Die Veranstaltung im stenografischen Mitschnitt

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Die Veranstaltung im stenografischen Mitschnitt
Festkonzert
Leó Weiner (1885-1960)
Három magyar népi tánc (Drei ungarische Volkstänze)
Nr. 1: Fuchs-Tanz
Nr. 2: Reigen aus Marosszék
Nr. 3: Bauern-Tanz (Csürdöngölö)
Franz Liszt (1811-1886)
Ungarische Rhapsodie Nr. 11
Die Loreley (nach einem Gedicht von Heinrich Heine)
Johannes Brahms (1833-1897) / Moritz Moszkowski (1854-1925)
Ungarischer Tanz Nr. 3 F-Dur
Ungarischer Tanz Nr. 2 d-moll
Johann Strauss Sohn (1825-1899) / Ernst von Dohnányi (1877-1960)
Paraphrase über den „Schatz-Walzer"
aus der Operette „Der Zigeunerbaron"
Erika Lux, Klavier
Andor Izsák, Moderation
Schlusswort
Bernd Busemann
Präsident des Niedersächsischen Landtages
Empfang
-4Beginn: 17.07 Uhr.
Ferenc Kölcsey (1790-1838) / Ferenc Erkel (1810-1893)
Nationalhymne von Ungarn
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) /
Joseph Haydn (1732-1809)
Nationalhymne von Deutschland
(Beifall)
*
Begrüßung
Professor Andor lzsák
Ehrenpräsident der Siegmund Seligmann-Stiftung
Prof. Andor Izsák: Herzlich willkommen in der Villa Seligmann zu diesen wunderschönen Klängen! Ich bin sehr stolz, zu sagen, dass die Nationalhymne der Ungarn
eine der schönsten ist.
Heute ist ein ganz besonderer Tag, und ich freue mich, dass der erste Bürger unseres Bundeslandes, der Präsident des Niedersächsischen Landtages, Herr Bernd Busemann, bei uns ist. Er ist hier wirklich zu Hause. Er ist immer dabei und setzt so ein
Zeichen. Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Bernd, herzlich willkommen in der Villa
Seligmann!
(Beifall)
Ich freue mich aber genauso sehr, dass der Vizepräsident des Ungarischen Parlaments, Herr István Jakab, heute den Weg von Budapest nach Hannover gefunden
hat und zu uns in die Villa Seligmann gekommen ist. Verehrter Herr Präsident, lieber
István, herzlich willkommen! Es ist schön, dass du da bist. Ich bin stolz, dich bei uns
zu haben.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, ich möchte noch die Namen einiger weiterer Anwesender
nennen; denn ich wurde oft gefragt, wer heute da ist.
Aus dem Präsidium des Niedersächsischen Landtages ist auch die Vizepräsidentin
Frau Dr. Andretta da. Schön, dass Sie da sind! Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Herr Helge Limburg,
ist da. Schön, dass Sie da sind! Das gilt auch für alle weiteren Abgeordneten aus
dem Landtag, die heute da sind. Herzlich willkommen!
Auch der Direktor beim Niedersächsischen Landtag, Herr Udo Winkelmann, ist da.
Schön, dass Sie da sind!
Aus Hannover ist mein Kollege Bernd Strauch - ich sage „Kollege“, weil auch er ein
begnadeter Musiker ist -, der Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, hier.
Bernd, schön, dass du da bist!
-5Ich begrüße weiter die Vizepräsidentin der Region Hannover, Angelika Walther.
Schön, dass du da bist!
Meine Damen und Herren, aus dem Diplomatischen Korps ist heute die Crème de la
crème hier; Frau Dr. Karsai, Gesandte der Ungarischen Botschaft, und Herr Dr. Ács,
der I. Botschaftsrat, sind da. Frau Eva-Maria Greve, Honorarkonsulin von Ungarn in
Hamburg, ist auch zu uns gekommen. Schön, dass Sie da sind!
Und ich freue mich sehr, dass der Doyen des Konsularkorps Niedersachsen, Herr
Nelke, da ist.
Auch die Religionsgemeinschaften sind zahlreich vertreten: Der Rabbiner Herr Wolff
ist da - wie schön, dass ihr da seid; es ist ein Geschenk, dass ihr in Hannover seid! -;
Herr Martin Tenge, der Propst der Katholischen Propstei St. Clemens Hannover, und
Herr Thomas Gleicher, der Propst der Evangelisch-Lutherischen Propstei in Seesen,
sind ebenfalls hier. Wie schön, dass ihr da seid!
Meine Damen und Herren, wir befinden uns heute auch am sichersten Ort in Hannover - sicherer geht es nicht. Denn unter uns sind Herr Bernd-Otto Iben, der Kommandeur des Landeskommandos Niedersachsen, Frau Maren Brandenburger, die Chefin
des niedersächsischen Verfassungsschutzes, und Herr Kluwe, der Polizeipräsident
von Hannover.
Mir ist es auch eine sehr persönliche Freude, dass die Prinzessin Heide von Hohenzollern aus Schloss Burg Namedy hier ist. Die Prinzessin von Hohenzollern in der
Hohenzollernstraße - das ist schon ein Grund, dass du dich hier zu Hause fühlen
kannst. Ich bin so dankbar, dass du den langen Weg aus deiner Burg bis nach Hannover in die „Burg Seligmann“ gefunden hast.
Und wenn ich schon die Villa Seligmann erwähne: Die Villa Seligmann wäre nie das
geworden, was sie heute ist, wenn der damalige Vorstandsvorsitzende der Conti
nicht seine helfende Hand gereicht hätte. Heute ist er Vorsitzender des Aufsichtsrates der HOCHTIEF AG. Ich weiß nicht, ob dieser Job leichter oder schwieriger ist.
Liebe Frau Wennemer, lieber Herr Wennemer, es ist eine große Freude, dass Sie
den Weg hierher gefunden haben.
Der Vorstand der Siegmund Seligmann-Stiftung, Herr Dr. Clemens Meyer-Kobbe, ist
heute mit seiner Frau hier - schön, dass ihr da seid! Und das Kuratorium der Seligmann-Stiftung ist durch den früheren Präsidenten der Wehrbereichsverwaltung Nord,
Herrn Herbert Pauer, vertreten, der für die Baumaßnahme, die Restaurierung verantwortlich war.
Ich möchte auch noch einen Gruß und Dank an diejenigen aussprechen, die diese
Veranstaltung vorbereitet haben, in erster Linie an Herrn Dr. Ács. Danke, dass du
das so toll vorbereitet hast! Ohne deine großartige Planung - und es war ja eine Zitterpartie, ob der Präsident kommt oder nicht - wäre diese Veranstaltung nicht möglich
gewesen. Ich danke auch Herrn Dr. Jacobs von der Villa Seligmann für die Vorbereitung sowie den vielen Mitarbeitern bzw. Mitarbeiterinnen des Niedersächsischen
Landtages. Das sind alles hübsche Damen; es ist faszinierend.
(Heiterkeit)
Es ist toll, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Lieber Herr Präsident, ich bin sehr gerne
bereit, solche Veranstaltungen auch in der Zukunft zusammen mit euch zu gestalten.
-6Vor wenigen Wochen, am 19. März, erinnerten wir uns hier in der Villa Seligmann an
die Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht. Der Präsident des Niedersächsischen
Landtages und der Ungarische Botschafter waren anwesend und fanden die richtigen
Worte der Erinnerung.
Vor wenigen Tagen fand der „Marsch für das Leben“ in Oswiecim - damals hieß es
Auschwitz - statt. Der Präsident der Republik Ungarn, Herr Dr. János Áder, Schirmherr der heutigen Veranstaltung hier in der Villa Seligmann, hat daran teilgenommen
und sagte dort Folgendes: „Auschwitz ist der größte Friedhof von Ungarn“. 400 000
ungarische Juden sind dort zum Opfer gefallen.
Wie schön ist es, dass wir heute an ein wunderschönes Kapitel der ungarischen Geschichte erinnern, die mit der Geschichte der Deutschen verbunden ist. Vor
25 Jahren wurde der Eiserne Vorhang durchbrochen, womit der Fall der Berliner
Mauer vorprogrammiert wurde. Das ist eine gemeinsame Geschichte, an die wir sehr
gerne erinnern.
Ich möchte aber auch nicht verheimlichen, dass ich als Jude, der im Budapester Getto geboren ist, die aktuellen politischen Entwicklungen in Ungarn zum Teil besorgt
beobachte. Mit großer Hochachtung blicke ich auf die Geschichte des ungarischen
Volkes, das unlösbare historische Situationen mit Mut und Würde großartig gemeistert hat. Heute sieht die Welt besorgt auf das schöne Land Ungarn und erwartet ähnliche Taten.
Der Eiserne Vorhang in den Köpfen der Menschen, die Mauer in unseren Seelen ist
noch nicht überall durchbrochen. Und das ist nicht nur in Ungarn so, sondern auch in
vielen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern.
Der Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren ist ein beispielhaftes Signal für die
Erneuerung, für Mut, für Zivilcourage und für das, was wir nie aufgeben dürfen: die
Freiheit und die Demokratie als unser höchstes Gut zu bewahren und zu schützen.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort an den Landtagspräsidenten übergebe, möchte ich Sie auf diese festliche Stunde einstimmen. Ich spiele dazu ein bisschen ungarische Musik aus dem 17. Jahrhundert. Freuen Sie sich darauf!
*
Andor Izsák, Orgel
(Beifall)
*
Begrüßung
Bernd Busemann
Präsident des Niedersächsischen Landtages
Präsident Bernd Busemann: Lieber Freund, lieber Professor Andor Izsák! Herr Vizepräsident Jakab! Frau Vizepräsidentin Dr. Andretta! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Landtag! Herr Bürgermeister Strauch! Verehrte Vertreter der Geistlichkeit und insbesondere auch der ungarischen Botschaft! Meine sehr geehrten Damen
und Herren!
-7Auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen zu dieser Veranstaltung, einer
wichtigen Veranstaltung zu einem wichtigen Datum. Ich denke, das wird auch dadurch deutlich, dass sie zwei höchst prominente Schirmherren hat, nämlich den ungarischen Staatspräsidenten Dr. János Áder und Bundespräsident Joachim Gauck.
Lieber Andor, fast kann man den Eindruck gewinnen, die Villa Seligmann sei eine
zweite ungarische Botschaft in Deutschland geworden. Vor wenigen Wochen - das
hast du erwähnt - hat Andor Izsák hier eine deutsch-ungarische Gästeschar versammelt, die an die Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht vor 70 Jahren und an
das Leid vor allem der jüdischen Bevölkerung erinnerte.
Heute dürfen wir uns an ein glücklicheres Datum der gemeinsamen Geschichte unserer Nationen erinnern: Am 2. Mai 1989 tat sich in Ungarn der erste große Riss im
Eisernen Vorhang auf. Er hatte Europa für Jahrzehnte in zwei feindliche Lager gespalten.
Meine Damen und Herren, Ungarn gab mit dem Abbau des Zauns ab dem 2. Mai den
Startschuss für den Kollaps des Unterdrückungssystems, das Stalin und seine Nachfolger den Mittel- und Osteuropäern aufgezwungen hatten.
Diese Entscheidung trafen vor allem Ministerpräsident Miklós Németh und Außenminister Gyula Horn. Sie erforderte großen Mut; denn niemand wusste damals, wie die
Sowjetunion und der Warschauer Pakt darauf reagieren würden. Schließlich verletzte
sie die Breschnew-Doktrin, derzufolge das Ausscheren eines sozialistischen „Bruderlandes“ - wie es so schön hieß - militärisches Eingreifen der Sowjettruppen nach sich
ziehen sollte.
Die Erinnerung an das Kriegsrecht in Polen war noch frisch, auch die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings und des Volksaufstands in der DDR waren Menetekel. Vielleicht am schrecklichsten hatte es in dieser Beziehung jedoch 1956 Ungarn
selbst getroffen, als das Land schon einmal versucht hatte, sich die Freiheit zu erkämpfen. Ministerpräsident Imre Nagy und etwa 350 Personen wurden dafür von den
Sowjets ermordet.
1989, meine Damen und Herren, stand keineswegs fest, dass Ungarns zweiter Versuch, sich aus den Fesseln des Kommunismus zu befreien, unblutig und erfolgreich
verlaufen würde.
Verehrter Herr Vizepräsident Jakab, umso größeren Anlass haben wir Deutsche, den
Ungarn für ihren Mut und ihre Entschlossenheit ewig dankbar zu sein. Denn ohne
Ungarns Entscheidung, den Eisernen Vorhang endlich niederzureißen, wäre auch
die innerdeutsche Grenze wohl kaum innerhalb weniger Monate Geschichte geworden.
Am ungarischen Beispiel hatte die SED-Diktatur erkennen müssen, dass Michail
Gorbatschow nicht willens war, die Breschnew-Doktrin durchzusetzen und ihr zu Hilfe
zu kommen. Ohne sowjetische Panzer im Rücken verloren die alten Männer in
Wandlitz und anderswo sofort ihren Schrecken und wurden in kürzester Zeit von der
friedlichen Revolution - wir haben es erlebt - hinweggefegt.
Heute sind die Völker Mittel- und Osteuropas wieder frei, über ihr Schicksal und ihren
Weg selbst zu bestimmen. Gerade wir Deutsche sind aufgrund des Geschenks von
1989 verpflichtet, alles zu tun, damit das so bleibt. Leider ist das angesichts der ak-
-8tuellen Entwicklung in der Ukraine keine Selbstverständlichkeit mehr. Auch dessen
sollten wir uns an einem solchen Tag bewusst sein.
Meine Damen und Herren, ist es nicht wunderbar, dass an einem solchen Tag Deutsche und Ungarn vereint in der Europäischen Union gemeinsame Veranstaltungen
abhalten können, dass sie sich der damaligen wie der jetzigen Situation im besten
Sinne bewusst sein können und gemeinsame Wege gehen wollen?
Ich will nicht verhehlen, dass ich mehr denn je überzeugter Europäer bin - wie wahrscheinlich wir alle. Ich bin 1952 geboren und habe den Kalten Krieg, die Ereignisse
von 1989 und die wunderbare Entwicklung danach miterlebt. Welche Werte wir uns
in diesem Zusammenhang geschaffen haben, wird einem in solchen Tagen erst so
richtig bewusst:
Die EU ist nicht nur ein strategischer Verbund. Sie ist vor allem eine Wertegemeinschaft. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Diese Wertegemeinschaft ist eine besondere Errungenschaft, die wir miteinander erarbeitet haben. Sie
beinhaltet Demokratie, Freiheit, Menschenrechtswahrung, Gewaltenteilung und viele
andere Grundwerte. Diese Werte sind unser gemeinsames Bindeglied.
Selbstverständlich sind die Mitgliedstaaten der EU souverän und können auf demokratische Weise je ihren eigenen Weg beschreiten. Doch es gibt Leitplanken, die wir
uns gemeinsam gesetzt haben und die innerhalb der Gemeinschaft nicht überschritten werden dürfen. Das gilt für alle 28 EU-Staaten, für Deutschland natürlich genauso
wie für Ungarn. Dorthin schauen wir zurzeit sehr gespannt, um zu sehen, wie sich die
Dinge entwickeln. Ich bin sicher: Wenn sich alle Seiten dem von den gemeinsamen
Leitplanken gesäumten Weg verpflichtet sehen, werden wir zu wunderbaren gemeinsamen Ergebnissen kommen.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir für das hohe Gut der europäischen
Wertegemeinschaft immer wieder eintreten. Viele Menschen blicken mit Sorge auf
die Entwicklung in der Ukraine – unsere ungarischen Freunde haben mir heute Mittag weitere Einblicke geben können. Erinnerungen an den Kalten Krieg werden
wach, und die Möglichkeit seiner Rückkehr nach Europa macht uns unruhig. Umso
mehr sind wir Europäer unserer Wertegemeinschaft und ihrem Ausbau verpflichtet.
Lieber Andor Izsák, du bietest uns heute einmal mehr ein großartiges Forum. Herr
Vizepräsident Jakab, ich freue mich auf Ihr Grußwort, auf das anschließende Festkonzert und danach auf einen angeregten Gedankenaustausch zwischen Ungarn
und Deutschen. Seien Sie mir alle noch einmal herzlich willkommen! Schön, dass wir
heute zusammen sein können!
Eine letzte Bemerkung: In anderen Teilen Europas und der Welt wird am 8. Mai das
siegreiche Ende des Zweiten Weltkrieges mit Militärparaden gefeiert. Wirklich vorbei
war dieser Krieg mit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Wir feiern diesen freudigen
Anlass und das Zusammenwachsen der Europäer. Das verdanken wir den mutigen
Leuten, die 1989 gesagt haben: Wir riskieren es! Wir schneiden den Eisernen Vorhang auf! Mit Hilfe vieler - am Ende auch in Deutschland - ist alles gut gegangen.
Danke.
(Beifall)
*
-9Grußwort
István Jakab
Vizepräsident des Ungarischen Parlaments
Vizepräsident István Jakab: Sehr geehrter Ehrenpräsident Professor Izsák! Sehr
geehrter Herr Landtagspräsident Busemann! Sehr geehrter Herr Bürgermeister
Strauch! Sehr geehrte Mitglieder des Niedersächsischen Landtages, Vertreterinnen
und Vertreter der Kirchen und Vereine! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist mir eine besondere Ehre, vor dem Festkonzert anlässlich des 25. Jubiläums
der Grenzöffnung im Namen der Ungarischen Nationalversammlung zu Ihnen sprechen zu dürfen.
Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Landtagspräsident, zu Ihrer Initiative „Parlamentsleben” herzlich gratulieren. Sie leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zur Stärkung
der Demokratie, indem Sie die Arbeit des Parlamentes und der Abgeordneten den
Menschen näher bringen. Es freut mich sehr, dass das heutige Konzert im Rahmen
dieser Initiative stattfindet.
Herr Professor Izsák, ich danke Ihnen und der Seligmann-Stiftung, dass Sie das heutige Konzert hier in dieser wunderschönen Umgebung ermöglicht haben. Diese Veranstaltung ist ein wirklicher Ausdruck der Freundschaft und Verbundenheit unserer
Länder.
Ich glaube, dass wir uns alle einig sind, dass die Grenzöffnung nicht allein für die ungarisch-deutschen Beziehungen und für die Freundschaft unserer Völker von großer
Bedeutung war. Ungarn hat dadurch zugleich einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Beendigung des Kalten Krieges und zur Wiedervereinigung Europas geleistet.
Angesichts der dramatischen Ereignisse unserer Tage können wir uns vorstellen,
welche Auswirkungen der damalige Akt hätte haben können. Die politischen Verhältnisse waren damals, im Sommer 1989, in Europa und auch in Ungarn kompliziert.
Zwar war der Reformprozess in der Sowjetunion schon weit fortgeschritten, aber der
weitere Gang dieser Entwicklung war kaum vorauszusehen. Es gab Befürchtungen,
dass die Reformen in der Sowjetunion früher oder später ins Stocken geraten würden. Nachdem man am 2. Mai mit dem Abbau der technischen Grenzanlage begonnen hat, sind die Ereignisse jedoch ins Rollen gekommen.
Ich selbst kann mich noch gut daran erinnern, als Mária Filep und Ferenc Mészáros
vom Ungarischen Demokratischen Forum, dem ich damals auch angehörte, von der
Idee eines „Picknicks am Eisernen Vorhang“ sprachen. Auf unerwartete Weise wurde
am 19. August während des Picknicks in der Nähe der Stadt Sopron die Grenze nach
Österreich provisorisch geöffnet, und mehrere Hundert DDR-Bürger flüchteten in den
Westen, in die Freiheit. Kaum einen Monat später, am 11. September, wurde die ungarisch-österreichische Grenze aufgrund einer Entscheidung der ungarischen Regierung auch offiziell geöffnet. Diese Ereignisse lieferten die historische Voraussetzung
für die friedliche Revolution in der DDR, mit der die Wiedervereinigung Deutschlands
und Europas ihren Lauf nahm.
Noch heute erinnert eine Gedenktafel am Nordostflügel des Reichstags in Berlin in
deutscher und ungarischer Sprache an diesen Tag. Ihre Inschrift, die jedes ungarische Herz höher schlagen lässt, lautet: „Zeichen der Freundschaft zwischen dem
- 10 ungarischen und dem deutschen Volke für ein vereintes Deutschland, für ein unabhängiges Ungarn und ein demokratisches Europa.”
Die Grenzöffnung war eine souveräne politische Entscheidung Ungarns, die auf einem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens beruhte. Sie wurde nicht unter irgendwelchem Druck von außen getroffen. Sie entsprang zudem aus tief ethischen Beweggründen, wobei allein die unvergänglichen Werte Europas wie Freiheit,
Humanität, Achtung der Menschenwürde und der freien Selbstbestimmung als Richtlinie dienten. Diese Entscheidung zur Grenzöffnung war, wie Bundeskanzlerin Angela
Merkel einmal sagte, ein Meilenstein auf dem Weg der Europäischen Freiheit.
Seit je waren wir Ungarn Teil Europas, seit je gehörten wir der europäischen Völkergemeinschaft an. So war auch Ungarns Beitritt zur Europäischen Union vor zehn
Jahren nichts anderes als eine logische Folge der Ereignisse des Jahres 1989 - wiederum eine bewusste, parteiübergreifende Entscheidung des freien Ungarns. Wir
Ungarn sind den europäischen Werten verpflichtet, für die auch wir Jahrhunderte
hindurch gekämpft haben und die wir in unserem Land weiter entfalten und stärken
wollen.
Auf dem Weg in die Europäische Union haben wir sehr viel Unterstützung von
Deutschland bekommen, wofür ich hier und jetzt erneut unseren Dank aussprechen
möchte.
Auch möchte ich einen Moment bei der Bedeutung Hannovers und Niedersachsens
auf diesem Weg verweilen. Vor 25 Jahren war Hannover ein Zentrum der ungarischen Oppositionsbewegung in Deutschland. Es ist kein Zufall gewesen, dass gerade der Niedersächsische Landtag 1989 als erster die gesamte ungarische Opposition
nach Hannover eingeladen hatte. Die Mitglieder der Delegation kamen aus allen Parteien der damaligen ungarischen Opposition, u. a. János Áder, der heutige Staatspräsident Ungarns, und László Kövér, der vorgestern wieder gewählte Vorsitzende
der Ungarischen Nationalversammlung.
Der Niedersächsische Landtag hat es auch ermöglicht, dass diese Delegation von
Oppositionellen auch in Bonn von Regierungsmitgliedern empfangen wurde. Es gab
wichtige und interessante Gespräche mit dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, mit dem späteren Bundeskanzler - damals Oppositionsführer - Gerhard Schröder und auch mit dem Oberbürgermeister von Hannover,
Herbert Schmalstieg. Nach diesem Besuch sind ungarische Nachwuchspolitiker jahrelang zwecks Erfahrungsaustauschs in die politische Weiterbildungsstätte Helmstedt
gefahren.
Es ist ebenfalls kein Zufall, dass 1989 Ministerpräsident Viktor Orbán - damals noch
ein unbekannter junger Politiker - zusammen mit Dr. Peter Edvi, der heute auch hier
ist, in der Hannoverschen Gedächtniskirche einen Kranz für die vielen unschuldigen
Opfer niederlegte.
Aus diesem Grunde haben sich Hannover und Niedersachsen als wichtiges Kapitel in
die ungarische Geschichte eingeschrieben. Ihre Verbundenheit ist eindeutig und unbestritten.
Seit den denkwürdigen Ereignissen der Grenzöffnung ist nunmehr ein Vierteljahrhundert verstrichen. Mittlerweile ist eine neue Generation herangewachsen, für die
Freiheit und die Einheit Europas selbstverständlich sind. Wir, die Zeitzeugen und
- 11 Mitgestalter der Ereignisse vor 25 Jahren, sind verpflichtet, sie daran zu erinnern,
dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit, sondern ein kostbares Gut ist, das es immer wieder zu erkämpfen gilt.
In den zweieinhalb Jahrzehnten der erkämpften Freiheit und Demokratie haben sich
die Menschen in Mitteleuropa für den demokratischen Aufbau, für die Verwirklichung
der europäischen Werte in ihren Ländern konsequent und ohne Kompromisse eingesetzt, dafür Opfer gebracht, Krisen durchgestanden und überwunden. Die mitteleuropäischen Länder sind Mitgestalter des vereinten Europa und tragen zur Stabilität der
Gemeinschaft, zu ihrer Stärke und Wettbewerbsfähigkeit bei.
Wir Mitteleuropäer erleben die Freiheit, die Demokratie und Rechtstaatlichkeit in vielerlei Hinsicht anders als unsere Freunde im Westen Europas. Die meisten von uns
haben noch persönliche Erfahrungen mit Blick darauf, was es heißt, nicht frei zu sein.
Europa ist durch die Verwirklichung seiner Einheit vielfältiger, vor allem aber auch
reicher an gelebten Werten geworden. Unsere Verantwortung ist es, diese vielseitige
historische Erfahrung zu verstehen, zu respektieren und zu schätzen.
Auch der Verlauf der Kontroversen um Ungarn in den letzten Jahren zeigt, dass wir
Europäer uns weiterhin bemühen müssen, einander, unsere Schwächen und Stärken
besser kennen zu lernen; denn nur so kann diese Wertegemeinschaft aufrechterhalten werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen gute Unterhaltung bei
dem Konzert.
(Beifall)
Prof. Andor Izsák: Meine Damen und Herren, wie kann man diese wunderbaren
Worte des Präsidenten des Niedersächsischen Landtages und des Vizepräsidenten
des Ungarischen Parlamentes toppen? - Nur mit toller Musik.
Das Festkonzert wurde von der Pianistin ganz spezifisch für den heutigen Anlass
zusammengestellt. Das Programm entspricht dem ungarischen, dem deutschen,
aber auch dem jüdischen Geist im Sinne der Villa Seligmann. Es war nicht ganz einfach, aber möglich.
Zuerst hören wir Stücke des vielleicht nicht allen bekannten Leó Weiner - ein großartiger ungarischer, jüdischer Komponist, der für viele Mentor und Lehrer war. Es gibt
heute so gut wie keinen noch lebenden ungarischen großen Künstler, der nicht bei
Leó Weiner Kammermusik studiert hat. Leó Weiner war der musikalische Geist der
Musikhochschule in Budapest. Sie werden gleich Volkstänze hören und dabei Volksinstrumente erkennen, obwohl nur das Klavier gespielt wird. Aber bitte kommen Sie
nicht auf die Idee, mitzutanzen, auch wenn es eigentlich angemessen wäre.
(Heiterkeit)
Es folgen zwei Stücke von Franz Liszt - die „Ungarische Rhapsodie“ und „Die Loreley“ werden Ihnen vielleicht nicht ganz unbekannt sein. Aber Sie werden mich fragen:
Was ist an Franz Liszt jüdisch? - Oh, eine Menge! Franz Liszt hat z. B. auf der Orgel
in der Synagoge in Budapest gespielt.
- 12 Franz Liszt war 33 Jahre lang in Weimar tätig. Er galt dort als deutscher Komponist
schlechthin, weil er ausgezeichnet deutsch sprach. Aber leider sprach er kein Wort
ungarisch, auch wenn er sagte: Ich bin ein ungarischer Komponist. - Er war ein sehr
stolzer Ungar, er konnte nur kein Ungarisch.
Man wollte beweisen, dass er ein ungarischer Komponist ist, indem man gesagt hat:
Er hat seine „Funérailles“ für den 6. Oktober zum Gedenken an die Opfer von Arad
komponiert - die Märtyrer von Arad sind am 6. Oktober hingerichtet worden. Die Polen haben dann aber gesagt: Das ist kein Beweis dafür, dass er Ungar war; denn er
hat dieses Stück zu Chopins Tod komponiert. - Es ist sehr schwierig, zu sagen, wer
Liszt wirklich war. Er war in Rom und in Paris zu Hause und ging gerne in die Synagoge in Wien. Aber Liszts „Ungarische Rhapsodie“ ist ungarisch - daran kann man
nicht rütteln. „Die Loreley“ hingegen, das Gedicht von Heinrich Heine, das Liszt vertont hat, ist eine sehr subtile Liebeserklärung an die deutsche Kunst, an die deutsche
Identität.
Ich habe die Pianistin in meiner Begrüßung ausdrücklich nicht erwähnt, weil ich sie
jetzt vorstellen möchte. Wie schön, dass die Pianistin Frau Professorin Erika Lux dieses Programm zusammengestellt und sich bereit erklärt hat, für uns zu spielen. Empfangen Sie mit mir zusammen die Pianistin Erika Lux!
(Beifall)
Festkonzert
Leó Weiner (1885-1960)
Härom magyar n4i tänc (Drei ungarische Volkstänze)
Nr. 1: Fuchs-Tanz
Nr. 2: Reigen aus Marosszk
Nr. 3: Bauern-Tanz (Csürdöngölö)
Franz Liszt (1811-1886)
Ungarische Rhapsodie Nr. 11
Die Loreley (nach einem Gedicht von Heinrich Heine)
(Beifall)
*
Prof. Andor Izsák: Meine Damen und Herren, jetzt haben Sie einen kleinen Eindruck
vom ungarischen Blut bekommen - da ist Pfeffer drin! Liszt war - kein Zweifel - in diesem Sinne ein ungarischer Komponist; das ist der Beweis dafür.
Gehen wir jetzt weiter nach Hamburg, zu Johannes Brahms - auch ein ganz toller
Komponist. Johannes Brahms hat ungarische Tänze vertont, die Moritz Moszkowski
für das Klavier bearbeitet hat. Moritz Moszkowski war einer der größten jüdischen
Komponisten, die wir kennen - ein ganz großer Romantiker, ein Breslauer Jude, der
wirklich sensationelle Höhen erlebt hat. Heute kennt man ihn leider nicht mehr so gut.
Seine Musik ist einmalig, ganz besonders, wenn sie von der Pianistin Erika Lux gespielt wird.
(Beifall)
Johannes Brahms (1833-1897) / Moritz Moszkowski (1854-1925)
Ungarischer Tanz Nr. 3 F-Dur
Ungarischer Tanz Nr. 2 d-moll
- 13 (Beifall)
*
Prof. Andor Izsák: Meine Damen und Herren, nun haben Sie Leó Weiner, Franz
Liszt und Johannes Brahms gehört.
Kommen wir abschließend zu Johann Strauss. Johann Strauss war Jude - Johann
Strauss, der die heimliche Nationalhymne der Österreicher komponiert hat: den Walzer. Das war natürlich für die Nazis ein Riesenproblem.
Ich möchte hier ein bisschen gute Laune verbreiten und den Chef-Ideologen der Nazis, Joseph Goebbels, zitieren, der 1938 zu diesem Problem Stellung genommen hat.
Ich zitiere:
„Ein Oberschlauberger hat herausgefunden, dass Joh. Strauß ein Achteljude ist.
Ich verbiete, das an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn erstens ist es noch nicht
erwiesen, und zweitens habe ich keine Lust, den ganzen deutschen Kulturbesitz
so nach und nach unterbuttern zu lassen. Am Ende bleiben aus unserer Geschichte nur noch Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig. Das ist
ein bisschen wenig.“
Meine Damen und Herren, Johann Strauss war einer der größten Komponisten, und
seine Stücke wurden nicht nur von Zeitgenossen, sondern auch später noch gerne
bearbeitet.
Die Bearbeitung, die Sie jetzt als Abschluss dieses Festkonzertes hören werden, ist
von Ernst von Dohnányi - ein Ungar. Ernst von Dohnányi ist ein wunderbarer, unnachahmlicher und unerreichbarer Komponist und virtuoser Pianist. In der Zeit, in der
er in Budapest Direktor der Musikakademie war, hat er auf der einen Seite versucht,
vieles zu retten, aber er hat auch vieles kaputt gemacht. Aber dass er ein Werk von
Johann Strauss, der eigentlich verboten sein sollte, bearbeitet hat, ist auch eine Aussage. Hören wir jetzt den „Schatz-Walzer“ aus der Operette „Der Zigeunerbaron.“
Johann Strauss Sohn (1825-1899) / Ernst von Dohnányi (1877-1960)
Paraphrase über den „Schatz-Walzer"
aus der Operette „Der Zigeunerbaron"
(Beifall)
*
Schlusswort
Bernd Busemann
Präsident des Niedersächsischen Landtages
Präsident Bernd Busemann: Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Andor, du
hattest vorhin schon eine Ahnung - oder war es eine Weissagung? -, wie man gute
Reden toppen kann: mit wunderbarer Musik!
Verehrte Frau Lux, ganz, ganz herzlichen Dank für dieses wunderbare Konzert. Herrlich!
- 14 (Beifall)
Auf großen Bühnen ist es ja üblich, dass diverse Vorhänge fallen. Das ist hier nicht
vorgesehen, aber es gibt auch eine Anerkennung in anderer Form, nämlich durch
Blumen. Ganz herzlichen Dank noch einmal!
(Der Präsident überreicht der Pianistin einen Blumenstrauß - Beifall)
Meine Damen und Herren, wir bedanken uns auch bei Professor Andor Izsák, der die
Initiative für diese Veranstaltung ergriffen hat, dafür, dass er gemeinsam mit der Seligmann-Stiftung dieses wunderbare Haus für uns geöffnet hat. Dieses Haus ist ja
auch eine Offenbarung; es trägt Geschichte in sich. Andor, du hast die Vorbereitung,
die Moderation und vieles Weitere übernommen. Auch dafür ein herzliches Dankeschön! - Man darf ja auch Männern Blumen schenken.
(Der Präsident überreicht Prof. Izsák einen Blumenstrauß - Beifall)
Meine Damen und Herren, was gelegentlich vergessen wird: Es bedarf vieler Leute,
um eine solche Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Besten Dank auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier im Hause, in der Stiftung und nicht zuletzt beim
Niedersächsischen Landtag dafür, dass Sie das so wunderbar begleitet haben. Aber
dafür sind wir ja auch bekannt, dass wir so etwas stemmen können. Ganz wunderbar!
(Beifall und Heiterkeit)
Schließlich, meine Damen und Herren, ein Dank an Sie alle dafür, dass Sie heute
anlässlich dieses wichtigen Datums hierhergekommen sind. Ich denke, der Vizepräsident des Ungarischen Parlaments und ich haben das auch deutlich gemacht. Und
vielleicht stimmen wir auch darin überein, verehrter Herr Vizepräsident, dass dieser
Abend ein Stück weit eine Referenz, aber auch ein Dankeschön an das tapfere ungarische Volk war, das vor 25 Jahren Geschichte geschrieben hat, von der wir alle heute profitieren.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, ich hoffe, ich habe nach dieser wunderbaren Veranstaltung nichts vergessen. Ich denke, inzwischen ist auch ein bisschen Hunger eingekehrt. Sie alle sind ganz herzlich zum anschließenden Empfang eingeladen, bei dem
es auch etwas zu essen und zu trinken gibt. Seien Sie gerne unsere Gäste, bleiben
Sie in diesem wunderbaren Haus, damit wir noch eine gute Zeit miteinander haben.
Danke fürs Kommen und einen guten weiteren Abend!
(Beifall)
Schluss: 18.40 Uhr.

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