsausnahme mit dem partiellen Wechsel zum Konsum als Leistungsfähigkeitsindikator zu rechtfertigen. Hingegen ergeben sich aus dem steuerlichen Effizienzgebot und dem Verfassungsauftrag zur Förderung des Sparens für die
Selbstvorsorge (Art. 111 Abs. 4 BV) rechtliche Begründungsansätze zugunsten einer
beschränkten Zinsausnahme. In Aufgreifung dieser Ansätze und zur Schaffung von
praktischer Konkordanz mit ihnen steht es dem Steuergesetzgeber meines Erachtens
zu, das Leistungsfähigkeitsprinzip, das eine gesamthafte Zinsbesteuerung fordern
würde, teilweise zurückzusetzen. Diesbezüglich ist insbesondere zu beachten, dass
dem Gesetzgeber solche Überlegungen nicht fremd sind. Zur Förderung des Vorsorgesparens hat er bereits verschiedene steuerliche Regelungen getroffen, die weitgehend
eine beschränkte Zinsausnahme vorsehen. Dabei hat er in Abwägung mit dem Ziel der
Vorsorgeförderung eine partielle Zurücksetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips vorgenommen. Daraus geht hervor, dass die beschränkte Zinsausnahme in den Augen des
Gesetzgebers eine zulässige (begrenzende) Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips zur Verfolgung anderer verfassungsmässiger Ziele darstellt. Analog bedeutet
für die befristete Sparbereinigung der Umstand, dass eine beschränkte Zinsausnahme
mit ihr verbunden ist, nicht eine Unvereinbarkeit mit den vorzufindenden Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips.
Darüber hinaus ist auch in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, dass zwar auf der
einen Seite die Sparbereinigung bei Barwertbetrachtung eine beschränkte steuerliche
Zinsausnahme mit sich führt. Auf der anderen Seite werden jedoch durch eine Sparbereinigung die Praktikabilitätsvoraussetzungen zur Besteuerung privater Kapitalgewinne geschaffen und es wird damit eine bislang offen klaffende Durchbrechung des
Leistungsfähgkeitsprinzips geschlossen678.
677
678
Zum Quantitativen eingehender oben, § 5 C. III. 2, S. 113 f.
Dazu oben, § 5 A. IV. 2.2. und 2.3., S. 88 f.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
140
Mit Blick auf die Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips im Bereich
der Berechnungsgrundlage stellt die Frage der beschränkten Zinsausnahme den einzigen Punkt dar, der einer eingehenderen Prüfung bedurfte. Ansonsten schien die Sparbereinigung mit den genannten Grundkonkretisierungen vereinbar, da abgesehen von
der beschränkten Zinsausnahme grundsätzlich weiterhin sämtliches Einkommen – nur
zeitverschoben – erfasst wird. Als nächster Schritt wird daher geprüft, ob die zeitliche
Verschiebung des steuerlichen Zugriffes aus Leistungsfähigkeitsperspektive vertretbar
ist.
D.
Zeitliche Bemessung
I.
Periodizitätsprinzip und Postnumerandobesteuerung mit
Gegenwartsbemessung
International verbreitet und auch im Schweizer Steuerrecht massgebend ist das sog.
Periodizitätsprinzip, wonach die Bemessung des Einkommens periodisch – zumeist
jährlich – erfolgt, wobei das steuerbare Einkommen jener Bemessungsperiode zugeordnet wird, in der es zugegangen ist679. Dieses tradierte und allgemein angewandte
Prinzip besitzt einen hohen Plausibilitätsgrad. Einerseits dient die periodische Anknüpfung dem fiskalischen Zweck, da sie dem Staat laufende Einnahmen und eine gewisse
Berechenbarkeit sichert680. Andererseits ermöglicht die periodische Bemessung aber
auch dem Steuerpflichtigen Berechenbarkeit und kommt ihm in praktikabler Weise bei
seiner Zahlungspflicht entgegen. Das wird insbesondere deutlich, wenn die konsequente Alternative zur Periodizität, nämlich eine Einmalbemessung auf dem insgesamt
zugegangenen steuerbaren Einkommen bei Austritt aus der Steuerpflicht, vor Augen
geführt wird.
Die eben zugunsten des Periodizitätsprinzips genannten Gründe zeigen, dass für die
grundsätzliche Bestimmung der zeitlichen Bemessung in erster Linie technisch-budgetäre Gründe bedeutend sind681. Dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz kommt bei der
679
680
681
Vgl. in der Rsp. dazu u.a.: BGE v. 21.12.2001, in: StR 2002, 388; StRKE Zürich v. 30.5.2001, in:
StE 2002 B 72.12 Nr. 6; VerwGE Basel-Stadt v. 29.8.1986, in: StE 1987 B 23.43.2 Nr. 5; BGE v.
20.12.1985, in: ASA 56, 132 (134 f.); VerwGE Zürich v. 26.11.1981, in: ZBl 1982, 314. Zum Periodizitätsprinzip auch Klett, S. 116 ff.; Blumenstein/Locher, S. 308; Tipke/Lang, § 9 N 44.
Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 f.; Tipke/Lang, § 9 N 44; Nold, S. 25.
Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 44; Tipke, Steuerrechtsordnung II, S.
668 ff.; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 26 zu Art. 127 BV; Klett, S. 117; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 f.: „Die Periodizität der Einkommensteuer ist erforderlich, weil die
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
141
zeitlichen Bemessung erst nachträglich Relevanz zu, wenn die vorbestimmte Steuerperiodizität im Detail auszugestalten ist. Dies im Unterschied zu Steuergut und -objekt,
Berechnungsgrundlage und Steuermass, wo das Leistungsfähigkeitsprinzip im Wesentlichen konzipierend ist für die Umschreibung682.
Durch die geltende Regelung in Art. 41 f. DBG wurde abweichend zur Normierung
des BdBSt, in welchem die zweijährige Praenumerandobesteuerung mit Vergangenheitsbemessung festgelegt war, den veranlagenden Kantonen zusätzlich zur zweijährigen Praenumerandobesteuerung die einjährige Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung zur Auswahl gestellt683. Bis zum 1. Januar 2003 entschieden sich
alle Kantone für einen Wechsel zur einjährigen Postnumerandobesteuerung. Nebst
Gründen der Transparenz und Praktikabilität waren für die Statuierung der fakultativen
Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung und dem anschliessend erfolgten Wechsel dazu auch Leistungsfähigkeitsbezüge massgebend684. Durch Darlegung, wie in diesem Zusammenhang die Leistungsfähigkeitsbezüge von Gesetzgeber,
Doktrin und Praxisvertretern aufgefasst wurden, lässt sich grob umreissen, auf welche
Weise eine Leistungsfähigkeitskonkretisierung hinsichtlich der zeitlichen Bemessung
intendiert und auch vorgenommen wurde:
Wesentliche Argumente waren, dass bei einer allfälligen Zwischenveranlagung unter
dem Praenumerandosystem zum einen infolge Wechsels zur Gegenwartsbemessung
ungleiche Steuervoraussetzungen geschaffen werden und zum anderen aufgrund der
Bemessungslücke die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nur beschränkt Berücksichtigung findet685. Durch regelhaft vorgesehene Gegenwartsbemessung fällt demgegenüber beim Postnumerandosystem das Institut der Zwischenveranlagung weg.
682
683
684
685
Einkommensteuer laufend erhoben werden muss, um den öffentlichen Finanzbedarf zu decken.
Das Periodizitätsprinzip ist, wie bereits oben angesprochen, ein technisch-budgetäres Prinzip, das
den in einer Finanzperiode gegebenen Finanzbedarf zu sichern hat.“; sowie Klett, Gleichheitssatz,
S. 117: „Aus dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz ergibt sich kein Zeitraum, der für die periodisch
zu entrichtende Einkommensteuer sachlich am besten geeignet wäre.“
Siehe diesbzgl. bei den entsprechenden Stellen: Steuerobjekt und Steuergut, § 5 B. II., S. 93 f.;
Berechnungsgrundlage, § 5 C., S. 97 ff.; hinsichtlich des progessiven Steuermasses, § 5 E., S. 150
ff.
Vgl. Art. 15 f. StHG
Locher, Gegenwartsbemessung, S. 207 ff.; vgl. auch Reich, zeitliche Bemessung, S. 327; Husy, S.
405 f.; Zuppinger/Böckli/Locher/Reich, S. 198; Richli, Gegenwarts- und Vergangenheitsbesteuerung, S. 115 f.; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 14 ff.
Locher, Gegenwartsbemessung, S. 209, mit weiteren Verweisen u.a. auf Beer, S. 115 (siehe auch
ders., S. 116); Zuppinger/Böckli/Locher/Reich, S. 203; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S.
15.
142
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Darüber hinaus wurde hervorgehoben, dass durch die zweijährige Praenumerandobesteuerung mit Vergangenheitsbemessung – vorbehaltlich einer Zwischenveranlagung –
eine zwei- bis vierjährige Verzerrung zwischen Einkommenszugang und Steuerbelastung und somit auch eine zeitlich verzerrte Leistungsfähigkeitsanknüpfung gegeben
ist686. Dahingegen ermöglicht die jährliche Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung eine zeitnahe Anknüpfung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit687.
II.
Relativierung des Periodizitätsprinzips in der Schweizer
Rechtsordnung
Die angeführten Grundsatzüberlegungen, die das Periodizitätsprinzip vornehmlich als
technisch-budgetäres Prinzip erscheinen lassen, werden bei näherer Betrachtung der
Schweizer Steuerrechtsordnung gestützt. Denn in letzterer deuten verschiedene Regelungen darauf hin, dass das Periodizitätsprinzip vor allem als technisch-budgetäres
Prinzip verstanden wird, und es erfährt einige gewichtige Relativierungen. Darauf wird
im Folgenden näher eingegangen.
1.
Verlustvortrag, Sofortabschreibungen und Anschaffungskosten teurer
Berufswerkzeuge unselbständig Erwerbender
Unter anderem bestehen die Möglichkeiten, die Geschäftsverluste auf mehrere Bemessungsperioden vorzutragen688 sowie die Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge
unselbständig Erwerbender über mehrere Bemessungsperioden zu verteilen, falls die
steuerliche Berücksichtigung im Anschaffungsjahr zu unsachgemässen Folgen führen
würde689. Ebenfalls zu nennen ist die in bestimmten Kantonen erlaubte Sofortabschreibung690. Diese Möglichkeiten zeigen auf, dass Gesetzgeber und Gerichtspraxis
686
687
688
689
690
Richli, Gegenwarts- und Vergangenheitsbesteuerung, S. 123 f.; Locher, S. 208; Husy, S. 405.
Reich, zeitliche Bemessung, S. 327; Locher, Gegenwartsbemessung, S. 208; Husy, S. 405.
Art. 31 resp. Art. 211 DBG bzgl. selbständiger Erwerbstätigkeit und Art. 67 DBG bzgl. der Gewinnsteuer juristischer Personen (dazu u.a. Simonek, S. 518 ff.).
BGE v. 24.3.1992, in: ASA 62, 403 (407); BGE v. 4.12.1987, in: ASA 59, 246 (249); Locher,
DBG Kommentar, N 19 zu Art. 25.
Reich/Züger, N 33 f. zu Art. 28, mit Hinweisen auf die respektiven kantonalen Regelungen und
die z.T. abweichenden Umschreibungen der „sofortabschreibungsfähigen“ Wirtschaftsgüter;
Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 30 ff. zu Art. 28; Vallender/Wiederkehr, BV
Kommentar, N 26 zu Art. 127; vgl. auch Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 168. Kritisch
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
143
das Periodizitätsprinzip nicht als starre Vorgabe ansehen, sondern Durchbrechungen
erfolgen691, um Harmonie bzw. praktische Konkordanz zwischen Periodizitätsprinzip
und Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen. Deutlich
z.B. der folgende Passus aus einem Bundesgerichtsentscheid:
“Mit dieser gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, Gewinne mit früheren Verlusten zu verrechnen, wird das im Steuerrecht geltende Periodizitätsprinzip durchbrochen, um bis zu einem gewissen Grad dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht zu werden.”
2.
692
AHV (1. Säule)
Im Umfang der Beiträge, die nicht mehr rentenbildend sind und Steuercharakter aufweisen693, statuiert der Verfassungsgeber durch das Obligatorium auch für diesen Beitragsteil eine gewillkürte subjektive Einkommensbindung694, die aus Gründen des Leistungsfähigkeitsprinzips eigentlich nicht geboten ist. Insbesondere zumal die nicht
rentenbildenden Beiträge nicht mehr an den Beitragspflichtigen zurückfliessen. Verknüpft mit der gewillkürten subjektiven Einkommensbindung wird entfernt auch das
Periodizitätsprinzip tangiert. Dies begründet sich damit, dass die AHV-Beiträge gesamthaft, das heisst auch in jenem Umfang, dem Steuercharakter zukommt, vom steuerbaren Einkommenszufluss abgezogen werden können und erst in die Berechnungsgrundlage einfliessen, wenn sie später und bei anderen Steuerpflichtigen zur Auszahlung kommen.
691
692
693
694
Locher, DBG Kommentar, N 42 zu Art. 28, m.w.Nw., der die Verletzung des Periodizitätsprinzips
durch die Sofortabschreibungen bemängelt, worauf Vallender/Wiederkehr, a.a.O., zu Recht mit
dem Verweis auf den technisch-budgetären Charakter des Periodizitätsprinzips entgegnen. In
diesem Zusammenhang ist noch anzufügen, dass die Sofortabschreibung eine Annäherung an die
„investitionsbereinigte Besteuerung“ v.a. für Produktionsbetriebe bedeutet, bei reinvestierenden
Handelsbetrieben und bei personalintensiven Betrieben wären hingegen für eine analoge Annäherung zusätzliche Regelungen erforderlich.
Vgl. zum Unternehmungssteuerrecht auch Nold, S. 31.
BGE v. 11.3.2003, in: StR 2003, 365.
Oben, § 5 C. III. 1., S. 110.
Zur subjektiven Einkommensbindung der AHV-Beiträge oben, § 5 C. III. 1., S. 111.
144
3.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Berufliche Vorsorge (2. Säule)
Die wohl gewichtigste Relativierung des Periodizitätsprinzips liegt in der steuerlichen
Behandlung der beruflichen Vorsorge. Wie oben aufgezeigt, gebietet das Leistungsfähigkeitsprinzip grundsätzlich keine Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für die berufliche Vorsorge695. Erst mit dem Obligatorium696 schafft der Gesetzgeber eine subjektive Einkommensbindung. Und erst aus dieser gewillkürten subjektiven Einkommensbindung resultiert, dass der steuerliche Abzug697 der obligatorisch zu leistenden Beiträge aus dem subjektiven Nettoprinzip folgt. Zudem werden durch den Gesetzgeber
auch die überobligatorischen Beiträge zugunsten von Arbeitnehmern und die freiwilligen Beiträge unselbständig Erwerbender an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge
für abzugsfähig erklärt698.
Durch die verfassungsmässige Schaffung einer Einkommensbindung und die damit
verbundene Abzugsfähigkeit der Beiträge sowie durch die Statuierung einer weitergehenden, allgemeinen Abzugsfähigkeit auch für freiwillige Beiträge nehmen Verfassungs- bzw. Gesetzgeber Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips vor. Der Gesetzgeber statuierte diese Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips, um der verfassungsmässig gebotenen Förderung der Vorsorge699 und dem damit verbundenen Ziel,
die steuerliche Behandlung der zweiten Säule derjenigen der ersten Säule anzugleichen, nachzukommen700. Aus Leistungsfähigkeitsperspektive ist die zeitliche Verschiebung der Besteuerung vertretbar, da die Beiträge ihrer Natur nach ohnehin Gewinnungskosten darstellen701 und die Besteuerung erst bei Zufluss gewährleistet, dass
nur insoweit besteuert wird, als tatsächlich Auszahlungen empfangen werden702.
695
696
697
698
699
700
701
702
§ 5 C. III. 2., S. 114 f.
§ 5 C. III. 2., S. 115.
Bzw. die Nichterfassung der Einzahlung der Arbeitgeberbeiträge bei der Einkommensbemessung
des Begünstigten.
Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG. Zu verweisen ist auf die im Parlament beschlossene Begrenzung des
versicherbaren Jahreslohnes auf Fr. 759‘600.- (dazu oben, § 5 C. III. 2.3.2., S. 118; Referendumsfrist läuft am 22. Januar 2004 ab), was jedoch eine Begrenzung auf überaus hohem Niveau darstellt.
Art. 111 Abs. 4 BV.
Zigerlig/Jud, DBG Kommentar, N 23 zu Art. 33; Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 94;
zum Steueraufschub auch Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 24 zu Art. 127.
Vgl. oben, § 5 C. III. 2.3.1., S. 114, wobei es sich nach rechtlicher Sicht, zumindest nach Auffassung der Rechtsprechung, aber eben nicht um Gewinnungskosten handelt, siehe dazu § 5 C. III.
1., S. 111.
Vgl. auch Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 35 f.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
145
Die steuerliche Behandlung der Beiträge und Auszahlungen aus der 2. Säule stellt
quantitativ die bedeutendste Relativierung des Periodizitätsprinzips dar. Immerhin
wurden z.B. allein 1998-2001 im Rahmen der beruflichen Vorsorge BVG-Beiträge
und Kapitalerträge der beruflichen Vorsorge im Umfang von durchschnittlich Fr. 43.4
Mia. pro Jahr steueraufschiebend behandelt. Im Jahr 2001 betrug sodann das in der beruflichen Vorsorge angesparte und damit eine zeitlich verschobene Besteuerung erfahrende Gesamtkapital eindrückliche Fr. 455 Mia.703.
4.
Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a)
Auch mit der betragsmässig limitierten Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für anerkannte Formen der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a)704 wird eine zeitliche Verschiebung der Besteuerung rechtlich verankert705. Wohl ist die quantitative Bedeutung
der Abzüge im Rahmen der Säule 3a geringer als bei der 2. Säule706, jedoch unterstreicht es das Bild, wonach der Gesetzgeber das Periodizitätsprinzip nicht als zwingend anzuwendendes Grundprinzip betrachtet.
5.
Zur „Gleichheit in der Zeit“
5.1.
Einzelne Stimmen in der deutschen Steuerwissenschaft
Es sei noch darauf hingewiesen, dass in der deutschen Steuerwissenschaft vereinzelt
Stimmen dafür halten, es sei von einer „Gleichheit in der Zeit“ auszugehen. Da sich
bereits DORENKAMP ausführlich mit diesen Ansichten auseinandergesetzt und sie profund widerlegt hat707, erübrigt sich an dieser Stelle eine tiefer gehende Behandlung.
Dies umso mehr, als mit Blick auf das Schweizer Steuerrecht ein Grundsatz der
„Gleichheit in der Zeit“ weder in der Literatur noch in der Judikatur bekannt ist. Zu
dieser Thematik daher nur kurz Nachstehendes:
In Deutschland sind es namentlich REINER SCHICK und PAUL KIRCHHOF, die von einer
„Gleichheit in der Zeit“ ausgehen. Gemäss SCHICK setzt sich die Gleichheit aus zwei
703
704
705
706
Zu den Zahlen oben, § 5 C. III. 2.2., S. 113 f.
Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG.
Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 24 zu Art. 127.
Schon allein dadurch, dass die 2. Säule obligatorisch ist und der versicherbare Lohn bzw. der damit korrelierende steuerlich zulässige Abzug momentan nicht begrenzt ist bzw. die vorgesehene
Limitierung auf hohem Niveau erfolgen soll (zur vorgesehenen Limitierung oben, § 5 C. III.
2.3.2., S. 118).
146
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Elementen zusammen, nämlich der Vergleichbarkeit in der Sache und der Vergleichbarkeit in der Zeit708. Aus letzterer fliesse, dass nur zeitlich abgeschlossene oder zumindest überschaubare Sachverhalte wertend miteinander in Beziehung gesetzt werden
könnten und ausserdem der Vergleichszeitraum für alle Steuerpflichtigen identisch
sein müsse (materiell-rechtlicher Gehalt des Periodizitätsprinzips)709. KIRCHHOF geht
seinerseits davon aus, in Art. 3 Abs. 1 GG finde sich das Gebot einer gegenwartsgerechten Besteuerung verankert710. Danach soll „insbesondere der Einkommensteuerpflichtige mit seinem gegenwärtigen steuerpflichtigen Einkommen zur Deckung des
gegenwärtigen staatlichen Finanzbedarfs“ beitragen711.
5.2.
Entkräftigung durch DORENKAMP
Zur SCHICKSCHEN Auffassung führt hingegen DORENKAMP unter anderem an, dass
immer dann, „wenn die Vergleichbarkeit in der Sache die Vergleichbarkeit innerhalb
zeitlich fixierter Perioden ausschliesst, dem sachangemessenen Vergleichsmassstab
der Vorrang gegenüber der Überschaubarkeit des Vergleichszeitraums“ gebühre712.
Eine Sachgesetzlichkeit des Abgabenrechts, die eine Splittung der Lebenszeit des
Steuerpflichtigen in Besteuerungsabschnitte rechtfertigen könnte, ist aber gemäss
DORENKAMP nicht ersichtlich713. Des Weiteren legt Dorenkamp mit Bezug auf die Ansicht von KIRCHHOF dar, es gebe keine haltbaren Gründe dafür, dass die traditionelle
Abschnittsbesteuerung sämtlichen Gegenwartseinkommens vorgegeben sei. Demgemäss legt die budgetäre Notwendigkeit einer Abschnittsbesteuerung den Steuergesetzgeber nicht auf eine bestimmte periodische Berechnungsgrundlage fest714. Es ist Aufgabe des Steuersatzes, „den gegenwärtigen Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte
mit einer sachangemessenen Bemessungsgrundlage abzustimmen.“715 Dies untermauert DORENKAMP mit dem Hinweis darauf, dass anderenfalls zum Beispiel das objektive und das subjektive Nettoprinzip zur Disposition des Gesetzgebers stünden, sobald
707
708
709
710
711
712
713
714
Dorenkamp, S. 85 ff.
Zit. nach Dorenkamp, S. 85
Reiner Schick (Der Verlustrücktrag, 1976), zit. nach Dorenkamp, S. 85.
Kirchhof, Karlsruher Entwurf, S. 9; ders. Widerspruchsfreiheit, S. 320; ders. Verfassungsstaat,
S. 41; vgl. auch Dorenkamp, S. 87.
Kirchhof, Widerspruchsfreiheit, S. 320; ders., Karlsruher Entwurf, S. 9; vgl. auch ders., EStG
Kommentar, § 2 N 17; darüber hinaus ders., Grundlagen, S. 17 f.; vgl. auch Dorenkamp, S. 87.
Dorenkamp, S. 86, m.w. Ausführungen auf S. 85 f.
Dorenkamp, S. 86.
Dorenkamp, S. 87.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
147
der Finanzbedarf der öffentlichen Hand genügend gross wäre716. Darüber hinaus räumt
DORENKAMP mit TIPKE ein, dass „es noch nicht zwingend gegen die KIRCHHOFSCHE
These von der ‚Gleichheit oder Gerechtigkeit in der Zeit‘ sprechen müsse, dass sie ihm
bislang „weder in der inländischen noch in der ausländischen Fachliteratur begegnet“
sei717. Gewichtiger sei hingegen, dass auch in der Rechtsprechung des deutschen
BverfG sowie des deutschen BFH keine Stützung für die Ansicht gewonnen werden
kann, die Messung steuerlicher Leistungsfähigkeit sei auf einen Besteuerungsabschnitt
zu begrenzen718. Vielmehr erkennen das BVerfG sowie der BFH einen „Wertungswiderspruch“ zwischen einer leistungsfähigkeitsorientierte Einkommensbesteuerung und
dem steuerlichen Periodizitätsprinzip719. Demnach diene die Abschnittsbesteuerung
allein der Rechtssicherheit720.
5.3.
Weitere Anmerkungen mit Bezug auf das Schweizer Steuerrecht
In der Schweizer Literatur und Rechtsprechung721 finden sich keine Anzeichen für einen Grundsatz der „Gleichheit in der Zeit“. Als allgemeine Rechtsgleichheitsvorgabe
an den Gesetzgeber gilt, dass der Gesetzgeber keine rechtlichen Unterscheidungen
treffen darf, für die ein vernünftiger oder sachlicher Grund in den zu regelnden Verhältnissen nach Regelungszweck nicht ersichtlich ist und er keine rechtlichen Differenzierungen unterlassen darf, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen722. Bei
der Implementierung einer befristeten Sparbereinigung der Einkommensteuer und der
damit verbundenen unterschiedlichen steuerlichen Behandlung des Einkommens je
nachdem, ob es konsumiert oder gespart wird, besteht hingegen eine vernünftige und
sachliche Grundlage zur Differenzierung: Der dem Steuerkonzept zugrunde liegende
Gedanke erfordert eine entsprechende Differenzierung. Aber auch bei einer befristeten
Sparbereinigung besitzt der zeitliche Aspekt weiterhin Relevanz. Nur wird von der engen, technisch-budgetären Abschnittsbesteuerung abgerückt zugunsten einer zeitlich
715
716
717
718
719
720
721
722
Dorenkamp, S. 87 f.
Dorenkamp, S. 88.
Tipke, Karlsruher Entwurf, S. 165; vgl. auch Dorenkamp, S. 88.
Dorenkamp, S. 88.
Dorenkamp, S. 89, m.Vw. auf BVerfGE, 1 BvR 313/88 v. 22.7.1991 und HFR 1992, 423 (424).
Vgl. Dorenkamp, S. 89.
Wie eben aufgezeigt wurde, findet sich auch in der deutschen Rechtsprechung keine Stütze für
eine “Gleichheit in der Zeit”.
BGE 125 I 173 (178); BGE 122 I 18 (25); BGE 119 Ia 123 (128); Schweizer, BV Kommentar, N
38 zu Art. 8; vgl. auch Häfelin/Müller, N 750 ff.
148
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
weiteren Betrachtung. Massgebend ist nunmehr eine den gesamten Lebenszeitraum
des Steuerpflichtigen erfassende Spar- und Konsumbetrachtung. Durch die Lebenszeitbetrachtung wird der zeitliche Aspekt auf den Steuerpflichtigen hin ausgerichtet,
was wiederum dem Gleichheitsanliegen dient, da dadurch unter den Steuerpflichtigen
eine bessere Vergleichsbasis geschaffen wird.
Mit Blick auf das Steuerrecht ist darüber hinaus hervorzuheben, dass die Rechtsgleichheit in der Rechtsprechung eine steuerspezifische Konkretisierung erfuhr. Wie
bereits ausgeführt wurde, fliessen aus dem Rechtsgleichheitsgebot für das Steuerrecht
insbesondere die in Art. 127 Abs. 2 BV verankerten Grundsätze der Allgemeinheit der
Besteuerung und der gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit723. Als zentraler inhaltlicher Vergleichsmassstab kristallisiert sich dabei die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit heraus724. An dieser ist die steuerliche Gleichheit
auszurichten und zu messen. Aus dem Gesagten ergeben sich mit Bezug auf eine
„Gleichheit in der Zeit“ insbesondere zwei Schlüsse: Zum einen gehört sie nicht zu
den anerkannten allgemeinen steuerrechtlichen Ausprägungen des Gleichheitsgrundsatzes. Zum anderen gerät die „Gleichheit in der Zeit“ – zumindest, wenn sie eng als
Forderung nach periodischer Besteuerung des zugeflossenen Einkommens verstanden
wird – in Konflikt mit dem inhaltlichen Grundmassstab der Besteuerung, nämlich der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dieser Konflikt ist insbesondere regelmässig bei progressiver Besteuerung gegeben, wenn der Steuerpflichtige
nur während eines kurzen Zeitraums ein sehr hohes Einkommen erzielt. Erfolgt eine
traditionell-periodische Besteuerung, liegt bei Betrachtung seiner lebensbezogenen
Leistungsfähigkeit eine zu hohe Besteuerung vor, die zudem eine Diskriminierung gegenüber Steuerpflichtigen bedeutet, die dasselbe Lebenseinkommen bei gleichmässigem Zufluss vereinnahmen und daher auch in eine tiefere Progressionsstufe fallen725.
III. Wechsel zu einer befristeten Sparbereinigung
Bei einer Sparbereinigung mit Steueraufschub erfolgt die Besteuerung weiterhin periodisch, jedoch erfährt das Periodizitätsprinzip, wonach das zugegangene Einkommen
723
724
725
Oben, § 2 B. II. 2. und 3., S. 33 ff. und S. 37 ff., m.w. Ausführungen sowie Judikatur- und Literaturverweisen.
Oben, § 2 B. II. 3, S. 41, m.w. Ausführungen.
Zur Verletzung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei
Steuerprogression und traditionell-periodischer Bemessung unten, § 5 E. III., 4, S. 160.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
149
einer bestimmten Periode der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt wird, eine Durchbrechung durch die befristete Ausklammerung der netto gesparten726 Einkommensteile.
Getreu der Ausgangsfragestellung ist dies im Lichte des Leistungsfähigkeitsprinzips
und dessen Grundkonkretisierungen zu prüfen:
Wie soeben ausgeführt, ist das Periodizitätsprinzip in erster Linie eine technisch-budgetäre Leitlinie. Es ist kein Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips und steht mitunter sogar in Widerspruch zu ihm727. In der Schweizer Steuerordnung kommt denn, wie
dargelegt, auch zum Ausdruck, dass das Periodizitätsprinzip nicht als zwingendes
Prinzip verstanden wird. Um die Besteuerung leistungsfähigkeitsorientiert auszugestalten und um die Vorsorge zur fördern, begrenzt der Gesetzgeber das Periodizitätsprinzip in bedeutendem Ausmass728. Dem Leistungsfähigkeitsprinzip kann somit
keine Bindung an das Periodizitätsprinzip entnommen werden. Im Gegenteil durchbricht der Gesetzgeber teilweise das Periodizitätsprinzip, um die Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anzunähern. Vor diesem Hintergrund sind keine Leistungsfähigkeitskonkretisierungen im Bereich der zeitlichen bzw. periodischen Bemessung erkennbar, die einer befristeten Sparbereinigung entgegen stehen729.
Bezogen auf die leistungsfähigkeitsgebundene Umsetzung des Steueraufschubs kann
daran angelehnt werden, dass gemäss Vorstellungen des Gesetzgebers die Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung – gerade im Vergleich zur Praenumerandobesteuerung mit Vergangenheitsbemessung – eine Form der praktikablen periodischen Besteuerung darstellt, die unter anderem auch aus Leistungsfähigkeitsüberlegungen zu favorisieren ist. Diese das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisierende gesetzgeberische Wertung kann auch bei der skizzierten Sparbereinigung mit Steueraufschub übernommen und dementsprechend das Postnumerandosystem mit Gegenwarts726
727
728
729
Nettoersparnis = neu gebildete Ersparnis minus aufgelöste Ersparnis.
Oben, § 5 D. II. 1., S. 142 f.
Oben, § 5 D. II., S. 142 f.; vgl. auch Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 24 zu Art. 127,
mit Hinweis auf die Konsumorientierung der geltenden Einkommensteuer. Vgl. auch BGE v.
11.3.2003, in: StR 2003, 365.
Unbestritten ist, dass die befristete Sparbereinigung aus technisch-budgetären Gründen Fragen
aufwirft. An dieser Stelle und in der vorliegenden Arbeit allgemein sollen jedoch vorrangig die
rechtstheoretischen Aspekte einer Sparbereinigung behandelt werden. Auf die technisch-budgetären Fragen wird nachfolgend im dritten Teil übersichtsmässig eingegangen und es werden Lösungsansätze aufgezeigt. Anzumerken ist, dass die technisch-budgetären Aspekte nicht allzu
schwer wiegen können. Immerhin ist die Sparbereinigung und der damit verbundene zeitliche
Aufschub bereits weitgehend im Bereich des Vorsorgesparens verankert. Allein im Rahmen der
2. Säule erfuhren z.B. in den Jahren 1998-2001 durchschnittlich rund Fr. 43.4 Mia. pro Jahr eine
steueraufschiebende Behandlung; § 5 C. III. 2.2., S. 113.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
150
bemessung implementiert werden730. Dadurch werden die Zwischenveranlagung und
die damit verbundenen Leistungsfähigkeitsdefizite vermieden. Ob hingegen auch eine
zeitnahe Anknüpfung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gegeben ist, bedarf näherer Betrachtung. Denn die befristete Ausklammerung der Ersparnisbildung führt mit
sich, dass der Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in der entsprechenden
Periode nur beschränkt Berücksichtigung findet. Dem kann entgegen gehalten werden,
dass das steuerlich ausgenommene Einkommen jedoch in gespeicherter Form (Sparvermögen) erhalten bleibt und bei späterer Sparauflösung bzw. beim Austritt aus der
Steuerpflicht immer noch bestehende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit darstellt731.
Daher knüpft die in jener Bemessungsperiode erfolgende steuerliche Erfassung an aktuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen an. Wird dann ein Jahr nach der Bemessungsperiode, das heisst ein Jahr nach der steuerlich relevanten Auflösung, die
Veranlagung vorgenommen, ist die zeitliche Nähe an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit grundsätzlich ebenso gewährleistet wie bei der herkömmlichen Postnumerandobesteuerung mit Gegenwartsbemessung ohne Steueraufschub.
E.
Steuerprogression
Der Steuertarif vermag Wesentliches über die Leistungsfähigkeitsvorstellungen des
Gesetzgebers auszusagen. Nachstehend wird daher näher auf die im Schweizer Einkommensteuerrecht verankerte Steuerprogression eingegangen732.
730
731
732
Das Praenumerandosystem mit Vergangenheitsbemessung fällt gemessen an Leistungsfähigkeitskriterien ohnehin ausser Betracht, da bei der Sparbereinigung mit Steueraufschub das interperiodisch mitunter stark schwankende Nettosparverhalten (z.B. bei Anschaffung von teuren Konsumgütern) zu berücksichtigen ist und die zugrundegelegte Fiktion der Einkommensidentität zwischen Bemessungsperiode und Steuerperiode zusätzliche Beeinträchtigung erfährt, die zeitliche
Verzerrung dadurch noch weiter verstärkt wird und auch die Zwischenveranlagung mit ihren
Nachteilen vermehrt angewendet werden müsste.
Vgl. auch Dorenkamp, S. 84.
Im Zusammenhang mit der Progression ist auch auf die indirekte Progression hinzuweisen, die
entsteht, wenn Existenzminimumsabzüge von der Berechnungsgrundlage gewährt werden.
Diesbzgl. ist auf unten, § 5 F., S. 163 ff., zu verweisen, wo auf die Frage der Behandlung des Existenzminimums im Schweizer Bundessteuerrecht eingegangen wird.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
I.
151
Gesetzeslage
Bereits 1915, als der Bund733 erstmalig und befristet die Erhebung einer Vermögensund einer sog. Erwerbssteuer (Kriegssteuer) vorsah, wurde im ermächtigenden Verfassungsartikel (Art. 42bis Abs. 3 aBV) ausdrücklich die Steuerprogression angeordnet734. Gestützt darauf erfolgte im ausführenden Bundesbeschluss eine progressive
Ausgestaltung der Steuersätze735. In der Begleitbotschaft des Bundesrates wurde die
Steuerprogression nur kurz mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit Zunahme des steuerbaren Vermögens und Einkommens progressiv ansteige und daher eine leistungsfähigkeitsbezogene Steuer ebenfalls
progressiv zu fassen sei736. Sinngemäss wurde somit die Theorie des sinkenden Grenznutzens zusätzlicher Einkommenseinheiten angeführt, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Finanzwissenschaft herausgebildet hat und ihren Niederschlag bald in
zahlreichen Steuergesetzen Europas fand737. Konkret statuierte der Bundesbeschluss
eine starke Progression, was in der Botschaft mit einer dogmatisch etwas verwirrenden
Vermengung von leistungsfähigkeitsbezogenen und fiskalischen Motiven begründet
wurde738.
733
734
735
736
737
738
Zur auch für den Bund Weg weisenden Entwicklung der Progression in den kantonalen Steuergesetzen siehe u.a. Klett, Progressive Einkommensteuer, S. 602 ff.; M. Huber, S. 5 ff.
Vgl. zu dieser Vorlage Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 159.
BB vom 15. April 1915, in: BBl 1915 II S. 1 ff. Zur nachfolgenden Eidgenössischen Volksabstimmung vom 6. Juni 1915, in: BBl 1915 III S. 31 ff. Bemerkenswert das Resultat der Volksabstimmung: 452’117 Ja-Stimmen gegen 27’461 Nein-Stimmen und Annahme durch alle Stände.
Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 159: „Dass die Kriegssteuer den Grundsatz der progressiven
(...) Steuersätze zur Anwendung zu bringen habe, bedarf, nachdem sich der Grundsatz der Progressivbesteuerung in allen modernen Steuersystemen Geltung verschafft hat, keiner einlässlichen
Begründung. Er ist allein geeignet, den Gedanken der direkten Besteuerung der Personen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die eben mit der Zunahme des steuerbaren Vermögens
progressiv zunimmt, zum richtigen Ausdruck zu bringen.“ Dieselben Begründungsansätze wurden
regelmässig auch von den Kantonen bei der Etablierung der allgemeinen Einkommensteuer und
ihrer progressiven Ausgestaltung herangezogen. Diese Entwicklung, die mehrheitlich nach 1915
einsetzte und bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts andauerte, findet sich in der Dissertation von Keck (Die Entwicklung zur allgemeinen Einkommensteuer in der Schweiz) ausführlich
beschrieben.
Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund der Steuerprogression oben, § 3 C., S. 75 und S. 77.
Botschaft Art. 42bis BV (1915), S. 159 f.: “Wenn aber auch (und das gilt wohl für die Schweiz
ziemlich allgemein) der Grundsatz der progressiven Besteuerung Anerkennung erlangt hat, so
werden immer Meinungsverschiedenheiten über die zahlenmässige Gestaltung des Grundsatzes
bestehen; die Anschauungen über die zulässige Entlastung der schwächeren wirtschaftlichen
Klassen und die zulässige Mehrbelastung der wohlhabenden Klassen durch das Mittel der progressiven (und degressiven) Gestaltung der Steuerskala werden schwerlich je übereinstimmen.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
152
In ihrer anschliessenden, bislang fast neun Jahrzehnte dauernden „konstanten Befristung“, die seit 1915 immer wieder verlängert739, aber die von Bundesversammlung
und Bundesrat angestrebte Überführung in einen unbefristeten Zustand fünfmal in Abstimmungen abgelehnt wurde740, blieb die Einkommensteuer741 stets progressiv ausgestaltet742. Dabei behielt die Progression ihren anfänglichen steilen Zuschnitt grundsätzlich bei743.
739
740
741
742
743
Nach unsrem Vorschlag entwickelt sich der Progressivsatz bei der Vermögens-, wie bei der Erwerbsbesteuerung von niedern zu hohen Ansätzen und das Progressivprinzip kommt zu kräftigem
Ausdruck. (...) Diese Steuersätze gehen sehr hoch, das sei ohne weiteres zugegeben. (...) ohne die
Anwendung so hoher Sätze würde sie [die Kriegssteuer; Anm. des Zitierenden] den Ertrag nicht
abwerfen, dessen der Bund bedarf, um das Gleichgewicht der Finanzen nicht in allzu starkes
Schwanken kommen zu lassen. (...) Das Opfer, das unserer Bevölkerung, und namentlich den
wohlhabenden Kreisen mit der Kriegssteuer zugemutet wird, ist also ein grösseres als das der
Wehrsteuer für Deutschland.“
Vgl. dazu Blumenstein/Locher, S. 44 ff., u.a. auch mit Ausführungen und Literaturhinweisen zur
teilweise erfolgten extrakonstitutionellen Steuerrechtsetzung. Zu letzterer auch: Botschaft verfassungsmässige Neuordnung des Finanzhaushaltes (1948), S. 426 ff.
Blumenstein/Locher, S. 45 f. m.w.Nw.
Während die Kriegssteuer von 1915 eine getrennte Besteuerung von Vermögens- und Erwerbsertrag vorsah, wurde erst mit der Krisenabgabe 1934 eine eigentliche allgemeine Einkommensteuer
eingeführt; vgl. Botschaft Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts (1933), S. 197 ff.
Vgl. Art. 214 DBG i.V.m. Art. 5 der Verordnung über den Ausgleich der Folgen der kalten Progression für die natürlichen Personen bei der direkten Bundessteuer. In der Verfassung findet sich
die Progression seit der Finanzordnung 1971 nicht mehr vorgeschrieben (dazu auch
Höhn/Vallender, N 106 zu Art. 41ter aBV). Das ist darauf zurückzuführen, dass Bundesrat und
Bundesversammlung ursprünglich einen Verfasungsentwurf unterbreiteten, der dem Gesetzgeber
Freiheit in der Tarifgestaltung eingeräumt hätte und diesbezüglich v.a. keine Höchstsätze mehr
vorsah (Botschaft Änderung der Finanzordnung [1969], S. 749 ff.; vgl. auch Botschaft Weiterführung der Finanzordnung [1970], S. 1582 f.). Dieser finanzpolitische Vorstoss scheiterte aber 1970
am Ständemehr, und in der Folge wurden in der Finanzordung 1971 wieder Höchstsätze verankert, die Progression – mittlerweilen unumstrittener Bestandteil der direkten Bundessteuern –
wurde aber nicht mehr explizit aufgenommen.
Auf Ebene der Gewinnsteuer wurde die renditeabhängige Steuerprogression, die anerkanntermassen mit einer gleichmässigen Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Widerspruch stand (vgl. u.a. Duss/Altorfer, DBG
Kommentar, N 7 ff. zu Art. 68), per 1.1. 1998 aufgehoben und ein proportionaler Tarif verankert
(Art. 68 DBG).
Vgl. u.a. Grünblatt, S. 201 FN 170; Baumgartner, DGB Kommentar, N 14 zu Art. 36, mit Hinweis
darauf, dass „bei der direkten Bundessteuer die Progression erst bei mittleren Einkommen zu wirken beginnt, um dann stark anzusteigen.“; Locher, DBG Kommentar, N 4 zu Art. 36.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
II.
153
Rechtsprechung
Wenn auch das Bundesgericht ausgeführt hat, „dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bürgers mit zunehmendem Einkommen vor allem in bestimmten höheren
Einkommensschichten progressiv“ ansteige744, geht es nicht soweit, aus den verfassungsmässigen Steuergrundsätzen ein Gebot zur Steuerprogression oder gar eine bestimmte Tarifordnung abzuleiten. Vielmehr betont das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung745 zu kantonalen Steuerordnungen746, dass die Tarifgestaltung, insbesondere
der Progressionsverlauf, von politischen Wertungen abhänge und der Verfassungsrichter daher Zurückhaltung üben müsse747. Das Bundesgericht räumt daher dem kantonalen Steuergesetzgeber weite Gestaltungsfreiheit ein, die es erst eingrenzen will,
wenn sich die Tarifsetzung nicht auf sachliche Gründe stützen kann oder den Steuergrundsätzen klar widerspricht748.
Mit konkretem Bezug auf die Steuerprogression ist der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu entnehmen, dass sie aus der Perspektive der Steuergrundsätze als grundsätzlich zulässig anerkannt wird749. Jedoch müssen drei Punkte zwingend beachtet werden:
Erstens dürfen nicht einer kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen im Verhältnis zu ihrer
Leistungsfähigkeit erheblich grössere Lasten auferlegt werden als der Masse der übrigen Steuerpflichtigen750. Zweitens muss die Progression horizontal gleich angewandt
werden751. Und Drittens darf der Grenzsteuersatz in keinem Fall 100% übersteigen752.
744
745
746
747
748
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750
751
752
BGE 99 Ia 638 (655); vgl. auch M. Huber, S. 127.
Eine eingehende Darstellung der bundesrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit
der Progression ist wiedergegeben bei M. Huber, S. 155 ff.
Bei Steuergesetzen des Bundes greift das Anwendungsgebot von Art. 191 BV.
Ausführlich dazu: BGE 110 Ia 7 (14) mit zahlreichen w.Nw.; Vallender/Wiederkehr, BV Kommentar, N 18 zu Art. 127.
Vgl. z.B. BGE 114 Ia 221 (223 f.); BGE 110 Ia 7 (14); vgl. auch Klett, Gleichheitssatz, S. 140.
BGE 114 Ia 221 (225); BGE 110 Ia 7 (14 f.); BGE 104 Ia 285 (295); BGE 99 Ia 638 (653).
Wahrung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Besteuerung; BGE 99 Ia 638 (653).
BGE 110 Ia 7 (15); vgl. dazu auch M. Huber, S. 155 f.
BGE 99 Ia 638 (656). In der Lehre wird hingegen die Auffassung vertreten, ein Grenzsteuersatz
von 100% verstosse gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip: Höhn, Schranken, S. 241 ff.; auch
ders., Aspekte, S. 228; M. Huber, S. 182 ff. und S. 188 ff.
154
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
III. Wissenschaftliche Aspekte hinsichtlich Steuerprogression
1.
Begründungsschwierigkeiten
Die grenznutzentheoretisch gestützte Argumentation, nach welcher das Leistungsfähigkeitsprinzip eine progressive Besteuerung bedinge, stiess von Anfang an auf Einwände und mitunter heftige Kritik. Bereits 1889 hob COHEN STUART753 hervor, ein abnehmender Grenznutzen zusätzlicher Einkommensteile dränge keineswegs generell
eine progressive Besteuerung auf, um eine Gleichmässigkeit der Nutzeneinbussen
bzw. der relativen Opfer der Steuerpflichtigen zu gewährleisten. COHEN STUART legte
in diesem Zusammenhang dar, dass es auch Sachverhalte gebe, die trotz abnehmenden
Grenznutzens eine proportionale oder sogar eine degressive Besteuerung erforderlich
machten754. Darüber hinaus wird in der Literatur vorgebracht, es sei nur schwerlich
oder eventuell überhaupt nicht möglich, den einkommensbezogenen Nutzenverlauf
verlässlich zu messen, und die Gewinnung eindeutiger Daten zur Ausgestaltung einer
progressiven Besteuerung würde daher faktisch verunmöglicht755. Zudem wird angeführt, das erste GOSSENSCHE Gesetz dürfe nicht unbesehen auf das Einkommen übertragen werden, da nach Raum und Zeit und auch von Individuum zu Individuum differenziert zu beurteilen sei, ob für alle Einkommensverwendungen einschliesslich Ersparnis ein „Sättigungsprozess“ und damit zusammenhängend ein abnehmender
Grenznutzen unterstellt werden könne756. Anzumerken ist, dass die indirekte Progression, die entsteht, wenn Existenzminimumsabzüge von der Berechnungsgrundlage gewährt werden, von der allgemeinen Progressionskritik ausgenommen ist757.
In Würdigung der oben angeführten Kritikpunkte wird in der deutschsprachigen zeitgenössischen Steuerwissenschaft anerkannt, dass sich der Tarifverlauf nicht wissenschaftlich ableiten lässt und dass keine eindeutigen „Beweise“ zugunsten einer grenznutzentheoretisch begründeten Steuerprogression existieren758. Damit fehlt auch das
753
754
755
756
757
758
Cohen Stuart, S. 48 ff.
Cohen Stuart, S. 54 ff.; Haller, Bemerkungen, S. 36; Becker, S. 383; vgl. auch Blum/Kalven, S.
43.
K. Schmidt, Opfer, S. 394 und 400 f.; eingehend Dittmann, S. 118 ff.; Pahlke, S. 48; vgl. auch
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 408.
K. Schmidt, Steuerprogression, S. 19 ff.; ders., Opfer, S. 393.
Zur Behandlung des Existenzminimums im Schweizer Bundessteuerrecht unten, § 5 F., S. 163.
Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 408; M. Huber, S. 153; Tipke/Lang, § 9 N 741; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 38 f.; Hensel, S. 53 f.; Morandi, S. 135; Senn, S. 181; vgl. auch Elicker, S. 11
ff.; Neumark, Grundsätze, S. 123 und S. 178 f.; Hirt, S. 80; vgl. für die USA u.a. Blum/Kalven, S.
56 ff.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
155
wissenschaftliche Fundament für die Forderung, gestützt auf das Leistungsfähigkeitsprinzip sei ein progressiver Tarifverlauf erforderlich.
2.
Befürwortung in der herrschenden Lehre trotz wissenschaftlicher
Begründungsdefizite
2.1.
Gerechtigkeitsargumente
Trotz Fehlens einer klaren wissenschaftlichen Unterlegung geht die Mehrheit der
Rechtslehre in der Schweiz und in Deutschland davon aus, dass die Leistungsfähigkeit
tendenziell mit zunehmendem Einkommen überproportional ansteige. Ein progressiver
Tarif stelle demnach, wenn auch nicht stringent beweisbar, Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips dar und sei demgemäss aus Gerechtigkeitsgründen geboten759. Da der
Progressionsverlauf nicht wissenschaftlich deduzierbar ist, liege es am Gesetzgeber,
sein Werturteil und seine Einschätzung einzubringen und den Tarifverlauf festzulegen.
Dabei wird dem Gesetzgeber ein erheblicher Gestaltungsfreiraum zuerkannt760.
2.2.
Sozialpolitische Überlegungen
In Deutschland wird die Progression auch losgelöst vom Leistungsfähigkeitsprinzip
mit dem sozialpolitischen Ziel der Umverteilung begründet. Die deutsche Lehre geht
davon aus, dass zur Verfolgung des in Art. 20 GG niedergelegten Sozialstaatsprinzips
eine (beschränkte) Umverteilung zulässig sei und darin ein Rechtfertigungsgrund für
die Steuerprogression liege761.
759
760
761
Neumark, Grundsätze, S. 124; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 56; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 14 f.; ders., Steuererhebungsprinzipien, S. 104; Klett, Gleichheitssatz, S. 139; M. Huber, S. 147 und 153; Morandi, Schranken, S. 135; Senn, Anerkannte Besteuerungsgrundsätze, S.
181; Herzog, S. 91. Gewichtig die abweichende Aussage von Tipke resp. Tipke/Lang, wonach die
Progression nur ein Instrument der sozialen Umverteilung und nicht zwingender Ausfluss des
Leistungsfähigkeitsprinzips sei: Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 403 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 741.
Konkret Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 403: „Die Progressionsnorm ist Sozialzwecknorm.
Durch die Progression und mit dem Grad der Progression wächst das Ausmass der Umverteilung.
Das Leistungsfähigkeitsprinzip legt den Gesetzgeber nicht zwingend auf einen progressiven Steuertarif fest.“
Haller, Steuern, S. 113 ff.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 56 f.; Reich, Steuererhebungsprinzipien, S. 105 f.; Klett, Gleichheitssatz, S. 139 f.; Grünblatt, S. 190; Morandi, S. 135; Senn, S.
182 f.
Eingehend dazu Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 403 ff.; Jakob, § 1 N 15; Sommermann, GG
Kommentar, N 102 zu Art. 20 Abs. 1 (bzgl. Umverteilung); Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG Kommentar, N 49 zu Art. 20 (bzgl. des Gebots sozialer Steuerpolitik); Gröschner, GG Kommentar, N
156
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Wohl ist auch der Schweizer Bundesstaat unbestrittenermassen ein sozialer Rechtsstaat762. Insbesondere die in Art. 41 BV ausdrücklich statuierten Sozialziele763 sowie
die einzelnen direkt anspruchsbegründenden Sozialrechte764 machen dies deutlich765.
Wie MEYER-BLASER/GÄCHTER ausführen, sind sodann die Kompetenznormen von
zentraler Bedeutung, „welche die Grundlage für die klassischen Bereiche der Sozialgesetzgebung bilden (Wohnen, Arbeit, soziale Sicherheit und Gesundheit). Diese enthalten neben der Kompetenzzuweisung an den Bund oft auch konkrete Gesetzgebungsaufträge und programmatische Bestimmungen.“766 Der Sozialstaatsgedanke
schlägt sodann auch in der Präambel der BV767 sowie in Art. 2 Abs. 3 des Zweckartikels durch768. Ebenfalls kommt er in den „Wohlfahrtsbestimmungen“ von Art. 2 Abs.
2 BV und Art. 94 Abs. 2 BV zum Tragen769.
Fraglich ist nun, ob nach Schweizer Kompetenzordnung die bestehenden Verankerungen des Sozialstaatsgedankens in der BV eine hinreichende Grundlage für eine redistributorische Zielsetzung bieten. Gemäss herrschender Ansicht bedarf es im Schwei-
762
763
764
765
766
767
768
769
32 und N 37 ff. zu Art 20 (Sozialstaat); Haller, Steuern, S. 91 ff. und insb. S. 95 ff.; vgl. auch M.
Huber, S. 65 f. und S. 57, m.Vw. u.a. auf Walz, S. 185; Neumark, Grundsätze, S. 189; Ossenbühl,
S. 92 f. Auf geistesgeschichtliche Wurzeln (u.a. Adolph Wagner) der Umverteilung via Steuerprogression wurde bereits oben hingewiesen, § 3 C., S. 77.
Für vertiefte Analysen zum Sozialstaatscharakter der Schweiz siehe: Bigler-Eggenberger, BV
Kommentar, N 1 ff. zu Art. 41; dies., Sozialziele und Sozialrechte, S. 497 ff.; Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 1 ff.; Uebersax, S. 3 ff.; vgl. auch J.P. Müller, Soziale Grundrechte. Zum
Zauberwortcharakter des Begriffes „sozialer Rechtsstaat“: Druey, S. 131
Vgl. zu den Sozialzielen die Auflistung in Art. 41 BV. Eingehend Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 ff. zu Art. 41; Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 21 ff.; Botschaft VE 96, S. 197 ff.
Zu den Sozialrechten zählen (vgl. Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 27 ff): Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV); Anspruch auf Grundschulunterricht (Art. 19 BV); bedingter Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV); Schutz der Kinder und Jugendlichen (Art. 11 BV).
Vgl. weitergehend dazu Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 27 ff.; Bigler-Eggenberger, Sozialziele
und Sozialrechte, S. 502 ff. und S. 515 ff.; Botschaft VE 96, S. 149 ff. und S. 182.
Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 13 sprechen bzgl. der Sozialziele und den direkt anspruchsbegründenen Sozialrechten vom „Kern der Sozialverfassung“; vgl. auch Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 ff. zu Art. 41.
Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 13.
„...und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“; Meyer-Blaser/Gächter, §
34 N 17.
„Sie [die schweizerische Eidgenossenschaft] sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit
unter den Bürgerinnen und Bürgern“ (Art. 2 Abs. 3 BV); Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 18; Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 zu Art. 41; Ehrenzeller, BV Kommentar, N 20 zu Art. 2.
Eingehender Meyer-Blaser/Gächter, § 34 N 19 f.; Bigler-Eggenberger, BV Kommentar, N 10 zu
Art. 41 (mit Bezug auf Art. 2 Abs. 2 BV); Ehrenzeller, BV Kommentar, N 17 zu Art. 2; Vallender, BV Kommentar, N 10 zu Art. 94; Botschaft VE 96, S. 127.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
157
zer Recht für Fiskalsteuern, die auch ausserfiskalische Zielsetzungen verfolgen – und
um eine solche Zielsetzung handelt es sich bei der sozialpolitisch motivierten Redistribution –, nebst der Steuererhebungskompetenz auch einer Sachkompetenzgrundlage
auf Verfassungsebene770. Aus den angeführten Sozialstaatsverankerungen kann aber
keine Sachkompetenz zur Redistribution gewonnen werden. Die Aussagekraft der einzelnen Sozialstaatsverankerungen würde überdehnt, wenn man aus ihnen eine entsprechende Kompetenz herauslesen möchte771. Ohnehin wäre, wie M. HUBER herausgestellt hat, aufgrund der Intensität des mit der Umverteilung verbundenen Eingriffs in
Grundrechtspositionen – namentlich in die Eigentumsgarantie – eine klare Sachkompetenz für die Redistribution erforderlich772. Dem Ausgeführten zufolge entfällt für die
Schweizer Rechtsordnung der sozialpolitische Begründungsansatz der Progression773
und es kann nur die oben ausgeführte Gerechtigkeitsvermutung herangezogen werden774.
Anzufügen bleibt, dass Bund und Kantone umfangreiche Leistungsaufgaben erbringen
in Verfolgung und Umsetzung der Sozialziele und durch die Gewährung direkt anspruchsbegründender Sozialrechte. Durch die Erbringung dieser sozialen Leistungsaufgaben auf Bundes- sowie Kantonsebene (wie z.B. Sicherung des Existenzminimums, Fürsorgewesen allgemein, Angebot von grundsätzlich unentgeltlichem Grundschulunterricht und kostengünstigem Mittel- und Hochschulunterricht mit Stipendiatsmöglichkeiten etc.) wird im Ergebnis auch eine Umverteilung bewirkt. Die Steuermittel werden aber in diesen Fällen nicht mit dem Ziel der blanken Güterumverteilung verwendet, sondern um soziale Leistungsaufgaben des Staates zu erfüllen, die einer ausdrücklichen Verfassungs- bzw. Gesetzesgrundlage entspringen. Dieser Konzeption der Umverteilung über ausdrücklich normierte Sozialstaatsaufgaben dürfte es
materiell auch entsprechen, wenn in der Lehre in Anlehnung an NEUMARK775 zum Teil
eine „gewisse“ Umverteilungskompetenz, gestützt auf das Rechtsgleichheitsgebot in
770
771
772
773
774
775
Zum Erfordernis der Sachkompetenz bei ausserfiskalischen Zwecksetzungen: Grünblatt, S. 48,
mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 23; M. Huber, S. 61;
Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 45.
Vgl. auch M. Huber, S. 67 f.
M. Huber, S. 68.
M. Huber, S. 67 f.; vgl. auch Böckli, S. 8. A.M. anscheinend Senn, S. 189 f., jedoch ohne auf die
Kompetenzfrage einzugehen und in Zitierung überwiegend deutscher Literatur.
A.M. wohl Senn, S. 181.
Neumark, Grundsätze, S. 124.
158
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
seiner grundrechtlichen Ausrichtung der Chancengleichheit anerkannt wird776. Durch
die Verfolgung der positiv-rechtlich niedergelegten Sozialstaatsziele und der Gewährung von Sozialrechten wird der Konkretisierung dieses Gebots zielgerichtet und mit
hinreichender Sachkompetenz nachgekommen.
3.
Problematik des weitgehenden gesetzgeberischen Progressionsfreiraumes
Mit der in der herrschenden Lehre vertretenen Auffassung, die progressive Ausgestaltung der Steuerordnung sei ein vom Gesetzgeber zu fällender Wertungsentscheid, sind
jedoch verschiedene Probleme verbunden:
Ein relativ ungebundenes Progressionsabwägen des Gesetzgebers scheint aus rechtsstaatlichen Gründen bedenklich, da Steuereingriffe schwer wiegen und gemäss jüngerer Lehre die Eigentumsgarantie in ihrer Ausgestaltung als Bestandesgarantie berühren777. Eine sachlich begründbare Ausgestaltung des Steuertarifs sollte daher Voraussetzung für Steuereingriffe sein. Die Einhaltung dieser Voraussetzung ist aber kaum
anzunehmen, wenn sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Steuerprogression von
Gefühlen778 und Werturteilen leiten lassen soll779.
Darüber hinaus besteht bei Steuersatzfestlegungen durch demokratische Verfahren die
Gefahr, dass zugunsten der Mehrheit die Minderheit diskriminierende Steuersätze
festgelegt werden780. Wenn davon ausgegangen wird, dass Steuereingriffe die Eigentumsgarantie tangieren und auch berücksichtigt wird, dass die Progressionsbestimmung nicht belegbar ist und eventuell das Leistungsfähigkeitsprinzip verletzt, ist ge776
777
778
779
780
Klett, Gleichheitssatz, S. 140; Morandi, S. 135. Art. 2 Abs. 3 der neuen Bundesverfassung erhebt
denn auch die Erzielung „möglichst grosser Chancengleichheit“ zum Staatszweck.
D.h., die Eigentumsgarantie schützt vor Steuern nicht nur in ihrer Ausgestaltung als Institutsgarantie, sondern es wird davon ausgegangen, dass Steuern auch die Bestandesgarantie berühren
und bei unzulässigen Steuereingriffen in die Bestandesgarantie letztere ebenfalls Schutz bietet.
Vgl. dazu: Groth, S. 116 ff. und S. 149; Höhn, Schranken, S. 246; Morandi, S. 162; G. Müller,
aBV Kommentar, N 7 zu Art. 22ter; Völlmin, S. 144 f.; Expertenbericht Steuerlücken (1998),
S. 15 f.; ablehnend hingegen noch Hensel, S. 145. Von einer allgemeinen direkten Betroffenheit
in der Eigentumsgarantie spricht auch Senn, S. 214.
Dazu Haller, Diskussion, S. 469: „Sie [die Politiker; Anm. des Zitierenden] entscheiden gefühlsmässig, immer im Hinblick auf das Ziel des proportionalen Opfers, wie die Steuersätze ansteigen
müssen, damit gleiche relative Lasten zustande kommen.“
Siehe oben, § 5 E. III. 2.1., S. 155 inkl. FN 760. Um es zu verdeutlichen: Der Kritikpunkt ist
nicht, dass die Entscheidung für das Leistungsfähigkeitsprinzip auf Werturteilen beruht, sondern
dass die Bestimmung, inwiefern die Steuerprogression dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspricht,
nicht sachlich begründet werden kann und auf Werturteile zurückgegriffen wird.
Vgl. auch Hayek, S. 513.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
159
gen die Mehrheitsbestimmung der Progression anzuführen: Grundrechte – vorliegend
die Eigentumsgarantie und das Gleichheitsgebot in der Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips781 – haben die Funktion, elementare Freiheitspositionen vor Mehrheitsentscheidungen zu schützen782 und demzufolge bedarf die steuerliche Höherbelastung von Minderheiten einer sachlichen Grundlage.
4.
Weitere Kritikpunkte
Die Progression zieht auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive Kritik auf sich. Es
wird angeführt, sie sei leistungshemmend, damit verbunden auch produktivitätssenkend und führe zu einer Kapitalflucht783. Ebenfalls ist – nebst der hinlänglich bekannten und durch den Gesetzgeber teilweise abgeschwächten nominalen kalten Progression784 – das Problem der realen kalten Progression zu beachten785. Dabei führt
nicht eine individuumspezifische Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu
einem höheren Steuertarif, sondern infolge eines Wachstums der gesamten Volkswirtschaft gelangen die Steuerpflichtigen auf allgemeiner Basis in höhere Progressionsstufen786. Dadurch rücken wirtschaftlich leistungsschwächere Kreise, die der Gesetzgeber
ihren wirtschaftlichen Verhältnissen angemessen mit einem tieferen Steuersatz bedachte, in merklich höhere Progressionsstufen. Die Spitzenverdiener befinden sich
hingegen bereits in oberen Progressionsstufen und werden durch eine weitere Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steuerlich nur wenig stärker belastet, da
der Steuertarif am oberen Ende nur noch gering progressiv bzw. ab einer bestimmten
Stufe nur noch proportional anwächst787.
781
782
783
784
785
786
787
Wobei das Leistungsfähigkeitsprinzip an sich – wie die verfassungsmässigen Besteuerungsgrundsätze nach Art. 127 Abs. 2 BV allgemein – in der Rechtsprechung nicht als selbständiges Grundrecht bezeichnet wird. Hingegen stellt es in seinem Rechtscharakter unumstritten eine verfestigte
Grundrechtsposition dar; siehe dazu bereits oben, § 2 B., II. 1., S. 30.
Hauser/Vallender, S. 10; Hüglin, S. 296 f.; Joos, S. 489.
Hayek, S. 508 ff.; Gray, S. 101 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 741.
Vgl. z.B. Höhn/Vallender, aBV Kommentar, N 114 zu Art. 41ter; Völlmin, S. 43 ff. mit zahlreichen w.Nw.
Dazu Ursprung/Wettstein, S. 1 ff.
Ursprung/Wettstein belegen in einer volkswirtschaftlichen Studie, dass das starke Anwachsen der
Steuerquote während den letzten Jahrzehnten wesentlich durch den Effekt der realen kalten Progression mitverursacht wurde; Ursprung/Wettstein, S. 2 ff.
Art. 214 DBG; siehe auch Völlmin, S. 44; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 15 zu
Art. 214.
160
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Ein weiterer Problempunkt der progressiven Besteuerung ergibt sich in Verbindung
mit der periodisch begrenzten Bemessung788. In der Literatur wurde dieser Punkt bereits vor einigen Jahrzehnten „entdeckt“789 und erfuhr zwischenzeitlich intensivste Behandlung. Es geht darum, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip bei progressiver Einkommensbesteuerung gebietet, interperiodisch schwankende Einkommen, wie sie namentlich bei temporären Spitzenverdienern in Extremform vorkommen können790, zur
Berechnung der Steuerlast Mittelwerte zu verwenden bzw. „auszumitteln“. Erst wenn
der Steuerberechnung ein interperiodisch ausgemitteltes Einkommen zugrunde gelegt
wird, greift eine gleichmässige Besteuerung des Lebenseinkommens791. Entsprechende
Bestimmungen sind im DBG grundsätzlich nicht enthalten. Nur mit der Verlustverrechnung im Bereich des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit (Art. 31
bzw. Art. 211 DBG) ist eine Art von Ausmittlungsmechanismus vorgesehen, der jedoch im Hinblick auf die Ausmittlung des Lebenseinkommens dreifach begrenzt ist.
Erstens werden zeitlich maximal acht Jahre erfasst, was den vollen Ausgleich verschiedener Lebensabschnitte in der Regel ausschliesst. Zweitens ist eine Verrechnung
von stark schwankenden positiven Geschäftsjahren nicht möglich, und drittens gilt die
Verrechnungsregelung nicht für Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit.
IV. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung
Trotz der Zweifel, welche die Steuerprogression aufkommen lässt, ist sie fest im
Schweizer Steuerrecht verankert und wird von der Mehrheit der Lehre als nicht direkt
belegbarer Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips gestützt. Demzufolge steht eine
Abkehr von der Steuerprogression nicht zur Diskussion, wenn die allfällige Umge788
789
790
791
Zum Periodizitätsprinzip oben, § 5 D., S. 140 ff.
Gundlegend die 1947 erschienene Ph.D. thesis „Agenda for progressive taxation“ von William
Vickrey, S. 164 ff.
Z.B. bei kommerziell erfolgreichen Musikern, Künstlern oder Sportlern. Oft erzielen sie in bestimmten Lebensphasen überdurchschnittlich hohes Einkommen. Siehe auch Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 668 ff. und Lang, Bemessungsgrundlage, S. 187.
Vickrey, S. 164 ff., zeigt die Problematik auf und bietet „averaging“-Verfahren als Lösungsansätze, vgl. auch die „averaging“-Untersuchung von Hackmann, Lebenseinkommen; zur Besteuerung des Lebenseinkommens auch Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 502 und ders., Steuerrechtsordnung II, S. 668 ff.; Lang, Bemessungsgrundlage, S. 186 ff.; Tipke/Lang, § 9 N 44: „Das Periodizitätsprinzip ist kein Wertungsprinzip, sondern ein technisches Prinzip, das die ideale Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einschränkt, denn steuerliche Leistungsfähigkeit müsste idealiter nach dem Lebenseinkommen bemessen werden.“; siehe auch Dorenkamp, S.
82.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
161
staltung der Steuerordnung in Richtung befristete Sparbereinigung an den sich in den
bestehenden Steuernormen manifestierenden Grundvorstellungen über Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird. Ein progressiver
Steuertarif lässt sich sodann auch bei einer befristeten Sparbereinigung implementieren.
Bei einem Wechsel zur befristeten Sparbereinigung mit Übernahme der Steuerprogression ist insbesondere auf zwei Punkte im Zusammenhang mit der beschriebenen interperiodisch verzerrten Abbildung der Leistungsfähigkeit einzugehen:
1.
Besteuerung während der Steuerpflicht
Die aufgezeigte Problematik bei starken interperiodischen Einkommensschwankungen
wird durch einen Wechsel zur befristeten Sparbereinigung tendenziell gemindert: Es
ist davon auszugehen, dass bei Steuerpflichtigen mit starken Einkommensschwankungen das Konsumverhalten konstanter ist als der Einkommenszufluss792.
Darüber hinaus werden die Steuerpflichtigen allgemein, auch solche mit geringeren
Einkommensschwankungen, versuchen, ein konstantes Konsummuster zu gestalten.
Das kann erfolgen durch Konsumplanung sowie durch Vermeidung von hohen Einmalzahlungen. Letztere können vor allem vermieden werden durch Ratenzahlungen
oder Leasinggeschäfte.
Somit wird grundsätzlich das bei Steuerprogression auftretende „Periodizitätsproblem“
bei einem Wechsel zur befristeten Sparbereinigung entschärft und die Besteuerung
liegt näher bei einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung des Lebenseinkommens. Was allerdings die steuerlich motivierte Konsumgestaltung zur Erreichung eines
konstanten Konsummusters anbelangt, ist anzufügen, dass dies letztlich eine (periodische) Verzerrung des Konsumverhaltens darstellt und excess burdens793 zur Folge hat.
Daher fragt es sich, ob nicht der Steuertarif so ausgestaltet werden kann, dass zumindest die Anschaffung von grösseren „gewöhnlichen“ Konsumgütern nicht zum Aufrücken in eine höhere Progressionsstufe führt. Als Möglichkeiten bieten sich zum Beispiel eine lange Proportionalzone794 oder eine lange Niederprogressionszone, in welchen der Anschaffung gewöhnlicher Konsumgüter weitestgehend Raum zukommt. Ab
792
793
Konkret weiss z.B. ein Tennisstar, dass sein hohes Einkommen nur für eine kurze Zeit währt, und
er wird i.d.R. Ansparungen vornehmen, um späteren Konsum daraus zu decken.
Dazu auch oben, § 2 B. II. 4., S. 41.
162
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
einem bestimmten Betrag, ab dem offensichtlich Luxusbedarf gedeckt wird, könnte
dann die Progression stärker greifen795.
2.
Besteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht
Bei der befristeten Sparbereinigung greift eine Besteuerung des angesparten Einkommens bei Austritt aus der Steuerpflicht. Zur Besteuerung dieses Austrittsvermögens
kann jedoch offensichtlich nicht der reguläre Steuertarif angewandt werden. Da es sich
um Vermögen handelt, das unter Umständen über mehrere Jahre oder Jahrzehnte angespart wurde, würde das Austrittsvermögen mit einem hohen Progressionssatz besteuert, der in keiner Weise dem Lebenseinkommen Rechnung trägt. Die Besteuerung
käme daher in Konflikt mit der gleichmässigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit. Aus diesem Grund ist eine Differenzierung zu schaffen zwischen
der periodischen Besteuerung während der Steuerpflicht und der einmaligen Besteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht.
Bei der Suche nach einer Lösung kann an bereits bestehende sachverwandte Regelungen angeknüpft werden. Denn namentlich im Bereich der Kapitalabfindungen und Kapitalleistungen hat der Gesetzgeber Sonderregelungen für aperiodisch zufliessende
Einkommen verankert. Um einer aus Leistungsfähigkeitsgründen nicht gerechtfertigten Progressionsverschärfung entgegen zu wirken, statuieren Art. 37 DBG (bzgl. Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen) und Art. 38 DBG (bzgl. Kapitalleistungen aus Vorsorge) eine niedrigere Besteuerung als es der Regulärtarif vorsehen
würde. Konkret ist als Vorgabe für die Besteuerung des Austrittsvermögens von Art.
37 DBG abzusehen, da dieser Artikel Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen betrifft und eine Rentensatzberechnung Anwendung findet. Näher liegt Art. 38
DBG, wobei eventuell eine Modifikation erforderlich wäre: Es ist fraglich, ob der Tarif (1/5 des regulären Tarifs; Art. 38 Abs. 2 DBG) übernommen werden kann. Immerhin wollte der Gesetzgeber mit dem Tarif von Art. 38 DBG bewusst einen niedrigen
794
795
Vgl. Entwurf Lang, N 540, wo eine lange Proportionalzone vorgeschlagen wird; vgl. auch § 103
Abs. 1 Entwurf Lang.
Steuerpflichtige mit hohem Einkommen, die einen ihrem hohen Einkommen entsprechenden,
aufwendigen Lebenswandel führen, können dann durch Konsumgestaltung zwar einen interperiodischen Ausgleich anpeilen, fallen aber infolge allgemein höheren Konsumniveaus dennoch in
eine höhere Progressionszone als Steuerpflichtige mit „gewöhnlichem“ Konsum.
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
163
Tarif verankern, da es sich um Vorsorgeleistungen handelt796. Auf diese Tariffrage
muss hier aber nicht weiter eingegangen werden, vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, bei einem allfälligen Wechsel zur befristeten Sparbereinigung den (reduzierten) Tarif für das Austrittsvermögen festzusetzen. Beibehalten werden kann jedoch
grundsätzlich Abs. 3 von Art. 38 DBG, der bestimmt, dass die Sozialabzüge nicht gewährt werden. Da bei Tod oder Wegzug nebst der Besteuerung des Austrittsvermögens
auch noch eine anteilsmässige reguläre Besteuerung bezüglich der letzten Steuerperiode (Rumpfsteuerjahr) vorzunehmen ist797, werden die Sozialabzüge dadurch entsprechend berücksichtigt.
F.
Steuerliche Behandlung des Existenzminimums
I.
Keine generelle Freistellung des Existenzminimums
Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fordert
die Berücksichtigung der persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Daraus folgt auch das Gebot, die zur Deckung des Existenzminimums erforderlichen Mittel von der Besteuerung auszunehmen. Erst das Einkommen, das nach
Dec??kung des notwendigsten Lebensbedarfs des Steuerpflichtigen und weiterer von
ihm unterhaltener Personen übrig bleibt, indiziert subjektive Leistungsfähigkeit798. Da
durch die weiter oben dargestellten anorganischen Abzüge und die Sozialabzüge lediglich ein beschränkter Teil der Existenzminimumskosten berücksichtigt wird, ist die
Freigrenze nach Art. 214 Abs. 1 DBG eine Ergänzung in Anstrebung der verfassungsmässig gebotenen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Es
kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das Instrument der Freigrenze und der
konkrete Betrag799 nicht genügen, um das Existenzminimum tatsächlich steuerlich
auszusparen, vor allem in Anbetracht dessen, dass das betreibungsrechtlich geschützte
Existenzminimum erheblich darüber liegt800, 801. Dabei ist aber hervor zu heben, dass
796
797
798
799
800
Botschaft Steuerharmonisierung (1983), S. 177; Baumgartner, DBG Kommentar, N 2 zu Art. 38
m.w. Ausführungen; Locher, DBG Kommentar, N 1 zu Art. 38.
Ansonsten würden die Einkommensverwendungen dieses Rumpfsteuerjahrs nicht erfasst, da sie
im Austrittsvermögen nicht aufscheinen.
Klett, Gleichheitssatz, S. 133 ff.; Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 13; Senn, S. 176 f.; M.
Huber, S. 178 ff.; Höhn, Schranken, S. 249.
Fr. 12‘800.- (Stand 2003).
Das betreibungsrechtlich geschützte Existenzminimum wird in praktisch allen Kantonen anhand
der Richtlinien der SKOS (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe) ermittelt in Anpassung auf
die Lebenshaltungskosten der einzelnen Kantone. Daran orientiert sich in der Regel auch die
164
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
das Problem bei den kantonalen Steuer- resp. Tarifordnungen schwerer wiegt als bei
der relativ weniger belastenden direkten Bundessteuer.
Da bislang die Steuergesetze einem steuerlichen Eingriff in das Existenzminimum
nicht entgegenstehen, lag es an der Rechtsprechung, näher zu präzisieren, wie das Existenzminimum zu behandeln ist. Von grundsätzlicher Bedeutung ist dabei BGE 122 I
101, der nachstehend kurz referiert wird.
II.
BGE 122 I 101; Vollstreckungsschutz
In BGE 122 I 101 hat das Bundesgericht mit Bezug auf Kantons- und Gemeindesteuern zur Frage Stellung genommen, ob verfassungsrechtlich das Existenzminimum von
vornherein steuerlich freigestellt werden müsse und der kantonale Gesetzgeber dementsprechend verpflichtet sei, einen Betrag in der Höhe eines bestimmten Existenzminimums von der Bemessungsgrundlage auszunehmen. In diesem Urteil, das in seinem
Grundsatzgehalt auch für den eidgenössischen Gesetzgeber relevant ist, führte das
Bundesgericht aus, dass dem kantonalen Gesetzgeber bei der Konkretisierung der
Steuergrundsätze eine erhebliche Freiheit zustehe802 und ein genereller, einheitlich
festgelegter Abzug für das Existenzminimum sogar seinerseits mit dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz in Konflikt treten könne, wenn zum Beispiel der Steuerpflichtige
grosses Vermögen besitze oder bedeutende steuerfreie Kapitalgewinne auf Privatvermögen vereinnahme803. Ausserdem äusserte das Bundesgericht, eine Freistellung des
Existenzminimums stosse sich unter Umständen auch am Grundsatz der Allgemeinheit
der Besteuerung, da aus jenem zu folgern sei, „dass alle Einwohner entsprechend ihrer
801
802
803
Rechtsprechung. Konkret beträgt nach den SKOS-Richtlinien der Grundbedarf I (ohne Wohnungskosten) für den Lebensunterhalt ab 2003 Fr. 1‘030.-. für eine Person. Zu addieren ist der
Wohnungsmietzins (bei Wohneigentum der Hypothekarzins), soweit dieser im ortsüblichen Rahmen liegt. Ebenfalls zu addieren sind die vertraglich vereinbarten Nebenkosten. Internet-Quelle:
www.skos.ch/deutsch/skos_richtlinien (Stand 12.12. 2003).
Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 13, inkl. FN 37; Senn, S. 173.
BGE 122 I 101 (105).
BGE 122 I 101 (105): „(...) in manchen Fällen, zum Beispiel bei Steuerpflichtigen mit stark
schwankenden Einkommen, mit grossen Vermögen und relativ geringem Einkommen oder mit
erheblichen steuerfreien Vermögenszugängen (etwa aus Vermögensgewinnen auf Privatvermögen) könnte eine solche Befreiung dazu führen, dass Einkommensbestandteile steuerbefreit würden, obwohl wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gegeben wäre.“
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
165
finanziellen Leistungsfähigkeit einen – wenn auch unter Umständen bloss symbolischen – Beitrag an die staatlichen Lasten zu leisten haben.“804
Gestützt auf diese Erwägungen gelangte das Bundesgericht zu dem Schluss, aus den
Besteuerungsgrundsätzen könne nicht abgeleitet werden, der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich verpflichtet, das Existenzminimum von vornherein steuerfrei zu belassen805. Das Bundesgericht legte weiter dar, einzig aufgrund des verfassungsmässigen
Rechts auf Existenzsicherung (mittlerweilen in Art. 12 BV normiert, damals noch ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht) könne verlangt werden, dass durch eine
staatliche Abgabenforderung nicht effektiv in das Existenzminimum eingegriffen
werde806. Das bedeutet, dass bei Steuerpflichtigen, die am oder unter dem Existenzminimum leben, wohl eine Steuerrechung ausgestellt werden kann, diese aber nicht vollstreckt werden darf.
804
805
806
BGE 122 I 101 (104); Reich, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 13 verweist diesbezüglich auf Gygi,
S. 566 und Neumark, Grundsätze gerechter und rationaler Steuerpolitik, S. 80 und 126, die sich
ebenfalls gegen die generelle Freistellung des Existenzminimums wenden und den Grundsatz der
Allgemeinheit der Besteuerung begründend anführen.
BGE 122 I 101 (104).
BGE 122 I 101 (105); ebenda, S. 104: “Das Bundesgericht hat kürzlich entschieden, dass die
Bundesverfassung ein ungeschriebenes Recht auf Existenzsicherung enthält (BGE 121 I 367 E. 2
S. 370 ff.). Wenn schon ein Recht auf eine positive staatliche Leistung anerkannt wird, dann mag
es folgerichtig scheinen, auch ein entsprechendes Abwehrrecht anzuerkennen gegenüber staatlichen Eingriffen in die zur Deckung der elementaren Lebensbedürfnisse unabdingbaren finanziellen Mittel, da es widersprüchlich wäre, einerseits den Staat zu verpflichten, einem Bedürftigen die
zur Existenzsicherung notwendigen Mittel zu gewähren, ihm andererseits die Möglichkeit zu geben, in die gleichen Mittel wieder abgaberechtlich einzugreifen.“
166
Teil II: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
III. Wechsel zur befristeten Sparbereinigung
Hinsichtlich Freistellung des Existenzminimums ist die aktuelle Lösung des Bundesgesetzgebers (Freigrenze) und die bundesgerichtliche Rechtsprechung (Schutz des
Existenzminimums vor Zwangsvollstreckungen von Steuerforderungen) massgebend.
Ein Wechsel zur befristeten Sparbereinigung lässt sich ohne ersichtliche Probleme mit
diesen Rahmenbedingungen vereinbaren: Die Freigrenzen können übernommen und
der Vollstreckungsschutz kann weiterhin auf individueller Basis gewährt werden.
Sollte sich der Gesetzgeber zukünftig für eine generelle Ausnahme des Existenzminimums von der Berechnungsgrundlage entscheiden, wäre eine befristete Sparbereinigung ebenfalls ohne Probleme mit diesem Ansatz in Einklang zu bringen.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
167
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur
Umsetzung
§ 6 Einbettung in die internationale und nationale Steuerordnung
A.
Internationaler Kontext
Bislang wurde die Sparbereinigung aus nationaler Perspektive untersucht. Die Fragestellung war, inwiefern eine Sparbereinigung mit den schweizerischen verfassungsmässigen Vorgaben vereinbar ist. Dabei stellte die Vereinbarkeit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dessen Konkretisierungen im Schweizer Steuerrecht die Kernfrage
dar. Durch dieses „autonome“ Vorgehen, das heisst durch die Konzentration auf das
nationale Recht, war es möglich, eine dem Schweizer Recht adäquate Antwort bzw.
Lösung zu finden. Konkret ergab sich, dass die befristete Sparbereinigung eine Form
der Sparbereinigung darstellt, die mit den verfassungsmässigen Vorgaben vereinbar
ist. In einem nächsten Schritt ist die Fragestellung nun über die nationalen Grenzen
hinaus auszudehnen, und es sind die Einbettungen in den internationalen Kontext zu
berücksichtigen. Somit ist zu fragen, wie die befristete Sparbereinigung aus internationaler Perspektive zu beurteilen ist. In diesem Zusammenhang werden nachstehend vier
Aspekte behandelt:
I.
II.
III.
IV.
Persönlicher Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung
Frage der Vereinbarkeit mit den DBAs
Eventuelle innerstaatliche Massnahmen zur Umsetzung
Wegzugsbesteuerung
Auf die Sicherung der Steuerforderung, der offensichtlich auch erhebliche Bedeutung
zukommt, wenn vom internationalen Kontext die Rede ist – zu denken ist an das Verlassen der Schweiz ohne vorherige Abrechnung über die aufgeschobenen Steuern und
168
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
deren Sicherung durch die Steuerbehörden807 – wird aus allgemeiner Warte unter
„Steuersicherung“ weiter eingegangen808.
I.
Persönlicher Anwendungsbereich der befristeten
Sparbereinigung
1.
Natürliche Personen mit unbeschränkter und beschränkter
Steuerpflicht in der Schweiz
Es wird in dieser Arbeit eine weitgehende Anwendung der befristeten Sparbereinigung
vorgeschlagen. Unbeschränkt809 sowie auch beschränkt810 in der Schweiz steuerpflichtige natürliche Personen811 sollen in den Anwendungsbereich fallen.
1.1.
Praktikabilitätsgründe gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs
auch auf beschränkt Steuerpflichtige
Mit Blick auf die Erfassung auch der beschränkt Steuerpflichtigen ist anzumerken,
dass bestimmte Praktikabilitätsgründe dagegen sprechen: So ist es zum Beispiel in
diesen Fällen nicht möglich, eine umfassende Übersicht über die Ersparnisbildung zu
erhalten und diese entsprechend zu berücksichtigen. Zudem kann es Systemfriktionen
geben, wenn in der Schweiz das aus beschränkter Steuerpflicht zugeflossene Einkommen infolge Ersparnisbildung steueraufschiebend behandelt wird mit der Konsequenz,
dass während der Dauer der Ersparnishaltung keine Steuerrechnung dafür ausgestellt
wird, in den ausländischen Staaten hingegen, die dem herkömmlichen periodischen
Einkommensteuersystem folgen, eine Steueranrechnung Anwendung findet, bei welcher die aufgeschobene, noch nicht bezahlte Steuer nicht in Anrechnung gebracht werden kann.
807
808
809
810
811
Steuerflucht unter Verschiebung des Vermögens ins Ausland, so dass der Begleichung der aufgeschobenen Steuerlast entgangen wird.
Unten, § 7 B. IV. 2., S. 218.
Art. 6 Abs. 1 DBG i.V.m. Art. 3 DBG; unbeschränkte Steuerpflicht begründet sich durch persönliche Zugehörigkeit.
Art. 6 Abs. 2 DBG i.V.m. Art. 4 f. DBG; beschränkte Steuerpflicht begründet sich durch „lediglich“ wirtschaftliche Zugehörigkeit.
Juristische Personen werden in dieser Arbeit, was bereits zu Beginn dargelegt wurde, nicht weiter
behandelt. Dies folgt aus der Beschränkung der Untersuchung auf die Sparbereinigung der Einkommensteuer.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
1.2.
169
Gleichbehandlungsgründe für die Ausdehnung auch auf beschränkt
Steuerpflichtige
1.2.1. Ausgangsbeispiel
Auf der anderen Seite sprechen gewichtige Gleichbehandlungsgründe für die Ausdehnung der befristeten Sparbereinigung auch auf beschränkt in der Schweiz steuerpflichtige natürliche Personen. Dies kann anhand eines Beispiels veranschaulicht werden:
Zwei Physiotherapeuten812, A und B, arbeiten je mit eigener Praxis als selbständig Erwerbstätige im Kurort Heiden (Kanton Appenzell A.Rh.). A hat steuerrechtlichen
Wohnsitz in Heiden und ist in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig813. B wohnt
hingegen eine halbe Autostunde von Heiden entfernt in Österreich und hat weder steuerrechtlichen Wohnsitz noch Aufenthalt in Heiden. Er begründet durch die Physiotherapie-Praxis (Geschäftsbetrieb) lediglich eine beschränkte Steuerpflicht814. Es wird
darüber hinaus angenommen, dass die Physiotherapie-Praxis die hauptsächliche Einnahmequelle von B darstellt. Bei Anwendung der befristeten Sparbereinigung nur auf
unbeschränkt Steuerpflichtige erfährt A eine spürbare steuerliche Begünstigung: Bildet
A Ersparnisse aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen, erhält er einen Steueraufschub, inkl. der beschränkten Zinsausnahme. Die beschränkte Zinsausnahme führt mit
sich, dass sich das Spar- bzw. Investitionsvermögen von A deutlich besser
entwic??kelt815. B wird somit schlechter behandelt, indem er vom Einkommen, das er
aus derselben Tätigkeit und am selben Ort wie A erzielt, keine Sparabzüge geltend
machen kann. Deutlich drückt sich die Schlechterstellung von B insbesondere aus,
wenn A das Einkommen in die Physiotherapie-Praxis reinvestiert und einen
entsprechenden Sparabzug geltend machen kann816. A hat dann infolge der
beschränkten Zinsausnahme Investitionsvorteile, die seine Wettbewerbsstellung
gegenüber B erheblich stärken.
812
813
814
815
816
In offensichtlicher Anlehnung an den EuGH-Fall Wielockx v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94, in dem
der Steuerpflichtige (Wielockx) belgischer Staatsbürger war und in Belgien wohnte, hingegen in
den Niederlanden Partner in einer Physiotherapie-Gemeinschaftspraxis war. Wielockx bezog sein
gesamtes Einkommen aus der Tätigkeit in der niederländischen Physiotherapie-Praxis und war dafür in den Niederlanden steuerpflichtig.
Art. 3 Abs. 1 und 2 DBG.
Art. 4 Abs. 1 lit. a DBG.
Zu den stark einschenkenden Vorteilen der beschränkten Zinsausnahme: Oben, § 5 C. IV. 3.2.1.,
S. 127 ff.
Zur Bestimmung der abzugsfähigen Sparanlagen unten, § 7 B. I. 1., S. 197 ff.
170
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
Selbst wenn durch diese steuerliche Differenzierung eine Verletzung des allgemeinen
Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 BV) verneint würde mit dem Verweis auf ernsthafte
sachliche Gründe – unbeschränkte Steuerpflicht, d.h. persönliche Zugehörigkeit einerseits und beschränkte Steuerpflicht, d.h. wirtschaftliche Zugehörigkeit andererseits – ,
die zur Differenzierung Anlass gäben, eröffnet sich ein offensichtliches Spannungsfeld
zum Freien Personenverkehr, wie er in den bilateralen Abkommen mit der EU vereinbart wurde817. Dies wird untenstehend näher ausgeführt.
1.2.2. Bilaterales Abkommen über die Personenfreizügigkeit
Für die Beurteilung, inwiefern die Ausdehnung des Anwendungsbereiches der befristeten Sparbereinigung auch auf beschränkt Steuerpflichtige aus Gleichbehandlungsgründen geboten ist, ist namentlich das bilaterale Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU818 zu beachten. Dieses sieht vor, dass nach Ablauf einer Übergangsfrist819 die Regeln des Freien Personenverkehrs, wie sie innerhalb der EU bereits
817
818
819
Das in der Rechtsprechung (vgl. u.a. BGE 128 I 136; BGE 125 I 431; BGE 120 Ia 236; BGE 106
Ia 267 [274 ff.]; BGE 90 I 159 [162 f.]) entwickelte Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen, welches bekanntlich weiter geht als das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot und „strenger“
(Biaggini, Verfassungsrecht, § 49 N 13) ist als jenes, kommt bezogen auf das Ausgangsbeispiel
nicht zum Tragen, wenn auf die geltende Rechtsprechung des Bundesgerichts abgestellt wird: Das
Bundesgericht leitet das Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen aus dem Grundrecht
der Wirtschaftsfreiheit (bzw. früher „Handels- und Gewerbefreiheit“) ab. Die Wirtschaftsfreiheit
steht hingegen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur Schweizern sowie Ausländern mit
Niederlassungsbewilligung und unter bestimmten Umständen Ausländern mit Aufenthaltsbewilligung zu (BGE 116 a 237 [238 ff.]; BGE 123 I 212 [214 ff.]; vgl. auch Häfelin/Haller, N 655). B
als Ausländer mit Wohnsitz im Ausland ist somit nach geltender Rechtsprechung nicht Grundrechtsträger der Wirtschaftsfreiheit, er kann sich folglich auch nicht auf die Gleichbehandlung der
Gewerbegenossen berufen. Allfällige Gleichbehandlungsansprüche sind demgemäss in Staatsverträgen zu suchen. Anzumerken ist, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Rechtsträgerschaft der Wirtschaftsfreiheit von einer kontinuierlichen Öffnung geprägt ist und es abzuwarten
bleibt, ob das Bundesgericht zukünftig eine Ausdehnung auf Ausländer bzw. nicht in der Schweiz
ansässige Personen vornimmt, die im Rahmen der bilateralen Verträge eine Erwerbstätigkeit in
der Schweiz ausüben.
Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681);
in Kraft seit 1. Juni 2002.
Die Übergangsfrist dauert dem Grundsatz nach 12 Jahre; dazu Art. 10 des bilateralen Abkommens
über die Personenfreizügigkeit. Die Anwendung des „acquis communautaire“ im Bereich des
Freien Personenverkehrs erfolgt hingegen bereits nach fünf Jahren, dies allerdings unter dem
Vorbehalt der Wiedereinführung von Begrenzungsmassnahmen (einseitige Schutzklausel); Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6310; vgl. bzgl. der Übergangsbestimmungen und der
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
171
zur Anwendung kommen, auch für die Schweiz gelten sollen820. Dem bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit zufolge geniessen auch selbständig Erwerbende, die sich in einem Vertragsstaat niederlassen oder grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen, Freizügigkeit inkl. Niederlassungsfreiheit821. Dabei beinhaltet die
Niederlassungsfreiheit das Recht „zur Aufnahme und Ausübung einer selbständigen
Erwerbstätigkeit, sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates, wie sie für seine eigenen Staatsangehörigen gelten.“822, 823 Daraus fliesst insbesondere auch das Verbot von offenen oder versteckten
steuerlichen Diskriminierungen nach der Staatsangehörigkeit824. Eine versteckte Diskriminierung liegt unter anderem dann vor, wenn formal In- und Ausländer gleich behandelt werden, faktisch aber hauptsächlich Ausländer von der Regelung betroffen
sind825. Dies wäre insbesondere bei einer Begrenzung der befristeten Sparbereinigung
auf unbeschränkt Steuerpflichtige der Fall. Zwar würden In- und Ausländer formal
gleich behandelt, indem In- und Ausländer, die in der Schweiz nur beschränkt steuerpflichtig sind, von der Sparbereinigung ausgeschlossen werden. Faktisch wären jedoch
in erster Linie Ausländer betroffen.
820
821
822
823
824
825
Abkommensweiterentwickung Art. 10 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit.
Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6310; Art. 1 ff. i.V.m. Art. 10 des bilateralen Abkommens über Personenfreizügigkeit.
Art. 1, Art. 3 ff. sowie Art. 1 ff. und Art. 12 ff. des Anhangs I; Botschaft sektorielle Abkommen
(1999), S. 6311.
Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6311; Art. 1 ff. des bilateralen Abkommens über Personenfreizügigkeit sowie Art. 15 Anhang I zu den bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit.
Die diesbezüglichen Übergangsbestimmungen sehen lediglich vor, dass die Aufenthaltserlaubnis
während einer Übergangsfrist von fünf Jahren zunächst nur für sechs Monate gewährt wird, wenn
ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei niederlassen will. Er erhält eine Aufenthaltserlaubnis von fünf Jahren, wenn er vor Ablauf der sechs Monate nachweist, dass er eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Art. 31 Anhang I zum bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit). Nach Beendigung der Übergangsfrist greift Art. 12 des Anhanges I und die Aufenthaltserlaubnis wird von Anfang an für fünf Jahre gewährt und wird wiederum um fünf Jahre
verlängert, sofern eine selbständige Erwerbstätigkeit nachgewiesen werden kann.
U.a. EuGHE v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker); EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94
(Wielockx).
Mit Bezug auf eine versteckte steuerliche Diskriminierung u.a. EuGHE v. 27. 6. 1996, Rs. C107/94 (Asscher); EuGHE v. 29. 1. 1992, Rs. C-204/90 (Bachmann); vgl. auch Sass, S. 36; Kokott, S. 16 f.
172
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
In diesem Zusammenhang ist von Relevanz, dass der EuGH es immerhin als grundsätzlich zulässig erachtet, wenn eine Differenzierung zwischen Gebietsansässigen und
Gebietsfremden erfolgt, weil sich diese in der Regel nicht in einer gleichartigen Situation befinden, „da zwischen ihnen sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle als auch
hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft oder der Berücksichtigung der persönlichen
Lage und des Familienstandes objektive Unterschiede bestehen (...)“826. Auch Art. 21
Abs. 2 des bilateralen Abkommens über Personenfreizügigkeit räumt den Vertragsparteien das Recht ein, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, „die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden.“ Gestützt darauf wäre
eine Differenzierung nach unbeschränkter bzw. beschränkter Steuerpflicht grundsätzlich zulässig. Jedoch präzisierte der EuGH diese Rechtsprechung bezüglich der Geltendmachung von Abzügen von der Berechnungsgrundlage. Der EuGH führte aus,
dass vergleichbare Situationen anzunehmen sind, wenn der Gebietsfremde sein Einkommen ausschliesslich oder fast ausschliesslich im Vertragsstaat erzielt827. Dann ist
gemäss EuGH eine Differenzierung, die darin besteht, dass der Gebietsansässige weitergehende Abzüge von der Berechnungsgrundlage machen kann als der Gebietsfremde, nicht zu rechtfertigen, sofern der Gebietsfremde den Abzug nicht noch in seinem Ansässigkeitsstaat nachholen kann828. Für das Ausgangsbeispiel bedeutet dies,
dass eine Differenzierung nach Ansässigkeit bzw. unbeschränkter oder beschränkter
Steuerpflicht nicht zulässig ist, da der gebietsfremde B sein Einkommen fast ausschliesslich in der Schweiz erzielt und darauf keinen Sparabzug in seinem Ansässigkeitsstaat geltend machen kann.
826
827
828
EuGHE v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher); EuGHE v. 14.2.1995, Rs. C-279/93
(Schumacker); EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx); vgl. auch Art. 21 Abs. 2 des
bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit.
EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx): „Allerdings befindet sich der gebietsfremde
Steuerpflichtige, ob er nun als Arbeitnehmer oder Selbständiger tätig ist, der seine gesamten oder
nahezu seine gesamten Einkünfte in dem Staat erzielt, in dem er seine berufliche Tätigkeit ausübt,
hinsichtlich der Einkommensteuer objektiv in derselben Situation wie der in diesem Staat Ansässige, der dort die gleiche Tätigkeit ausübt.“; vgl. auch EuGHE v. 27. Juni 1996, Rs. C-107/94
(Asscher); EuGHE v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker).
U.a. EuGHE v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher); EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx).
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
1.3.
173
Folgerungen
Wie anhand des aufgezeigten Beispiels ersichtlich wird, drängen Gründe der Gleichbehandlung, darunter insbesondere das aus dem bilateralen Abkommen über Personenfreizügigkeit fliessende Diskriminierungsverbot, eine Ausdehnung der befristeten
Sparbereinigung auch auf beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen auf. Denkbar wäre in Aufgreifung des EuGH-Abgrenzungskriteriums immerhin eine Ausdehnung nur auf solche in der Schweiz beschränkt Steuerpflichtige, die ihr Einkommen
ausschliesslich oder fast ausschliesslich in der Schweiz erzielen. Dies würde hingegen
wiederum weitere Praktikabilitätsschwierigkeiten aufwerfen. Daher wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, dass der Anwendungsbereich der befristeten Sparbereinigung allgemein unbeschränkt sowie beschränkt in der Schweiz Steuerpflichtige umfasst829.
Den oben aufgeführten Praktikabilitätsschwierigkeiten kann wie folgt entgegnet werden:
Da eine umfassende Sparübersicht nicht erhältlich ist, können nur Investitionen in inländische Werte, die wiederum eine beschränkte Steuerpflicht begründen830, als Sparabzug von beschränkt Steuerpflichtigen berücksichtigt werden831. Dies ist eine konnexe Beschränkung, die aus Praktikabilitätsgründen vorzunehmen ist. Da es unter den
gegebenen Rahmenbedingungen die mildest mögliche Massnahme ist – andernfalls
wäre an einen gänzlichen Ausschluss von der befristeten Sparbereinigung zu denken –
sind auch die damit verknüpften Negativfolgen, namentlich die in Disharmonie zum
Grundgehalt der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 und 94 BV) stehende Investitionslenkung,
zu rechtfertigen.
Mit Bezug auf das Anrechnungsproblem832 ist an die Aushandlung von DBA-Regelungen zu denken, damit das Problem aufgegriffen und eine internationale Doppelbelastung vermieden werden kann. Zudem soll der betroffene Steuerpflichtige auch auf
die Geltendmachung des Sparabzugs verzichten können, wodurch eine traditionell-periodische Besteuerung die Folge wäre und im Steuerausland die Anrechung erfolgen
829
830
831
832
Vgl. auch Dorenkamp, S. 177, der mit dem Verweis auf die EU-Grundfreiheiten ebenfalls unbeschränkt sowie beschränkt Steuerpflichtige „nachgelagert“ besteuern will.
Zu denken ist an Geschäftsbetriebe, Betriebsstätten und Grundstücke i.S.v. Art. 4 DBG sowie an
Forderungen, die durch Grund- oder Faustpfand auf Grundstücken in der Schweiz gesichert sind
(Art. 5 Abs. 1 lit. c DBG).
Auch Dorenkamp, S. 177, schlägt vor, den Steuersparabzug auf „Inlandsinvestitionen“ zu beschränken.
Oben, § 6 A. I. 1.1., S. 168.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
174
könnte. Die Diskriminierung wird dadurch zwar nicht ausgeschlossen, aber es ist dann
die Auslandsregelung, die letztlich dafür verantwortlich ist.
2.
Sonderfragen
2.1.
Quellensteuerpflichtige natürliche Personen
Gemäss dem oben formulierten Vorschlag soll die befristete Sparbereinigung auch auf
beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen angewandt werden. Dies bedeutet,
dass auch grundsätzlich quellensteuerpflichtige Personen im Sinne von Art. 83 ff. und
Art. 91 ff. DBG für das quellensteuerpflichtige Einkommen Sparabzüge geltend machen können:
2.1.1. Art. 91 ff. DBG
Aus Gleichbehandlungsgründen leuchtet die Zulassung von Sparabzügen wiederum
ein. Das sei zunächst kurz bezüglich der Quellensteuerregelung nach Art. 91 ff. DBG –
diese umschreibt die Quellensteuerpflicht für natürliche und juristische Personen ohne
steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz – dargelegt: Grenzgängern
(Art. 91 DBG) aus der EU zum Beispiel, die als Arbeitnehmer in der Schweiz tätig
sind, verbietet das bereits oben referierte bilaterale Abkommen über die Personenfreizügigkeit und das damit verbundene Diskriminierungsverbot833 die mit der Nichtgewährung der befristeten Sparbereinigung verbundene steuerliche Schlechterstellung834.
Eine Verletzung des Diskriminierungsverbot liegt auch bei den restlichen in Art. 91 ff.
DBG835 angeführten Erwerbsgruppen vor, zumindest sofern der Hauptteil des Einkommens in der Schweiz erzielt wird836 und es sich um EU-Bürger handelt837. Wenn
auch nicht direkt die Staatsbürgerschaft Anlass zur Differenzierung gibt, sind mehrheitlich Nicht-Schweizer von der Quellenbesteuerung betroffen und es kann von einer
833
834
835
836
837
Art. 2 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit; Art. 9 des Anhanges I, insb.
Abs. 2; vgl. allgemein zum Verhältnis der bilateralen Verträge zur Quellenbesteuerung auch
Hinny, S. 1147 ff.
Zur Rechtfertigung der Quellenbesteuerung an sich unter dem bilateralen Abkommen über die
Personenfreizügigkeit: Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6353 f.
Betrifft die Quellensteuerpflicht für natürliche und juristische Personen ohne steuerrechtlichen
Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz.
Zu diesem Kriterium eben oben, § 6 A. I. 1.2.3., S. 172 inkl. FN 827.
Es greifen Art. 2 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit sowie Art. 9 Abs. 2
resp. Art. 15 des Anhangs I.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
175
versteckten Diskriminierung gesprochen werden838. Daher ist die befristete Sparbereinigung auch in den Quellensteuerfällen nach Art. 91 ff. DBG zu gewähren. Dabei ist
es nicht praktikabel, eine Gleichstellung nur EU-Bürgern und auch nur solchen, die
mehrheitlich ihr Einkommen in der Schweiz verdienen, zu gewähren. Aus diesem
Grund hat weiterhin die bereits oben vorgeschlagene allgemeine Variante Überzeugungskraft, nämlich die Erfassung sämtlicher beschränkt Steuerpflichtiger, das heisst
auch sämtlicher Quellensteuerpflichtiger im Sinne von Art. 91 ff. Zudem ist der Sparabzug aus Praktikabilitätsgründen ebenfalls nur für Inlandsinvestitionen zu gewähren,
die eine beschränkte Steuerpflicht zu begründen vermögen839. Konkret ist für die Berücksichtigung der abzugsfähigen Ersparnisbildung nicht lediglich eine individuelle
Tarif- oder Abzugsanpassung vorzunehmen, wie sie mitunter bereits im geltenden
Quellensteuerverfahren erfolgen kann840, sondern es ist eine „Verwaltung“ des aufgeschobenen Steueranspruchs erforderlich. Dazu scheint es sinnvoll, das bisherige
Quellensteuerverfahren um einen weiteren Schritt zu ergänzen, wenn ein Sparabzug
geltend gemacht wird. Nach dem regulären Quellensteuerverfahren hat dann eine individuelle, die Sparbereinigung berücksichtigende Tarifanpassung inkl. allfälliger Steuerrückzahlung zu erfolgen und das gebildete Nettosparvermögen ist zu erfassen und im
Folgenden weiter zu administrieren. Damit der Sicherungszweck der Quellensteuer
weiterhin gewahrt ist, drängt sich auf, nur nach hinlänglicher Sicherstellung des aufgeschobenen Steueranspruchs eine Steuerrückzahlung vorzunehmen. Um unverhältnismässigen Verfahrensaufwand zu vermeiden, ist es darüber hinaus ratsam, dieses ergänzende, die Ersparnisbildung sowie -auflösung berücksichtigende Verfahren nicht
mehrmals jährlich, wie in der Regel die Quellensteuerverfahren gegenüber dem
838
839
840
Aus dieser Perspektive scheint daher auch die in der Botschaft zu den sektoriellen Abkommen zu
findende Argumentation zur allgemeinen Vereinbarkeit der Quellenbesteuerung nach Art. 91 ff.
mit dem Gleichbehandlungsgebot bzw. dem Diskriminierungsverbot etwas fragwürdig: Nach der
in der Botschaft geäusserten Ansicht werden In- und Ausländer gleich behandelt, da beide Gruppen der Quellensteuerpflicht nach Art. 91 ff. unterstellt werden, wenn sie keinen steuerrechtlichen
Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz haben (Botschaft sektorielle Abkommen [1999],
S. 6354). Faktisch sind hingegen weit mehrheitlich ausländische Bürger von der Regelung betroffen.
Art. 4 f. DBG.
Z.B. bzgl. Abzügen von Einkaufsbeiträgen in eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge, von
Beiträgen an die gebundene berufliche Vorsorge oder bzgl. Abzügen von Schuldzinsen; Botschaft
sektorielle Abkommen (1999), S. 6355.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
176
Schuldner der steuerbaren Leistung841, sondern in grösseren Abständen, ev. jährlich
durchzuführen.
2.1.2. Art. 83 ff. DBG
Noch offensichtlicher ist die Ungleichbehandlungsproblematik bei der Quellensteuer
nach Art. 83 ff. DBG, wenn in diesen Fällen die befristete Sparbereinigung nicht gewährt wird. Denn Art. 83 ff. DBG trifft ausländische Arbeitnehmer, welche die fremdenpolizeiliche Niederlassungsbewilligung nicht besitzen, aber in der Schweiz steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt haben. Somit würden bei Nichtgewährung der
befristeten Sparbereinigung bei der Quellensteuerpflicht nach Art. 83 ff. DBG unbeschränkt Steuerpflichtige, die über keine fremdenpolizeilichen Niederlassungsbewilligung verfügen anders und zwar schlechter als die restlichen unbeschränkt Steuerpflichtigen behandelt. Das liefe unbestrittenermassen auf eine Diskriminierung nach
Staatsangehörigkeit bei identischen steuerrechtlichen Wohnsitz- resp. Aufenthaltsvoraussetzungen hinaus842, die im Verhältnis mit EU-Bürgern durch das bilaterale Abkommen über die Personenfreizügigkeit untersagt ist843. Als Lösung wird daher hier
vorgeschlagen, die befristete Sparbereinigung auch in Fällen von Art. 83 ff. DBG anzuwenden. Dies kann in einem nachträglichen ordentlichen Verfahren erfolgen844, wobei dann – da unbeschränkte Steuerpflicht gegeben ist – die Ersparnisbildung sowie auflösung umfassend845 zu berücksichtigen ist.
2.2.
Aufwandbesteuerung
Von der befristeten Sparbereinigung der Einkommensteuer untangiert bleibt die Aufwandbesteuerung nach Art. 14 DBG. Diese folgt nicht der regulären Einkommensteuerbemessung, sondern bestimmt sich nach dem Aufwand846 und eine Sparbereinigung
lässt sich nicht implementieren. Ohnehin weist die Aufwandbesteuerung durch die
841
842
843
844
845
846
Art. 100 Abs. 1 lit. c DBG i.V.m. z.B. Art. 62 StVO SG.
Vgl. auch Botschaft sektorielle Abkommen (1999), S. 6354.
Art. 2 des bilateralen Abkommens über die Personenfreizügigkeit und Art. 9 Abs. 2 des Anhanges I.
Die nachträgliche ordentliche Veranlagung würde dann nicht mehr nur bei tatbestandlicher Erfüllung von Art. 90 Abs. 2 DBG greifen (Überschreitung einer durch das EFD festgelegten Einkommensgrenze [per 2003 bei Fr. 120‘000.- Bruttoeinkommen; Ziff. 2 des Anhangs zur QStVO]).
D.h. betreffend in- und ausländischen Ersparnissen bzw. Investitionen.
Näher zur Aufwandbesteuerung u.a. Höhn/Waldburger, § 14 N 172 ff., auch mit Hinweisen auf
Überschneidungen/Bezüge zur regulären Einkommensteuer.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
177
grundsätzliche Abstellung auf den Aufwand bzw. Verbrauch und nicht auf den Einkommenszufluss gewisse Verwandtschaft mit einer sparbereinigten Einkommensteuer
auf, unterscheidet sich aber in einem gewichtigen Punkt von einer befristeten Sparbereinigung, wie sie hier entworfen wurde: Bei letzterer erfolgt nämlich eine „Nachholung“ der Einkommensbesteuerung bei Austritt aus der Steuerpflicht, und es handelt
sich somit um eine Einkommensteuer und nicht um eine Aufwands- bzw. Konsumsteuer847.
II.
Vereinbarkeit mit DBAs
Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Rangverhältnis zwischen Bundesgesetzen und Völkerrecht ist immer noch nicht ganz klar848. Als „Mindestauffassung“ gilt,
dass völkerrechtliche Vereinbarungen soweit Geltung haben, als nicht der Bundesgesetzgeber bewusst dagegen legeferiert hat849. Unumstritten ist der Vorrang von völkerrechtlichem ius cogens850. Art. 191 BV, in dem die Massgeblichkeit von Bundesgesetzen und Völkerrecht statuiert wird, nimmt zur Vorrangfrage nicht Stellung851 und trägt
insofern auch nicht zur Klärung bei. Die völkerrechtliche Komponente ist für die vorliegende Arbeit dahingehend von Relevanz, als sich mit Hinblick auf eine Sparbereinigung der Einkommensteuer fragt, inwiefern eine entsprechende gesetzliche Regelung
mit den DBAs vereinbar ist. Diesbezüglich besteht kein Anlass, eine bewusste Kollision mit den DBAs herbeizuführen852, und es kann als Prämisse angenommen werden,
die Sparbereinigung müsse mit den geltenden DBAs vereinbar sein. Bei der Prüfung
der DBA-Verträglichkeit einer Sparbereinigung der Einkommensteuer zeigt sich so847
848
849
850
851
852
Dazu bereits oben, § 5 B. IV. 1., S. 96.
Hangartner, BV Kommentar, N 25 zu Art. 191; Cottier/Hertig, S. 14 f.; Biaggini, Verhältnis,
S. 727.
Sog. „Schubert-Praxis“, in: BGE 99 Ib 39; vgl. dazu auch Botschaft VE 96, S. 135 FN 54 und
S. 534; Hangartner, BV Kommentar, N 25 ff. zu Art. 191; Kälin, S. 35 f. In neueren BGEs wird
hingegen die Ansicht vertreten, völkerrechtliche Staatsverträge hätten generell den Vorrang gegenüber Bundesgesetzen, auch wenn das Gesetzesrecht jünger ist: BGE 125 II 417; BGE 122 II
485 (487); BGE 122 II 234 (239); BGE 119 V 171 (176 ff.). Diese Auffassung wird auch gestützt
von Häfelin/Haller, N 1926. Hingegen vertreten u.a. Hangartner, BV Kommentar, N 27 zu Art.
191 und Cottier/Hertig, S. 17, die Auffassung, dass die (allenfalls zu präzisierende) „SchubertPraxis“ immer noch Geltung habe.
Hangartner, BV Kommentar, N 26 zu Art. 191; Häfelin/Haller, N 1922.
Botschaft VE 96, S. 429; Hangartner, BV Kommentar, N 25 zu Art. 191; Kälin, S. 36 f.
Somit kein Fall der eben erwähnten „Schubert-Praxis“, die – sofern sie noch Gültigkeit hat – entgegengesetztes Staatsvertragsrecht verdrängt.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
178
dann, dass grundsätzlich keine Problemfelder aufscheinen. Durch die Kodifizierung
einer befristeten Sparbereinigung erfolgen keine Abweichungen von den DBA-Regeln.
Insbesondere haben die Zuteilungsregeln und Methodenartikel weiterhin Geltung. Anzumerken ist des Weiteren, dass durch die vorgeschlagene weite Fassung des persönlichen Anwendungsbereichs853 der befristeten Sparbereinigung auch keine Konfliktgefahr mit den in den DBAs niedergelegten Gleichbehandlungsgeboten854 besteht.
III. Umsetzungsmassnahmen im internationalen Verhältnis
1.
Problemstellung
Wenn auch die Einführung einer Sparbereinigung vereinbar scheint mit den DBAs, ist
weiter zu fragen, ob nicht durch die internationalen Bezüge und die sich daraus ergebenden Besteuerungsregeln – stützen sich diese nun auf die DBAs oder auf die subsidiär greifende allgemeine (Verweis-)Bestimmung in Art. 6 Abs. 3 DBG855 – allfällige
innerstaatliche Umsetzungsmassnahmen erforderlich sind. Zu denken ist dabei vor allem an innerstaatliche Massnahmen, welche ausgerichtet auf die befristete Sparbereinigung sachgerecht dem Umstand Rechnung tragen, dass a) ausländische Einkommenszuflüsse aus dem Ausland zum Teil steuerlich vorbelastet sind oder b) inländisches Einkommen im Ausland steuerlich belastet wird. In diesem Zusammenhang
werden nachstehend Umsetzungsmassnahmen erörtert, welche unter Berücksichtigung
der massgebenden internationalen Besteuerungsregeln eine „Zuschneidung“ der befristeten Sparbereinigung ermöglichen, so dass letztere auch im internationalen Verhältnis möglichst praktikabel und effektiv ist. Die Umsetzungsmassnahmen orientieren
sich am geltenden Zustand, wonach im Ausland grundsätzlich der traditionellen, periodischen Einkommensbesteuerung gefolgt wird.
853
854
855
Zum persönlichen Anwendungsbereich oben, § 6 A. I., S. 168 ff.
Art. 24 OECD-MA; vgl. auch Art. 25 (1) DBA Deutschland-Schweiz; Art. 24 Ziff. 1 DBA
U.S.A.-Schweiz; Art. 24 Ziff. 1 DBA China-Schweiz; zum Diskriminierungsverbot der DBAs
auch Locher, Internationales Steuerrecht, S. 539 ff., m.w.Nw.
Verweis auf die Grundsätze des interkantonalen Steuerrechts.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
2.
Auslandseinkünfte von Steuerinländern
2.1.
Freistellungsmethode
179
2.1.1. Ausgangslage
Eine Berücksichtigung der Ersparnisbildung ist nicht möglich, wenn dem ausländischen, traditionell-periodisch besteuernden Staat das abschliessende Besteuerungsrecht
zukommt und die Schweiz die entsprechenden Einkünfte von der Besteuerung auszunehmen hat856. Das Einkommen wird im Ausland steuerlich belastet, unabhängig von
einer allfälligen Ersparnisbildung. Das bedeutet eine nicht konsequente Durchsetzung
des inländischen Sparbereinigungsansatzes, die aber inhärent mit der auf dem Territorialitätsprinzip fussenden Freistellungsmethode verbunden ist857 und somit ausserhalb
des inländischen Einflussbereiches steht.
2.1.2. Progressionsvorbehalt
In der Regel ist bei der Freistellungsmethode der Progressionsvorbehalt, das heisst die
Berücksichtigung des in der Schweiz unbedingt steuerlich freizustellenden Einkommens zur Bestimmung des Steuersatzes858, vorgesehen. Mit Blick darauf drängt sich
auf, den Progressionsvorbehalt auch bei einer befristeten Sparbereinigung beizubehalten. Dies in konsequenter Übereinstimmung damit, dass das betreffende Einkommen
im Ausland bereits abschliessend besteuert wurde.
2.1.3. Im Ausland abschliessend besteuertes Einkommen, das gespart wird
Ausländisches Einkommen, das in der Schweiz nicht besteuert wird, kann – wie allgemein von aussen zufliessende Vermögensmehrungen, die nicht steuerbar sind859 –
zu Praktikabilitätsschwierigkeiten führen. Werden damit Ersparnisse gebildet, wird die
856
857
858
859
Art. 23 A OECD-MA. Dazu auch Höhn/Waldburger, § 32 N 19: „Die Schweiz ist nach allen DBA
als Ansässigkeitsstaat zur unbedingten Befreiung mit Progressionsvorbehalt verpflichtet, wenn
das Objekt dem Partnerstaat als Quellen-, Belegenheits- oder Betriebstättestaat – ausschliesslich
oder nicht-ausschliesslich – zugewiesen ist. Einzig bei ausländischen Dividenden, Zinsen und Lizenzvergütungen ist die Schweiz nicht zur Befreiung verpflichtet, wenn diese im Quellenstaat besteuert werden dürfen (Teilung des Besteuerungsrechts). Vgl. auch Locher, Internationales Steuerrecht, S. 532 f.
Siehe auch Dorenkamp, S. 175.
U.a. Höhn/Waldburger, § 32 N 12; Locher, Internationales Steuerrecht, S. 492.
Z.B. Erbschaften und Schenkungen, Unterstützungen aus öffentlichen oder privaten Mitteln, Genugtuungssummen; siehe diesbzgl. die Auflistung in Art. 24 DBG.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
180
Berechnung der abzugsfähigen Ersparnisbildung verfälscht. Darüber hinaus ist fraglich, wie die gebildeten Ersparnisse bei einer allfälligen Kapitalgewinnbesteuerung,
die in dieser Arbeit aus Praktikabilitätsgründen vorgeschlagen wird860, zu berücksichtigen sind. Um diesen Problemen zu entgegnen und um eine Integration in das System
der befristeten Sparbereinigung zu ermöglichen, wird Folgendes empfohlen: Übersteigt die Ersparnisbildung das grundsätzlich steuerbare Einkommen, das heisst, werden auch nicht steuerbare Vermögenszuflüsse zur Ersparnisbildung verwendet, ist dieser Überschussbetrag861 aufzunehmen und bei späteren Ersparnisauflösungen bzw. bei
Austritt aus der Steuerpflicht steuerwirksam abzuziehen862. So wird vermieden, dass
an sich nicht steuerbares Einkommen besteuert wird. Gleichzeitig wird dem Anstieg
des Kapitalwertes Rechnung getragen und eine Kapitalgewinnbesteuerung ermöglicht.
Weiter unten wird die Problematik hinsichtlich von aussen zufliessenden Vermögensmehrungen, die nach DBG oder einer Regelung des internationalen Steuerrechts nicht
der direkten Bundessteuer unterliegen, nochmals aufgegriffen863. Insbesondere wird an
jener Stelle auch erörtert, wie bei der Auflösung von Sparvermögen, das aus ebensolchen Zuflüssen gebildet wurden, zu verfahren ist.
2.2.
Anrechnungsmethode
2.2.1. Nettobesteuerung
Bei der in bestimmten Fällen Anwendung findenden sog. Nettobesteuerung erfolgt ein
Abzug der ausländischen Steuer vom Bruttoeinkommen864. Die Übernahme dieser Regelung auch im System der befristeten Sparbereinigung wirft keine Probleme auf.
860
861
862
863
864
Dazu oben, § 5 A. IV., S. 86 ff.
Überschussbetrag = Ersparnisbildung insgesamt minus grundsätzlich steuerbares Einkommen
(d.h. steuerbares Einkommen vor Berücksichtigung allfälliger Sparabzüge). Durch die heutige
EDV ist die Erfassung und auch die weitere Administration des Überschussbetrages leicht zu bewerkstelligen.
Anzufügen bleibt, dass eine Aufteilung des gesparten Einkommens nach in- und ausländischen
Quellen unmöglich ist. Somit werden ausländische Einkommensteile, die im Inland freigestellt
sind, tendenziell eine Erhöhung der Ersparnisbildung mit sich führen. Gedanklich hat man sich
das derart vorzustellen, dass mit dem ausländischen Einkommen soweit möglich der Konsum finanziert wird und das inländische Einkommen soweit möglich für die Ersparnisbildung verwendet
wird. Damit geht jedoch grundsätzlich kein Verlust des Steuersubstrates einher, da das gesparte
Einkommen – abgesehen von der beschränkten Zinsausnahme – nur von einem Steueraufschub
profitiert (vgl. auch Dorenkamp, S. 175).
Zur Behandlung von nicht steuerbaren Vermögenszuflüssen auch unten, § 7 B. II., S. 212 f.
Vgl. Locher, Internationales Steuerrecht, S. 512 und S. 54 f.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
181
2.2.2. Pauschale Steueranrechnung
Die sog. pauschale Steueranrechnung stellt die im Regelfall anzuwendende Form der
Steueranrechnung dar865. Bei ihr wird die ausländische Steuer von der schweizerischen
Steuer auf dem ausländischen Einkommensobjekt abgezogen866. Die Methode der
Steueranrechung erfasst das ausländische Einkommen zusammen mit dem inländischen, was bei einer Sparbereinigung zur Folge hat, dass in- und ausländisches Einkommen867 die Steuerberechnungsgrundlage bildet, von der steuerwirksam die Ersparnisbildung abgezogen werden kann. Dies im Unterschied zur Methode der Steuerbefreiung, bei der ausländische Einkünfte grundsätzlich keine Sparbereinigung erfahren
können.
Die Anrechnung der ausländischen Steuer kann periodisch erfolgen868, wobei ein
Übertrag auf die folgenden Perioden vorzunehmen ist, wenn der Betrag in der betreffenden Periode nicht vollständig berücksichtigt werden kann. Es ist des Weiteren sinnvoll, zur Berechnung des Maximalbetrages869 die Schweizer Steuerlast weiterhin traditionell, das heisst ohne Berücksichtigung allfälliger Sparabzüge, zu ermitteln. Die
Vernachlässigung allfälliger Sparabzüge ermöglicht erst einen praktikablen Lastenvergleich bezüglich der in- und ausländischen Steuern. Zudem bleiben bei einem solchen
Ermittlungsvorgehen identische steuerliche Rahmenbedingungen – traditionelle Einkommensbesteuerung ohne Sparabzug – im In- und Ausland gewahrt, womit eine systemische Verschränkung zur ausländischen Ordnung geschaffen wird, die einem aussagekräftigen Vergleich dient.
865
866
867
868
869
Die pauschale Steueranrechnung betrifft i.d.R. ausländische Dividenden, Zinsen und Lizenzvergütungen; Höhn/Waldburger, § 32 N 35 und N 19; Locher, Internationales Steuerrecht, S. 512.
Locher, Internationales Steuerrecht, S. 512 f.; Höhn/Waldburger, § 32 N 35; beide mit zahlreichen
Literaturverweisen.
Sofern die Anrechung dafür vorgesehen ist.
Auch hier tritt wieder das „Separationsproblem“ zutage; es lässt sich nicht feststellen, ob aus dem
ausländischen Einkommen Ersparnisse gebildet oder Konsum finanziert wurde. M.a.W. kann
nicht gesagt werden, inwiefern das ausländische Einkommen bereits in der Zuflussperiode konsumiert wurde und entsprechend eine Besteuerung inkl. Steueranrechnung vorzunehmen ist. Aus
Praktikabilitätsgründen wird vorgeschlagen, die ausländische Steuer so schnell wie möglich anzurechnen.
Die angerechnete ausländische Steuer kann den Betrag der inländischen Steuer nicht übersteigen.
Es wird somit nur der niedrigere Betrag (sog. Maximalbetrag) vergütet; vgl. dazu Locher, Internationales Steuerrecht, S. 516 ff.
182
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
3.
Inlandseinkünfte von Steuerausländern
3.1.
Freistellungsmethode
Wird gemäss dem Vorschlag dieser Arbeit der Anwendungsbereich der befristeten
Sparbereinigung auch auf beschränkt Steuerpflichtige ausgedehnt, ergibt sich bei der
Freistellungsmethode mit Bezug auf Inlandseinkünfte eine steuerlich abgerundete Situation. In der Schweiz können allfällige Inlandsinvestitionen von der Berechnungsgrundlage abgezogen werden, während bei späterer Auflösung eine Besteuerung erfolgt. Friktionen bzw. Berührungen mit dem Ausland ergeben sich dadurch nicht, da
die Schweiz das Einkommen abschliessend besteuern kann. Die Schweizer Einkommensteile sind im Ausland von der Besteuerung auszunehmen. Infolge der mit der
Freistellungsmethode verbundenen Steuerautonomie des Quellenstaates (i.c. Schweiz)
lässt sich die befristete Sparbereinigung konsequent und ohne bedeutsame praktische
Erschwernisse umsetzen.
3.2.
Anrechnungsmethode
Wie oben schon angeschnitten wurde, resultieren unter der Anrechnungsmethode gewisse Schwierigkeiten bei einem Wechsel zur befristeten Sparbereinigung870. Namentlich ist fraglich, wie der ausländische Staat, der eine traditionell-periodische Einkommensteuer vorsieht, mit dem Steueraufschub umgeht. Durch die Abzugsfähigkeit
der Ersparnisbildung reduziert sich die Steuer und somit auch der anrechenbare Betrag871. Dies führt letztlich zu einer Doppelbelastung, wenn später die entsprechenden
Ersparnisse aufgelöst und besteuert werden und die Steuerlast im Ausland nicht mehr
in Anrechnung gebracht werden kann. Als nicht gänzlich befriedigende Lösung kann
dem beschränkt Steuerpflichtigen geraten werden, auch in der Schweiz für eine traditionell-periodische Besteuerung zu optieren, was er faktisch dadurch erreicht, dass er
die Ersparnisbildung schlichtwegs nicht als Steuerabzug geltend macht. Alternativ ist
auf dem Wege von DBA-Neuregelungen eine adäquate Lösung zu finden. Diese
könnte zum Beispiel darin bestehen, dass der ausländische Staat die fiktive Steuerlast
auf dem Schweizer Einkommen vor allfälligen Sparabzügen anrechnet.
870
871
Dazu oben, § 6 A. I. 1.1. und 1.3., S. 168 und S. 173.
Anzurechnen ist gemäss Art. 23B OECD-MA der Betrag, „der der im anderen Staat gezahlten
Steuer vom Einkommen entspricht.“ Vgl. auch Vogel, DBA Kommentar, N 154 zu Art. 23.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
183
IV. Wegzugsbesteuerung
1.
Ausgangslage
Der befristeten Sparbereinigung liegt die Vorstellung zugrunde, dass bei Ersparnisauflösung oder bei Austritt aus der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht
eine Besteuerung greift. Ein Austritt aus der Steuerpflicht ist bei Tod oder Wegzug gegeben. Ein Wegzug liegt vor, wenn eine unbeschränkt steuerpflichtige Person872 den
steuerrechtlichen Aufenthalt oder Wohnsitz aufgibt und infolgedessen auch nicht mehr
die unbeschränkte Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit begründet873.
Wird nun beim Wegzug die aufgeschobene Besteuerung nachgeholt, ist die Freizügigkeit offensichtlich gehemmt874. Von besonderem Interesse ist dabei das Verhältnis der
Wegzugsbesteuerung zu den sektoriellen Abkommen mit der EU, namentlich zum bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit. Hinsichtlich dieses Fragenkomplexes kann weitgehend auf DORENKAMP875 verwiesen werden, der eine äusserst fundierte Untersuchung unter Einbezug der EuGH-Rechtsprechung vornahm. Die Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, zumindest derjenigen zur Personenfreizügigkeit, ist infolge der Übernahme des „Acquis communutaire“876 auch für die Schweiz
angezeigt.
872
873
874
875
876
Da eine beschränkt steuerpflichtige natürliche Person in der Schweiz keinen steuerrechtlichen
Wohnsitz oder Aufenthalt hat, kann sie auch nicht wegziehen. Allfällige Veräusserungen von
Einkommensquellen, welche die beschränkte Steuerpflicht begründen, sind vielmehr unter dem
Blickwinkel „Ersparnisauflösung“ zu prüfen.
Art. 3 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 DBG.
Siehe auch Dorenkamp, S. 180: „Eine Nachbelastung von Ersparnissen, die ausschliesslich anlässlich eines grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsels vorgenommen wird, erschwert den innereuropäischen Umzug. Denn der Steuerzugriff erfolgt früher als bei einem innerstaatlichen
Wohnsitzwechsel (Besteuerungsaufschub bis zur Ersparnisauflösung). Hieraus resultieren neben
Liquiditätseinbussen negative Zins- und Zinseszinseffekte, die einen grösseren Barwert der Steuerlast zur Folge haben. Sie sind jedenfalls dann geeignet, einen Inländer davon abzuhalten, seinen
Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu verlegen, wenn die
bislang unversteuerten Ersparnisse ein gewisses Ausmass überschritten haben.“
Dorenkamp, S. 178 ff.
Die Anwendung des „Acquis communutaire“ im Bereich des Freien Personenverkehrs erfolgt bereits nach fünf Jahren nach in Kraft treten des Freizügigkeitsabkommens (1. Juni 2002), jedoch
unter dem Vorbehalt der Wiedereinführung von Begrenzungsmassnahmen; Botschaft sektorielle
Abkommen (1999), S. 6310 FN 52.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
184
2.
Zentrale Überlegungen DORENKAMPs zur Wegzugsbesteuerung
2.1.
„Bachmann“
Gestützt auf das Bachmann-Urteil877 führt DORENKAMP aus, dass zur Wahrung der
Kohärenz878 zwischen den inländischen Steuervorschriften, die einerseits die Abzugsfähigkeit der gesparten Einkommensteile, andererseits aber die Besteuerung der Ersparnisauflösung festlegen, eine Wegzugsbesteuerung erforderlich ist879. Denn der alte
Ansässigkeitsstaat hat die Ersparnisbildung zum Abzug von der Berechnungsgrundlage zugelassen und einen Steueraufschub gewährt, damit die Besteuerung erst später
bei Ersparnisauflösung oder Austritt aus der Steuerpflicht greift880. Würde keine Wegzugsbesteuerung vorgenommen, bliebe gespartes Einkommen bei einem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel endgültig unversteuert, und es würde nicht lediglich ein
Besteuerungsaufschub gewährt881. DORENKAMP nimmt diesbezüglich jedoch noch eine
Präzisierung vor. Er weist darauf hin, dass die Wegzugsbesteuerung nach den Grundsätzen des Bachmann-Urteils nur dann durch das Kohärenzprinzip gerechtfertigt ist,
wenn mit dem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel eine „Steuerentstrickung“ der
Ersparnisauflösung im Inland einher geht882. Sind mit der Ersparnisauflösung inlandsradizierte Einkünfte verbunden, die der beschränkten Steuerpflicht im Wegzugsstaat
unterfallen, „wäre die Erhebung einer Wegzugsteuer gemeinschaftsrechtswidrig“883.
Denn betreffend der inlandsradizierten Einkünfte würde der Grundsatz der Einmalbelastung von Einkommen durch den Wegzug nicht gefährdet884.
2.2.
„Wielockx“
Gemäss dem Wielockx-Urteil kann sich nicht länger auf den Rechtfertigungsgrund der
Kohärenz berufen, wer sich freiwillig – nämlich durch Vereinbarung einer entsprechenden DBA-Regelung – angestammter Besteuerungsbefugnisse entledigt885.
DORENKAMP folgert daraus, dass eine Wegzugsbesteuerung nicht nur dann nicht ge877
878
879
880
881
882
883
884
885
EuGHE v. 28. 1. 1992, Rs. C-204/90.
Vgl. kritisch zum „Kohärenz“-Begriff des EuGH: Thömmes, S. 96 ff.
Dorenkamp, S. 188.
Dorenkamp, S. 188.
Dorenkamp, S. 188.
Dorenkamp, S. 188 f.
Dorenkamp, S. 189.
Dorenkamp, S. 189.
EuGHE v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx); Dorenkamp, S. 190.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
185
rechtfertigt ist, wenn die Ersparnisauflösung im Wegzugsstaat steuerverhaftet bleibt,
sondern „Primäres Gemeinschaftsrecht steht der Erhebung einer Wegzugsteuer in Ermangelung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses auch dann entgegen,
wenn der Wegzugsstaat sich seiner Besteuerungsbefugnisse freiwillig – z.B. DBArechtlich – begeben hat und die Ersparnisauflöung im Zuzugsstaat der Besteuerung
unterliegt (Steuerverstrickung im Ausland).“886 Die Steuerverstrickung der Ersparnisauflösung im Ausland sorgt in diesem Fall dafür, dass die Verwirklichung des Grundsatzes der Einmalbelastung von Einkommen „auf supranationaler Ebene auch ohne
eine inländische (Wegzugs-)Besteuerung gesichert ist.“887
2.3.
Quintessenz
Ist die Ersparnisauflösung nach dem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel weder
im Inland noch im Ausland steuerverstrickt, stellt bei einer befristeten Sparbereinigung
ausschliesslich eine Wegzugsbesteuerung den Grundsatz der Einmalbelastung von
Einkommen sicher888. Beeinträchtigungen der „gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten, die aus der Wegzugsbesteuerung resultieren, sind dann durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Kohärenz des Subsystems der Ersparnisbesteuerung zu sichern.“889
2.4.
Steuerstundung und Ratengewährung als Ausfluss des
Verhältnismässigkeitsgebots
Mit Verweis auf das (EU-)gemeinschaftsrechtliche Übermassverbot schlägt DOvor, die Steuerschuld aus der Wegzugsbesteuerung gegen Sicherstellung zu
stunden890. Die Steuerschuld wäre im Folgenden in Raten abzutragen891. Aus Schweizer Sicht gebietet das auch der Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV), der
für staatliches Handeln, somit auch für den Steuerbezug, massgeblich ist. Die Zahlung
der aufgeschobenen Steuer kann in vielen Fällen eine unverhältnismässige Härte bedeuten, da unter Umständen über Jahre hinweg die Steuern aufgeschoben und die latente Steuerlast entsprechend angehäuft wurde. Diesbezüglich sollte die bereits existie-
RENKAMP
886
887
888
889
890
891
Dorenkamp, S. 190.
Dorenkamp, S. 191.
Dorenkamp, S. 191.
Dorenkamp, S. 191.
Dorenkamp, S. 192.
Dorenkamp, S. 192.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
186
rende Ermessensvorschrift von Art. 166 DBG892 eine genügende Grundlage bieten,
damit die Steuerverwaltung fallgerecht Stundungen gewähren und Ratenzahlungen
bewilligen kann.
3.
„Hughes de Lasteyrie du Saillant“
3.1.
Kernaussagen
Am 11. März 2004 hat der EuGH ein neues und vielbeachtetes Urteil bezüglich Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 des EG-Vertrages und nationaler Wegzugsbesteuerung gefällt893. Es ging dabei um eine Regelung des französischen Steuerrechts, die
vorsah, dass bei Wegzug eines Steuerpflichtigen ins Ausland die unrealisierten Wertsteigerungen auf bestimmten Wertpapieren einer Wegzugsbesteuerung unterliegen.
Immerhin war auf Antrag hin ein Zahlungsaufschub möglich, jedoch waren Sicherheiten zu leisten, die geeignet sind, die Zahlung der Steuer sicherzustellen. Zweck dieser Steuerregelung sei alleinig, so die Darlegungen der französischen Regierung vor
dem EuGH, der Steuerflucht vorzubeugen894.
Konkret wehrte sich der Steuerpflichtige Hughes de Lasteyrie du Saillant, der von
Frankreich nach Belgien zog, dagegen, dass in Anwendung der genannten Steuerregelung die unrealisierten Wertsteigerungen auf seinen Anteilen an einer französischen
Gesellschaft besteuert wurden.
Der EuGH urteilte, dass die strittige Steuerregelung zwar einem französischen Steuerpflichtigen nicht verbiete, von seinem Niederlassungsrecht nach Art. 52 EG-Vertrag
Gebrauch zu machen, sie sei jedoch geeignet, die Ausübung des Niederlassungsrechts
zu beschränken, da sie „für Steuerpflichtige, die sich in einem anderen Mitgliedstaat
niederlassen wollen, zumindest abschreckende Wirkung“ habe. Daran ändere auch der
auf Antrag mögliche Zahlungsaufschub nichts, da er an strenge Voraussetzungen geknüpft sei und die erforderliche Leistung von Sicherheiten beschränkende Wirkung
habe, da sie den Steuerpflichtigen an der freien Nutzung der als Sicherheit geleisteten
Vermögenswerte hindere.
Weiter führte der EuGH aus, dass die durch die strittige Steuerregelung verursachte
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit auch nicht durch die Regelungsmotivation,
892
893
894
Zahlungserleichterungen bei „erheblicher Härte“.
EuGHE v. 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant).
EuGHE v. 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant).
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
187
nämlich dem Ziel, der Steuerflucht vorzubeugen, gerechtfertigt werden könne. Insbesondere verhalte sich die Regelung unverhältnismässig zum angestrebten Ziel.
3.2.
Auswirkungen auf die obige Argumentation zur Wegzugsbesteuerung
Oben wurde in Anlehung an die Überlegungen DORENKAMPS formuliert, dass bei einer befristeten Sparbereinigung ausschliesslich eine Wegzugsbesteuerung den Grundsatz der Einmalbelastung von Einkommen sicherstelle, wenn die Ersparnisauflösung
nach dem grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsel weder im Inland noch im Ausland
steuerverstrickt ist895. Die daraus resultierenden Beeinträchtigungen der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten seien dabei durch die Notwendigkeit gerechtfertigt,
die Kohärenz des Subsystems der Ersparnisbesteuerung zu sichern896.
Es fragt sich nun, ob dies angesichts des Entscheides „de Lasteyrie du Saillant“ immer
noch Bestand hat, immerhin hat der EuGH eine Wegzugsbesteuerung auch auf Vermögensgegenständen untersagt, die im Inland nicht mehr steuerverstrickt sind und deren Steuerverstrickung im Ausland ungewiss ist bzw. nicht gegeben sein muss.
Wird allerdings auf die Argumentation des EuGH in „de Lasteyrie du Saillant“ abgestellt, sollten obige Überlegungen zur Wegzugsbesteuerung bei einer Sparbereinigung
immer noch Bestand haben. Entscheidend ist dabei, dass der EuGH in „de Lasteyrie du
Saillant“ das mit der strittigen Regelung verfolgte Ziel, der Steuerflucht vorzubeugen,
nicht als Rechtfertigung der Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit akzeptierte.
Nach den Ausführungen des EuGH diente hingegen die strittige Regelung insbesondere nicht der Wahrung der Kohärenz des nationalen Steuersystems und dieser Rechtfertigungsgrund fiel daher ausser Betracht897. Mit dem Urteil „de Lasteyrie du Sail-
895
896
897
Oben, § 6 A. IV. 2.3., S. 185.
Dorenkamp, S. 191.
EuGHE v. 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant): „Von Artikel 167bis CGI kann jedoch nicht gesagt werden, dass er in dieser Weise durch das Erfordernis gerechtfertigt wäre, die
Kohärenz des französischen Steuersystems zu wahren. Hierzu ist daran zu erinnern, dass die in
Artikel 167bis CGI vorgesehene Steuerregelung, wie die französische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen dargelegt hat, der allein aus steuerlichen Gründen erfolgenden vorübergehenden Wohnsitzverlegung ins Ausland vorbeugen soll. (...) Mit Artikel 167bis CGI wird somit offenbar nicht das Ziel verfolgt, allgemein in dem Fall, dass ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz
ins Ausland verlegt, die Besteuerung der Wertsteigerungen sicherzustellen, die während seines
Aufenthalts in Frankreich eingetreten sind. (...) Unter diesen Umständen entfällt in Anbetracht des
Zieles, das mit der in Artikel 167bis CGI vorgesehenen Steuerregelung verfolgt wird, die Prämisse, auf der das von der niederländischen Regierung angeführte Argument der steuerrechtlichen
Kohärenz basiert.“
188
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
lant“ wird somit dem Rechtfertigungsgrund der Kohärenz der steuerrechtlichen Systeme – sofern der Rechtfertigungsgrund überhaupt gegeben ist – keine Schranken gesetzt. Daher kann bei einer Wegzugsbesteuerung im Rahmen der Sparbereinigung
auch weiterhin der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz der Steuersysteme angeführt
werden898.
B.
Einbettung in die nationale Steuerordnung
I.
Verhältnis zur Mehrwertsteuer
Besondere Aufmerksamkeit verdient das Verhältnis einer befristet sparbereinigten
Bundeseinkommensteuer zur Mehrwertsteuer:
1.
Befristete „Konsumorientierung“ der Einkommensteuer
Aus steuersystematischer Sicht ist darauf hinzuweisen, dass durch die vorgeschlagene
Befristung der Sparbereinigung keine direkte Konsumsteuer im Sinne einer „direkten
Schwestersteuer“ zur Mehrwertsteuer geschaffen wird. Die Einkommensteuer wird
beibehalten und unter Beachtung verschiedener verfassungsmässiger Steuervorgaben,
namentlich auch der verfassungsmässigen Vorgaben hinsichtlich Steuergerechtigkeit,
durch eine Sparbereinigung modifiziert, die nur befristet Wirkung hat. Daher bildet
immer noch das Einkommen Steuergut sowie Steuerobjekt und die Steuerberechnungsgrundlage knüpft an die geltende Regelung an899. Eine Abweichung von der
geltenden Regelung erfolgt lediglich hinsichtlich der traditionellen periodischen Besteuerung, da für die gesparten Einkommensteile ein Steueraufschub gewährt wird.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass auch die Konsumorientierung der Besteuerung befristeter Natur ist900. Bei Auflösung der Ersparnisse, spätestens durch Austritt aus der
Steuerpflicht, werden die angesparten Einkommensteile steuerlich erfasst. Eine gänzliche Ausnahme der Ersparnisse, das heisst eine direkte Konsumsteuer, stiesse sich, wie
ausgeführt, an fundamentalen Steuer- bzw. Gerechtigkeitsprinzipien. Vor allem ent898
899
Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass es bei der Wahrung der Kohärenz der Steuersysteme im
Rahmen der Sparbereinigung nicht nur um die Erfassung der unbesteuerten Wertsteigerungen
geht, sondern vor allem die Besteuerung auf den bislang zugeflossenen, aber steueraufschiebend
behandelten Einkünften nachgeholt bzw. dem anspruchsberechtigen Staat gesichert werden soll.
Es wird vielmehr sogar eine Erweiterung der Berechnungsgrundlage in Betracht gezogen, nämlich
durch Einführung der Kapitalgewinnsteuer. Dazu oben, § 5 A. IV., S. 86 ff.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
189
stünde ein Konflikt mit den Grundsätzen der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit901 und der Allgemeinheit der Besteuerung902. Darüber hinaus würde
auch der materielle Gehalt der steuerlichen Kompetenznormen verletzt903.
2.
Überlegungen zur optimalen Allokation
Eine Sparbereinigung der Einkommensteuer in Zusammenspiel mit einer indirekten
Konsumsteuer (Mehrwertsteuer) wirft zudem Effizienzfragen auf. Zur Legitimierung
von Effizienzgedanken im Steuerrecht ist auf oben904 zu verweisen, wo die Bedeutung
von Effizienzüberlegungen für das Steuerrecht näher geprüft und die Schlussfolgerungen gezogen wurde, der Steuergesetzgeber habe bei der Rechtsetzungstätigkeit auch
Effizienzüberlegungen mitzuberücksichtigen.
Aus der Optimalsteuertheorie stammt die Erkenntnis, dass die excess burdens überproportional, konkret im Quadrat zur Steuerbelastung eines Faktors, ansteigen905. Es
ist daher zu prüfen, ob die Sparbereinigung der Einkommensteuer in Zusammenspiel
mit der bestehenden indirekten Konsumsteuer (MwSt) aus Effizienzaspekten nicht
eine zu starke, übermässige Fehlallokationen hervorrufende Steuerbelastung des Konsums bewirkt.
Dazu ist zum einen anzuführen, dass die allgemein vorgebrachte Unmerklichkeit906 der
Mehrwertsteuer dafür spricht, dass durch sie, zumindest solange die MwSt-Sätze in ihrer Höhe nicht merklich abschreckend wirken, die Konsumentscheidungen nicht erheblich beeinflusst werden. Demgegenüber ist die Sparbereinigung des Einkommens
für den Steuerpflichtigen deutlicher merkbar und im Vergleich zur MwSt demzufolge
besser geeignet, das Konsumverhalten – zumindest befristet – zu beeinflussen. Gestützt auf diese Argumentation ergibt sich, dass die „Quadrat-Regel“ bei einer Sparbereinigung nicht mathematisch exakt angewendet werden kann. Zur Berechnung der
900
901
902
903
904
905
906
Bereits oben, § 5 C. IV. 3.2.3. b), S. 134 f. inkl. FN 660, wurde auf das Missverständnispotential
hinsichtlich des Begriffes der „konsumorientierten“ Einkommensteuer hingewiesen.
Zur diesbezüglichen Unvereinbarkeit oben § 5 B. IV. 1., S. 96, und § 5 C. IV. 2., S. 125.
§ 2 B. II. 2.2., S. 36.
§ 2 B. I. 2.2.2. b), S. 23.
§ 2 B. II. 4., S. 41 ff.
Dazu eingehend Stiglitz, S. 527 f.; Rosen, S. 292.
Neumark, S. 38 bzgl. der indirekten Steuern. Neumark, S. 35 ff., geht auch auf die Für und Wider
hinsichtlich eines Grundsatzes der Unmerklichkeit der Besteuerung ein und verweist auf verschiedene Stimmen in der Literatur. Letztlich spricht er sich aber für einen Merklichkeitsgrundsatz
aus (S. 41), in ausdrücklicher Distanzierung zu seinen früheren Schriften (S. 35 f.).
190
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
excess burdens kann keine Addierung der durch die Sparbereinigung induzierten Konsumbelastung zum vollen Mehrwertsteuersatz vorgenommen werden907. Zudem gilt
auch bei der Effizienzbetrachtung, dass die Sparbereinigung nur befristet gilt. Eine allfällige Konsumbeeinflussung hat daher ebenfalls befristete Auswirkungen. Modellhaft
kann angenommen werden, dass die Sparbildung positiv und der Konsum negativ beeinflusst werden. Dies vor allem solange in der Erwerbsphase für die Vorsorge gespart
wird. Infolge der Sparbereinigung fällt denn auch die Vorsorgebildung leichter908.
Damit führt die Sparbereinigung den ausserfiskalischen Effekt der Vorsorgeförderung
mit sich, womit im Übrigen auch zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages von
Art. 111 Abs. 4 BV beigetragen wird909. In Anbetracht dessen, dass das Sparvermögen
spätestens bei Austritt aus der Steuerpflicht besteuert wird, werden hingegen keine Anreize gesetzt, den Konsum endgültig einzuschränken, und einer Neigung zur Vergrösserung einer beabsichtigten Erblassung wird entgegengewirkt. Demgemäss ist zu erwarten, dass zwischen dem Abschluss der Vorsorgebildung und Austritt aus der Steuerpflicht (konkret: Tod) die angesparten Teile freier ausgegeben werden.
II.
Gewinnbesteuerung juristischer Personen
Analog zur Sparbereinigung der Einkommensteuer natürlicher Personen ist eine Investitionsbereinigung der Gewinnsteuer juristischer Personen denkbar. Eine entsprechende Investitionsbereinigung drängt sich sogar auf, um eine steuerliche Diskriminierung gegenüber den selbständig Erwerbenden zu vermeiden, weil letztere bei der vorgeschlagenen Sparbereinigung die reinvestierten Gewinne von der Einkommensteuer
abziehen können, während bei der Gewinnsteuer eine unvermeidbare steuerliche Belastung auf Ebene der juristischen Person erfolgt. Allerdings werfen mit Blick auf die
Gewinnbesteuerung juristischer Personen verschiedene Aspekte grundsätzliche Fragen
auf:
907
908
909
D.h., da auf Sparbereinigung und MwSt unterschiedlich im Konsumverhalten reagiert wird, kann
die Quadrat-Regel nicht exakt auf die Summe der steuerlichen Konsumbelastung von MwSt sowie sparbereinigter Einkommensteuer angewandt werden. Eine qualitative Betrachtung (unterschiedliche Konsumreaktion je nach Art, und nicht nur Höhe, der Konsumbesteuerung) verbietet
eine rein quantitative Formelanwendung.
Dazu die Tabelle und Ausführungen unter § 5 C. IV. 3.2.1, S. 127 ff.
Art. 111 Abs. 4 BV: „Er [der Bund; Anm. des Zitierenden] fördert in Zusammenarbeit mit den
Kantonen die Selbstvorsorge namentlich durch Massnahmen der Steuer- und Eigentumspolitik.“
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
191
Zum einen ist die bekannte Tatsache hervorzuheben, dass juristische Personen real
nicht existieren und sie letztlich auch nicht Träger der Steuerlast sind910. Vielmehr
wird die Steuerlast weitergegeben, wobei hinsichtlich des Überwälzungsprozesses zumeist keine allgemeingültigen Erkenntnisse gewonnen werden können. Er hängt insbesondere von den Elastizitäten der betroffenen Teilmärkte911 ab. Durch diese Intransparenz bleibt weitgehend unklar, in welcher Weise die reale Steuerlast auf die mit der
formal besteuerten Unternehmung in Interaktion stehenden Gruppen912 verteilt wird.
Es fehlt daher eine Belegung für die allgemeine Annahme, der Anteilsinhaber trage die
Steuerlast913, und die Intransparenz914 darüber, wer letztlich die Gewinnsteuer trägt,
macht politisch-demokratische Defizite der Gewinnsteuer deutlich.
Zum anderen bestehen, insbesondere bei wirtschaftlich leistungsstarken und somit
auch steuerlich potenten Unternehmungen, vielfältige Möglichkeiten, durch internationale Steuerplanung inkl. Domizilverlegung die steuerbaren Gewinne in Niedrigsteuergebieten zu admassieren. Dadurch können nationale Gewinnsteuerregelung (zumeist) legal umgangen werden, und die Gewinnbesteuerung erweist sich zum Teil als
ein Griff ins Leere oder zumindest Ungewisse915. Bei internationaler Betrachtung ist
ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Gewinnbesteuerung nicht in allen ausländischen
Staaten konsequent greift. Nebst der eben erwähnten internationalen Steuerplanung
sind diesbezüglich die in ausländischen Staaten zum Teil erheblichen Subventionsausschüttungen zu beachten916. Gewisse Unternehmungen werden wohl formal mit Ge910
911
912
913
914
915
916
Siehe u.a. auch Kirchgässner, S. 60.
Nachfrageelastizität beim Produkte-/Dienstleistungsmarkt; Angebotselastizitäten bei Zulieferermarkt, Arbeitsmarkt und Geldmarkt etc.
In Betracht kommen v.a. Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und Anteilsinhaber.
Dasselbe gilt, wenn Hall/Rabushka gestützt auf die fragliche Annahme, der Anteilsinhaber sei
Träger der Gewinnsteuerlast, die ihm zufliessenden, angeblich bereits besteuerten Dividendenbzw. Zinsanteile von der Steuer ausnehmen wollen; Hall/Rabushka, S. 60.
Zur Forderung einer transparenten Besteuerung u.a.: Rose, Plädoyer, S. 16; Lang, Entwurf, N
343: „Das Steuersystem sollte so konzipiert sein, dass die Bürger wissen, wieviel sie zahlen, so
dass der politische Willensbildungsprozess die Präferenzen der Bürger so genau wie möglich widerspiegelt.“
Genaues Zahlenmaterial ist schwierig zu finden. Als Vergleich z.B. die Studie der Multistate Tax
Commission (U.S.A) in welcher die Auswirkungen von sog. „tax shelters“ auf die Erträge aus der
„corporate state tax“ untersucht wurden (publiziert 15. Juli 2003); Internet-Quelle:
www.mtc.gov/TaxShelterRpt.pdf. Als Grössenangabe wurde in der genannten Studie festgehalten: „Corporate tax sheltering reduced state corporate income tax revenues by more than a third of
actual collections in 2001.“
Zu nennen ist diesbezüglich insbesondere das Nachbarland Deutschland. So summierten sich die
Subventionen in Deutschland im Jahr 2001 auf Euro 156 Mia. Dieser Betrag macht 7.5% des
192
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
winnsteuern belegt, gleichzeitig erhalten sie aber Subventionen. Es resultiert eine Reduktion der fiskalischen Nettolast. Zu prüfen wäre auch näher, ob und in welchen Fällen sogar mehr Subventionen an die Unternehmungen fliessen als dass sie Steuern entrichten bzw. letztlich die Unternehmungen netto fiskalisch begünstigt werden. Allgemein zeigt die angesprochene Subventionsproblematik die Untergrabung der betreffenden nationalen Gewinnsteuerordnungen auf und macht Belastungsverzerrungen im
internationalen Verhältnis deutlich.
Die dargelegten Erwägungen, welche die Problemlage nur skizzenhaft anzudeuten
vermochten, legen ein schrittweises Vorgehen nahe: Wird eine Reformierung der Gewinnbesteuerung in Richtung Investitionsbereinigung geprüft, ist aus wissenschaftlicher Warte vorgängig zu untersuchen, inwieweit die Gewinnbesteuerung juristischer
Personen aus Gerechtigkeits- sowie Allokationsüberlegungen zu rechtfertigen ist917.
917
deutschen Bruttoinlandprodukts bzw. 35% des gesamten deutschen Steueraufkommens aus; Zahlen aus: Boss/Rosenschon, Titelblatt. Vgl. weitergehend zur Subventionssituation in Deutschland
u.a.: Boss/Rosenschon sowie Rosenschon.
Die Gewinnbesteuerung ist seit längerem Gegenstand der wissenschaftlichen Kritik. U.a. trat Kaldor für eine Abschaffung ein (dazu oben, § 1 D., S. 8 f.) und auch Neumark, Grundsätze, S. 131
f., äusserte sich kritisch. Kritisch auch Kirchgässner, S. 60 f. Neumark, Grundsätze, S. 132, befürwortete dennoch eine Gewinnbesteuerung mit dem Argument, damit könnten sonst mögliche
Gewinnverschleierungen oder zumindest –verschiebungen wirksam verhindert werden. Diesem
Argument ist insofern beizupflichten, als eine Prüfung der Geschäftsvorgänge von juristischen
Personen erforderlich ist, um die Transaktionen mit den „nahestehenden Personen“ zu beleuchten
(korrekte Ermittlung des zu verteilenden Gewinnes; Prüfung der Spesen; Prüfung der Preise gegenüber den nahestehenden Personen etc.). Dadurch wird mit Blick auf die Einkommensteuer –
und dies ist unerlässlich – sichergestellt, dass die nahestehenden Personen keine verdeckten Einkommen aus der juristischen Person beziehen. Mit einer Prüfung der Geschäftsvorgänge der juristischen Person muss aber nicht zwingend eine Gewinnbesteuerung einhergehen. Die Prüfung der
Geschäftsvorgänge der juristischen Person kann auch ohne Gewinnbesteuerung als Vorarbeit für
die Einkommensbesteuerung erfolgen. Dabei handelt es sich weiterhin um die bekannte Prüfung
auf „geldwerte Vorteile“. Es steht aber dann nicht mehr die Nachholung der Gewinnbesteuerung
im Blickfeld, sondern die Sicherstellung der Einkommensteuer auf den aus der juristischen Person
an die nahestehenden Personen fliessenden geldwerten Vorteilen. Steuerlich unproblematisch ist
aus dieser Perspektive zum Beispiel eine geschäftsmässig nicht begründete Lohnzahlung, sofern
sie beim Empfänger als Einkommen deklariert wird.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
193
III. Verhältnis zum kantonalen Steuerrecht
1.
Grundzüge
Die bezweckte vertikale Steuerharmonisierung zwischen Bund und Kantonen, die unter anderem auch im StHG Ausdruck findet918, sowie die Veranlagungspraktikabilität
gebieten, dass eine befristete Sparbereinigung der Einkommensteuer auch im StHG
resp. in den kantonalen Steuergesetzen eingeführt würde. Für den kantonalen Gesetzgeber wird dann mit Bezug auf die Erbschafts- und Schenkungssteuer, soweit sie noch
vorgesehen ist, zu prüfen sein, ob sie parallel zur befristeten Sparbereinigung weiter
beizubehalten ist. Allerdings ergibt sich mit Bezug auf die Erbschafts- und Schenkungssteuer durch die befristete Sparbereinigung grundsätzlich kein verändertes Bild
von der geltenden Lage, da es sich bei der Ersparnisauflösungs- und Austrittssteuer um
eine nachgeholte Einkommensteuer handelt, die sich im Kern in der Periodizität von
der geltenden Einkommensteuerregelung unterscheidet.
2.
Frage des interkantonalen Umzugs
2.1.
Ausgangslage
Besonders bedeutsam erscheint die steuerliche Behandlung des interkantonalen Umzugs. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Eine ökonomisch erfolgreiche Rechtsanwältin lebt und arbeitet während Jahrzehnten in St. Gallen. Mit Erreichen des Pensionsalters stellt sie ihre Tätigkeit ein. Ebenfalls mit der Pensionierung zieht sie nach
Appenzell A.Rh. Die pensionierte Rechtsanwältin leistet sich aus ihrem Ersparten
fortan ein komfortables Leben. Die Konsumausgaben steigen dabei gegenüber den
Vorjahren deutlich an. Es fragt sich nun, wie mit den Ersparnissen umzugehen ist, die
gebildet wurden, während die Anwältin in St. Gallen steuerpflichtig war. Erfolgt keine
Wegzugsbesteuerung, entgehen dem Kanton St. Gallen die Steuern, deren Erhebung er
über Jahrzehnte hinweg aufgeschoben hat. Er müsste seinen Besteuerungsanspruch
endgültig aufgeben bzw. an Appenzell A.Rh. abtreten. Obwohl die Rechtsanwältin
während der Einkommenserzielung im Kanton St. Gallen Wohnsitz hatte und Rechte
sowie Pflichten einer Kantonsbürgerin genoss, wird sie nicht zur Lastentragung herangezogen. Allgemein bestünde ohne Wegzugsbesteuerung die Tendenz, zur Ersparnisauflösung in Kantone mit (relativ) tiefer Steuerbelastung zu ziehen. Dies würde die
918
Reich, StHG Kommentar, N 31 zu Vorbemerkungen zu Art. 1/2; vgl. auch Art. 129 Abs. 1 BV.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
194
Finanzhaushalte der Mehrheit der Kantone zugunsten der „Tiefsteuerkantone“
empfindlich schwächen. Es wäre anzunehmen, dass dadurch letztlich weitere
Finanzausgleichsmassnahmen erforderlich würden. Auf der anderen Seite stösst sich
eine Wegzugsbesteuerung am grundrechtlichen Ausstrahlungsgehalt der
verfassungsmässig gewährleisteten Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV)919. Die freie
Wohnsitzwahl würde durch eine Wegzugsbesteuerung deutlich gehemmt. Ebenfalls ist
zu verweisen auf die mit der Steuerharmonisierung verankerte endgültige Aufhebung
der Besteuerung der stillen Reserven bei interkantonaler Domizilverlagerung von
juristischen Personen (Art. 24 Abs. 2 lit. b StHG). Die entsprechende Untersagung der
Wegzugsbesteuerung korrespondiert mit
ausgerichteten Konzeption des StHG920.
2.2.
der auf einen
freien Binnenmarkt
Lösungsansätze
Diese Gründe legen nahe, eine verhältnismässige921 Auflösung der konfligierenden
Interessen zu finden. Ein endgültiger Verzicht des Wegzugskantones auf die Realisierung seines Steueranspruches scheidet dabei in Würdigung der vorgenannten Überlegungen aus. Auch der Vergleich mit dem Verbot der Wegzugsbesteuerung von stillen
Reserven bei juristischen Personen liefert keine Rechtfertigung eines endgültigen
Steuerverzichts des Wegzugskantons. Denn das geltende Verbot der Wegzugsbesteuerung bei juristischen Personen beschlägt nur die stillen Reserven. Die periodisch ausgewiesenen Gewinne wurden zuvor stets ordentlich besteuert. Daher ist der Steuerverzicht des Wegzugskantons einer juristischen Person in der Regel weit geringer als es
ein Steuerverzicht bei einer befristeten Sparbereinigung wäre.
Ein möglicher Lösungsweg könnte in einer Regelung bestehen, die in den Grundzügen
wie folgt aussieht: Bei einem Wegzug wird die Höhe des Einkommens erfasst, auf das
ein Steueraufschub gewährt wurde. Bei Auflösung im Zuzugskanton könnte dann der
Wegzugskanton seinen Besteuerungsanspruch mit ausüben. Der Besteuerungsanspruch
des Wegzugskantones würde somit aufrecht erhalten bleiben und bei Sparauflösung
oder Austritt aus der Schweizer Steuerpflicht mit dem zum betreffenden Zeitpunkt im
919
920
921
Vgl. zum Gehalt von Art. 24 BV u.a.: Cavelti, BV Kommentar, N 5 ff. zu Art. 24; Zufferey, § 47
N 4 ff.
Kuhn/Brülisauer, StHG Kommentar, N 164 zu Art. 24.
Die Verhältnismässigkeit der Besteuerung ergibt sich auch schon aus Art. 5 Abs. 2 BV. Bereits
oben wurde mit Bezug auf den Wegzug im internationalen Verhältnis die Verhältnismässigkeitsfrage thematisiert; oben, § 8 A. IV. 2.4., S. 185.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
195
Wegzugskanton geltenden Steuertarif ausgeübt. Dadurch könnte der den Steueraufschub gewährende Kanton seinen ursprünglichen Steueranspruch realisieren, und es
würden zudem keine Anreize für das Steuersubjekt bestehen, zur Ersparnisauflösung
oder auf das Alter hin den Kanton zu wechseln. Die Mitausübung des Besteuerungsrecht des Wegzugskantons kann im Verhältnis zum Besteuerungsanspruch des Zuzugskantons zum Beispiel nach dem FIFO922-Prinzip erfolgen. Auf aufgelösten Ersparnissen hätte der Wegzugskanton solange das Besteuerungsrecht, bis der Einkommensteil, auf dem er einen Steueraufschub gewährt hat, gedeckt ist. Eventuell konsensfähiger ist hingegen eine anteilsmässige Lösung: Danach kann der Wegzugskanton bei
einer Sparauflösung anteilsmässig denjenigen Teil der aufgelösten Ersparnisse besteuern, der dem Verhältnis des Einkommens, auf dem er noch einen Steueranspruch923
besitzt, zum Gesamteinkommen entspricht, das steueraufschiebend angespart wurde.
Infolge des heutigen Standes der EDV kann die hier vorgeschlagene Erfassung und
Administration des Steueranspruches resp. des Einkommens, auf dem noch ein Steueranspruch besteht, technisch leicht gehandhabt werden. Darüber hinaus lässt sich die
vorgeschlagene Methode auch bei mehrmaligem Umzug anwenden, es erfolgt dann lediglich eine weitere Zersplitterung der Steueransprüche auf dem angesparten Einkommen, dessen Besteuerung aufgeschoben wurde.
§ 7 Weitere Überlegungen zur Umsetzung
A.
Allgemeine Bemerkung
Der dieser Arbeit zugrunde liegende Ansatz ist ein theoretischer. Es wird aus theoretischer Warte geprüft, inwiefern sich eine Sparbereinigung der Einkommensteuer mit
den verfassungsmässigen Vorgaben hinsichtlich der Besteuerung, insbesondere mit
dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dessen Konkretisierungen, vereinbaren lässt.
Dennoch werden teilweise und in groben Zügen auch Fragen der konkreten Umsetzung und der Praktikabilität behandelt. Das ergibt sich vor allem aus zwei Gründen:
Zum einen bedarf die theoretische Prüfung eines Grundmodells als Ausgangsobjekt,
das sich bei der In-Bezug-Setzung zu verfassungsmässigen Vorgaben eventuell auch
922
923
First in, first out.
Besteuerte Sparauflösungen die zugunsten des Wegzugskantons (aber eben im Zuzugskanton) besteuert wurden, sind vom Einkommensteil, auf dem der Wegzugskanton noch einen Steueranspruch hat, fortlaufend abzuziehen.
196
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
anpassen lässt. Dadurch sind bereits bestimmte Formen der Sparbereinigung vorgegeben bzw. resultieren aus einem dynamischen Prozess der erforderlichen Anpassung an
die verfassungsmässigen Vorgaben. Zum anderen kann und darf auch die Theorie
nicht blind dafür sein, dass letztlich nur einem praktikablen, das heisst funktionsfähigen Steuersystem die Legitimation zur Umsetzung in die Praxis zukommt. Daher ist
selbst bei einer theoretischen Betrachtung summarisch zu beleuchten, wie es mit der
Praktikabilität des Untersuchten steht und es sind – soweit möglich – Leitlinien zur
praktikablen Umsetzung aufzuzeigen.
Mit aller Deutlichkeit ist hingegen darauf hinzuweisen, dass in der vorliegenden Arbeit
bezüglich Umsetzungs- und Praktikabilitätsfragen nicht über die beschriebenen groben
Züge hinausgegangen wird. Dies fusst hauptsächlich auf zwei – miteinander verknüpften – Gründen. Erstens entspricht dieses Vorgehen einer logischen Reihenfolge.
Zunächst sollen die theoretischen Grundlagen geklärt werden. Namentlich ist zunächst
die verfassungsmässige Zulässigkeit einer Sparbereinigung der Einkommensteuer zu
prüfen. Erst anschliessend kann aufbauend auf die theoretischen Überlegungen eine
tiefer reichende Behandlung der Umsetzungs- und Praktikabilitätsfragen vorgenommen werden. Zweitens ist es nicht nur schwierig, sondern vielmehr unmöglich, derart
weitgehende Fragen wie jene nach der Umsetzung und Praktikablität eines um eine
Sparbereinigung der Einkommensteuer modifizierten Steuersystems im Rahmen einer
Dissertation eines einzelnen Autors zu untersuchen. Die genannte Fragestellung bedarf
der engen Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis und einer Vielzahl von mitwirkenden Fachleuten. Konkret wäre eine gemischt zusammengesetzte Expertengruppe geeignet, Umsetzungs- und Praktibilitätsfragen einer Sparbereinigung der Einkommensteuer weitergehend zu untersuchen.
B.
Ausklammerung der Ersparnisbildung und einzelne Praktikabilitätsfragen
Vom Grundkonzept her zeigt sich die Handhabung der befristeten Sparbereinigung
einfach: Gemäss dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Grundmodell bildet wie bei
der herkömmlichen Einkommensteuer das Einkommen grundsätzlich die Berechnungsgrundlage. Neu ist die steuerwirksame Addierung sämtlicher Auflösungen von
steueraufschiebend behandelten Ersparnissen und die Subtrahierung der Ersparnisbildung aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen. Dabei gelten bei einem Austritt aus
der Steuerpflicht sämtliche aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse als
aufgelöst. Materiell betrachtet wird zur bisherigen Berechnungsgrundlage die Nettoer-
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
197
sparnis hinzugerechnet. Letztere besteht aus der Summe der Sparrücklagen aus grundsätzlich steuerbarem Einkommen minus der Summe der Auflösungen von aus steuerbarem Einkommen angehäuften Ersparnissen.
Wird die Umsetzung der Sparbereinigung geprüft, eröffnen sich hingegen verschiedene Problemfelder. Einige, so zum Beispiel die Praktikabilitätsschwierigkeiten bei
Nichtbesteuerung privater Kapitalgewinne, die (verschärfte) Progressionsproblematik
bei Austritt aus der Steuerpflicht sowie die Fragen der internationalen und nationalen
Einbettung, wurden bereits im Laufe der Arbeit behandelt und es wurden Lösungsansätze gesucht. Weitere, besonders ins Auge stechende Problemfelder, die nachfolgend
in den Grundzügen thematisiert werden, stellen dar: I. Bestimmung der steuerlich abzugsfähigen Sparanlagen und deren Geltendmachung; II. Ersparnisse aus nicht der
Einkommensteuer unterliegenden oder bereits mit der Einkommensteuer belasteten
Vermögenszuflüssen; III. Frage der graduellen Einführung; IV. Stundungsmöglichkeiten und Steuersicherung.
I.
Bestimmung der abzugsfähigen Sparanlagen und deren
Geltendmachung
1.
Abzugsfähige Sparanlagen
Als Sparabzug qualifizieren sich von einer grundsätzlichen Warte her alle zwecks Erhaltung zurückgelegten Einkommensteile924. Eine weite Fassung der abzugsfähigen
Sparanlagen entspricht auch den in der BV niedergelegten wirtschaftsbezogenen
Grundideen. Namentlich die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 i.V.m. Art. 94 BV), die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und die Koalitionsfreiheit (Art. 28 BV) bringen eine
„verfassungsrechtliche Grundentscheidung zugunsten einer freiheitlich-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung“925 zum Ausdruck und veranschaulichen dadurch,
dass die Privatautonomie zentrales Wirtschaftsordnungsprinzip darstellt926. Die Art des
Sparens – es kann diesbezüglich auch vom Koordinationsmechanismus927 hinsichtlich
der Ersparnisverwendung gesprochen werden – ist daher prinzipiell privatautonom ge-
924
925
926
927
Im Brockhaus (Brockhaus – Die Enzyklopädie, 20. Auflage, Leipzig 1998, S. 543) wird Sparen
definiert als „Verzicht auf die Verwendung von Einkommen für gegenwärtigen Konsum zugunsten zukünftigem Konsums oder langfristiger Vermögensbildung.“
Botschaft VE 96, S. 294 f.
Dazu mit zahlreichen Literaturnachweisen bereits oben, § 2 B. II. 4.3.3. b), S. 50.
Zum Begriff des Koordinationsmechanismus: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 3 ff.
198
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
fällten Entscheidungen zu überlassen, und ein allfälliger Sparabzug ist möglichst weit
zu fassen, um die verschiedensten Sparformen aufzunehmen. Eine Begrenzung des
Sparabzuges auf bestimmte Sparformen, zumindest ohne dass dafür besondere Rechtfertigungen geltend gemacht werden könnten, würde zudem Diskriminierungspotential
mit sich führen und stünde im Spannungsfeld zum Gleichheitssatz (Art. 8 BV).
In erweiternder928 Anlehnung an die respektive Regelung im Einkommensteuergesetzentwurf von Lang können die steuerrelevanten Ersparnisse wie folgt umschrieben
werden: Geld und Kapitalforderungen jeder Art929, Beteiligungen an eigenen und
fremden Unternehmungen930, Grundeigentum931 und sonstige Vermögensanlagen932.
1.1.
Geld und Kapitalforderungen jeder Art
Unter Kapitalforderungen jeder Art sind zum Beispiel zu fassen: Geldguthaben (inkl.
Spargeldguthaben), Festgelder, Darlehen, Fonds- und Obligationsanteile933. Es wird
vorgeschlagen, aus Praktikabilitätsgründen nur „reine“ Sparanlagen in die Sparbereinigung einzubeziehen und namentlich versicherungsmässige Vorsorge auszuschliessen.
928
929
930
931
932
933
Erweiternd deshalb, weil die Sparformen aus den eben beschriebenen Gründen weit gefasst werden und insbesondere die Klassen „Immobilieneigentum“ und „sonstige Vermögensanlagen“ über
die Formulierung der „qualifizierten Sparanlagen“ bei Lang hinausgeht. Letztere bezweckt in erster Linie, Vorsorgeersparnisse durch Sparbereinigung intertemporal neutral zu besteuern (Lang,
Entwurf, N 607). Vermögensanlagen, die nicht den qualifizierten Sparanlagen zuzuzählen sind,
will Lang unter die Kategorie „privates Erwerbsvermögen“ subsumieren (Lang, Entwurf, § 109
Abs. 4 i.V.m. § 115 Abs. 3) und entsprechende Investitionen nur zum Abzug von der Einkommensteuer zulassen, soweit sie aus Mitteln der qualifizierten Sparanlagen finanziert wurden
(möglich sind jedoch lineare und u.U. ausserordentliche Abschreibungen; Lang, Entwurf, § 115
Abs. 4). Aus der Perspektive der hier vorgeschlagenen allgemeinen Sparbereinigung sind hingegen keine Gründe ersichtlich für die Schaffung einer eigenenen Kategorie „privates Erwerbsvermögen“, die zwischen Unternehmungsvermögen und qualifizierten Sparanlagen anzusiedeln ist.
Ohnehin würde eine solche Regelung administrative Probleme verursachen und Ungleichbehandlungen von Sparformen mit sich führen.
Vgl. Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1.
Vgl. Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1.
Zählt hingegen im Entwurf Lang nicht zu den „qualifizierten Vermögensanlagen“, sondern wird
erfasst über „Eigenheim“ (Lang, Entwurf, § 109 Abs. 1 Ziff. 4) oder „privates Erwerbsvermögen“
(Lang, Entwurf, § 109 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, Abs. 4).
Der Terminus „Vermögensanlagen“ ist weit zu verstehen und geht über den Terminus „Kapitalanlagen“ bei Lang (Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1) hinaus.
Vgl. Lang, Entwurf, § 123 Abs. 1.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
199
1.1.1. 1. Exkurs: Versicherungsmässiges Vorsorgesparen
Für das versicherungsmässige Vorsorgesparen934 inkl. des Vorsorgesparens der
2. Säule (berufliche Vorsorge) und der Versicherungsprodukte der Säule 3a935 scheint
die hier entwickelte Sparbereinigungsvariante keine praktikable Lösung zu sein. Probleme ergeben sich unter anderem dadurch, dass die Versicherungsleistungen möglicherweise an eine andere Person als die einzahlende entrichtet werden. Ausserdem besteht, abgesehen von rückkaufsfähigen Kapitalversicherungen, ein allfälliges Guthaben
grundsätzlich nur rechnerisch: Bei Verwirklichung eines versicherten Risikos kann die
Leistung unter Umständen das (rechnerisch) angesparte Guthaben übersteigen. Umgekehrt ist auch denkbar, dass die einbezahlte Summe nicht oder nur teilweise zurückfliesst. Und mit Bezug auf rückkaufsfähige Kapitalversicherungen gilt, dass wohl ein
Sparelement gegeben ist und der Rückkaufswert einen konkreten, das Anwartschaftliche übersteigenden Wert darstellt936. Jedoch ist der „nackte“ Rückkaufswert, das heisst
der Rückkaufswert alleine, grundsätzlich nur dann massgebend, wenn der Versicherungsvertrag vorzeitig aufgelöst wird. Solange der Versicherungsvertrag aber läuft,
treten die typischen Versicherungselemente, insbesondere auch das Risikoelement,
hinzu.
Daher kann aufgrund der verschiedenen versicherungstechnischen Besonderheiten,
wenn auch materiell eine Nähe zum „reinen“ Sparen für die Vorsorge besteht, nicht
934
935
936
Tatbestandsmässig definiert sich ein Versicherungsgeschäft gemäss Rechtsprechung (BGE 114 Ib
244 [247]; BGE 107 Ib 54 [56]; BGE 92 I 126 [131]) und Lehre (Frischkopf, S. 393 f.;
Maute/Steiner/Rufener, S. 257 ff.) durch: a) die Übernahme eines Risikos oder einer Gefahr; b)
die Leistung des Versicherungsnehmers (Prämie); c) die Leistung des Versicherers; d) die Selbständigkeit der Operation (vgl. zur Unwesentlichkeit dieses Elementes für das Steuerrecht
Maute/Steiner/Rufener, S. 257); e) die Kombination der Risiken nach den Gesetzen der Statistik
(planmässiger Geschäftsbetrieb). Mit Bezug auf Vorsorgeversicherungen und das versicherungsmässige Vorsorgesparen ergibt sich somit ein wesentlicher Unterschied vom „reinen“ Sparen vor allem durch das Risikoelement. Das Bundesgericht hat diesen Unterschied exemplarisch
anhand von Bausparverträgen herausgestrichen: „Im Rahmen eines Bausparvertrages bei einer
Bank steht dem Bausparer genau jenes nominelle Kapital (samt Zinsen) zur Verfügung, das er
selber einbezahlt hat. Demgegenüber unterscheidet sich das Versicherungssparen vom Banksparen darin, dass der Versicherer zusätzlich bestimmte Gefahren oder Risiken abdeckt. Das heisst,
der Versicherungsnehmer erhält beim Versicherungssparen – abhängig vom Eintritt des einen
oder anderen versicherten Ereignisses – entweder mehr oder weniger Kapital zurückbezahlt, als
ihm beim Banksparen zugute kommt. Es handelt sich um unterschiedliche Rechtsgeschäfte, die
verschiedene Bedürfnisse abdecken.“ BGE v. 1.10.1993, S. 11; vgl. auch Frischkopf, S. 398 f.
Reine Sparanlagen im Rahmen der Säule 3a qualifizieren sich hingegen als abzugsfähig.
Dazu z.B. Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts v. 5.3.2001, in: StR 2001, 765;
BGE 88 I 116 (120 f.).
200
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
von einem regulären „Sparvermögen“ ausgegangen werden. Damit ist verbunden, dass
auch nicht – im Gegensatz zu den reinen Sparanlagen – die Berechnung einer allfälligen Ersparnisauflösung bei Austritt aus der Steuerpflicht möglich ist. Zur steuerlichen
Behandlung937 des versicherungsmässigen Vorsorgesparens bietet sich vielmehr an,
die bereits statuierten Regelungstechniken beizubehalten. Namentlich zu erwähnen
sind das „Waadtländer-Modell“ für die berufliche Vorsorge938 sowie die Steuerfreiheit
des Vermögensanfalles aus rückkaufsfähiger privater Kapitalversicherung939. Durch
versicherungsspezifische Lösungen kann dem Versicherungsaspekt und der Begünstigungsproblematik adäquater entgegnet werden940.
1.1.2. 2. Exkurs: Darlehensproblematik
Probleme sind eventuell im Bereich der Darlehen zu erwarten, insbesondere im Falle
der Gewährung von Scheindarlehen an Verwandte, die dissimuliert nicht abzugsfähige
Schenkungen – und somit auch einkommensteuerlich relevante Ersparnisauflösungen
– darstellen. Solche Aktivitäten finden insbesondere im Falle des „Schenkungsdarlehens“941 ihre Parallelen im Unternehmungssteuerrecht und es können die jeweiligen
Rechtsprechungsgrundsätze als Leitlinien herangezogen werden942. Allerdings stehen
937
938
939
940
941
942
Im Rahmen des BVG gebietet bereits das subjektive Nettoprinzip die Abziehbarkeit der Beiträge;
dazu oben, § 5 C. III. 2.3., S. 115. Hinsichtlich Vorsorgeversicherung für die freie Selbstvorsorge
greift der Verfassungsauftrag von Art. 111 Abs. 4 BV, der eine Förderung (auch) über Steuermassnahmen vorschreibt.
Abzug von der Berechnungsgrundlage bei Beitragszahlung und Besteuerung bei Zufluss; dazu
oben, § 5 C. III. 2.1., S. 112.
Art. 24 lit. b DBG mit dem Vorbehalt von Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG bezüglich rückkaufsfähigen
Kapitalversicherungen mit Einmalprämien, die nicht der Vorsorge dienen. Dazu, mit Verweis auf
die Kritik, bereits oben, § 5 C. III. 4.2., S. 121 f. Praktisch vernachlässigbar ist die Bestimmung
von Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG, die eine beschränkte Abzugsfähigkeit der Beiträge auch an Lebensversicherungen vorsieht. Die konkret gewährten Beträge werden i.d.R. bereits durch die
Krankenkassenbeiträge ausgeschöpft; dazu oben, §5 C. III. 4.1.3, S. 120.
Denkbar ist, dass zur Schaffung einer Parallelsituation zur hier vorgeschlagenen Sparbereinigung
die steuerliche Behandlung der Lebensversicherungsbeiträge ebenfalls stärker in Richtung
„Waadtländer-Modell“ bzw. BVG gerückt wird. D.h. Gewährung der (Teil-)Abziehbarkeit bei
Einzahlung und Besteuerung bei Zufluss. Auf diese Fragestellung kann hier aber nicht weiter eingegangen werden.
Rüchzahlung des Darlehens ist nicht vorgesehen; es handelt sich um eine Zuwendung an den
Darlehensnehmer.
“Geldwerte Leistungen in Form von Darlehen an den Aktionär”; vgl. dazu u.a.: BGE v.
13.12.1996, in: ASA 66, 554; BGE v. 25.11.1983, in: ASA 53, 54; Rouiller, S. 3 ff.;
Kuhn/Brülisauer, DBG Kommentar, N 207 ff., insb. N 210 zu Art. 58; vgl. auch Bochud, S. 105
ff.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
201
den genannten Aktivitäten auch Hemmnisse entgegen: Zum einen wird spätestens bei
Tod des Steuerpflichtigen (Austritt aus der Steuerpflicht) die Besteuerung der als Sparabzug geltend gemachten Darlehenspositionen nachgeholt. Zum anderen werden gemäss obigen Ausführungen943 die Darlehen beim Empfänger von der Ersparnis subtrahiert, das heisst, sie werden funktionell als Ersparnisauflösung behandelt und führen
zur Einkommensbesteuerung944.
1.2.
Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen
Unter Unternehmungsbeteiligungen sind Anteile an „nach kaufmännischer Art geführten Gewerben“945, unabhängig von deren Rechtsform, das heisst an Einzelunternehmungen, Personengesellschaften und juristischen Personen zu subsumieren946, 947.
Bei der Umsetzung der sparbereinigten Einkommensteuer ist in der Praxis ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass die Unternehmungen erwerbsorientiert sind
und nicht private Konsumausgaben der Anteilseigner decken:
Zum einen ist der Fall denkbar, dass die Unternehmung grundsätzlich erwerbsorientiert ist, aber zum Teil auch private Konsumausgaben der Anteilseigner oder von mit
diesen verbundenen Personen finanziert werden. Dies kann zum Beispiel durch geschäftsmässig nicht begründete Spesenentschädigungen oder „Dienstwagen“, Übernahme von privaten Versicherungskosten, simulierte Darlehen, Abgabe von
Konsumgütern oder -dienstleistungen zu untersetzten Preisen etc. erfolgen. Es ist ersichtlich, dass diese Vorgänge unter die im Unternehmungssteuerrecht bereits existenten und bekannten Probleme der verdeckten Gewährung materieller Vorteile subsumiert werden können, wobei hier darunter der Tatbestand der Gewährung „ver943
944
945
946
947
Oben, § 5 A. III., S. 85 f.
Dies ist jedoch nicht hemmend, wenn der Darlehensnehmer keine Ersparnis hat und keine zu bilden beabsichtigt. Denn wie oben ausgeführt wurde, wird eine Minusersparnisbildung, d.h. eine
Nettoverschuldung nicht mehr als Ersparnisauflösung betrachtet. Erst bei späterem Ausgleich
durch Nettoersparnisbildung (d.h. neu gebildete Ersparnis ist grösser als aufgelöste Ersparnis)
kann wieder eine Besteuerung greifen; ausführlicher oben, § 5 A. III., S. 85 f.
Art. 934 Abs. 1 OR i.V.m. HRV Art. 52 ff.; vgl. auch Meier-Hayoz/Forstmoser, § 4 N 35 ff.
Ebenfalls sind Anteile an solchen einfachen Gesellschaften, die – obwohl das für einfache Gesellschaften eigentlich nicht erlaubt ist, in der Praxis aber z.T. toleriert wird (MeierHayoz/Forstmoser, § 4 N 61 ff. und § 12 N 26; Küng, N 21 ff. zu Art. 934) – ein kaufmännisches
Gewerbe führen, zu den Unternehmungsbeteiligungen zu zählen.
Liegt im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr private Vermögensverwaltung
vor und werden Kapitalgewinne aus Wertpapier-, Liegenschaftenhandel sowie aus Handel mit
mobilen Sachwerten als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit besteuert, können die jeweiligen Investitionen als Sparabzug für (eigene) Unternehmungen geltend gemacht werden.
202
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
deckter geldwerter Vorteile“ bei juristischen Personen sowie das verwandte Verhalten
bei selbständiger Erwerbstätigkeit948 erfasst werden. In beiden Fällen kann eine Anknüpfung an reichlich Rechtsprechung und Literaturbeiträge erfolgen949. Auch aus
Perspektive der Steuererfassung sind keine zusätzlichen Instrumentarien oder Hinzurechnungen erforderlich, da mit der Aufrechnung der verdeckt gewährten Vorteile zur
Berechnungsgrundlage der Einkommensteuer950 die rückfliessenden Elemente der
steuerlich abgezogenen Investition herausgefiltert und der Einkommensbesteuerung
zugeführt werden.
Zum anderen ist absehbar, dass Unternehmungen gegründet bzw. betrieben werden,
die nicht der Gewerbsmässigkeit dienen, sondern in erster Linie private konsumtive
Beschäftigungen umfassen. Darunter können unter anderem fallen: Pferdezuchten;
Sammlungen jeglicher Art951, ausgegeben als Handelsbetrieb; Sportunternehmungen,
bei denen hauptsächlich für eine Person oder eine Familie „Investitionen“ in die Sportaktivität erfolgen; Musikunternehmungen, bei denen analog hauptsächlich für eine
Person oder eine Familie „Investitionen“ in die Musikaktivität erfolgen etc. Auch diese
Problemkonstellation ist nicht neu, sondern findet sich bereits bei der Abgrenzungsfrage, ob eine bestimmte Aktivität „Liebhaberei“ oder selbständige Erwerbstätigkeit
948
949
950
951
Gemeint sind Sachverhalte, in denen geschäftsmässig nicht begründete Aufwendungen bzw. Ertragskürzungen die dem (Mit-)Eigner oder ihm nahestehenden Personen zugute kommen,
sachwidrigerweise nicht über das Privatkonto ausgeglichen werden. Aufgrund der der Besteuerung juristischer Personen zugrunde liegenden, gesetzgeberisch beabsichtigten Doppelbesteuerung von Gesellschaft und Anteilsinhaber unterscheidet sich die Problematik bei juristischen Personen offensichtlich steuersystematisch von jener bei selbständiger Erwerbstätigkeit natürlicher
Personen, was aber hier nicht eingehender behandelt wird. Festzuhalten bleibt nämlich, dass bei
Betrachtung aus dem Blickwinkel einer sparbereinigten Einkommensteuer bei juristischen Personen sowie bei Personengesellschaften und Einzelunternehmungen Anreize bestehen können –
wobei je nach Rechtsform der Gesellschaft die einzelnen Vorgehensweisen unterschiedlich interessant sind –, Einkommen verdeckt zufliessen zu lassen.
Hinischtlich verdeckter geldwerte Vorteile bei juristischen Personen u.a.: BGE v. 3.2.1995, in:
ASA 64, 641; BGE v. 22.10.1992, in: ASA 63, 208; StRKE Zürich v. 15.3.1990, in: StE 1991 B
72.13.22 Nr. 21; Höhn/Waldburger, § 18 N 103 ff. und § 14 N 69; Kuhn/Brülisauer, DBG Kommentar, N 94 ff. zu Art. 58; Reich, DBG Kommentar, N 46 ff. zu Art. 20. Bzgl. der Problematik bei natürlichen Personen u.a.: StRKE Bern v. 14.2.1995, in: BVR 1996, 116; StRKE Aargau v.
28.3.1980, in: AGVE 1980, 355.
Bei verdeckten geldwerten Vorteilen einer juristischen Person unter Abstützung auf Art. 20 Abs.
1 lit. c DBG; bei fehlender Belastung des Privatkontos bei selbständiger Erwerbstätigkeit unter
Abstützung auf Art. 18 DBG, ev. (bei ordungsgemässer Buchführung; Art. 18 Abs. 3 DBG) in
Verbindung mit Art. 58 DBG.
Z.B. Autosammlungen, Kunstsammlungen (wenn davon ausgegangen wird, dass Kunstkauf keine
Investition darstellt; dazu sogleich unten, § 7 B. I. 1.4., S. 207), Briefmarkensammlungen etc.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
203
darstellt. Bei beiden sind die Einkünfte steuerbar952, aber nur bei der selbständigen
Erwerbstätigkeit sind die Verluste abzugsfähig953. Bei einer sparbereinigten Einkommensteuer kann daher die Rechtsprechung zur Liebhaberei aufgegriffen954 und Ausgaben für Liebhaberei-Unternehmungen955 können dem steuerbaren Einkommen zugerechnet werden. Die Abgrenzungsfragen sind oft nicht klar vorzunehmen, und um Eigeninitiativen nicht zu diskriminieren, ist von einer restriktiven Praxis Abstand zu
nehmen. Denkbar ist eine Lösung, bei der eine einmal gefällte Einstufung steuerwirksam und rückwirkend abgeändert werden kann, wenn sich im Zeitverlauf herausstellt,
dass die Unternehmung dennoch gewerbsmässig orientiert ist resp. doch der Liebhaberei zuzurechnen ist.
1.3.
Grundeigentum
Bei den Ausgaben für privates Grundeigentum956 sind aus der Perspektive des bezweckten unmittelbaren Werterhalts der Ersparnisse die sog. Anlagekosten zu erfassen, die – gemessen an den gesamten privaten Grundeigentumsausgaben – grundsätzlich das Komplement zu den als Gewinnungskosten abziehbaren Unterhaltskosten957
darstellen958. Die Abgrenzung zwischen Unterhaltskosten und Anlagekosten, wobei
952
953
954
955
956
957
958
Bzgl. der selbständigen Erwerbstätigkeit greift Art. 18 DBG, bzgl. Liebhaberei folgt die Steuerpflicht aus der Generalklausel von Art. 16 Abs. 1 DBG (zur Steuerbarkeit der Einkünfte aus Liebhaberei: Reich, DBG Kommentar, N 27 zu Art. 16; vgl. auch Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH
Kommentar, N 31 zu § 16; vgl. auch VerwGE Zürich v. 26.11.1981, in: RB ZH 1981 Nr. 46; a.M.
Locher, DBG Kommentar, N 14 zu Art. 18.
Bei Erzielung von allfälligen Einkünften aus Liebhaberei sind immerhin die Gewinnungskosten,
maximal bis zur Höhe des Liebhabereieinkommens, abziehbar; vgl. auch Richner/Frei/Kaufmann,
DBG Kommentar, N 15 zu Art. 25. Dies gebietet der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und das damit verbundene objektive Nettoprinzip (dazu oben, § 5
C. II., 2.1., S. 107).
VerwGE Basel-Stadt v. 26.3.1999, in: StE 2001 B 23.1 Nr. 47; VwRKE St. Gallen v. 10.1.1996,
in: StR 1996, 296; VerwGE Aargau v. 6.8.1991, in: StE 1992 B 23.1 Nr. 26; StRKE Bern v.
22.6.1982, in: BVR 1982, 439; siehe auch Höhn/Waldburger, § 14 N 45; Locher, DBG Kommentar, N 22 ff. zu Art. 18.
Bei selbständiger Erwerbstätigkeit sowie bei juristischen Personen.
Liegt ein gewerbsmässiger Immobilienbetrieb vor, fällt es unter den Unternehmungsabzug.
Art. 32 Abs. 2 DBG.
Die bisherige Rechtsprechung zu den Anlagekosten bleibt daher relevant, nur dass bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer neu ein “Sparabzug” möglich ist. Siehe zu den Anlagekosten
u.a. BGE v. 11.6.1999, in: StE 1999 B 25.6: „Liegenschaftsunterhaltskosten, die nach Art. 32
Abs. 2 DBG zum Abzug zugelassen sind, betreffen lediglich solche Arbeiten, die werterhaltenden
Charakter haben. Soweit sie zu einer Wertvermehrung führen, sind sie - als Anlagekosten, die lediglich eine Vermögensumschichtung darstellen – nach Art. 34 lit. d DBG nicht abzugsfähig.“
204
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
letztere aus dem Erwerbspreis und den wertvermehrenden Aufwendungen bestehen959,
ist im Einkommensteuerrecht und bei der Grundstückgewinnsteuer bereits von hoher
Relevanz: Es hat sich eine ausdifferenzierte Rechtsprechung insbesondere zur Unterscheidung von werterhaltenden Unterhaltskosten und wertvermehrenden Aufwendungen entwickelt960. Eine analoge Übernahme dieser Rechtsprechung ist sachgemäss, um
hinsichtlich der Sparbereinigung ebenfalls eine Einteilung in Unterhaltskosten und
sparabzugsfähige Anlagekosten vornehmen zu können961. Bei einer Sparbereinigung
sind Unterhaltskosten keine Sparanlagen, da sie dem Erhalt eines bereits bestehenden
Immobilienwertes dienen – eben (abzugsfähige) Gewinnungskosten darstellen – und
nicht, wie dies bei Anlagekosten der Fall ist, eine Umschichtung in immobile Werte
stattfindet und bei letzteren eine Nettoaddierung erfolgt. Ebenfalls sind Auslagen, die
im Zusammenhang mit Immobilien aus rein persönlichen Neigungen getätigt werden,
ohne dass der ökonomische Marktwert beeinflusst wird962, als Liebhabereiausgaben
nicht den Anlagekosten zuzuordnen963.
959
960
961
962
963
Vgl. auch Höhn/Waldburger, § 22 N 47 ff.; Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH Kommentar, N 176
zu § 64.
Höhn/Waldburger, § 22 N 47.
VerwGE Luzern v. 21.9.1999, in: StR 2000, 404; BGE 123 II 218; VerwGE Luzern v. 4.9.1984,
in: LGVE 1984 II 15, 161; StRKE Aargau v. 23.12.1981, in: AGVE 1982, 366; vgl. auch Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH Kommentar, N 25 ff. zu § 30 und N 16 ff. zu § 221.
Nicht zu übernehmen ist hingegen die fragwürdige Rechtsprechung, wonach Baukreditzinse wertvermehrende Aufwendungen, d.h. Anlagekosten seien. Siehe zur diesbzgl. Rsp. u.a.: VerwGE
St. Gallen v. 15.2.2001, in: StE 2001 B 25.6 Nr. 47; BGE v. 25.6.1990, in: ASA 60, 191. Da bei
der Sparbereinigung der Einkommensteuer auch Anlagekosten abziehbar sind, entfällt jedoch das
fiskalische Motiv, Baukreditzinsen, die „blosse Geldbeschaffungskosten sind, welche den Wert
eines Grundstücks nicht beeinflussen“ (Richner/Frei/Kaufmann, StG ZH Kommentar, N 36 zu §
221) und daher funktional Gewinnungskosten darstellen, sachwidrigerweise den Anlagekosten
zuzurechnen. Vgl. zur Kritik an der geltenden Praxis auch: Zwahlen, DBG Kommentar, N 14 zu
Art. 32.
Zwahlen, DBG Kommentar, N 20 zu Art. 32.
Diese Liebhabereiausgaben werden in der Rechtsprechung ebenfalls nicht als abzugsfähige Unterhaltskosten anerkannt. Vgl. Zwahlen, DBG Kommentar, N 20 zu Art. 32 zu den immobilienbezogenen Liebhabereiausgaben aus Sicht des nicht zu gewährenden Gewinnungskostenabzuges:
„Typischerweise gehören Auslagen zu dieser Kategorie, welche aus einem Komfortbedürfnis heraus begründbar sind (BGer in BGE 99 Ib 362, Erw. 3, lit. b). Farbtonänderungen, Ersatz von Produkten kurz nach deren Investition, luxuriöse Anlage etc. stellen solche Liebhabereien dar. Dazu
gehören aber auch Unterhaltskosten in Herrschaftshäusern, luxuriösen Villen oder Schlössern,
welche sich auf einen Nutzungswert auswirken, welcher einkommensteuerrechtlich keine Wirkung zeigt, weil z.B. der Eigenmietwert bei Selbstnutzung oder der Mietwert bei Fremdnutzung
nicht auf diesem Investitionsgut basiert.“
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
205
Mittels des Sparabzuges für Immobilieninvestitionen wird zudem für ein Politikum,
das bislang nur eine behelfsmässige Lösung im geltenden Einkommensteuerrecht gefunden hat, eine adäquate Lösung geboten: Als ausserfiskalische, umweltpolitisch motivierte Zielsetzung delegiert Art. 32 Abs. 2 DBG an das Eidgenössische Finanzdepartement, festzulegen, inwieweit Investitionen, die dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen, den abzugsfähigen Unterhaltskosten gleichzustellen sind964. Dies
wurde in Verordnungen des Eidgenössischen Finanzdepartments ausgeführt965. Die
steuersystematisch unsachgemässe Erfassung von offensichtlich wirtschaftlichen Anlagekosten966 unter den Unterhaltskosten967 fällt hingegen bei einer Sparbereinigung
weg, da die Energiespar- und Umweltschutzinvestitionen grundsätzlich den abzugsfähigen Immobilieninvestitionen zugerechnet werden können968. Ergänzend ist anzufügen, dass die genannten Investitionen mitunter nicht oder nur partiell zu einer ökonomisch messbaren Wertvermehrung führen und damit die Gefahr besteht, dass sie in der
Rechtsprechung teilweise als nicht abzugsfähige „Liebhabereiausgaben“ qualifiziert
würden. Um hingegen die umweltpolitische Lenkungsabsicht auch bei einer Sparbereinigung durchzusetzen, ist es daher – sofern von der geübten Kritik an der Wirksamkeit dieser Massnahmen969 abgesehen und die geltende Gesetzeslage als Massstab genommen wird – ratsam, einen Gesetzespassus zu formulieren, wonach bestimmte nicht
wertvermehrende Energiespar- und Umweltschutzinvestitionen ebenfalls als Immobilienanlagekosten abziehbar sind970. Dabei könnte analog zu Art. 32 Abs. 2, 2. Satz eine
nähere Umschreibung an den Verordnungsgeber delegiert werden.
964
965
966
967
968
969
970
Vgl. dazu u.a. Zwahlen, DBG Kommentar, N 24 ff. zu Art. 32; Locher, DBG Kommentar, N 37
ff. zu Art. 32.
Art. 5 der Verordnung über den Abzug der Kosten von Liegenschaften des Privatvermögens bei
der direkten Bundessteuer vom 24.8.1992 i.V.m der Verordnung über die Massnahmen zur rationellen Energieverwendung und zur Nutzung erneuerbarer Energien vom 24.8.1992.
Zwahlen, DBG Kommentar, N 25 zu Art. 32.
Vgl. die Kritik an dieser ausserfiskalischen Massnahme: Zwahlen, DBG Kommentar, N 25 zu Art.
32; Locher, DBG Kommentar, N 39 zu Art. 32; Richner/Frei/Kaufmann, DBG Kommentar, N 77
zu Art. 32; Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 11 und S. 146 ff.
Selbstredend können auch im Zusammenhang mit den entsprechenden Investitionen werterhaltende Aufwendungen (z.B. Reparatur- oder Reinigungskosten) anfallen, die als Unterhaltskosten
abzuziehen sind.
Vgl. die Kritik bei Locher, DBG Kommentar, N 39 zu Art. 32; Expertenbericht Steuerlücken
(1998), S. 146 ff.; auch Zwahlen, DBG Kommentar, N 25 zu Art. 32, bemängelt die fehlende
Wirkungsüberprüfbarkeit.
Hinten, § 9, Art. 33a Abs. 2 Entwurf.
206
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
Eine weitere ausserfiskalische Zielsetzung ist in Art. 32 Abs. 3 DBG hinsichtlich der
Abzugsfähigkeit von Kosten denkmalpflegerischer Arbeiten zu finden. Diese Aufwendungen sind ökonomisch in der Regel folgenlos971 und stellen weder Gewinnungskosten dar, die den Zufluss künftiger Erträge sichern oder erhöhen, noch handelt es sich
um Investitionen, die den Anlagewert steigern. Im Rahmen der bestehenden Kategorien scheint prinzipiell vielmehr eine Einordnung als „Liebhabereiausgaben“ adäquat.
Funktionell, was auch aus dem Wortsinn hervorgeht („Denkmalpflege“), stehen die
genannten Kosten den Unterhaltskosten nahe, nur dass es regelmässig gerade nicht um
eine ökonomische Gewinnung geht. Deswegen besteht bei einer sparbereinigten Steuerordnung gesetzessystematisch kein Anlass, die ausserfiskalische Zielsetzung der
Denkmalpflege, das heisst konkret die Abzugsfähigkeit für damit verbundene Kosten,
vom aktuellen „Regelungsort“ im Umfeld der Gewinnungs- bzw. Unterhaltskosten zu
lösen und zu den abziehbaren Sparanlagen umzusiedeln972.
1.4.
Sonstige Vermögensanlagen
Bei den „sonstigen Vermögensanlagen“ fällt in erster Linie das Eigentum an Sachwerten in Betracht973, wobei unter anderem Anlagen in Rohstoffe, Edelmetalle, Edelsteine, antike Gegenstände, Kunst usw. denkbar sind, vorausgesetzt, die genannten
Gegenstände sind marktgängig974. Jedoch treten insbesondere bei den letzten drei genannten Objekten oft heikle Abgrenzungsprobleme zutage, wenn konkret zu klären ist,
ob es sich um eine Sparanlage oder eine rein konsumtive Liebhaberei handelt. Eine
umfassende Analyse kann an dieser Stelle nicht erfolgen, und es werden daher nur umrisshaft einzelne Gedankenlinien aufgezeigt.
Bei den Edelsteinen sind historisch in erster Linie Diamanten von Bedeutung, da sie
auf geringem Volumen hohe materielle Werte verkörpern und somit in Krisenzeiten
971
972
973
974
Selbst allfällig denkbare ökonomischen Rückflüsse kommen in der Regel nicht dem Eigentümer,
sondern i.S. einer sog. „Umweg“-Rentabilität in erster Linie dem Tourismusgewerbe zugute. Somit sind die ökonomischen Rückflüsse nicht direkt dem Eigentümer zurechenbar.
Vgl. auch Locher, DBG Kommentar, N 42 zu Art. 32, der einen Abzug vom Steuerbetrag und
nicht der Steuerberechnungsgrundlage vorschlägt, um Auswirkungen auf die Steuerprogression
zu vermeiden; vgl. dazu auch Expertenbericht Steuerlücken (1998), S. 11.
Die Finanzwerte können grundsätzlich unter „Kapitalforderungen jeder Art“ und „Beteiligungen
an eigenen und fremden Unternehmungen“ subsumiert werden. Besteht ein gewerbsmässiger
Handel mit Sachwerten, ist ein Abzug über die Position „eigene Unternehmung“ möglich.
D.h. es besteht ein aktiver Markt dafür.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
207
optimal als mobile Sachwerte dienen bzw. dienten975. Eine Anlage in Diamanten, auch
wenn dies aus einer von westeuropäischen Friedensjahrzenten geprägten Perspektive
befremdend klingen mag, kann daher durchaus einem Spar- bzw. Vorsorgemotiv entspringen und verdient daher – zumindest beschränkt – eine entsprechende Steuerbehandlung976.
Bei antiken Gegenständen977 ist die Situation uneinheitlicher. Relativ wenige Spitzenobjekte, die erfahrungsgemäss wertbeständig sind oder sogar zum Teil respektable
Wertsteigerungen erfahren, stehen einer Masse von Objekten gegenüber, denen nur
eine geringe oder keine Nachfrage zukommt und die dementsprechend keine Wertbeständigkeit aufweisen können. Für einen Sparabzug kämen somit nur die seltenen
„Spitzenobjekte“ in Betracht, was aber Praktikabilitätsprobleme aufwirft. Zum einen
ist die Abgrenzung zwischen „normalen“ Objekten und den Spitzenobjekten oft nicht
genau vorzunehmen. Zum anderen existieren in der Regel keine objektiven Marktwerte, an denen beurteilt werden könnte, ob die Ausgabe für ein „Spitzenobjekt“ unter
Anlagegesichtspunkten vertretbar ist oder ein Liebhaberpreis entrichtet wurde, dem
nur teilweise Sparcharakter zukommt. Aufgrund dieser gewichtigen Praktikabilitätsprobleme wird vorgeschlagen, generell keine Sparabzüge für antike Objekte vorzunehmen978.
Ähnlich wie bei den antiken Objekten präsentiert sich die Situation bei Kunstwerken979. Gemessen an der Fülle der Kunsterzeugung weisen nur wenige Werke von
meist berühmten Künstlern über einen mittel- bis langfristigen Horizont hinweg eine
stabile resp. steigende Wertentwicklung auf980. Hinzu kommt, dass Werke, die in ihrer
Entstehungsperiode nicht sehr gefragt sind, unter Umständen längerfristig in hohem
975
976
977
978
979
980
Bekanntlich hatten Diamanten z.B. im 2. Weltkrieg diesbezüglich eine bedeutende Funktion.
Bei anderen Edelsteinen ist ein Abzug als Investition in eine „eigene Unternehmung“ möglich, sofern das Steuersubjekt gewerbsmässig mit den Edelsteinen handelt.
Antike Kunstgegenstände werden thematisch bei den gleich nachfolgend behandelten Kunstwerken eingegliedert.
Wird ein gewerbsmässiger Handel mit antiken Objekten betrieben, sind hingegen die Anschaffungen über die Position „eigene Unternehmung“ abzugsfähig.
Hier werden auch antike Kunstgegenstände unter diesen Term gefasst. Am Rande sei auf die nur
sehr schwierig vorzunehmende Abgrenzung zwischen „normalen“ antiken Gegenständen und antiken Kunstgegenständen hingewiesen.
Innerhalb dieses beschränkten Kreises sind es wiederum meist nur Unikate oder streng limitierte
Auflagenwerke, die preislich eine stabile bzw. steigende Entwicklung erfahren, während multiple
Werke in hoher Auflage, wie z.B. zumeist Lithographien, in der Regel hohe Werteinbussen erleiden.
208
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
Mass Anlagefunktion erfüllen981 und umgekehrt bei Künstlern, die zu Lebzeiten hohe
Preise für ihre Werke erzielen, längerfristig deutliche Preiskorrekturen nach unten
eintreten. Ebenfalls können bestimmte Stilrichtungen bzw. Epochen zeitweise im
preistreibenden Markttrend liegen, darauf aber preislich wieder merklich zurückfallen.
Insgesamt zeigt sich ein höchst volatiles Bild hinsichtlich der Kunst als Anlageform982
und der Hauptgehalt der konsumtiven983 immateriellen Werte wird offenbar. Es wird
daher vorgeschlagen, Kunstwerke nicht als abzugsfähige Sparanlagen einzustufen984.
981
982
983
984
Z. B. waren die Werke von van Gogh, Cézanne und Gauguin zu Lebzeiten der Künstler nicht sehr
gefragt; vgl. dazu Gombrich, S. 600: „Nehmen wir an, ein gut informierter und hellhöriger Kunsthistoriker hätte im Jahre 1890 den Versuch unternommen, die Geschichte der Kunst auf den neuesten Stand zu bringen: Selbst beim besten Willen hätte er nicht wissen können, dass die drei Zeitgenossen, die sich als bahnbrechend herausstellen würden, van Gogh, Cézanne und Gauguin waren; der Erste ein halb verrückter holländischer Autodidakt, der irgendwo in Südfrankreich wie
besessen malte, der Zweite ein wohlhabender, scheuer älterer Herr, der schon lange aufgegeben
hatte, Ausstellungen zu beschicken, und der Dritte ein Börsenmakler, der erst spät zu malen begonnen hatte und bald darauf als Europamüder in die Südsee gegangen war.“
Vgl. dazu auch die Untersuchung von Pommerehne/Frey, Art Investment, S. 396 ff. und dies.,
Musen und Märkte, S. 110 ff. Insbesondere zwei Aussagen aus den genannten Arbeiten geben
Auskunft über die schwierige Situation der Kunst als Anlageform: a) Zunächst wurden in die
Untersuchung nur Kunstobjekte aufgenommen, die auktionsgängig sind (Pommerehne/Frey, Art
Investment, S. 397; dies., Musen und Märkte, S. 112 i.V.m. S. 130). Jedoch ist nur ein kleiner
Prozentsatz der Kunstwerke überhaupt auktionsfähig. In der Regel ist es nur etablierte, international anerkannte Kunst, die den Weg ins Auktionshaus schafft. Andere Kunstobjekte, deren Wertperformance – da es sich um Werke weniger etablierter Künstler handelt – weit unter der von
auktionsfähigen Objekten liegt, wurden gar nicht erst in die Untersuchung mitaufgenommen. Daraus resultiert, dass die Untersuchung bezogen auf den gesamten Kunstmarkt zu positive Ergebnisse liefert. b) Aber auch bei der auf auktionsfähige Werke reduzierten und in dieser Weise beschönigenden Untersuchung resultiert, dass die Rendite auf Kunstanlagen niedrig ist: „Die im
Rahmen unserer Stichprobe ermittelte reale Durchschnittsrendite von 1,5 Prozent ist im Vergleich
zu jener von Finanzmarktanlagen verhältnismässig gering. Während des Zeitraums von Mitte des
17. Jahrhunderts (...) bis 1987 hätte sich mit Finanzmarktanlagen (erster Adressen, insbesondere
mit Staatsanleihen) eine langfristige nominelle Rendite von fünf Prozent pro Jahr erzielen lassen.
Der Preisanstieg für Konsumgüter lag während des gleichen Zeitraums bei gut zwei Prozent pro
Jahr, so dass sich eine langfristige reale Ertragsrate von drei Prozent pro Jahr ergibt. (...) Wir
kommen somit zum Ergebnis: Die reale Rendite einer Geldanlage in Gemälde entspricht allenfalls
der Hälfte der Relaverzinsung von erstklassigen Staatsanleihen.“
Auch wenn die Wortwahl in diesem Zusammenhang profan erscheint, als Abgrenzung zur Investition handelt es sich doch um Konsumtion.
Zum gleichen Schluss gelangte u.a. auch Kirchgässner, S. 75. Vgl. auch VerwGE Zürich v.
14.7.1999, in: StE 1999 B 72.14.2 Nr. 23: “Im Vergleich zu den von der Pflichtigen herangezogenen Vermögensanlagen in Form von Liegenschaften und Aktien steht bei Kunstobjekten der persönliche Gebrauch durch eine natürliche Person im Vordergrund.” Anzumerken ist, dass bei einem gewerbsmässigen Handel mit antiken Objekten die Anschaffungen über die Position „eigene
Unternehmung“ abzugsfähig sind.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
2.
209
Geltendmachung des Sparabzuges
Der grösste Teil der abzugsfähigen Sparanlagen, namentlich Bankguthaben, Obligationen, Aktien börsenkotierter Unternehmungen, marktgängige Rohstoffe, marktgängige Edelmetalle etc. werden durch Banken oder bankähnliche Institute verwaltet, und
den Steuerbehörden können zur Belegung der in der Steuererklärung geltend gemachten Sparabzügen die durch die verwaltenden Institute ausgestellten Erwerbs- sowie
Bestandesbescheinigungen eingereicht werden985. Bei anderen Sparanlagen können zur
Überprüfung Forderungs-986 bzw. Erwerbsbelege dienen987.
Bei selbst aufbewahrten Vermögensanlagen, wie z.B. bei selbst aufbewahrtem Geld
und selbst aufbewahrten Diamanten ergeben sich Praktikabilitätsprobleme, da der Bezugs- bzw. Erwerbsbeleg nichts über die Verwendung aussagt. Als Überprüfungsmöglichkeit bleiben nur aufwendige und in der Praxis bislang nicht bekannte Stichprobenkontrollen vor Ort. Private Bargeldaufbewahrung stellt eine Sparform dar und erfüllt
ein Sicherheitsdenken, das sich in der bewegten internationalen und nationalen Bankengeschichte der jüngeren Vergangenheit bestätigt findet. Dies gilt – in reduzierter
Weise – auch für die private Diamantaufbewahrung. Ein auf Praktikabilitätsgründe gestütztes gänzliches Ausklammern der Bargeld- und privaten Diamantbestände konfligiert daher mit der Zwecksetzung einer sparbereinigten Einkommensteuer. Als abwägende Auflösung des Zielkonflikts könnte die Gewährung eines nach oben plafonierten Betrages in Betracht gezogen werden, damit zumindest der „Notgroschen“ und
„Sparstrümpfe“ steuerwirksam erfasst sind988.
Diese Plafonierungslösung kann übertragen werden auch auf die anderen Sachanlagen,
die grundsätzlich zum Sparabzug berechtigen, aber bei Selbstaufbewahrung Kontrollprobleme aufwerfen (zum Beispiel bei selbst aufbewahrten Edelmetallen und Rohstoffen). Mit anderen Worten kann der Steuerpflichtige innerhalb eines bestimmten Rahmens – es ist dabei vom Einstandswert auszugehen – Sachanlagen, die er bei sich aufbewahrt, als Sparabzug geltend machen.
985
986
987
988
Zur Belegung der Ersparnisbildung bereits oben, § 5 A. II., S. 85.
Z.B. bei Darlehen.
Bei Grundeigentum kann der Grundbucheintrag eingesehen werden.
Abzugsfähig sind hingegen sämtliche Anschaffungen, sofern ein gewerbsmässiger Handel mit
Geld oder Diamanten betrieben wird. Der Abzug kann dann über die Position „eigene Unternehmung“ erfolgen.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
210
3.
Hinweis auf die Idee der Verwaltung durch „qualifizierte Sparinstitute“
gemäss LANG
Zu erwähnen ist der Lösungsansatz von LANG, der in seinem Entwurf vorsah, dass
sämtliche abzugsfähigen Sparformen von qualifizierten Sparinstituten zu verwalten
sind989. Als qualifizierte Sparinstitute werden juristische Personen oder Personenvereinigungen erfasst, denen für ihre Vermögensverwaltungsgeschäfte eine besondere
staatliche Genehmigung zugesprochen wurde und die einer laufenden staatlichen
Überwachung unterliegen990. Zur Begründung führt Lang an, dass dadurch zum einen
der Schutz des Kapitalanlegers und zum anderen die effiziente Erfassung der Sparguthaben gewährleistet werde991. Bezüglich Steueradministration eröffne sich damit insbesondere auch die Möglichkeit der automatisierten Datenübertragung992.
Aus Sicht des Anlegerschutzes kann die von Lang geforderte Verwaltungszentralstellung von qualifizierten Sparinstituten allerdings nicht überzeugen. Zum einen bedürfen
in der Schweiz Banken und bankähnliche Unternehmungen nach Art. 3 Abs. 1 BankG
ohnehin einer Bewilligung993 der Bankenkommission und unterliegen einer laufenden
Überwachung und Revision (Art. 18 ff. BankG). Die Überwachung der Geschäftstätigkeit kann den Anleger aber nur soweit absichern, als er gegenüber dem überprüften
Sparinstitut Kapitalforderungen, das heisst Spareinlagen und andere Guthaben besitzt.
Für Kapitalforderungen, wie zum Beispiel Darlehen, Obligationen, Unternehmungsbeteiligungen etc., die nicht direkt gegenüber dem verwaltenden Sparinstitut bestehen
und unter Umständen bedeutende Ausmasse annehmen können, greift die Überprüfung
des Sparinstituts hingegen ins Leere. Darüber hinaus impliziert der Entwurf Lang, dass
eigenaufbewahrte mobile Sachanlagen in keiner Weise als Sparanlagen aufgeführt
werden können. Diese Ausklammerung und die damit einhergehende gesetzliche Lenkung zugunsten der Fremdverwaltung des Sparvermögens vermag nicht mit dem Anlegerschutz begründet werden, da gemäss schweizerischer Konzeption letzterer den
Anleger gegenüber Fremdverwaltern schützen soll und nicht vor sich selbst994. Die Ei989
990
991
992
993
994
§ 123 Entwurf Lang.
§ 123 Abs. 1 i.V.m. § 832 Entwurf Lang.
Entwurf Lang, N 583.
Entwurf Lang, N 583.
Dabei handelt es sich um eine sog. klassische Polizeibewilligung, d.h. einer Polizeibewilligung
mit „subjektiven Voraussetzungen“; Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 280 und S. 193 f.
So dient das BankG in erster Linie dem Gläubigerschutz und sodann nach Auffassung einiger
Autoren und der EBK auch dem Funktionsschutz. Dazu, mit Hinweis auf die Umstrittenheit des
Funktionsschutzes: Vallender, Wirtschaftsfreiheit, S. 278; Bodmer/Kleiner/Lutz, N 94 f. zu Art. 3.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
211
genaufbewahrung von mobilen Sachanlagen ist aus Aspekten der Risikodiversifikation
und allfälliger Notvorratshaltung nachvollziehbar und die verfassungsmässig gewährte
grundsätzliche Privatautonomie in wirtschaftlichen Entscheidungen995 steht einer
gänzlichen Ausklammerung der eigenaufbewahrten mobilen Sachanlagen entgegen996.
Triftiger zur Begründung von qualifizierten Verwaltungszentralstellen sind demgegenüber – zumindest auf den ersten Blick – die Gründe steueradministrativer Art. Auf
den zweiten Blick relativiert sich jedoch auch diesbezüglich die Überzeugungskraft.
Denn die Überwachung erfasst bekanntlich nur die vom qualifizierten Sparinstitut
selbst verwalteten Sparanlagen und allenfalls die Richtigkeit der Zusammenstellung
der Vermögensinformationen. Bei Kapitalforderungen Dritten gegenüber und bei extern gelagerten mobilen Sachanlagen (zum Beispiel bei marktgängigen Edelmetallen
und Rohstoffen) muss sich hingegen das qualifizierte Sparinstitut in der Regel auf
fremde Angaben stützen, und Versuche zur Steuerhinterziehung997 werden daher auch
durch die Zwischenschaltung eines qualifizierten Sparinstituts keineswegs gebannt.
Letztlich ist eine durch den Steuerpflichtigen ausgestellte Vermögensbestätigung versehen mit den oben aufgeführten Belegen ebenso aussagekräftig.
Überdies bedarf einer kritischen Prüfung, ob und wieso den Sparinstituten steueradministrative Aufgaben zuzuteilen sind, die funktionell eher der staatlichen Steuerverwaltung oder der privaten Steuerberatung zuzuordnen sind. Den Sparinstituten würden per
Gesetz neue, steuerbezogene Geschäftsaktivitäten zukommen, was wirtschaftspolitisch
einer näheren Begründung bedarf998.
4.
Konsequenz: Ersatz bestehender Sparbegünstigungen
Durch die Statuierung eines allgemeinen Sparabzuges erübrigen sich die im geltenden
DBG verankerten begrenzten Sparbegünstigungen. In Anlehnung an die obigen Aus-
995
996
997
998
Dazu oben, § 2 B. II. 4.3.3. b), S. 50 f.
Vgl. daher den im vorstehenden Abschnitt aufgezeigten Lösungsansatz, bis zu einem plafonierten
Betrag eigenaufbewahrte Vermögensanlagen zum Sparabzug zuzulassen.
Z.B. bzgl. Beteiligungen an juristischen Personen, die verdeckt geldwerte Vorteile rückfliessen
lassen bzw. bei Personengesellschaften und Einzelunternehmungen, bei denen das Privatkonto
sachwidrigerweise nicht genügend belastet wird sowie bei Beteiligungen an „Liebhabereiunternehmungen“; dazu oben, § 7 B. I. 1.2., S. 201. Vgl. Höhn/Waldburger, § 38 N 13 ff., zur Frage,
inwiefern die verdeckte Gewährung von geldwerte Vorteilen resp. die ungenügende Belastung des
Privatkontos eine Steuerhinterziehung bzw. einen Versuch dazu darstellt.
Die Sparverwaltung kann theoretisch ebenso durch eine qualifizierte Steuerberatungsstelle erfolgen.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
212
führungen999 beschlägt dies allerdings nur die Begünstigungen von reinen Sparformen,
das heisst, nicht die versicherungsmässige Vorsorge. Betroffen sind somit in erster Linie die begrenzte Begünstigung der Säule 3a (gebundene Vorsorge)1000, sofern es sich
um eine reine Sparform und nicht ein Versicherungsprodukt handelt, und die begrenzte
Abzugsfähigkeit der Sparzinsen1001.
Sollte der Gesetzgeber beabsichtigen, bestimmten Sparformen eine besondere Stellung
zukommen zu lassen, kann er dies zum einen analog zur 2. Säule umsetzen, indem er
in ausserfiskalischer Weise ein bestimmtes Sparen vorschreibt (Zwangssparen; konkret
2. Säule), oder zum anderen durch fiskalische Lenkung mittels Modifikation des allgemeinen Sparabzuges dahingehend, dass zunächst eine (abzugsfähige) Mindesteinlage zugunsten einer bestimmten Sparform zu leisten ist und erst danach weitere Ersparnisbildungen steuerlich abgezogen werden können. Mit Rücksicht auf die oben beschriebene verfassungsmässig anerkannte Privatautonomie1002, die grundsätzlich auch
für den Sparentscheid beansprucht werden kann, können jedoch keine offensichtlichen
Gründe ausgemacht werden, nebst dem Obligatorium der 2. Säule bestimmte freiwillige Sparformen (zum Beispiel die „Säule 3a“) gesetzlich zu favorisieren, insbesondere, da damit immer auch eine Diskriminierung der ausgeschlossenen Sparformen1003
verbunden ist.
II.
Ersparnisse aus nicht der Einkommensteuer unterliegenden
oder bereits mit der Einkommensteuer belasteten
Vermögenszuflüssen
1.
Fragestellung
Nebst steuerbarem Einkommen können auch nicht der Einkommensteuer unterliegende von aussen zufliessende1004 Vermögensmehrungen zur Ersparnisbildung beim
999
1000
1001
1002
1003
1004
§ 7 B. I. 1.1.1., S. 199 f.
Art. 33 Abs. 1 lit. e DBG; zur gebundenen Vorsorge bereits oben, § 5 C. III. 3., S. 118 f.
Art. 33 Abs. 1 lit. g DBG.
Oben, § 2 B. II. 4.3.3. b), S. 50.
Z.B. Investitionen in eigene Unternehmungen.
Nicht erfasst werden durch diese Formulierung insbesondere endogene Vermögenmehrungen, die
nach der “Reinvermögenszuflusstheorie“ als nicht steuerbar zu betrachten sind. Zur “Reinvermögenszuflusstheorie“ und zu den endogenen Vermögensmehrungen bereits oben, § 5 C. 2.2.4., S.
103 f.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
213
Steuersubjekt beitragen. Zu denken ist unter anderem an Erbschaften und Schenkungen1005, Genugtuungssummen1006, Unterstützungen aus öffentlichen oder privaten
Mitteln1007. Zudem ist bei Einführung der Sparbereinigung von einem bestehenden
Vermögensbestand auszugehen. Die den Vermögensbestand bildenden Teile wurden
bei Zufluss bereits mit der Einkommensteuer belegt oder sie unterlagen ev. nicht der
Einkommensteuer. Es fragt sich somit, wie mit nicht der Einkommensteuer unterliegenden Vermögensmehrungen und dem bereits bestehenden Vermögensbestand („Altbestand“) bei einem Wechsel zur Sparbereinigung umzugehen ist. Genau genommen
stellen sich zwei Fragen. Zum ersten: Wie sind nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse zu handhaben? Und zum zweiten: Wie ist bei Auflösung von Sparanlagen, die aus nicht steuerbaren Zuflüssen gebildet wurden, zu verfahren?
2.
Nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse
Mit Bezug auf nicht der Einkommensteuer unterliegende Zuflüsse wurde die Problematik bereits weiter oben beleuchtet. Namentlich erfolgte dies anhand der unter der
Freistellungsmethode abschliessend im Ausland besteuerten Einkünfte. Dabei wurde
folgender Vorschlag formuliert1008: Übersteigt die Ersparnisbildung das grundsätzlich
steuerbare Einkommen, das heisst, werden auch nicht steuerbare Vermögenszuflüsse
zur Ersparnisbildung verwendet, ist dieser Überschussbetrag1009 aufzunehmen und bei
späteren Ersparnisauflösungen bzw. bei Austritt aus der Steuerpflicht steuerwirksam
abzuziehen. Dadurch wird vermieden, dass an sich nicht steuerbares Einkommen besteuert wird und gleichzeitig kann dem Anstieg des Kapitalwertes Rechnung getragen
und eine Kapitalgewinnbesteuerung ermöglicht werden.
1005
1006
1007
1008
1009
Art. 24 lit. a DBG.
Art. 24 lit. g DBG.
Art. 24 lit. d DBG.
Vgl. oben, § 6 A. III. 2.1.3., S. 179 f.
Oben (§ 6 A. III. 2.1.3., S. 179 f.) wurde der Überschussbetrag wie folgt wiedergegeben: Überschussbetrag = Ersparnisbildung insgesamt minus grundsätzlich steuerbares Einkommen (d.h.
steuerbares Einkommen vor Berücksichtigung allfälliger Sparabzüge). Verwiesen wurde zudem
darauf, dass durch die heutige EDV die Erfassung und auch die weitere Administration des Überschussbetrages leicht zu bewerkstelligen sei.
214
3.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
Auflösung von Sparvermögen, das aus nicht steuerbarem Einkommen
gebildet wurde bzw. von Vermögensaltbeständen
Ausser Zweifel steht, dass Sparvermögen, das aus nicht der Einkommensteuer unterliegenden Zuflüssen gebildet wurde, das heisst die Überschussbeträge im eben erläuterten Sinne, sowie allfällige Vermögensaltbestände, die bei Wechsel zur Sparbereinigung bereits bestehen, bei Auflösung nicht der Einkommensteuer unterstellt werden
dürfen. Allgemein steht als Ausgangslage fest, dass bei Ersparnisauflösungen diese
fortan „Sparsonderwerte“ genannten Überschussbeträge und Vermögensaltbestände1010
in irgend einer Weise abzuziehen sind, damit die steuerbare Ersparnisauflösung ermittelt werden kann. Jedoch kann eine Ersparnisauflösung meist nicht darauf untersucht werden, zu welchem Teil sie auf „Sparsonderwerten“ beruht und auf welchem
Teil noch eine Einkommensteuer zu erheben ist. Auf der Suche nach einer realistischen, das heisst vor allem praktikablen Lösung, sind daher weiter die anteilsmässige
Lösung auf der einen Seite und die Gesamtbetragslösung auf der anderen Seite zu untersuchen.
Bei der anteilsmässigen Lösung wird bei der Besteuerung einer Ersparnisauflösung das
Verhältnis des Sparvermögens aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen zu
den „Sparsonderwerten“ ermittelt. Hingegen ist eine genaue Ermittlung der aktuellen
Werte vom Sparvermögen aus steueraufschiebend behandeltem Einkommen einerseits
und vom Vermögen i.S. der „Sparsonderwerte“ andererseits kaum oder zumindest
nicht in praktikabler Form möglich. Zum Vergleich können daher nicht die Realwerte
der entsprechenden Vermögensbestände herangezogen werden. Es ist auf eine behelfsmässige Lösung zurückzugreifen: Die Zuflusswerte des Einkommens, das von einem Steueraufschub betroffen ist, kann in Bezug gesetzt werden zu den Erfassungs-
1010
Somit: Sparsonderwerte = Sparwerte, die aus nicht steuerbaren Einkommenszuflüssen gebildet
wurden (d.h. sog. Überschusswerte) plus allfällige Vermögensaltbestände, die bei Wechsel zur
Sparbereinigung bereits bestehen. Es wird dabei kein Anspruch darauf erhoben, die Bezeichnung
„Sparsonderwerte“ sei besonders originell oder dem Wortsinn nach überaus treffend. Jedoch ist es
für die anschliessenden Ausführungen dienlich, das Gemeinte in eine kurze Bezeichnung zu fassen. Irreführend wäre hingegen ein Begriff wie z.B. „steuerfreie Sparwerte“, da zum einen der
Vermögensaltbestand bereits besteuert wurde und zum anderen bei Implementierung einer privaten Kapitalgewinnsteuer – die in dieser Arbeit für den Fall einer Sparbereinigung vorgeschlagen
wird – die Kapitalgewinne auf den betreffenden Vermögensteilen steuerlich zu erfassen sind.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
215
werten der „Sparsonderwerte“1011. Entsprechend diesem Verhältnis wird dann die Ersparnisauflösung besteuert.
Der Ansatz der Gesamtbetragslösung ist einfacher. Es werden schlichtwegs die „Sparsonderwerte“ – sofern und soweit solche vorhanden sind – von den (Netto-)Ersparnisauflösungen1012 abgezogen1013. Dabei ist denkbar, vor allem bei grösseren „Sparsonderwerten“, dass über längere Zeit hinweg allfällige Ersparnisauflösungen durch den
Abzug von „Sparsonderwerten“ kompensiert werden. Das führt eine gewisse fiskalische Unberechenbarkeit sowie fiskalische Durststrecken mit sich. Sollte sich diese zu
stark auf den Finanzhaushalt auswirken, kann ihr theoretisch durch die weiter unten1014
vorgeschlagene Emittierung von Staatsanleihen („Quasi-Securitisation“) entgegnet
werden. Diesbezüglich ist anzufügen, dass dieselbe fiskalische Unberechenbarkeit und
Durstzeit auch gegeben wäre, wenn die Steuerpflichtigen frei bestimmen könnten,
welche Art des Sparvermögens sie steuerwirksam auflösen könnten. Auch dann würden die Steuerpflichtigen annahmeweise zunächst die „Sparsonderwerte“ auflösen.
Unter der Voraussetzung, dass die fiskalischen Unberechenbarkeiten und
Durststrec??ken wirksam gemanagt werden können, scheint die Gesamtbetragslösung
praktikabler, da keine Verhältnisse zu ermitteln sind. Ein noch bedeutenderes
Argument für die Gesamtbetragslösung liegt aber darin, dass durch sie – im Gegensatz
zur anteilsmässigen Lösung – eine Besteuerung der privaten Kapitalgewinne
ganzheitlich durchgeführt werden kann. Denn bei einer Besteuerung privater
Kapitalgewinne sind auch Kapitalgewinne auf Vermögen zu erfassen, das (teilweise)
aus „Sparsonderwerten“ gebildet wurde. Bei der anteilsmässigen Lösung würde
1011
1012
1013
Zur Verhältnisermittlung sind somit nicht die aktuellen Werte der aus je unterschiedlichen Quellen gebildeten Vermögen massgebend, sondern die Werte der Zuflüsse. Die Zuflüsse sind leichter
zu erfassen: So kann auf der einen Seite ermittelt werden, inwiefern Einkommen steueraufschiebend behandelt wurde, wobei nur Einkommen relevant ist, auf dem aktuell noch ein Steueraufschub gewährt wurde. Auf der anderen Seite kann erfasst werden, wie hoch die „steuerfreien
Sparwerte“, d.h. die Vermögensaltbestände und die nicht steuerbaren Reinvermögenszuflüsse,
sind.
D.h. Abzug, wenn in einer Periode die Sparauflösung die Ersparnisbildung übersteigt (sog. Nettoersparnisauflösung).
Beispiel 1: Der Steuerpflichtige A verfügt im Jahr 0 über „Steuerfreie Sparwerte“ von Fr. 5‘000.
Er löst in diesem Jahr Ersparnisse von Fr. 8‘000 auf (modellhaft werden Einkommenszuflüsse
ausgeschlossen). Als Einkommen steuerbar sind Fr. 3‘000.- (Fr. 8‘000 minus Fr. 5‘000).
Beispiel 2: Wie Beispiel 1, aber Ersparnisauflösung im Jahr 0 von Fr. 3’000.- und im Jahr 1 von
Fr. 5‘000.-. Im Jahr 0 keine Einkommensbesteuerung; Fr. 3‘000.- minus Fr. 5‘000.- (Summe der
„steuerfreien Sparwerte“) belässt einen Vortrag an „steuerfreien Sparwerten“ von Fr. 2‘000.- ins
nächste Jahr. Im Jahr 1 unterliegen Fr. 3‘000.- (Fr. 5‘000 minus Fr. 2‘000) der Einkommensteuer.
216
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
hingegen der ermittelte, bei der Ersparnisauflösung nicht der Einkommensteuer zu
unterstellende Anteil auch eventuelle Kapitalgewinne beschlagen. Eine partielle
Ausnahme von der Besteuerung des privaten Kapitalgewinnes wäre die Folge. Dem
weiter hinten folgenden Gesetzesentwurf1015 liegt daher aus Gründen der
Praktikabilität, aber vor allem mit Blick auf eine ganzheitliche Besteuerung privater
Kapitalgewinne die Gesamtbetragslösung zugrunde1016.
III. Graduelle Einführung?
KALDOR z.B. hat gestützt auf Praktikabilitätsüberlegungen eine graduelle Einführung
der Sparbereinigung empfohlen1017. Durch eine graduelle Einführung würde u.a. ebenfalls die Möglichkeit eröffnet, Verschiebungen der Fiskaleinnahmen infolge des gewährten Steueraufschubes zu steuern und Berechenbarkeit zu gewinnen. Konkret
könnte daher zum Beispiel derart verfahren werden, dass die nebst der 2. Säule steuerlich abziehbare Ersparnisbildung stufenweise erhöht wird.
Jedoch wirft auch der Ansatz der graduellen Einführung erhebliche Praktikabilitätsprobleme auf. So ist durch eine Zweiteilung der Ersparnisse die Einführung einer umfassenden Kapitalgewinnsteuer nicht mehr möglich. Während sie sich auf Sparanlagen, die von der Einkommensteuer abgezogen wurden, aus Gerechtigkeits- sowie
Praktikabilitätsgründen aufdrängt, ist aus Praktikabilitätsgründen, insbesondere aufgrund der nicht gegebenen Veranlagungsökonomie, von einer Kapitalgewinnsteuer auf
Sparanlagen, die aus bereits bei Zufluss besteuertem Einkommen gebildet wurden, abzusehen. Daher wäre analog graduell eine Kapitalgewinnsteuer auf den Ersparnissen
vorzusehen, für die eine Sparbereinigung geltend gemacht wurde. Eine solche Zweiteilung würde aber Anreize setzen, primär Kapitalgewinne auf den anderen, nicht über
eine steuerliche Sparbereinigung gebildeten Ersparnissen zu realisieren. Die Folgen
wären ein steuerbedingt verzerrtes Sparverhalten, ein teilweises Leerlaufen der Kapitalgewinnsteuer sowie verbunden mit der Ausgabenhemmung auf den steuerbegünstigt
gebildeten Ersparnissen eine Aufweichung der beabsichtigten fiskalischen Kontinuität
und Berechenbarkeit. Selbst ohne Kapitalgewinnsteuer wären erhebliche Verhaltensverzerrungen zu erwarten, da tendenziell zunächst die nicht steueraufschiebend gebil1014
1015
1016
1017
§ 6 B. III., S. 217.
Unten, § 9, S. 224 ff.
Art. 16 Abs. 4 DBG.
Kaldor, Expenditure Tax, S. 223 ff.; zu Kaldor auch oben, § 1. D., S. 8.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
217
deten Ersparnisse aufgelöst würden. Die Auflösung der Ersparnisse mit Steueraufschub würde möglichst lange hinausgezögert.
Aus diesen Gründen ist alternativ zu prüfen, ob nicht die Sparbereinigung umfassend
eingeführt werden soll. Bedeutend ist dabei, dass es sich mit Bezug auf das Schweizer
Steuerrecht immer noch um eine graduelle Einführung handelt, nämlich um eine Ergänzung zur bereits bestehenden Sparbereinigung im Bereich der Vorsorge1018.
Zum Ausgleich des zu erwartenden temporären Steuerausfalls bzw. der Verschiebung
des Steuerrhythmus, könnten Staatsanleihen emittiert werden, die bei Zufluss der aufgeschobenen Besteuerung zurückbezahlt werden. Dies würde materiell einer „securitisation“ der aufgeschobenen Steueransprüche nahe kommen („Quasi-Securitisation“).
Aber auch mit Blick auf allfällige temporäre Steuerausfälle gilt, dass es sich eigentlich
um eine graduelle Ausdehnung der bereits im Schweizer Steuerrecht verankerten
Sparbereinigung handelt. Durch die bestehenden Formen der Sparbereinigung wurde
die Verschiebung der Steuereinnahmen bereits angebahnt1019. Diesbezüglich sind zwei
Punkte hervorzuheben: Einerseits zeigt sich, dass der Steuergläubiger, das heisst der
Staat, faktisch durchaus auch mit quantitativ höchst bedeutenden Steuerverschiebungen umgehen kann. Zu denken ist dabei vor allem an die mit der 2. Säule (BVG-Sparen) verbundenen Steuerverschiebungen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die
schon statuierten Formen der Sparbereinigung bereits in näherer Zukunft vermehrt
auch zu Rückflüssen, das heisst zu steuerbaren Sparauflösungen führen werden. Konkret ist damit gemeint, dass aktuell grosse BVG-Vermögen vorhanden sind und diese
latentes Steuersubstrat bilden1020. Mit anderen Worten besteht bereits eine Grundlage
zur Annahme, wonach der Staat in näherer Zukunft die Besteuerung auf zunächst steueraufschiebend behandelten Vorsorgersparnissen nachholen kann.
IV. Stundungsmöglichkeiten und Sicherungsmassnahmen
1.
Stundungsmöglichkeiten
Wenn Vermögen, das über lange Zeit aus grundsätzlich steuerbarem Vermögen angespart wurde, aufgelöst und folglich besteuert wird, können unter Umständen sehr hohe
Steuerbeträge resultieren. Die Steuerentrichtung kann in solchen Fällen eventuell eine
„erhebliche Härte“ (Art. 166 Abs. 1 DBG) für den Steuerpflichtigen bedeuten, so dass
1018
1019
Dazu oben, § 5 C. III., S. 109 ff.
Vgl. auch Dorenkamp, S. 212.
218
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
sich Stundungen oder Ratenzahlungen aufdrängen. Mit Blick auf die Besteuerung bei
Wegzug ins Ausland (Wegzugsbesteuerung) erfolgte bereits weiter oben eine diesbezügliche Thematisierung, und es wurde eine Anknüpfung an die geltende (Ermessens)Regelung von Art. 166 DBG empfohlen, einschliesslich deren Bestimmung, dass
Zahlungserleichterungen von Sicherheitsleistungen abhängig gemacht werden können1021. Auch für die anderen Fälle (reguläre Ersparnisauflösung/Austritt aus der Steuerpflicht bei Tod) kann weiter an Art. 166 DBG angeknüpft werden. Er sieht einerseits
Instrumente vor (Stundung und Ratenzahlung), mit denen den allfälligen Problemlagen
angemessen begegnet werden kann, und räumt andererseits den rechtsanwendenden
Behörden genügend Freiraum ein, um auf den konkreten Fall zu reagieren. Sollte sich
eine präzisierende Verwaltungspraxis entwickeln, die in generell-abstrakte Regeln
fassbar ist, kann diese auch als Vorlage für eine spätere Kodifizierung dienen. Anzumerken ist, dass „erhebliche Härten“ bei Sparauflösungen oder Besteuerung infolge
Tod weniger häufig anzunehmen sind als bei Wegzug ins Ausland. Im letzteren Fall
bleibt das Vermögen in der Regel weiter in den Sparanlagen gebunden, während in
den ersten Fällen entweder das Sparvermögen für den Konsum aufgelöst wurde (reguläre Sparauflösung) und entsprechend nicht mehr investiv gebunden ist oder das
Vermögen ging auf die Erben über (Tod des Steuerpflichtigen), für welche dies einen
frei verfügbaren Vermögenszufluss bedeutet.
2.
Sicherungsmassnahmen
Durch die Sparbereinigung und den damit verbundenen Steueraufschub verzichtet der
Staat befristet auf die Erhebung von Steuern. Dabei kann der befristete Steuerverzicht
insbesondere bei Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen und ausgeprägtem Sparverhalten sehr hohe Ausmasse annehmen. Zur Veranschaulichung kann beispielsweise
an einen Unternehmer gedacht werden, der Lohn- und Gewinnanteil fortlaufend reinvestiert oder an eine Zahnärztin, die sehr sparsam lebt und über Jahre hinweg den
grössten Teil ihres Einkommens in Finanzanlagen investiert. Mit dem befristeten, aber
eben unter Umständen sehr hohe Beträge betreffenden Steueraufschub ist sodann die
Gefahr verbunden, dass die Steuerpflichtigen aus der Schweiz wegziehen ohne ihrer
Steuerzahlungspflicht nachzukommen. Ebenfalls besteht die Gefahr, dass die Steuerpflichtigen auch bei Verbleib in der Schweiz das steueraufschiebend behandelte Ein1020
1021
Siehe zur quantitativen Bedeutung des BVG-Sparens oben, § 5 C. III. 2.2., S. 113 f.
Art. 166 Abs. 2 DBG.
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
219
kommen konsumtiv verwenden, ohne dass genügend finanzielle Mittel für die nachgeholte Einkommensbesteuerung übrig bleiben. Mit Bezug auf die obigen Beispiele wäre
konkret die Gefahr zu berücksichtigen, dass der Unternehmer zum Beispiel seine Unternehmung veräusserte und mit dem Erlös nach Kalifornien zöge, ohne dass er in der
Schweiz ordnungsgemäss die infolge Sparauflösung resp. Wegzug anfallenden Einkommensteuern entrichten würde. Ebenfalls möglich wäre, dass der Unternehmer
seine Unternehmung veräusserte und den Erlös unter anderem mit teuren Autos, teurem (Sammler-)Wein und gefälschten oder überteuerten Kunstwerken leichtfertig verprassen würde, so dass nicht mehr genügend zur Deckung der nachgeholten Einkommensbesteuerung übrig bliebe. Auch könnte beispielsweise befürchtet werden, dass die
Zahnärztin ihre Tätigkeit in der Schweiz aufgibt, nach Südfrankreich zieht, ohne dass
die Einkommensteuer nachgeholt worden wäre und die Finanzanlagen in ein Depot auf
Jersey (Channel Islands) umbuchen lässt.
Aus dem Dargelegten wird ersichtlich, dass bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer der Steuersicherung ein erhebliches Gewicht zukommt. Bund und Kantone
müssen für den aufgeschobenen Steueranspruch gesichert sein. Dabei geht es im Unterschied zu der bereits im DBG verankerten Sicherstellung nach Art. 169 nicht um bereits geschuldete Steuerforderungen1022, sondern um bekanntlich aufgeschobene, potentielle Steuerforderungen. Daher drängt sich die Schaffung einer neuen, gezielt auf
die beschriebene Problematik zugeschnittenen Gesetzesgrundlage auf. Nebst dem Umstand, dass die Steuerforderung noch nicht geschuldet ist, bleibt zu berücksichtigen,
dass das gesparte Einkommen investiv verwendet wird. Unter diesen Umständen
macht eine Sicherstellung „in Geld“, wie sie in Art. 169 Abs. 2 DBG für bereits geschuldete Steuerforderungen vorgesehen ist, keinen Sinn. Hingegen können die anderen in Art. 169 Abs. 2 DBG genannten Sicherstellungsmassnahmen auch für die Steuersicherung bei einer sparbereinigten Einkommensteuer übernommen werden. Dabei
handelt es sich namentlich um die Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften
und die Bankbürgschaft. Darüber hinaus ist auch die Sicherung mittels gesetzlichen
Grundpfandrechten in Erwägung zu ziehen. Dabei ist der in der Rechtsprechung anhand kantonaler gesetzlicher (Steuer-)Grundpfandrechte entwickelte Grundsatz zu beachten, wonach „Steuergrundpfandrechte nur für solche Steuerforderungen Geltung
haben können, die mit dem pfandverhafteten Grundstück in einer unmittelbaren Be-
1022
Dazu, dass es sich bei Art. 169 DBG um bereits geschuldete Steuerforderungen handelt: Fessler,
N 4 zu Art. 169.
220
Teil III: Einbettungsfragen und weitere Überlegungen zur Umsetzung
ziehung stehen“1023. Es ist sachgerecht, diesen Grundsatz auch auf Steuergrundpfandrechte des Bundes zu übertragen. Daraus ergibt sich, dass nur bezüglich demjenigen
gesparten Einkommen, das investiv für Grundstücke verwendet wurde, ein entsprechendes gesetzliches (Steuer-)Grundpfandrecht möglich ist. Bei (anzunehmender) gemischt investiver Verwendung des gesparten Einkommens hat eine Ausscheidung des
aufgeschobenen Steueranspruchs zu erfolgen, der verhältnismässig auf das Pfandgrundstück entfällt1024.
1023
1024
Blumenstein/Locher, S. 326 f., m.w. Ausführungen und Verweisen; vgl. auch BGE 122 I 351
(355 f.); BGE 110 II 236 (237 f.); vgl. auch Höhn/Waldburger, § 34 N 57.
Vgl. auch Blumenstein/Locher, S. 327.
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
Schlussteil:
221
Kernsätze und Gesetzesentwurf
§ 8 Kernsätze
1.
Bei einer Sparbereinigung der Einkommensteuer besteht der wesentliche Unterschied zur geltenden Einkommensteuerordnung darin, dass das Einkommen
zeitlich verschoben erst bei Konsum besteuert wird. Damit ist im Vergleich zur
geltenden Einkommensteuerordnung auch ein Zinsvorteil des Steuerpflichtigen
beziehungsweise ein Zinsnachteil des Steuergläubigers (Staat) verbunden.
2.
Der Gesetzgeber hat bereits in verschiedener Weise Regelungen statuiert, bei
denen das Einkommen zeitlich verschoben besteuert wird. Dazu zählen insbesondere die Möglichkeiten, Geschäftsverluste auf mehrere Bemessungsperioden
vorzutragen und die Anschaffungskosten teurer Berufswerkzeuge unselbständig
Erwerbender unter bestimmten Umständen über mehrere Bemessungsperioden
zu verteilen sowie die in bestimmten Kantonen erlaubte Sofortabschreibung.
Am Gewichtigsten ist sodann, dass die Beiträge für die 2. Säule (berufliche
Vorsorge) und in beschränktem Umfang auch bestimmte Einkommensverwendungen für die 3. Säule vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden können: Allein im Rahmen der 2. Säule wurde 1998-2001 durchschnittlich für rund
Fr. 43.4 Mia. pro Jahr (Betrag bestehend aus Beiträgen plus Kapitalerträgen) die
Besteuerung aufgeschoben bis zu einer späteren Auszahlung als Versicherungsleistung.
3.
Mit Bezug auf eine Sparbereinigung der Einkommensteuer stellt sich aus
rechtswissenschaftlicher Sicht die Ausgangsfrage, inwiefern eine solche Sparbereinigung in den Rahmen passt, der dem Steuergesetzgeber durch die verschiedenen verfassungsrechtlichen Vorgaben gezogen wird.
4.
Eine Sparbereinigung, die über den einzelnen Steuerpflichtigen hinaus wirkt
und auch seine Vermögensnachfolger (Erben/Beschenkte) von einem Steueraufschub profitieren, solange sie das ererbte/geschenkt erhaltene Vermögen
nicht auflösen, verstösst gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Insbesondere
die Allgemeinheit der Besteuerung, die Besteuerung nach der (individuellen)
222
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der materielle Kompetenzgehalt der
verfassungsmässigen Steuerkompetenzen lassen eine solche Form der Sparbereinigung nicht zu.
5.
Zu prüfen bleibt hingegen, wie es verfassungsrechtlich zu beurteilen ist, wenn
die Sparbereinigung auf den ursprünglich sparenden Steuerpflichtigen beschränkt wird. Demnach greift die nachgelagerte Einkommensbesteuerung,
wenn das sparende Steuersubjekt seine Ersparnisse auflöst oder aus der Steuerpflicht austritt (Tod/Wegzug). Bei dieser individuumsbezogenen Form der
Sparbereinigung sieht es aus verfassungsrechtlicher Sicht wie folgt aus: Sofern
Steuersubjekt, Steuerobjekt sowie die Grundzüge der Bemessung auf Gesetzesstufe niedergelegt werden, ist das verfassungsmässige Legalitätsprinzip eingehalten. Eine solche Form der Sparbereinigung lässt sich auch mit den formellen wie auch materiellen Verfassungsvorbehalt vereinbaren; sie wäre durch
die geltenden Bundessteuerkompetenzen gedeckt, wobei zur Absicherung der
demokratischen Legitimation eine ausdrückliche Verankerung auf Verfassungsstufe wünschbar wäre. Des Weiteren stösst sich eine Sparbereinigung im umschriebenen Sinne auch nicht am Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung.
Es werden alle zur Besteuerung herangezogen, infolge der Sparbereinigung
kann ein Steuerpflichtiger der Besteuerung grundsätzlich nicht entgehen, möglich ist lediglich ein zeitlicher Aufschub.
6.
Zu untersuchen ist zudem das Verhältnis zum Leistungsfähigkeitsprinzip. Für
die vorliegende Fragestellung stellt das Leistungsfähigkeitsprinzip die bedeutendste verfassungsmässige Vorgabe dar, da dieses dem Gesetzgeber lenkender
und begrenzender Leitgrundsatz für die Ausgestaltung einer materiell gerechten
Steuerordnung sein soll. Dabei ist nicht nur zu fragen, inwiefern eine Sparbereinigung mit dem relativ unbestimmten Leistungsfähigkeitsprinzip an sich
verträglich ist, sondern es ist weitergehend zu fragen, inwiefern eine Sparbereinigung im vorgenannten Sinn mit dem vorzufindenden Grundkonsens über eine
gerechte Besteuerung resp. mit den in der Steuerordnung vorzufindenden
Grundkonkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips zu vereinbaren ist.
7.
Eine auf den sparenden Steuerpflichtigen begrenzte Sparbereinigung ist mit
dem Leistungsfähigkeitsprinzip in Übereinstimmung zu bringen. Steuerlich
wird weiterhin – lediglich zeitverschoben – an das Einkommen des Steuer-
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
223
pflichtigen angeknüpft. Und eben das Einkommen des Steuerpflichtigen wurde
in der Schweizer Steuerordnung als vornehmlicher Indikator wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit erkannt. Durch die zeitliche Verschiebung des steuerlichen
Zugriffs wird das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht verletzt. Namentlich stellt
das durch die Sparbereinigung verletzte Periodizitätsprinzip ein technisch-budgetäres Prinzip dar, das kein Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips ist, sondern vielmehr im Spannungsfeld zu ihm steht. Ohnehin ist das Periodizitätsprinzip keine verfassungsmässige Vorgabe, und der Gesetzgeber hat, was
oben bereits aufgezeigt wurde, in vielfacher und bedeutender Weise Durchbrechungen des Periodizitätsprinzips vorgenommen. In diesem Licht sind auch die
mit dem zeitlichen Aufschub der Besteuerung verbundenen Zinsvorteile des
sparenden Steuerpflichtigen beziehungsweise die Zinsnachteile des Steuergläubigers (Staat) zu beurteilen. Da in der Schweizer Steuerordnung in bedeutendem Ausmass Einkommen bereits zeitlich verschoben besteuert wird, zeigt sich,
dass der Gesetzgeber diesen Zinseffekt nicht als Verstoss gegen seine Grundvorstellungen über eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit berachtet. Da der Verfassungsgeber keinerlei Ansinnen hatte, bei der BVRevision diesen Regelungen entgegen zu treten, kann ausserdem davon ausgegangen werden, dass auch er sie als mit dem verfassungsmässigen Grundprinzip
der Besteuerung, das heisst dem Leistungsfähigkeitsprinzips, vereinbar ansieht.
8.
Ohne auf das Rangverhältnis zwischen Landes- und Völkerrecht näher eingehen
zu müssen, kann festgehalten werden, dass eine befristete Sparbereinigung
grundsätzlich nicht gegen bestehende völkerrechtliche Abkommen, namentlich
nicht gegen Doppelbesteuerungsabkommen, verstösst.
9.
Insgesamt ergibt sich, dass eine Sparbereinigung der Einkommensteuer in der
Weise, dass gespartes Einkommen erst bei Ersparnisauflösung oder bei Austritt
des Steuerpflichtigen aus der Steuerpflicht (Tod/Wegzug) besteuert wird, mit
den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.
224
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
§ 9 Entwurf zur DBG-Anpassung in Richtung sparbereinigte
Einkommensteuer
Erkenntnisse, die im Laufe der Arbeit gewonnen wurden, werden nachfolgend in einen
Grobentwurf gebracht. Damit soll veranschaulicht werden, wie eine befristete Sparbereinigung allfälligerweise kodifiziert werden könnte. Der Entwurf umfasst getreu der
Rahmensetzung dieser Arbeit nur den Regelungsbereich des DBG. Da die Erwägungen, die zum vorliegenden Gesetzesentwurf führten, in den vorangegangen Untersuchungen besprochen wurden, erübrigt sich hier eine weitere Kommentierung des Entwurfs. Der Entwurf ist nicht als festgefügter Vorschlag zu verstehen, sondern als Diskussionsgrundlage. Der Entwurf soll Anstoss geben, über die Umsetzung einer Sparbereinigung der Einkommensteuer nachzudenken und ist offen für die Einbindung anderer/weiterer Erkenntnisse und Überlegungen.
Bezüglich der Darstellungsmethodik ist zu erklären, dass vorgeschlagene neue DBGTextstellen sowie neue Artikel- und Absatzanordnungen kursiv markiert sind, während
Streichungen durch Streichungszeichen kenntlich gemacht werden. Anregungen ohne
konkreten Entwurfstext werden in fetten [Eckklammern] und mit kleinerer Schrift herausgestellt.
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
225
Art. 16
3
Die Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen sind steuerfrei. Die
Kapitalgewinne aus der Veräusserung von privaten Sparanlagen sind steuerbar. Die
Kapitalgewinne sowie -verluste aus der Veräusserung von privaten Konsumgegenständen sind steuerlich unbeachtlich.
Art. 16a
1
Gespartes Einkommen, das nach Art. 33a dieses Gesetzes steueraufschiebend behan-
delt wurde, wird bei Ersparnisauflösung besteuert. Soweit zum Sparabzug berechtigende Sparanlagen vorhanden sind, gilt auch die Verschuldung als Ersparnisauflösung. Mit einer Auflösung sämtlicher als Sparabzug geltend gemachten Ersparnisse
gleichgesetzt wird ein Austritt aus der Steuerpflicht infolge Tod oder Wegzug eines
unbeschränkt in der Schweiz Steuerpflichtigen ins Ausland. Im letztgenannten Fall des
Wegzugs bleibt der Sparabzug im Umfang der Sparanlagen, die in der Schweiz weiterhin eine beschränkte Steuerpflicht begründen, aufrecht erhalten.
Soweit Ersparnisse vorhanden sind, die nicht über einen Sparabzug gebildet wurden,
wird bei einer Ersparnisauflösung davon ausgegangen, es würden zunächst diese aufgelöst.
2
Art. 32
Bei Liegenschaften im Privatvermögen können die Unterhaltskosten, die Versicherungsprämien und die Kosten der Verwaltung durch Dritte abgezogen werden. Das
Eidgenössische Finanzdepartment bestimmt, wieweit Investitionen, die dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen, den Unterhaltskosten gleichgestellt werden
können.
2
Art. 33
1
Von den Einkünften werden abgezogen:
(...)
e.
Einlagen, Prämien und Beiträge zum Erwerb von vertraglichen Ansprüchen aus
anerkannten Formen der gebundenen Selbstvorsorge, die nach Versicherungsprinzipien aufgebaut ist; der Bundesrat legt in Zusammenarbeit mit den
Kantonen die anerkannten Vorsorgeformen Formen der Versicherungsvorsorge
und die Höhe der abzugsfähigen Beiträge fest.
(...)
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
226
g.
die Einlagen, Prämien und Beiträge für die Lebens-, die Kranken- und die nicht
unter Buchstabe f fallende Unfallversicherung sowie die Zinsen von Sparkapitalien des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Personen, bis zum
Gesamtbetrag von:
- 2800 Franken für verheiratete Personen, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben;
- 1400 Franken für die übrigen Steuerpflichtigen;
für Steuerpflichtige ohne Beiträge gemäss den Buchstaben d und e erhöhen sich
diese Ansätze um die Hälfte.
Diese Abzüge erhöhen sich um 500 Franken für jedes Kind oder jede unterstützungsbedürftige Person, für die der Steuerpflichtige einen Abzug nach Artikel
35 Abs. 1 Buchstabe a oder b geltend machen kann.
(...)
Art.33a
1
Von den Einkünften können auch die aus steuerbarem Einkommen gebildeten Ersparnisse abgezogen werden. Als Ersparnisbildung gilt der Erwerb von:
a.
Geld und Kapitalforderungen jeder Art;
b.
Beteiligungen an eigenen und fremden Unternehmungen;
c.
Grundeigentum;
d.
sonstigen Sparanlagen;
Ebenfalls als Ersparnisbildung gilt die Schuldentilgung aus steuerbarem Einkommen.
2
Das Eidgenössische Finanzdepartment bestimmt, wieweit nicht oder nur teilweise
wertvermehrende Investitionen, die dem Energiesparen oder dem Umweltschutz dienen, zum Sparabzug berechtigen.
3
Durch die steuerpflichtige Person selbst aufbewahrte Sparsachanlagen wie z.B.
Geld, marktgängige Rohstoffe und marktgängige Edelmetalle können im Umfang bis
zu Fr. 100‘000.- vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden.
4
Die umschriebenen Sparabzüge können unbeschränkt sowie beschränkt in der
Schweiz steuerpflichtige natürliche Personen geltend machen. Bei beschränkt Steuerpflichtigen ist der Sparabzug begrenzt auf Sparanlagen, die in der Schweiz eine beschränkte Steuerpflicht begründen.
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
227
Art. 34
Nicht abziehbar sind die übrigen Kosten und Aufwendungen, insbesondere:
a.
die Aufwendungen für den Unterhalt des Steuerpflichtigen und seiner Familie
sowie der durch die berufliche Stellung des Steuerpflichtigen bedingte Privataufwand;
b.
c.
die Ausbildungskosten;
die Aufwendungen für die Schuldentilgung;
c.
die Aufwendungen für die Anschaffung, Herstellung oder Wertvermehrung von
Vermögensgegenständen privaten Konsumgegenständen;
d.
Einkommens-, Grundstückgewinn- und Vermögenssteuern von Bund, Kantonen
und Gemeinden und gleichartige ausländische Steuern.
Art. 36
[Bezüglich der Tariffrage ist auf oben, § 5 E. IV. 1., S. 161, zu verweisen, wo in Anlehnung an den Entwurf LANG, N 540
und § 103 Abs. 1, vorgeschlagen wurde, eine lange Niederprogressionszone zu schaffen, in welcher der normalen Anschaffung gewöhnlicher Konsumgüter weitestgehend Raum zukommt. Ab einem bestimmten Betrag, ab dem offensichtlich Luxuskonsum gedeckt wird, könnte dann die Progression stärker greifen. Diese Regelung würde unter anderem hemmen, dass
die Steuerpflichtigen unter Verursachung von excess burdens ein künstliches Konsummuster gestalten (vgl. oben § 5 E. IV.
1., S. 161). Da aber bei der aufgezeigten Problematik offensichtlich auch die der Steuertariffestsetzung innewohnende politische Dimension stark hineinspielt, wird hier kein konkreter Tarifvorschlag formuliert. Vielmehr soll genügen, das Problem
aufgezeigt zu haben, damit der Gesetzgeber allfälligerweise eine adäquate Tarifantwort darauf finden kann.]
Art. 38
Kapitalleistungen aus Vorsorge und Besteuerung der
Ersparnisaulösung bei Austritt aus der Steuerpflicht
1
Kapitalleistungen nach Artikel 22 sowie Zahlungen bei Tod und für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile werden gesondert besteuert. Sie unterliegen
stets einer vollen Jahressteuer.
2
Die Steuer wird zu einem Fünftel der Tarife nach Art. 36 berechnet. Abs. 1 gilt
ebenso bei der Besteuerung von Ersparnisauflösungen im Sinne von Art. 16 Abs. 3
dieses Gesetzes bei Austritt aus der Steuerpflicht infolge Tod oder Wegzug ins Ausland.
3
Die Sozialabzüge nach Artikel 35 werden nicht gewährt. Für Fälle von Abs. 1 wird
die Steuer zu einem Fünftel der Tarife nach Artikel 36 berechnet. Für Fälle von Abs. 2
erfolgt die Berechnung zu „x“ der Tarife nach Artikel 36 [da die Tariffestsetzung eine stark politisch aufgeladene Aufgabe darstellt, wird hier wiederum auf einen konkreten Tarifvorschlag verzichtet; daher das „x“. Zur
Erwägung, dass der Ansatz über 1/5 liegen sollte, siehe oben, § 5 E. IV. 2., S. 162].
4
Die Sozialabzüge nach Artikel 35 werden nicht gewährt.
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
228
Art. 90
Vorbehalt der ordentlichen Veranlagung
(...)
3
Die der Quellensteuer unterliegenden Personen können zudem das ordentliche Verfahren wählen, wenn sie vom quellensteuerpflichtigen Einkommen Sparabzüge nach
Art. 33a geltend machen wollen.
Art. 99a
Berechtigung zum Sparabzug
Die nach Art. 91 ff. dieses Gesetzes Quellensteuerpflichtigen sind berechtigt, einen
Sparabzug geltend zu machen auf Sparanlagen, die in der Schweiz eine beschränkte
Steuerpflicht begründen. Das Verfahren wird durch das Eidgenössische Finanzdepartment näher geregelt.
Art. 125
Beilagen zur Steuererklärung
1
Natürliche Personen müssen der Steuererklärung insbesondere beilegen:
a.
Lohnausweise über alle Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit;
b.
Ausweise über Bezüge als Mitglied der Verwaltung oder eines anderen Organs
einer juristischen Person;
c.
Verzeichnisse über sämtliche Wertschriften Sparanlagen, Forderungen und
Schulden.
2
Natürliche Personen mit Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit und juristische Personen müssen der Steuererklärung die unterzeichneten Jahresrechnungen (Bilanzen, Erfolgsrechnungen) der Steuerperiode oder, wenn eine kaufmännische Buchhaltung fehlt, Aufstellungen über Aktiven und Passiven, Einnahmen und Ausgaben
sowie Privatentnahmen und Privateinlagen beilegen. Belege über die Ersparnisbildung
und -aufrechterhaltung im Rahmen des Sparabzugs von Art. 33a dieses Gesetzes. Darunter fallen beispielsweise: Erwerbsbelege; Bestätigungen der die Sparanlagen verwaltenden Stellen; Gesellschafts- und Darlehensverträge sowie aktualisierte Bestätigungen über Gesellschafts- und Darlehensverhältnisse.
3
Zudem haben Kapitalgesellschaften und Genossenschaften das ihrer Veranlagung zur
Gewinnsteuer dienende Eigenkapital am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht
auszuweisen. Dieses besteht aus dem einbezahlten Grund- oder Stammkapital, den offenen und den aus versteuertem Gewinn gebildeten stillen Reserven sowie aus jenem
Teil des Fremdkapitals, dem wirtschaftlich die Bedeutung von Fremdkapital zukommt.
Natürliche Personen mit Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit und juristische Personen müssen der Steuererklärung die unterzeichneten Jahresrechnungen (Bilanzen, Erfolgsrechnungen) der Steuerperiode oder, wenn eine kaufmännische Buch-
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
229
haltung fehlt, Aufstellungen über Aktiven und Passiven, Einnahmen und Ausgaben
sowie Privatentnahmen und Privateinlagen beilegen.
4
Zudem haben Kapitalgesellschaften und Genossenschaften das ihrer Veranlagung zur
Gewinnsteuer dienende Eigenkapital am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht
auszuweisen. Dieses besteht aus dem einbezahlten Grund- oder Stammkapital, den offenen und den aus versteuertem Gewinn gebildeten stillen Reserven sowie aus jenem
Teil des Fremdkapitals, dem wirtschaftlich die Bedeutung von Fremdkapital zukommt.
5
Die Ersparnisbildung und -aufrechterhaltung im Rahmen des Sparabzugs von Art.
33b dieses Gesetzes ist zu belegen insbesondere durch: Erwerbsbelege; Bestätigungen
der die Sparanlagen verwaltenden Stellen; durch Gesellschafts- und Darlehensverträge sowie aktualisierte Bestätigungen über Gesellschafts- und Darlehensverhältnisse. Das Eidgenössische Finanzdepartement bestimmt Näheres.
Art. 169
Sicherstellung
Hat der Steuerpflichtige keinen Wohnsitz in der Schweiz oder erscheint die Bezahlung der von ihm geschuldeten Steuer als gefährdet, so kann die kantonale Verwaltung
für die direkte Bundessteuer auch vor der rechtskräftigen Feststellung des Steuerbetrages jederzeit Sicherstellung verlangen. Die Sicherstellungsverfügung gibt den sicherzustellenden Betrag an und ist sofort vollstreckbar. Sie hat im Betreibungsverfahren
die gleichen Wirkungen wie ein vollstreckbares Gerichtsurteil.
1
2
Die Sicherstellung muss in Geld, durch Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften oder durch Bankbürgschaft geleistet werden. Eine jederzeitige Sicherstellung
im Sinne von Abs.1 kann die kantonale Verwaltung für die Bundessteuer auch im Falle
von aufgeschobenen Steueransprüchen nach Art. 33a verlangen.
3
Der Steuerpflichtige kann gegen die Sicherstellungsverfügung innert 30 Tagen nach
Zustellung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erheben. Die Sicherstellung nach Abs. 1 muss in Geld, durch Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften oder durch Bankbürgschaft geleistet werden. Die Sicherstellung nach Abs. 2
muss durch Hinterlegung sicherer, marktgängiger Wertschriften oder durch Bankbürgschaft geleistet werden.
4
Die Beschwerde hemmt die Vollstreckung der Sicherstellungsverfügung nicht. Der
Steuerpflichtige kann gegen die Sicherstellungsverfügung innert 30 Tagen nach Zustellung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erheben.
5
Die Beschwerde hemmt die Vollstreckung der Sicherstellungsverfügung nicht.
Schlussteil: Kernsätze und Gesetzesentwurf
230
Art. 172a
Gesetzliches Grundpfandrecht
Zur Sicherung des Steueranspruches auf gespartem Einkommen, das nach Art. 33a
steueraufschiebend behandelt wurde und in Grundeigentum angelegt wurde, steht der
kantonalen Verwaltung für die direkte Bundessteuer ein vorrangiges gesetzliches
Grundpfandrecht ohne Eintragung im Grundbuch zu. Das Grundpfandrecht bezieht
sich auf Grundeigentum, für welches der Sparabzug geltend gemacht wurde.
Lebenslauf
6. März 1974
1981 – 1989
Geboren in St. Gallen
Primar- und Sekundarschule in Speicherschwendi
1989 – 1994
und Speicher (A.Rh.)
Kantonsschule in Trogen (A.Rh.)
Oktober 1994 – April 1999
Studium der Rechtswissenschaft an der Universität
St. Gallen
Herbst 1999
Gründung einer Kunsthandelsgesellschaft
April 1999 – 2001
Wissenschaftlicher Assistent für Steuerrecht bei
Prof. Dr. Klaus A. Vallender an der Universität
2002
2003 – April 2004
Mai 2004 – September 2004
seit Oktober 2004
St. Gallen
Konzentration auf die Arbeit an der Dissertation
Praktikum in der Rechtsabteilung der Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen und Auditoriat im
Kantonsgericht St. Gallen
Vorbereitung auf die St. Galler Anwaltsprüfung
(Prüfung im September 2004)
Tätigkeit bei einer Steuerberatungsgesellschaft in
Zürich